BGH: Zur Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach §§ 178 ff. ZPO - Briefeinwurf
BGH, Urteil vom 16.6.2011 - III ZR 342/09
leitsätze
a) Für die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO genügt, vorbehaltlich dolosen Verhaltens, nicht, dass der Adressat in zurechenbarer Weise den Rechtsschein geschaffen hat, unter der Zustellanschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume zu nutzen. Insbesondere reicht nicht, dass er nach Aufgabe der Wohnung oder der Geschäftsräume ein Schild mit sei-nem Namen an dem Briefeinwurf belässt.
b) Der nur einem überschaubaren Personenkreis (hier: drei Parteien) zugängli-che Briefschlitz in einem Mehrparteienhaus ist auch dann für eine Ersatzzu-stellung gemäß § 180 Satz 1 ZPO geeignet, wenn die Sendungen nicht in ein geschlossenes Behältnis fallen, sondern auf den Boden des Hausflurs, so-fern der Adressat seine Post typischerweise auf diesem Weg erhält und eine eindeutige Zuordnung des Einwurfschlitzes zum Empfänger möglich ist.
ZPO §§ 178 ff
sachverhalt
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Provisionen in Höhe von 35.907,82 € für die Akquisition von Aufträgen.
Die Klägerin erwirkte gegen die Beklagte einen Mahnbescheid über ihre Forderungen nebst Kosten, der dieser am 17. August 2007 unter der Anschrift B. Straße 8 in F. zugestellt wurde. Nachdem die Beklagte keinen Widerspruch eingelegt hatte, beantragte die Klägerin einen Vollstre-ckungsbescheid. Dieser wurde antragsgemäß erlassen und nach Angabe der im Aktenausdruck gemäß § 696 Abs. 2 Satz 1 ZPO wiedergegebenen Zustel-lungsurkunde am 7. September 2007 unter derselben Anschrift durch Einle-gung des Schriftstücks "in den zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung" zugestellt.
In dem Haus B. Straße 8 hatten außer der Beklagten noch zwei wei-tere Parteien eine Wohnung beziehungsweise Geschäftsräume. In der Außen-tür des Hauses befand sich ein einzelner Briefschlitz, in den die Post für alle drei Parteien eingeworfen wurde. Da innen ein Behältnis nicht angebracht war, fielen die Sendungen hinter der Tür auf den Boden des Hausflurs. Die Beklagte macht geltend, sie habe am 3. September 2007 ihre Geschäftsräume dort auf-gegeben und ihren Sitz an einen neuen Standort verlegt. Ihr Vorstand habe bereits am 29. August 2007 die Schilder mit ihrem Namen an der Hausein-gangstür und am Briefeinwurf abmontiert. Sie ist deshalb der Auffassung, der Vollstreckungsbescheid sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.
Nachdem die Beklagte mit am 23. November 2007 eingegangenem Schriftsatz Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid erhoben hatte, hat das Landgericht diesen aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Beru-fungsgericht hat demgegenüber den Vollstreckungsbescheid aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten.
aus den gründen
5 Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des ange-fochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsge-richt.
6 I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist der Einspruch der Beklagten ge-gen den Vollstreckungsbescheid unzulässig, da er nach Ablauf der Notfrist von zwei Wochen (§§ 339, 700 ZPO) bei Gericht eingegangen sei. Der Bescheid sei am 7. September 2007 ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Beklagte habe den Inhalt der Zustellungsurkunde nicht entkräften können, wonach das Schriftstück in einen zu ihrem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden sei. Sie habe nicht nachweisen können, dass der am Haus B. Straße 8 in die Haustür eingelassene Brief-schlitz zum Zeitpunkt der beurkundeten Zustellung nicht mehr mit ihrem Na-menszug versehen gewesen sei. Die hierzu vernommenen Zeugen hätten dies nicht bestätigt. Insbesondere habe der Zeuge K. , der einer der Mieter in dem Haus gewesen sei, bekundet, das ursprünglich vorhandene Namensschild der Beklagten sei erst ein "paar Tage" bevor oder nachdem er ein auf den 27. September 2007 datierendes Schreiben der neuen Hauseigentümerin er-halten habe, entfernt worden.
7 Der Briefschlitz sei eine geeignete Vorrichtung im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO gewesen. Zwar werde in der Literatur teilweise ein Gemeinschafts-briefkasten von mehreren Mietparteien mangels eindeutiger Zuordnungsmög-lichkeit nicht als im Sinne dieser Vorschrift geeignete Einrichtung angesehen. Maßgeblich sei jedoch, ob der Briefkasten beziehungsweise die ähnliche Ein-richtung eindeutig eine Zuordnung zum Adressaten ermögliche und auch für diesen beschriftet sei. Entscheidend sei auch, ob der Adressat typischerweise über diese Vorrichtung seine Post erhalte, da er damit zu erkennen gebe, dass er dem Kreis der Mitbenutzer hinreichendes Vertrauen entgegen bringe. Die Beklagte habe nicht bestritten, dass ihr die Post üblicherweise durch den Briefschlitz zugestellt worden sei. Dessen Nutzerkreis sei auf drei Personen be-grenzt und damit überschaubar gewesen.
8 Unbeachtlich sei, ob die Beklagte tatsächlich ihren Geschäftssitz zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits verlegt gehabt habe. Ihren Darlegungen könne nicht entnommen werden, dass nicht noch ein von ihr zurechenbar gesetzter Rechtsschein des Bestehens eines Geschäftssitzes in der B. Straße 8 be-standen habe. Unstreitig sei die Beklagte Dritten gegenüber noch unter dieser Adresse aufgetreten. Dies belege eindrucksvoll die Gerichtsakte, wonach die Schriftsätze der Beklagten im Rubrum noch bis zum Erlass des erstinstanzli-chen Urteils am 28. Juli 2008 diese Anschrift aufgewiesen hätten.
9 Schließlich komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Einspruchsfrist nicht in Betracht. Da die Beklagte jedenfalls den Rechtsschein eines Geschäftslokals in der B. Straße 8 gesetzt habe, hätte sie auch dafür Sorge tragen müssen, dort niedergelegte Post zur Kenntnis zu nehmen.
10 II. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
11 Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen nicht, den am 23. November 2007 bei Gericht eingegangenen Einspruch der Beklag-ten gegen den Vollstreckungsbescheid gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO i.V.m. § 700 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil er nicht innerhalb der gemäß § 339 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 700 Abs. 1 ZPO für diesen Rechtsbehelf gel-tenden zweiwöchigen Notfrist erhoben wurde. Ob der Vollstreckungsbescheid der Beklagten am 7. September 2007 nach § 180 Satz 1 ZPO wirksam zuge-stellt wurde, mit der Folge, dass die Einspruchsfrist am 21. September 2007 ablief, hängt von noch nachzuholenden Feststellungen dazu ab, ob die Beklag-te an dem maßgeblichen Tag im Hause B. Straße 8 noch Geschäftsräume unterhielt.
12 1. Das Berufungsgericht durfte nicht offen lassen, ob die Beklagte, wie sie geltend macht, vor dem 7. September 2007 objektiv ihre Geschäftsräume an einen anderen Ort verlegt hatte.
13 Die Ersatzzustellung nach §§ 178 bis 181 ZPO setzt voraus, dass eine Wohnung oder ein Geschäftsraum des Adressaten an dem Ort, an dem zuge-stellt werden soll, tatsächlich von dem Adressaten genutzt wird (z.B. BGH, Be-schlüsse vom 22. Oktober 2009 - IX ZB 248/08, NJW-RR 2010, 489 Rn. 15 und vom 2. Juli 2008 - IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747 Rn. 7 und Urteil vom 19. März 1998 - VII ZR 172/97, ZIP 1998, 862, 863). Entgegen der Ansicht der Vo-rinstanz genügt der bloße, dem Empfänger zurechenbare Rechtsschein, dieser unterhalte unter der jeweiligen Anschrift eine Wohnung oder Geschäftsräume, für eine ordnungsgemäße Zustellung nicht. Dies ergibt sich aus dem unmiss-verständlichen Wortlaut der §§ 178 bis 181 ZPO, nach dem nur in der Woh-nung beziehungsweise den Geschäftsräumen oder durch Einwurf in die hierzu gehörenden Postempfangsvorrichtungen zugestellt werden kann, nicht aber dort, wo lediglich der Anschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums be-steht.
14 Eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmungen dahingehend, dass der vom Empfänger zurechenbar gesetzte Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums genügt, scheidet aus. Die Zustellung dient unter ande-rem dazu, dem Adressaten zur Wahrung des Grundrechts auf rechtliches Ge-hör (Art. 103 Abs. 1 GG) Gelegenheit zu verschaffen, das Dokument zur Kenntnis zu nehmen und seine Rechtsverfolgung oder -verteidigung hierauf einzurichten (z.B. BVerfGE 67, 208, 211; BGH, Urteil vom 6. April 1992 - II ZR 242/91, BGHZ 118, 45, 47 jew. mwN). Im Interesse der hierfür in besonderem Maße erforderlichen Rechtssicherheit haben die Zustellungsvorschriften not-wendigerweise formalen Charakter (BGH, Urteil vom 12. März 1980 - VIII ZR 115/79, BGHZ 76, 222, 229; MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 166 Rn. 6; vgl. auch BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW-RR 2010, 421, Rn. 18). Dieser verbietet es, über den Wortlaut der Bestimmungen hinausgehend eine Zustellung an dem Ort zuzulassen, an dem lediglich der (zurechenbare) Rechtsschein einer Wohnung oder eines Geschäftsraums des Empfängers be-steht. Da die Voraussetzungen, unter denen der Rechtsschein und seine Zure-chenbarkeit gegenüber dem Empfänger angenommen werden könnten, we-sentlich von den Details der konkreten Verhältnisse abhängen, würde ansons-ten die rechtliche Beurteilung der einzelnen Zustellung mit Unsicherheiten be-lastet, die mit ihrem Zweck unvereinbar wären.
15 Allerdings ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es eine unzulässi-ge Rechtsausübung darstellt, wenn der Zustellungsadressat eine fehlerhafte Ersatzzustellung geltend macht, obwohl er einen Irrtum über seinen tatsächli-chen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt hat (z.B. BVerfG aaO Rn. 17; OLG Jena NStZ-RR 2006, 238; OLG Köln NJW-RR 2001, 1511, 1512 jew. mwN; so auch MünchKommZPO/Häublein, aaO § 178 Rn. 11; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 178 Rn. 7). Hierbei handelt es sich jedoch nicht um die Erleichterung einer wirksamen Zustellung im Wege der objektiven Zu-rechnung eines Rechtsscheins. Vielmehr wird dem Empfänger im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter engen Voraussetzungen lediglich versagt, sich auf die Un-wirksamkeit einer Zustellung zu berufen (BVerfG aaO Rn. 18). Auch wenn die-se - verfassungsrechtlich unbedenkliche (BVerfG aaO) - Rechtsprechung im Ergebnis dazu führt, dass eine Entscheidung über die materiellrechtliche Rechtslage unterbleibt und damit zugleich das rechtliche Gehör verkürzt wird, verhilft sie auf der anderen Seite der allgemeinen Redlichkeitspflicht der Partei-en zur Geltung, die sich auch auf die Prozessführung und damit auch auf die Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung bezieht (BVerfG aaO; vgl. auch BVerfGE 104, 220, 232). Eine solche Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor. Die Beklagte hat nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht bewusst ver-sucht, den Anschein zu erwecken, sie unterhalte ihre Geschäftsräume weiterhin im Hause B. Straße 8. Vielmehr steht, soweit sie ihre Geschäftsräume tat-sächlich verlegt hatte, lediglich in Rede, dass sie es ohne dolose Absicht ver-säumte, ihr Namensschild an dem Briefeinwurf in der Haustür rechtzeitig zu entfernen.
16 2. Zur Beurteilung der Wirksamkeit der Zustellung vom 7. September 2007 weist der Senat für das weitere Verfahren auf folgendes hin:
17 a) Ein Geschäftslokal ist vorhanden, wenn ein dafür bestimmter Raum - und sei er auch nur zeitweilig besetzt - geschäftlicher Tätigkeit dient und der Empfänger dort erreichbar ist (BGH, Beschlüsse vom 22. Oktober 2009 - IX ZB 248/08, NJW-RR 2010, 489 Rn. 16 und vom 2. Juli 2008 - IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747 Rn. 7 und Urteil vom 19. März 1998 - VII ZR 172/97, ZIP 1998, 862, 863). Hat der Adressat die Nutzung der Räume aufgegeben, ist eine Zustellung an ihn dort nicht mehr möglich. Die Aufgabe setzt einen entsprechenden Wil-lensentschluss voraus, der nach außen erkennbaren Ausdruck gefunden haben muss (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2009 aaO Rn. 18, 21). Insoweit gilt nichts anderes als bei Wohnräumen (BGH aaO Rn. 21; zum Erfordernis des nach außen zu erkennenden Aufgabewillens bei einer Wohnung siehe BGH, Urteil vom 27. Oktober 1987 - VI ZR 268/86, NJW 1988, 713 f; Zöller/Stöber aaO § 178 Rn. 6). Der Aufgabewille muss, wenn auch nicht gerade für den Ab-sender des zuzustellenden Schriftstücks oder die mit der Zustellung betraute Person, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobach-ter erkennbar sein (z.B. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2009 aaO Rn. 18 und Urteil vom 27. Oktober 1987 aaO). Dies setzt indessen nicht voraus, dass ihr Inhaber alle Merkmale beseitigt, die den Anschein erwecken könnten, er nutze die Wohn- beziehungsweise Geschäftsräume dort auch weiterhin (BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2009 aaO Rn. 18). Insbesondere genügt allein die Existenz eines Namensschilds nicht, weil ansonsten doch die Erkennbarkeit für den konkreten Zusteller maßgeblich wäre (vgl. MünchKommZPO/Häublein, aaO § 178 Rn. 11).
18 Bei der Feststellung, ob die Beklagte am 7. September 2007 im Hause B. Straße 8 noch Geschäftsräume unterhielt, wird das Berufungsgericht insbesondere einerseits der behaupteten Anmeldung der Sitzverlegung gegen-über dem Handelsregister nachzugehen und andererseits zu berücksichtigen haben, dass die Zustellungsurkunde, deren Inhalt durch den Aktenausdruck des Mahnverfahrens nachgewiesen ist (§ 696 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO), zwar keinen Beweis gemäß § 418 Abs. 1 ZPO für die Existenz von Ge-schäftsräumen an dem Zustellungsort erbringt, jedoch ein Indiz hierfür darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2005 - IX ZB 43/03, NJW 2004, 2386, 2387; BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], NJW 1992, 224, 225 f).
19 Demgegenüber kommt dem vom Berufungsgericht herangezogenen Umstand, dass in den Schriftsätzen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Rubrum teilweise noch die Anschrift B. Straße 8 verwendet wurde, kei-ne indizielle Bedeutung zu, da die Beklagte von Anbeginn im Widerspruch hier-zu vorgetragen hat, sie habe am 7. September 2007 dort keine Geschäftsräu-me mehr unterhalten. Die Verwendung der Anschrift B. Straße 8 in den anwaltlichen Schriftsätzen lässt sich ohne weiteres damit erklären, dass ledig-lich versäumt wurde, die bereits in den Mandantendaten eingespeicherte Ad-resse der Beklagten zu aktualisieren.
20 b) Die Wirksamkeit der Zustellung scheiterte, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht daran, dass der Vollstreckungsbescheid in den in der Außentür des Hauses B. Straße 8 befindlichen Briefschlitz ein-geworfen wurde, obgleich es sich um eine von drei Parteien gemeinschaftlich genutzte Vorrichtung handelte und sich auf der Innenseite der Tür keine ge-schlossene Auffangvorrichtung für die eingeworfene Post befand. Der gemein-same Briefschlitz in der Haustür eines Mehrparteienhauses ist jedenfalls dann eine "ähnliche Vorrichtung" im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO, die eine Zustellung ermöglicht, wenn, wie hier, in dem betreffenden Gebäude lediglich drei Parteien wohnen beziehungsweise Geschäftsräume unterhalten, der Zustellungsadres-sat gewöhnlich seine Post durch diesen Einwurf erhält und - etwa aufgrund ei-ner entsprechenden Beschriftung - eine eindeutige Zuordnung zum Adressaten möglich ist.
21 aa) In der Literatur wird allerdings in Übereinstimmung mit einigen ober-gerichtlichen Entscheidungen (OLG Bremen OLGR 2007, 304, 305; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juni 2004 - 4 Ws 172/04, juris Rn. 9) überwiegend vertreten, der Haustürbriefschlitz in einem Mehrfamilienhaus oder in einem sonstigen größeren Gebäude, das von mehreren nicht gemeinsam wohnenden Personen beziehungsweise von mehreren Inhabern verschiedener Unterneh-men genutzt wird, sei keine für eine Ersatzzustellung geeignete "ähnliche Vor-richtung" (Musielak/Wolst, ZPO, 7. Aufl., § 180 Rn. 2; Prütting/Gehrlein/Kessen, ZPO, 2. Aufl., § 180 Rn. 2; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 180 Rn. 3; Wieczorek/Schütze/Rohe, 3. Aufl. § 180 Rn. 10; ZAP-Kommentar/ Zimmer-mann, ZPO, 8. Aufl., § 180 Rn. 1; so wohl auch Zöller/Stöber aaO § 180 Rn. 3).
22 bb) Der Senat hält jedoch die Gegenauffassung für überzeugender, nach der ein nur einem überschaubaren Personenkreis zugänglicher Briefschlitz in einem Mehrparteienhaus für eine Ersatzzustellung geeignet ist, wenn der Ad-ressat seine Post typischerweise auf diesem Wege erhält und eine eindeutige Zuordnung zum Empfänger möglich ist (MünchKommZPO/Häublein, aaO § 180 Rn. 4).
23 (1) In der Rechtsprechung wird überwiegend vertreten, dass eine Ersatz-zustellung nach § 180 Satz 1 ZPO durch Einwurf in einen solchermaßen be-schränkt zugänglichen Gemeinschaftsbriefkasten erfolgen kann (OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2010, 349, 350; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Februar 2006 - L 7 VU 28/05, juris Rn. 17; VG München, Beschluss vom 8. Mai 2008 - M 6b S 08.1916, juris Rn. 10, 28; weitergehend: LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Juli 2005 - 5 Sa 164/05, juris Rn. 14 f, das sogar einen für einen größeren Personenkreis zugänglichen Briefkasten für geeignet hält). Dem ist beizupflichten.
24 Durch die Anforderungen des § 180 Satz 1 ZPO an die Empfangseinrich-tungen, in die das zuzustellende Schriftstück eingelegt werden darf, soll insbesondere zur Wahrung des rechtlichen Gehörs gewährleistet werden, dass der Adressat mit hinreichender Sicherheit in die Lage versetzt wird, den Inhalt der Sendung auch tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen. Die Bereitstellung und Ausgestaltung einer Vorrichtung zum Postempfang liegt indessen in der Sphäre und Eigenverantwortung des Adressaten. Er verfügt deshalb über einen Spiel-raum, darüber zu entscheiden, welches Maß an Sicherheit gegen den Verlust von Sendungen die von ihm gewählte Einrichtung bieten soll. Entscheidet er sich für eine Variante, die einzelne Risiken nicht ausschließt, muss er sich hie-ran insbesondere bei einer förmlichen Zustellung auch zu seinem Nachteil fest-halten lassen, solange die Vorrichtung insgesamt in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist.
25 Hiernach kann eine Zustellung nach § 180 Satz 1 ZPO durch Einlegen in eine Vorrichtung erfolgen, die für den Postempfang eines überschaubaren Per-sonenkreises bestimmt ist, der ein von wenigen Parteien genutztes Haus be-wohnt oder dort ein Geschäftslokal unterhält. Der Adressat, der eine solche Einrichtung gewöhnlich für den Erhalt von Postsendungen verwendet, gibt da-mit zu erkennen, dass er den ihm typischerweise persönlich bekannten Mitnut-zern hinreichendes Vertrauen entgegenbringt, dass diese auch mit den an ihn gerichteten Sendungen sorgfältig umgehen (OLG Frankfurt am Main aaO; MünchKommZPO/Häublein aaO). Dies hält sich im Rahmen des einem Zustel-lungsadressaten durch § 180 Satz 1 ZPO eröffneten, eigenverantwortlich aus-zufüllenden Spielraums zur Gestaltung seines Postempfangs. Die Nutzung ei-ner gemeinschaftlichen Postempfangseinrichtung gewährleistet unter den dar-gestellten Voraussetzungen auch in der allgemein üblichen Art noch eine siche-re Aufbewahrung, da regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass ein überschaubarer Personenkreis, dem ein Hausnachbar vertraut, auch tatsäch-lich mit für diesen bestimmten Sendungen gewissenhaft verfährt. Auch der Wortlaut des § 180 Satz 1 ZPO fordert nicht, dass der Briefkasten oder die ähnliche Vorrichtung allein zur Wohnung oder zu den Geschäftsräumen des Empfängers gehört (OLG Frankfurt am Main aaO).
26 (2) Die vorstehenden Erwägungen gelten nicht nur für die Nutzung eines gemeinschaftlichen geschlossenen Briefkastens, sondern auch für einen Brief-schlitz in einem Mehrparteienhaus, sofern die dargelegten engen Vorausset-zungen erfüllt sind. Dieser stellt dann eine "ähnliche Vorrichtung" im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO dar. Der Revision ist einzuräumen, dass das Risiko des Ver-lustes von Sendungen erhöht ist, wenn die Post nicht in ein geschlossenes Be-hältnis fällt, sondern auf den Boden des Hausflurs. Hierdurch unterliegen die eingeworfenen Briefe, solange die Nutzer des Hauses sie noch nicht an sich genommen haben, nicht nur deren Zugriff, sondern auch dem Dritter, die Ein-lass in das Gebäude erhalten. Dieses Risiko besteht jedoch nicht nur bei einem Mehrparteienhaus. Vielmehr haben auch Besucher eines Einfamilienhauses die Möglichkeit, Postsendungen im Hausflur oder Windfang an sich zu nehmen, wenn diese in einen ohne eine geschlossene Auffangvorrichtung versehenen Briefschlitz in der Außentür eingeworfen werden. Aus der Regierungsbegrün-dung des Entwurfs des Zustellungsreformgesetzes (BR-Drucks. 492/00 S. 46) zu § 180 ZPO ergibt sich aber, dass ein solcher Briefschlitz jedenfalls in einem Einfamilienhaus eine für die Ersatzzustellung geeignete "ähnliche Vorrichtung" darstellt. Hieraus folgt, dass das Risiko des Zugriffs Dritter auf die eingeworfene Post nicht per se zum Fehlen der Eignung eines Briefschlitzes für die Ersatzzu-stellung führt. Befindet sich ein solcher Briefeinwurf in einem Mehrparteien-haus, hat zwar im Allgemeinen eine erhöhte Anzahl Dritter die Möglichkeit, auf Post zuzugreifen, die von den Nutzern noch nicht in die Wohnung oder das Geschäftslokal hereingeholt wurde. Ein gegenüber einem Einfamilienhaus an-dersartiges Risiko besteht hingegen nicht. Nutzt der Zustellungsadressat einen gemeinschaftlichen Briefeinwurf ungeachtet der potentiell erhöhten Gefahr, dass sich Besucher seiner Post bemächtigen, bringt er damit ebenfalls zum Ausdruck, dass er seinen Mitnutzern und deren Kontaktpersonen, denen sie Zutritt zum Haus gewähren, hinreichendes Vertrauen entgegen bringt. Solange es sich um ein Gebäude mit wenigen Parteien handelt, bleibt auch dies noch im Rahmen einer sicheren Aufbewahrung im Sinne des § 180 Satz 1 ZPO. Dies trifft jedoch nicht mehr zu, wenn - was in der Streitsache nicht der Fall ist - in den im Hause befindlichen Geschäftsräumen ein reger Publikumsverkehr herrscht.
27 Nichts anderes gilt für die Gefahren, dass die hinter der Außentür auf dem Boden liegenden Postsendungen durch Wind, Verschieben beim Öffnen und Schließen der Tür oder vergleichbare Ereignisse verlustig gehen oder un-auffindbar werden, und das von der Revision angeführte - aber ohnehin wohl nur theoretische und daher vernachlässigbare - Risiko, dass ein Brief unbe-merkt an den Schuhen einer Person haftet und nach draußen fort getragen wird. Diese Gefahren bestehen dem Grunde nach auch bei Einfamilienhäusern, in denen die Post durch einen bloßen Briefschlitz eingeworfen wird, ohne dass dieser als eine für eine Zustellung nach § 180 Satz 1 ZPO ungeeignete Vorrich-tung anzusehen ist. Die Risiken sind bei einem kleinen Mehrparteienhaus ledig-lich in quantitativer Hinsicht höher, was dem Adressaten, der sich gleichwohl eines gemeinsamen Briefeinwurfs bedient, aus den vorstehenden Gründen im Rahmen des § 180 Satz 1 ZPO zuzurechnen ist.
28 Schließlich widerspricht auch die Regierungsbegründung zu § 180 ZPO dieser Würdigung nicht. Zwar ist darin als "ähnliche Vorrichtung" nur der Brief-schlitz eines Einfamilienhauses genannt (BR-Drucks. 492/00 S. 46). Jedoch handelt es sich hierbei, wie sich aus der Verwendung des Wortes "insbesondere" ergibt, lediglich um ein Beispiel für eine einem Briefkasten gleichzustellende Einrichtung zum Empfang von Post.
29 3. Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, weil noch weitere Feststellungen notwendig sind, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zu-rückzuverweisen (§ 563 Abs. 1, 3 ZPO).