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Wirtschaftsrecht
28.10.2021
Wirtschaftsrecht
OLG Braunschweig: Örtliche Zuständigkeit für Rückabwicklungsklage nach Widerruf eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages

OLG Braunschweig, Beschluss vom 16.6.2021 – 4 U 20/21

Volltext: BB-Online BBL2021-2562-5

Amtliche Leitsätze

1. Bei Widerruf eines mit einem Kfz-Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages ist für eine negative Feststellungsklage, mit der Erfüllungsansprüche der Bank gegen den Verbraucher geleugnet werden, gemäß § 29 Abs. 1 ZPO die örtliche Zuständigkeit am Wohnsitz des Verbrauchers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als Erfüllungsort begründet.

2. Anders als beim Rücktritt vom Kaufvertrag gibt es keinen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Ansprüche des Verbrauchers aus der Rückabwicklung eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages. Die gemäß § 29 Abs. 1 ZPO begründete örtliche Zuständigkeit für den negativen Feststellungsantrag hat keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit für die damit verbundenen Leistungsanträge, mit denen der Verbraucher u.a. Rückzahlungsansprüche gegen die Bank gemäß §§ 357 ff. BGB geltend macht.

3. Es verbleibt bei der für jeden Antrag gesondert vorzunehmenden Zuständigkeitsbestimmung, sodass für die Leistungsanträge gemäß §§ 12, 17 ZPO das Gericht am Sitz des Darlehensgebers örtlich zuständig ist.

4. Der Verbraucher, der nach der Widerrufserklärung das verbriefte Rückgaberecht in Anspruch nimmt, setzt sich zu seiner vorangegangenen Widerrufserklärung in einen unauflösbaren Widerspruch, so-dass sich die Berufung auf die Rechtsfolgen des Rücktritts als rechtsmissbräuchlich darstellt.

Aus den Gründen

    I.

Der Klageantrag zu Ziffer 1 ist – beschränkt auf die Erledigung der negativen Feststellungsklage – entgegen der Ansicht des Landgerichts zwar zulässig, aber unbegründet (1). Insoweit bedarf die erstinstanzliche Entscheidung der Korrektur.

Die Abweisung des Feststellungsantrages der Erledigung des ursprünglichen Klageantrages zu Ziffer 3 (Feststellung des Annahmeverzuges) als unzulässig dürfte demgegenüber zu Recht erfolgt sein (2).

Die weiter gestellten Leistungsanträge fallen mangels Bedingungseintritts nicht zur Entscheidung an.

Im Einzelnen:

1.

a) Das Landgericht war entgegen seiner Ansicht für den negativen Feststellungsantrag (ursprünglicher Klageantrag zu Ziffer 1) örtlich zuständig.

Der Senat erwägt insoweit, sich der einhellig in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ansicht anzuschließen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30. Juni 2017 – I-17 U 144/16 –, Rn. 41, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 2. Juli 2019 – 6 U 312/18 –, Rn. 31, juris; OLG Celle, Urteil vom 26. Februar 2020 – 3 U 157/19 –, Rn. 39 ff., juris; KG Berlin, Beschluss vom 17. März 2020 – 2 AR 5/20 –, Rn. 13, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 28. April 2020 – 6 U 316/19 –, Rn. 30, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. Juni 2020 – 4 U 215/19 –, Rn. 38 ff., juris; OLG Celle, Urteil vom 22. Juli 2020 – 3 U 3/20 –, Rn. 35 ff., juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 13. August 2020 – 4 U 100/19 –, Rn. 107 ff., juris; OLG Dresden, Urteil vom 5. November 2020 – 8 U 1084/20 –, Rn. 48, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 20. Januar 2021 – 17 U 492/19 –, Rn. 41 ff., juris; KG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2021 – 4 U 1033/20 –, Rn. 41, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 21. April 2021 – 4 U 95/20 –, Rn. 37 ff., juris).

Sonstige Zulässigkeitsbedenken ergeben sich nicht.

b) Allerdings dürfte der negative Feststellungsantrag von Anfang an unbegründet gewesen sein.

Der Kläger dürfte ordnungsgemäß über sein Widerrufsrecht belehrt worden sein und auch die sonstigen Pflichtangaben erhalten haben, sodass seine Widerrufserklärung vom 07.03.2018 verfristet gewesen sein dürfte.

Die wesentlichen von dem Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen zur Begründetheit des Feststellungsantrages sind zwischenzeitlich durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 2020 – XI ZR 288/19 –, BGHZ 226, 310-321, juris).

Auch über die Auszahlungsbedingungen ist der Kläger klar und verständlich informiert worden (vgl. KG Berlin, Urteil vom 21. Januar 2021 – 4 U 1033/20 –, Rn. 84 m.w.N., juris).

c) Darüber hinaus bleibt anzumerken, dass der negative Feststellungsantrag spätestens durch die vollständige Ablösung des Darlehens unter Inanspruchnahme des verbrieften Rückgaberechts unbegründet geworden sein dürfte.

Der Kläger kann sich auf ein etwaig ihm zustehendes Widerrufsrecht nicht mehr berufen, nachdem er im Juni 2019 das Rückverkaufsrecht in Anspruch genommen hat. Damit hat er sich in einen unauflösbaren Widerspruch zu seiner Widerrufserklärung vom 07.03.2018 gesetzt, sodass sich die Berufung auf die Rechtsfolgen des Widerrufs als rechtsmissbräuchlich darstellt und daher unbeachtlich ist (KG Berlin, Beschluss vom 21. Januar 2021 – 4 U 1033/20 –, Rn. 186 ff., juris; OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Juli 2020 – 11 U 101/19 –, Rn. 152, juris).

2.

Zutreffend dürfte das Landgericht davon ausgegangen sein, dass es für den Antrag gerichtet auf Feststellung des Annahmeverzuges von vornherein örtlich nicht zuständig war.

a) Teilweise wird darauf abgestellt, dass der Antrag gerichtet auf Feststellung des Annahmeverzuges als bloßer unselbständiger Annexantrag zu den Leistungsanträgen hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit deren Schicksal teile (vgl. etwa Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 21. April 2021 – 4 U 95/20 –, Rn. 27, juris). Dies erscheint auch überzeugend, da dem isolierten Antrag gerichtet auf Feststellung des Annahmeverzuges das Feststellungsinteresse fehlt und er daher nicht für sich allein stehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2000 – XII ZR 41/98 –, Rn. 22 - 24, juris).

Für die Leistungsanträge wäre unter Anwendung der §§ 12, 17 das Landgericht Stuttgart als Gericht am Sitz der Beklagten zuständig.

b) Eine Zuständigkeit des Landgerichts Braunschweig dürfte sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus den Besonderheiten des verbundenen Vertrages ergeben.

Zwar nehmen einige Oberlandesgerichte einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Ansprüche aus der Rückabwicklung nach Widerruf eines mit einem Kaufvertrag verbundenen Verbraucherdarlehensvertrages an (OLG Hamm, Urteil vom 27. November 2019 – 31 U 114/18 – Rn. 75 ff., juris; OLG Celle, Urteil vom 22. Juli 2020 – 3 U 3/20 –, Rn. 64 ff., juris; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 13. August 2020 – 4 U 100/19 –, Rn. 174 ff., juris; OLG Dresden, Urteil vom 5. November 2020 – 8 U 1084/20 –, Rn. 51 ff., juris (allerdings differenzierend zwischen vertraglichen Rückzahlungsansprüchen und solchen aus ungerechtfertigter Bereicherung); OLG Frankfurt, Urteil vom 20. Januar 2021 – 17 U 492/19 –, Rn. 44 ff., juris).

Der Senat hält dies jedoch nach vorläufiger Würdigung nicht für überzeugend.

Die Verfechter des einheitlichen Gerichtsstandes stellen darauf ab, dass die Frage zwischen Zug-um-Zug-Verhältnis einerseits und Vorleistungspflicht andererseits keinen Einfluss auf den Leistungsort habe (OLG Dresden, Urteil vom 5. November 2020 – 8 U 1084/20 –, Rn. 54, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 20. Januar 2021 – 17 U 492/19 –, Rn. 50, juris, unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 9. März 1995 – IX ZR 134/94 –, Rn. 13, juris). Der Käufer habe im Falle eines erfolgreichen Widerrufs nicht nur ein Recht auf Rückzahlung der von ihm geleisteten Zins- und Tilgungszahlungen, sondern auch auf Rücknahme des gekauften Fahrzeugs durch die in die Stellung der Verkäuferin eingetretene Bank. Für diesen Anspruch sei Erfüllungsort und damit Wahlgerichtsstand der Ort der belegenen Sache bzw. der Wohnort des Schuldners (OLG Dresden, Urteil vom 5. November 2020 – 8 U 1084/20 –, Rn. 54, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 20. Januar 2021 – 17 U 492/19 –, Rn. 50, juris, unter Hinweis auf Staudinger/Bittner/Kolbe [2019] BGB § 269 Rn. 31 und MünchKomm/Krüger, BGB, 8. Auflage, § 269 Rn. 48).

Allerdings handelt es sich bei der Rückgabeverpflichtung des Darlehensnehmers mit Blick auf das finanzierte Fahrzeug mangels anderweitiger Vereinbarung um eine Bring- oder Schickschuld, sodass der Kläger das Fahrzeug der Beklagten an deren Sitz anbieten oder aber es an die Beklagte absenden muss, sodass der Kläger diesbezüglich nach § 358 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB vorleistungspflichtig ist (BGH, Urteil vom 27. Oktober 2020 – XI ZR 525/19 –, Rn. 22-24, juris; BGH, Urteil vom 23. Februar 2021 – XI ZR 73/20 –, Rn. 19-20, juris).

Aus Sicht des Senats ist auch sonst kein Grund für einen Vergleich mit dem Rücktritt vom Kaufvertrag ersichtlich.

Der Bundesgerichtshof hat bei der Begründung des Belegenheitsortes der Kaufsache als Leistungsort ausgeführt: „Denn der Käufer schuldet nach § 346 Satz 1 BGB nur das Zurückgewähren der Leistung und hat somit den Verkäufer nur in die Lage zu versetzen, über die Ware zu verfügen (so auch Staudinger/Ostler aaO Rdn. 34). Es ist dem Berufungsgericht zwar zuzugeben, daß sich hieraus ein Risiko für den Verkäufer ergibt. Der Käufer kann die Sache entsprechend dem mit dem Vertragsschluß verfolgten Zweck an einen entfernten Ort geschafft haben. Diese Risikoverteilung ist aber gerechtfertigt, weil der vom Verkäufer zu vertretende Mangel der Kaufsache zur Wandelung geführt hat (vgl. RGZ 55, 105, 110 f; RG Recht 1918 Nr. 930; MünchKomm-H.P.Westermann aaO). Gerade das anerkennenswerte und vom Gesetz, wie bereits dargelegt, auch anerkannte Interesse des Käufers, möglichst weitgehend so gestellt zu werden, als habe er sich auf den Vertrag nicht eingelassen, rechtfertigt es, ihn von den Kosten des Rücktransportes zu entlasten. Zu keinem anderen Ergebnis gelangt im vorliegenden Falle die Auffassung, die den Erfüllungsort stets bei dem Empfänger der verkauften Sache sieht (so z.B. Staudinger/Selb, § 269 Rdn. 14; Staudinger/Honsell, § 465 Rdn. 19; ebenso für den Rücktritt OLG Karlsruhe MDR 1970, 587; OLG Nürnberg NJW 1974, 2237). Selbst wenn man von einem für die Käufer- und die Verkäuferverpflichtungen unterschiedlichen Erfüllungsort ausgehen wollte (so z.B. OLG Oldenburg NJW 1976, 1044; LG Krefeld MDR 1977, 1018 f; Staudinger/Ostler aaO Rdn. 44), wäre dies für die Rückgabe- bzw. Rücknahmeverpflichtung dennoch der Ort, an dem sich die Ware vertragsgemäß befindet […]“ (BGH, Urteil vom 9. März 1983 – VIII ZR 11/82 –, BGHZ 87, 104-112, Rn. 14, juris).

Die von den Verfechtern des einheitlichen Leistungsortes zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 9. März 1995 – IX ZR 134/94 –, Rn. 13, juris) dürfte denn auch eher die vom Senat vertretene Ansicht bestätigen, wonach der Leistungsort für jede Verpflichtung grundsätzlich gesondert bestimmt werden muss, und ein einheitlicher Leistungsort nur dann in Betracht kommt, wenn die Umstände des Falles bzw. die Besonderheiten des in Rede stehenden Vertrages dafür sprechen.

Der von dem Bundesgerichtshof entschiedene Fall betraf die Frage des Leistungsortes für die Verpflichtung eines Gläubigers gegenüber dem Bürgen, eine zur Sicherung der Hauptforderung bestellte Grundschuld Zug um Zug gegen Zahlung der Bürgschaftssumme an den Bürgen abzutreten. Der Bundesgerichtshof hat festgehalten, dass die Zug-um-Zug-Vereinbarung die Verbindung eines Gegenseitigkeitsverhältnisses bedeute, jedoch im Grundsatz keinen Einfluss auf den Leistungsort habe, sondern dieser auch bei gegenseitigen Verträgen grundsätzlich für jede Verpflichtung gesondert bestimmt werden müsse und daher nicht notwendig einheitlich sei (BGH, Urteil vom 9. März 1995 – IX ZR 134/94 –, Rn. 13, juris).

So bleibt letztlich nur das Argument der Prozessökonomie, welches aus Sicht des Senats jedoch schwach ist. Der Hinweis auf den Verbraucherschutz und Praktikabilitätserwägungen allein vermag – ohne eine ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers – keinen von den allgemeinen Regeln abweichenden Gerichtsstand zu begründen.

Dies gilt hier umso mehr vor dem Hintergrund, als dass der Verbraucher das Schicksal unterschiedlicher Zuständigkeiten für unterschiedliche, aus ein- und demselben Widerruf folgende Ansprüche selbst gewählt hat und es ihm unbenommen gewesen wäre, den Rechtsstreit einheitlich für alle Ansprüche bei dem nach §§ 12, 17 ZPO zuständigen Gericht anhängig zu machen.

Die Gefahr, dass das für den Feststellungsantrag zuständige Gericht eine Entscheidung trifft, die mit der Entscheidung des für die Leistungsanträge zuständigen Gerichts in unauflösbarem Widerspruch steht, trägt dann der Kläger. Er nimmt diese Gefahr sehenden Auges in Kauf. Ihn davor zu schützen, indem durch Zweckmäßigkeitserwägungen, die im Gesetz keine Stütze finden, ein für alle Anträge einheitlicher Gerichtsstand „konstruiert“ wird, ist nicht Aufgabe des Gerichts. Wenn ein Kläger die Gefahr widerstreitender Entscheidung scheut, hat er die Möglichkeit, alle Anträge vor dem gemäß § 12 ZPO zuständigen Gericht zu erheben (gleichsinnig BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004 – XI ZR 366/03 –, Rn. 34, juris: „Hier hätte es dem Kläger offengestanden, durch eine Klage am Wohnsitzgericht der Beklagten […] den gesamten Streitstoff in einem Rechtsstreit zu erledigen“) (ebenso: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 21. April 2021 – 4 U 95/20 –, Rn. 32, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 4. Mai 2021 – 6 U 769/20 –, Rn. 20, juris).

    II.

Unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens beabsichtigt der Senat, entgegen dem klägerischen Hauptantrag von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO keinen Gebrauch zu machen, da die Sache beim Berufungsgericht ohne weitere Beweisaufnahme zur Entscheidung reif ist.

Einer erneuten Verhandlung vor dem Landgericht bedarf es nicht, weil bei der Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit die Beantwortung von Rechtsfragen im Vordergrund steht und eine weitere Sachaufklärung durch das Landgericht nicht erforderlich ist (ebenso: KG Berlin, Beschluss vom 21. Januar 2021 – 4 U 1033/20 –, Rn. 35, juris; vgl. auch Heßler, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 538 ZPO Rn. 6).

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