EuGH: Zusammenschluss Illumina-Grail – Nichtigerklärung der Beschlüsse, mit denen die Kommission Anträgen nationaler Wettbewerbsbehörden auf Prüfung des geplanten Zusammenschlusses stattgab
EuGH, Urteil vom 3.9.2024 – (verb. Rs.) C-611/22 P und C-625/22 P, Illumina/Grail gegen Kommission
ECLI:EU:C:2024:677
Volltext der Entscheidung: BB-ONLINE BBL2024-2387-1
Tenor
1. Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2022, Illumina/Kommission (T 227/21, EU:T:2022:447), wird aufgehoben.
2. Der Beschluss C(2021) 2847 final der Europäischen Kommission vom 19. April 2021, mit dem dem Antrag der französischen Wettbewerbsbehörde stattgegeben wurde, den Zusammenschluss zu prüfen, der auf den Erwerb der vollständigen Kontrolle der Grail, Inc. durch die Illumina, Inc. gerichtet war (Sache COMP/M.10188 – Illumina/Grail), wird für nichtig erklärt.
3. Die Beschlüsse C(2021) 2848 final, C(2021) 2849 final, C(2021) 2851 final, C(2021) 2854 final und C(2021) 2855 final der Kommission vom 19. April 2021, mit denen den Anträgen der griechischen, der belgischen, der norwegischen, der isländischen und der niederländischen Wettbewerbsbehörde stattgegeben wurde, sich diesem Verweisungsantrag anzuschließen, werden für nichtig erklärt.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten zum einen die Kosten, die der Illumina Inc. und der Grail LLC im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren entstanden sind, und zum anderen die Kosten, die Biocom California im Rechtsmittelverfahren in der Rechtssache C 611/22 P entstanden sind.
6. Die Republik Estland, die Hellenische Republik, die Französische Republik, das Königreich der Niederlande und die EFTA-Überwachungsbehörde tragen ihre eigenen Kosten.
Aus den Gründen
1 Mit ihrem jeweiligen Rechtsmittel beantragen die Illumina Inc. (Rechtssache C-611/22 P) und die Grail LLC (Rechtssache C-625/22 P) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 13. Juli 2022, Illumina/Kommission (T-227/21, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:447), mit dem das Gericht die Klage von Illumina auf Nichtigerklärung erstens des Beschlusses C(2021) 2847 final der Europäischen Kommission vom 19. April 2021, mit dem dem Antrag der französischen Wettbewerbsbehörde stattgegeben wurde, den Zusammenschluss zu prüfen, der auf den Erwerb der ausschließlichen Kontrolle der Grail, Inc. durch die Illumina, Inc. gerichtet war (Sache COMP/M.10188 – Illumina/Grail) (im Folgenden: streitiger Beschluss), zweitens der Beschlüsse C(2021) 2848 final, C(2021) 2849 final, C(2021) 2851 final, C(2021) 2854 final und C(2021) 2855 final der Kommission vom 19. April 2021, mit denen den Anträgen der griechischen, der belgischen, der norwegischen, der isländischen und der niederländischen Wettbewerbsbehörde stattgegeben wurde, sich diesem Verweisungsantrag anzuschließen (im Folgenden zusammen mit dem streitigen Beschluss als die streitigen Beschlüsse bezeichnet), sowie drittens des Schreibens der Kommission vom 11. März 2021, mit dem Illumina und Grail von diesem Verweisungsantrag unterrichtet wurden (im Folgenden: Informationsschreiben), abgewiesen hat
Rechtlicher Rahmen
2 In den Erwägungsgründen 5 bis 8, 11, 14 bis 16, 24 und 25 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. 2004, L 24, S. 1) heißt es:
„(5) [Es] ist zu gewährleisten, dass der Umstrukturierungsprozess nicht eine dauerhafte Schädigung des Wettbewerbs verursacht. Das Gemeinschaftsrecht muss deshalb Vorschriften für solche Zusammenschlüsse enthalten, die geeignet sind, wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich zu beeinträchtigen.
(6) Daher ist ein besonderes Rechtsinstrument erforderlich, das eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Gemeinschaft ermöglicht und das zugleich das einzige auf derartige Zusammenschlüsse anwendbare Instrument ist. Mit der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 [des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. 1989, L 395, S. 1)] konnte eine Gemeinschaftspolitik in diesem Bereich entwickelt werden. Es ist jedoch nunmehr an der Zeit, vor dem Hintergrund der gewonnenen Erfahrung die genannte Verordnung neu zu fassen, um den Herausforderungen eines stärker integrierten Markts und der künftigen Erweiterung der Europäischen Union besser gerecht [zu] werden. Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Artikel 5 [EG] geht die vorliegende Verordnung nicht über das zur Erreichung ihres Ziels, der Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt entsprechend dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb, erforderliche Maß hinaus.
(7) Die Artikel 81 und 82 [EG] sind zwar nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf bestimmte Zusammenschlüsse anwendbar, reichen jedoch nicht aus, um alle Zusammenschlüsse zu erfassen, die sich als unvereinbar mit dem vom [EG-]Vertrag geforderten System des unverfälschten Wettbewerbs erweisen könnten. Diese Verordnung ist daher nicht nur auf Artikel 83 [EG], sondern vor allem auf Artikel 308 [EG] zu stützen, wonach sich die Gemeinschaft für die Verwirklichung ihrer Ziele zusätzliche Befugnisse geben kann; dies gilt auch für Zusammenschlüsse auf den Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne des Anhangs I des [EG-]Vertrags.
(8) Die Vorschriften dieser Verordnung sollten für bedeutsame Strukturveränderungen gelten, deren Auswirkungen auf den Markt die Grenzen eines Mitgliedstaats überschreiten. Solche Zusammenschlüsse sollten grundsätzlich nach dem Prinzip der einzigen Anlaufstelle und im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip ausschließlich auf Gemeinschaftsebene geprüft werden. …
…
(11) Die Regeln für die Verweisung von Zusammenschlüssen von der Kommission an die Mitgliedstaaten und von den Mitgliedstaaten an die Kommission sollten angesichts des Subsidiaritätsprinzips als wirksames Korrektiv wirken. Diese Regeln wahren in angemessener Weise die Wettbewerbsinteressen der Mitgliedstaaten und tragen dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit sowie dem Grundsatz einer einzigen Anlaufstelle Rechnung. …
…
(14) Die Kommission sollte gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ein Netz von Behörden bilden, die ihre jeweiligen Zuständigkeiten in enger Zusammenarbeit durch effiziente Regelungen für Informationsaustausch und Konsultation wahrnehmen, um sicherzustellen, dass jeder Fall unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips von der für ihn am besten geeigneten Behörde behandelt wird und um Mehrfachanmeldungen weitestgehend auszuschließen. Verweisungen von Zusammenschlüssen von der Kommission an die Mitgliedstaaten und von den Mitgliedstaaten an die Kommission sollten in einer effizienten Weise erfolgen, die weitestgehend ausschließt, dass ein Zusammenschluss sowohl vor als auch nach seiner Anmeldung von einer Stelle an eine andere verwiesen wird.
(15) Die Kommission sollte einen angemeldeten Zusammenschluss mit gemeinschaftsweiter Bedeutung an einen Mitgliedstaat verweisen können, wenn er den Wettbewerb in einem Markt innerhalb dieses Mitgliedstaats, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich zu beeinträchtigen droht. Beeinträchtigt der Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem solchen Markt und stellt dieser keinen wesentlichen Teil des gemeinsamen Marktes dar, sollte die Kommission verpflichtet sein, den Fall ganz oder teilweise auf Antrag an den betroffenen Mitgliedstaat zu verweisen. Ein Mitgliedstaat sollte einen Zusammenschluss ohne gemeinschaftsweite Bedeutung an die Kommission verweisen können, wenn er den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb in seinem Hoheitsgebiet erheblich zu beeinträchtigen droht. Weitere Mitgliedstaaten, die für die Prüfung des Zusammenschlusses ebenfalls zuständig sind, sollten die Möglichkeit haben, dem Antrag beizutreten. In diesem Fall sollten nationale Fristen ausgesetzt werden, bis eine Entscheidung über die Verweisung des Falles getroffen wurde, um die Effizienz und Berechenbarkeit des Systems sicherzustellen. Die Kommission sollte befugt sein, einen Zusammenschluss für einen antragstellenden Mitgliedstaat oder mehrere antragstellende Mitgliedstaaten zu prüfen und zu behandeln.
(16) Um das System der Fusionskontrolle innerhalb der Gemeinschaft noch effizienter zu gestalten, sollten die beteiligten Unternehmen die Möglichkeit erhalten, vor Anmeldung eines Zusammenschlusses die Verweisung an die Kommission oder an einen Mitgliedstaat zu beantragen. … Auf Antrag der beteiligten Unternehmen sollte die Kommission einen Zusammenschluss mit gemeinschaftsweiter Bedeutung an einen Mitgliedstaat verweisen können, wenn der Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem Markt innerhalb dieses Mitgliedstaats, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich beeinträchtigen könnte, ohne dass dazu von den beteiligten Unternehmen der Nachweis verlangt werden sollte, dass die Auswirkungen des Zusammenschlusses wettbewerbsschädlich sein würden. Die Kommission sollte einen Zusammenschluss nicht an einen Mitgliedstaat verweisen dürfen, wenn dieser eine solche Verweisung abgelehnt hat. Die beteiligten Unternehmen sollten ferner vor der Anmeldung bei einer einzelstaatlichen Behörde beantragen dürfen, dass ein Zusammenschluss ohne gemeinschaftsweite Bedeutung, der nach dem innerstaatlichen Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnte, an die Kommission verwiesen wird. …
…
(24) Zur Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt im Rahmen der Fortführung einer Politik, die auf dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb beruht, muss diese Verordnung eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse entsprechend ihren Auswirkungen auf den Wettbewerb in der Gemeinschaft ermöglichen. Entsprechend wurde in der Verordnung [Nr. 4064/89] der Grundsatz aufgestellt, dass Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung, die eine beherrschende Stellung begründen oder verstärken, durch welche ein wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder in einem wesentlichen Teil desselben in erheblichem Ausmaß behindert wird, für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären sind.
(25) In Anbetracht der Auswirkungen, die Zusammenschlüsse in oligopolistischen Marktstrukturen haben können, ist die Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs in solchen Märkten umso mehr geboten. Viele oligopolistische Märkte lassen ein gesundes Maß an Wettbewerb erkennen. Unter bestimmten Umständen können Zusammenschlüsse, in deren Folge der beträchtliche Wettbewerbsdruck beseitigt wird, den die fusionierenden Unternehmen aufeinander ausgeübt haben, sowie der Wettbewerbsdruck auf die verbleibenden Wettbewerber gemindert wird, zu einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs führen, auch wenn eine Koordinierung zwischen Oligopolmitgliedern unwahrscheinlich ist. Die Gerichte der Gemeinschaft haben jedoch bisher die Verordnung [Nr. 4064/89] nicht ausdrücklich dahingehend ausgelegt, dass Zusammenschlüsse, die solche nicht koordinierten Auswirkungen haben, für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären sind. Daher sollte im Interesse der Rechtssicherheit klargestellt werden, dass diese Verordnung eine wirksame Kontrolle solcher Zusammenschlüsse dadurch vorsieht, dass grundsätzlich jeder Zusammenschluss, der einen wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt oder einem wesentlichen Teil desselben erheblich behindern würde, für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar zu erklären ist. Für die Anwendung der Bestimmungen des Artikels 2 Absätze 2 und 3 wird beabsichtigt, den Begriff ‚erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs‘ dahingehend auszulegen, dass er sich über das Konzept der Marktbeherrschung hinaus ausschließlich auf diejenigen wettbewerbsschädigenden Auswirkungen eines Zusammenschlusses erstreckt, die sich aus nicht koordiniertem Verhalten von Unternehmen ergeben, die auf dem jeweiligen Markt keine beherrschende Stellung haben würden.“
3 Art. 1 („Anwendungsbereich“) der Verordnung Nr. 139/2004 sieht vor:
„(1) Unbeschadet des Artikels 4 Absatz 5 und des Artikels 22 gilt diese Verordnung für alle Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung im Sinne dieses Artikels.
(2) Ein Zusammenschluss hat gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn folgende Umsätze erzielt werden:
a) ein weltweiter Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen von mehr als 5 Mrd. [Euro] und
b) ein gemeinschaftsweiter Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen von jeweils mehr als 250 Mio. [Euro];
dies gilt nicht, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen.
(3) Ein Zusammenschluss, der die in Absatz 2 vorgesehenen Schwellen nicht erreicht, hat gemeinschaftsweite Bedeutung, wenn
a) der weltweite Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen zusammen mehr als 2,5 Mrd. [Euro] beträgt,
b) der Gesamtumsatz aller beteiligten Unternehmen in mindestens drei Mitgliedstaaten jeweils 100 Mio. [Euro] übersteigt,
c) in jedem von mindestens drei von Buchstabe b) erfassten Mitgliedstaaten der Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils mehr als 25 Mio. [Euro] beträgt und
d) der gemeinschaftsweite Gesamtumsatz von mindestens zwei beteiligten Unternehmen jeweils 100 Mio. [Euro] übersteigt;
dies gilt nicht, wenn die beteiligten Unternehmen jeweils mehr als zwei Drittel ihres gemeinschaftsweiten Gesamtumsatzes in ein und demselben Mitgliedstaat erzielen.
(4) Vor dem 1. Juli 2009 erstattet die Kommission dem Rat auf der Grundlage statistischer Angaben, die die Mitgliedstaaten regelmäßig übermitteln können, über die Anwendung der in den Absätzen 2 und 3 vorgesehenen Schwellen und Kriterien Bericht, wobei sie Vorschläge gemäß Absatz 5 unterbreiten kann.
(5) Der Rat kann im Anschluss an den in Absatz 4 genannten Bericht auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die in Absatz 3 aufgeführten Schwellen und Kriterien ändern.“
4 In Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 heißt es:
„Ein Zusammenschluss wird dadurch bewirkt, dass eine dauerhafte Veränderung der Kontrolle in der Weise stattfindet, dass
a) zwei oder mehr bisher voneinander unabhängige Unternehmen oder Unternehmensteile fusionieren oder dass
b) eine oder mehrere Personen, die bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren, oder ein oder mehrere Unternehmen durch den Erwerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten, durch Vertrag oder in sonstiger Weise die unmittelbare oder mittelbare Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen erwerben.“
5 Art. 4 („Vorherige Anmeldung von Zusammenschlüssen und Verweisung vor der Anmeldung auf Antrag der Anmelder“) der Verordnung Nr. 139/2004 bestimmt:
„(1) Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung im Sinne dieser Verordnung sind nach Vertragsabschluss, Veröffentlichung des Übernahmeangebots oder Erwerb einer die Kontrolle begründenden Beteiligung und vor ihrem Vollzug bei der Kommission anzumelden.
…
(2) Zusammenschlüsse in Form einer Fusion im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe a) oder in Form der Begründung einer gemeinsamen Kontrolle im Sinne des Artikels 3 Absatz 1 Buchstabe b) sind von den an der Fusion oder der Begründung der gemeinsamen Kontrolle Beteiligten gemeinsam anzumelden. In allen anderen Fällen ist die Anmeldung von der Person oder dem Unternehmen vorzunehmen, die oder das die Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines oder mehrerer Unternehmen erwirbt.
…
(4) Vor der Anmeldung eines Zusammenschlusses gemäß Absatz 1 können die Personen oder Unternehmen im Sinne des Absatzes 2 der Kommission in einem begründeten Antrag mitteilen, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb in einem Markt innerhalb eines Mitgliedstaats, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich beeinträchtigen könnte und deshalb ganz oder teilweise von diesem Mitgliedstaat geprüft werden sollte.
Die Kommission leitet diesen Antrag unverzüglich an alle Mitgliedstaaten weiter. Der in dem begründeten Antrag genannte Mitgliedstaat teilt innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Erhalt dieses Antrags mit, ob er der Verweisung des Falles zustimmt oder nicht. Trifft der betreffende Mitgliedstaat eine Entscheidung nicht innerhalb dieser Frist, so gilt dies als Zustimmung.
Soweit dieser Mitgliedstaat der Verweisung nicht widerspricht, kann die Kommission, wenn sie der Auffassung ist, dass ein gesonderter Markt besteht und der Wettbewerb in diesem Markt durch den Zusammenschluss erheblich beeinträchtigt werden könnte, den gesamten Fall oder einen Teil des Falles an die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats verweisen, damit das Wettbewerbsrecht dieses Mitgliedstaats angewandt wird.
Die Entscheidung über die Verweisung oder Nichtverweisung des Falls gemäß Unterabsatz 3 ergeht innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Eingang des begründeten Antrags bei der Kommission. Die Kommission teilt ihre Entscheidung den übrigen Mitgliedstaaten und den beteiligten Personen oder Unternehmen mit. Trifft die Kommission innerhalb dieser Frist keine Entscheidung, so gilt der Fall entsprechend dem von den beteiligten Personen oder Unternehmen gestellten Antrag als verwiesen.
Beschließt die Kommission die Verweisung des gesamten Falles oder gilt der Fall gemäß den Unterabsätzen 3 und 4 als verwiesen, erfolgt keine Anmeldung gemäß Absatz 1, und das Wettbewerbsrecht des betreffenden Mitgliedstaats findet Anwendung. Artikel 9 Absätze 6 bis 9 finden entsprechend Anwendung.
(5) Im Fall eines Zusammenschlusses im Sinne des Artikels 3, der keine gemeinschaftsweite Bedeutung im Sinne von Artikel 1 hat und nach dem Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnte, können die in Absatz 2 genannten Personen oder Unternehmen vor einer Anmeldung bei den zuständigen Behörden der Kommission in einem begründeten Antrag mitteilen, dass der Zusammenschluss von der Kommission geprüft werden sollte.
Die Kommission leitet diesen Antrag unverzüglich an alle Mitgliedstaaten weiter.
Jeder Mitgliedstaat, der nach seinem Wettbewerbsrecht für die Prüfung des Zusammenschlusses zuständig ist, kann innerhalb von 15 Arbeitstagen nach Erhalt dieses Antrags die beantragte Verweisung ablehnen.
Lehnt mindestens ein Mitgliedstaat gemäß Unterabsatz 3 innerhalb der Frist von 15 Arbeitstagen die beantragte Verweisung ab, so wird der Fall nicht verwiesen. Die Kommission unterrichtet unverzüglich alle Mitgliedstaaten und die beteiligten Personen oder Unternehmen von einer solchen Ablehnung.
Hat kein Mitgliedstaat gemäß Unterabsatz 3 innerhalb von 15 Arbeitstagen die beantragte Verweisung abgelehnt, so wird die gemeinschaftsweite Bedeutung des Zusammenschlusses vermutet und er ist bei der Kommission gemäß den Absätzen 1 und 2 anzumelden. In diesem Fall wendet kein Mitgliedstaat sein innerstaatliches Wettbewerbsrecht auf den Zusammenschluss an.
…“
6 Art. 9 („Verweisung an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten“) der Verordnung Nr. 139/2004 bestimmt:
„(1) Die Kommission kann einen angemeldeten Zusammenschluss durch Entscheidung unter den folgenden Voraussetzungen an die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats verweisen; sie unterrichtet die beteiligten Unternehmen und die zuständigen Behörden der übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich von dieser Entscheidung.
(2) Ein Mitgliedstaat kann der Kommission, die die beteiligten Unternehmen entsprechend unterrichtet, von Amts wegen oder auf Aufforderung durch die Kommission binnen 15 Arbeitstagen nach Erhalt der Kopie der Anmeldung mitteilen, dass
a) ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem Markt in diesem Mitgliedstaat, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist, erheblich zu beeinträchtigen droht oder
b) ein Zusammenschluss den Wettbewerb auf einem Markt in diesem Mitgliedstaat beeinträchtigen würde, der alle Merkmale eines gesonderten Marktes aufweist und keinen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes darstellt.
(3) Ist die Kommission der Auffassung, dass unter Berücksichtigung des Marktes der betreffenden Waren oder Dienstleistungen und des räumlichen Referenzmarktes im Sinne des Absatzes 7 ein solcher gesonderter Markt und eine solche Gefahr bestehen,
a) so behandelt sie entweder den Fall nach Maßgabe dieser Verordnung selbst oder
b) verweist die Gesamtheit oder einen Teil des Falls an die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, damit das Wettbewerbsrecht dieses Mitgliedstaats angewandt wird.
Ist die Kommission dagegen der Auffassung, dass ein solcher gesonderter Markt oder eine solche Gefahr nicht besteht, so stellt sie dies durch [Beschluss] fest, [den] sie an den betreffenden Mitgliedstaat richtet, und behandelt den Fall nach Maßgabe dieser Verordnung selbst.
In Fällen, in denen ein Mitgliedstaat der Kommission gemäß Absatz 2 Buchstabe b) mitteilt, dass ein Zusammenschluss in seinem Gebiet einen gesonderten Markt beeinträchtigt, der keinen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes darstellt, verweist die Kommission den gesamten Fall oder den Teil des Falls, der den gesonderten Markt betrifft, an die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats, wenn sie der Auffassung ist, dass ein gesonderter Markt betroffen ist.
…“
7 In Art. 22 („Verweisung an die Kommission“) der Verordnung Nr. 139/2004 heißt es:
„(1) Auf Antrag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten kann die Kommission jeden Zusammenschluss im Sinne von Artikel 3 prüfen, der keine gemeinschaftsweite Bedeutung im Sinne von Artikel 1 hat, aber den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des beziehungsweise der antragstellenden Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen droht.
Der Antrag muss innerhalb von 15 Arbeitstagen, nachdem der Zusammenschluss bei dem betreffenden Mitgliedstaat angemeldet oder, falls eine Anmeldung nicht erforderlich ist, ihm anderweitig zur Kenntnis gebracht worden ist, gestellt werden.
(2) Die Kommission unterrichtet die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und die beteiligten Unternehmen unverzüglich von einem nach Absatz 1 gestellten Antrag.
Jeder andere Mitgliedstaat kann sich dem ersten Antrag innerhalb von 15 Arbeitstagen, nachdem er von der Kommission über diesen informiert wurde, anschließen.
Alle einzelstaatlichen Fristen, die den Zusammenschluss betreffen, werden gehemmt, bis nach dem Verfahren dieses Artikels entschieden worden ist, durch wen der Zusammenschluss geprüft wird. Die Hemmung der einzelstaatlichen Fristen endet, sobald der betreffende Mitgliedstaat der Kommission und den beteiligten Unternehmen mitteilt, dass er sich dem Antrag nicht anschließt.
(3) Die Kommission kann spätestens zehn Arbeitstage nach Ablauf der Frist gemäß Absatz 2 beschließen, den Zusammenschluss zu prüfen, wenn dieser ihrer Ansicht nach den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt und den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des bzw. der Antrag stellenden Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen droht. Trifft die Kommission innerhalb der genannten Frist keine Entscheidung, so gilt dies als Entscheidung, den Zusammenschluss gemäß dem Antrag zu prüfen.
Die Kommission unterrichtet alle Mitgliedstaaten und die beteiligten Unternehmen von ihrer Entscheidung. Sie kann eine Anmeldung gemäß Artikel 4 verlangen.
Das innerstaatliche Wettbewerbsrecht des bzw. der Mitgliedstaaten, die den Antrag gestellt haben, findet auf den Zusammenschluss nicht mehr Anwendung.
(4) Wenn die Kommission einen Zusammenschluss gemäß Absatz 3 prüft, finden Artikel 2, Artikel 4 Absätze 2 und 3, die Artikel 5 und 6 sowie die Artikel 8 bis 21 Anwendung. Artikel 7 findet Anwendung, soweit der Zusammenschluss zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission den beteiligten Unternehmen mitteilt, dass ein Antrag eingegangen ist, noch nicht vollzogen worden ist.
Ist eine Anmeldung nach Artikel 4 nicht erforderlich, beginnt die Frist für die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 10 Absatz 1 an dem Arbeitstag, der auf den Arbeitstag folgt, an dem die Kommission den beteiligten Unternehmen ihre Entscheidung mitteilt, den Zusammenschluss gemäß Absatz 3 zu prüfen.
(5) Die Kommission kann einem oder mehreren Mitgliedstaaten mitteilen, dass ein Zusammenschluss nach ihrem Dafürhalten die Kriterien des Absatzes 1 erfüllt. In diesem Fall kann die Kommission diesen Mitgliedstaat beziehungsweise diese Mitgliedstaaten auffordern, einen Antrag nach Absatz 1 zu stellen.“
8 Das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen) umfasst ein Protokoll Nr. 24 über die Zusammenarbeit im Bereich der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen. Nach Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 dieses Protokolls können sich Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) einem Antrag eines EG-Mitgliedstaats gemäß Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 anschließen, wenn der Zusammenschluss den Handel zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten und einem oder mehreren EFTA-Staaten beeinträchtigt und den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des oder der betreffenden EFTA-Staaten erheblich zu beeinträchtigen droht.
Vorgeschichte des Rechtsstreits
9 Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 6 bis 35 des angefochtenen Urteils dargelegt worden und lässt sich für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens wie folgt zusammenfassen.
Zu den beteiligten Unternehmen und dem fraglichen Zusammenschluss
10 Illumina ist eine Gesellschaft mit Sitz in den Vereinigten Staaten, die sequenzierungs- und datengestützte Lösungen für die genetische und genomische Analyse liefert.
11 Am 20. September 2020 schloss Illumina einen Fusionsvertrag und -plan mit dem Ziel des Erwerbs der ausschließlichen Kontrolle über Grail (vormals Grail, Inc.), ebenfalls eine Gesellschaft mit Sitz in den Vereinigten Staaten, die Bluttests für die Früherkennung von Krebserkrankungen entwickelt und an der sie bereits mit 14,5 % des Kapitals beteiligt war (im Folgenden: in Rede stehender Zusammenschluss).
12 Am 21. September 2020 veröffentlichten Illumina und Grail eine Pressemitteilung, in der sie diesen Zusammenschluss bekannt gaben.
Zur fehlenden Anmeldung
13 Da der Umsatz von Illumina und von Grail die einschlägigen Schwellenwerte nicht überstieg, insbesondere weil Grail weder in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union noch an einem anderen Ort in der Welt Umsätze erwirtschaftete, hatte der in Rede stehende Zusammenschluss keine europaweite Bedeutung im Sinne von Art. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 und wurde daher bei der Kommission nicht nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung angemeldet.
14 Der Zusammenschluss wurde auch nicht in den Mitgliedstaaten der Union oder den Vertragsstaaten des EWR angemeldet, da er nicht in den Geltungsbereich ihrer nationalen Fusionskontrollregelungen fiel.
Zum Antrag auf Verweisung an die Kommission
15 Am 7. Dezember 2020 wurde die Kommission mit einer gegen den in Rede stehenden Zusammenschluss gerichteten Beschwerde befasst.
16 Am 19. Februar 2021 richtete die Kommission ein Schreiben gemäß Art. 22 Abs. 5 der Verordnung Nr. 139/2004 an die Mitgliedstaaten und die übrigen Vertragsstaaten des EWR-Abkommens, mit dem sie sie über den in Rede stehenden Zusammenschluss unterrichtete. Sie erläuterte, weshalb sie der Auffassung sei, dass dieser Zusammenschluss die Voraussetzungen nach Art. 22 Abs. 1 der Verordnung erfülle, und forderte sie auf, einen Verweisungsantrag gemäß dieser Bestimmung zu stellen, um diesen Zusammenschluss von ihr prüfen zu lassen (im Folgenden: Aufforderungsschreiben).
17 Am 4. März 2021 unterrichtete die Kommission Illumina und Grail über die Versendung des Aufforderungsschreibens an die Mitgliedstaaten und die übrigen Vertragsstaaten des EWR-Abkommens sowie über deren Möglichkeit, bei ihr einen Verweisungsantrag nach Art. 22 Abs. 1 der Verordnung zu stellen.
18 Am 9. März 2021 beantragte die französische Wettbewerbsbehörde bei der Kommission nach dieser Bestimmung, den in Rede stehenden Zusammenschluss zu prüfen (im Folgenden: Verweisungsantrag).
19 Am 10. März 2021 unterrichtete die Kommission gemäß Art. 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 die Wettbewerbsbehörden der anderen Mitgliedstaaten und der übrigen Vertragsstaaten des EWR-Abkommens sowie die EFTA-Überwachungsbehörde über den Verweisungsantrag. Am 11. März 2021 sandte die Kommission an Illumina und Grail das Informationsschreiben, mit dem sie diese über den Verweisungsantrag unterrichtete und darauf hinwies, dass sie gemäß Art. 7 und Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 1 Satz 2 der Verordnung den in Rede stehenden Zusammenschluss nicht vollziehen könnten, bevor sie diesen Antrag zurückgewiesen oder den Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklärt hätte.
20 Am 16. bzw. 29. März 2021 reichten Illumina und Grail bei der Kommission eine Stellungnahme ein, mit der sie dem Verweisungsantrag entgegentraten. Am 2., 7. und 12. April 2021 beantwortete Illumina die Auskunftsverlangen, die die Kommission am 26. März und 8. April 2021 an sie gerichtet hatte.
21 Mit Schreiben vom 24., 26. und 31. März 2021 beantragten die isländische, die norwegische, die belgische, die niederländische und die griechische Wettbewerbsbehörde, sich dem Verweisungsantrag gemäß Art. 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 bzw., was die isländische und die norwegische Wettbewerbsbehörde betrifft, gemäß Art. 6 Abs. 3 des Protokolls Nr. 24 des EWR-Abkommens anzuschließen (im Folgenden: Anträge auf Anschließung).
22 Am 31. März 2021 veröffentlichte die Kommission den Leitfaden zur Anwendung des Verweisungssystems nach Artikel 22 der Fusionskontrollverordnung auf bestimmte Kategorien von Vorhaben (ABl. 2021, C 113, S. 1).
Zu den streitigen Beschlüssen
23 Mit den streitigen Beschlüssen gab die Kommission dem Verweisungsantrag sowie den Anträgen auf Anschließung statt.
24 Die Kommission war erstens der Auffassung, dass der Verweisungsantrag innerhalb der in Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 bestimmten Frist von 15 Arbeitstagen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie mit dem Aufforderungsschreiben den in Rede stehenden Zusammenschluss u. a. der Französischen Republik zur Kenntnis gebracht habe, eingereicht worden sei.
25 Zweitens seien auch die Anträge auf Anschließung der isländischen, der norwegischen, der belgischen, der niederländischen und der griechischen Wettbewerbsbehörde innerhalb der in Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Frist von 15 Arbeitstagen ab dem Zeitpunkt, zu dem sie diese Behörden mit Schreiben vom 10. März 2021 von dem Verweisungsantrag in Kenntnis gesetzt habe, gestellt worden.
26 Drittens war die Kommission der Auffassung, dass der in Rede stehende Zusammenschluss die in Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 genannten Voraussetzungen erfülle, so dass die Mitgliedstaaten bei ihr eine Prüfung dieses Zusammenschlusses beantragen konnten, auch wenn dieser nicht von europaweiter Bedeutung sei.
27 Sie stellte insoweit fest, dass die Mitgliedstaaten bei ihr die Prüfung eines Zusammenschlusses, „für [den] sie nicht zuständig seien“, beantragen könnten, sofern die Voraussetzungen nach Art. 22 dieser Verordnung erfüllt seien.
Verfahren vor dem Gericht
28 Mit Klageschrift, die am 28. April 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, erhob Illumina die unter der Rechtssachennummer T-227/21 in das Register eingetragene Klage.
29 Mit Beschluss vom 2. Juli 2021 ließ der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts Grail als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Illumina zu.
30 Mit Entscheidungen vom 12. und 22. Juli sowie vom 6. August 2021 und Beschluss vom 25. August 2021 ließ der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts das Königreich der Niederlande, die Französische Republik, die Hellenische Republik und die EFTA-Überwachungsbehörde als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zu.
31 Mit am 18. August 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schriftsatz teilte Illumina dem Gericht mit, dass sie am selben Tag sämtliche Gesellschaftsanteile von Grail erworben, zugleich aber eine Vereinbarung über die Trennung der Aktivposten geschaffen habe, um zu gewährleisten, dass sie keine Kontrolle über diese Gesellschaft ausübe.
32 Am 7. Oktober 2021 beantragte die Kommission angesichts dieses Anteilserwerbs, Grail die Stellung als Streithelferin zu entziehen.
33 In der mündlichen Verhandlung vom 16. Dezember 2021 verhandelten die Parteien mündlich und beantworteten Fragen des Gerichts.
Angefochtenes Urteil
34 Im angefochtenen Urteil wies das Gericht zunächst den Antrag der Kommission zurück, Grail die Stellung als Streithelferin zu entziehen (Rn. 53 bis 59), und stellte zum einen fest, dass die Klage unzulässig sei, soweit sie gegen das Informationsschreiben gerichtet sei, und zum anderen, dass sie zulässig sei, soweit sie auf die Nichtigerklärung der streitigen Beschlüsse gerichtet sei (Rn. 60 bis 82). Sodann prüfte es die drei von Illumina geltend gemachten Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund wurde gerügt, dass die Kommission für die Prüfung eines Zusammenschlusses, der nicht in den Geltungsbereich der nationalen Fusionskontrollregelung des Mitgliedstaats falle, der bei ihr eine solche Prüfung beantragt habe, nicht zuständig sei. Mit dem zweiten Klagegrund wurden die Verspätung des Verweisungsantrags, der nicht innerhalb der in Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 festgelegten Frist gestellt worden sei, sowie ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der guten Verwaltung gerügt, da die Kommission das Aufforderungsschreiben verspätet versandt habe. Mit dem dritten Klagegrund wurde ein Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit gerügt, da die Entscheidungspraxis der Kommission zu dem Zeitpunkt, zu dem Illumina und Grail den in Rede stehenden Zusammenschluss vereinbart hätten, darin bestanden habe, die Prüfung von Zusammenschlüssen abzulehnen, die nicht in den Geltungsbereich einer nationalen Fusionskontrollregelung fielen.
35 Da das Gericht keinen dieser Klagegründe als begründet erachtete, wies es die Klage insgesamt ab.
36 Was als Erstes den Klagegrund der Unzuständigkeit der Kommission betrifft, stellte das Gericht nach einer wörtlichen, historischen, systematischen und teleologischen Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 fest, dass die Mitgliedstaaten unter den in dieser Bestimmung aufgeführten Voraussetzungen die Verweisung eines Zusammenschlusses, der keine europaweite Bedeutung habe, unabhängig vom Bestehen oder der Reichweite ihrer nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung beantragen könnten. Es zog daraus den Schluss, dass die Kommission mit den streitigen Beschlüssen dem Verweisungsantrag und den Anträgen auf Anschließung zu Recht stattgegeben habe (angefochtenes Urteil, Rn. 183 und 184).
37 Das Gericht stellte hierzu fest, dass das Vorbringen von Illumina und Grail diese Auslegung nicht in Frage stellen könne.
38 Erstens wies das Gericht das Vorbringen von Illumina zurück, dass ein Mitgliedstaat, der nationale Vorschriften für die Kontrolle von Zusammenschlüssen, die keine europaweite Bedeutung hätten, erlassen habe, keine Möglichkeit habe, solche Zusammenschlüsse an die Kommission zu verweisen, wenn sie nicht unter diese Vorschriften fielen. Das Gericht war insbesondere der Ansicht, dass nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 4 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 5 EUV ein Zusammenschluss, der mangels Überschreitens der Umsatzschwellen nach Art. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 nicht in deren Anwendungsbereich falle, automatisch in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleibe. Diese seien daher aus der Sicht des Unionsrechts stets für einen Antrag nach Art. 22 dieser Verordnung zuständig (angefochtenes Urteil, Rn. 153 bis 156).
39 Zweitens stellte das Gericht fest, dass die Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, wie sie in den streitigen Beschlüssen zugrunde gelegt worden sei, wonach ein Mitgliedstaat die Verweisung eines Zusammenschlusses aufgrund dieser Bestimmung unabhängig vom Bestehen oder von der Reichweite seiner nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung stellen könne, das Subsidiaritätsprinzip wahre. Insbesondere stelle diese Auslegung sicher, dass diese Bestimmung angesichts des Subsidiaritätsprinzips als „wirksames Korrektiv“ im Sinne des elften Erwägungsgrundes dieser Verordnung wirke, indem sie die Interessen der Mitgliedstaaten schütze. Zudem gewährleiste sie gemäß dem 14. Erwägungsgrund der Verordnung, dass ein Fall unter Beachtung des Subsidiaritätsprinzips von der dafür am besten geeigneten Behörde behandelt werde (angefochtenes Urteil, Rn. 157 bis 166).
40 Drittens entschied das Gericht, dass diese Auslegung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genüge und, wie der Unionsgesetzgeber im sechsten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 139/2004 formuliert habe, nicht über das zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung eines unverfälschten Wettbewerbs im Binnenmarkt erforderliche Maß hinausgehe. Das Gericht wies insbesondere darauf hin, dass die in den streitigen Beschlüssen zugrunde gelegte Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 der Kommission die Prüfung eines Zusammenschlusses aufgrund dieses Artikels nur in einigen spezifischen Fällen erlaube, wenn die vier in Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung vorgesehenen kumulativen Voraussetzungen erfüllt seien (angefochtenes Urteil, Rn. 167 bis 172).
41 Viertens war das Gericht der Ansicht, dass die von Illumina und Grail vertretene Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, die die Anwendung dieser Bestimmung von dem Geltungsbereich nationaler Fusionskontrollregelungen abhängig mache, zugleich aber eine Art Ausnahme für diejenigen Mitgliedstaaten vorsehe, die über keine solche Regelung verfügten, zu Unsicherheit bei den Zusammenschlüssen führe, die in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fielen. Nach der in den streitigen Beschlüssen zugrunde gelegten Auslegung werde demgegenüber die Anwendung dieses Artikels allein von den vier in diesem Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung niedergelegten kumulativen Voraussetzungen abhängig gemacht, die unter Beachtung des Grundsatzes der Rechtssicherheit die einheitliche Anwendung von Art. 22 in der Union sicherstellten.
42 Fünftens stellte das Gericht fest, dass der Ausnahmecharakter der Verweisungen nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, auf den sich Illumina berufe, durch die in den streitigen Beschlüssen zugrunde gelegte Auslegung gewahrt sei, da die Prüfungsbefugnis der Kommission weiterhin in erster Linie davon abhänge, dass die in Art. 1 der Verordnung festgelegten Umsatzschwellen überschritten würden, und der Verweisungsmechanismus nach Art. 22 der Verordnung nur eine subsidiäre Befugnis darstelle, aufgrund deren in einigen spezifischen Fällen und unter genau bestimmten Voraussetzungen ein Zusammenschluss, der trotz seiner grenzüberschreitenden Auswirkungen diese Schwellen nicht erreiche, auf Antrag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten auch von der Kommission geprüft werden könne, wodurch der Aufgabe von Art. 22 als „Korrektiv“ Rechnung getragen werde (angefochtenes Urteil, Rn. 182).
43 Als Zweites entschied das Gericht zum Klagegrund der Verspätung des Verweisungsantrags und eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der guten Verwaltung zum einen, dass dieser Antrag innerhalb der Frist von 15 Tagen nach Versendung des Aufforderungsschreibens gestellt worden sei, mit dem der Zusammenschluss im Sinne von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 „zur Kenntnis gebracht worden“ sei (angefochtenes Urteil, Rn. 214). Zum anderen vertrat es die Auffassung, dass, wenn dieses Schreiben von der Kommission innerhalb einer unangemessenen Frist versandt worden wäre, dieser Umstand allein nicht ausreiche, um eine Verletzung der Verteidigungsrechte nachzuweisen (angefochtenes Urteil, Rn. 239 und 242).
44 Als Drittes wies das Gericht schließlich den Klagegrund eines Verstoßes gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit u. a. mit der Begründung zurück, Illumina habe nicht dargetan, dass die Kommission ihr klare, unbedingte und übereinstimmende Zusicherungen in Bezug auf die Behandlung von Zusammenschlüssen gemacht habe, die nicht in den Geltungsbereich einer nationalen Fusionskontrollregelung fielen (angefochtenes Urteil, Rn. 263).
Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien der Rechtsmittelverfahren
Zur Verbindung
45 Mit am 22. bzw. 30. September 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangenen Schriftsätzen haben Illumina und Grail die vorliegenden Rechtsmittel eingelegt.
46 Gemäß Art. 54 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hat der Präsident des Gerichtshofs am 21. Dezember 2022 beschlossen, die vorliegenden Rechtssachen zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil zu verbinden.
Zu den Streithilfeanträgen
47 Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Februar 2023 ist die Republik Estland in der Rechtssache C-625/22 P als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Grail zugelassen worden.
48 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Illumina/Kommission (C-611/22 P, EU:C:2023:205), ist Biocom California in der Rechtssache C-611/22 P als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Illumina zugelassen worden.
49 Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 10. März 2023, Grail/Kommission (C-625/22 P, EU:C:2023:227), sind die Streithilfeanträge der Association française des juristes d’entreprise (AFJE) und der Association européenne des juristes d’entreprise (AEJE) hingegen zurückgewiesen worden.
Zu den Anträgen auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens
50 Mit gesonderten Schriftsätzen, die am 8. und 20. Dezember 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind, hat die Kommission beantragt, die vorliegenden Rechtssachen gemäß den Art. 133 bis 136 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, die gemäß deren Art. 190 Abs. 1 auf Rechtsmittelverfahren Anwendung finden, dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.
51 Zur Stützung ihrer Anträge hat die Kommission im Wesentlichen geltend gemacht, dass die Beschlüsse betreffend den in Rede stehenden Zusammenschluss, insbesondere der in Anwendung von Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 139/2004 erlassene Beschluss C(2022) 6454 final der Kommission vom 6. September 2022, mit der ein Zusammenschluss für mit dem Binnenmarkt und dem EWR-Abkommen unvereinbar erklärt werde, die Beschlüsse nach Art. 8 Abs. 5 Buchst. a und c der Verordnung und jeder zukünftige Beschluss, mit dem nach Art. 8 Abs. 4 der Verordnung aufgegeben werde, diesen Zusammenschluss rückgängig zu machen, und Geldbußen wegen Verstoßes gegen Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung verhängt würden, auf der Annahme beruhten oder beruhen würden, dass die Kommission für die Prüfung des Zusammenschlusses zuständig sei. Es liege daher im Interesse sowohl der Kommission als auch von Illumina und Grail und ganz allgemein einer geordneten Rechtspflege, wenn die Frage der Zuständigkeit der Kommission, über die der Gerichtshof zu entscheiden habe, so bald wie möglich geklärt werde.
52 Nach Art. 133 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des Klägers oder des Beklagten und nach Anhörung der Gegenpartei, des Berichterstatters und des Generalanwalts entscheiden, eine Rechtssache einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.
53 Der Präsident des Gerichtshofs hat am 10. Januar 2023 nach Anhörung der Gegenparteien, des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, dem Antrag der Kommission nicht stattzugeben.
54 In Anbetracht ihrer Sensibilität und Komplexität eigneten sich die vorliegenden Rechtssachen nämlich schwerlich für die Anwendung eines beschleunigten Verfahrens, insbesondere da es nicht angebracht erschien, das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof zu verkürzen (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația „Forumul Judecătorilor din România“ u. a., C-83/19, C-127/19, C-195/19, C-291/19, C-355/19 und C-397/19, EU:C:2021:393, Rn. 103 und die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Es erscheint umso weniger angebracht, die Rechtssachen im beschleunigten Verfahren zu behandeln, als neben der systemischen Bedeutung und der Schwierigkeit der gestellten Fragen von Illumina und Grail ernsthafte Einwände erhoben wurden, die in diesem Stadium keine Gelegenheit gehabt hatten, von den Rechtsmittelbeantwortungen der Kommission Kenntnis zu nehmen, und denen nicht a priori die Möglichkeit genommen werden sollte, Erwiderungen einzureichen.
56 Insoweit ist das – wenn auch legitime – Interesse der Unionsorgane daran, den Umfang der ihnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte und Befugnisse möglichst schnell zu klären, nicht geeignet, das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstands zu belegen, der es rechtfertigen könnte, dass eine Rechtssache dem beschleunigten Verfahren unterworfen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 2022, Kommission/Polen [Protokoll Nr. 36], C-207/21 P, EU:C:2022:560, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
57 Angesichts der Bedeutung der vorliegenden Rechtssachen hat der Präsident des Gerichtshofs jedoch entschieden, dass diese Rechtssachen gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang entschieden werden (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 18. Oktober 2017, Weiss u. a., C-493/17, EU:C:2017:792, Rn. 13 und 14, sowie Urteil vom 8. September 2020, Kommission und Rat/Carreras Sequeros u. a., C-119/19 P und C-126/19 P, EU:C:2020:676, Rn. 41).
Zu den Anträgen der Parteien des Rechtsmittelverfahrens
58 Mit ihren Rechtsmitteln beantragen Illumina (Rechtssache C-611/22 P) und Grail (Rechtssache C-625/22 P),
– das angefochtene Urteil aufzuheben;
– die streitigen Beschlüsse, den Verweisungsantrag sowie das Informationsschreiben für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten dieses Rechtsmittelverfahrens und des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.
59 Die Kommission beantragt,
– die Rechtsmittel zurückzuweisen und
– Illumina und Grail die Kosten aufzuerlegen.
60 Die Französische Republik beantragt, die Rechtsmittel zurückzuweisen.
61 Das Königreich der Niederlande beantragt,
– die Rechtsmittel zurückzuweisen und
– Illumina und Grail die Kosten aufzuerlegen.
62 Die EFTA-Überwachungsbehörde beantragt,
– die Rechtsmittel zurückzuweisen und
– Illumina und Grail die Kosten aufzuerlegen.
63 Biocom California, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge von Illumina (Rechtssache C-611/22 P) beigetreten ist, beantragt,
– das angefochtene Urteil aufzuheben;
– die streitigen Beschlüsse, den Verweisungsantrag sowie das Informationsschreiben für nichtig zu erklären;
– der Kommission die Kosten dieses Rechtsmittelverfahrens einschließlich ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen.
64 Die Republik Estland, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge von Grail (Rechtssache C-625/22 P) beigetreten ist, hat keinen Streithilfeschriftsatz eingereicht.
Zu den Rechtsmitteln
65 Illumina stützt ihr Rechtsmittel in der Rechtssache C-611/22 P auf drei Gründe.
66 Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund rügt Illumina, das Gericht habe Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 rechtsfehlerhaft dahin ausgelegt, dass er einen Mitgliedstaat mit einer nationalen Fusionskontrollregelung ermächtige, bei der Kommission die Prüfung eines Zusammenschlusses zu beantragen, der die Voraussetzungen für eine Prüfung nach dieser Regelung nicht erfülle. Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht Illumina geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es den Klagegrund der Verspätung des Verweisungsantrags und eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der guten Verwaltung zurückgewiesen habe. Der dritte Rechtsmittelgrund von Illumina bezieht sich auf Rechtsfehler des Gerichts bei der Würdigung ihres Vorbringens zu einem Verstoß gegen die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit im Hinblick auf die klaren, unbedingten und übereinstimmenden Zusicherungen, die die geschäftsführende Vizepräsidentin der Kommission gemacht haben soll.
67 Grail stützt ihr Rechtsmittel in der Rechtssache C-625/22 P ebenfalls auf drei sich weitgehend mit den von Illumina vorgebrachten überschneidende Gründe, mit denen sie einen Rechtsfehler bei der Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, einen Rechtsfehler in Bezug auf die unangemessene Verspätung durch die Kommission und einen Rechtsfehler bei der Würdigung des auf den Vertrauensschutz und die Rechtssicherheit gestützten Klagegrundes geltend macht.
68 Zunächst sind die jeweils ersten Rechtsmittelgründe, mit denen Fehler bei der Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, insbesondere von dessen Abs. 1, gerügt werden, zusammen zu prüfen.
Vorbringen der Parteien
69 Illumina trägt vor, die Auslegung des Gerichts, wonach Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 es einem Mitgliedstaat erlaube, die Verweisung eines Zusammenschlusses an die Kommission zu beantragen, den er nach seiner eigenen nationalen Fusionskontrollregelung nicht kontrollieren könne, sei falsch.
70 Als Erstes habe das Gericht die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität fehlerhaft berücksichtigt.
71 Zunächst macht Illumina geltend, dass die mit der Verordnung Nr. 139/2004 eingeführte Regelung den Grundsatz der Rechtssicherheit konkretisiere, indem sie zur Definition von Zusammenschlüssen von europaweiter Bedeutung, die in die Zuständigkeit der Kommission fielen, auf objektive Umsatzschwellenwerte und auf strenge Fristen für die Prüfung von Zusammenschlüssen zurückgreife. Die Auslegung des Gerichts, insbesondere in den Rn. 174 und 175 des angefochtenen Urteils, führe aber zu einer offensichtlichen Rechtsunsicherheit, da sie die Kontrolle von Zusammenschlüssen ermögliche, die weder die Umsatzschwellenwerte für eine europaweite Dimension erreichten, noch die auf nationaler Ebene festgelegten Kontrollschwellen. Diese potenzielle zusätzliche Kontrolle außerhalb der mit dieser Verordnung und den nationalen Rechtsvorschriften eingeführten Regelungen erhöhe für die Parteien eines Zusammenschlusses die Unsicherheit in Bezug auf die Frage, ob dieser Zusammenschluss einer Kontrolle unterliegen und damit verboten, geändert oder aufgeschoben werden könne.
72 Die Auslegung des Gerichts führe auch insoweit zu Rechtsunsicherheit, als die mit ihr definierten Zuständigkeitsregeln ausschließlich auf den in Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 genannten qualitativen Kriterien beruhten, was gegen den Ansatz verstoße, der in anderen Bestimmungen dieser Verordnung und in den von den Mitgliedstaaten erlassenen nationalen Fusionskontrollregelungen verfolgt werde.
73 Diese Auslegung, die den Mitgliedstaaten keine Frist setze, um die Verweisung von Zusammenschlüssen an die Kommission zu beantragen, schaffe darüber hinaus eine zeitliche Unsicherheit und die Gefahr von Verzögerungen bei der Prüfung dieser Zusammenschlüsse.
74 Was sodann den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit betreffe, seien auch die Ausführungen des Gerichts in den Rn. 167 bis 172 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerhaft. Illumina macht insbesondere geltend, die Auslegung des Gerichts zwinge die Parteien von Zusammenschlüssen, die weder die in der Verordnung Nr. 139/2004 festgelegten Umsatzschwellenwerte noch die auf nationaler Ebene festgelegten Kontrollschwellen erreichten, dazu, diese Zusammenschlüsse aus Gründen der Rechtssicherheit bei jedem einzelnen Mitgliedstaat anzumelden, der seinerseits gezwungen sei, diese Anmeldungen zu bearbeiten.
75 Schließlich habe das Gericht in den Rn. 160 bis 166 des angefochtenen Urteils zu Unrecht den Subsidiaritätsgrundsatz und die Befugnis der Kommission geprüft, indem es dieser gestattet habe, das Gesetzgebungsverfahren zu umgehen und de facto die in der Verordnung Nr. 139/2004 festgelegten Zuständigkeitsschwellen zu ändern. Die Kommission versuche mit Billigung des Gerichts, die angeblichen Mängel in den Fusionskontrollregelungen der Union und der Mitgliedstaaten zu schließen, indem sie die Kontrolle von Zusammenschlüssen ermögliche, die weder die Umsatzschwellenwerte für eine europaweite Dimension noch die auf nationaler Ebene festgelegten Kontrollschwellen erreichten, und so die grundlegenden regulatorischen Anforderungen an die Änderung des Unionsrechts und der einschlägigen nationalen Vorschriften umgehe.
76 Als Zweites habe das Gericht den Gegenstand der Verordnung Nr. 139/2004 und ihres Art. 22 fehlerhaft bestimmt und geprüft.
77 Illumina ist der Ansicht, dass die Rn. 140 und 142 des angefochtenen Urteils ein fehlerhaftes Verständnis der Erwägungsgründe dieser Verordnung widerspiegelten und den Auslegungsansatz verfälschten, dem das Gericht folgen müsse. Erstens treffe es nicht zu, dass Zusammenschlüsse mit erheblichen Auswirkungen auf den Wettbewerb in der Union ausschließlich auf Ebene der Union geprüft würden. Zweitens sehe diese Verordnung keine umfassende Regelung vor, um eine Kontrolle aller den Wettbewerb in der Union beeinträchtigenden Zusammenschlüsse sicherzustellen. Mögliche Mängel sollten vielmehr nur auf gesetzgeberischem Wege behoben werden. Drittens lasse die Feststellung des Gerichts in Rn. 142 des angefochtenen Urteils, wonach die Verordnung Nr. 139/2004 Mechanismen zur Beseitigung der inhärenten Kontrollmängel einer hauptsächlich auf Umsatzschwellen gestützten Regelung enthalte, außer Acht, dass diese Schwellenwerte bei der Ausarbeitung der Verordnung Nr. 4064/89 und dann der Verordnung Nr. 139/2004 Gegenstand langer Debatten gewesen seien. Durch die Verwendung von objektiven Umsatzschwellen anstelle von qualitativen Beurteilungskriterien biete der Unionsgesetzgeber den Parteien eines Zusammenschlusses und den Mitgliedstaaten eine Rechtssicherheit, die den von den Mitgliedstaaten und der Kommission erreichten Kompromiss widerspiegele.
78 Die Beschreibung des Gegenstands der Verordnung Nr. 139/2004 durch das Gericht habe es zu einer übermäßig weiten Auslegung der insbesondere in Art. 22 dieser Verordnung vorgesehenen „Korrektive“ veranlasst, die geeignet sei, die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und der Union zugunsten der Union zu ändern. Außerdem habe das Gericht bei seiner teleologischen Beurteilung die Frage außer Acht gelassen, wie Art. 22 dieser Verordnung nach der Auffassung des Unionsgesetzgebers auszulegen sei, um die für die Behandlung des Falles „am besten geeignete“ Behörde im Sinne des 14. Erwägungsgrundes dieser Verordnung zu ermitteln, wenn weder die nationalen Wettbewerbsbehörden noch die Unionsbehörden für die Prüfung eines Zusammenschlusses zuständig seien.
79 Als Drittes macht Illumina unter Berufung u. a. auf das Urteil vom 3. April 2003, Royal Philips Electronics/Kommission (T-119/02, EU:T:2003:101, Rn. 354), geltend, das Gericht habe in Rn. 182 des angefochtenen Urteils weder den Ausnahmecharakter von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 richtig beurteilt noch die Regel beachtet, dass eine Ausnahmebestimmung eng auszulegen sei.
80 Als Viertes habe das Gericht bei seiner Analyse von Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 die Grundsätze der wörtlichen, der historischen, der systematischen und der teleologischen Auslegung nicht richtig angewandt.
81 Auch Grail macht geltend, das Gericht habe einen Auslegungsfehler begangen, als es entschieden habe, dass Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 der Kommission die Zuständigkeit verleihe, einen Zusammenschluss ohne europaweite Bedeutung zu prüfen, der von einem Mitgliedstaat, der nach seiner nationalen Fusionskontrollregelung nicht selbst für die Prüfung dieses Zusammenschlusses zuständig sei, an sie verwiesen werde. Keine der Auslegungsmethoden stütze bei korrekter Anwendung diese Auslegung des Gerichts.
82 Als Erstes macht Grail geltend, dass die wörtliche Auslegung des Gerichts dem Begriff „any“ (jeden), der dem Wort „concentration“ (Zusammenschluss) in der englischen Sprachfassung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 vorausgehe, zu Unrecht einen großen Wert beimesse (angefochtenes Urteil, Rn. 91 und 94) und dass sie die anderen Sprachfassungen dieser Verordnung außer Acht lasse.
83 Als Zweites weise die historische Auslegung des Gerichts zahlreiche Mängel auf. Zunächst beruhe diese Auslegung nur auf drei Dokumenten, die allesamt von der Kommission verfasst worden seien, und lasse andere Auslegungselemente außer Acht, darunter die Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 4064/89, zur Verordnung (EG) Nr. 1310/97 des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Verordnung Nr. 4064/89 (ABl. 1997, L 180, S. 1) und zur Verordnung Nr. 139/2004. Sodann seien alle Dokumente, auf die sich das Gericht bei der Auslegung des ursprünglichen Zwecks von Art. 22 der Verordnung Nr. 4064/89 stütze (angefochtenes Urteil, Rn. 96), nach Erlass dieser Verordnung veröffentlicht worden, obwohl auf Informationen über die Absicht des Gesetzgebers zum Zeitpunkt des Erlasses dieser Verordnung abzustellen sei. Außerdem seien mehrere wesentliche Punkte der historischen Argumentation des Gerichts nicht schlüssig, da sie nicht die zentrale Frage beantworteten, ob die Kommission nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 für die Prüfung eines Zusammenschlusses zuständig sei, den ein Mitgliedstaat an sie verweise, der zwar über eine nationale Fusionskontrollregelung verfüge, in deren Geltungsbereich der Zusammenschluss jedoch nicht falle. Außerdem stütze keine der im angefochtenen Urteil angeführten begrenzten Quellen die historische Auslegung des Gerichts, die auf dem Gedanken beruhe, dass diese Bestimmung ein anderes Ziel verfolge als das, Mitgliedstaaten, die nicht über nationale Fusionskontrollregelungen verfügten, die Verweisung von Zusammenschlüssen an die Kommission zu ermöglichen. Schließlich enthalte diese Auslegung offensichtlich fehlerhafte Aussagen, insbesondere in den Rn. 107 bis 109 des angefochtenen Urteils.
84 Grail ist der Ansicht, eine ordnungsgemäße Analyse der Vorarbeiten lasse den Schluss zu, dass Art. 22 der Verordnung Nr. 4064/89 zum Zeitpunkt seines Erlasses nicht für Mitgliedstaaten gegolten habe, die über nationale Fusionskontrollregelungen verfügten, sondern für die Mitgliedstaaten ohne eine solche Regelung, damit diese bei der Kommission beantragen könnten, Zusammenschlüsse, die nicht die in dieser Verordnung festgelegten Umsatzschwellen erreichten, zu prüfen und gegebenenfalls zu verbieten. Mit den aufeinanderfolgenden Änderungen dieser Bestimmung in den Jahren 1997 und 2004 sei diesem Ziel lediglich das Ziel hinzugefügt worden, die Gefahr einer parallelen Prüfung ein und desselben Zusammenschlusses durch die Mitgliedstaaten zu verringern, indem den für die Prüfung eines Zusammenschlusses zuständigen Mitgliedstaaten gestattet werde, diesen an die Kommission zu verweisen, wenn sie der Auffassung seien, dass diese besser geeignet sei, zu handeln.
85 Die Vorarbeiten stützten somit nicht die Schlussfolgerungen, zu denen das Gericht im angefochtenen Urteil gelangt sei, sondern widersprächen ihnen.
86 Als Drittes weise auch die systematische Auslegung des Gerichts erhebliche Mängel auf. Die insbesondere in den Rn. 126 bis 130 und 132 des angefochtenen Urteils dargelegten Argumente seien daher wenig schlüssig. Außerdem habe es das Gericht zu Unrecht abgelehnt, eine Reihe von Dokumenten zu berücksichtigen, darunter die Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen (ABl. 2005, C 56, S. 2), die jedoch für die systematische Auslegung relevant seien.
87 Mehrere Bestimmungen der Verordnung Nr. 139/2004 seien zudem vom Gericht weitgehend unbeachtet gelassen worden und mit seiner Auslegung von Art. 22 dieser Verordnung unvereinbar. Grail verweist insbesondere auf Art. 1 Abs. 4 und 5 sowie auf Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 3 und Abs. 3 Unterabs. 3 dieser Verordnung. Auch stehe der Wortlaut des 15. Erwägungsgrundes dieser Verordnung, in dem der Ausdruck „ebenfalls zuständig“ verwendet werde, im Widerspruch zu der von der Kommission vertretenen und vom Gericht bestätigten Auslegung.
88 Als Viertes sei auch die teleologische Auslegung des Gerichts mangelhaft. Erstens sei der Hinweis des Gerichts, wonach das Ziel der Verordnung Nr. 139/2004 darin bestehe, unabhängig von den Umsatzschwellen die Kontrolle „aller Zusammenschlüsse“, die den Wettbewerb in der Union beeinträchtigten, zu ermöglichen (angefochtenes Urteil, Rn. 140 bis 143), nicht untermauert. Zweitens stütze sich die Feststellung des Gerichts, dass die Verweisungsmechanismen ein „wirksames Korrektiv“ darstellten, um die den Umsatzschwellen inhärenten Mängel zu beheben, auf keinen Präzedenzfall und entbehre jeder Grundlage (angefochtenes Urteil, Rn. 142).
89 Die Argumentation des Gerichts im Rahmen der teleologischen Auslegung führe zu Ergebnissen, die mit der Verordnung Nr. 139/2004 unvereinbar seien. Erstens erlaube diese Auslegung der Kommission eine Ex-post-Prüfung von Zusammenschlüssen, wie sie dies in Nr. 21 ihres Leitfadens zur Anwendung des Verweisungssystems nach Artikel 22 der Fusionskontrollverordnung auf bestimmte Kategorien von Vorhaben ausdrücklich eingeräumt habe. Sie laufe somit dem Ziel der Einführung eines Systems der Ex-ante-Prüfung zuwider, das verlange, dass Zusammenschlüsse innerhalb strenger Fristen geprüft werden, und stelle eine „kopernikanische Wende“ im Rahmen der Fusionskontrollregelung der Union dar. Zweitens habe diese Auslegung, sollte sie nicht berichtigt werden, erhebliche praktische Auswirkungen auf Unternehmen und die nationalen Wettbewerbsbehörden, indem sie die Grundsätze der Effizienz und der Rechtssicherheit untergrabe, die der Fusionskontrolle in der Union seit mehr als 30 Jahren zugrunde lägen. Drittens ermögliche diese Auslegung eine Umgehung der in der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Umsatzschwellen und beeinträchtige damit die Vorhersehbarkeit der mit dieser Verordnung eingeführten Fusionskontrollregelung, was schwerwiegende Folgen für die Rechtssicherheit habe. Viertens weist Grail darauf hin, dass, wenn es die Absicht des Unionsgesetzgebers gewesen wäre, der Kommission die Prüfung aller Zusammenschlüsse zu ermöglichen, was aus den Vorarbeiten zu dieser Verordnung in keiner Weise hervorgehe, die Frage gestellt werden könne, welchen Sinn und Zweck eine Regelung habe, die sich auf ungewisse Verweisungen der Mitgliedstaaten stütze und nicht auf ein unmittelbares Recht der Kommission, jeden potenziell problematischen Zusammenschluss unabhängig von den europäischen und nationalen Umsatzschwellen zu prüfen.
90 Biocom California, die dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge von Illumina in der Rechtssache C-611/22 P beigetreten ist, ist ebenfalls der Ansicht, dass die Auslegung des Gerichts, wonach ein Antrag nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 unabhängig vom Anwendungsbereich der nationalen Fusionskontrollregelungen gestellt und angenommen werden könne, mit den Grundprinzipien der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar sei.
91 Die Kommission tritt der von Illumina und Grail zur Stützung ihres jeweils ersten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumentation entgegen.
92 Zum ersten Rechtsmittelgrund von Illumina weist die Kommission zunächst darauf hin, dass dieser auf zwei grundlegenden Fehlern in Bezug auf die Natur der Verordnung Nr. 139/2004 beruhe. Der erste Fehler hänge damit zusammen, dass sich Illumina zu Unrecht auf das mit dieser Verordnung eingeführte System der „einzigen Anlaufstelle“ berufe, das sich nur auf Zusammenschlüsse von europaweiter Bedeutung beziehe, denn unstreitig beziehe sich das angefochtene Urteil nicht auf einen solchen Zusammenschluss. Der zweite grundlegende Fehler bestehe darin, dass Illumina zu Unrecht davon ausgehe, dass die den Mitgliedstaaten durch diese Verordnung verliehenen Rechte von der nationalen Fusionskontrollregelung abhingen. Es sei nämlich möglich, sich auf Art. 308 EG (jetzt Art. 352 AEUV) zu stützen, auf dessen Grundlage die Verordnung Nr. 139/2004 erlassen worden sei, „um neue Titel zu schaffen, die dann die nationalen Titel überlagern“. Illumina berücksichtige weder die Existenz von Art. 22 dieser Verordnung, der „ein Beispiel für durch Unionsrecht gewährtes Recht, das nationales Recht überlagere“, darstelle, noch das Recht, das er den Mitgliedstaaten gemäß Art. 352 AEUV einräume, nämlich die Kommission mit einem Zusammenschluss zu befassen, obwohl sie für dessen Prüfung nicht zuständig seien.
93 Nach Ansicht der Kommission geht der erste Rechtsmittelgrund von Illumina ins Leere. Illumina stelle nämlich die Rn. 90 bis 94 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht nach einer wörtlichen Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 festgestellt habe, dass der klare Wortlaut dieser Bestimmung ausreiche, um die Auffassung der Kommission zu stützen, in keiner Weise in Frage. Die Kommission ist insoweit der Ansicht, dass das Gericht, soweit Rn. 95 des angefochtenen Urteils dahin auszulegen sei, dass es gleichwohl erforderlich sei, sich auf andere Auslegungsmethoden zu stützen, um zu der in Rn. 183 dieses Urteils ausgeführten Schlussfolgerung zu gelangen, einen Rechtsfehler begangen habe. Der Gerichtshof müsse daher in diesem Punkt die Begründung des angefochtenen Urteils ersetzen und entscheiden, dass eine wörtliche Auslegung von Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 ausreiche, um den ersten Klagegrund zurückzuweisen. Da alle im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes von Illumina vorgebrachten Argumente auf anderen Auslegungsmethoden als der wörtlichen Auslegung beruhten, gehe dieser Rechtsmittelgrund unter diesen Umständen ins Leere und sei nicht zu prüfen.
94 Hilfsweise vertritt die Kommission die Auffassung, dass dieser erste Rechtsmittelgrund unbegründet sei. Selbst wenn man annehme, dass die in der Rechtsmittelschrift angeführten Auslegungsmethoden zu berücksichtigen seien, erläutere Illumina in der Rechtsmittelschrift nicht, inwiefern ihr auf diese anderen Methoden gestütztes Vorbringen ausreiche, um die klare Bedeutung von Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 auszuschließen.
95 Nach Ansicht der Kommission beruht die allgemeine Behauptung, dass das angefochtene Urteil zu Rechtsunsicherheit führe, auf grundlegenden Fehlern, da sie außer Acht lasse, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten ein Recht auf Verweisung einräume, das die nationalen Fusionskontrollregelungen überlagere. Das Vorbringen, die Zuständigkeit nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 sei nicht durch irgendeine Form von objektiven Umsatzschwellen begrenzt, sei unzulässig, da es sich um neues Vorbringen handele. Dieses Argument sei im Übrigen rechtlich und tatsächlich falsch, da u. a. keineswegs feststehe, dass jede Zuständigkeitsschwelle im Bereich der Fusionskontrolle auf dem Umsatz beruhen müsse. Der Vorwurf, es gebe keine Frist, innerhalb deren ein Mitgliedstaat eine Verweisung nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 vornehmen könne, beruhe auf einer voreingenommenen Lesart von Rn. 181 des angefochtenen Urteils.
96 Zur Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit macht die Kommission geltend, Illumina habe vor dem Gericht keinen Klagegrund vorgebracht, wonach der fragliche Zusammenschluss zum Zeitpunkt des streitigen Beschlusses nicht geeignet gewesen sei, wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt erheblich zu beeinträchtigen. Es gebe daher keine Grundlage, auf der Illumina in der Rechtsmittelschrift die Verhältnismäßigkeit des streitigen Beschlusses in Frage stellen könnte. Für den Fall, dass der Gerichtshof es für erforderlich halten sollte, die Rechtsmittelschrift in diesem Punkt zu prüfen, macht die Kommission geltend, dass die Behauptungen von Illumina jedenfalls unerheblich und nicht belegt seien.
97 Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz der Subsidiarität trägt die Kommission vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es sich für die Beantwortung des Vorbringens von Illumina zur Anwendung dieses Grundsatzes für zuständig erachtet habe. Zum einen habe Illumina nicht die Unanwendbarkeit von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 wegen dessen Unvereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip geltend gemacht. Zum anderen sei Illumina nicht berechtigt gewesen, die Vereinbarkeit des streitigen Beschlusses mit diesem Grundsatz in Frage zu stellen, da dieser Grundsatz bei der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der nach diesem Artikel erlassenen Rechtsakte keine Rolle spiele. Die Kommission macht daher in erster Linie geltend, dass das Gericht das Vorbringen zur Verletzung des Subsidiaritätsprinzips nicht hätte prüfen müssen und dass der Gerichtshof insoweit die Begründung ersetzen müsse, indem er das Vorbringen von Illumina als unerheblich zurückweise.
98 Selbst wenn der Gerichtshof es für erforderlich halten sollte, dieses Vorbringen zu prüfen, stehe es jedenfalls im Widerspruch zu dem Vorbringen in der Klageschrift vor dem Gericht, entbehre jeder Grundlage in Bezug auf einen von einem Mitgliedstaat gestellten Verweisungsantrag und verkenne das Wesen von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004.
99 Zum Gegenstand der Verordnung Nr. 139/2004 und zu deren Art. 22 vertritt die Kommission die Auffassung, dass Illumina die Tragweite der Rn. 140 und 142 des angefochtenen Urteils verfälsche und verkannt habe, dass die Auslegung der Kommission keineswegs ein anderes Ziel als diese Verordnung verfolge, sondern im Einklang mit dem im sechsten Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Ziel eine „wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der [Union]“ ermögliche.
100 Zum Ausnahmecharakter von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 führt die Kommission aus, dass das Vorbringen von Illumina, selbst wenn es nicht ins Leere ginge, der Grundlage entbehre. Insbesondere versuche Illumina zu Unrecht, die vorliegenden Rechtssachen mit derjenigen in Verbindung zu bringen, in der das Urteil vom 3. April 2003, Royal Philips Electronics/Kommission (T-119/02, EU:T:2003:101, Rn. 354), ergangen sei.
101 Auch die speziell im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes von Grail vorgebrachten Argumente sind nach Auffassung der Kommission zurückzuweisen.
102 Einleitend weist die Kommission darauf hin, dass die Feststellung des Gerichts in Rn. 142 des angefochtenen Urteils, wonach das Ziel der Verordnung Nr. 139/2004 darin bestehe, „eine Kontrolle der Zusammenschlüsse zu ermöglichen, die geeignet sind, einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt erheblich zu beeinträchtigen“, mit den Erwägungsgründen 6 und 7 der Verordnung Nr. 4064/89 in Einklang stehe, wonach die Art. 85 und 86 EG-Vertrag (später Art. 81 und 82 EG, jetzt Art. 101 und 102 AEUV) nicht ausreichten, „um alle Zusammenschlüsse zu erfassen, die sich als unvereinbar mit dem vom Vertrag geforderten System des unverfälschten Wettbewerbs erweisen könnten“, und es daher erforderlich gewesen sei, auf der Grundlage von Art. 235 EG-Vertrag (später Art. 308 EG, jetzt Art. 352 AEUV) Rechtsvorschriften zu schaffen, die „eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse entsprechend ihren Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Gemeinschaft ermöglich[en]“. Nach Ansicht der Kommission geht Grail in keiner Weise auf die Bedeutung dieses Rückgriffs auf Art. 352 AEUV ein. Die den Mitgliedstaaten durch Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 eingeräumte Befugnis, die Verweisung eines Zusammenschlusses zu beantragen, sei ein Beispiel für die Ausübung eines durch das Unionsrecht verliehenen Rechts, das die nationalen Rechtsordnungen überlagere.
103 Die Kommission macht geltend, dass der erste Rechtsmittelgrund von Grail aus zwei Gründen ins Leere gehe. Erstens rüge Grail nicht eindeutig die Rn. 183 und 184 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten die Verweisung eines Zusammenschlusses unabhängig vom Bestehen oder der Reichweite ihrer nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung beantragen könnten und dass die Kommission daher im streitigen Beschluss keinen Fehler begangen habe, als sie dem bei ihr gestellten Verweisungsantrag stattgegeben habe. Es komme wesentlich darauf an, dass die geltend gemachten Rechtsgründe und -argumente die beanstandeten Punkte der Begründung der Entscheidung des Gerichts genau bezeichneten. Da die Rn. 183 und 184 des angefochtenen Urteils nicht gerügt worden seien, gehe das Vorbringen gegen die Zwischenschritte der Begründung des Gerichts ins Leere. Da zweitens Grail, wie auch Illumina, die im angefochtenen Urteil vorgenommene wörtliche Auslegung von Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 nicht in zulässiger Weise beanstande, werde dem ersten Rechtsmittelgrund von Grail, der vollständig auf der Behauptung beruhe, dass der klare und genaue Wortlaut dieser Bestimmung nicht ausreiche, um die Auslegung der Kommission zu stützen, seine praktische Wirksamkeit genommen.
104 Hilfsweise macht die Kommission geltend, der erste Rechtsmittelgrund von Grail sei unbegründet, da Grail in ihrer Rechtsmittelschrift nicht darlege, inwiefern die von ihr angeführten Methoden der historischen, der systematischen und der teleologischen Auslegung eine von dem klaren Sinn des Wortlauts von Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 abweichende Auslegung rechtfertigen könnten.
105 Was erstens die historische Auslegung betrifft, ist die Kommission der Ansicht, dass die Rüge von Grail, die Prüfung der Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 139/2004 durch das Gericht sei mangelhaft, ins Leere gehe und jedenfalls weitgehend unzulässig sei. Grail beanstande nicht nur die Auslegung durch das Gericht der ihm vorgelegten Unterlagen, wie beispielsweise der Grünbücher, sondern lege auch zahlreiche neue Beweismittel vor, die dem Gericht nicht vorgelegt worden seien.
106 Die Kommission ist daher der Auffassung, dass der erste Rechtsmittelgrund von Grail, soweit er sich auf die Vorarbeiten stütze, die im Rahmen der Rechtsmittelschrift oder später vorgelegt worden seien, unzulässig sei. Außerdem macht die Kommission unter Berufung auf das Urteil vom 2. Oktober 2019, Crédit mutuel Arkéa/EZB (C-152/18 P und C-153/18 P, EU:C:2019:810, Rn. 39), geltend, dass die der Rechtsmittelschrift als Anlage beigefügten Auslegungsdokumente, die dem Gericht vorgelegt worden seien, nur insoweit zulässig seien, als sie auch unmittelbar in der Rechtsmittelschrift angeführt oder darin zumindest hinreichend erläutert würden.
107 Nach Ansicht der Kommission kann dem Vorbringen, das Gericht sei bei seiner historischen Auslegung nachlässig gewesen, nicht gefolgt werden, es sei denn, von ihm werde verlangt, dass es die Organe systematisch auffordere, ihm alle Vorarbeiten zu jedem vor ihm in Rede stehenden Rechtsakt vorzulegen. Grail habe außerdem übergangen, dass das Gericht im angefochtenen Urteil auf das erstinstanzliche Vorbringen, mit dem Illumina die Verordnung Nr. 4064/89 unter Bezugnahme auf ein Schriftstück aus der Zeit nach dieser Verordnung ausgelegt habe, eingegangen sei. Die Kommission ist der Ansicht, dass die im angefochtenen Urteil dargelegte historische Auslegung entgegen dem Vorbringen in der Rechtsmittelschrift von Grail keine „offensichtlich fehlerhafte Aussage“ erkennen lasse. Es sei daher nicht erforderlich, dass der Gerichtshof die Rechtsmittelschrift weiter prüfe. Jedenfalls habe Grail, die nur in allgemeiner Weise und knapp auf die ihrer Rechtsmittelschrift beigefügten Dokumente verweise, nicht dargetan, inwiefern eine sorgfältige Prüfung der Vorarbeiten zeigen würde, dass das Gericht bei seiner historischen Auslegung einen Rechtsfehler begangen habe.
108 Was zweitens die systematische Auslegung betrifft, ist die Kommission der Ansicht, dass das Vorbringen von Grail nicht geeignet sei, ihre These zu stützen. So habe diese Gesellschaft nicht dartun können, aus genau welchen Gründen die Erwägungen des Gerichts bei der Prüfung des Zusammenhangs von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, wie sie vortrage, nicht schlüssig seien.
109 Drittens hebt die Kommission in Bezug auf die teleologische Auslegung dieser Bestimmung hervor, dass das Ziel der Verordnung Nr. 139/2004 darin bestehe, die Kontrolle aller Zusammenschlüsse, die den Wettbewerb in der Union beeinträchtigten, unabhängig von den in Art. 1 dieser Verordnung genannten Umsatzschwellen zu ermöglichen, da diese Verordnung das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lasse, nationale Fusionskontrollregelungen beizubehalten und die Schwellenwerte festzulegen, ab denen sie nach diesen Regelungen für die Ausübung ihrer Kontrolle zuständig seien. Der Umstand, dass die Kommission hauptsächlich nur für Zusammenschlüsse von europaweiter Bedeutung zuständig sei, ändere nichts an ihrer Zuständigkeit, die Verweisung von Zusammenschlüssen nach den Verweisungsmechanismen der Verordnung Nr. 139/2004 zu akzeptieren. Art. 22 dieser Verordnung biete, wie es in ihrem elften Erwägungsgrund heiße, „angesichts des Subsidiaritätsprinzips [ein] wirksames Korrektiv“, da er es ermögliche, das Ziel dieser Verordnung zu verwirklichen, und dabei die hauptsächliche Zuständigkeit der Kommission auf Zusammenschlüsse beschränke, die die in Art. 1 der Verordnung festgelegten Schwellenwerte erreichten.
110 Viertens führe das angefochtene Urteil entgegen dem Vorbringen von Grail nicht zu Ergebnissen, die mit der Verordnung Nr. 139/2004 unvereinbar seien. Das Vorbringen von Grail stelle im Wesentlichen ein „interessiertes Manifest“ zu der Art und Weise dar, in der ihrer Ansicht nach eine Fusionskontrollregelung der Union funktionieren müsse, was keine Frage sei, die in die Zuständigkeit des Gerichtshofs falle.
111 Die Französische Republik, das Königreich der Niederlande und die EFTA-Überwachungsbehörde treten dem Vorbringen von Illumina und Grail ebenfalls entgegen. Diese würden insbesondere den Vorrang der wörtlichen Auslegung verkennen und ließen den klaren und genauen Wortlaut des ersten Halbsatzes von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 außer Acht, der nicht danach unterscheide, ob der Mitgliedstaat über eine nationale Fusionskontrollregelung verfüge oder nicht. Die Verweisungsmechanismen funktionierten als „Korrektiv“, um eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Union zu ermöglichen.
Würdigung durch den Gerichtshof
112 Mit dem ersten Rechtsmittelgrund machen Illumina und Grail geltend, das Gericht habe bei der Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, insbesondere seines Abs. 1, auf den sich im ersten Rechtszug der auf die Unzuständigkeit der Kommission gestützte erste Klagegrund gerade bezogen habe, mehrere Fehler begangen.
113 Im Rahmen der Prüfung dieses Klagegrundes hat das Gericht erstens entschieden, dass sich aus der wörtlichen, der historischen, der systematischen und der teleologischen Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 ergebe, dass sich die Kommission, wie sie in den streitigen Beschlüssen angenommen habe, in einer Situation, in der der Mitgliedstaat, der diese Verweisung beantrage, nach seiner nationalen Fusionskontrollregelung nicht befugt sei, diesen Zusammenschluss zu prüfen, mit der Verweisung eines Zusammenschlusses nach Art. 22 einverstanden erklären könne.
114 Zweitens hat das Gericht festgestellt, dass diese Beurteilung nicht durch die Argumente von Illumina und Grail in Frage gestellt werden könne, die jeweils vorbrachten, dass eine Verweisung von Zusammenschlüssen an die Kommission nicht möglich sei, wenn ein Mitgliedstaat die Voraussetzungen festgelegt habe, unter denen er Zusammenschlüsse ohne europaweite Bedeutung prüfe, die Verstöße gegen die Grundsätze der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit geltend machten und die sich auf den Ausnahmecharakter von Verweisungen nach Art. 22 dieser Verordnung beriefen.
115 In diesem Zusammenhang hat das Gericht insbesondere in Rn. 177 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass diese Bestimmung ein „Korrektiv“ einführe, um eine wirksame Kontrolle aller Zusammenschlüsse zu ermöglichen, die geeignet seien, einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt erheblich zu beeinträchtigen, und die andernfalls mangels Überschreitens der Umsatzschwellen den Fusionskontrollregelungen sowohl der Union als auch der Mitgliedstaaten entgehen würden.
116 Nach ständiger Rechtsprechung und wie das Gericht in Rn. 88 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (Urteile vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a., C-621/18, EU:C:2018:999, Rn. 47, und vom 25. Juni 2020, A u. a. [Windkraftanlagen in Aalter und in Nevele], C-24/19, EU:C:2020:503, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
117 Illumina und Grail sind jedoch der Ansicht, dass die Anwendung dieser Auslegungsmethoden durch das Gericht mit mehreren Fehlern behaftet sei und dass eine korrekte Anwendung dieser Methoden das Gericht zu der Feststellung hätte veranlassen müssen, dass die Kommission nach Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 für die Prüfung eines Zusammenschlusses nicht zuständig sei, wenn dieser von einem Mitgliedstaat, der über eine nationale Fusionskontrollregelung verfüge, an sie verwiesen werde und wenn dieser Zusammenschluss nicht in den Geltungsbereich dieser Regelung falle.
118 Zunächst ist der Einwand der Kommission zurückzuweisen, der erste Rechtsmittelgrund gehe ins Leere, da die Rechtsmittelführerinnen bestimmte allgemeine Erwägungen zum System der Fusionskontrolle angeführt und die Feststellungen des Gerichts in bestimmten Passagen des angefochtenen Urteils nicht gerügt hätten. Die Kommission ist insoweit der Ansicht, dass der Wortlaut von Art. 22 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 ausreiche, um die Auslegung dieser Bestimmung durch das Gericht zu stützen.
119 Ein Rechtsmittelgrund geht dann ins Leere, wenn dargetan wird, dass er, selbst wenn er für begründet erklärt würde, nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juli 2023, Kommission/CK Telecoms UK Investments, C-376/20 P, EU:C:2023:561, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung). Mit ihrem jeweils ersten Rechtsmittelgrund haben die Rechtsmittelführerinnen aber offensichtlich mit der erforderlichen Genauigkeit angegeben, aus welchen Gründen sie dem Gericht vorwerfen, das Wesen und die Tragweite des in Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Verweisungssystems falsch ausgelegt zu haben, so dass die Kommission den in Rede stehenden Zusammenschluss nicht prüfen konnte. Ein solcher Rechtsmittelgrund könnte, wenn er begründet wäre, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, gegebenenfalls sogar zur Nichtigerklärung der streitigen Beschlüsse, führen.
120 Folglich ist zu prüfen, ob die vom Gericht vorgenommene Auslegung zutrifft, wobei die verschiedenen Argumentationsschritte des Gerichts zu berücksichtigen sind.
Zur wörtlichen Auslegung
121 In Rn. 89 des angefochtenen Urteils hat das Gericht unter Hinweis auf den Wortlaut von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 festgestellt, dass diese Bestimmung vier kumulative Voraussetzungen für die Verweisung eines Zusammenschlusses an die Kommission nenne. Erstens muss der an die Kommission gerichtete Antrag auf Prüfung eines Zusammenschlusses von einem oder mehreren Mitgliedstaaten stammen. Zweitens muss der Vorgang, auf den sich dieser Antrag bezieht, der Definition des Zusammenschlusses in Art. 3 der Verordnung entsprechen, ohne die in Art. 1 der Verordnung festgesetzten Schwellenwerte für eine europaweite Bedeutung zu erreichen. Drittens muss dieser Zusammenschluss den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Viertens muss der Zusammenschluss drohen, den Wettbewerb im Hoheitsgebiet des bzw. der antragstellenden Mitgliedstaaten erheblich zu beeinträchtigen.
122 Das Gericht zog hieraus in Rn. 90 des angefochtenen Urteils den Schluss: „Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung ist es für die Verweisung eines Zusammenschlusses durch einen Mitgliedstaat an die Kommission somit weder erforderlich, dass dieser Zusammenschluss in den Geltungsbereich der [nationalen Fusionskontrollregelung] dieses Mitgliedstaats fällt, noch, dass der Mitgliedstaat über [eine] solche [Regelung] verfügt.“ Der Ausdruck „jede[r] Zusammenschluss“, wie er im ersten Halbsatz von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 verwendet werde, zeige vielmehr, dass unabhängig von dem Bestehen oder dem Geltungsbereich einer nationalen Fusionskontrollregelung ein Zusammenschluss Gegenstand einer Verweisung sein könne, sofern die in Rn. 89 des angefochtenen Urteils aufgeführten kumulativen Voraussetzungen erfüllt seien.
123 Das Gericht hat deshalb in Rn. 94 des angefochtenen Urteils entschieden: „Ohne dass sie eine abschließende Schlussfolgerung zuließe, ergibt die wörtliche Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 …, dass ein Mitgliedstaat das Recht hat, jeden Zusammenschluss, der die in dieser Bestimmung aufgeführten kumulativen Voraussetzungen erfüllt, an die Kommission zu verweisen, und zwar unabhängig von der Existenz oder dem Geltungsbereich einer [nationalen Fusionskontrollregelung].“
124 Das Gericht hat daher, wie aus Rn. 95 des angefochtenen Urteils hervorgeht, eine historische Auslegung für angebracht gehalten, da sie Hinweise zu dem Willen des Unionsgesetzgebers geben könne, den dieser mit dem Erlass von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 verfolgt habe und dem im Rahmen der systematischen und teleologischen Auslegung dieser Vorschrift Rechnung zu tragen sei.
125 Diese Erwägungen sind frei von Rechtsfehlern.
126 Zwar darf nach ständiger Rechtsprechung die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht dazu führen, dass dem klaren und genauen Wortlaut dieser Bestimmung jede praktische Wirksamkeit genommen wird (Urteile vom 25. Januar 2022, VYSOČINA WIND, C-181/20, EU:C:2022:51, Rn. 39, und vom 13. Oktober 2022, Gmina Wieliszew, C-698/20, EU:C:2022:787, Rn. 83).
127 Dem Unionsgericht wird dadurch nicht die Möglichkeit genommen, in bestimmten Fällen die Auslegungsmethoden anzuwenden, die er für geeignet hält, um die genaue Bedeutung einer Vorschrift des Unionsrechts zu klären, wobei jede Vorschrift des Unionsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Licht des gesamten Unionsrechts, seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen ist (Urteile vom 6. Oktober 1982, Cilfit u. a., 283/81, EU:C:1982:335, Rn. 20, sowie vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C-561/19, EU:C:2021:799, Rn. 46).
128 Unter den Umständen des vorliegenden Falles, in dem dem Gericht zahlreiche Anhaltspunkte zur Kenntnis gebracht wurden, um die Tragweite des angeblich klaren Wortlauts von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 zu klären, hat das Gericht zu Recht entschieden, dass es sich nicht auf eine isolierte Lektüre des knappen und zugleich allgemeinen Wortlauts dieser Bestimmung beschränken und von einer systematischen und teleologischen Auslegung absehen durfte, die durch die Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung erhellt wird.
Zur historischen Auslegung
129 Die in den Rn. 96 bis 117 des angefochtenen Urteils dargelegte historische Auslegung wurde vorgenommen, da sie, in den Worten des Gerichts, „zu dem Willen des Unionsgesetzgebers, den dieser mit dem Erlass von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 verfolgte, Hinweise geben kann, dem im Rahmen der teleologischen und systematischen Auslegung dieser Vorschrift Rechnung zu tragen ist“ (angefochtenes Urteil, Rn. 95). Aus der Systematik dieses Urteils ergibt sich somit, dass dieser historischen Auslegung in der Argumentation des Gerichts besondere Bedeutung zukommt, da sie die Grundlage der vom Gericht im Rahmen der teleologischen und der systematischen Auslegung angestellten Erwägungen darstellt.
130 Das Gericht hat im Wesentlichen entschieden, dass die historische Auslegung darauf hinweise, dass Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 es einem Mitgliedstaat erlaube, unabhängig von der Existenz oder der Tragweite seiner nationalen Vorschriften für die Ex-ante-Fusionskontrolle Zusammenschlüsse an die Kommission zu verweisen, die die in Art. 1 dieser Verordnung festgelegten Schwellenwerte nicht erreichten, bei denen jedoch mit erheblichen grenzüberschreitenden Auswirkungen zu rechnen sei.
131 Vor der Prüfung der Begründetheit des gegen die verschiedenen Teile der Beurteilung des Gerichts gerichteten Vorbringens der Rechtsmittelführerinnen ist auf die Zulässigkeit der von Grail in diesem Zusammenhang vorgelegten Beweise einzugehen.
– Zur Zulässigkeit der von Grail vorgelegten Beweise
132 Die Kommission stellt in ihrer Rechtsmittelbeantwortung in der Rechtssache C-625/22 P die Zulässigkeit der von Grail zur Stützung ihrer Rügen in Bezug auf die historische Auslegung vorgelegten Beweise in Frage. Die Kommission trägt nämlich vor, dass Grail, während sie dieser Auslegung in ihrem Streithilfeschriftsatz im ersten Rechtszug nur zwei Randnummern gewidmet habe, in ihrer Rechtsmittelschrift auf zahlreiche im Rahmen der Vorarbeiten zum Erlass der Verordnung Nr. 4064/89, der Verordnung Nr. 1310/97 und der Verordnung Nr. 139/2004 erstellte Dokumente verweise, die sie der Rechtsmittelschrift beigefügt habe. Diese Dokumente, von denen die meisten nicht veröffentlicht worden seien, seien dem Gericht nicht zur Kenntnis gebracht und daher vor ihm nicht erörtert worden.
133 Nach gefestigter Rechtsprechung könnte eine Partei, wenn sie erstmals vor dem Gerichtshof ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel und Argumente vorbringen könnte, die sie vor dem Gericht nicht vorgebracht hat, den Gerichtshof, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, letztlich mit einem weiter reichenden Rechtsstreit befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rahmen eines Rechtsmittels sind die Befugnisse des Gerichtshofs somit auf die Beurteilung der rechtlichen Bewertung des im ersten Rechtszug erörterten Vorbringens beschränkt (Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission, C-514/07 P, C-528/07 P und C-532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 126 und die dort angeführte Rechtsprechung).
134 Wenn es jedoch um die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts durch das Gericht geht, können die Vorarbeiten, die sich unmittelbar auf die Tragweite der anwendbaren Rechtsvorschriften der Union beziehen, nicht als rein tatsächliche Umstände angesehen werden, die im ersten Rechtszug hätten angeführt werden müssen. Die Bestimmung der Bedeutung dieser Rechtsvorschriften fällt nämlich in die alleinige Zuständigkeit des Gerichtshofs. Wird, wie in den vorliegenden Rechtssachen, die Auslegung einer Bestimmung des abgeleiteten Rechts in Frage gestellt, muss der Unionsrichter die Möglichkeit haben, sich – sei es von Amts wegen oder aufgrund von Gesichtspunkten, die ihm wirksam zur Beurteilung vorgelegt worden sind – mit den im Rahmen der Vorarbeiten erstellten Dokumenten zu befassen, die Hinweise auf den Willen des Unionsgesetzgebers geben können.
– Zur Begründetheit
135 Die Erwägungen des Gerichts im Rahmen der historischen Auslegung beziehen sich erstens darauf, dass ursprünglich nicht ausgeschlossen worden war, dass der zunächst in Art. 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 4064/89 vorgesehene Mechanismus der Verweisung eines Zusammenschlusses an die Kommission, obwohl er ursprünglich für die Mitgliedstaaten konzipiert war, die noch nicht über eine Fusionskontrollregelung verfügten, auch von Mitgliedstaaten angewandt werden könne, die über eine solche Regelung verfügten (angefochtenes Urteil, Rn. 96 bis 99), zweitens auf den Umstand, dass die Ziele dieses Mechanismus „im Lauf der Zeit nach und nach erweitert“ worden seien, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union bei Zusammenschlüssen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen zu stärken (angefochtenes Urteil, Rn. 100 bis 104), drittens auf den weiteren Verlauf, den der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“) (ABl. 2003, C 20, S. 4, im Folgenden: Vorschlag von 2003) im Zusammenhang mit der Neufassung der Verordnung Nr. 4064/89 und dem Erlass der Verordnung Nr. 139/2004 genommen habe (angefochtenes Urteil, Rn. 105 bis 114), und viertens auf die fehlende Relevanz der von der Kommission nach dem Erlass der letztgenannten Verordnung veröffentlichten Dokumente (angefochtenes Urteil, Rn. 115).
136 Erstens ist zu der Feststellung des Gerichts, es sei ursprünglich nicht ausgeschlossen gewesen, dass der zunächst in Art. 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 4064/89 vorgesehene Mechanismus der Verweisung eines Zusammenschlussverfahrens an die Kommission nicht nur von den Mitgliedstaaten, die nicht über eine nationale Regelung im Bereich der Fusionskontrolle verfügten, sondern auch von denjenigen, die über eine solche Regelung verfügten, angewandt werden könne, zu konstatieren, dass sich diese Beurteilung auf mehrere von der Kommission erstellte Dokumente stützt, nämlich das Grünbuch der Kommission vom 31. Januar 1996 über die Revision der Fusionskontrollverordnung, KOM(96) 19 endg., das Grünbuch der Kommission vom 11. Dezember 2001 über die Revision der Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, KOM(2001) 745 endgültig, und den Vorschlag von 2003.
137 Zwar können von der Kommission selbst erstellte Dokumente genaue Hinweise auf die Absicht des Gesetzgebers bei der Ausarbeitung aufeinanderfolgender Fusionskontrollverordnungen geben und damit einen gewissen Auslegungswert in Bezug auf den Sinn und die Tragweite von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 haben. Im vorliegenden Fall enthalten die in der vorstehenden Randnummer angeführten Dokumente jedoch keinen konkreten Anhaltspunkt für die Auslegungsfrage, die im Mittelpunkt des Rechtsmittelgrundes steht, mit dem Unzuständigkeit der Kommission für den Erlass der streitigen Beschlüsse gerügt wird.
138 Hierzu hat das Gericht in Rn. 98 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen, dass sich aus Rn. 97 des Grünbuchs der Kommission vom 31. Januar 1996 über die Revision der Fusionskontrollverordnung, KOM(96) 19 endg., ergebe, dass der Verweisungsmechanismus generell als ein nützliches Instrument insbesondere für diejenigen Mitgliedstaaten angesehen worden sei, die nicht über ein Fusionskontrollsystem verfügten, von ihm Gebrauch zu machen ihnen aber keineswegs vorbehalten gewesen sei.
139 Diese Feststellung erlaubt es jedoch nicht, die Frage zu beantworten, ob Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 es den Mitgliedstaaten, die über eine solche Regelung verfügen, erlaubt, Zusammenschlüsse, die nicht unter diese Regelung fallen und daher nicht auf nationaler Ebene angemeldet werden müssen, an die Kommission zu verweisen.
140 Das Gleiche gilt für die Bezugnahme in Rn. 99 des angefochtenen Urteils darauf, dass bereits zum Zeitpunkt der Annahme des Grünbuchs der Kommission vom 11. Dezember 2001 über die Revision der Verordnung Nr. 4064/89 des Rates, KOM(2001) 745 endgültig, nur das Großherzogtum Luxemburg nicht über eine solche Regelung verfügt habe, was die Kommission in Rn. 85 dieses Grünbuchs zu der Feststellung veranlasst hat, dass „in der Praxis … auf Artikel 22 Absatz 3 [der Verordnung Nr. 4064/89] in seiner ursprünglichen Bedeutung nur noch äußerst selten zurückgegriffen [werde]“. Wie der Generalanwalt in Nr. 87 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, deutet diese Passage in Rn. 85 des Grünbuchs zwar darauf hin, dass der Erlass einer nationalen Fusionskontrollregelung durch die meisten Mitgliedstaaten bedeutete, dass sie ein begrenzteres Interesse daran hatten, einen Zusammenschluss an die Kommission zu verweisen. Sie enthält jedoch keinen auch nur impliziten Hinweis darauf, dass die Kommission für die Prüfung von Zusammenschlüssen zuständig wäre, die von einem Mitgliedstaat, der eine solche nationale Regelung erlassen hat, an sie verwiesen werden, unabhängig davon, ob diese Zusammenschlüsse unter diese Regelung fallen.
141 Was zweitens den Umstand betrifft, dass die Ziele dieses Mechanismus „im Lauf der Zeit nach und nach erweitert“ worden seien, um die Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union bei Zusammenschlüssen mit grenzüberschreitenden Auswirkungen zu stärken, beruhen die hierzu in den Rn. 100 bis 104 des angefochtenen Urteils angestellten Erwägungen zwar auf zutreffenden Feststellungen. Sie stützen jedoch auch nicht den Ansatz, den die Kommission in den vorliegenden Rechtssachen hinsichtlich der Tragweite des in Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Verweisungsmechanismus vertritt.
142 Insbesondere sollte dieser Mechanismus, wie das Gericht in Rn. 102 des angefochtenen Urteils entschieden hat, zwar den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, bei der Kommission die Prüfung eines Zusammenschlusses zu beantragen, wenn die Schwellenwerte nach Art. 1 dieser Verordnung nicht erreicht werden, doch ist diese Klarstellung im Hinblick auf die Bestimmung, ob Art. 22 der Verordnung es Mitgliedstaaten, die über eine nationale Fusionskontrollregelung verfügen, erlaubt, Zusammenschlüsse, die nicht unter diese Regelung fallen, zu verweisen, nicht schlüssig.
143 Was drittens die Bezugnahme in den Rn. 105 bis 114 des angefochtenen Urteils auf den weiteren Verlauf, den der Vorschlag von 2003 im Rahmen der Neufassung der Verordnung Nr. 4064/89 und des Erlasses der Verordnung Nr. 139/2004 nahm, betrifft, so stützt auch diese nicht die von der Kommission vertretene Auslegung. Denn die sich aus diesem Vorschlag ergebenden Änderungen des Verweisungsmechanismus zeigen zwar, dass die Kommission einem verstärkten Rückgriff auf diesen Mechanismus den Vorzug gegeben hat und dass dessen Ziele schrittweise erweitert werden sollten, doch enthalten sie keinen Hinweis auf die Art der Zusammenschlüsse, die Gegenstand eines Verweises sein können.
144 Viertens konnten, wie das Gericht in Rn. 115 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, nach Erlass der Verordnung Nr. 139/2004 veröffentlichte Dokumente der Kommission vom Unionsgesetzgeber nicht berücksichtigt werden und sind daher für die historische Auslegung von Art. 22 dieser Verordnung nicht relevant.
145 Nach alledem sind die in den Rn. 96 bis 116 des angefochtenen Urteils angeführten Gesichtspunkte nicht geeignet, die Beurteilung des Gerichts in Bezug auf die Entstehungsgeschichte von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 zu stützen.
146 Eine Prüfung der Vorarbeiten zu den aufeinanderfolgenden Verordnungen über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, insbesondere der historischen Dokumente betreffend den Erlass der Verordnungen Nr. 4064/89 und Nr. 139/2004, spricht vielmehr gegen diese Beurteilung, da, wie der Generalanwalt insbesondere in den Nrn. 102 und 105 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, keines dieser Dokumente den Willen des Unionsgesetzgebers belegt, auf die in Art. 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 4064/89 bzw. in Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Verweisungsmechanismen zurückzugreifen, um die angeblichen Mängel zu beheben, die sich aus der Strenge der in Art. 1 dieser Verordnungen vorgesehenen Schwellenwerte ergeben sollen.
147 Wie das Gericht in Rn. 97 des angefochtenen Urteils selbst ausgeführt hat und alle Beteiligten übereinstimmend anerkennen, entsprach der ursprünglich in Art. 22 Abs. 3 der Verordnung Nr. 4064/89 vorgesehene Verweisungsmechanismus dem Wunsch des Königreichs der Niederlande, das damals über keine nationale Fusionskontrollregelung verfügte, Zusammenschlüsse mit nachteiligen Auswirkungen auf sein Hoheitsgebiet von der Kommission prüfen zu lassen, sofern diese Zusammenschlüsse auch den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, weshalb dieser Mechanismus als „niederländische Klausel“ bezeichnet wurde (Rn. 133 des Arbeitspapiers der Kommissionsdienststellen, Begleitunterlage zur Mitteilung der Kommission an den Rat – Bericht über das Funktionieren der Verordnung Nr. 139/2004 vom 30. Juni 2009, SEC[2009] 808 endg./2). Mit anderen Worten war dieser Mechanismus vor allem deshalb notwendig geworden, weil bestimmte Mitgliedstaaten nicht über eine Regelung der präventiven (Ex-ante-)Kontrolle von Zusammenschlüssen verfügten.
148 Aus den von den Parteien angeführten Dokumenten und Vorarbeiten zur ursprünglichen Fassung der Verordnung Nr. 4064/89, von denen einige vom Rat der Europäischen Union stammen, ergibt sich somit, dass der Unionsgesetzgeber, wie der Generalanwalt insbesondere in Nr. 101 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dem Umstand Rechnung getragen hat, dass unabhängig von Art und Höhe der gewählten Schwellenwerte bestimmte Zusammenschlüsse, die den Binnenmarkt beeinträchtigen könnten, jedenfalls einer Ex-ante-Kontrolle durch die Kommission im Rahmen dieser Verordnung entzogen wären. In keinem dieser Dokumente wird der in Art. 22 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehene Verweisungsmechanismus als „Korrektiv“ betrachtet, der es erlauben würde, jeden Zusammenschluss, der die Voraussetzungen von Art. 22 Abs. 1 erfüllt, unabhängig davon, ob er unter die nationale Fusionskontrollregelung des antragstellenden Mitgliedstaats fällt, an die Kommission zu verweisen.
149 Auch die historischen Dokumente zum Erlass der Verordnung Nr. 1310/97 und zum Erlass der Verordnung Nr. 139/2004 stützen nicht die Beurteilung des Gerichts in Bezug auf den Willen des Unionsgesetzgebers, auf den in Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Verweisungsmechanismus zurückzugreifen, um Mängel zu beheben, die sich aus der Strenge der in Art. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Schwellenwerte ergeben sollen.
150 Nach alledem lässt die historische Auslegung entgegen der vom Gericht in Rn. 116 des angefochtenen Urteils getroffenen Feststellung nicht den Schluss zu, dass Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 der Kommission die Zuständigkeit verleiht, einen Zusammenschluss, der die in Art. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Umsatzschwellenwerte nicht erreicht, unabhängig von der Tragweite der Fusionskontrollregelung des Mitgliedstaats, der einen Antrag gestellt hat, zu prüfen.
Zur systematischen Auslegung
151 Zur Stützung seiner systematischen Auslegung, wonach ein Mitgliedstaat die Verweisung eines Zusammenschlusses nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 unabhängig von der Tragweite seiner nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung beantragen könne, hat das Gericht in den Rn. 118 bis 138 des angefochtenen Urteils eine Reihe von Erwägungen angestellt. Diese beziehen sich erstens auf die Rechtsgrundlage dieser Verordnung, zweitens darauf, dass Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung, der ihren Anwendungsbereich definiert, ausdrücklich auf Art. 22 der Verordnung verweise, drittens auf die Feststellung, dass sich die Anwendungsvoraussetzungen der letztgenannten Bestimmung grundlegend von denen von Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 139/2004 – einer Bestimmung, die ebenfalls, auf Antrag der Beteiligten und vor einer Anmeldung des Zusammenschlusses, die Verweisung eines Zusammenschlusses ohne europaweite Bedeutung von einem Mitgliedstaat an die Kommission erlaubt – unterscheiden, viertens auf die Tatsache, dass sich der in Art. 22 dieser Verordnung vorgesehene Verweisungsmechanismus von den Mechanismen unterscheidet, die in Art. 4 Abs. 4 und Art. 9 dieser Verordnung vorgesehen sind – Vorschriften, die die Verweisung eines Zusammenschlusses von europaweiter Bedeutung an die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats regeln –, und fünftens auf das Zusammenspiel von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung und den übrigen Bestimmungen dieses Artikels.
152 Es ist zum einen auf diese verschiedenen vom Gericht im Einzelnen geprüften Gesichtspunkte einzugehen und zum anderen zu prüfen, ob das Gericht, wie die Rechtsmittelführerinnen geltend machen, andere Gesichtspunkte der Systematik, die erhellende Hinweise zur Tragweite des in Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Verweisungsmechanismus geben könnten, unberücksichtigt gelassen hat.
– Zu den vom Gericht berücksichtigten Gesichtspunkten der Systematik
153 Was als Erstes den Umstand betrifft, dass Rechtsgrundlage der Verordnung Nr. 139/2004 nicht nur Art. 83 EG (jetzt Art. 103 AEUV), sondern auch Art. 308 EG (jetzt Art. 352 AEUV) ist, hat das Gericht im Wesentlichen festgestellt, dass die Bezugnahme auf Art. 308 EG, wonach sich die Union für die Verwirklichung ihrer Ziele zusätzliche Befugnisse geben kann, keinen Anhaltspunkt für die richtige Bedeutung und Tragweite von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung gebe. Das Gericht hat daher die Auffassung von Illumina zurückgewiesen, dass die bei Erlass der Verordnungen über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen nacheinander gewählten Rechtsgrundlagen die von ihr vorgeschlagene Auslegung dieser Bestimmung stützten.
154 Es hat insbesondere in Rn. 120 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass der Umstand, dass die Verordnung Nr. 139/2004 auch auf Art. 308 EG gestützt sei, einfach zeige, dass der Unionsgesetzgeber auf eine hinreichend breite Rechtsgrundlage für die Fusionskontrollregelung der Union zurückgreifen wollte, was mit dem Protokoll (Nr. 27) über den Binnenmarkt und den Wettbewerb (ABl. 2016, C 202, S. 308) im Einklang stehe, wonach der Binnenmarkt ein System umfasst, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt, und für diese Zwecke die Union erforderlichenfalls nach den Bestimmungen der Verträge, einschließlich von Art. 352 AEUV, tätig wird.
155 Diese Beurteilung des Gerichts ist frei von Rechtsfehlern. Aus dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 4064/89 und dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 139/2004 sowie aus den Vorarbeiten zur Verordnung Nr. 4064/89 geht nämlich hervor, dass der Unionsgesetzgeber der Auffassung war, dass Art. 103 AEUV – der den Erlass einer Regelung „zur Verwirklichung der in den Artikeln 101 und 102 [AEUV] niedergelegten Grundsätze“ erlaubt – für sich allein nicht ausreichend sei, um eine Fusionskontrollregelung zu schaffen, die darauf abzielt, die bloße Begründung marktbeherrschender Stellungen zu verhindern und Zusammenschlüsse auf dem Markt für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu erfassen, die nach Art. 38 Abs. 3 AEUV und Anhang I des AEU-Vertrags einer besonderen rechtlichen Regelung unterliegen könnten, die Ausnahmen von der vollständigen Anwendung der Unionsregeln vorsieht.
156 Allerdings ist umgekehrt nicht festgestellt worden, dass Art. 352 AEUV eine Zuständigkeit der Kommission zur Kontrolle eines Zusammenschlusses begründen kann, der keine europaweite Bedeutung hat, selbst wenn der Mitgliedstaat, der einen entsprechenden Antrag auf der Grundlage von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 gestellt hat, über eine nationale Regelung verfügt, nach der er selbst nicht befugt ist, diesen Zusammenschluss zu kontrollieren.
157 Als Zweites kann der Verweis in den Rn. 121 bis 124 des angefochtenen Urteils auf Art. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 – der die Schwellenwerte festlegt, oberhalb deren ein Zusammenschluss „gemeinschaftsweite Bedeutung“ hat und daher dem System der obligatorischen Anmeldung bei der Kommission unterliegt und in dem es heißt, dass diese Schwellenwerte „[u]nbeschadet des Artikels 4 Absatz 5 und des Artikels 22“ gelten – nicht als entscheidend angesehen werden.
158 Zwar hat das Gericht aus diesem Art. 1 zutreffend abgeleitet, dass „der [Anwendungsbereich] der Verordnung Nr. 139/2004 und folglich die Zuständigkeit der Kommission für die Prüfung von Zusammenschlüssen in erster Linie [abhängen] von der Überschreitung der Umsatzschwellen, die die europaweite Bedeutung bestimmen, und, hilfsweise, von den in Art. 4 Abs. 5 und Art. 22 der Verordnung vorgesehenen Verweisungsmechanismen, die diese Schwellenwerte ergänzen, indem sie es zulassen, dass bestimmte Zusammenschlüsse ohne europaweite Bedeutung von der Kommission geprüft werden“ (angefochtenes Urteil, Rn. 123), doch bietet diese Erwägung keinen genauen Hinweis auf die Art von Zusammenschlüssen, die die Schwellenwerte dieser Verordnung nicht erreichen und die von der Kommission nach Art. 22 dieser Verordnung kontrolliert werden können.
159 Im vorliegenden Fall steht fest, dass Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 der Kommission erlaubt, bestimmte Zusammenschlüsse zu kontrollieren, die die in Art. 1 dieser Verordnung festgelegten Schwellenwerte nicht erreichen. Diese Feststellung erlaubt es jedoch nicht, wie es die vorliegenden Rechtssachen verlangen, zu bestimmen, welche Zusammenschlüsse, die die in dieser Verordnung festgelegten Schwellenwerte nicht erreichen, von der Kommission gemäß Art. 22 dieser Verordnung kontrolliert werden können.
160 Als Drittes hat das Gericht in Rn. 129 des angefochtenen Urteils ebenfalls zu Recht entschieden, dass Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, der weder ausdrücklich verlangt, dass die nationale Wettbewerbsbehörde, die die Verweisung der Prüfung des Zusammenschlusses an die Kommission beantragt, für die Prüfung des Zusammenschlusses, der Gegenstand der Verweisung ist, zuständig ist, noch, dass der Zusammenschluss angemeldet ist, nicht im Licht der Verweisungsmechanismen nach Art. 4 Abs. 4 und Art. 9 der Verordnung ausgelegt werden kann. Diese Bestimmungen sind ebenfalls nicht geeignet, den von der Kommission in den vorliegenden Rechtssachen vertretenen Standpunkt zu stützen.
161 Was als Viertes das Zusammenspiel von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 und den anderen Bestimmungen dieses Artikels betrifft, das in den Rn. 130 bis 137 des angefochtenen Urteils geprüft worden ist, hat das Gericht sieben Gesichtspunkte berücksichtigt.
162 Erstens hat das Gericht in Rn. 130 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass dem Wortlaut von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung nicht entnommen werden könne, dass dieser Artikel auf Mitgliedstaaten, die über eine eigene Fusionskontrollregelung verfügten, nur dann anwendbar sei, wenn die fraglichen Zusammenschlüsse unter diese Regelung fielen.
163 Wie der Generalanwalt in Nr. 124 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bedeutet der Wortlaut von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004, wonach der Verweisungsantrag innerhalb von 15 Arbeitstagen, nachdem der Zusammenschluss bei dem betreffenden Mitgliedstaat „angemeldet“ oder, falls eine Anmeldung nicht erforderlich ist, ihm anderweitig „zur Kenntnis gebracht worden“ ist, gestellt werden muss, nicht, dass Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung Fälle regelt, in denen die Zusammenschlüsse nicht angemeldet, sondern dem betreffenden Mitgliedstaat lediglich zur Kenntnis gebracht werden, entweder weil sie nicht in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallen oder weil es an einer solchen Regelung fehlt.
164 Die Verwendung des Ausdrucks „zur Kenntnis gebracht“ in dieser Bestimmung war nämlich notwendig, gerade um es den Mitgliedstaaten, die nicht über eine nationale Fusionskontrollregelung verfügen, zu ermöglichen, bei der Kommission die Kontrolle von Zusammenschlüssen zu beantragen, die sich in ihrem Hoheitsgebiet negativ auswirken können, wenn diese Zusammenschlüsse auch den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
165 Darüber hinaus berücksichtigt die in Rn. 162 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Schlussfolgerung des Gerichts nicht die Situation, in der Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004 anwendbar wäre, in der ein Mitgliedstaat über eine nationale Fusionskontrollregelung verfügt, die in den Anwendungsbereich dieser Regelung fallenden Zusammenschlüsse aber – wie es beim Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland der Fall war – keiner Anmeldepflicht unterwirft.
166 Zweitens hat das Gericht in Rn. 131 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass sich Illumina und Grail nicht darauf berufen könnten, dass Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 bestimme, dass „[d]ie Kommission … die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und die beteiligten Unternehmen unverzüglich von einem nach Absatz 1 [dieses Artikels] gestellten [Verweisungsantrag unterrichtet]“, da die Bezugnahme auf die „zuständigen Behörden“ nur sicherstellen solle, dass die Kommission die allgemein für Fusionskontrollverfahren zuständigen nationalen Behörden von einem Verweisungsantrag in Kenntnis setze.
167 Dieser Beurteilung ist zuzustimmen, da diese allgemeine Bezugnahme für sich genommen nicht schlüssig erscheint, um die Bedeutung und Tragweite von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 zu bestimmen.
168 Drittens hat das Gericht in Rn. 132 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 139/2004, der bestimmt, dass „[j]eder andere Mitgliedstaat … sich dem ersten [Verweisungsantrag] anschließen [kann]“, „mit seinem Abs. 1 in Einklang steht und bestätigt, dass jeder Mitgliedstaat unabhängig von der Reichweite seiner nationalen Fusionskontrollregelung nach diesem Artikel einen Antrag auf Verweisung oder auf Anschließung stellen kann“. Diese Beurteilung findet jedoch im Wortlaut dieses Artikels keine Stütze.
169 Viertens hat das Gericht in Rn. 133 des angefochtenen Urteils entschieden, dass der Umstand, dass gemäß Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 139/2004 „[a]lle einzelstaatlichen Fristen, die den Zusammenschluss betreffen, … gehemmt werden“, entgegen den Ausführungen von Grail lediglich bedeute, dass, falls eine solche Frist laufe, sie gehemmt werde. Diese Bestimmung liefert jedoch keinerlei Hinweis, sei es zur Stützung der Rechtsmittelführerinnen oder zur Stützung der Kommission, zur genauen Bestimmung der Zusammenschlüsse, die Gegenstand einer Verweisung an die Kommission nach diesem Artikel sein können.
170 Fünftens hat das Gericht in Rn. 134 des angefochtenen Urteils zur Bezugnahme auf Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 139/2004, wonach „[d]as innerstaatliche Wettbewerbsrecht des bzw. der Mitgliedstaaten, die den Antrag gestellt haben, … auf den Zusammenschluss nicht mehr Anwendung [findet]“, fehlerfrei festgestellt, dass diese Bestimmung das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen nicht stützt, da diese Bestimmung mit der Bezugnahme auf das „innerstaatliche Wettbewerbsrecht“ nicht nur auf die nationale Fusionskontrollregelung verweist, sondern auch auf die nationalen Vorschriften über wettbewerbswidrige Vereinbarungen und den Missbrauch einer beherrschenden Stellung. Allerdings stützt diese Feststellung auch nicht die von der Kommission vertretene Auffassung.
171 Sechstens hat das Gericht in den Rn. 135 und 136 des angefochtenen Urteils Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 geprüft, wonach Art. 2, Art. 4 Abs. 2 und 3 sowie die Art. 5, 6 und 8 bis 21 dieser Verordnung Anwendung finden, wenn die Kommission einen Zusammenschluss prüft, der Gegenstand einer Verweisung ist, und wonach Art. 7 dieser Verordnung Anwendung findet, „soweit der Zusammenschluss zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission den beteiligten Unternehmen mitteilt, dass ein Antrag eingegangen ist, noch nicht vollzogen worden ist“. Die Kommission hat aus dem Wortlaut von Art. 7 abgeleitet, dass die darin vorgesehene Verpflichtung zum Aufschub sowohl für Situationen gelte, in denen der Zusammenschluss, dessen Verweisung beantragt werde, nicht in den Anwendungsbereich einer nationalen Fusionskontrollregelung falle, als auch für Fälle, in denen eine solche Regelung anwendbar sei, aber keinen Aufschub dieses Zusammenschlusses vorsehe.
172 Zwar hat das Gericht zu Recht festgestellt, dass die in Art. 7 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehene Verpflichtung zum Aufschub für alle Zusammenschlüsse gilt, deren Verweisung bei der Kommission beantragt wurde, um die Wirksamkeit des durch diese Verordnung eingeführten Kontrollsystems zu gewährleisten und um zu verhindern, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, bevor entschieden wird, ob die Kommission die Sache prüft, doch stützt der Wortlaut von Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 1 dieser Verordnung nicht die von der Kommission in den vorliegenden Rechtssachen vertretene Auslegung.
173 Siebtens hat das Gericht in Rn. 137 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass nach Art. 22 Abs. 5 der Verordnung Nr. 139/2004 „[d]ie Kommission … einem oder mehreren Mitgliedstaaten mitteilen [kann], dass ein Zusammenschluss nach ihrem Dafürhalten die Kriterien des Absatzes 1 [dieses Artikels] erfüllt“. Da die Formulierung sich nur auf diese Kriterien beziehe, verlange diese Bestimmung nicht, dass der Zusammenschluss, dessen Verweisung beantragt worden sei, unter eine nationale Fusionskontrollregelung falle.
174 Diese Bestimmung sieht jedoch lediglich vor, dass die Kommission den Mitgliedstaaten einen Zusammenschluss mitteilen und sie auffordern kann, einen Antrag nach Art. 22 Abs. 1 dieser Verordnung zu stellen. Da diese Bestimmung auf Art. 22 Abs. 1 der Verordnung verweist und in Rn. 128 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, dass der Wortlaut der letztgenannten Bestimmung weder die von der Kommission vertretene noch die von Illumina und Grail vertretene Auslegung stützt, ist für Art. 22 Abs. 5 dasselbe festzustellen.
175 Aus alledem ergibt sich, dass die Gesichtspunkte, die das Gericht in seiner systematischen Auslegung geprüft hat, zwar nicht notwendigerweise den von den Rechtsmittelführerinnen vertretenen Standpunkt stützen, dass sie aber auch nicht schlüssig sind, um zu bestimmen, ob die Kommission für den Erlass der streitigen Beschlüsse zuständig war.
176 Es ist darüber hinaus zu prüfen, ob das Gericht, wie die Rechtsmittelführerinnen geltend machen, andere Gesichtspunkte der Systematik außer Acht gelassen hat, die geeignet sind, seine Auslegung zu widerlegen.
– Zu den anderen möglicherweise relevanten Gesichtspunkten der Systematik
177 Was erstens Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 139/2004 betrifft, der einen anderen Verweisungsmechanismus vorsieht, der es den Parteien eines Zusammenschlusses, der keine europaweite Bedeutung hat und nach dem Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnte, ermöglicht, die Prüfung dieses Zusammenschlusses durch die Kommission zu beantragen, hat das Gericht zwar in Rn. 126 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt, dass sich diese Bestimmung und Art. 22 der Verordnung hinsichtlich ihrer Anwendungsvoraussetzungen und ihrer jeweiligen Ziele erheblich unterschieden.
178 Anders als bei Zusammenschlüssen, die ursprünglich keine europaweite Bedeutung haben, aber unter den Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 5 der Verordnung Nr. 139/2004 eine solche Bedeutung erlangen können, wird jedoch bei den von der Kommission auf der Grundlage von Art. 22 dieser Verordnung geprüften Zusammenschlüssen nicht davon ausgegangen, dass sie europaweite Bedeutung haben. Im Einklang mit dieser Feststellung haben nur der oder die Mitgliedstaaten, die einen Antrag nach Art. 22 dieser Verordnung gestellt haben, gemäß Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung die Möglichkeit, ihr innerstaatliches Wettbewerbsrecht auf den in Rede stehenden Zusammenschluss anzuwenden.
179 Im Rahmen dieses Mechanismus tritt bei einem Antrag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, die über eine nationale Ex-ante-Fusionskontrollregelung verfügen, die Prüfung des fraglichen Zusammenschlusses durch die Kommission an die Stelle derjenigen, die gegebenenfalls in diesem oder diesen Mitgliedstaaten durchgeführt worden wäre, wobei diese Ersetzung eine etwaige Prüfung dieses Zusammenschlusses in anderen Mitgliedstaaten unberührt lässt. Dagegen bedeutet im Rahmen des in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Verweisungsmechanismus der Umstand, dass bei dem in Rede stehenden Zusammenschluss davon ausgegangen wird, dass er europaweite Bedeutung hat, und er gemäß den Abs. 1 und 2 dieses Artikels bei der Kommission anzumelden ist, dass kein Mitgliedstaat sein innerstaatliches Wettbewerbsrecht auf diesen Zusammenschluss anwendet.
180 Dieser Unterschied spricht aber für die von Illumina und Grail vertretene Auslegung von Art. 22 dieser Verordnung. Bei einem Verweisungsantrag eines Mitgliedstaats, der über eine nationale Ex-ante-Fusionskontrollregelung verfügt, beruht nämlich die Zuständigkeit, die diese Bestimmung der Kommission für die Prüfung des fraglichen Zusammenschlusses verleiht, auf der Zweckmäßigkeit, dass diese an die Stelle einer oder mehrerer nationaler Behörden tritt, auch wenn der Zusammenschluss keine europaweite Bedeutung hat. Eine solche Ersetzung setzt jedoch voraus, dass, wenn der ersuchende Mitgliedstaat über eine solche Regelung verfügt, die Zuständigkeit der innerhalb dieses Mitgliedstaats für die Ex-ante-Fusionskontrolle zuständigen Behörde durch diese Regelung nicht ausgeschlossen wird, insbesondere weil der fragliche Zusammenschluss unterhalb der in der Regelung festgelegten Schwellenwerte für die Kontrolle liegt.
181 Zweitens hat das Gericht in Bezug auf die Bestimmungen von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 in Rn. 138 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass sie keinen relevanten Hinweis enthielten, durch den der Inhalt ihres Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 genauer bestimmt werden könnte.
182 Diese Erwägung lässt jedoch eine der Anwendungsvoraussetzungen der letztgenannten Bestimmung außer Acht, wonach erforderlich ist, dass der fragliche Zusammenschluss den Wettbewerb „im Hoheitsgebiet des beziehungsweise der … Mitgliedstaaten“, die die Verweisung dieses Zusammenschlusses beantragen, erheblich zu beeinträchtigen droht. Diese Voraussetzung zeigt nämlich, dass der Verweisungsmechanismus nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 die Kontrolle von Zusammenschlüssen ermöglichen soll, die geeignet sind, den Wettbewerb in einem Mitgliedstaat zu verfälschen, der entweder nicht über eine nationale Fusionskontrollregelung verfügt oder der Ansicht ist, dass diese Kontrolle von der Kommission in Anbetracht der bei der Änderung der Verordnung Nr. 4064/89 durch die Verordnung Nr. 1310/97 klar zum Ausdruck gebrachten und durch den Erlass der Verordnung Nr. 139/2004 bekräftigten Notwendigkeit auszuüben ist, den Grundsatz der „einzigen Anlaufstelle“ auszuweiten, um zur Vermeidung mehrfacher Anmeldungen auf nationaler Ebene die Prüfung eines in mehreren Mitgliedstaaten angemeldeten oder anzumeldenden Zusammenschlusses durch die Kommission zu ermöglichen.
183 Was drittens die sonstigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 139/2004 betrifft, hat das Gericht zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass die Verordnung Nr. 139/2004 wie die Verordnung Nr. 4064/89 ein vereinfachtes Verfahren zur Änderung der Schwellenwerte vorsieht, die den Anwendungsbereich dieser Verordnungen definieren. So erlaubt Art. 1 Abs. 4 und 5 der Verordnung Nr. 139/2004 dem Rat, auf Vorschlag der Kommission die Schwellen und Kriterien, die gemäß diesem Artikel den Anwendungsbereich der Verordnung definieren, „auf der Grundlage statistischer Angaben, die die Mitgliedstaaten regelmäßig übermitteln können“, und im Anschluss an einen Bericht, der dem Rat vor dem 1. Juli 2009 erstattet wird, zu ändern.
184 Der Unionsgesetzgeber hat somit in der Verordnung Nr. 139/2004 ausdrücklich die Möglichkeit einer schnellen Anpassung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung vorgesehen, wenn die angewandten Zuständigkeitskriterien aufgrund der Marktentwicklung nicht mehr geeignet sind, Zusammenschlüsse mit potenziell schädlichen Auswirkungen zu erfassen.
– Schlussfolgerung zur systematischen Auslegung
185 Nach alledem hat das Gericht in Rn. 139 des angefochtenen Urteils zu Unrecht entschieden, dass sich aus der systematischen Auslegung ergebe, dass ein Antrag auf Verweisung nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 unabhängig von dem Bestehen oder der Reichweite einer nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung gestellt werden könne.
Zur teleologischen Auslegung
186 Sowohl Illumina als auch Grail rügen die Ausführungen des Gerichts zum Ziel der Verordnung Nr. 139/2004 und ihres Art. 22. So sei das Gericht, um der Kommission eine Befugnis zuzuerkennen, zu Unrecht davon ausgegangen, dass diese Verordnung „Korrektive“ vorsehe, um inhärente Kontrollmängel einer hauptsächlich auf Umsatzschwellen gestützten Regelung zu schließen, und es habe diese Mechanismen zu weit ausgelegt. In Wirklichkeit sei diese Verordnung konzipiert worden, um ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit zu gewährleisten und, wie es im 14. Erwägungsgrund der Verordnung heiße, um sicherzustellen, dass Zusammenschlüsse von der am besten geeigneten Behörde behandelt würden.
187 Hierzu ist festzustellen, dass sich das Gericht in den Rn. 140 bis 151 des angefochtenen Urteils bei seiner teleologischen Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 im Wesentlichen auf den Wortlaut der Erwägungsgründe dieser Verordnung bezogen hat.
188 Insbesondere hat es in den Rn. 140 bis 144 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Erwägungsgründe 5, 6, 8, 24 und 25 der Verordnung Nr. 139/2004 darauf hindeuteten, dass das Ziel dieser Verordnung darin bestehe, eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse mit erheblichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Union zu ermöglichen. Das Gericht befand insoweit, dass es im elften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 139/2004 heiße, dass die Verweisungsverfahren ein „Korrektiv“ darstellten, was zeige, dass sie „eine subsidiäre Zuständigkeit der Kommission [schaffen], die ihr die nötige Flexibilität verleiht, um das Ziel dieser Verordnung zu erreichen“.
189 Außerdem hat das Gericht in den Rn. 145 bis 147 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass die Erwägungsgründe 15 und 16 der Verordnung Nr. 139/2004 die Feststellung bestätigten, dass sich die Anwendungsvoraussetzungen von Art. 22 dieser Verordnung von denen der anderen Verweisungsmechanismen grundlegend unterschieden, und zwar insbesondere von den in Art. 4 Abs. 5 dieser Verordnung vorgesehenen, der ausdrücklich verlange, dass der an die Kommission verwiesene Zusammenschluss „nach dem innerstaatlichen Wettbewerbsrecht mindestens dreier Mitgliedstaaten geprüft werden könnte“.
190 Aufgrund dieser Erwägungen hat das Gericht in Rn. 148 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die teleologische Auslegung bestätige, dass ein Verweisungsantrag nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 unabhängig von der Reichweite einer nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung gestellt werden könne.
191 Diese Schlussfolgerung ist in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.
192 Erstens hat das Gericht zu Unrecht festgestellt, dass dieser Artikel, wie sich aus dem elften Erwägungsgrund dieser Verordnung ergeben soll, als „Korrektiv“ anzusehen sei, der Mängel des Fusionskontrollsystems beheben solle, indem eine Kontrolle von Zusammenschlüssen zugelassen werde, die weder die Schwellenwerte der Union noch die nationalen Schwellenwerte erreichten. Wie sich aus der Begründung der Verordnung Nr. 139/2004 ergibt und wie der Generalanwalt in Nr. 179 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, bezieht sich dieser elfte Erwägungsgrund auf einen Mechanismus, der eine Korrektivfunktion im Hinblick auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden hat, unter Berücksichtigung des Erfordernisses der Rechtssicherheit für die betreffenden Unternehmen und des Grundsatzes der einzigen Anlaufstelle.
193 Hierzu ist festzustellen, dass dieser Erwägungsgrund 11 nicht in der Verordnung Nr. 4064/89 enthalten war, sondern dass er in die Begründung der Verordnung Nr. 139/2004 nur aufgenommen wurde, um den Bedenken Rechnung zu tragen, die sich aus der seit dem Jahr 1997 anerkannten Möglichkeit von Mehrfachanmeldungen ergaben. Er lässt daher nicht den Schluss zu, dass der Verweisungsmechanismus nach Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 darauf abzielt, eine Lücke im System der Fusionskontrolle zu schließen, die auf einem Grundsatz der klaren Verteilung der Zuständigkeiten der Kommission und der nationalen Wettbewerbsbehörden beruht, indem er der Kommission erlaubt, Zusammenschlüsse zu prüfen, die sowohl unter den auf Unionsebene als auch unter den auf nationaler Ebene festgelegten Schwellenwerten liegen.
194 Auch die Tatsache, dass in einigen Erwägungsgründen dieser Verordnung, insbesondere in ihren Erwägungsgründen 6 und 24, von einer wirksamen Kontrolle „sämtlicher Zusammenschlüsse“ die Rede ist, spricht nicht für den von der Kommission vertretenen Standpunkt, da sich diese Formulierung nur auf Zusammenschlüsse von europaweiter Bedeutung bezieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2020, Marine Harvest/Kommission, C-10/18 P, EU:C:2020:149, Rn. 108 und die dort angeführte Rechtsprechung), um die es in den vorliegenden Rechtssachen nicht geht.
195 Insoweit ist hervorzuheben, dass der Hinweis auf „sämtliche“ bzw. „alle“ Zusammenschlüsse in diesen Erwägungsgründen, der bereits in den Erwägungsgründen 6 und 7 der Verordnung Nr. 4064/89 enthalten war, dem Wunsch des Unionsgesetzgebers entspricht, klarzustellen, dass die Verordnung Nr. 139/2004 das einzige Verfahrensinstrument für die zentralisierte Vorabprüfung von Zusammenschlüssen ist, das, wie es in deren sechstem Erwägungsgrund heißt, eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur ermöglichen soll. Nach dem mit dieser Verordnung eingeführten System der „einzigen Anlaufstelle“ stellt die Verordnung nämlich ein besonderes Verfahrensinstrument dar, das, wie sich aus dem achten Erwägungsgrund der Verordnung ergibt, ausschließlich für Unternehmenszusammenschlüsse mit bedeutsamen Strukturveränderungen gelten soll, deren Auswirkungen auf den Markt die Grenzen eines Mitgliedstaats überschreiten (Urteil vom 16. März 2023, Towercast, C-449/21, EU:C:2023:207, Rn. 36 und 37 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
196 Zweitens hat das Gericht in den Rn. 147 und 148 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, dass die Erwägungsgründe 15 und 16 der Verordnung Nr. 139/2004 die Auslegung bestätigten, wonach ein Antrag nach Art. 22 dieser Verordnung unabhängig von der Reichweite einer nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung gestellt werden könne.
197 Im 15. Erwägungsgrund dieser Verordnung, der sich auf alle Verweisungsmechanismen bezieht, heißt es nämlich, dass die Kommission die Befugnis erhält, einen Zusammenschluss „für“ einen antragstellenden Mitgliedstaat oder mehrere antragstellende Mitgliedstaaten zu prüfen und zu behandeln. Die Formulierung dieses Erwägungsgrundes lässt sich schwerlich mit der von der Kommission vertretenen und vom Gericht festgestellten Auslegung vereinbaren, wonach dieser Artikel der Kommission die Befugnis verleiht, bestimmte Zusammenschlüsse zu kontrollieren, die den Wettbewerb im „Binnenmarkt“ im allgemeinen Sinne beeinträchtigen, ungeachtet der in Rn. 182 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzung, wonach erforderlich ist, dass der Zusammenschluss, dessen Verweisung beantragt wird, den Wettbewerb „im Hoheitsgebiet des beziehungsweise der … Mitgliedstaaten“, die diesen Antrag stellen, erheblich zu beeinträchtigen droht.
198 Außerdem ist hervorzuheben, dass der 15. Erwägungsgrund auf „[w]eitere Mitgliedstaaten, die für die Prüfung des Zusammenschlusses ebenfalls zuständig sind“, Bezug nimmt. Eine solche Bezugnahme ist aber nur sinnvoll, wenn die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats für die Kontrolle eines Zusammenschlusses eine Vorbedingung dafür ist, dass dieser Mitgliedstaat die Verweisung dieses Zusammenschlusses an die Kommission beantragen oder sich einem solchen Antrag anschließen kann.
199 Drittens ergibt sich sowohl aus der historischen als auch aus der systematischen Auslegung der Verordnung Nr. 139/2004, dass mit dem nunmehr in Art. 22 dieser Verordnung vorgesehenen Verweisungsmechanismus nur zwei Hauptziele verfolgt werden. Das erste Ziel, das der Einführung des damals als „niederländische Klausel“ bezeichneten Verweisungsmechanismus in die Verordnung Nr. 4064/89 zugrunde lag, bestand darin, die Kontrolle von Zusammenschlüssen zu ermöglichen, die den Wettbewerb auf lokaler Ebene verfälschen könnten, wenn der betreffende Mitgliedstaat nicht über eine nationale Fusionskontrollregelung verfügt. Das zweite Ziel, das mit der Änderung der Verordnung Nr. 4064/89 durch die Verordnung Nr. 1310/97 eingeführt und dann durch den Erlass der Verordnung Nr. 139/2004 bekräftigt wurde, besteht, wie in den Rn. 192 und 193 des vorliegenden Urteils ausgeführt, darin, den Grundsatz der „einzigen Anlaufstelle“ auszuweiten, um zur Vermeidung mehrfacher Anmeldungen auf nationaler Ebene die Prüfung eines in mehreren Mitgliedstaaten angemeldeten oder anzumeldenden Zusammenschlusses durch die Kommission zu ermöglichen und somit die Rechtssicherheit für Unternehmen zu erhöhen.
200 Dagegen ist nicht nachgewiesen worden, dass dieser Mechanismus dazu bestimmt war, die inhärenten Kontrollmängel einer hauptsächlich auf Umsatzschwellen gestützten Regelung zu beseitigen, die definitionsgemäß nicht alle potenziell problematischen Zusammenschlüsse erfassen kann.
201 Nach alledem hat das Gericht aus den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 139/2004 zu Unrecht geschlossen, dass deren Art. 22 ein „Korrektiv“ darstelle, das auf eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse mit erheblichen Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Union abziele.
202 Diese Auslegung ist im Übrigen mit einer Reihe von Zielen unvereinbar, die mit der Verordnung Nr. 139/2004 als Ganzes verfolgt werden sollen.
203 In systemischer Hinsicht lässt sich den Erwägungsgründen der Verordnung Nr. 139/2004 entnehmen, dass mit ihr zwar „ein besonderes Rechtsinstrument …, das eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur … ermöglicht“ (sechster Erwägungsgrund), eingeführt werden soll, sie aber auch darauf abzielt, ein wirksames und vorhersehbares Kontrollsystem zu schaffen, das dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit Rechnung trägt und auf dem Prinzip der „einzigen Anlaufstelle“ beruht (Erwägungsgründe 8 und 11). Dieses System beruht sowohl auf einer klaren Aufteilung der der Kommission und den Mitgliedstaaten jeweils übertragenen Aufgaben als auch auf einer genauen Definition der Voraussetzungen für die Anmeldung und den Aufschub, die für die Parteien eines Zusammenschlusses gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Cementbouw Handel & Industrie/Kommission, C-202/06 P, EU:C:2007:814, Rn. 35 bis 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
204 Zu diesem Zweck enthält die Verordnung Nr. 139/2004 ebenso wie die ursprüngliche Fusionskontrollverordnung Nr. 4064/89 Bestimmungen, deren Ziel aus Gründen der Rechtssicherheit und im Interesse der betroffenen Unternehmen darin besteht, die Dauer der Verfahren der Überprüfung von Zusammenschlüssen, zu denen die Kommission verpflichtet ist, zu begrenzen. Insoweit wollte der Gesetzgeber eine Kontrolle von Zusammenschlüssen innerhalb von Fristen sicherstellen, die sowohl mit den Erfordernissen einer ordnungsgemäßen Verwaltung als auch mit denen des Geschäftslebens vereinbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Juni 2004, Portugal/Kommission, C-42/01, EU:C:2004:379, Rn. 51 und 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
205 Die von der Kommission befürwortete Auslegung von Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004, wie sie vom Gericht bestätigt wurde, ist jedoch geeignet, das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen mit dieser Verordnung verfolgten Zielen zu stören.
206 Insbesondere beeinträchtigt diese Auslegung die Wirksamkeit, die Vorhersehbarkeit und die Rechtssicherheit, die den Parteien eines Zusammenschlusses garantiert werden müssen.
207 Mit der Verordnung Nr. 139/2004 soll zwar tatsächlich ein System der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen geschaffen werden, die möglicherweise wettbewerbsschädlich sind, sie soll aber gleichzeitig zum einen eine klare Zuständigkeitsverteilung zwischen der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden und zum anderen ein wirksames und vorhersehbares System der Ex-ante-Kontrolle für die beteiligten Unternehmen schaffen. Sämtliche Bestimmungen dieser Verordnung und insbesondere der in ihrem Art. 22 vorgesehene Verweisungsmechanismus sind unter Berücksichtigung aller dieser Ziele und ihrer Abwägung zu betrachten.
208 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach der Systematik der auf Unionsebene nacheinander in Betracht gezogenen Regelungen zur Ex-ante-Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen die Schwellenwerte, die festgelegt werden, um zu bestimmen, ob ein Zusammenschluss anzumelden ist oder nicht, von grundlegender Bedeutung sind. Die Unternehmen, die potenziell Anmelde- und Aufschubpflichten unterliegen, müssen nämlich leicht feststellen können, ob ihr geplanter Zusammenschluss einer vorherigen Prüfung zu unterziehen ist und, wenn ja, von welcher Behörde und zu welchem Zeitpunkt eine Entscheidung dieser Behörde über diesen Zusammenschluss erwartet werden kann.
209 Die Bestimmung der Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden anhand von Umsatzkriterien ist ein wichtiger Garant für Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit für die betroffenen Unternehmen, die leicht und schnell erkennen können müssen, an welche Behörde sie sich wenden müssen und in welcher Frist und Form sie sich, insbesondere in Bezug auf Sprache und Inhalt der verlangten Informationen, an diese wenden müssen, wenn sie sich an einem Zusammenschluss beteiligen.
210 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 206 bis 213 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausführt, wäre zum einen eine informelle Anmeldung eines Zusammenschlusses bei jeder der nationalen Wettbewerbsbehörden in den Mitgliedstaaten und den anderen Vertragsstaaten des EWR-Abkommens, wie sie von der Kommission vorgeschlagen wurde, mit dem mit der Verordnung Nr. 139/2004 verfolgten Ziel der Effizienz unvereinbar. Zum anderen wäre es, wenn die von der Kommission in Betracht gezogene Auslegung von Art. 22 dieser Verordnung bestätigt würde, besonders schwierig, die Verfahrensanforderungen festzulegen, denen die Unternehmen unterliegen würden, was nicht mit dem Ziel dieser Verordnung vereinbar wäre, dem Bedürfnis der Unternehmen nach Rechtssicherheit Rechnung zu tragen.
211 Viertens kann die Notwendigkeit, eine wirksame Kontrolle über sämtliche Zusammenschlüsse zu ermöglichen, die erhebliche Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur in der Union haben, jedenfalls nicht zu einer Ausdehnung der Tragweite der Verordnung Nr. 139/2004 führen.
212 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Union seit dem Erlass der Verordnung Nr. 4064/89, an deren Stelle die Verordnung Nr. 139/2004 getreten ist, über besondere Vorschriften für Zusammenschlüsse verfügt, die geeignet sind, einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben erheblich zu beeinträchtigen.
213 Diese Verordnungen, die auf die Art. 103 und 352 AEUV (früher Art. 83 und 308 EG) gestützt sind, sehen genauer gesagt eine auf einem System der obligatorischen Anmeldung beruhende Ex-ante-Kontrolle aller Zusammenschlüsse vor, die die vorgesehenen Schwellenwerte überschreiten. Diese Verordnungen gehören somit zu einer Gesamtheit von Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung der Art. 101 und 102 AEUV und zur Errichtung eines Kontrollsystems dienen, das gewährleistet, dass der Wettbewerb im Binnenmarkt der Union nicht verfälscht wird (Urteil vom 7. September 2017, Austria Asphalt, C-248/16, EU:C:2017:643, Rn. 31).
214 Wie der Gerichtshof jedoch entschieden hat, verwehrt Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 es nicht, dass ein Unternehmenszusammenschluss, der nicht von europaweiter Bedeutung im Sinne von Art. 1 dieser Verordnung ist und unterhalb der vom nationalen Recht vorgesehenen Schwellen für eine verpflichtende Ex-ante-Kontrolle liegt, in Anbetracht der Struktur des Wettbewerbs auf einem nationalen Markt von einer Wettbewerbsbehörde eines Mitgliedstaats als beispielsweise ein von Art. 102 AEUV verbotener Missbrauch einer beherrschenden Stellung beurteilt wird. Die Verordnung Nr. 139/2004 kann nicht dem entgegenstehen, dass ein Zusammenschluss von nicht europaweiter Bedeutung wie der in Rede stehende von den nationalen Wettbewerbsbehörden und Gerichten aufgrund der unmittelbaren Wirkung von Art. 102 AEUV unter Rückgriff auf ihre eigenen Verfahrensvorschriften überprüft werden kann (Urteil vom 16. März 2023, Towercast, C-449/21, EU:C:2023:207, Rn. 50 und 53).
215 Fünftens und letztens verstößt, wie der Generalanwalt in den Nrn. 216 und 218 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die vom Gericht vorgenommene weite Auslegung von Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004, die möglicherweise zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs dieser Verordnung und der Kontrollbefugnis der Kommission in Bezug auf Zusammenschlüsse führt, gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts, der für den sich aus Art. 13 Abs. 2 EUV ergebenden organisatorischen Aufbau der Union kennzeichnend ist und gebietet, dass jedes Organ seine Befugnisse unter Beachtung der Befugnisse der anderen Organe ausübt (Urteil vom 9. April 2024, Kommission/Rat [Unterzeichnung internationaler Übereinkünfte], C-551/21, EU:C:2024:281, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).
216 Wie in Rn. 183 des vorliegenden Urteils ausgeführt, wurde ein besonderes Gesetzgebungsverfahren zur Überprüfung der Schwellenwerte vorgesehen, die den Anwendungsbereich dieser Verordnung definieren. Selbst wenn sich die Wirksamkeit der in der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Umsatzschwellen für die Zuständigkeit als unzureichend erweisen sollte, um bestimmte Zusammenschlüsse, die erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb haben können, zu kontrollieren, ist es daher allein Sache des Unionsgesetzgebers, diese zu überprüfen oder einen Schutzmechanismus vorzusehen, der es der Kommission ermöglicht, einen solchen Zusammenschluss zu kontrollieren.
217 Selbst unter der Annahme, dass die auf bestimmten Märkten beobachteten Entwicklungen, die insbesondere innovative Unternehmen betreffen, die eine wichtige Wettbewerbsrolle spielen oder spielen können, obwohl sie zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses wenig oder gar keinen Umsatz generieren, eine Ausweitung des Bereichs der eine Ex-ante-Prüfung erfordernden Zusammenschlüsse rechtfertigen, steht es im Übrigen den Mitgliedstaaten frei, ihre eigenen, auf dem Umsatz beruhenden Zuständigkeitsschwellen, die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen sind, herabzusetzen.
218 Nach alledem hat das Gericht Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 139/2004 rechtsfehlerhaft ausgelegt, indem es entschieden hat, dass die Mitgliedstaaten unter den dort genannten Voraussetzungen einen Antrag nach dieser Bestimmung unabhängig von der Reichweite ihrer nationalen Ex-ante-Fusionskontrollregelung stellen könnten. Das Gericht hat daher zu Unrecht entschieden, dass die Kommission mit den streitigen Beschlüssen dem Verweisungsantrag und den Anträgen auf Anschließung gemäß Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 zu Recht stattgegeben hat.
219 Da der Rechtsmittelgrund begründet ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, ohne dass die übrigen Rechtsmittelgründe geprüft zu werden brauchten.
Zur Klage vor dem Gericht
220 Nach Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof im Fall einer Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn er zur Entscheidung reif ist.
221 Dies ist hier der Fall, da die Gründe der Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Beschlüsse und des Informationsschreibens vor dem Gericht streitig erörtert wurden und ihre Prüfung keine weitere prozessleitende Maßnahme oder Beweisaufnahme erfordert.
222 Insoweit genügt es, festzustellen, dass die streitigen Beschlüsse aus den in den Rn. 121 bis 218 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen für nichtig zu erklären sind, da sich die Kommission für die Prüfung des in Rede stehenden Zusammenschlusses nicht auf Art. 22 der Verordnung Nr. 139/2004 stützen konnte. Die Kommission hat nämlich die Verordnung Nr. 139/2004 fehlerhaft ausgelegt, indem sie in diesen Beschlüssen davon ausgegangen ist, sie könne einem Verweisungsantrag nach Art. 22 der Verordnung in einem Fall stattgeben, in dem die antragstellenden Mitgliedstaaten nach ihren nationalen Fusionskontrollregelungen nicht ermächtigt sind, den Zusammenschluss, auf den sich der Antrag bezieht, zu prüfen.
223 Die Anträge auf Nichtigerklärung des Verweisungsantrags und des Informationsschreibens sind hingegen zurückzuweisen.
224 Zum einen ist das Informationsschreiben, das nicht den endgültigen Standpunkt der Kommission zur Prüfung des in Rede stehenden Zusammenschlusses festlegt und diesen nicht endgültig der in Art. 7 der Verordnung Nr. 139/2004 vorgesehenen Aufschubpflicht unterwirft, als Zwischen- und Vorbereitungshandlung für die streitigen Beschlüsse anzusehen, gegen die keine Klage erhoben werden kann.
225 Zum anderen ist der Antrag auf Nichtigerklärung des Verweisungsantrags, da er in der Klage im ersten Rechtszug nicht gestellt worden ist, ebenfalls für unzulässig zu erklären.
Kosten
226 Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.
227 Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.
228 Da die Kommission mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen von Illumina und Grail neben ihren eigenen Kosten die Kosten aufzuerlegen, die Illumina und Grail im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren entstanden sind. Ferner sind der Kommission gemäß dem Antrag von Biocom California die Kosten aufzuerlegen, die Biocom California im Rahmen ihrer Streithilfe in der Rechtssache C-611/22 P entstanden sind.
229 Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Unionsorgane, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Gemäß dieser Bestimmung ist zu entscheiden, dass die Republik Estland, die Hellenische Republik, die Französische Republik und das Königreich der Niederlande ihre eigenen Kosten tragen.
230 Gemäß Art. 140 Abs. 2 der Verfahrensordnung, der ebenfalls nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, trägt die EFTA-Überwachungsbehörde ihre eigenen Kosten, wenn sie dem Rechtsstreit als Streithelferin beigetreten ist.
231 Folglich trägt die EFTA-Überwachungsbehörde als Streithelferin im vorliegenden Rechtsmittelverfahren ihre eigenen Kosten.