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Wirtschaftsrecht
25.04.2024
Wirtschaftsrecht
EuGH: Zuwiderhandlungen gegen das EU-Wettbewerbsrecht – Unvereinbarkeit der früheren tschechischen Verjährungsregelung mit EU-Recht

EuGH, Urteil vom 18.4.2024 – C-605/21, Heureka Group a.s. gegen Google LLC

ECLI:EU:C:2024:324

Volltext: BB-Online BBL2024-961-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 10 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union sowie Art. 102 AEUV und der Effektivitätsgrundsatz sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, die in ihrer Auslegung durch die zuständigen nationalen Gerichte für Schadensersatzklagen wegen fortgesetzter Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht, entgegenstehen, wenn diese Frist

-           für jeden aus einer solchen Zuwiderhandlung resultierenden partiellen Schaden unabhängig und gesondert ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Geschädigte Kenntnis davon, dass er einen solchen partiellen Schaden erlitten hat, und von der Identität des Ersatzpflichtigen erlangt hat oder seine Kenntniserlangung vernünftigerweise erwartet werden kann, ohne dass der Geschädigte Kenntnis davon erlangt hat, dass das betreffende Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellt, und ohne dass die Zuwiderhandlung beendet wurde, und

-           während der Untersuchung einer solchen Zuwiderhandlung durch die Europäische Kommission weder gehemmt noch unterbrochen werden darf.

Zudem steht auch Art. 10 der Richtlinie 2014/104 einer solchen Regelung entgegen, wenn sie nicht vorsieht, dass die Verjährungsfrist zumindest für die Dauer eines Jahres, nachdem die Zuwiderhandlungsentscheidung bestandskräftig geworden ist, gehemmt wird.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 102 AEUV, Art. 10, Art. 21 Abs. 1 und Art. 22 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1) sowie des Effektivitätsgrundsatzes.

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Heureka Group a.s. (im Folgenden: Heureka), einem auf dem Markt für Verkaufspreisvergleichsdienste tätigen tschechischen Unternehmen, und der Google LLC über den Ersatz des Schadens, der durch eine von Google und ihrer Muttergesellschaft, der Alphabet, Inc., begangene und von der Europäischen Kommission in einem noch nicht bestandskräftigen Beschluss festgestellte Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV entstanden sein soll.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung (EG) Nr. 1/2003

3          Art. 16 („Einheitliche Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts“) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101 und 102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) lautet:

„(1) Wenn Gerichte der Mitgliedstaaten nach Artikel [101] oder [102 AEUV] über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen erlassen, die der Entscheidung der Kommission zuwiderlaufen. Sie müssen es auch vermeiden, Entscheidungen zu erlassen, die einer Entscheidung zuwiderlaufen, die die Kommission in einem von ihr eingeleiteten Verfahren zu erlassen beabsichtigt. Zu diesem Zweck kann das einzelstaatliche Gericht prüfen, ob es notwendig ist, das vor ihm anhängige Verfahren auszusetzen. Diese Verpflichtung gilt unbeschadet der Rechte und Pflichten nach Artikel [267 AEUV].

(2) Wenn Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nach Artikel [101] oder [102 AEUV] über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen zu befinden haben, die bereits Gegenstand einer Entscheidung der Kommission sind, dürfen sie keine Entscheidungen treffen, die der von der Kommission erlassenen Entscheidung zuwiderlaufen würden.“

 

Richtlinie 2014/104

4          Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2014/104 sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

8. ‚Wettbewerbsbehörde‘ die Kommission oder eine nationale Wettbewerbsbehörde oder beide, je nach Zusammenhang;

11. ‚Zuwiderhandlungsentscheidung‘ eine Entscheidung einer Wettbewerbsbehörde oder einer Rechtsmittelinstanz, mit der eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt wird;

12. ‚bestandskräftige Zuwiderhandlungsentscheidung‘ eine Zuwiderhandlungsentscheidung, gegen die ein ordentliches Rechtsmittel nicht oder nicht mehr eingelegt werden kann;

…“

 

5          Art. 9 („Wirkung nationaler Entscheidungen“) der Richtlinie lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass eine in einer bestandskräftigen Entscheidung einer nationalen Wettbewerbsbehörde oder einer Rechtsmittelinstanz festgestellte Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht für die Zwecke eines Verfahrens über eine Klage auf Schadensersatz nach Artikel 101 oder 102 AEUV oder nach nationalem Wettbewerbsrecht vor einem ihrer nationalen Gerichte als unwiderlegbar festgestellt gilt.

(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass eine bestandskräftige Entscheidung nach Absatz 1, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen ist, gemäß ihrem jeweiligen nationalen Recht vor ihren nationalen Gerichten zumindest als Anscheinsbeweis dafür vorgelegt werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen wurde, und gegebenenfalls zusammen mit allen anderen von den Parteien vorgelegten Beweismitteln geprüft werden kann.

(3) Dieser Artikel lässt die Rechte und Pflichten nationaler Gerichte nach Artikel 267 AEUV unberührt.“

 

6          Art. 10 („Verjährung“) der Richtlinie sieht vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten legen die Vorschriften über die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen im Einklang mit diesem Artikel fest. In diesen Vorschriften wird festgelegt, wann die Verjährungsfrist beginnt, ihre Dauer und unter welchen Umständen eine Unterbrechung oder Hemmung der Frist eintritt.

(2) Die Verjährungsfrist beginnt nicht, bevor die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beendet wurde und der Kläger von Folgendem Kenntnis erlangt hat oder diese Kenntnis vernünftigerweise erwartet werden kann:

a) dem Verhalten und der Tatsache, dass dieses eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht darstellt,

b) der Tatsache, dass ihm durch die Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht ein Schaden entstanden ist, und

c) der Identität des Rechtsverletzers.

(3) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die Verjährungsfristen für die Erhebung von Schadensersatzklagen mindestens fünf Jahre betragen.

(4) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass eine Verjährungsfrist gehemmt oder – je nach nationalem Recht – unterbrochen wird, wenn eine Wettbewerbsbehörde Maßnahmen im Hinblick auf eine Untersuchung oder ihr Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht trifft, auf die sich die Schadensersatzklage bezieht. Die Hemmung endet frühestens ein Jahr, nachdem die Zuwiderhandlungsentscheidung bestandskräftig geworden oder das Verfahren auf andere Weise beendet worden ist.“

 

7            In Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 27. Dezember 2016 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Rechtsvorschriften mit.

…“

 

8            Art. 22 („Zeitliche Geltung“) der Richtlinie 2014/104 lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die nach Artikel 21 erlassen werden, um den materiell-rechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie zu entsprechen, nicht rückwirkend gelten.

(2) Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die nach Artikel 21 erlassen werden und die nicht unter Absatz 1 fallen, nicht für Schadensersatzklagen gelten, die vor dem 26. Dezember 2014 bei einem nationalen Gericht erhoben wurden.“

 

Tschechisches Recht

9          § 620 Abs. 1 des Zákon č. 89/2012 Sb., občanský zákoník (Gesetz Nr. 89/2012 über das Bürgerliche Gesetzbuch) bestimmt:

„Die bei einem Anspruch auf Schadensersatz für den Beginn der Verjährung entscheidenden Umstände umfassen die Kenntnis von dem Schaden und dessen Ersatzpflichtigen. Dies gilt für den Ersatz eines immateriellen Schadens entsprechend.“

 

10        § 629 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs lautet:

„Die Verjährungsfrist beträgt drei Jahre.“

 

11        Der Zákon č. 262/2017 Sb., o náhradě škody v oblasti hospodářské soutěže (Gesetz Nr. 262/2017 über den Ersatz von Schäden im Bereich des Wettbewerbs, im Folgenden: Gesetz Nr. 262/2017), der zur Umsetzung der Richtlinie 2014/104 dient, trat am 1. September 2017 in Kraft. Sein § 9 sieht in den Abs. 1 bis 3 vor:

„(1) Die Verjährungsfrist für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Schadensersatz nach diesem Gesetz beträgt fünf Jahre; die Bestimmungen der §§ 629 und 636 des Bürgerlichen Gesetzbuchs finden keine Anwendung.

(2) Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Tag, an dem die betroffene Person Kenntnis von dem Schaden, dessen Ersatzpflichtigen und der Wettbewerbsbeschränkung erlangt oder erlangen musste und konnte, frühestens jedoch mit dem Tag, an dem die Wettbewerbsbeschränkung endet.

(3) Die Verjährungsfrist läuft nicht während der Dauer einer Untersuchung oder eines Verfahrens vor der Wettbewerbsbehörde, die dieselbe Wettbewerbsbeschränkung betreffen, sowie während eines Jahres ab dem Tag, an dem

a) die Entscheidung der Wettbewerbsbehörde oder eines Gerichts, mit der festgestellt wird, dass eine solche Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, bestandskräftig geworden ist oder

b) die Untersuchung, das Verfahren vor der Wettbewerbsbehörde oder das Verfahren vor dem Gericht auf andere Weise beendet worden ist.“

 

12        § 36 dieses Gesetzes lautet:

„Nach dem 25. Dezember 2014 eingeleitete Verfahren, die den Ersatz eines durch eine Wettbewerbsbeschränkung verursachten Schadens betreffen, sowie Verfahren zur Regelung von Forderungen zwischen Schädigern, die als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens verpflichtet sind, in Anwendung dieses Gesetzes werden im Einklang mit diesem Gesetz durchgeführt; die Rechtswirkungen von Handlungen, die im Verfahren vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes vorgenommen wurden, werden aufrechterhalten.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13        Am 30. November 2010 leitete die Kommission gegen Google ein Verfahren nach Art. 102 AEUV wegen des möglichen Missbrauchs einer beherrschenden Stellung im Bereich der Online-Suche ein. Am gleichen Tag veröffentlichte die Kommission eine Pressemitteilung, mit der die Öffentlichkeit über die Einleitung dieses Verfahrens informiert wurde.

 

14        Im Lauf des Jahres 2013 bot Google der Kommission Verpflichtungszusagen an, um ihre Bedenken auszuräumen.

 

15        Am 27. Mai 2014 gab der Sdružení pro internetový rozvoj v České republice (SPIR) (Vereinigung für die Entwicklung des Internets in der Tschechischen Republik), dem Heureka angehört, eine Pressemitteilung heraus, in der er seine Ablehnung dieser Verpflichtungszusagen zum Ausdruck brachte.

 

16        Am 15. April 2015 erließ die Kommission eine an Google gerichtete Mitteilung der Beschwerdepunkte, in der sie zu dem vorläufigen Ergebnis gelangte, dass die Praktiken dieser Gesellschaft einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung darstellten und daher gegen Art. 102 AEUV verstießen.

 

17        Am 14. Juli 2016 erließ die Kommission eine ergänzende Mitteilung der Beschwerdepunkte und leitete gegen Alphabet, die Muttergesellschaft von Google, ein Verfahren wegen Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV ein.

 

18        Am 27. Juni 2017 erließ die Kommission den Beschluss C(2017) 4444 final in einem Verfahren nach Artikel 102 [AEUV] und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Fall AT.39740 – Google-Search [Shopping]). Eine Zusammenfassung dieses Beschlusses wurde am 12. Januar 2018 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht (ABl. 2018, C 9, S. 11).

 

19        In diesem Beschluss stellte die Kommission fest, dass Google ihre beherrschende Stellung auf 13 nationalen Märkten für allgemeine Suchdienste im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), u. a. auf dem Markt der Tschechischen Republik, dadurch missbraucht habe, dass sie den Datenverkehr von ihren allgemeinen Ergebnisseiten zu konkurrierenden Preisvergleichsdiensten reduziert und den Datenverkehr zu ihrem eigenen Preisvergleichsdienst erhöht habe, was zu wettbewerbswidrigen Auswirkungen auf die entsprechenden 13 nationalen Märkte für spezialisierte Preisvergleichsdienste, aber auch auf die Märkte für allgemeine Suchdienste, habe führen können oder wahrscheinlich geführt habe.

 

20        Weiter heißt es in dem Beschluss, Google habe im Wesentlichen ihrem eigenen Preisvergleichsdienst systematisch eine herausragende Stellung eingeräumt, während die Preisvergleichsdienste der Wettbewerber von Google in der Ergebnisliste herabgestuft worden seien.

 

21        Zur Dauer der Google zuzurechnenden Zuwiderhandlung im Hoheitsgebiet der Tschechischen Republik stellte die Kommission im Beschluss C(2017) 4444 final fest, dass die Zuwiderhandlung im Februar 2013 begonnen habe und ihre Wirkungen noch angedauert hätten, als dieser Beschluss am 27. Juni 2017 erlassen worden sei. Die Kommission gab Google daher in Art. 3 des Beschlusses auf, ihr Verhalten innerhalb von 90 Tagen zu beenden und ähnliche Verhaltensweisen mit demselben Zweck oder derselben Wirkung zu unterlassen.

 

22        Am 1. September 2017 trat das Gesetz Nr. 262/2017 in Kraft, mit dem die Richtlinie 2014/104 in tschechisches Recht umgesetzt wurde.

 

23        Mit Klageschrift, die am 11. September 2017 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben Google und Alphabet Klage gegen den Beschluss C(2017) 4444 final.

 

24        Am 26. Juni 2020 erhob Heureka beim Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag, Tschechische Republik) Klage auf Verurteilung von Google zum Ersatz des Schadens, der ihr durch das wettbewerbswidrige Verhalten entstanden sein soll, das Google im Beschluss C(2017) 4444 final für die Zeit von Februar 2013 bis zum 27. Juni 2017 in der Tschechischen Republik zur Last gelegt wird. Heureka führte aus, Google habe ihren eigenen Verkaufspreisvergleichsdienst unter den Ergebnissen ihrer allgemeinen Suchdienste an der bestmöglichen Stelle platziert und angezeigt, was die Aufrufe ihres Verkaufspreisvergleichsportals Heureka.cz verringert habe.

 

25        Google verteidigte sich u. a. damit, dass der Ersatzanspruch von Heureka nach den Verjährungsvorschriften des Obchodní zákoník (Handelsgesetzbuch), wonach die Verjährungsfrist von vier Jahren dann zu laufen beginne, wenn der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und vom Ersatzpflichtigen erlangt habe oder hätte erlangen können, zumindest für die Zeit von Februar 2013 bis 25. Juni 2016 verjährt sei.

 

26        Insoweit führte Google aus, angesichts der Art des behaupteten Missbrauchs einer beherrschenden Stellung habe Heureka sowohl vom Urheber der Zuwiderhandlung Kenntnis erlangen können als auch davon, dass sie lange vor dem Erlass des Beschlusses C(2017) 4444 final einen Schaden erlitten habe. Heureka habe nämlich insbesondere der Pressemitteilung der Kommission vom 30. November 2010 entnehmen können, dass sie die Betreiberin der Suchmaschine „Google“ sei. Jedenfalls habe die oben in Rn. 15 erwähnte Pressemitteilung des SPIR vom 27. Mai 2014, in der dieser Verband seine Ablehnung der von Google der Kommission unterbreiteten Verpflichtungszusagen zum Ausdruck gebracht habe, ausgereicht, um die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen.

 

27        Somit habe die im vorliegenden Fall anwendbare Verjährungsfrist im Februar 2013 zu laufen begonnen, d. h. zu Beginn der Begehung der angeblichen Zuwiderhandlung im tschechischen Hoheitsgebiet und zu Beginn des Eintritts des geltend gemachten Schadens, oder spätestens am 27. Mai 2014, an dem die Pressemitteilung des SPIR veröffentlicht worden sei.

 

28        Heureka sei durch nichts daran gehindert gewesen, ihre Schadensersatzklage früher zu erheben; in diesem Fall hätte sie ihren Schadensersatzantrag schrittweise erweitern können, nach Maßgabe der Zunahme der erlittenen Schäden im Lauf der Zeit.

 

29        Das vorlegende Gericht weist erstens darauf hin, dass im vorliegenden Fall das etwaige wettbewerbswidrige Verhalten vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2014/104 am 25. Dezember 2014 begonnen und erst nach Ablauf der Frist für ihre Umsetzung (27. Dezember 2016) geendet habe.

 

30        Fraglich sei daher, ob Art. 10 der Richtlinie auf den gesamten durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV verursachten Schaden anwendbar sei oder nur auf den nach Inkrafttreten der Richtlinie eingetretenen oder den nach Ablauf der Frist für ihre Umsetzung eingetretenen Schaden.

 

31        Zweitens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 10 der Richtlinie 2014/104 eine materiell-rechtliche Vorschrift im Sinne ihres Art. 22 Abs. 1 oder eine Verfahrensvorschrift ist.

 

32        Drittens hegt das vorlegende Gericht Zweifel an der Vereinbarkeit der tschechischen Regelung über die Verjährung bei Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln, die bis zum Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 262/2017 zur Umsetzung der Richtlinie 2014/104 galt, mit Art. 10 der Richtlinie und gegebenenfalls mit Art. 102 AEUV sowie dem Effektivitätsgrundsatz.

 

33        Insoweit hebt das vorlegende Gericht zunächst hervor, dass im Ausgangsverfahren nicht die Verjährungsvorschriften des Handelsgesetzbuchs anwendbar seien, sondern die des Bürgerlichen Gesetzbuchs, und dass Letztere die im vorliegenden Fall einschlägige frühere Verjährungsregelung darstellten. Nach § 620 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs beginne die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen, sobald der Geschädigte Kenntnis von der Identität des Zuwiderhandelnden und vom erlittenen Schaden erlangt habe oder von der Kenntniserlangung ausgegangen werden könne. In Bezug auf die Kenntnis der Tatsache, dass durch die fragliche Zuwiderhandlung ein Schaden entstanden sei, ergebe sich aus der Auslegung von § 620 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch den Nejvyšší soud (Oberstes Gericht, Tschechische Republik), dass die Erlangung der Kenntnis von einem Teil des Schadens ausreiche, um die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen. Insbesondere bei dauernden oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen sei der Schaden teilbar; jeder „neue Schaden“ könne separat geltend gemacht werden und setze eine neue Verjährungsfrist in Gang.

 

34        Im vorliegenden Fall würde daraus folgen, dass jede allgemeine Suche bei Google, die zu einer für den Preisvergleichsdienst von Google günstigeren Platzierung und Anzeige von Ergebnissen geführt habe, eine neue, eigenständige Verjährungsfrist in Gang gesetzt habe.

 

35        Viertens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass das Bürgerliche Gesetzbuch für den Beginn der Verjährungsfrist nicht die Kenntnis des Geschädigten davon verlange, dass das betreffende Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht darstelle. Es schreibe auch nicht vor, dass die betreffende Zuwiderhandlung beendet sein müsse. Schließlich enthalte es keine Vorschriften, wonach die Verjährungsfrist während des Zeitraums der Untersuchung dieses Verhaltens gehemmt oder unterbrochen sei.

 

36        Unter diesen Umständen hat der Městský soud v Praze (Stadtgericht Prag) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2014/104 und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts dahin auszulegen, dass die Richtlinie 2014/104, insbesondere ihr Art. 10, unmittelbar oder mittelbar auf einen Rechtsstreit über den Ersatz aller durch eine Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV, die vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2014/104 begann und nach Ablauf der Frist für ihre Umsetzung beendet wurde, entstandenen Schäden anzuwenden ist, wenn auch die Schadensersatzklage nach Ablauf der Umsetzungsfrist erhoben wurde, oder dahin, dass Art. 10 der Richtlinie 2014/104 lediglich auf den Teil des angeführten Verhaltens (und den sich daraus ergebenden Teil des Schadens) anzuwenden ist, der nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 2014/104 bzw. nach Ablauf der Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie lag?

2. Erfordern es der Sinn und Zweck der Richtlinie 2014/104 und/oder von Art. 102 AEUV sowie der Effektivitätsgrundsatz, Art. 22 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 dahin auszulegen, dass unter den „nationalen Vorschriften, die nach Artikel 21 erlassen werden und die nicht unter [Artikel 22] Absatz 1 fallen“, nationale Vorschriften zu verstehen sind, mit denen Art. 10 der Richtlinie 2014/104 umgesetzt wurde; mit anderen Worten, fallen Art. 10 der Richtlinie 2014/104 und die Verjährungsvorschriften unter den ersten oder den zweiten Absatz des Art. 22 der Richtlinie 2014/104?

3. Sind mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2014/104 und/oder mit Art. 102 AEUV sowie dem Effektivitätsgrundsatz eine nationale Regelung und ihre Auslegung vereinbar, wonach die für den Beginn der subjektiven Verjährungsfrist relevante „Kenntnis der Tatsache, dass ein Schaden entstanden ist“, an die Kenntnis des Geschädigten von den „einzelnen partiellen Schäden“ anknüpft, die im Lauf der Zeit während eines fortgesetzten wettbewerbswidrigen Verhaltens entstehen (da die Rechtsprechung davon ausgeht, dass der gegenständliche Schadensersatzanspruch in Gänze teilbar ist) und bei denen dann eigenständige subjektive Verjährungsfristen unabhängig von der Kenntnis des Geschädigten vom gesamten Ausmaß des durch die ganze Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV verursachten Schadens zu laufen beginnen, also eine nationale Regelung und ihre Auslegung, die es ermöglichen, dass die Verjährungsfrist für einen Schadensersatzanspruch aufgrund wettbewerbswidrigen Verhaltens vor dem Zeitpunkt beginnt, an dem dieses gegen Art. 102 AEUV verstoßende Verhalten der günstigeren Platzierung und Darstellung des eigenen Preisvergleichsdiensts beendet wurde?

4. Stehen Art. 10 Abs. 2, 3 und 4 der Richtlinie 2014/104 und/oder Art. 102 AEUV sowie der Effektivitätsgrundsatz einer nationalen Regelung entgegen, die festlegt, dass die subjektive Verjährungsfrist bei Schadensersatzklagen drei Jahre beträgt und ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, an dem der Geschädigte Kenntnis von dem partiellen Schaden und dessen Ersatzpflichtigen erlangt hatte oder hätte erlangen können, jedoch (i) den Zeitpunkt der Beendigung des rechtswidrigen Verhaltens, (ii) die Kenntnis des Geschädigten von der Tatsache, dass das Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht darstellt, nicht berücksichtigt und die überdies (iii) diese dreijährige Verjährungsfrist während des Verfahrens vor der Kommission, dessen Gegenstand die noch nicht beendete Zuwiderhandlung gegen Art. 102 AEUV ist, weder hemmt noch unterbricht und (iv) nicht die Regel enthält, dass die Hemmung von Verjährungsfristen frühestens dann endet, wenn die Entscheidung über die Zuwiderhandlung seit einem Jahr bestandskräftig ist?

 

Entwicklungen nach der Vorlageentscheidung und Verfahren vor dem Gerichtshof

37        In seinem Urteil vom 10. November 2021, Google und Alphabet/Kommission (Google Shopping) (T‑612/17, EU:T:2021:763), wies das Gericht die Klage von Google und Alphabet gegen den Beschluss C(2017) 4444 final im Wesentlichen ab und bestätigte die Analyse der Kommission in Bezug auf den Markt für spezialisierte Preisvergleichsdienste. In Bezug auf die nationalen Märkte für allgemeine Suchdienste stellte es jedoch fest, dass die Kommission das Vorliegen wettbewerbswidriger Auswirkungen, selbst potenzieller Art, mit zu ungenauen Erwägungen begründet habe, so dass der Rüge von Google und Alphabet, die Analyse der Auswirkungen sei rein spekulativ, für diese Märkte stattzugeben sei. Das Gericht erklärte den Beschluss daher nur insoweit für nichtig, als die Kommission darin eine Zuwiderhandlung von Google und Alphabet auf 13 nationalen Märkten für allgemeine Suchdienste innerhalb des EWR aufgrund des Vorliegens wettbewerbswidriger Auswirkungen auf diesen Märkten bejaht hatte, und wies die Klage im Übrigen ab.

 

38        Am 20. Januar 2022 haben Google und Alphabet gegen das Urteil des Gerichts vom 10. November 2021, Google und Alphabet/Kommission (Google Shopping) (T‑612/17, EU:T:2021:763), ein Rechtsmittel eingelegt. Dieses Rechtsmittel ist noch anhängig.

 

39        Am 22. Juni 2022 hat der Gerichtshof das Urteil Volvo und DAF Trucks (C‑267/20, EU:C:2022:494) erlassen, in dem er sich u. a. zur Natur von Art. 10 der Richtlinie 2014/104 und zu dessen zeitlicher Anwendbarkeit geäußert hat.

 

40        Mit Schreiben vom 28. Juni 2022 hat der Gerichtshof dieses Urteil dem vorlegenden Gericht zugestellt und es gefragt, ob es in Anbetracht dessen sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wolle.

 

41        Mit einer am 27. September 2022 beim Gerichtshof eingegangenen schriftlichen Mitteilung hat das vorlegende Gericht den Gerichtshof darüber informiert, dass es die erste und die zweite Frage seines Vorabentscheidungsersuchens zurückziehe, an der dritten und der vierten Frage aber festhalte.

 

Zu den Vorlagefragen

42        Mit seiner dritten und seiner vierten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 10 der Richtlinie 2014/104 und/oder Art. 102 AEUV und der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, die in ihrer Auslegung durch die zuständigen nationalen Gerichte für Schadensersatzklagen wegen fortgesetzter Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht, entgegenstehen, wenn diese Frist

– für jeden aus einer solchen Zuwiderhandlung resultierenden partiellen Schaden unabhängig und gesondert ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Geschädigte Kenntnis davon, dass er einen solchen partiellen Schaden erlitten hat, und von der Identität des Ersatzpflichtigen erlangt hat oder seine Kenntniserlangung vernünftigerweise erwartet werden kann, ohne dass der Geschädigte Kenntnis davon erlangt hat, dass das betreffende Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellt, und ohne dass die Zuwiderhandlung beendet wurde;

– während der Untersuchung einer solchen Zuwiderhandlung durch die Kommission weder gehemmt noch unterbrochen werden darf;

– auch nicht zumindest für die Dauer von einem Jahr nach dem Zeitpunkt, zu dem der Beschluss, mit dem die Kommission diese Zuwiderhandlung feststellt, bestandskräftig wird, gehemmt werden darf.

 

43        Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts ergibt sich, dass insbesondere geklärt werden soll, ob Heureka, die durch einen von Google in der Zeit von Februar 2013 bis zum 27. Juni 2017 begangenen und in einem noch nicht bestandskräftigen Beschluss der Kommission festgestellten Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem relevanten Markt in der Tschechischen Republik geschädigt worden zu sein glaubt, mit ihrer am 26. Juni 2020 erhobenen Klage den Ersatz des während dieses gesamten Zeitraums entstandenen Schadens verlangen kann oder ob ihr Schadensersatzanspruch für einen Teil dieses Zeitraums bereits verjährt ist.

 

44        Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, § 620 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs habe vor der Umsetzung der Richtlinie 2014/104 durch das Gesetz Nr. 262/2017 den Beginn der in § 629 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf drei Jahre festgelegten Verjährungsfrist nur an die Kenntnis des Schadens und von dessen Verursacher geknüpft. Diese Bestimmungen seien dahin ausgelegt worden, dass der gesamte während einer fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht entstehende Schaden in partielle Schäden aufteilbar sei und dass für jeden partiellen Schaden eine eigenständige Verjährungsfrist zu laufen beginne. Der Anspruch auf Schadensersatz sei somit separat und schrittweise verjährt.

 

45        Das vorlegende Gericht fügt hinzu, im vorliegenden Fall habe die fragliche Zuwiderhandlung vor dem 25. Dezember 2014, an dem die Richtlinie 2014/104 in Kraft getreten sei, begonnen, aber erst nach dem 27. Dezember 2016, an dem die in Art. 21 der Richtlinie vorgesehene Umsetzungsfrist abgelaufen sei, geendet. Da die Richtlinie verspätet in tschechisches Recht umgesetzt worden sei, scheine die Zuwiderhandlung jedoch geendet zu haben, bevor das Gesetz Nr. 262/2017 am 1. September 2017 in Kraft getreten sei. Die Klage im Ausgangsverfahren sei hingegen nach dem letztgenannten Zeitpunkt erhoben worden.

 

46        Unter diesen Umständen ist zur Beantwortung der dritten und der vierten Frage zunächst die zeitliche Anwendbarkeit von Art. 10 der Richtlinie 2014/104 zu prüfen, auf den in diesen Fragen Bezug genommen wird und der bestimmte Anforderungen an die Verjährungsfrist für Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht stellt, indem er insbesondere ihre Mindestdauer, den frühestmöglichen Zeitpunkt ihres Beginns sowie die Umstände festlegt, unter denen sie gehemmt oder unterbrochen werden muss.

 

47        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 10 der Richtlinie 2014/104 eine materiell-rechtliche Bestimmung im Sinne ihres Art. 22 Abs. 1 ist. Nach der letztgenannten Bestimmung hatten die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass die nationalen Vorschriften, die nach Art. 21 der Richtlinie erlassen wurden, um ihren materiell-rechtlichen Vorschriften nachzukommen, nicht rückwirkend gelten (Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 36 und 47).

 

48        Nach Ablauf der Frist für die Umsetzung einer Richtlinie ist das nationale Recht jedoch im Einklang mit jeder ihrer Bestimmungen auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 115, und vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 33 und 77).

 

49        Zur Klärung der zeitlichen Anwendbarkeit von Art. 10 der Richtlinie 2014/104 ist daher zu prüfen, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt vor Ablauf der Frist für ihre Umsetzung abgeschlossen war oder ob er nach Ablauf dieser Frist weiterhin Wirkungen entfaltete (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 48).

 

50        Zu diesem Zweck ist angesichts der Besonderheiten der Verjährungsvorschriften, ihrer Natur sowie ihres Funktionsmechanismus insbesondere im Kontext einer Schadensersatzklage wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zu prüfen, ob zum Zeitpunkt des Ablaufs der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/104 am 27. Dezember 2016 die bis dahin für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt nach nationalem Recht geltende Verjährungsfrist abgelaufen war, was die Bestimmung des Zeitpunkts voraussetzt, zu dem die Verjährungsfrist nach diesem Recht zu laufen begann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 49).

 

51        Da es bis zum Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/104 keine einschlägige Unionsregelung gab, war es nämlich Sache der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, die Modalitäten für die Ausübung des Rechts, den Ersatz des Schadens zu verlangen, der sich aus einem Verstoß gegen die Art. 101 und 102 AEUV ergab, einschließlich der Modalitäten für die Verjährungsfristen, unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsgrundsatzes zu regeln, wobei Letzterer verlangt, dass die Vorschriften für Rechtsbehelfe, die den Schutz der dem Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 42 und 43, sowie vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 50).

 

52        Insoweit ergibt sich aus dem letztgenannten Grundsatz, dass eine nationale Regelung, die den Zeitpunkt des Beginns der Verjährungsfrist, ihre Dauer und die Modalitäten ihrer Hemmung oder Unterbrechung festlegt, auch vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/104 den Besonderheiten des Wettbewerbsrechts und den Zielen der Umsetzung der Wettbewerbsvorschriften durch die betroffenen Personen angepasst werden musste, um nicht die volle Wirksamkeit der Art. 101 und 102 AEUV zu untergraben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 47, und vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 53).

 

53        In diesem Kontext ist darauf hinzuweisen, dass Art. 102 AEUV in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugt und in deren Person Rechte entstehen lässt, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben (Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

54        Die volle Wirksamkeit von Art. 102 AEUV und insbesondere die praktische Wirksamkeit des darin ausgesprochenen Verbots würden insbesondere dann in Frage gestellt, wenn es aufgrund der nationalen Regelung, die den Zeitpunkt des Beginns der Verjährungsfrist, ihre Dauer und die Modalitäten ihrer Hemmung oder Unterbrechung festlegt, einer Person praktisch unmöglich wäre oder übermäßig erschwert würde, den Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihr durch ein missbräuchliches Verhalten eines beherrschenden Unternehmens, das den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, entstanden sein soll. Das Recht eines jeden, den Ersatz eines solchen Schadens zu verlangen, erhöht nämlich die Durchsetzungskraft der Wettbewerbsregeln der Union und ist geeignet, Unternehmen von Missbräuchen einer beherrschenden Stellung abzuhalten, die den Wettbewerb beschränken oder verfälschen können; damit trägt es zur Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs in der Europäischen Union bei (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2019, Cogeco Communications, C‑637/17, EU:C:2019:263, Rn. 39 und 41 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

55        Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass die Ausübung dieses Rechts praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert würde, wenn die Verjährungsfristen für Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen zu laufen begönnen, bevor die Zuwiderhandlung beendet ist und der Geschädigte von den für die Erhebung seiner Schadensersatzklage unerlässlichen Informationen Kenntnis erlangt hat oder eine solche Kenntnisnahme vernünftigerweise erwartet werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 56, 57 und 61).

 

56        Zur ersten, die Beendigung der Zuwiderhandlung betreffenden Voraussetzung ist nämlich erstens darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht der Union grundsätzlich eine komplexe Analyse des Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zusammenhänge erfordert (Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

57        Rechtsstreitigkeiten wegen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht sind aber grundsätzlich durch eine Informationsasymmetrie zum Nachteil des Geschädigten gekennzeichnet, so dass es schwieriger für ihn ist, diese Informationen zu erhalten, als für die Wettbewerbsbehörden, die zur Ausübung ihrer Befugnisse zur Durchführung des Wettbewerbsrechts erforderlichen Informationen zu erhalten (Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 55).

 

58        Außerdem ist es für den Geschädigten oft besonders schwierig, vor der Beendigung einer solchen Zuwiderhandlung deren Existenz und Ausmaß sowie den aus ihr resultierenden Schaden nachzuweisen.

 

59        Unter diesen Umständen ist das Erfordernis, dass die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnen darf, bevor die betreffende Zuwiderhandlung beendet ist, nötig, um es dem Geschädigten zu ermöglichen, ihre Existenz, Tragweite und Dauer, den Umfang des durch sie verursachten Schadens sowie den Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und ihr zu ermitteln und zu beweisen, damit er tatsächlich in der Lage ist, sein Recht auf vollständigen Ersatz geltend zu machen, das sich aus den Art. 101 und 102 AEUV ergibt.

 

60        Insbesondere würde es angesichts der Komplexität der Bezifferung des Schadens in wettbewerbsrechtlichen Sachen, in denen die Zuwiderhandlung noch nicht beendet ist, die Ausübung des Rechts auf vollständigen Ersatz praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, wenn vom Geschädigten verlangt würde, den Betrag des geforderten Schadensersatzes nach Maßgabe der aus der Zuwiderhandlung resultierenden zusätzlichen Schäden schrittweise zu erhöhen.

 

61        Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass neben der Durchführung der Wettbewerbsregeln der Union durch die Behörden (public enforcement) auch die Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen diese Regeln (private enforcement) einen integralen Bestandteil des Systems zur Durchführung dieser Vorschriften bilden, das darauf abzielt, wettbewerbswidrige Verhaltensweisen der Unternehmen zu ahnden und sie von der Beteiligung an solchen Verhaltensweisen abzuhalten (Urteil vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

62        Insoweit könnte zum einen eine Verjährungsregelung, die eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht, deren dies a quo vor dem Ende einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung liegt und die während der Untersuchung der Kommission weder gehemmt noch unterbrochen werden kann, dazu führen, dass diese Frist lange vor dem Erlass eines Beschlusses der Kommission, mit dem die Zuwiderhandlung festgestellt wird, abläuft, was die Möglichkeit für den Geschädigten, im Anschluss an einen solchen Beschluss eine Schadensersatzklage zu erheben (follow-on damages action), unmittelbar beeinträchtigen würde und daher geeignet wäre, die Ausübung seines Rechts auf vollen Schadensersatz übermäßig zu erschweren. Es ist nämlich im Allgemeinen für ihn schwierig, den Beweis für einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 oder Art. 102 AEUV zu erbringen, wenn es keinen Beschluss der Kommission oder einer nationalen Behörde gibt.

 

63        Zum anderen kann, wie die Generalanwältin in Nr. 118 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die Beendigung der Zuwiderhandlung als Voraussetzung für den Beginn der Verjährungsfrist abschreckende Wirkung haben und den Urheber der Zuwiderhandlung veranlassen, sie schneller zu beenden. Dies ist hingegen nicht der Fall bei einer Regelung, die dieser Voraussetzung im Rahmen der Erhebung einer Schadensersatzklage wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht nicht Rechnung trägt, sondern es ermöglicht, die Verjährung in mehrere aufeinanderfolgende dies a quo zu zerstückeln, so dass die Verjährungsfristen für den durch die betreffende Zuwiderhandlung verursachten Schaden schrittweise ablaufen würden.

 

64        Zur zweiten Voraussetzung, die nach der oben in Rn. 55 angeführten Rechtsprechung erfüllt sein muss, um die Verjährungsfrist in Lauf zu setzen – der Kenntniserlangung des Geschädigten von den Informationen, die für die Erhebung seiner Schadensersatzklage wegen Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln unerlässlich sind –, ist darauf hinzuweisen, dass zu diesen Informationen das Vorliegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, das Vorliegen eines Schadens, der Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und der Zuwiderhandlung sowie die Identität des Rechtsverletzers gehören (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 60).

 

65        Ohne die genannten Informationen ist es für den Geschädigten nämlich äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich, den Ersatz des ihm durch diese Zuwiderhandlung entstandenen Schadens zu erlangen.

 

66        Insoweit ist es Sache des mit der Schadensersatzklage befassten nationalen Gerichts, den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Geschädigte von diesen Informationen Kenntnis erlangt hat. Allein das nationale Gericht ist nämlich für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 31. Januar 2023, Puig Gordi, C‑158/21, EU:C:2023:57, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof kann allerdings, wenn er aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens entscheidet, Klarstellungen vornehmen, um dem vorlegenden Gericht hierfür eine Richtschnur zu geben.

 

67        Dazu geht aus der Rechtsprechung hervor, dass dieser Zeitpunkt in der Regel mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Zusammenfassung des betreffenden Beschlusses der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union zusammenfällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 71).

 

68        Zum einen gewährleistet nämlich die Veröffentlichung eines Rechtsakts eines Unionsorgans im Amtsblatt der Europäischen Union in allen Amtssprachen der Union, dass sowohl natürliche als auch juristische Personen die Möglichkeit haben, von dem Rechtsakt Kenntnis zu erlangen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 6. März 2023, Deutsche Bank [Kartell – Euro-Zinsderivate], C‑198/22 und C‑199/22, EU:C:2023:166, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

69        Zum anderen liegt im Rahmen von Schadensersatzklagen, die im Anschluss an einen bestandskräftigen Beschluss der Kommission erhoben werden, die Anknüpfung an einen objektiven Umstand wie die Veröffentlichung der Zusammenfassung dieses Beschlusses im Amtsblatt der Europäischen Union insofern im Interesse der Rechtssicherheit, als sie es, falls die betreffende Zuwiderhandlung beendet ist, grundsätzlich erlaubt, den Zeitpunkt zu ermitteln, ab dem die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, und zwar sowohl für die an einem Kartell beteiligten Unternehmen als auch für die Geschädigten (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 6. März 2023, Deutsche Bank [Kartell – Euro-Zinsderivate], C‑198/22 und C‑199/22, EU:C:2023:166, Rn. 48).

 

70        Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass ein durch eine Zuwiderhandlung gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen Geschädigter bereits vor der Veröffentlichung der Zusammenfassung eines Beschlusses der Kommission im Amtsblatt der Europäischen Union Kenntnis von den für die Erhebung der Schadensersatzklage unerlässlichen Umständen erlangt haben mag (Beschluss vom 6. März 2023, Deutsche Bank [Kartell – Euro-Zinsderivate], C‑198/22 und C‑199/22, EU:C:2023:166, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

71        Der Nachweis hierfür ist jedoch von der Person zu erbringen, gegen die die Schadensersatzklage erhoben wird.

 

72        Im vorliegenden Fall stellt sich gleichwohl noch die Frage, wie sich die Veröffentlichung der Zusammenfassung eines noch nicht bestandskräftig gewordenen Beschlusses der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt wird, im Amtsblatt der Europäischen Union auf die Ermittlung des Beginns der Verjährungsfrist auswirkt. Während in den Rechtssachen, in denen das Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks (C‑267/20, EU:C:2022:494), und der Beschluss vom 6. März 2023, Deutsche Bank (Kartell – Euro-Zinsderivate) (C‑198/22 und C‑199/22, EU:C:2023:166), ergangen sind, die Beschlüsse der Kommission bestandskräftig waren, ist in der vorliegenden Rechtssache der Beschluss C(2017) 4444 final nicht bestandskräftig (siehe oben, Rn. 37 und 38). Er wurde nämlich von Google und Alphabet vor dem Gericht angefochten, und gegen dessen Urteil, mit dem ihrer Klage nur teilweise stattgegeben wurde, haben sie ein Rechtsmittel eingelegt, das noch beim Gerichtshof anhängig ist.

 

73        Hierzu ist festzustellen, dass für die Handlungen der Unionsorgane grundsätzlich eine Vermutung der Rechtmäßigkeit spricht, so dass sie Rechtswirkungen entfalten, solange sie nicht für nichtig erklärt oder zurückgenommen worden sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 2004, Kommission/Griechenland, C‑475/01, EU:C:2004:585, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieser Grundsatz bringt auch die Verpflichtung für alle Rechtssubjekte der Union mit sich, die volle Wirksamkeit der besagten Handlungen anzuerkennen, solange ihre Rechtswidrigkeit nicht vom Gerichtshof festgestellt worden ist, und ihre Vollziehbarkeit zu respektieren, solange der Gerichtshof nicht die Aussetzung ihres Vollzugs angeordnet hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 7. Juni 1988, Kommission/Griechenland, 63/87, EU:C:1988:285, Rn. 10, und vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 64).

 

74        Insbesondere dürfen die Gerichte der Mitgliedstaaten, wenn sie über Vereinbarungen, Beschlüsse oder Verhaltensweisen im Sinne der Art. 101 oder 102 AEUV zu befinden haben, die bereits Gegenstand eines Beschlusses der Kommission sind, gemäß Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 1/2003 keine Entscheidungen erlassen, die dem Beschluss der Kommission zuwiderlaufen. Art. 16 Abs. 1 macht die Pflicht des nationalen Gerichts, dem Beschluss nachzukommen, nicht davon abhängig, dass er bestandskräftig geworden ist. Darin unterscheidet sich Art. 16 von Art. 9 der Richtlinie 2014/104, der Entscheidungen der nationalen Wettbewerbsbehörden nur dann Beweiswert beimisst, wenn sie bestandskräftig sind. Dieser Unterschied zwischen beiden Bestimmungen ist gerade in der Verbindlichkeit von Beschlüssen der Unionsorgane begründet.

 

75        Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 42 des Urteils vom 6. Oktober 2021, Sumal (C‑882/19, EU:C:2021:800), im Wesentlichen ausgeführt, dass die Haftungszuweisung an eine juristische Person, die Teil einer wirtschaftlichen Einheit ist, voraussetzt, dass die betreffende Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln in einem bestandskräftig gewordenen Beschluss der Kommission festgestellt oder, wenn die Kommission keinen Beschluss über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung erlassen hat, vor dem betreffenden nationalen Gericht eigenständig dargetan worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Sumal, C‑882/19, EU:C:2021:800, Rn. 42). Diese Erwägungen betreffen jedoch nur die beiden offenkundigsten Fälle, in denen eine Schadensersatzklage erhoben werden kann.

 

76        Im vorliegenden Fall ist – im Gegensatz zu dem Rechtsstreit, in dem das Urteil vom 6. Oktober 2021, Sumal (C‑882/19, EU:C:2021:800), ergangen ist, das einen bestandskräftigen Beschluss der Kommission betraf – im Ausgangsverfahren die Schadensersatzklage im Anschluss an einen Beschluss der Kommission erhoben worden, der nicht bestandskräftig ist, weil er Gegenstand einer Nichtigkeitsklage vor dem Gericht war, dessen Urteil vor dem Gerichtshof angefochten wird.

 

77        Wie die Generalanwältin in den Nrn. 54 und 62 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, entfaltet ein noch nicht bestandskräftiger Beschluss der Kommission, in dem sie eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht feststellt, bindende Wirkung, solange er nicht für nichtig erklärt worden ist, und es ist Sache des nationalen Gerichts, daraus in dem bei ihm anhängigen Verfahren die angemessenen Konsequenzen zu ziehen. Ein Geschädigter kann daher seine Schadensersatzklage auf die in einem solchen Beschluss getroffenen Feststellungen stützen.

 

78        Unabhängig davon, ob der in Rede stehende Beschluss der Kommission bestandskräftig geworden ist, kann somit ab der Veröffentlichung seiner Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union, sofern die betreffende Zuwiderhandlung beendet ist, bei vernünftiger Betrachtung grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass der Geschädigte über alle Informationen verfügt, die er benötigt, um seine Schadensersatzklage innerhalb einer angemessenen Frist erheben zu können, einschließlich derjenigen, die erforderlich sind, um den Umfang des etwaigen durch die betreffende Zuwiderhandlung entstandenen Schadens zu bestimmen. Diese Veröffentlichung ermöglicht nämlich im Allgemeinen die Feststellung des Vorliegens einer Zuwiderhandlung. Außerdem kann der Umfang des etwaigen durch die Zuwiderhandlung entstandenen Schadens vom Geschädigten auf der Grundlage dieser Feststellung und der ihm zur Verfügung stehenden Daten ermittelt werden.

 

79        Zu der Frage, ob Art. 102 AEUV und der Effektivitätsgrundsatz die Hemmung oder Unterbrechung der Verjährungsfrist während einer Untersuchung der Kommission gebieten, ist darauf hinzuweisen, dass eine Verjährungsfrist von drei Jahren, die vor dem Ende der betreffenden einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung zu laufen beginnt und während der Untersuchung der Kommission weder gehemmt noch unterbrochen werden kann, verstreichen könnte, noch bevor das Verfahren vor der Kommission abgeschlossen ist, was die Ausübung des Rechts auf vollständigen Schadensersatz mittels einer im Anschluss an einen Beschluss der Kommission erhobenen Klage übermäßig erschweren oder gar unmöglich machen würde (siehe oben, Rn. 62). Hemmung oder Unterbrechung der Verjährungsfrist während einer Untersuchung der Kommission sind nämlich grundsätzlich erforderlich, um es dem Geschädigten zu ermöglichen, insbesondere am Ende dieser Untersuchung zu beurteilen, ob eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen wurde, Kenntnis von deren Umfang und Dauer zu erlangen und sich im Rahmen einer späteren Schadensersatzklage auf diese Feststellung zu stützen.

 

80        Da ein Geschädigter, wie oben in Rn. 77 dargelegt, seine Schadensersatzklage auf die Feststellungen in einem nicht bestandskräftig gewordenen Beschluss der Kommission stützen kann, ist hingegen davon auszugehen, dass Art. 102 AEUV und der Effektivitätsgrundsatz nicht verlangen, dass die Verjährungsfrist gehemmt bleibt, bis der Beschluss der Kommission bestandskräftig wird. Außerdem ist das nationale Gericht, wie die Generalanwältin in Nr. 70 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, zwar befugt, das bei ihm anhängige Verfahren auszusetzen, bis der Beschluss der Kommission bestandskräftig geworden ist, sofern es dies aufgrund der Umstände des Einzelfalls für angebracht hält; es ist dazu aber keineswegs verpflichtet, wenn es nicht von diesem Beschluss abweicht.

 

81        In Anbetracht der oben in den Rn. 51 bis 80 angestellten Erwägungen ist festzustellen, dass eine Verjährungsregelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende – wonach zum einen die Verjährungsfrist von drei Jahren für jeden aus der betreffenden Zuwiderhandlung resultierenden partiellen Schaden unabhängig und gesondert ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Geschädigte Kenntnis davon, dass er einen solchen partiellen Schaden erlitten hat, und von der Identität des Ersatzpflichtigen erlangt hat oder seine Kenntniserlangung vernünftigerweise erwartet werden kann, ohne dass die Zuwiderhandlung beendet sein und der Geschädigte Kenntnis davon erlangt haben muss, dass das betreffende Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellt, und zum anderen diese Frist während der Untersuchung einer solchen Zuwiderhandlung durch die Kommission weder gehemmt noch unterbrochen werden kann – die Geltendmachung des Rechts, den Ersatz des aufgrund der Zuwiderhandlung erlittenen Schadens zu verlangen, praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert.

 

82        Folglich ist unter Außerachtlassung der mit Art. 102 AEUV und dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbaren Elemente dieser Verjährungsregelung zu prüfen, ob, als am 27. Dezember 2016 die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/104 ablief, die Verjährungsfrist nach den bis dahin für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens geltenden nationalen Rechtsvorschriften verstrichen war.

 

83        Im vorliegenden Fall wurde die Zusammenfassung des Beschlusses C(2017) 4444 final am 12. Januar 2018 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, so dass – vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht – bei vernünftiger Betrachtung davon ausgegangen werden könnte, dass Heureka zu diesem Zeitpunkt von allen Informationen Kenntnis erlangte, die sie benötigte, um eine Schadensersatzklage erheben zu können. Sofern Google geltend machen will, dass Heureka diese Informationen schon lange vorher gekannt habe, muss sie vor dem vorlegenden Gericht dartun, dass dies tatsächlich der Fall war.

 

84        Außerdem geht aus Art. 1 des Beschlusses C(2017) 4444 final hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zuwiderhandlung im Februar 2013 begann und noch nicht beendet war, als dieser Beschluss am 27. Juni 2017 erging, wobei die Kommission keine Unterbrechung des Verhaltens von Google während dieses Zeitraums festgestellt hat. Zudem gab die Kommission in Art. 3 des Beschlusses Google auf, ihr Verhalten innerhalb von 90 Tagen zu beenden.

 

85        Wie die Generalanwältin hierzu in Nr. 91 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, besteht die behauptete Zuwiderhandlung in einem fortgesetzten Verhalten mit einem einzigen wirtschaftlichen Ziel, und zwar der günstigeren Platzierung und Anzeige des eigenen Preisvergleichsdiensts von Google auf ihren allgemeinen Suchergebnisseiten, um den Verkehr zu diesem Vergleichsdienst zum Nachteil konkurrierender Vergleichsdienste zu erhöhen.

 

86        In diesem Kontext kann die Verjährungsfrist unabhängig davon, ab wann davon ausgegangen werden kann, dass Heureka von den für die Erhebung ihrer Schadensersatzklage unerlässlichen Informationen Kenntnis erlangt hatte – sei es der Zeitpunkt, zu dem die Zusammenfassung des Beschlusses C(2017) 4444 final im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, oder ein früherer Zeitpunkt –, nicht vor dem 27. Juni 2017 zu laufen begonnen haben, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zuwiderhandlung, wie sich aus den Art. 1 und 3 des Beschlusses C(2017) 4444 final ergibt, an diesem Tag noch nicht beendet war. Es ist jedenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, wann genau die Zuwiderhandlung endete.

 

87        Daraus folgt, dass die Verjährungsfrist, als am 27. Dezember 2016 die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/104 ablief, nicht nur nicht verstrichen war, sondern noch gar nicht zu laufen begonnen hatte.

 

88        Daher war der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt nicht vor Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2014/104 abgeschlossen, so dass ihr Art. 10 im vorliegenden Fall in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist. Mithin sind die dritte und die vierte Frage auf der Grundlage nicht nur von Art. 102 AEUV und des Effektivitätsgrundsatzes, sondern auch von Art. 10 der Richtlinie zu beantworten.

 

89        Hierzu ergibt sich aus den Rn. 51 bis 81 des vorliegenden Urteils, dass eine Verjährungsregelung wie die, um die es in der dritten und der vierten Frage geht, mit Art. 102 AEUV und dem Effektivitätsgrundsatz unvereinbar ist, da nach ihr zum einen die Verjährungsfrist von drei Jahren für jeden aus der betreffenden Zuwiderhandlung resultierenden partiellen Schaden unabhängig und gesondert ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Geschädigte Kenntnis davon, dass er einen solchen partiellen Schaden erlitten hat, und von der Identität des Ersatzpflichtigen erlangt hat oder seine Kenntniserlangung vernünftigerweise erwartet werden kann, ohne dass die Zuwiderhandlung beendet sein und der Geschädigte Kenntnis davon erlangt haben muss, dass das betreffende Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellt, und zum anderen diese Frist während der Untersuchung einer solchen Zuwiderhandlung durch die Kommission weder gehemmt noch unterbrochen werden kann.

 

90        Außerdem ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Art. 10 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2014/104, dass eine solche Regelung auch mit dieser Bestimmung unvereinbar ist.

 

91        Insbesondere darf nunmehr nach Art. 10 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2014/104 die Hemmung der Verjährungsfrist im Anschluss an eine Maßnahme, die von einer Wettbewerbsbehörde im Hinblick auf eine Untersuchung oder ihr Verfahren wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht, auf die sich die Schadensersatzklage bezieht, getroffen wurde, frühestens ein Jahr, nachdem die Zuwiderhandlungsentscheidung bestandskräftig geworden oder das Verfahren auf andere Weise beendet worden ist, enden.

 

92        Überdies ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist. Würde die Möglichkeit, sich auf eine Bestimmung einer nicht oder unrichtig umgesetzten Richtlinie zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten ausgedehnt, liefe das nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung zulasten der Einzelnen Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 76).

 

93        Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich ferner, dass das nationale Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privaten wie dem des Ausgangsverfahrens verpflichtet ist, das innerstaatliche Recht gegebenenfalls ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist einer nicht umgesetzten Richtlinie in der Weise auszulegen, dass der in Rede stehende Sachverhalt unmittelbar mit den Bestimmungen dieser Richtlinie vereinbar wird, ohne jedoch eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts vorzunehmen (Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 77).

 

94        Nach alledem ist auf die dritte und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 10 der Richtlinie 2014/104 sowie Art. 102 AEUV und der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung, die in ihrer Auslegung durch die zuständigen nationalen Gerichte für Schadensersatzklagen wegen fortgesetzter Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Union eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht, entgegenstehen, wenn diese Frist

– für jeden aus einer solchen Zuwiderhandlung resultierenden partiellen Schaden unabhängig und gesondert ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem der Geschädigte Kenntnis davon, dass er einen solchen partiellen Schaden erlitten hat, und von der Identität des Ersatzpflichtigen erlangt hat oder seine Kenntniserlangung vernünftigerweise erwartet werden kann, ohne dass der Geschädigte Kenntnis davon erlangt hat, dass das betreffende Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellt, und ohne dass die Zuwiderhandlung beendet wurde, und

– während der Untersuchung einer solchen Zuwiderhandlung durch die Kommission weder gehemmt noch unterbrochen werden darf.

Zudem steht auch Art. 10 der Richtlinie 2014/104 einer solchen Regelung entgegen, wenn sie nicht vorsieht, dass die Verjährungsfrist zumindest für die Dauer eines Jahres, nachdem die Zuwiderhandlungsentscheidung bestandskräftig geworden ist, gehemmt wird.

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