EuGH: booking.com – Bestpreisklauseln bei Online-Plattformen für die Buchung von Unterkünften grundsätzlich keine „Nebenabreden“
EuGH, Urteil vom 19.9.2024 – C-264/23
ECLI:EU:C:2024:764
Volltext: BB-Online BBL2024-2241-1
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Tenor
1.Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er auf weite und auf enge Bestpreisklauseln in Verträgen zwischen Online-Hotelbuchungsplattformen und Beherbergungsbetrieben anwendbar ist, da diese Klauseln keine Nebenabreden zu diesen Verträgen darstellen.
2.Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen ist dahin auszulegen, dass dann, wenn eine Hotelbuchungsplattform bei Transaktionen zwischen Beherbergungsbetrieben und Verbrauchern als Vermittlerin auftritt, die Abgrenzung des fraglichen Marktes für die Zwecke der Anwendung der in dieser Bestimmung festgelegten Marktanteilsschwellen eine konkrete Prüfung der Substituierbarkeit zwischen den Online-Vermittlungsdiensten und den anderen Vertriebskanälen aus der Sicht von Angebot und Nachfrage erfordert.
Aus de Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV und der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 [AEUV] auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 2010, L 102, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, den die Booking.com BV und die Booking.com (Deutschland) GmbH (im Folgenden zusammen: Booking.com) gegen die 25hours Hotel Company Berlin GmbH und 62 weitere in Deutschland belegene Hotelbetriebe führen. Der Gegenstand dieses Rechtsstreits ist die Gültigkeit von Bestpreisklauseln, die Booking.com in den mit diesen Betrieben geschlossenen Verträgen verwendet, im Hinblick auf Art. 101 AEUV.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung (EG) Nr. 1/2003
3 In Art. 11 („Zusammenarbeit zwischen der [Europäischen] Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten“) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) heißt es:
„(1) Die Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten arbeiten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der [Union] eng zusammen.
…
(5) Die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten können die Kommission zu jedem Fall, in dem es um die Anwendung des [Union]srechts geht, konsultieren.
…“
Verordnung Nr. 330/2010
4 Die Verordnung Nr. 330/2010 galt gemäß ihrem Art. 10 Abs. 2 bis zum 31. Mai 2022.
5 Ihre Erwägungsgründe 5 und 9 lauteten:
„(5) Die durch diese Verordnung bewirkte Gruppenfreistellung sollte nur vertikalen Vereinbarungen zugutekommen, von denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass sie die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV erfüllen.
…
(9) Oberhalb dieser Marktanteilsschwelle von 30 % kann nicht davon ausgegangen werden, dass vertikale Vereinbarungen, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen, immer objektive Vorteile mit sich bringen, die in Art und Umfang ausreichen, um die Nachteile auszugleichen, die sie für den Wettbewerb mit sich bringen. Es kann allerdings auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese vertikalen Vereinbarungen entweder unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallen oder die Voraussetzungen des Artikels 101 Absatz 3 AEUV nicht erfüllen.“
6 Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010 bestimmte:
„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:
a) ‚vertikale Vereinbarung‘ ist eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, geschlossen wird und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen“.
7 In Art. 2 der Verordnung Nr. 330/2010 hieß es:
„(1) Nach Artikel 101 Absatz 3 AEUV und nach Maßgabe dieser Verordnung gilt Artikel 101 Absatz 1 AEUV nicht für vertikale Vereinbarungen.
Diese Freistellung gilt, soweit solche Vereinbarungen vertikale Beschränkungen enthalten.
…“
8 Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010 lautete:
„Die Freistellung nach Artikel 2 gilt nur, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder ‑dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder ‑dienstleistungen bezieht, jeweils nicht mehr als 30 % beträgt.“
Richtlinie 2014/104/EU
9 Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) lautet:
„(1) In dieser Richtlinie sind bestimmte Vorschriften festgelegt, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass jeder, der einen durch eine Zuwiderhandlung eines Unternehmens oder einer Unternehmensvereinigung gegen das Wettbewerbsrecht verursachten Schaden erlitten hat, das Recht, den vollständigen Ersatz dieses Schadens von diesem Unternehmen oder dieser Unternehmensvereinigung zu verlangen, wirksam geltend machen kann. In dieser Richtlinie sind Vorschriften festgelegt, mit denen der unverfälschte Wettbewerb im Binnenmarkt gefördert und Hindernisse für sein reibungsloses Funktionieren beseitigt werden, indem in der ganzen [Europäischen] Union ein gleichwertiger Schutz für jeden gewährleistet wird, der einen solchen Schaden erlitten hat.
(2) In dieser Richtlinie sind Vorschriften für die Koordinierung der Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften durch die Wettbewerbsbehörden und der Durchsetzung dieser Vorschriften im Wege von Schadensersatzklagen vor nationalen Gerichten festgelegt.“
10 Art. 9 („Wirkung nationaler Entscheidungen“) der Richtlinie 2014/104 bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass eine in einer bestandskräftigen Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde oder einer Rechtsmittelinstanz festgestellte Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht für die Zwecke eines Verfahrens über eine Klage auf Schadensersatz nach Artikel 101 oder 102 AEUV oder nach nationalem Wettbewerbsrecht vor einem ihrer nationalen Gerichte als unwiderlegbar festgestellt gilt.
(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass eine bestandskräftige Entscheidung nach Absatz 1, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen ist, gemäß ihrem jeweiligen nationalen Recht vor ihren nationalen Gerichten zumindest als Anscheinsbeweis dafür vorgelegt werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen wurde, und gegebenenfalls zusammen mit allen anderen von den Parteien vorgelegten Beweismitteln geprüft werden kann.
(3) Dieser Artikel lässt die Rechte und Pflichten nationaler Gerichte nach Artikel 267 AEUV unberührt.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11 Die Booking.com BV, eine Gesellschaft niederländischen Rechts mit Sitz in Amsterdam (Niederlande), wurde 1996 gegründet. Sie bietet einen weltweiten Vermittlungsdienst für die Buchung von Unterkünften über den Betrieb ihrer Online-Plattform booking.com an. Sie wird in ihren Tätigkeiten von Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten unterstützt, u. a. in Deutschland von Booking.com (Deutschland).
12 Das Unternehmen Booking.com ist weder Anbieter noch Erwerber von Beherbergungsleistungen. Es legt auch nicht die Unterkünfte und die entsprechenden Preise fest, die auf seiner Plattform angeboten werden. Diese Gesichtspunkte werden von den Beherbergungsbetrieben festgelegt. Booking.com beschränkt sich somit darauf, auf seiner Plattform Unterkünfte und Reisende zusammenzubringen.
13 Die auf der Plattform, die Booking.com betreibt, angebotenen Dienstleistungen sind für Reisende kostenlos. Die Hotelbetriebe zahlen Booking.com eine Provision, wenn ein Kunde über diese Plattform eine Buchung vornimmt und sie nicht storniert. Die Hotelbetriebe können unabhängig von dieser Plattform alternative Vertriebskanäle nutzen.
14 Bei seinem Eintritt in den deutschen Markt im Laufe des Jahres 2006 nahm Booking.com, ebenso wie andere Hotelbuchungsplattformen, die auch als „Online Travel Agency (OTA)“ (Online-Reisebüroplattform) bezeichnet werden, in die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Verträge, die mit den Beherbergungsbetrieben geschlossen wurden, eine sogenannte „weite Bestpreisklausel“ auf. Nach dieser Klausel war es diesen Betrieben nicht gestattet, über ihre eigenen Vertriebskanäle oder über Vertriebskanäle Dritter – einschließlich konkurrierender OTA – Zimmer zu einem niedrigeren Preis anzubieten als zu dem auf der Website von Booking.com angebotenen.
15 Mit Beschluss vom 20. Dezember 2013 stellte das Bundeskartellamt (Deutschland) im Wesentlichen fest, dass die weite Bestpreisklausel, die von der Hotel Reservation Service Robert Ragge GmbH (im Folgenden: HRS), einem der auf dem deutschen Markt tätigen OTA, verwendet wurde, gegen das Kartellverbot im Unionsrecht und im deutschen Recht verstoße, und untersagte ihre Verwendung.
16 Im Jahr 2013 leitete das Bundeskartellamt auch eine Untersuchung der weiten Bestpreisklausel ein, die von Booking.com verwendet wurde und der von HRS verwendeten entsprach.
17 Mit Beschluss vom 9. Januar 2015 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) eine Beschwerde von HRS gegen den Beschluss des Bundeskartellamts vom 20. Dezember 2013 zurück. Dieser Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf, gegen den kein Rechtsmittel eingelegt wurde, wurde rechtskräftig.
18 Booking.com verpflichtete sich in Absprache mit der französischen, der italienischen und der schwedischen Wettbewerbsbehörde, ab dem 1. Juli 2015 die weite Bestpreisklausel aus seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen zu streichen und sie durch eine sogenannte „enge“ Bestpreisklausel zu ersetzen, nach der das Verbot für Beherbergungsbetriebe, ihre Zimmer zu besseren Preisen als den auf Booking.com angebotenen Preisen anzubieten, nur für die Angebote gilt, die sie über ihre eigenen Vertriebskanäle abgeben.
19 Mit Beschluss vom 22. Dezember 2015, der erging, nachdem die Kommission gemäß Art. 11 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1/2003 konsultiert worden war, entschied das Bundeskartellamt, dass eine solche enge Bestpreisklausel ebenfalls gegen das Kartellverbot im Unionsrecht und im deutschen Recht verstoße, und untersagte Booking.com ihre weitere Verwendung. Das Bundeskartellamt war im Wesentlichen der Auffassung, dass solche Klauseln den Wettbewerb sowohl auf dem Markt für die Bereitstellung von Beherbergungsdienstleistungen als auch auf dem Markt für die Bereitstellung von Online-Vermittlungsdiensten durch Plattformen für Beherbergungsbetriebe beschränkten. Zum einen könnten diese Klauseln wegen des hohen Anteils von Booking.com auf dem fraglichen Markt nicht nach der Verordnung Nr. 330/2010 freigestellt werden, und zum anderen seien auch die Voraussetzungen für die Anwendung einer Einzelfreistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV nicht erfüllt.
20 Mit Beschluss vom 4. Juni 2019 gab das Oberlandesgericht Düsseldorf der Beschwerde von Booking.com gegen diesen Beschluss vom 22. Dezember 2015 teilweise statt. Dieses Gericht war u. a. der Ansicht, dass die enge Bestpreisklausel zwar den Wettbewerb beschränke, aber dennoch als Nebenabrede angesehen werden könne, die erforderlich sei, um es Booking.com zu ermöglichen, eine angemessene Vergütung für seine Dienstleistungen zu erhalten. Es stelle somit ein unlauteres Verhalten der Beherbergungsbetriebe dar, sich auf der Buchungsplattform von Booking.com einzutragen, aber dann Kunden dazu anzuregen, unmittelbar bei ihnen zu buchen, indem sie ihnen auf ihrer eigenen Website bessere Tarife anböten. Die für die Beherbergungsbetriebe bestehende Möglichkeit, Buchungen auf ihre eigenen Buchungssysteme umzulenken, stelle eine hinreichende Rechtfertigung dafür dar, dass Booking.com diese Betriebe vertraglich am „Trittbrettfahren“ hindere. Daher konnte nach Ansicht dieses Gerichts diese Klausel nicht als Verstoß gegen das im nationalen Recht und in Art. 101 Abs. 1 AEUV vorgesehene Kartellverbot angesehen werden.
21 Im Jahr 2020 erhob der Hotelverband Deutschland e. V., der über 2 600 Hotels vertritt, beim Landgericht Berlin (Deutschland) eine Schadensersatzklage gegen Booking.com auf Ersatz des Schadens, der seinen Mitgliedern aufgrund der Bestpreisklauseln entstanden sein soll.
22 Mit Beschluss vom 18. Mai 2021 hob der Bundesgerichtshof (Deutschland), bei dem das Bundeskartellamt Rechtsbeschwerde eingelegt hatte, den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Juni 2019 auf. Er stellte fest, dass die enge Bestpreisklausel den Wettbewerb auf dem Markt für Online-Hotelbuchungsplattformen und auf dem Markt der Hotelunterkünfte spürbar beschränke. Eine solche Klausel könne nicht als Nebenabrede eingestuft werden, da nicht erwiesen sei, dass ohne sie die Wirtschaftlichkeit von Booking.com gefährdet wäre. Diese Klausel komme auch nicht für eine Freistellung nach der Verordnung Nr. 330/2010 oder für eine andere Freistellung vom Kartellverbot im Unionsrecht und im deutschen Recht in Betracht.
23 Am 23. Oktober 2020 erhob Booking.com bei der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande), dem vorlegenden Gericht in der vorliegenden Rechtssache, Klage auf Feststellung, dass zum einen die von ihm verwendeten Bestpreisklauseln nicht gegen Art. 101 AEUV verstoßen haben und zum anderen den Beklagten des Ausgangsverfahrens durch diese Klauseln kein Schaden entstanden ist. Die Beklagten des Ausgangsverfahrens erhoben bei diesem Gericht Widerklage zum einen mit dem Antrag, festzustellen, dass Booking.com gegen Art. 101 AEUV verstoßen hat, und zum anderen mit dem Antrag, Booking.com zur Zahlung von Schadensersatz wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV zu verurteilen.
24 Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts, das sich mit Zwischenurteil vom 26. Oktober 2022 für zuständig erklärte, stellt sich erstens die Frage, ob die in den Verträgen zwischen den OTA und den angeschlossenen Beherbergungsbetrieben enthaltenen weiten und engen Bestpreisklauseln für die Zwecke der Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV als „Nebenabreden“ einzustufen sind.
25 Das vorlegende Gericht stellt fest, dass sich der Gerichtshof bislang nicht zu der Frage geäußert habe, ob solche Klauseln, nach denen eine Online-Buchungsplattform die ihr angeschlossenen Beherbergungsbetriebe daran hindere, je nach Fall auf allen Vertriebskanälen oder auf bestimmten anderen Vertriebskanälen niedrigere Preise als die auf dieser Plattform angebotenen Preise aufzurufen, als Nebenabreden dem Anwendungsbereich des Kartellverbots gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV entzogen sein könnten. Diese Frage führe jedoch zu unterschiedlichen Analysen, was zum Erlass widersprüchlicher Entscheidungen führen könne.
26 Insoweit fragt sich das vorlegende Gericht, ob Booking.com nicht in der Lage sein sollte, sich gegen die Gefahr des Trittbrettfahrens zu schützen. Insbesondere ergebe sich aus der von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens angeführten Rechtsprechung, dass nicht nachgewiesen werden müsse, dass der Verstoß gegen eine vertragliche Beschränkung den Fortbestand des Unternehmens in Frage stelle, sondern dass es ausreiche, dass dieser „gefährdet“ sei. Ferner sei darauf hinzuweisen, dass inzwischen sowohl die enge als auch die weite Bestpreisklausel in Belgien, Frankreich, Italien und Österreich gesetzlich verboten worden seien und dass es im derzeit beim Landgericht Berlin anhängigen Verfahren um die gleiche Frage wie im vorliegenden Verfahren gehe.
27 Zweitens stelle sich für den Fall, dass die streitigen Bestpreisklauseln nicht als „Nebenabreden“ eingestuft werden könnten, die Frage, ob für diese Klauseln eine Freistellung in Betracht komme. Für die Zwecke der Anwendung der Verordnung Nr. 330/2010 sei es erforderlich, zu wissen, wie der Markt der fraglichen Produkte abzugrenzen sei. Vorliegend ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Art und Weise der Abgrenzung des relevanten Marktes, der einen „vielfältigen“ Charakter habe, nicht klar genug sei.
28 Unter diesen Umständen hat die Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die weite und die enge Bestpreisklausel im Rahmen der Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV als eine Nebenabrede anzusehen?
2. Wie ist bei der Anwendung der Verordnung Nr. 330/2010 der relevante Markt abzugrenzen, wenn Transaktionen über eine OTA abgewickelt werden, auf der Unterkünfte Zimmer anbieten und mit Reisenden in Kontakt treten können, die ein Zimmer über die Plattform buchen können?
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
29 Die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens ist aus drei Gründen in Abrede gestellt worden.
30 Als Erstes bringen die Beklagten des Ausgangsverfahrens vor, dass das Ersuchen nicht den Anforderungen von Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs genüge, da das vorlegende Gericht den tatsächlichen Kontext, in dem die Fragen gestellt würden, nicht genau und vollständig beschrieben habe.
31 Insoweit ergibt sich vorliegend aus einer Gesamtbetrachtung des Vorabentscheidungsersuchens, dass das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sein Ersuchen um Auslegung steht, hinreichend definiert hat, um es sowohl den Beteiligten zu ermöglichen, gemäß Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union Erklärungen abzugeben, als auch dem Gerichtshof, dieses Ersuchen zweckdienlich zu beantworten. Insbesondere hat es klar auf die Entscheidungen hingewiesen, die sowohl das Bundeskartellamt als auch die deutschen Gerichte im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen den OTA und Hotelbetrieben in Deutschland erlassen hätten.
32 Der erste von den Beklagten des Ausgangsverfahrens geltend gemachte Unzulässigkeitsgrund ist daher zurückzuweisen.
33 Als Zweites machen sowohl die Beklagten des Ausgangsverfahrens als auch die deutsche Regierung geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen rein hypothetische Fragen betreffe, die in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stünden. Die den Vorlagefragen zugrunde liegende Problematik in Bezug auf weite und auf enge Bestpreisklauseln sei bereits vom Bundeskartellamt in seinen Entscheidungen vom 20. Dezember 2013 und vom 22. Dezember 2015 erörtert worden, die letztinstanzlich durch die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. Januar 2015 und des Bundesgerichtshofs vom 18. Mai 2021 bestätigt worden seien. Insbesondere da das vorlegende Gericht diese Entscheidungen gemäß Art. 9 der Richtlinie 2014/104 berücksichtigen müsse, sei fraglich, ob es erforderlich sei, diese Vorlagefragen zu stellen.
34 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen (Urteile vom 9. Juli 2020, Santen, C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 27).
35 Daraus folgt, dass, da für Fragen, die das Unionsrecht betreffen, eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt, der Gerichtshof die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen kann, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteile vom 9. Juli 2020, Santen, C‑673/18, EU:C:2020:531, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 28).
36 Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit hängt ganz offensichtlich von der Antwort des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen ab.
37 Insoweit geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass das Ausgangsverfahren offenbar teilweise vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/104, wie er in ihrem Art. 1 definiert ist, erfasst wird. Vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen betreffen die Klage und die Widerklage, die bei ihm anhängig sind, nämlich nicht nur die Frage, ob die betreffenden Bestpreisklauseln gegen Art. 101 AEUV verstoßen, sondern auch die Frage, ob die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens für den Schaden haftbar gemacht werden können, der den Beklagten des Ausgangsverfahrens aufgrund solcher Klauseln entstanden sein soll.
38 Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 bestimmt, dass die Mitgliedstaaten, wenn bei einem Gericht eines Mitgliedstaats eine Schadensersatzklage wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht erhoben wird, gewährleisten, dass eine bestandskräftige Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde oder einer Rechtsmittelinstanz, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen ist, als Anscheinsbeweis dafür vorgelegt werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen wurde.
39 Daraus folgt, dass das vorlegende Gericht, selbst wenn es – was es zu bestimmen hat – tatsächlich mit einer Schadensersatzklage befasst sein sollte, die vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie erfasst wird, nicht notwendigerweise an die Feststellungen zu den Bestpreisklauseln in den Entscheidungen des Bundeskartellamts oder in den späteren Entscheidungen der deutschen Gerichte gebunden ist. Dass diese Entscheidungen einen Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung darstellen können, führt folglich nicht zur Unzulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens.
40 Was die Frage betrifft, ob und inwieweit sich die in Deutschland ergangenen bestandskräftigen Entscheidungen darauf auswirken können, wie das nationale Gericht die Vereinbarkeit der streitigen Bestpreisklauseln zu beurteilen hat, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 2014/104 klar bestimmt, dass die Bestimmungen in den Abs. 1 und 2 dieses Artikels „die Rechte und Pflichten nationaler Gerichte nach Artikel 267 AEUV unberührt [lassen]“.
41 Im Übrigen gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Parteien – entsprechend den Ausführungen in Rn. 29 des Urteils vom 16. Dezember 1981, Foglia (244/80, EU:C:1981:302) – vom Vorabentscheidungsverfahren zu anderen Zwecken als denjenigen Gebrauch gemacht haben, für die es vorgesehen ist. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Anrufung des vorlegenden Gerichts durch die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens letztlich darauf abzielte, die in Deutschland ergangenen bestandskräftigen Entscheidungen zu unterlaufen, mit denen diese Klauseln für unvereinbar mit Art. 101 AEUV erklärt wurden, steht es dem Gerichtshof nur unter außergewöhnlichen Umständen zu, die Bedingungen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird, zu prüfen, um seine eigene Zuständigkeit zu überprüfen.
42 Folglich ist es nicht offensichtlich, dass die Auslegung der in den Vorlagefragen angeführten Bestimmungen in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das Problem hypothetischer Natur ist.
43 Daher ist der zweite Unzulässigkeitsgrund ebenfalls zurückzuweisen.
44 Als Drittes sind die Beklagten des Ausgangsverfahrens und die deutsche Regierung der Ansicht, dass das Vorabentscheidungsersuchen nicht die „Auslegung“ der Verträge und der Sekundärrechtsakte im Sinne von Art. 267 AEUV, sondern in Wirklichkeit die „Anwendung“ von Bestimmungen des Unionsrechts betreffe. Es sei nämlich unmöglich, die Frage, ob die Bestpreisklauseln Nebenabreden darstellten, für die Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht gelte, abstrakt und unabhängig von dem tatsächlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem sie Anwendung fänden, zu beantworten. Die Abgrenzung des fraglichen Produktmarkts sei kein Rechtsbegriff, sondern erfordere vielmehr eine Tatsachenwürdigung.
45 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 267 AEUV dem Gerichtshof nicht die Befugnis verleiht, die Normen des Unionsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden, sondern nur die, sich zur Auslegung der Verträge und der Rechtsakte der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zu äußern. Der Gerichtshof hat daher weder die dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Tatsachen festzustellen und daraus die Schlussfolgerungen für die vom vorlegenden Gericht zu erlassende Entscheidung zu ziehen noch die betreffenden nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften auszulegen (Urteil vom 14. Mai 2020, Bouygues travaux publics u. a., C‑17/19, EU:C:2020:379, Rn. 51 und 52).
46 Allerdings kann der Gerichtshof das Unionsrecht im Rahmen der durch Art. 267 AEUV begründeten Zusammenarbeit zwischen den Gerichten unter Berücksichtigung der Akten auslegen, soweit dies dem innerstaatlichen Gericht bei der Beurteilung der Wirkungen einer unionsrechtlichen Bestimmung dienlich sein könnte (Urteil vom 6. Oktober 2021, W. Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 133 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
47 Der Gerichtshof hat, als er konkret mit Ersuchen befasst war, mit denen das Verhalten eines Unternehmens am Maßstab der wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere Art. 101 AEUV, eingeordnet werden sollte, entschieden, dass es zwar Sache des vorlegenden Gerichts ist, abschließend zu beurteilen, ob die fragliche Vereinbarung unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Gesichtspunkte des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens und seines wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs Wettbewerbsbeschränkungen bezweckt, dass er jedoch auf der Grundlage der ihm vorliegenden Akten bestimmte Punkte klarstellen kann, um dem nationalen Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben, damit es den Rechtsstreit entscheiden kann (vgl. u. a. Urteile vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 51 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 28 und 29).
48 Folglich ist auch der dritte Unzulässigkeitsgrund zurückzuweisen.
49 Nach alledem ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
50 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er deshalb weder auf weite noch auf enge Bestpreisklauseln in Verträgen zwischen Online-Hotelbuchungsplattformen und Beherbergungsbetrieben anwendbar ist, weil diese Klauseln Nebenabreden zu diesen Verträgen darstellen.
51 Nach ständiger Rechtsprechung fällt dann, wenn eine bestimmte Maßnahme oder Tätigkeit wegen ihrer Neutralität oder ihrer positiven Wirkung auf den Wettbewerb nicht von dem grundsätzlichen Verbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst wird, auch eine Beschränkung der geschäftlichen Selbständigkeit eines oder mehrerer an dieser Maßnahme oder Tätigkeit Beteiligten nicht unter dieses grundsätzliche Verbot, wenn sie für die Durchführung dieser Maßnahme oder Tätigkeit objektiv notwendig ist und zu den mit der einen oder der anderen verfolgten Zielen in einem angemessenen Verhältnis steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 89, vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 69, sowie vom 26. Oktober 2023, EDP – Energias de Portugal u. a., C‑331/21, EU:C:2023:812, Rn. 88).
52 Wenn also eine solche Beschränkung nicht von der Hauptmaßnahme oder Haupttätigkeit unterschieden werden kann, ohne das Bestehen oder die Ziele dieser Maßnahme oder Tätigkeit zu gefährden, muss die Vereinbarkeit dieser Beschränkung mit Art. 101 AEUV zusammen mit der Vereinbarkeit der Hauptmaßnahme oder Haupttätigkeit, zu der sie eine Nebenabrede bildet, untersucht werden, und dies auch dann, wenn die Beschränkung als solche auf den ersten Blick unter das grundsätzliche Verbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV zu fallen scheint (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 90, vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 70, sowie vom 26. Oktober 2023, EDP – Energias de Portugal u. a., C‑331/21, EU:C:2023:812, Rn. 89).
53 Damit eine Beschränkung als „Nebenabrede“ eingestuft werden kann, ist erstens zu ermitteln, ob die Durchführung der Hauptmaßnahme, die keinen wettbewerbswidrigen Charakter hat, ohne die fragliche Beschränkung unmöglich wäre. Der Umstand, dass eine solche Maßnahme ohne die Beschränkung nur schwerer durchführbar oder weniger rentabel wäre, verleiht dieser Beschränkung nicht den für ihre Qualifizierung als Nebenabrede erforderlichen Charakter einer „objektiv notwendigen“ Beschränkung. Eine solche Auslegung würde nämlich darauf hinauslaufen, diesen Begriff auf Beschränkungen auszudehnen, die für die Durchführung der Hauptmaßnahme nicht strikt unerlässlich sind. Dieses Ergebnis würde die praktische Wirksamkeit des in Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgesprochenen Verbots beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 91, vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 71, sowie vom 26. Oktober 2023, EDP – Energias de Portugal u. a., C‑331/21, EU:C:2023:812, Rn. 90).
54 Zweitens ist gegebenenfalls die Verhältnismäßigkeit der fraglichen Beschränkung gegenüber den mit der betreffenden Maßnahme verfolgten Zielen zu prüfen. Um zu widerlegen, dass es sich bei einer Beschränkung um eine Nebenabrede handelt, können die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden somit ermitteln, ob realistische Alternativen bestehen, die den Wettbewerb weniger einschränken als die in Rede stehende Beschränkung. Diese Alternativen beschränken sich jedoch nicht auf die Situation, die ohne die fragliche Beschränkung eintreten würde, sondern umfassen auch andere kontrafaktische Annahmen, die auf realistischen Situationen beruhen, die ohne die fragliche Beschränkung eintreten könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 107 bis 111).
55 Es ist klarzustellen, dass zwischen dem Begriff „Nebenabrede“, wie er im Rahmen von Art. 101 Abs. 1 AEUV geprüft wird, und der Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV zu unterscheiden ist. Anders als diese Freistellung erfordert die Voraussetzung, dass eine objektive Notwendigkeit vorliegen muss, um eine Beschränkung für die Zwecke der Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV als „Nebenabrede“ einzustufen, keine Abwägung der wettbewerbsfördernden und wettbewerbswidrigen Auswirkungen einer Vereinbarung. Eine derartige Abwägung kann nämlich nur in dem besonderen Rahmen von Art. 101 Abs. 3 AEUV stattfinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 93).
56 Vorliegend ist es grundsätzlich allein Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller ihm unterbreiteten Tatsachen festzustellen, ob die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Nebenabrede erfüllt sind. Es kann u. a. gemäß Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104, wenn es mit einer Klage befasst ist, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, wie er in ihrem Art. 1 Abs. 2 definiert ist, bestandskräftige Entscheidungen einer nationalen Wettbewerbsbehörde oder einer Rechtsmittelinstanz berücksichtigen.
57 Dennoch ist der Gerichtshof befugt, dem vorlegenden Gericht Hinweise zu geben, um es bei seiner Prüfung, ob eine Beschränkung im Verhältnis zur Hauptmaßnahme objektiv notwendig ist, zu leiten.
58 Eine solche Prüfung ist nämlich im Unterschied zu derjenigen, die im Rahmen der Abwägung der wettbewerbsfördernden und der wettbewerbswidrigen Auswirkungen einer Vereinbarung für die Zwecke der Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV erforderlich ist, verhältnismäßig allgemein und abstrakt und erfordert keine reine Tatsachenwürdigung.
59 Als Erstes zeigt sich, dass die im vorliegenden Fall in Rede stehende Hauptmaßnahme, nämlich die Erbringung von Online-Hotelbuchungsdiensten durch Plattformen wie Booking.com, eine neutrale oder sogar positive Auswirkung auf den Wettbewerb hatte. Diese Dienste erzeugen erhebliche Effizienzgewinne, indem sie zum einen Verbrauchern den Zugang zu einem breiten Spektrum von Unterkunftsangeboten und deren schnellen und einfachen Vergleich anhand verschiedener Kriterien ermöglichen und es zum anderen den Beherbergungsbetrieben ermöglichen, eine größere Sichtbarkeit zu erlangen und dadurch die Anzahl potenzieller Kunden zu erhöhen.
60 Als Zweites steht hingegen nicht fest, dass die Bestpreisklauseln zum einen für die Verwirklichung dieser Hauptmaßnahme objektiv notwendig sind und zum anderen in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Ziel stehen.
61 Was die weiten Bestpreisklauseln betrifft, die es den auf der Buchungsplattform geführten Partnerhotels verbieten, auf ihren eigenen oder auf von Dritten betriebenen Vertriebskanälen Zimmer zu einem niedrigeren Preis anzubieten als zu dem auf dieser Plattform angebotenen, so zeigt sich, dass sie für die Hauptmaßnahme der Erbringung von Online-Hotelbuchungsdienstleistungen offensichtlich weder objektiv notwendig sind noch in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten Ziel stehen.
62 Es gibt nämlich keinen inneren Zusammenhang zwischen dem Fortbestand der Haupttätigkeit der Hotelbuchungsplattform und der Auferlegung solcher Klauseln, die ganz klar spürbar wettbewerbsbeschränkend wirken. Solche Klauseln können, abgesehen davon, dass sie geeignet sind, den Wettbewerb zwischen den verschiedenen Hotelbuchungsplattformen zu verringern, die Gefahr beinhalten, dass kleine Plattformen und neu eintretende Plattformen verdrängt werden.
63 Das Gleiche gilt unter den Umständen des Ausgangsverfahrens für sogenannte „enge Bestpreisklauseln“, die es nur den Partner-Beherbergungsbetrieben verbieten, der Öffentlichkeit auf ihren eigenen Online-Kanälen Übernachtungen zu einem niedrigeren Tarif als auf der Hotelbuchungsplattform anzubieten. Auch wenn diese engen Bestpreisklauseln auf den ersten Blick eine weniger wettbewerbsbeschränkende Wirkung haben und das Ziel verfolgen, der genannten Gefahr eines Trittbrettfahrens zu begegnen, auf die sich insbesondere Booking.com im Ausgangsverfahren beruft, ist nicht ersichtlich, dass sie objektiv notwendig sind, um die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Hotelbuchungsplattform zu gewährleisten.
64 Zwar wurde im Rahmen des Ausgangsverfahrens geltend gemacht, dass mit den Bestpreisklauseln verhindert werden solle, dass zum einen die Beherbergungsbetriebe die von der Hotelbuchungsplattform angebotenen Dienstleistungen und die Sichtbarkeit in unlauterer Weise und ohne Gegenleistung ausnutzten und dass zum anderen die Investitionen in die Entwicklung der Such- und Vergleichsfunktionen dieser Plattform nicht amortisiert werden könnten.
65 Wie sich aus der in Rn. 55 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, darf die Anwendung des Begriffs der „Nebenabrede“, nach dem sich richtet, ob eine Beschränkung vom Verbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen werden kann, jedoch nicht dazu führen, dass die Voraussetzungen, die die Rechtsprechung für die Einstufung einer Beschränkung als „Nebenabrede“ im Hinblick auf die Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV aufgestellt hat, mit dem Kriterium der Notwendigkeit, das eine verbotene Beschränkung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen muss, um freigestellt werden zu können, vermengt werden.
66 Aus der in den Rn. 51 bis 55 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung geht nämlich hervor, dass es bei der Prüfung der objektiven Notwendigkeit einer Beschränkung im Verhältnis zur Hauptmaßnahme nicht darum geht, zu untersuchen, ob eine solche Beschränkung angesichts der Wettbewerbssituation auf dem relevanten Markt notwendig ist, um den wirtschaftlichen Erfolg der Hauptmaßnahme sicherzustellen, sondern darum, festzustellen, ob die fragliche Beschränkung im besonderen Rahmen dieser Maßnahme für die Verwirklichung dieser Maßnahme unerlässlich ist.
67 Die Einstufung als „Nebenabrede“, die dem Verbot von Art. 101 Abs. 1 AEUV entzogen ist, hat der Gerichtshof nämlich nur in Fällen in Betracht gezogen, in denen die Durchführung der Hauptmaßnahme ohne eine solche Nebenabrede zwangsläufig gefährdet war. Daher konnten nur die Beschränkungen als „Nebenabrede“ eingestuft werden, die als solche erforderlich waren, damit die Hauptmaßnahme in jedem Fall verwirklicht werden konnte.
68 Dies war in der Rechtssache der Fall, in der das Urteil vom 11. Juli 1985, Remia u. a./Kommission (42/84, EU:C:1985:327, Rn. 19 und 20), ergangen ist. In jener Rechtssache hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein Wettbewerbsverbot für die Durchführung einer Unternehmensübertragung objektiv notwendig war, da, wenn der Verkäufer und der Käufer nach der Unternehmensübertragung weiterhin miteinander in Wettbewerb stehen, ohne eine solche Klausel die Unternehmensübertragung nicht realisiert werden könnte. Der Verkäufer, der das veräußerte Unternehmen in allen seinen Einzelheiten besonders gut kennt, könnte nämlich, wie weiter ausgeführt wurde, seine frühere Kundschaft unmittelbar nach der Unternehmensveräußerung wieder zurückgewinnen und so dem veräußerten Unternehmen die Existenzgrundlage entziehen.
69 Dies war auch bei bestimmten Beschränkungen der Fall, um die es in der Rechtssache ging, in der das Urteil vom 28. Januar 1986, Pronuptia de Paris (161/84, EU:C:1986:41), ergangen ist. In jenem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass Bestimmungen von Vertriebsfranchisingverträgen, die für das Funktionieren des Franchisesystems unerlässlich waren, keine Einschränkungen des Wettbewerbs waren. Dies galt auch für Bestimmungen, die verhinderten, dass das vermittelte Know-how und die vom Franchisegeber gewährte Unterstützung Konkurrenten zugutekamen, und ebenso für die Bestimmungen über die Kontrolle, die zur Wahrung der Identität und des Ansehens der durch die Geschäftsbezeichnung symbolisierten Vertriebsorganisation der Franchiseorganisation unerlässlich waren (Rn. 16 und 17 des Urteils).
70 Der Gerichtshof hat im Urteil vom 19. April 1988, Erauw-Jacquery (27/87, EU:C:1988:183, Rn. 11), außerdem entschieden, dass eine in einer Saatgutvermehrungs- und -vertriebsvereinbarung, bei der eine Partei der Inhaber bestimmter Sortenschutzrechte oder sein Lizenznehmer war, enthaltene Klausel, die dem Lizenznehmer den Verkauf und die Ausfuhr von Basissaatgut untersagte, mit Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) vereinbar war, soweit sie erforderlich war, um dem Inhaber des Sortenschutzrechts die Auswahl der Händler/Erzeuger zu ermöglichen, denen er eine Lizenz erteilen wollte.
71 Der Gerichtshof hat in den Urteilen vom 15. Dezember 1994, DLG (C‑250/92, EU:C:1994:413, Rn. 45), und vom 12. Dezember 1995, Oude Luttikhuis u. a. (C‑399/93, EU:C:1995:434, Rn. 20), ferner festgestellt, dass bestimmte Einschränkungen, die Mitgliedern einer Bezugsgenossenschaft oder einer landwirtschaftlichen Genossenschaft auferlegt wurden, wie die, mit der ihnen eine Beteiligung an anderen Formen der organisierten Zusammenarbeit in unmittelbarer Konkurrenz zu diesen Genossenschaften untersagt wurde oder die eine Austrittsgeldregelung vorsahen, nicht unter das nunmehr in Art. 101 Abs. 1 AEUV vorgesehene Verbot fielen, sofern u. a. die betreffenden Satzungsbestimmungen auf das beschränkt waren, was notwendig war, um das ordnungsgemäße Funktionieren der fraglichen Genossenschaft sicherzustellen und ihre Vertragsgestaltungsmacht gegenüber den Erzeugern zu erhalten.
72 Vorliegend bedeutet der Umstand, dass es möglicherweise negative Auswirkungen auf die Rentabilität der von der Hotelbuchungsplattform angebotenen Dienste haben könnte, wenn es die von ihr vorgegebenen Bestpreisklauseln nicht gäbe, für sich genommen nicht, dass diese Klauseln als objektiv notwendig anzusehen sind. Ein solcher Umstand scheint sich, sollte er festgestellt werden, auf das Geschäftsmodell der Online-Buchungsplattform zu beziehen, die sich insbesondere für eine Begrenzung der Höhe der von den angeschlossenen Beherbergungsbetrieben zu zahlenden Provisionen entschieden hat, um das Volumen der auf der Plattform präsentierten Angebote zu erhöhen und die damit erzeugten indirekten Netzwerkeffekte zu verstärken.
73 Die Tatsache – ihr Vorliegen unterstellt –, dass Bestpreisklauseln etwaigem Trittbrettfahren entgegenwirken sollen und sie unerlässlich sind, um Effizienzgewinne oder den geschäftlichen Erfolg der Hauptmaßnahme sicherzustellen, erlaubt es daher nicht, diese Klauseln als „Nebenabrede“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV einzustufen. Diese Tatsache kann nur im Rahmen der Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV berücksichtigt werden.
74 Die Prüfung der objektiven Notwendigkeit einer Beschränkung im Verhältnis zur Hauptmaßnahme kann sich, auch wenn sie verhältnismäßig abstrakt ist, u. a. auf eine kontrafaktische Analyse stützen, die es ermöglicht, zu prüfen, wie die Online-Vermittlungsdienste ohne die Bestpreisklausel funktioniert hätten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 164). Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht jedoch hervor, dass, obwohl sowohl weite als auch enge Bestpreisklauseln in mehreren Mitgliedstaaten verboten wurden, die Erbringung von Dienstleistungen durch Booking.com nicht gefährdet wurde.
75 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass er auf weite und auf enge Bestpreisklauseln in Verträgen zwischen Online-Hotelbuchungsplattformen und Beherbergungsbetrieben anwendbar ist, da diese Klauseln keine Nebenabreden zu diesen Verträgen darstellen.
Zur zweiten Frage
76 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, wie für die Zwecke der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010 der relevante Produktmarkt abzugrenzen ist, wenn eine Hotelbuchungsplattform bei Transaktionen zwischen Beherbergungsbetrieben und Verbrauchern als Vermittlerin auftritt.
77 Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010 gilt die in ihrem Art. 2 vorgesehene Freistellung nur, wenn der Anteil des Anbieters an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder ‑dienstleistungen anbietet, und der Anteil des Abnehmers an dem relevanten Markt, auf dem er die Vertragswaren oder ‑dienstleistungen bezieht, jeweils nicht mehr als 30 % beträgt.
78 Die in dieser Bestimmung vorgesehene Marktanteilsschwelle soll, wie der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 330/2010 bestätigt, dafür sorgen, dass die durch diese Verordnung bewirkte Gruppenfreistellung nur vertikalen Vereinbarungen zugutekommt, von denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass sie die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllen. Wie im neunten Erwägungsgrund der Verordnung ausgeführt wird, kann oberhalb dieser Marktanteilsschwelle von 30 % nicht davon ausgegangen werden, dass vertikale Vereinbarungen, die unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, immer objektive Vorteile mit sich bringen, die in Art und Umfang ausreichen, um die Nachteile auszugleichen, die sie für den Wettbewerb mit sich bringen.
79 Insoweit ist das vorlegende Gericht davon ausgegangen, dass die durch die fraglichen Bestpreisklauseln bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen Teil einer „vertikalen Vereinbarung“ seien. Diese ist in Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010 definiert als „eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, geschlossen wird und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen“.
80 Der Gerichtshof wird daher nur ersucht, Auslegungshinweise zu geben, die bei der Abgrenzung des relevanten Marktes zu berücksichtigen sind, wenn es wie im Ausgangsverfahren um Online-Vermittlungsdienste geht, wobei eine solche Definition, die eine Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen sowie der Struktur von Angebot und Nachfrage auf dem betreffenden Markt erfordert, weitgehend von einer eingehenden tatsächlichen Prüfung abhängt, die allein das vorlegende Gericht vornehmen kann. Dies gilt umso mehr, als dieses dem Gerichtshof nur wenige Gesichtspunkte genannt hat, so dass dieser nicht in der Lage ist, den relevanten Produktmarkt genau abzugrenzen.
81 Wie sowohl in Rn. 2 der Bekanntmachung der Kommission von 1997 über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft (ABl. 1997, C 372, S. 5) als auch in Rn. 6 der überarbeiteten Bekanntmachung der Kommission von 2024 über die Abgrenzung des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Union (ABl. 2024, C 1645, S. 1) ausgeführt wird, ist die Marktabgrenzung ein Instrument, das genutzt wird, um einen Bereich zu ermitteln und abzugrenzen, in dem Unternehmen miteinander im Wettbewerb stehen.
82 Was den sachlich relevanten Markt betrifft, auf den es im Rahmen der vorliegenden Frage allein ankommt, ist festzustellen, dass der Begriff des „relevanten Marktes“ nach der Rechtsprechung die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs zwischen den zu ihm gehörenden Erzeugnissen oder Dienstleistungen voraussetzt, so dass ein hinreichender Grad an Austauschbarkeit zwischen allen zum gleichen Markt gehörenden Erzeugnissen oder Dienstleistungen im Hinblick auf die gleiche Verwendung erforderlich ist. Die Austauschbarkeit oder Ersetzbarkeit beurteilt sich nicht allein mit Blick auf die objektiven Eigenschaften der fraglichen Erzeugnisse und Dienstleistungen. Es müssen auch die Wettbewerbsbedingungen sowie die Struktur der Nachfrage und des Angebots auf dem Markt in Betracht gezogen werden (Urteile vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 129).
83 Vorliegend möchte das vorlegende Gericht letztlich wissen, ob, wie dies im Rahmen der in Deutschland geführten Verfahren entschieden wurde, der relevante Produktmarkt für die Anwendung der Marktanteilsschwelle gemäß der Verordnung Nr. 330/2010 der „Markt für Hotelplattformen“ ist, der als der Markt abgegrenzt wird, auf dem Online-Hotelplattformen den Beherbergungsbetrieben Vermittlungsdienste anbieten, oder ob der relevante Markt einen größeren Umfang hat als der Markt für Hotelbuchungsportale.
84 Insoweit kann, wie aus Rn. 95 der oben in Rn. 81 angeführten überarbeiteten Bekanntmachung hervorgeht, im Fall von mehrseitigen Plattformen ein sachlich relevanter Markt für sämtliche von einer Plattform angebotenen Produkte abgegrenzt werden, der alle (oder mehrere) Nutzergruppen umfasst, oder es können für die auf jeder Seite der Plattform angebotenen Produkte getrennte (wenn auch miteinander verbundene) sachlich relevante Märkte abgegrenzt werden. Nach Maßgabe des Sachverhalts kann es zweckmäßiger sein, getrennte Märkte abzugrenzen, wenn auf den verschiedenen Seiten der Plattform erhebliche Unterschiede bei den Substitutionsmöglichkeiten bestehen. Um zu prüfen, ob solche Unterschiede bestehen, können verschiedene Faktoren berücksichtigt werden, z. B. die Frage, ob verschiedene Unternehmen substituierbare Produkte für jede Nutzergruppe anbieten, der Grad der Produktdifferenzierung auf jeder Seite (oder die diesbezügliche Wahrnehmung jeder Nutzergruppe), verhaltensbezogene Faktoren wie Homing-Entscheidungen jeder Nutzergruppe und die Art der Plattform.
85 Zur Bestimmung des Marktanteils von Booking.com als Anbieter von Online-Vermittlungsdiensten für Beherbergungsbetriebe für die Zwecke der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010 ist daher zu prüfen, ob diese Vermittlungsdienste durch andere Arten von Vermittlungsdiensten und andere Vertriebskanäle ersetzt werden können, und zwar aus der Sicht der Nachfrage zum einen der Beherbergungsbetriebe nach diesen Vermittlungsdiensten und zum anderen der Endkunden.
86 Das vorlegende Gericht muss daher zur Abgrenzung des relevanten Marktes prüfen, ob konkret eine Substituierbarkeit zwischen den Online-Vermittlungsdiensten und den anderen Vertriebskanälen besteht, und zwar unabhängig davon, dass diese Kanäle unterschiedliche Merkmale aufweisen und nicht die gleichen Such- und Vergleichsfunktionen für das Angebot von Hoteldienstleistungen bieten.
87 In diesem Zusammenhang ist es Sache des vorlegenden Gerichts, sämtliche ihm vorgetragenen Gesichtspunkte zu berücksichtigen.
88 Vorliegend ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesgerichtshof im Rahmen der in Deutschland geführten Verfahren, die der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegen, in seiner Entscheidung vom 18. Mai 2021 die vom Oberlandesgericht Düsseldorf und vom Bundeskartellamt vorgenommenen Beurteilungen zur Abgrenzung des relevanten Marktes bestätigt hat. Er hat somit die Feststellung bestätigt, dass der sachlich relevante Markt für die Zwecke der Anwendung der Marktanteilsschwelle gemäß der Verordnung Nr. 330/2010 der Markt für Hotelplattformen ist, der als der Markt abgegrenzt wird, auf dem Online-Hotelplattformen Beherbergungsbetrieben Vermittlungsdienste anbieten.
89 Zwar stehen die Beurteilungen des Bundeskartellamts und der Rechtsmittelinstanzen in Deutschland hinsichtlich der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes für die Zwecke der Anwendung der Verordnung Nr. 330/2010 nicht im engeren Sinne im Zusammenhang mit bestandskräftigen Entscheidungen, mit denen eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird und die gemäß Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 den nationalen Gerichten zumindest als Anscheinsbeweise für eine Zuwiderhandlung vorgelegt werden können, doch gehören diese Feststellungen, wenn sie denselben räumlichen Markt betreffen, zu den besonders relevanten kontextbezogenen Gesichtspunkten.
90 Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob eine solche Marktabgrenzung, die die besonderen Merkmale der von den OTA angebotenen „Vertragsdienstleistungen“ sowohl aus der Sicht der Beherbergungsbetriebe als auch aus der Sicht der Endkunden berücksichtigt, einen Analysefehler enthält oder auf falschen Feststellungen beruht.
91 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen ist, dass dann, wenn eine Hotelbuchungsplattform bei Transaktionen zwischen Beherbergungsbetrieben und Verbrauchern als Vermittlerin auftritt, die Abgrenzung des fraglichen Marktes für die Zwecke der Anwendung der in dieser Bestimmung festgelegten Marktanteilsschwellen eine konkrete Prüfung der Substituierbarkeit zwischen den Online-Vermittlungsdiensten und den anderen Vertriebskanälen aus der Sicht von Angebot und Nachfrage erfordert.