EuGH: Zusammenstellung von Dienstleistungen – Netto Discount AG
EuGH, Urteil vom 10.7.2014 – C‑420/13
Tenor
1. Die Leistungen eines Wirtschaftsteilnehmers, die darin bestehen, Dienstleistungen zusammenzustellen, damit der Verbraucher diese bequem vergleichen und erwerben kann, können unter den Begriff „Dienstleistungen“ gemäß Art. 2 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken fallen.
2. Die Richtlinie 2008/95 ist dahin auszulegen, dass nach dieser Richtlinie die Anmeldung einer Marke für eine Dienstleistung, die in der Zusammenstellung von Dienstleistungen besteht, so klar und eindeutig formuliert werden muss, dass die zuständigen Behörden und die anderen Wirtschaftsteilnehmer erkennen können, welche Dienstleistungen der Anmelder zusammenzustellen beabsichtigt.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Art. 2 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 299, S. 25).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Netto Marken-Discount AG & Co. KG (im Folgenden: Netto Marken-Discount) und dem Deutschen Patent- und Markenamt (im Folgenden: DPMA) wegen der Zurückweisung einer Markenanmeldung.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
3 Auf internationaler Ebene gilt für das Markenrecht die am 20. März 1883 in Paris unterzeichnete Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums, letztmalig revidiert am 14. Juli 1967 in Stockholm und geändert am 28. September 1979 (Recueil des traités des Nations unies, Bd. 828, Nr. 11851, S. 305, im Folgenden: Pariser Verbandsübereinkunft). Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind Vertragsparteien dieser Übereinkunft.
4 Nach Art. 19 der Pariser Verbandsübereinkunft ist den Verbandsländern das Recht vorbehalten, einzeln untereinander Sonderabkommen zum Schutz des gewerblichen Eigentums zu treffen.
5 Diese Vorschrift diente als Grundlage für die Annahme des in der diplomatischen Konferenz von Nizza am 15. Juni 1957 geschlossenen Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken, letztmalig revidiert am 13. Mai 1977 in Genf und geändert am 28. September 1979 (Recueil des traités des Nations unies, Bd. 1154, Nr. I‑18200, S. 89, im Folgenden: Abkommen von Nizza). Art. 1 dieses Abkommens sieht vor:
„(1) Die Länder, auf die dieses Abkommen Anwendung findet, bilden einen besonderen Verband und nehmen eine gemeinsame Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken (im Folgenden als ‚die [Nizzaer] Klassifikation‘ bezeichnet) an.
(2) Die [Nizzaer] Klassifikation besteht aus
i) einer Klasseneinteilung, gegebenenfalls mit erläuternden Anmerkungen;
ii) einer alphabetischen Liste der Waren und Dienstleistungen … mit Angabe der Klasse, in welche die einzelne Ware oder Dienstleistung eingeordnet ist.
…“
6 Art. 2 („Rechtliche Bedeutung und Anwendung der [Nizzaer] Klassifikation“) des Abkommens von Nizza lautet:
„(1) Vorbehaltlich der sich aus diesem Abkommen ergebenden Verpflichtungen hat die [Nizzaer] Klassifikation die Wirkung, die ihr jedes Land des besonderen Verbandes beilegt. Insbesondere bindet die [Nizzaer] Klassifikation die Länder des besonderen Verbandes weder hinsichtlich der Beurteilung des Schutzumfangs der Marke noch hinsichtlich der Anerkennung der Dienstleistungsmarken.
(2) Jedes Land des besonderen Verbandes behält sich vor, die [Nizzaer] Klassifikation als Haupt- oder Nebenklassifikation anzuwenden.
(3) Die zuständigen Behörden der Länder des besonderen Verbandes werden in den Urkunden und amtlichen Veröffentlichungen über die Eintragung von Marken die Nummern der Klassen der [Nizzaer] Klassifikation angeben, in welche die Waren oder Dienstleistungen gehören, für welche die Marke eingetragen ist.
(4) Die Tatsache, dass eine Benennung in die alphabetische Liste [der Waren und Dienstleistungen] aufgenommen ist, berührt in keiner Weise die Rechte, die an dieser Benennung etwa bestehen.“
7 Die Klasseneinteilung der Nizzaer Klassifikation enthält seit ihrer am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen achten Auflage 34 Warenklassen und 11 Dienstleistungsklassen. Jede Klasse ist mit einem oder mehreren für gewöhnlich „Klassenüberschrift“ genannten Oberbegriffen bezeichnet, die allgemein die Bereiche angeben, zu denen die Waren oder Dienstleistungen dieser Klasse grundsätzlich gehören.
8 Gemäß der Benutzeranleitung zur Nizzaer Klassifikation sind für eine zutreffende Einordnung jeder Ware oder Dienstleistung die alphabetische Liste der Waren und Dienstleistungen und die erläuternden Anmerkungen zu den einzelnen Klassen zu konsultieren.
9 Die Klassenüberschrift für die Klasse 35, die Dienstleistungen betrifft, lautet in der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen neunten Auflage und ebenso in der am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen zehnten Auflage der Nizzaer Klassifikation wie folgt:
„Werbung; Geschäftsführung; Unternehmensverwaltung; Büroarbeiten“.
10 Die erläuternden Anmerkungen zu dieser Klasse lauten:
„Klasse 35 umfasst im Wesentlichen Dienstleistungen, die von Personen oder Organisationen erbracht werden, deren Haupttätigkeit
(1) die Hilfe beim Betrieb oder der Leitung eines Handelsunternehmens, oder
(2) die Hilfe bei der Durchführung von Geschäften oder Handelsverrichtungen eines Industrie- oder Handelsunternehmens ist,
sowie Dienstleistungen von Werbeunternehmen, die sich in Bezug auf alle Arten von Waren oder Dienstleistungen hauptsächlich mit Mitteilungen an die Öffentlichkeit und mit Erklärungen und Anzeigen durch alle Mittel der Verbreitung befassen.
Diese Klasse enthält insbesondere:
– das Zusammenstellen verschiedener Waren (ausgenommen deren Transport) für Dritte, um den Verbrauchern Ansicht und Erwerb dieser Waren zu erleichtern; diese Dienstleistungen können von Einzelhandelsgeschäften, Großhandelsverkaufsstellen, durch Versandkataloge oder mit Hilfe elektronischer Medien, z. B. über Websites oder Teleshopping-Sendungen, erbracht werden;
– Dienstleistungen, die sich auf das Registrieren, Abschreiben, Abfassen, Zusammenstellen oder das systematische Ordnen von schriftlichen Mitteilungen und Aufzeichnungen beziehen, ebenso wie auf die Zusammenstellung von mathematischen oder statistischen Daten;
– Dienstleistungen von Werbeagenturen sowie Dienstleistungen, wie die Verteilung von Prospekten (direkt oder durch die Post) oder das Verteilen von Warenmustern (Warenproben). Diese Klasse kann die Werbung für andere Dienstleistungen, wie z. B. die Werbung für Bankdarlehen oder die Rundfunkwerbung, umfassen.
Diese Klasse enthält insbesondere nicht:
– Dienstleistungen, wie Schätzungen und Gutachten von Ingenieuren, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Betrieb oder der Leitung der Geschäfte eines Handels- oder Industrieunternehmens stehen (siehe alphabetische Dienstleistungsliste).“
11 Die alphabetische Liste der Nizzaer Klassifikation nennt als in die Klasse 35 fallend u. a. „Verkaufsförderung [Sales promotion] [für Dritte]“.
12 Die Nizzaer Klassifikation enthält folgende Überschriften für die ebenfalls Dienstleistungen betreffenden Klassen 36, 39, 41 und 45: „Versicherungswesen; Finanzwesen; Geldgeschäfte; Immobilienwesen“, „Transportwesen; Verpackung und Lagerung von Waren; Veranstaltung von Reisen“, „Erziehung; Ausbildung; Unterhaltung; sportliche und kulturelle Aktivitäten“ und „Juristische Dienstleistungen; Sicherheitsdienste zum Schutz von Sachwerten oder Personen; von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“.
Unionsrecht
13 Im 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/95 heißt es:
„Alle Mitgliedstaaten sind durch die [Pariser Verbandsübereinkunft] gebunden. Es ist erforderlich, dass sich die Vorschriften dieser Richtlinie mit denen der genannten Übereinkunft in vollständiger Übereinstimmung befinden. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, die sich aus dieser Übereinkunft ergeben, sollten durch diese Richtlinie nicht berührt werden. … “
14 Art. 2 der Richtlinie bestimmt:
„Marken können alle Zeichen sein, die sich grafisch darstellen lassen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen und die Form oder Aufmachung der Ware, soweit solche Zeichen geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.“
15 Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Folgende Zeichen oder Marken sind von der Eintragung ausgeschlossen oder unterliegen im Falle der Eintragung der Ungültigerklärung:
a) Zeichen, die nicht als Marke eintragungsfähig sind;
b) Marken, die keine Unterscheidungskraft haben;
c) Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können;
d) Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben zur Bezeichnung der Ware oder Dienstleistung bestehen, die im allgemeinen Sprachgebrauch oder in den redlichen und ständigen Verkehrsgepflogenheiten üblich sind;
…“
16 Der Wortlaut der Art. 2 und 3 der Richtlinie 2008/95 entspricht dem der Art. 2 und 3 der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1), die ab dem 28. November 2008 durch die Richtlinie 2008/95 aufgehoben und ersetzt worden ist.
Deutsches Recht
17 § 3 Abs. 1 des Gesetzes über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz) vom 25. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3082, im Folgenden: MarkenG) stimmt im Wesentlichen mit Art. 2 der Richtlinie 2008/95 überein.
18 § 32 Abs. 3 MarkenG lautet:
„Die Anmeldung muss den weiteren Anmeldungserfordernissen entsprechen, die in einer Rechtsverordnung nach § 65 Abs. 1 Nr. 2 bestimmt worden sind.“
19 § 65 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG bestimmt:
„Das Bundesministerium der Justiz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates … weitere Erfordernisse für die Anmeldung von Marken zu bestimmen …“
20 § 20 Abs. 1 der Verordnung zur Ausführung des Markengesetzes (im Folgenden: MarkenV) sieht vor:
„Die Waren und Dienstleistungen sind so zu bezeichnen, dass die Klassifizierung jeder einzelnen Ware oder Dienstleistung in eine Klasse der Klasseneinteilung nach § 19 Abs. 1 möglich ist.“
21 In § 19 Abs. 1 der MarkenV heißt es, dass sich „[d]ie Klassifizierung der Waren und Dienstleistungen … nach der in der Anlage 1 zu dieser Verordnung enthaltenen Klasseneinteilung von Waren und Dienstleistungen“ richtet. Diese Anlage 1 enthält die Klasse 35, deren Wortlaut dem der Klasse 35 der Nizzaer Klassifikation entspricht.
22 § 36 Abs. 4 MarkenG sieht vor:
„Werden sonstige Mängel innerhalb einer vom [DPMA] bestimmten Frist nicht beseitigt, so weist das [DPMA] die Anmeldung zurück.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
23 Am 10. September 2011 meldete Netto Marken-Discount beim DPMA das folgende Wortbildzeichen zur Eintragung als Marke für Waren und Dienstleistungen der Klassen 18, 25, 35 und 36 des Nizzaer Abkommens an:
24 In Klasse 35 war in der Anmeldung angegeben:
Klasse 35: „Dienstleistungen des Einzel- und Großhandels, insbesondere die Zusammenstellung verschiedener Dienstleistungen für Dritte, um den Verbrauchern den Erwerb dieser Dienstleistungen zu erleichtern, insbesondere auch durch Einzelhandelsgeschäfte, Großhandelsverkaufsstellen, über Versandkataloge oder elektronische Medien, z. B. Websites oder Teleshopping-Sendungen hinsichtlich der folgenden Dienstleistungen: aus Klasse 35: Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten; aus Klasse 36: Ausgabe von Gutscheinen oder Wertmarken; aus Klasse 39: Veranstaltung von Reisen; aus Klasse 41: Unterhaltung; aus Klasse 45: persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse.“
25 Mit Beschluss vom 10. September 2012 wies das DPMA die Anmeldung gemäß § 36 Abs. 4 MarkenG in Bezug auf die Dienstleistungen der Klasse 35 mit der Begründung zurück, dass die Voraussetzung nach § 20 Abs. 1 MarkenV nicht erfüllt sei, da die in der Anmeldung angegebenen Dienstleistungen dieser Klasse weder nach Art noch nach Inhalt klar und eindeutig von anderen Dienstleistungen abgrenzbar seien.
26 Netto Marken-Discount erhob beim vorlegenden Gericht Beschwerde mit dem Antrag, diesen zurückweisenden Beschluss aufzuheben.
27 Das vorlegende Gericht stellt fest, dass der Gerichtshof sich zu der Frage, ob Markenschutz für den Einzelhandel mit Dienstleistungen erlangt werden könne, noch nicht geäußert habe. Für den Fall, dass dies zu bejahen sein sollte, stellt es sich die Frage, wie genau die von diesem Einzelhandel betroffenen Dienstleistungen beschrieben werden müssten und ob sich der Schutz, der durch eine einen solchen Einzelhandel mit Dienstleistungen bezeichnende Marke gewährt würde, auch auf die durch den Einzelhändler selbst erbrachten Dienstleistungen erstrecken könne.
28 Unter diesen Umständen hat das Bundespatentgericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 2 der Richtlinie 2008/95 dahin gehend auszulegen, dass unter einer Dienstleistung im Sinne dieser Vorschrift auch der Einzelhandel mit Dienstleistungen verstanden wird?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist Art. 2 der Richtlinie dahin gehend auszulegen, dass die Dienstleistungen, die vom Einzelhändler angeboten werden, inhaltlich genauso konkretisiert werden müssen wie die Waren, die ein Einzelhändler vertreibt?
a) Reicht es für die Konkretisierung der Dienstleistungen aus, wenn angegeben wird
i) nur der Dienstleistungsbereich allgemein oder Oberbegriffe,
ii) nur die Klasse(n) oder
iii) jede einzelne Dienstleistung im Konkreten?
b) Nehmen diese Angaben dann an der Festlegung des Anmeldetages teil, oder ist bei der Angabe von Oberbegriffen oder Klassen ein Austausch oder eine Ergänzung möglich?
3. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist Art. 2 der Richtlinie 2008/95 dahin gehend auszulegen, dass sich der Schutzumfang der Einzelhandelsdienstleistungsmarke mit Dienstleistungen auch auf Dienstleistungen erstreckt, die der Einzelhändler selbst erbringt?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
29 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Leistungen eines Einzelhändlers, die darin bestehen, Dienstleistungen zusammenzustellen, damit der Verbraucher diese bequem vergleichen und erwerben kann, unter den Begriff „Dienstleistungen“ gemäß Art. 2 der Richtlinie 2008/95 fallen können.
30 Netto Marken-Discount, die französische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission schlagen vor, diese Frage zu bejahen, während die polnische Regierung der Auffassung ist, es sei unnötig, den Einzelhandel mit Dienstleistungen seinerseits als Dienstleistung zu qualifizieren.
31 Vorab ist daran zu erinnern, dass der Gegenstand der Anmeldung, um eine Marke sein zu können, gemäß Art. 2 der Richtlinie 2008/95 drei Voraussetzungen erfüllen muss. Erstens muss er ein Zeichen sein. Zweitens muss sich dieses Zeichen grafisch darstellen lassen. Drittens muss dieses Zeichen geeignet sein, „Waren“ oder „Dienstleistungen“ eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. zu Art. 2 der Richtlinie 89/104 Urteile Libertel, C‑104/01, EU:C:2003:244, Rn. 23, Heidelberger Bauchemie, C‑49/02, EU:C:2004:384, Rn. 22, und Dyson, C‑321/03, EU:C:2007:51, Rn. 28).
32 In dieser Hinsicht ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber den Begriff Dienstleistungen nicht definiert hat und dass dieser Begriff, um unterschiedliche Voraussetzungen für die Eintragung von Marken nach Maßgabe der nationalen Rechtsvorschriften zu vermeiden, einheitlich auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte, C‑418/02, EU:C:2005:425, Rn. 28 bis 33).
33 Für die Zwecke einer solchen Auslegung hat der Gerichtshof in einer Rechtssache, die eine Markenanmeldung eines Einzelhändlers zum Gegenstand hatte, bereits entschieden, dass Dienstleistungen, die im Rahmen des Einzelhandels mit Waren erbracht werden, Dienstleistungen darstellen können. Der Einzelhandel mit Waren umfasst nämlich außer dem Verkauf selbst dieser Waren andere Tätigkeiten des Einzelhändlers wie beispielsweise die Auswahl eines Sortiments von Waren, die zum Verkauf angeboten werden, und verschiedene Dienstleistungen, die einen Verbraucher dazu veranlassen sollen, den Kaufvertrag mit diesem Händler statt mit einem seiner Wettbewerber abzuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteil Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte, EU:C:2005:425, Rn. 34, 39 und 52).
34 Ohne dass zu prüfen wäre, ob Dienstleistungen ebenso wie Waren Gegenstand eines „Einzelhandels“ im eigentlichen Sinne dieses Begriffs sein können, ist festzustellen, dass es – wie die Regierungen, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sowie die Kommission vorgetragen haben – Situationen gibt, in denen ein Wirtschaftsteilnehmer ein Sortiment von Dienstleistungen Dritter auswählt und präsentiert, damit der Verbraucher bei einem einzigen Ansprechpartner unter diesen Dienstleistungen wählen kann.
35 Die Leistungen eines solchen Wirtschaftsteilnehmers können insbesondere in Tätigkeiten, mit denen dem Verbraucher ein bequemer Vergleich und Erwerb dieser Dienstleistungen ermöglicht werden soll, und Werbetätigkeiten bestehen.
36 Derartige Zusammenstellungs- und Werbeleistungen können gegebenenfalls in die Klasse 35 der Nizzaer Klassifikation fallen, deren Überschrift und erläuternde Anmerkungen in den Rn. 9 und 10 des vorliegenden Urteils wiedergegeben werden. Diese Möglichkeit wird durch die alphabetische Liste der Nizzaer Klassifikation bestätigt, deren Aufzählung der in diese Klasse gehörenden Dienstleistungen auch „Verkaufsförderung [Sales promotion] [für Dritte]“ enthält.
37 Diese Leistungen fallen in diesem Fall unter den Begriff „Dienstleistungen“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2008/95. Im 13. Erwägungsgrund dieser Richtlinie heißt es nämlich, dass sich deren Vorschriften mit denen der Pariser Verbandsübereinkunft in vollständiger Übereinstimmung befinden müssen und die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, die sich aus dieser Übereinkunft ergeben, nicht berühren dürfen. Da das Abkommen von Nizza gestützt auf diese Übereinkunft erlassen wurde, kann Art. 2 nicht so ausgelegt werden, dass Leistungen, die in eine der Dienstleistungsklassen der Nizzaer Klassifikation fallen, von dem Begriff der Dienstleistungen im Sinne dieser Vorschrift ausgeschlossen wären (vgl. entsprechend Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, C‑307/10, EU:C:2012:362, Rn. 52).
38 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten Auszug aus der Anmeldung, dass die Eintragung des in Rn. 23 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Wortbildzeichens als Marke „insbesondere“ für die Zusammenstellung verschiedener von Dritten angebotener Dienstleistungen beantragt wird. Zwar hat Netto Marken-Discount in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof klargestellt, dass alle von ihr zusammengestellten Dienstleistungen von Dritten angeboten werden, doch könnte der Begriff „insbesondere“ bei der zuständigen Behörde dahin verstanden werden, dass es diese Gesellschaft nicht ausschließt, Dienstleistungen zusammenzustellen, die neben den von anderen Wirtschaftsteilnehmern angebotenen Dienstleistungen auch eigene Dienstleistungen umfassen.
39 Allerdings änderte, selbst wenn man annähme, dass das von Netto Marken-Discount angebotene Dienstleistungssortiment von ihr selbst erbrachte Dienstleistungen einschließen kann, dieser Umstand nichts daran, dass die in der Anmeldung mit den Worten „Zusammenstellung verschiedener Dienstleistungen für Dritte, um den Verbrauchern den Erwerb dieser Dienstleistungen zu erleichtern“ beschriebene Leistung aus den in den Rn. 34 bis 37 des vorliegenden Urteils angeführten Gründen als Dienstleistung qualifiziert werden kann. Da anderenfalls der Klägerin des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit genommen würde, dieses Zeichen als Marke für diese Dienstleistung der Zusammenstellung eintragen zu lassen, darf ihre Anmeldung für die Klasse 35 der Nizzaer Klassifikation nicht allein deshalb zurückgewiesen werden, weil das von ihr dem Verbraucher angebotene Dienstleistungssortiment auch Dienstleistungen umfassen könnte, die von ihr selbst erbracht werden.
40 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Leistungen eines Wirtschaftsteilnehmers, die darin bestehen, Dienstleistungen zusammenzustellen, damit der Verbraucher diese bequem vergleichen und erwerben kann, unter den Begriff „Dienstleistungen“ gemäß Art. 2 der Richtlinie 2008/95 fallen können.
Zur zweiten Frage
41 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass nach dieser Richtlinie in der Anmeldung einer Marke für eine Dienstleistung, die in der Zusammenstellung von Dienstleistungen besteht, konkret und eindeutig die Leistungen, aus denen diese Dienstleistung der Zusammenstellung besteht, sowie die zusammengestellten Dienstleistungen angegeben werden müssen.
42 Zunächst ist zu beachten, dass die Marke durch ihre Eintragung in ein öffentliches Register den zuständigen Behörden und der Öffentlichkeit, insbesondere den Wirtschaftsteilnehmern, zugänglich gemacht werden soll (Urteile Heidelberger Bauchemie, EU:C:2004:384, Rn. 28, und Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 46).
43 Zum einen müssen die zuständigen Behörden hinreichend klar und eindeutig die von einer Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen erkennen können, damit sie in der Lage sind, ihren Verpflichtungen in Bezug auf die Vorprüfung der Markenanmeldungen sowie auf die Veröffentlichung und den Fortbestand eines zweckdienlichen und genauen Markenregisters nachzukommen. Zum anderen müssen die Wirtschaftsteilnehmer in der Lage sein, klar und eindeutig in Erfahrung zu bringen, welche Eintragungen oder Anmeldungen ihre gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerber veranlasst haben, und auf diese Weise einschlägige Informationen über die Rechte Dritter zu erlangen (Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 47 und 48).
44 Die Richtlinie 2008/95 verlangt somit, dass die Waren oder Dienstleistungen, für die Markenschutz beantragt wird, vom Anmelder so klar und eindeutig angegeben werden, dass die zuständigen Behörden und die Wirtschaftsteilnehmer allein auf dieser Grundlage den Umfang des Markenschutzes bestimmen können (Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 49).
45 Um dieser Anforderung zu genügen, ist es nicht erforderlich, dass der Anmelder einer Marke für eine Zusammenstellungsdienstleistung jede der Tätigkeiten konkret benennt, aus denen diese Dienstleistung besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte, EU:C:2005:425, Rn. 49, und Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 45). Eine Beschreibung wie die in der von Netto Marken-Discount eingereichten Anmeldung, wonach die in Rede stehende Dienstleistung insbesondere die „Zusammenstellung verschiedener Dienstleistungen für Dritte, um den Verbrauchern den Erwerb dieser Dienstleistungen zu erleichtern, insbesondere auch durch Einzelhandelsgeschäfte, Großhandelsverkaufsstellen, über Versandkataloge oder elektronische Medien, z. B. Websites oder Teleshopping-Sendungen“ umfasst, erlaubt es den zuständigen Behörden und den Wirtschaftsteilnehmern, zu erkennen, dass sich die Anmeldung auf eine Dienstleistung bezieht, die in der Auswahl und Präsentation eines Sortiments von Dienstleistungen besteht, damit der Verbraucher bei einem einzigen Ansprechpartner unter diesen Dienstleistungen wählen kann.
46 Dagegen ist es erforderlich, dass der Anmelder einer Marke für die Dienstleistung der Zusammenstellung von Dienstleistungen mit hinreichender Klarheit und Eindeutigkeit diese Dienstleistungen bezeichnet (vgl. entsprechend Urteile Praktiker Bau- und Heimwerkermärkte, EU:C:2005:425, Rn. 50, und Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 45).
47 Ohne eine hinreichend klare und eindeutige Benennung der Dienstleistungen, die der Anmelder auszuwählen und dem Verbraucher zu präsentieren beabsichtigt, kann es sich nämlich insbesondere für die zuständigen Behörden als schwierig, wenn nicht gar unmöglich erweisen, eine vollständige Prüfung der Anmeldung vorzunehmen. Wenn diese Behörden der Anmeldung nicht entnehmen können, auf welche Dienstleistungen der Anmelder abzielt, können sie insbesondere nicht sachgerecht prüfen, ob das als Marke angemeldete Zeichen für eine oder mehrere Dienstleistungen, die der Anmelder auswählen und präsentieren möchte, beschreibend ist.
48 Im vorliegenden Fall hat Netto Marken-Discount für die Bezeichnung der Dienstleistungen, die sie zusammenzustellen beabsichtigt, auf die Klassen 35, 36, 39, 41 und 45 der Nizzaer Klassifikation verwiesen. Für die meisten dieser Klassen hat sie jedoch lediglich Oberbegriffe verwendet, die in den Klassenüberschriften enthalten sind.
49 Insoweit ist festzustellen, dass einige der in den Klassenüberschriften der Nizzaer Klassifikation enthaltenen Oberbegriffe derart unterschiedliche Waren oder Dienstleistungen abdecken, dass sie den Anforderungen der Klarheit und Eindeutigkeit nicht genügen können. Folglich erlaubt die Richtlinie 2008/95 die Verwendung von Oberbegriffen aus den Klassenüberschriften ohne zusätzliche Angaben nur in den Fällen, in denen diese Oberbegriffe für sich genommen hinreichend klar und eindeutig sind, damit die zuständigen Behörden und die Wirtschaftsteilnehmer den Umfang des beantragten Schutzes bestimmen können (vgl. Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 54 und 56).
50 Es ist Sache der zuständigen Behörden, zu beurteilen, ob Angaben wie die in der von Netto Marken-Discount eingereichten Anmeldung enthaltenen Angaben „Unterhaltung“ und „persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“ den Erfordernissen der Klarheit und der Eindeutigkeit genügen (vgl. entsprechend Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 55).
51 Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass ein Markenanmelder, wenn er für eine bestimmte Klasse alle Oberbegriffe der Überschrift dieser Klasse verwendet, in jedem Fall klarstellen muss, ob sich seine Anmeldung auf alle oder nur auf einige der in der alphabetischen Liste der betreffenden Klasse aufgeführten Waren oder Dienstleistungen bezieht. Falls sie sich nur auf einige dieser Waren oder Dienstleistungen beziehen soll, hat der Anmelder anzugeben, welche Waren oder Dienstleistungen dieser Klasse beansprucht werden (Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 61).
52 Im vorliegenden Fall hat Netto Marken-Discount in der Anmeldung angegeben, dass sich die Dienstleistung der Zusammenstellung, für die sie Markenschutz beantragt, u. a. auf die Zusammenstellung der Dienstleistungen „Werbung, Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten“ bezieht. Vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht stellt diese Anmeldung offenbar nicht klar, ob die Klägerin des Ausgangsverfahrens, indem sie die gesamte Überschrift der Klasse 35 wiedergibt, den Schutz dieser Marke für die Zusammenstellung sämtlicher in der alphabetischen Liste dieser Klasse aufgeführten Dienstleistungen oder nur für die Zusammenstellung einiger dieser Dienstleistungen begehrt. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Betrachtungsweisen innerhalb der Union in Bezug darauf, wie die Verwendung der Überschrift einer Klasse der Nizzaer Klassifikation zu verstehen ist, kann eine Anmeldung, die es nicht erlaubt, festzustellen, ob der Anmelder mit der Verwendung einer Klassenüberschrift auf alle oder nur auf einige der von dieser Klasse erfassten Waren oder Dienstleistungen abzielt, nicht als hinreichend klar und eindeutig angesehen werden (Urteil Chartered Institute of Patent Attorneys, EU:C:2012:361, Rn. 58, 59 und 62).
53 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass nach dieser Richtlinie die Anmeldung einer Marke für eine Dienstleistung, die in der Zusammenstellung von Dienstleistungen besteht, so klar und eindeutig formuliert werden muss, dass die zuständigen Behörden und die anderen Wirtschaftsteilnehmer erkennen können, welche Dienstleistungen der Anmelder zusammenzustellen beabsichtigt.
Zur dritten Frage
54 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts, mit der es wissen möchte, welchen Schutzumfang eine Marke für die Dienstleistung der Zusammenstellung von Dienstleistungen besitzt, steht offensichtlich, wie Netto Marken-Discount und die Kommission vorgetragen haben, in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit, da dieser ausschließlich die Ablehnung des DPMA zum Gegenstand hat, das in Rn. 23 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Wortbildzeichen als Marke für die Dienstleistung der Zusammenstellung von Dienstleistungen einzutragen.
55 Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts zurückzuweisen ist, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht (vgl. u. a. Urteile Cipolla u. a., C‑94/04 und C‑202/04, EU:C:2006:758, Rn. 25, sowie Jakubowska, C‑225/09, EU:C:2010:729, Rn. 28), ist die dritte Frage somit für unzulässig zu erklären.
Kosten
56 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
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