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Wirtschaftsrecht
23.09.2011
Wirtschaftsrecht
OLG Stuttgart: Zur schwebenden Unwirksamkeit einer Zwangshypothek aufgrund Rückschlagsperre

OLG Stuttgart, Beschluss vom 30.8.2011 - 8 W 310/11

Leitsätze

Ist eine zu Gunsten eines Insolvenzgläubigers im Grundbuch eingetragene Zwangshypothek mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund der Rückschlagsperre des § 88 InsO schwebend unwirksam geworden, bedarf es zur Löschung der Zwangshypothek der Löschungsbewilligung des Gläubigers gem. § 19 GBO und der Zustimmung des Eigentümers durch den Verfügungsbefugten gem. § 27 Satz 1 GBO in der Form des § 29 GBO. Der Unrichtigkeitsnachweis durch den Insolvenzverwalter gem. § 22 Abs. 1 GBO ist nicht ausreichend.

Sachverhalt

Der Antragsteller hat am 16. März 2011 die Löschung der im Betreff zu Gunsten der Gläubiger Ziff. 2-5 eingetragenen Zwangshypotheken im Nennwert von insgesamt 62.621,98 EUR beantragt - gestützt auf die Rückschlagsperre des § 88 InsO. Zum Nachweis der von ihm geltend gemachten Grundbuchunrichtigkeit hat er seine Bestallungsurkunde, den Insolvenzeröffnungsbeschluss sowie eine Bestätigung des Insolvenzgerichts über den Zeitpunkt des Eingangs des zur Insolvenzeröffnung führenden Antrags in Kopie eingereicht.

Die Gläubiger haben der Löschung widersprochen und mit Zwischenverfügung vom 5. Juli 2011 hat das Grundbuchamt dem Antragsteller aufgegeben, die Löschungsbewilligung der Gläubiger und die Zustimmung des Eigentümers zur Löschung der Hypotheken gemäß § 27 GBO sowie die Bestallungsurkunde und Bescheinigung des Amtsgerichts in der Form des § 29 GBO bis spätestens 15. August 2011 vorzulegen.

Der Insolvenzvermerk wurde am 15. März 2011 im Grundbuch von ... Nr. ... und Nr. ... eingetragen. Die Zwangshypotheken bezüglich Heft 1629 Abt. III Nr. 4, 5, 6 wurden am 18. Februar 2008, 29. September 2008 und 3. Mai 2010 eingetragen sowie bezüglich Heft 1315 Abt. III Nr. 6, 7 am 2. November 2009 und am 13. August 2010. Das Insolvenzverfahren wurde auf den am 30. Januar 2008 eingegangenen Insolvenzantrag des Finanzamts Schwäbisch Gmünd durch Beschluss des Amtsgerichts Aalen - Insolvenzgericht - am 9. März 2011 um 8:00 Uhr eröffnet und der Antragsteller zum Insolvenzverwalter bestellt (Az. 3 IN 31/08).

Am 4. August 2011 hat der Antragsteller gegen die Zwischenverfügung Beschwerde eingelegt wegen der Auflagen, die Löschungsbewilligung der Gläubiger und die Zustimmung des Eigentümers in der Form des § 29 GBO vorzulegen.

Das Grundbuchamt hat mit Beschluss vom 16. August 2011 die Beschwerde ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Im einzelnen wird verwiesen auf die Beschwerdebegründung und das weitere Vorbringen des Antragstellers und der übrigen Beteiligten sowie auf die Beschlüsse des Grundbuchamts vom 5. Juli und 16. August 2011.

Aus den Gründen

II.

1.

Das Rechtsmittel ist gem. § 71 Abs. 1 GBO statthaft. Bei einer Zwischenverfügung bildet jede einzelne Beanstandung eine Entscheidung im Sinne des § 71 GBO und kann für sich allein angefochten werden. Gegenstand der Beschwerde ist jedoch nur das vom Grundbuchamt angenommene Eintragungshindernis, nicht die Entscheidung über den Eintragungsantrag selbst (Demharter, Grundbuchordnung, 27. Aufl. 2010, § 71 GBO Rn. 34, m.w.N.).

Die Beschwerdeberechtigung und -befugnis des Insolvenzverwalters unterliegen keinem Zweifel (§ 80 Abs. 1 InsO). Im Übrigen wurde das Rechtsmittel durch Einreichung einer Beschwerdeschrift (§ 73 Abs. 2 GBO) beim Grundbuchamt gemäß § 73 Abs. 1 GBO eingelegt und ist damit zulässig.

Über die Beschwerde entscheidet gem. § 72 GBO das Oberlandesgericht.

2.

Das Rechtsmittel - beschränkt auf die Eintragungshindernisse der fehlenden Löschungsbewilligungen der Gläubiger und Zustimmung des Eigentümers - ist jedoch in der Sache nicht begründet.

Die vom Grundbuchamt in der Zwischenverfügung und dem Nichtabhilfe-/Vorlagebeschluss vertretene Rechtsauffassung ist zutreffend und deshalb nicht zu beanstanden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird Bezug genommen auf die sorgfältigen und überzeugenden Darlegungen in den Entscheidungen des Notars vom 5. Juli und 16. August 2011, denen sich der Senat anschließt.

Lediglich ergänzend wird ausgeführt:

a)

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2006, Az. IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74, sind die von der insolvenzrechtlichen Rückschlagsperre des § 88 InsO betroffenen Sicherungen eines Gläubigers gegenüber jedermann (schwebend) unwirksam. Wird infolge dessen eine Zwangshypothek unwirksam, entsteht keine Eigentümergrundschuld. Vielmehr können Gläubigersicherungen, die (schwebend) unwirksam geworden sind, ohne Neueintragung mit entsprechend geändertem Rang wirksam werden, wenn sie als Buchposition erhalten sind und die Voraussetzungen für eine Neubegründung der Sicherung im Wege der Zwangsvollstreckung bestehen. Bei Freigabe des Grundstücks durch den Insolvenzverwalter kann die durch die Rückschlagsperre unwirksam gewordene Zwangshypothek schon im Zeitpunkt der Freigabe wieder wirksam werden.

Der BGH führt in seiner Entscheidung u.a. aus:

"Die Zwangshypothek entsteht mit der Eintragung im Grundbuch (§ 867 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Wird die hoheitliche Vollstreckungsanordnung des Grundbuchamtes nach § 88 InsO unwirksam, so kann die im Grundbuch verbliebene Eintragung der Zwangshypothek nach erfolgreicher Klage gem. § 894 BGB oder aufgrund Unrichtigkeitsnachweises (§ 22 GBO) beseitigt werden. Einstweiliger Rechtsschutz ist durch Widerspruch möglich (§ 899 BGB).

Wird die Eintragung der Zwangshypothek gelöscht, ist damit auch die Vollstreckungsanordnung des Grundbuchamtes aufgehoben. Diese Anordnung kann dann, wenn der Schuldner seine Verfügungsfreiheit wieder gewonnen hat und die Vollstreckungsvoraussetzungen noch bestehen, auf Antrag des Gläubigers nur neu ergehen. Anders liegt es dagegen, wenn beim Wegfall des verfügungsbeschränkenden Vollstreckungsverbotes die unwirksame Zwangshypothek als Buchposition noch erhalten ist. Es bedarf dann keiner Löschung der Zwangshypothek mit anschließender Neueintragung. Die gem. § 88 InsO unwirksam gewordene Zwangshypothek kann vielmehr innerhalb der vorhandenen Buchposition bei Wegfall der Verfügungsbeschränkung entsprechend § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB neu entstehen. Die Nutzbarkeit der alten Buchposition hat der Bundesgerichtshof unter rechtsähnlichen Voraussetzungen bereits für die Umschreibung des Eigentums (BGH,...) und für die neu bewilligte Vormerkung bei Sicherung eines kongruenten Anspruchs (BGH,...) anerkannt. Die Möglichkeit der Konvaleszenz entsprechend § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB erfüllt für die Rückschlagsperre zugleich die verfassungsrechtliche Forderung, den durch Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Rechtsschutzanspruch des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung nur zu beschränken soweit und solange überwiegende Gründe dies zwingend erfordern (BGH,...). Für die Wirkungsdauer der Rückschlagsperre hat der Senat diesen Grundsatz in seinen Entscheidungen zu § 7 Abs. 3 Satz 1 GesO ebenfalls betont (BGH,...) Er muss auch für die Auslegung und Anwendung von § 88 InsO zur Geltung gebracht werden. Im Ergebnis zutreffend hat danach das Berufungsgericht in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senates zu § 7 Abs. 3 Satz 1 GesO angenommen, dass auch eine Vollstreckungsmaßnahme, welche unter die Rückschlagsperre des § 88 InsO fällt, nur solange unwirksam ist, als dies die Interessen der Insolvenzgläubiger verlangen, vorausgesetzt allerdings, dass mit der Eintragung des Schuldners im Grundbuch und dem Fortbestand des Titels eine Neuanordnung möglich wäre."

Ausgehend von der heftig umstrittenen Entscheidung des BGH (vgl. u.a. Keller, ZIP 2006, 1174; Demharter, Rpfleger 2006, 256; Bestelmeyer, Rpfleger 2006, 388; Böttcher, NotBZ 2007, 86) bleibt nach der Mehrheit der grundbuchrechtlichen Literatur (vgl. vorherige Zitate) eine Löschung im Wege des Unrichtigkeitsnachweises vollziehbar. Dabei stellt sich aber die Frage, ob bei dieser Form der Grundbuchberichtigung das Grundbuch in anderer Beziehung unrichtig würde, weil es nicht mehr das potentielle Wiederaufleben des gelöschten Rechts verlautbart (Bestelmeyer, a.a.O.).

Die insolvenzrechtliche Kommentarliteratur setzt sich mit den grundbuchrechtlichen Auswirkungen der vorgenannten Entscheidung des BGH nicht auseinander, sondern begnügt sich mit deren Wiedergabe (vgl. u.a. Breitenbücher in Graf-Schlicker, InsO, 2. Auflage 2010, § 88 InsO Rn. 5-8; App in Wimmer, FK-InsO, 6. Auflage 2011, § 88 InsO Rn. 20; Kroth in Braun, InsO, 4. Auflage 2010, § 88 InsO Rn. 8).

Uhlenbruck in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 88 InsO Rn. 25 und Rn. 30-31, lässt den Unrichtigkeitsnachweis nach § 22 Abs. 1 GBO ausreichen, verlangt jedoch, dem von der Rückschlagsperre betroffenen Gläubiger vor der Löschung der Grundbucheintragung rechtliches Gehör zu gewähren. Wie das Grundbuchamt zu verfahren hat im Falle des Widerspruchs der Gläubiger unter Berufung auf die vom BGH angenommene nur schwebende Unwirksamkeit - wie vorliegend -, wird nicht beantwortet. Sofern dieser keinerlei Auswirkungen haben soll, geht die Gewährung des rechtlichen Gehörs jedoch ins Leere und wäre überflüssig.

Wilsch in Hügel, Grundbuchordnung, 2. Auflage 2010, Insolvenzrecht und Grundbuchverfahren, Seite 1289, Rn. 98 ff, lässt zwar auch den Unrichtigkeitsnachweis gemäß § 22 Abs. 1 GBO ausreichen, führt aber zugleich aus:

"Ob die Möglichkeit der Konvaleszenz und die damit verbundene, mögliche Haftungsgefahr einer Grundbuchunrichtigkeit wiederum dazu führen, dass die Löschung einer der Rückschlagsperre unterliegenden Zwangshypothek nur aufgrund einer Löschungsbewilligung des Gläubigers erfolgen kann (so Bestelmeyer, Rpfleger 2006, 388; Böttcher, NotBZ 2007, 87), ist weiterhin ungeklärt und bedarf wohl der weiteren obergerichtlichen Klärung (vgl. auch Demharter, Rpfleger 2006, 257)."

Tatsächlich hat sich der BGH in der Entscheidung vom 19. Januar 2006 nicht entscheidungserheblich mit der vorstehenden grundbuchrechtlichen Problematik auseinandersetzen müssen und auseinandergesetzt. Dies gilt gleichermaßen für die nachfolgende Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (vgl. OLG München Rpfleger 2011, 80; Brandenburgisches OLG ZInsO 2010, 2097) und des BGH (vgl. Beschluss vom 19. Mai 2011, Az. IX ZB 284/09, ZIP 2011, 1372).

Lediglich der Entscheidung des OLG Köln vom 14. Juli 2010, ZIP 2010, 1763, kann entnommen werden, dass dieses den Unrichtigkeitsnachweis gemäß § 22 Abs. 1 GBO ausreichen lassen will, aber verlangt, dass den von der Rückschlagsperre betroffenen Gläubigern vor der Löschung der Grundbucheintragung rechtliches Gehör gewährt wird. Auch dieses beantwortet nicht die Frage, wie sich das Grundbuchamt verhalten soll, wenn die Gläubiger der Löschung unter Berufung auf die Entscheidung des BGH vom 19. Januar 2006 widersprechen, damit die Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht zu einer bloßen wirkungslosen Förmelei wird.

Unter Berücksichtigung der vom BGH lediglich angenommenen schwebenden Unwirksamkeit infolge der Rückschlagsperre des § 88 InsO muss die Buchposition der Gläubiger als "betroffenes Recht" im Sinne des § 19 GBO verstanden werden (vgl. hierzu: Demharter, GBO, 27. Aufl. 2010, § 19 GBO Rn. 45 und 47, m.w.N.), weswegen das Notariat zu Recht den Unrichtigkeitsnachweis des § 22 Abs. 1 GBO nicht ausreichen lässt, sondern die Vorlage der Löschungsbewilligungen der Zwangshypothekare in der Form des § 29 GBO fordert.

Allein dadurch wird die vom BGH bejahte Möglichkeit der Konvaleszenz entsprechend § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB für die Rückschlagsperre zu Gunsten aller betroffenen Zwangshypothekare unabhängig vom Verhalten des Insolvenzverwalters gewährleistet zur Erfüllung der verfassungsrechtlichen Forderung, den durch Art. 14 Abs. 1 GG erfassten Rechtsschutzanspruch der Gläubiger in der Zwangsvollstreckung nur zu beschränken, soweit und solange überwiegende Gründe dies zwingend erfordern. Eine Sicherung, die unter die Rückschlagsperre des § 88 InsO fällt, ist aber nur solange unwirksam, als dies die Interessen der Insolvenzgläubiger verlangen, vorausgesetzt allerdings, dass mit der Eintragung des Schuldners im Grundbuch und dem Fortbestand des Titels eine Neuanordnung möglich wäre.

Diese Überlegungen des BGH können nach der Überzeugung des Senats nur dazu führen, vom Erfordernis der Vorlage von Löschungsbewilligungen der betroffenen Zwangshypothekare auszugehen.

Auch das OLG Düsseldorf hat sich bei einer Vormerkung wegen der Möglichkeit von deren "Neuaufladung" am 2. März 2011, Az. 3 Wx 266/10, NotBZ 2011, 231 (m.w.N.), auf den Standpunkt gestellt, dass der Nachweis des Wegfalls des ursprünglich gesicherten Anspruchs nicht ausreicht, sondern die Bewilligung des Berechtigten zur Löschung der Vormerkung erforderlich ist.

Abschließend wird nochmals auf die weiteren überzeugenden Ausführungen des Grundbuchamtes zur Stützung seiner vom Senat ebenfalls geteilten Rechtsauffassung verwiesen.

b)

Da der Unrichtigkeitsnachweis nach § 22 Abs. 1 GBO nicht ausreichend ist, bedarf es gemäß § 27 Satz 1 GBO der Zustimmung des Eigentümers in der Form des § 29 GBO.

Zu Recht hat das Notariat in dem Nichtabhilfe-/Vorlagebeschluss vom 16. August 2011 darauf hingewiesen, dass die entsprechende Auflage in der Zwischenverfügung vom 5. Juli 2011 nichts darüber aussagt, wer zur Erteilung dieser Zustimmung befugt ist. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters gemäß § 80 Abs. 1 InsO wird durch die genannte Auflage nicht infrage gestellt.

3.

Die Beschwerde war demgemäß als unbegründet zurückzuweisen mit der Kostenfolge von § 84 FamFG, § 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO.

4.

Die Festsetzung des Geschäftswerts der Beschwerde beruht auf §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1, 23 Abs. 2 KostO. Dabei war vom Nennwert der Zwangshypotheken, d.h. von den zu sichernden Hauptforderungen auszugehen, allerdings unter Berücksichtigung des erstrebten Ziels der Löschung und der bislang nur vorliegenden Zwischenverfügung lediglich ein Bruchteil von 10 % in Ansatz zu bringen (Hartmann, Kostengesetze, 41. Aufl. 2011, § 30 KostO Rn. 29 "Grundschuld", Rn. 34 "Löschung", Rn. 40 "Vorkaufsrecht", § 23 KostO Rn. 9; je m.w.N.).

5.

Im Hinblick auf den vorstehend dargelegten Meinungsstreit war die Rechtsbeschwerde gem. § 78 Abs. 1 und 2 Nr. 1 und 2 GBO zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Köln ZIP 2010, 1763) erforderlich.

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