BGH: Zur Wiederwahl eines durch Amtsniederlegung aus Vorstand ausgeschiedenen Rechtsanwalts im Wege der Neu- und Nachwahl
BGH, Urteil vom 12.9.2022 – AnwZ (Brfg) 41/21
ECLI:DE:BGH:2022:120922UANWZ.BRFG.41.21.0
Volltext: BB-Online BBL2022-2626-3
Leitsätze
a) Ein durch Amtsniederlegung nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 BRAO als Mitglied des Vorstands ausgeschiedener Rechtsanwalt kann nicht im Wege der Nachwahl gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO für den von ihm niedergelegten Sitz im Vorstand wiedergewählt werden.
b) Das Ausscheiden eines Rechtsanwalts als Mitglied des Vorstands durch Amtsniederlegung nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 BRAO steht seiner (erneuten) Wahl in den Vorstand im Rahmen turnusgemäßer Neuwahlen nach § 68 Abs. 1 BRAO auch dann nicht entgegen, wenn der Rest der Amtszeit des von ihm niedergelegten Mandats noch nicht abgelaufen ist.
c) § 68 Abs. 4 BRAO ist auf den Fall der gleichzeitigen Durchführung einer Nach- mit einer turnusmäßigen Neuwahl entsprechend anwendbar.
BRAO § 68 Abs. 1, 4; § 69 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1
Sachverhalt
Der Kläger begehrt die Ungültigerklärung der vom 24. April 2020 bis 10. Mai 2020 durchgeführten Wahlen zum Vorstand der beklagten Rechtsanwaltskammer für den Wahlbezirk Landgericht M. Der Kläger ist Rechtsanwalt und Mitglied der Beklagten. Er war im Jahr 2018 für den Landgerichtsbezirk M. in den Vorstand der Beklagten gewählt worden, hatte sein Amt aber aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit anderen Vorstandsmitgliedern im Juni 2019 niedergelegt.
Im Zeitraum vom 24. April 2020 bis 10. Mai 2020 fanden im Wege der elektronischen Abstimmung Vorstandswahlen der Beklagten statt. Dabei wurde sowohl die turnusmäßige Neuwahl der Hälfte der Mitglieder des Vorstands durchgeführt, wovon elf neu zu besetzende Sitze auf den Landgerichtsbezirk M. entfielen, als auch die Nachwahl für den durch die Amtsniederlegung des Klägers freigewordenen Vorstandssitz.
Mit der 3. Wahlbekanntmachung zur Vorstandswahl 2020 teilte der Wahlausschuss die mit Beschluss vom 20. März 2020 zur Wahl zugelassenen Kandidaten und Kandidatinnen mit, darunter auch den Kläger als Kandidaten für den Landgerichtsbezirk M. . Außerdem wurde bekannt gemacht, dass im Landgerichtsbezirk M. die elf Kandidaten, die die meisten Stimmen auf sich vereinigten, für die in diesem Bezirk turnusgemäß neu zu besetzenden Sitze gewählt sein sollten und der Kandidat auf Rang zwölf der Stimmenanzahl für den infolge der Amtsniederlegung des Klägers nachzubesetzenden Sitz.
Mit Schreiben vom 21. April 2020 teilte der Wahlausschuss dem Kläger mit, dass er seine Zulassung als Kandidat für die Vorstandswahl zurücknehme, weil er infolge seiner Amtsniederlegung gemäß § 69 Abs. 3 BRAO für den Rest der Amtszeit des niedergelegten Amtes bis zum Jahr 2022 durch ein neues Mitglied zu ersetzen und damit in diesem Zeitraum bei Wahlen zum Kammervorstand nicht wählbar sei. Der Kläger wurde von der Kandidatenliste entfernt und diese Entscheidung mit der 4. Wahlbekanntmachung zur Vorstandswahl 2020 vom 22. April 2020 bekanntgemacht.
Die Wahl wurde ohne Beteiligung des Klägers als Kandidat durchgeführt.
Im Wahlbezirk Landgericht M. , in dem 21 Kandidatinnen und Kandidaten zugelassen waren, erhielten die Beigeladenen zu 1 bis 8 und zu 10 bis 12 mit zwischen 1.074 und 564 Stimmen die meisten Stimmen, der Beigeladene zu 9 erzielte mit 553 Stimmen Rang zwölf der Stimmenanzahl. Wegen der Einzelheiten des Wahlergebnisses wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Mit der 5. Wahlbekanntmachung zur Vorstandswahl 2020 wurden das Wahlergebnis und die Namen der in den einzelnen Landgerichtsbezirken Gewählten veröffentlicht, darunter die Beigeladenen für den Landgerichtsbezirk M. , verbunden mit der Feststellung, dass der Beigeladene zu 9 mit Rang zwölf der Stimmenanzahl im Rahmen der Nachwahl für eine Amtszeit von 2020 bis 2022 gewählt worden sei.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Vorstandswahl 2020 sei wegen Verstoßes gegen §§ 64 ff. BRAO ungültig. Sein Ausschluss von der Vorstandswahl bzw. die Rücknahme seiner Zulassung als Kandidat sei unrechtmäßig erfolgt. Entgegen der Ansicht der Beklagten habe seine Amtsniederlegung im Juni 2019 kein rechtliches Hindernis für seine Wiederwahl in den Vorstand bis zum Ablauf der Wahlperiode des von ihm niedergelegten Amtes dargestellt. Das gelte sowohl für die infolge seiner Amtsniederlegung durchzuführende Nachwahl als auch für die turnusmäßige Neuwahl der Hälfte der Vorstandsmitglieder. Ein weiterer Wahlfehler liege darin, dass die Nach- und die Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang zusammengefasst und nicht getrennt durchgeführt worden seien.
Der Kläger und der Beigeladene zu 9 haben erstinstanzlich beantragt, die Wahl zum Kammervorstand der Rechtsanwaltskammer M. vom 24. April 2020 bis 10. Mai 2020 für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk M. für ungültig zu erklären, sowie der Beigeladene zu 9 hilfsweise dazu, die Wahl der Beigeladenen zu 1 bis 8 und zu 10 bis 12 für ungültig zu erklären.
Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 4 und zu 11 haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, der Ausschluss des Klägers bzw. die Rücknahme seiner Zulassung als Kandidat sei rechtmäßig gewesen, weil er aufgrund seiner Amtsniederlegung gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 BRAO für die Dauer der restlichen Amtszeit des von ihm niederlegten Amtes von jeglicher Wiederwahl in den Vorstand, d.h. sowohl im Wege der Nach- als auch der turnusmäßigen Neuwahl, ausgeschlossen sei. Auch die Zusammenlegung der Nach- und der Neuwahl sei, wie sich aus § 69 Abs. 3 BRAO in Verbindung mit § 19 der Wahlordnung der Beklagten ergebe, nicht zu beanstanden. Anders als für den Fall einer gleichzeitigen Durchführung von Ergänzungs- und Neuwahlen gemäß § 68 Abs. 4 BRAO habe der Gesetzgeber für Nachwahlen keine Regelung getroffen, sondern deren Durchführung der Gestaltungsfreiheit der Kammer überlassen. Jedenfalls aber seien die behaupteten Wahlfehler nicht ergebnisrelevant bzw. rechtfertigten im Hinblick auf den zu berücksichtigenden Bestandsschutz der Wahl nicht deren Ungültigerklärung.
Der Anwaltsgerichtshof hat die Neu- und Nachwahl zum Vorstand der Beklagten vom 24. April 2020 bis 10. Mai 2020 für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk M. für ungültig erklärt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, ein Ausschluss des Klägers als Kandidat von der Neu- und der Nachwahl zum Kammervorstand finde im Gesetz keine Grundlage. Auch aus § 69 BRAO ergebe sich nicht, dass eine Amtsniederlegung ein Ausschlussgrund für die Wählbarkeit bei der nach § 69 Abs. 3 Satz 3 und 4 BRAO in Verbindung mit § 19 der Wahlordnung der Beklagten vorgesehenen Nachwahl oder gar bei der gleichzeitig durchgeführten turnusmäßigen Neuwahl sei. Dass der Ausgeschiedene gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO im Wege der Nachwahl durch ein "neues Mitglied" zu ersetzen sei, stehe dem nicht entgegen, weil auch ein "frisch" gewähltes Mitglied ein neues Mitglied im Sinne dieser Vorschrift sei. Die Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung nach § 69 Abs. 2 Satz 2 BRAO schließe nur die einseitige Beseitigung der Niederlegung durch das betreffende Vorstandsmitglied aus, nicht aber seine Wiederwahl durch die Kammermitglieder. Keine gesetzliche Grundlage bestehe zudem für die Auffassung der Beklagten, dass das ausgeschiedene Vorstandsmitglied für die gesamte Amtsperiode des aufgegebenen Amtes für jegliche (Wieder-) Wahl in den Vorstand gesperrt sei. Auch aus § 69 Abs. 1 BRAO ergebe sich dafür kein Anhalt und für eine erweiternde Auslegung des § 69 BRAO sei angesichts der Schwere des Entzugs des passiven Wahlrechts kein Raum. Die erneute Kandidatur zum Vorstand nach Amtsniederlegung beeinträchtige weder die Kontinuität der Vorstandsarbeit, noch verstoße sie gegen Treu und Glauben. Die erforderliche Ergebnisrelevanz des Ausschlusses des Klägers bei der Vorstandswahl 2020 sei gegeben. In Anbetracht des gravierenden und auch im konkreten Fall schwerwiegenden Eingriffs in elementare Grundsätze des Wahlrechts könne auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes des geringstmöglichen Eingriffs und des Interesses am Bestandsschutz des gewählten Vorstands nicht von einer Ungültigerklärung abgesehen werden.
Gegen diese Entscheidung richten sich die vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zu 11.
Im Laufe des Berufungsverfahrens ist der Kläger im Rahmen der turnusmäßigen Vorstandswahlen 2022 mit 899 Stimmen in den Vorstand der Beklagten gewählt worden.
Die Beklagte ist der Ansicht, mit der Wahl des Klägers in den Vorstand sei sein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung der Vorstandswahl entfallen und die Klage damit unzulässig geworden. Ein (unterstellter) Fehler in der Zusammensetzung des Vorstands aufgrund des vom Kläger behaupteten Wahlfehlers seines Ausschlusses bei den Vorstandswahlen 2020 sei damit beseitigt, weil der Kläger allenfalls den damals mit den wenigsten Stimmen Gewählten verdrängt hätte. Im Übrigen sei die Klage aber auch unbegründet. Insoweit wiederholen und vertiefen die Beklagte und der Beigeladene zu 11 ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Beklagte und der Beigeladene zu 11 beantragen, das Urteil des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 22. Juli 2021 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils, die Berufungen zurückzuweisen, hilfsweise die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass die vom 24. April 2020 bis 10. Mai 2020 durchgeführte Nachwahl zum Vorstand der Beklagten für den Wahlbezirk Landgerichtsbezirk M. in einer das Ergebnis zumindest potentiell beeinflussenden Weise gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren verstoßen hat, weiter hilfsweise, festzustellen, dass die Wahl rechtswidrig gewesen ist.
Der Beigeladene zu 9 beantragt, die Berufungen zurückzuweisen, hilfsweise, soweit das Verfahren erledigt ist, die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass festgestellt wird, dass der Ausschluss des Klägers von der Vorstandswahl 2020 rechtswidrig war.
Ergänzend wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Aus den Gründen
19 Die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zu 11 sind nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig, in der Sache aber überwiegend nicht begründet. Der Anwaltsgerichtshof hat die Vorstandswahl 2020 der Beklagten für den Wahlbezirk Landgericht M. hinsichtlich der turnusmäßigen Neuwahl der Beigeladenen zu 1 bis 8 und zu 10 bis 12 zu Recht für ungültig erklärt. Hinsichtlich der Nachwahl des Beigeladenen zu 9 ist das angefochtene Urteil lediglich insoweit abzuändern, als diese nicht für ungültig erklärt, sondern unter Abweisung der weitergehenden Klage festgestellt wird, dass die Durchführung der Nachwahl in einem einheitlichen Wahlgang mit der turnusmäßigen Neuwahl rechtswidrig war.
20 I. Die Klage ist entgegen der Ansicht der Beklagten zulässig.
21 1. Der Kläger ist als Mitglied der Beklagten klagebefugt (§ 112f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 1 BRAO) und hat binnen der Monatsfrist des § 112f Abs. 3, § 20 Abs. 1 der Wahlordnung der Beklagten Klage erhoben.
22 2. Anders als die Beklagte meint, ist auch das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der Fortführung des Verfahrens zu bejahen.
23 a) Mit der Wahl des Klägers in den Vorstand der Beklagten im Rahmen der Vorstandswahlen 2022 ist sein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtung der Vorstandswahlen 2020 nach § 112f Abs. 1 Nr. 2 BRAO nicht entfallen.
24 aa) Die Wahlanfechtung durch ein Kammermitglied nach § 112f Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BRAO dient - wie auch die Beklagte im Ausgangspunkt zutreffend annimmt - der objektiv-rechtlichen gerichtlichen Überprüfung der durchgeführten Wahl. Anders als für die Zulässigkeit einer Beschlussanfechtung durch ein Kammermitglied nach § 112f Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BRAO bedarf es für die Zulässigkeit einer Wahlanfechtung keiner Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung; hier hat der Gesetzgeber bewusst von einer solchen Einschränkung abgesehen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Dezember 2020 - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 32 mwN). Das durch das Wahlanfechtungsverfahren geschützte Interesse besteht danach nicht im Schutz der individuellen Rechtsposition des/der durch den behaupteten Wahlfehler im konkreten Fall möglicherweise benachteiligten Kandidaten/innen, sondern in der objektiv-rechtlichen Überprüfung der formellen und materiellen Rechtmäßigkeit der Wahl.
25 Diese objektiv-rechtliche Kontrollfunktion des Wahlanfechtungsverfahrens kommt - anders als die Beklagte meint - nicht erst auf der Sachentscheidungsebene, d.h. bei der Begründetheit eines Wahlanfechtungsantrags zum Tragen, sondern ist auch im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Das ergibt sich bereits daraus, dass § 112f Abs. 2 Satz 2 BRAO ausdrücklich eine Regelung der Zulässigkeit der Klage und damit - entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO - der Klagebefugnis als eine der Sachurteilsvoraussetzungen enthält (vgl. zu § 42 Abs. 2 VwGO: BVerwGE 90, 304 f.; BVerwGE 95, 133 f.; Wahl/Schütz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: Juli 2021, § 42 Abs. 2 VwGO Rn. 5 f.; BeckOK VwGO/Schmidt-Kötters, Stand: 1. Oktober 2019, § 42 Rn. 108 ff., 140). Die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, die Zulässigkeit einer Wahlanfechtung nach § 112f Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BRAO nicht von der Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung abhängig zu machen, würde unterlaufen, würde man - der Beklagten folgend - gleichwohl allein aufgrund der nachträglichen Wahl des/der möglicherweise benachteiligten Kandidaten/innen in das betreffende Organ von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses und damit von der Unzulässigkeit der Klage ausgehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob mit dieser nachträglichen Wahl das berechtigte Interesse des Klägers - sei es der/die betreffende Kandidat/in oder auch ein anderes Kammermitglied - an einer objektiv-rechtlichen Überprüfung der Wahl entfallen ist.
26 bb) Nach dieser Maßgabe ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers an einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorstandswahlen 2020 durch seine zwischenzeitliche Wahl in den Vorstand der Beklagten nicht entfallen.
27 Die Auffassung der Beklagten, mit der zwischenzeitlichen Wahl des Klägers sei ein etwaiger Fehler in der bisherigen Zusammensetzung des Vorstands aufgrund der vom Kläger behaupteten Wahlfehler beseitigt worden, weil der Kläger im Fall seiner damaligen Wahl nur den Kandidaten aus der Reihe der Gewählten verdrängt hätte, der mit den wenigsten Stimmen tatsächlich im Jahr 2020 in den Vorstand gewählt worden ist, und sich die Zusammensetzung des Vorstands im Übrigen nicht geändert hätte, trifft nicht zu. Sie beruht auf der Prämisse, dass die übrigen gewählten Kandidaten auch bei Zulassung des Klägers zu den elf bzw. (bei Einbeziehung der Nachwahl) zwölf Kandidaten mit der höchsten Stimmenzahl gehört hätten. Davon kann aber nicht ohne Weiteres ausgegangen werden, da nicht auszuschließen ist, dass der Kläger, der in den Vorstandswahlen 2022 mit einer erheblichen Stimmenanzahl gewählt worden ist, bei den Wahlen im Jahr 2020 eine deutliche Anzahl von Stimmen erhalten hätte, die infolge seiner Nichtzulassung an einen der auf Rang eins bis zehn bzw. elf Gewählten vergeben wurden. Gerade auch in Anbetracht der teilweise relativ geringen Unterschiede der Stimmzahlen insbesondere bei den mit weniger Stimmen Gewählten (zwischen dem siebt- und dem elftplatzierten Gewählten besteht eine Differenz von nur 132 Stimmen) besteht daher durchaus die Möglichkeit, dass der Kläger bei Zulassung zur Wahl nicht den tatsächlich letztplatzierten Gewählten, sondern einen der besser Platzierten verdrängt hätte und die Zusammensetzung des Vorstands damit insgesamt eine andere gewesen wäre.
28 b) Das Rechtsschutzinteresse des Klägers ist auch nicht im Hinblick auf die Nachwahl für das von ihm niedergelegte Amt dadurch entfallen, dass die Amtszeit für den nachgewählten Sitz inzwischen abgelaufen ist.
29 aa) Zwar erledigt sich das im Wahlanfechtungsverfahren verfolgte Begehren, die angefochtene Wahl für ungültig zu erklären, mit dem Ablauf der Wahlperiode des betreffenden Gremiums, da eine erfolgreiche Wahlanfechtung keine Rückwirkung hat, sondern nur für die Zukunft wirkt (vgl. BVerwG, ZBR 1990, 183, 184; Weyland/Kilimann, BRAO, 10. Aufl., § 112f Rn. 51). Gleichwohl besteht ein Rechtsschutzbedürfnis an der Fortsetzung des Verfahrens, wenn anzunehmen ist, dass sich ein gleichartiger Vorgang unter den Verfahrensbeteiligten wiederholen kann, so dass sich ihnen die streitige Rechtsfrage erneut in gleicher Weise stellen kann (vgl. BVerwG, ZBR 1990, 183, 184; Beschlüsse vom 17. Dezember 1997 - 6 C 2/97, juris Rn. 38 [insoweit in BVerwGE 106, 64, 70 nicht vollständig abgedruckt] und vom 23. September 2004 - 6 P 2/04, ZfPR 2004, 297, 298; BVerwGE 140, 134 Rn. 11; anders BAGE 67, 316, 319; Beschluss vom 9. September 2015 - 7 ABR 47/13, juris Rn. 12 f. mwN speziell für die Wahl von Personalvertretungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz). Dann liegt weiterhin ein über die ursprüngliche Auseinandersetzung hinausgehendes konkretes Bedürfnis nach Klärung dieser Rechtsfrage im Rahmen der dem Wahlanfechtungsverfahren zukommenden objektiv-rechtlichen Kontrollfunktion vor. In diesem Fall kann das zunächst auf Ungültigerklärung der Wahl gerichtete Anfechtungsverfahren mit einem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Wahl wegen des behaupteten Wahlfehlers fortgesetzt werden (vgl. BVerwG, ZBR 1990, 183, 184).
30 bb) Danach ist hier auch hinsichtlich der Überprüfung der Nachwahl im Rahmen der Vorstandswahlen 2020 ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse des Klägers zu bejahen.
31 Zwar hätte eine Ungültigerklärung allein dieser Nachwahl insofern keine Auswirkungen für die Zukunft mehr, als die Wahlperiode für den nachzuwählenden Sitz zwischenzeitlich abgelaufen und der Sitz durch die turnusmäßige Neuwahl in 2022 wieder besetzt ist. Eine solche isolierte Betrachtung der Nachwahl wird aber dem Umstand nicht gerecht, dass sich zum einen die Frage der Wählbarkeit des niederlegenden Mitglieds bei der Nachwahl für seinen Sitz erneut stellen kann, zum anderen aber auch die Zulässigkeit der Verbindung der Nachmit der Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang in Rede steht. Ob eine solche Verbindung, die in der Wahlordnung der Beklagten nunmehr ausdrücklich geregelt ist, rechtlich zulässig ist, ist unter den Verfahrensbeteiligten weiterhin streitig, so dass diesbezüglich von einem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse des Klägers - wenn auch nicht an der Ungültigerklärung der Nachwahl, wohl aber an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit wegen der behaupteten Wahlfehler - auszugehen ist.
32 Damit ist zwar der Hauptantrag auf Ungültigerklärung der Vorstandswahl 2020, soweit er sich auch auf die in diesem Rahmen durchgeführte Nachwahl erstreckt, wegen Wegfalls des Rechtsschutzinteresses unzulässig geworden, nicht aber der vom Kläger und vom Beigeladenen zu 9 hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Wahl.
33 II. In der Sache hat der Anwaltsgerichtshof der Klage zu Recht hinsichtlich der Neuwahlen stattgegeben, so dass die Berufungen insoweit zurückzuweisen sind. Hinsichtlich der Nachwahl ist das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass diese nicht für ungültig erklärt, sondern auf die hilfsweisen Feststellungsanträge des Klägers und des Beigeladenen zu 9 - unter Abweisung der weitergehenden Klage - festgestellt wird, dass die Verbindung der Nach- und der Neuwahl bei den Vorstandswahlen 2020 in einem einheitlichen Wahlgang rechtswidrig war.
34 1. Nach § 112f Abs. 1 Nr. 2 BRAO, § 20 Abs. 3 der Wahlordnung der Beklagten können Wahlen zu Organen der Beklagten für ungültig erklärt werden, wenn sie unter Verletzung des Gesetzes oder der Satzung zustande gekommen sind und damit an einem Wahlfehler leiden. Das ist hier sowohl bei der Nach- als auch bei der Neuwahl bei den Vorstandswahlen 2020 der Beklagten für den Wahlbezirk Landgericht M. der Fall.
35 a) Ein Wahlfehler liegt allerdings - anders als vom Anwaltsgerichtshof angenommen - nicht bereits im Ausschluss des Klägers von der infolge seiner Amtsniederlegung durchgeführten Nachwahl.
36 Der Kläger erfüllt zwar unstreitig die positiven Voraussetzungen der Wählbarkeit nach § 65 BRAO. Auch liegt bei ihm keiner der Gründe für den Ausschluss der Wählbarkeit gemäß § 66 BRAO vor. Entgegen der Ansicht des Anwaltsgerichtshofs ergibt sich jedoch aus § 69 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 und 3 BRAO, dass der Kläger nach seiner Amtsniederlegung nicht im Wege der Nachwahl für den von ihm niedergelegten Sitz im Vorstand wiedergewählt werden kann.
37 aa) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO ist ein Mitglied des Vorstands im Fall seines vorzeitigen Ausscheidens gemäß § 69 Abs. 1 BRAO für den Rest seiner Amtszeit durch ein neues Mitglied zu ersetzen. Diese gesetzliche Vorgabe lässt eine Kandidatur des vorzeitig ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds bei der Nachwahl für den von ihm niedergelegten Sitz schon dem Wortlaut nach nicht zu. Ob dies bereits daraus folgt, dass das ausgeschiedene Vorstandsmitglied kein "neues" - im Sinne von anderes - Mitglied wäre (so etwa Lauda in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 69 BRAO Rn. 11; Weyland/Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 69 Rn. 6; aA Kleine-Cosack, BRAO, 9. Aufl., § 69 Rn. 2), oder - wie der Anwaltsgerichtshof meint - "neu" auch lediglich im Sinne von "frisch gewählt" zu verstehen sein könnte, bedarf keiner Entscheidung. Der Ausschluss des Ausgeschiedenen von der Nachwahl ergibt sich jedenfalls daraus, dass er durch das neue Mitglied "zu ersetzen" ist. Der Begriff des Ersetzens bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch, dass etwas oder jemand an die Stelle des zu Ersetzenden treten soll (siehe etwa Duden online, www.duden.de/rechtschreibung/ersetzen), mithin hier - da die "Ersetzung" einer Person durch sich selbst nicht denkbar ist - ein anderes Vorstandsmitglied an die Stelle des vorzeitig Ausgeschiedenen tritt.
38 bb) Dieses Verständnis des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO wird durch systematische Erwägungen bestätigt.
39 (1) § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO gilt für sämtliche Fälle des vorzeitigen Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds nach § 69 Abs. 1 BRAO gleichermaßen. Er erfasst damit auch die in § 69 Abs. 1 Nr. 1 BRAO geregelten Fälle des vorzeitigen Ausscheidens, in denen das betreffende Vorstandsmitglied nicht mehr Mitglied der Kammer ist oder seine Wählbarkeit aus den in § 66 Nr. 3 BRAO angegebenen Gründen verliert. In diesen Fällen versteht es sich von selbst, dass das ausgeschiedene Vorstandsmitglied nur durch ein anderes Kammermitglied ersetzt werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber dies für den Fall des Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 BRAO anders regeln wollte, sind nicht ersichtlich.
40 (2) Der Einwand des Klägers, der Gesetzgeber habe mit der enumerativen Aufzählung in §§ 65, 66 BRAO eine abschließende Regelung für den Ausschluss der Wählbarkeit getroffen (so auch Weyland/Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 66 Rn. 1; BeckOK BRAO/Diem, Stand: 1. August 2020, § 66 Rn. 1; jeweils unter Verweis auf Isele, BRAO [1976], § 65 Anm. I.C.), trifft zwar im Grundsatz zu.
Diese Vorschriften betreffen indes die für sämtliche Arten von Vorstandswahlen, d.h. Erst- und turnusmäßige Neuwahlen (§ 68 Abs. 1 und 2 BRAO) sowie Erhöhungs- (§ 68 Abs. 3 BRAO) und Nachwahlen (§ 69 Abs. 3 BRAO), zu erfüllenden Voraussetzungen der Wählbarkeit. Sie werden aber speziell für den Fall der Nachwahl infolge der Amtsniederlegung durch die ausdrückliche Regelung in § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO ergänzt, indem das auf diesem Weg vorzeitig ausgeschiedene Vorstandsmitglied bei der Nachwahl - ebenso wie in den Fällen des vorzeitigen Ausscheidens nach § 69 Abs. 1 Nr. 1 BRAO gemäß § 65 Nr. 1 bzw. § 66 Nr. 3 BRAO - von der Wählbarkeit ausgeschlossen wird. Für diesen Fall hat der Gesetzgeber angenommen, dass der betreffende Rechtsanwalt für den Rest seiner Amtszeit für den von ihm niedergelegten Sitz im Vorstand ebenso wie in den in § 69 Abs. 1 Nr. 1 BRAO genannten Fällen nicht mehr zur Verfügung steht und daher "zu ersetzen" ist.
41 (3) Nichts anderes ergibt sich aus dem - der Sache nach zutreffenden - Hinweis des Klägers, dass nach § 68 Abs. 1 Satz 2 BRAO eine Wiederwahl grundsätzlich zulässig ist. Zutreffend ist auch die Annahme des Anwaltsgerichtshofs, dass die Unwiderruflichkeit der Amtsniederlegung nach § 69 Abs. 2 Satz 2 BRAO einer Kandidatur des Ausgeschiedenen für die Nachwahl nicht zwingend entgegensteht. Der mit dieser Unwiderruflichkeit nach der Gesetzesbegründung verfolgte Zweck, "klare Verhältnisse zu schaffen" (RegE zur Bundesrechtsanwaltsordnung, BT-Drucks. III/120, Seite 85 zu § 82 BRAO-E), würde damit nicht unterlaufen. Mit der Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung soll sichergestellt werden, dass der Ausgeschiedene nicht durch eine einseitige Willenserklärung wieder Vorstandsmitglied werden und dadurch möglicherweise Unsicherheit über die Zusammensetzung des Vorstands entstehen kann. Das aber ist nicht der Fall, wenn sich der vorzeitig Ausgeschiedene der Nachwahl für den von ihm niedergelegten Vorstandssitz stellt.
42 Beides ändert indes nichts daran, dass der Gesetzgeber mit dem klaren Wortlaut des § 69 Abs. 3 Satz 1 und 3 BRAO eine ausdrückliche Regelung für die Nachwahl getroffen hat, die speziell für diesen Fall die erneute Kandidatur des vorzeitig Ausgeschiedenen ausschließt.
43 (4) Diese Auslegung steht auch im Einklang mit dem Hinweisbeschluss des Senats vom 8. Februar 2010 in dem Verfahren AnwZ (B) 80/09 (BRAK-Mitt. 2010, 169 Rn. 10, 25). Dort hat der Senat ausgeführt, dass die Vorschrift des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO nach ihrem Zweck, die Einhaltung des ZweiJahres-Turnus für das niedergelegte Amt zu gewährleisten, dann keine Anwendung finde, wenn die vorzeitige Amtsniederlegung gerade zu dem Zweck erfolge, den Übergang zu einem überhaupt erstmals gesetzeskonform im Zwei-JahresTurnus gewählten Vorstand zu ermöglichen und eine solche besondere Zweckbindung, etwa durch einen entsprechenden Hinweis in der Rücktrittserklärung oder eine Bezugnahme auf einen entsprechenden Beschluss der Kammerversammlung, nach außen hin erkennbar sei. Für Fälle der Amtsniederlegung aus anderen Gründen ist der Senat damit ersichtlich von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO und damit der dort vorgesehenen "Ersetzung" des vorzeitig Ausgeschiedenen durch ein anderes Vorstandsmitglied ausgegangen.
44 cc) Der Ausschluss des vorzeitig Ausgeschiedenen von der Nachwahl begegnet auch keinen verfassungsmäßigen Bedenken. Insbesondere liegt darin kein Verstoß gegen die als ungeschriebenes Verfassungsrecht auch über den Anwendungsbereich der Art. 28 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG hinaus geltenden und bei den Wahlen zu den Organen der Beklagten zu beachtenden (vgl. Senat, Urteil vom 7. Dezember 2020 - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 38 ff.; BVerfGE 60, 162, 167 mwN) Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl.
45 Dabei kann offenbleiben, ob insoweit auch die vom Bundesverfassungsgericht zu staatlichen Parlamentswahlen entwickelten Grundsätze zur streng formalen Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl (vgl. BVerfGE 34, 81, 98 f.; 60, 162, 169; 121, 266, 295) auf Wahlen der Selbstverwaltungsorgane der Beklagten übertragbar sind oder hier aufgrund der Besonderheiten der funktionalen Selbstverwaltung weitergehende Einschränkungen zulässig sind und insoweit unmittelbar auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückgegriffen werden kann (vgl. dazu BVerfGE 39, 247, 254; 54, 363, 388 f.; 60, 162, 169; 111, 289, 300).
46 (1) Auch nach den Grundsätzen der streng formalen Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl sind Differenzierungen durch den Gesetzgeber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Allerdings verbleibt dem Gesetzgeber insoweit nur ein eng bemessener Spielraum. Differenzierungen hinsichtlich der aktiven oder passiven Wahlberechtigung bedürfen zu ihrer Rechtfertigung stets besonderer Gründe, die durch die Verfassung legitimiert und von mindestens gleichem Gewicht wie die Allgemeinheit bzw. Gleichheit der Wahl sind, so dass sie als "zwingend" bezeichnet werden können (vgl. BVerfGE 151, 1 Rn. 43 mwN). Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Differenzierung von Verfassungs wegen als zwangsläufig oder notwendig darstellen muss, wie dies etwa in Fällen der Kollision des Grundsatzes der Wahlgleichheit mit den übrigen Wahlrechtsgrundsätzen oder den Grundrechten der Fall sein kann. Differenzierungen im Wahlrecht können auch durch Gründe gerechtfertigt werden, die durch die Verfassung legitimiert und von einem Gewicht sind, das der Wahlgleichheit die Waage halten kann (vgl. BVerfGE 95, 408, 418). Es genügen in diesem Zusammenhang auch "zureichende", "aus der Natur des Sachbereichs der Wahl der (Volks-) Vertretung sich ergebende Gründe" (vgl. BVerfGE 1, 208, 248; 6, 84, 91 f.; 95, 408, 418).
47 Voraussetzung für eine Rechtfertigung von Einschränkungen der Allgemeinheit oder der Gleichheit der Wahl ist, dass differenzierende Regelungen zur Verfolgung ihrer Zwecke geeignet und erforderlich sind. Ihr erlaubtes Ausmaß richtet sich auch danach, mit welcher Intensität in das Wahlrecht eingegriffen wird (vgl. BVerfGE 151, 1 Rn. 43, 46). Dabei ist der Gesetzgeber auch befugt, bei der Ausgestaltung der Wahlberechtigung unter Berücksichtigung der Grenzen, die die Bedeutung des Wahlrechts und die Strenge demokratischer Egalität seinem Bewertungsspielraum setzen, Vereinfachungen und Typisierungen vorzunehmen (vgl. BVerfGE 151, 1 Rn. 47 f.).
48 (2) Danach liegt hier ein den Ausschluss des vorzeitig Ausgeschiedenen von der Nachwahl für den von ihm niedergelegten Sitz rechtfertigender zureichender besonderer Grund darin, dass der Ausgeschiedene mit seiner Amtsniederlegung typischerweise zum Ausdruck gebracht hat, das ihm mit seiner Wahl übertragene Vorstandsamt für den Rest der Amtszeit nicht mehr ausüben zu wollen. Vor diesem Hintergrund ist es auch im Rahmen eines dem Gesetzgeber möglicherweise nur begrenzt zuzubilligenden Einschätzungsspielraums gerechtfertigt, den Ausgeschiedenen von der unmittelbaren Wiederwahl (nur) für das von ihm niedergelegte Amt auszuschließen und damit die Konsequenz seiner Niederlegungsentscheidung tragen zu lassen.
49 dd) Der Ausschluss des Klägers von der Nachwahl ist auch nicht deswegen rechtswidrig, weil die Beklagte ihn zunächst (auch) für diese Wahl als Kandidat zugelassen hatte. Diese Zulassung war nach den obigen Ausführungen wegen Verstoßes gegen § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO rechtswidrig und durfte deshalb zurückgenommen werden, weil der Kläger auf den Bestand der Zulassung nicht vertrauen durfte (§ 32 BRAO i.V.m. § 48 Abs. 1 und 3 VwVfG analog).
50 b) Zu Recht hat der Anwaltsgerichtshof dagegen einen Wahlfehler darin gesehen, dass der Kläger von der turnusgemäßen Neuwahl ausgeschlossen wurde, obwohl die Voraussetzungen für seine Wählbarkeit nach §§ 65, 66 BRAO erfüllt waren. Eine gesetzliche Grundlage für seinen Ausschluss als Kandidat war nicht gegeben.
51 Insbesondere ist entgegen der Ansicht der Beklagten und des Beigeladenen zu 11 § 69 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 BRAO nicht zu entnehmen, dass das infolge seiner Amtsniederlegung ausgeschiedene Vorstandsmitglied für den Rest seiner Amtszeit gänzlich als mögliches Mitglied des Vorstands ausscheidet und damit in diesem Zeitraum für jegliche (Wieder-) Wahl als Kandidat gesperrt ist. Für eine solche erweiternde Auslegung oder gar analoge Anwendung des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO geben weder der Wortlaut noch Entstehungsgeschichte, Systematik oder Sinn und Zweck der Regelung einen hinreichenden Anhalt.
52 aa) § 69 Abs. 3 Satz 1, Satz 3 BRAO besagt dem Wortlaut nach nur, dass der Ausgeschiedene zu ersetzen ist und daher für die Nachwahl zu dem von ihm niedergelegten Sitz nicht in Betracht kommt. Seine Ersetzung "für den Rest seiner Amtszeit" bezieht sich ersichtlich nur auf das von ihm niedergelegte konkrete Amt, weil nur insoweit überhaupt eine "Ersetzung" in Betracht kommt.
53 Eine Erstreckung der Unwählbarkeit für die Dauer der restlichen Amtszeit auch auf jede andere Art von Vorstandswahl, insbesondere auch auf eine turnusmäßige Neuwahl der anderen Hälfte des Vorstands, ist - anders als die Beklagte meint - auch dem Wortlaut der übrigen Regelungen in § 69 BRAO nicht zu entnehmen. § 69 Abs. 1 BRAO bestimmt als Rechtsfolge der Amtsniederlegung lediglich das vorzeitige Ausscheiden "als Mitglied des Vorstands", enthält jedoch keine weitergehende Aussage dazu, ob und ggfls. wie lange der Ausgeschiedene nicht wieder Mitglied des Vorstands werden kann. Entsprechendes gilt für die Regelung in § 69 Abs. 2 Satz 2 BRAO, die sich ihrem Wortlaut nach auf die Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung beschränkt und damit nichts über die Möglichkeit einer Wiederwahl in den Vorstand während der restlichen Amtszeit des niedergelegten Amtes besagt.
54 bb) Den Gesetzesmaterialien ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit dem vorzeitigen Ausscheiden als Vorstandsmitglied im Fall der Amtsniederlegung von einer - dauernden oder bis zum Ablauf der ursprünglichen Amtszeit bestehenden - Unwählbarkeit des Ausgeschiedenen ausgegangen sein könnte. In der Begründung des Regierungsentwurfs zur Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959 (BT-Drucks. III/120, Seite 85 zu § 82 BRAO-E) wurde zum vorzeitigen Ausscheiden infolge Amtsniederlegung lediglich näher erläutert, dass die Niederlegung nicht an die Zustimmung des Vorstands oder der Kammerversammlung gebunden werde, weil niemand gegen seinen Willen gehalten sein solle, sein Amt als Vorstand weiterzuführen. Eine Aussage über die (Wieder-)Wählbarkeit des Niederlegenden für den Fall, dass er sich doch wieder für eine Amtsübernahme entscheiden sollte, war damit nicht verbunden. Das gilt auch für die Bestimmung der Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung, die (nur) dazu dienen sollte "klare Verhältnisse zu schaffen" (BT-Drucks. III/120, Seite 85 zu § 82 BRAO-E). Der Verlust der Wählbarkeit wurde dagegen lediglich im Zusammenhang mit dem bzw. als Grund für das vorzeitige Ausscheiden in den in der Entwurfsregelung in § 82 Abs. 1 Nr. 1 BRAO-E aufgeführten Fällen des Wegfalls einer der grundsätzlichen Wählbarkeitsvoraussetzungen nach §§ 78, 79 der Entwurfsregelungen (Kammermitgliedschaft, gerichtliche Vermögensverfügungsbeschränkung, Erhebung öffentlicher Klage wegen Verbrechens oder Vergehens, Verweis oder Geldbuße in ehrengerichtlichem Verfahren) genannt.
55 Anhaltspunkte für ein anderes Verständnis hinsichtlich der Folgen eines Ausscheidens bei Amtsniederlegung sind auch den weiteren Materialien zu Änderungen des § 69 BRAO nicht zu entnehmen. Insbesondere verhält sich auch die Begründung des Regierungsentwurfs zur Änderung des § 69 Abs. 3 BRAO im Jahr 2017 (BT-Drucks. 18/9521, Seite 126) hierzu nicht.
56 cc) Aus einer systematischen Auslegung folgt nichts anderes. Wie oben bereits ausgeführt, handelt es sich bei den Vorschriften über die Wählbarkeit nach §§ 65, 66 BRAO um eine grundsätzlich abschließende Regelung, die lediglich speziell für die Fallgestaltung der Amtsniederlegung in § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO dahin ergänzt wird, dass das betreffende Vorstandsmitglied von der Nachwahl ausgeschlossen ist.
57 Anders als die Beklagte meint, lässt sich ein Ausschluss des Klägers von einer Neuwahl auch nicht damit begründen, dass ein Gleichlauf der Wählbarkeit bei sämtlichen Fällen des § 69 Abs. 1 BRAO herzustellen sei. Wie oben bereits ausgeführt, bestimmt § 69 Abs. 1 BRAO als einheitliche Rechtsfolge der dort genannten Fälle lediglich das vorzeitige Ausscheiden als Mitglied des Vorstands, besagt aber nichts über etwaige Folgen für die (Wieder-)Wählbarkeit des Ausgeschiedenen. Diese ist vielmehr für die Fälle des § 69 Abs. 1 Nr. 1 BRAO in § 65 Nr. 1 BRAO bzw. § 66 Nr. 3 BRAO geregelt, während für den Fall des § 69 Abs. 1 Nr. 2 BRAO nach § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO speziell nur für die Nachwahl für das niedergelegte Amt und die dafür verbleibende restliche Amtszeit ein Ausschluss von der Wählbarkeit vorgesehen ist. Einen weitergehenden Ausschluss der Wählbarkeit hat der Gesetzgeber für den Fall der Amtsniederlegung nicht geregelt.
58 dd) Diese Auslegung wird durch Sinn und Zweck des § 69 Abs. 3 Satz 1, Satz 3 BRAO bestätigt. Diese Vorschrift dient der Klarstellung, dass das nachzuwählende Vorstandsmitglied abweichend von § 68 Abs. 1 Satz 1 BRAO nicht für die Dauer von vier Jahren, sondern lediglich für die verbleibende Amtszeit des von der Niederlegung betroffenen Sitzes gewählt wird, um auf diese Weise den vorgeschriebenen einheitlichen Turnus der Vorstandswahlen zu wahren (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 80/09, BRAK-Mitt. 2010, 169 Rn. 10 aE). Dieser Zweck wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass das ausgeschiedene Vorstandsmitglied im Rahmen turnusmäßiger Neuwahlen wieder in den Vorstand gewählt wird.
59 Anderes ergibt sich auch nicht unter dem von der Beklagten angeführten Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Wie oben bereits ausgeführt, wird die vom Gesetzgeber mit der Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung (§ 69 Abs. 2 Satz 2 BRAO) beabsichtigte Schaffung "klarer Verhältnisse" durch die Zulassung des Ausgeschiedenen zu einer turnusmäßigen Neuwahl in den Vorstand nicht beeinträchtigt, da er in diesem Fall nicht durch seine einseitige Willenserklärung, sondern aufgrund eines Wählervotums in einem formalisierten Wahlverfahren und zudem auf ein Amt mit einer anderen Amtszeit in den Vorstand einzieht. Insoweit gibt auch der Einwand der Beklagten, der Ausschluss als Mitglied des Vorstands und die Unwiderruflichkeit der Niederlegungserklärung sollten auch die Kontinuität und Gedeihlichkeit der Arbeit des Vorstands in der Zusammensetzung nach der Amtsniederlegung sicherstellen, keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Die Kontinuität der Arbeit des Vorstands wird durch eine Kandidatur des Ausgeschiedenen bei einer turnusmäßigen Neuwahl nicht beeinträchtigt. Die Entscheidung, ob von einer Wiederwahl des infolge einer Amtsniederlegung Ausgeschiedenen im Rahmen einer turnusmäßigen Neuwahl abzusehen ist, weil dadurch die gedeihliche Zusammenarbeit im Vorstand erschwert würde, kann nicht der Gesetzgeber treffen, sondern ist der Wahlentscheidung der Kammermitglieder überlassen.
60 ee) Entgegen der Auffassung der Beklagten gibt auch der - als allgemeiner Rechtsgedanke auch im Verwaltungsrecht geltende (vgl. BVerwGE 94, 294, 298 f.; 144, 313 Rn. 25) -Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), hier unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens (venire contra factum proprium), keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Der Ausschluss von der Wählbarkeit stellt einen schwerwiegenden Eingriff nicht nur in das passive Wahlrecht des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds, sondern auch in das aktive Wahlrecht der Kammermitglieder dar. Ein solcher Eingriff kann nicht allein mit dem Vorwurf begründet werden, sich mit der erneuten Kandidatur in Widerspruch zu dem in der Amtsniederlegung zum Ausdruck gebrachten Willen zu setzen, ohne dass dafür - wie im Fall des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO - eine gesetzliche Regelung existiert, an die eine solche Rechtsfolge angeknüpft werden könnte.
61 Der Fall der Amtsniederlegung ist zudem auch im Hinblick auf Art und Schwere des zum vorzeitigen Ausscheiden führenden Verhaltens nicht mit den in § 66 BRAO aufgeführten Fallgestaltungen zu vergleichen, die zu einem Verlust der Wählbarkeit führen.
62 Insofern greift auch das Argument der Beklagten nicht, der Kläger würde durch seine Amtsniederlegung den gesetzlich vorgeschriebenen Wahlturnus unterlaufen und sich durch Wiederwahl in ein anderes Amt eine aktualisierte vierjährige Amtszeit sichern. Wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, entscheiden auch im Fall der Amtsniederlegung allein die wahlberechtigten Kammermitglieder darüber, ob das Vorstandsmitglied, das sein Amt niedergelegt hat, gleichwohl wieder - im Rahmen der turnusgemäßen Neuwahl - mit einem Amt im Vorstand betraut werden soll.
63 c) Schließlich verstieß die Verbindung von Nach- und Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang gegen § 68 Abs. 4 BRAO analog. § 68 Abs. 4 BRAO ist auf den Fall der gleichzeitigen Durchführung einer Nach- mit einer Neuwahl entsprechend anwendbar.
64 aa) § 69 BRAO enthält keine Regelung für das gleichzeitige Zusammentreffen einer Nachwahl (§ 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO) mit einer Neuwahl (§ 68 Abs. 1 BRAO). Für den Fall einer Ergänzungswahl (§ 68 Abs. 3 BRAO) schreibt § 68 Abs. 4 BRAO bei gleichzeitiger Durchführung mit einer Neuwahl ausdrücklich vor, dass beide Wahlen getrennt voneinander vorzunehmen sind. Grund dafür ist, dass die Amtszeit der zu wählenden Mitglieder verschieden ist. Während die Wahlperiode der aus den Neuwahlen hervorgegangenen Vorstandsmitglieder vier Jahren beträgt (§ 68 Abs. 1 BRAO), endet die Amtszeit der Hälfte der in den erweiterten Vorstand hinzugewählten neuen Mitglieder nach § 68 Abs. 3 BRAO bereits nach zwei Jahren (BT-Drucks. III/120 Seite 85 zu § 81 BRAO-E; Isele, BRAO [1976], § 68 Anm. VIII.B.).
65 bb) § 68 Abs. 4 BRAO ist auf den Fall der gleichzeitigen Durchführung einer Nach- mit einer Neuwahl entsprechend anwendbar.
66 (1) Voraussetzung für eine Analogie ist, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (st. Rspr.; s. nur BGH, Urteil vom 24. Februar 2021 - VIII ZR 36/20, NJW 2021, 1942 Rn. 38; Beschluss vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20, NJW 2022, 1620 Rn. 21; jeweils mwN).
67 Eine Analogie setzt daher voraus, dass die Übertragung der gesetzlichen Regelung auf den ungeregelten Fall nicht durch eine gesetzgeberische Entscheidung ausgeschlossen ist. Die Regelungslücke muss sich aus einem unbeabsichtigten Abweichen des Gesetzgebers von seinem - dem konkreten Gesetzgebungsvorhaben zugrundeliegenden - Regelungsplan ergeben, wie er sich aus dem Gesetz selbst im Wege der historischen und teleologischen Auslegung ergibt. Das Vorliegen einer vom Gesetzgeber unbeabsichtigten Lücke und ihre Planwidrigkeit müssen dabei aufgrund konkreter Umstände positiv festgestellt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2022 - VIII ZR 359/20, NJW 2022, 1620 Rn. 22 mwN).
68 Weiter ist danach für eine Analogie erforderlich, dass die Interessenlage des gesetzlich geregelten Falls mit der des zu entscheidenden Falls übereinstimmt. Zusätzlich müssen auch die Wertungsgrundlage und die gesetzgeberische Interessenbewertung der Gesetzesnorm auf den zu entscheidenden Fall zutreffen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2021 - VIII ZR 36/20, NJW 2021, 1942 Rn. 41).
69 (2) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. (a) Das Gesetz enthält für den Fall des gleichzeitigen Zusammentreffens von Nach- und Neuwahlen eine planwidrige Regelungslücke.
70 Aus der Gesetzesbegründung zu § 68 Abs. 4 BRAO (bzw. der wortgleichen Regelung in § 81 Abs. 4 des Regierungsentwurfs) ergibt sich, dass der Gesetzgeber bei einer gleichzeitigen Durchführung von Vorstandswahlen mit verschiedenen Amtszeiten der gewählten Mitglieder getrennte Wahlgänge für erforderlich erachtet hat (BT-Drucks. III/120, Seite 85 zu § 81 BRAO-E). Dass er dies nur für den Fall der Ergänzungs-, nicht aber auch für den Fall der Nachwahl ausdrücklich geregelt hat, erklärt sich dadurch, dass die Nachwahl nach § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO in der bis zum 30. Juni 2018 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) im Fall des vorzeitigen Ausscheidens eines Vorstandsmitglieds in der nächsten Kammerversammlung stattzufinden hatte, sofern nicht nach § 69 Abs. 3 Satz 2 BRAO aF von einer Nachbesetzung abgesehen werden konnte. Der Gesetzgeber hat die Nachwahl danach ersichtlich als singulären Vorgang betrachtet, dessen Zeitpunkt durch das - seinerseits zeitlich nicht durch den Satzungsgeber bestimm- oder planbare - Eintreten eines der in § 69 Abs. 1 BRAO genannten Fälle des vorzeitigen Ausscheidens bestimmt wurde. Anders als im Fall der Ergänzungswahl nach § 68 Abs. 3 BRAO, bei der aufgrund der zuvor erforderlichen Beschlussfassung der Kammerversammlung über die Erhöhung der Zahl der Vorstandsmitglieder eine gleichzeitige Durchführung dieser Wahl mit einer turnusmäßigen Neuwahl für den Satzungsgeber planbar und naheliegend ist, hat er die Möglichkeit einer zeitgleichen Durchführung von Nach- und Neuwahl daher nicht vor Augen gehabt. Die Konstellation, dass - wie in § 19 der Wahlordnung der Beklagten in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung - eine nicht zwingende Nachwahl zwar durchgeführt, aber bis zur nächsten turnusmäßigen Neuwahl aufgeschoben wird, hatte er nach der gesetzlichen Konzeption des § 69 Abs. 3 Satz 1 BRAO aF nicht im Blick (siehe auch Isele, BRAO [1976], § 69 Anm. III.B., wonach der gesetzmäßige Zustand "beschleunigt wiederherzustellen" sei und es nicht ausreiche, die gesetzliche Mindestzahl herzustellen, sondern für jeden Ausgeschiedenen ein Ersatzmann zu wählen sei).
71 Aus den Materialien zur Neufassung des § 69 Abs. 3 BRAO im Jahr 2018 ergibt sich nichts anderes. Danach diente die Änderung der Vorschrift nur der Anpassung daran, dass die Wahl des Vorstands nunmehr gemäß § 64 BRAO nicht mehr durch die Kammerversammlung erfolgt, sondern durch Briefwahl oder elektronische Wahl (siehe BT-Drucks. 18/9521, Seite 126 zu § 69 BRAO-E). Zu der hier zu beantwortenden Frage, ob Nach- und Neuwahl in einem einheitlichen oder in getrennten Wahlgängen stattzufinden haben, verhalten sich die Materialien nicht. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber auch hier die Problematik einer gleichzeitigen Durchführung von Nach- und Neuwahl übersehen hat, zumal er auch hier die Regelung des § 68 Abs. 4 BRAO unverändert belassen hat.
72 (b) Die Interessenlage bei einer gleichzeitigen Durchführung von Nachund Neuwahl ist mit derjenigen des § 68 Abs. 4 BRAO vergleichbar. Auch bei einem Zusammentreffen von Nach- und Neuwahl sind die Wahlperioden unterschiedlich lang. Der vierjährigen Wahlperiode der im Rahmen der Neuwahlen zu wählenden Vorstandsmitglieder steht bei den Nachwahlen eine Wahlperiode gegenüber, die dem Rest der Amtszeit der vorzeitig ausgeschiedenen Vorstandsmitglieder entspricht. Auch in diesem Fall bedarf es daher zur Transparenz, auf welche Mitglieder sich welche Amtszeit bezieht, getrennter Wahlgänge (vgl. Lauda in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl. 2020, § 68 BRAO Rn. 8; Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 68 Rn. 12).
73 Ob sich die Rechtswidrigkeit der Zusammenlegung von Nach- und Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang - wie der Kläger meint - auch unmittelbar bereits aus den verfassungsmäßigen Grundsätzen der Gleichheit und der Unmittelbarkeit der Wahl ergäbe, bedarf damit keiner Entscheidung.
74 cc) Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Durchführung der Nach- und Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang ihrer im Zeitpunkt der Vorstandswahl 2020 geltenden Wahlordnung entsprochen habe.
75 Die Durchführung eines einheitlichen Wahlgangs, in dem "bei der Nachwahl die Person gewählt" ist, "die im Rahmen der turnusmäßigen Wahl für den betroffenen Wahlbezirk mit den meisten Stimmen nicht gewählt wurde", wurde erst mit der zum 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Neufassung von § 19 der Wahlordnung der Beklagten vorgeschrieben. Nach der vom 1. Juni 2019 bis zum 31. Dezember 2020 und damit im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Wahl geltenden Fassung von § 19 Satz 2 der Wahlordnung der Beklagten konnte die Nachwahl, solange die Zahl der Vorstandsmitglieder durch das Ausscheiden nicht unter sieben sank, lediglich "zeitgleich" mit der nächsten turnusmäßigen Neuwahl erfolgen. Daraus folgte lediglich, dass beide Wahlen gleichzeitig stattfinden konnten, d.h. eine nach § 69 Abs. 3 Satz 2 BRAO nicht zwingende Nachwahl nicht in der nächsten Kammerversammlung nach dem Ausscheiden erfolgen musste, sondern bis zur nächsten turnusgemäßen Neuwahl aufgeschoben werden konnte. Dass über diese gleichzeitige Durchführung hinaus auch beide Wahlen in einem einheitlichen Wahlgang durchgeführt werden sollten/konnten, ergab sich daraus nicht und wäre - wie oben ausgeführt - auch gesetzeswidrig.
76 2. Diese Wahlfehler führen zur Ungültigerklärung der Vorstandswahl 2020 hinsichtlich der Neuwahl der Beigeladenen zu 1 bis 8 und zu 10 bis 12. Hinsichtlich der Nachwahl des Beigeladenen zu 9 ist - entsprechend dem hilfsweisen Begehren des Klägers und des Beigeladenen zu 9 - festzustellen, dass die Verbindung der Nach- mit der Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang rechtswidrig war.
77 a) Bei Vorliegen eines Wahlfehlers steht die Ungültigerklärung einer Wahl - trotz des Wortlauts von § 112f BRAO - nicht im Belieben des Gerichts. Ein solches Verständnis wäre mit dem Zweck der Wahlanfechtung, die Einhaltung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben für die Wahl, aber auch die diesen Vorgaben entsprechende Teilhabe der Kammermitglieder an dem Wahlvorgang sicherzustellen, unvereinbar. Eine Wahl, die gegen Gesetz oder Satzung verstößt, kann daher vorbehaltlich der unter 2.c) anzustellenden Prüfung in Anlehnung an die Rechtslage bei der Anfechtung von Beschlüssen der Rechtsanwaltskammer und an gesetzliche Einschränkungen in § 112f Abs. 1 BRAO funktionell entsprechenden Vorschriften wie § 101 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 HwO oder § 25 BPersVG nur bei solchen Fehlern Bestand haben, die sich auf das Wahlergebnis weder tatsächlich ausgewirkt haben noch konkret und nicht nur theoretisch haben auswirken können (vgl. Senat, Urteil vom 7. Dezember 2020 - AnwZ (Brfg) 19/19, NJW 2021, 2041 Rn. 74 mwN).
78 b) Danach kann hier eine Ursächlichkeit der oben festgestellten Wahlfehler sowohl für das Ergebnis der Neu- als auch der Nachwahl nicht verneint werden. Ob sich die beiden Wahlfehler tatsächlich auf das jeweilige Wahlergebnis ausgewirkt haben, ist zwar nachträglich nicht feststellbar. Es besteht aber die konkrete, nicht nur theoretische Möglichkeit, dass dies der Fall war.
79 Wäre der Kläger als Kandidat für die Neuwahl zugelassen worden, ist - zumal in Anbetracht der von ihm bei den Vorstandswahlen 2022 erzielten Stimmenzahl - nicht auszuschließen, dass er zu den elf Kandidaten gehört hätte, die die meisten Stimmen erzielten. Jedenfalls aber besteht die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass auf ihn Stimmen entfallen wären, die aufgrund seiner Nichtzulassung für einen der anderen gewählten Kandidaten abgegeben wurden. Da nicht festzustellen ist, welcher der tatsächlich gewählten Kandidaten in welchem Umfang davon betroffen gewesen wäre, und die Unterschiede zwischen den erzielten Stimmen insbesondere bei den mit weniger Stimmen Gewählten relativ gering sind, ist damit auch nicht ausgeschlossen, dass sich die Zusammensetzung des Vorstands selbst dann hätte anders darstellen können, wenn der Kläger nicht zu den Gewählten gehört hätte. Ebenso besteht die konkrete und nicht nur theoretische Möglichkeit, dass das Ergebnis der Nachwahl anders ausgefallen wäre, wenn die Wähler bewusst und gezielt eine gesonderte Entscheidung darüber hätten treffen können, wer (nur) für die restliche Amtszeit von zwei Jahren anstelle des Klägers in den Vorstand nachrücken sollte.
80 c) Trotz eines ergebnisrelevanten Fehlers ist allerdings von der Ungültigerklärung einer angefochtenen Wahl nach § 112f Abs. 1 BRAO abzusehen, wenn das dem wahlprüfungsrechtlichen Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs entspricht (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Februar 2010 - AnwZ (B) 80/09, BRAK-Mitt. 2010, 169 LS 3 und Rn. 21). Die Entscheidung darf nur so weit gehen, wie es der festgestellte Wahlfehler verlangt. Die Ungültigerklärung einer gesamten Wahl setzt daher regelmäßig einen erheblichen Wahlfehler von solchem Gewicht voraus, dass ein Fortbestand der in dieser Weise gewählten Vertretung unerträglich erschiene. Zudem kann in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlprüfung nach Art. 41 GG auch dann davon abgesehen werden, die Wahl für ungültig zu erklären, wenn das Interesse am Bestandsschutz des im Vertrauen auf die Gesetzmäßigkeit der Wahl gewählten Vorstands den festzustellenden Wahlfehler überwiegt (BVerfGE 103, 111, 134; 121, 266, 311 f.; Senat, aaO Rn. 22).
81 aa) Eine Ungültigerklärung der Nachwahl des Beigeladenen zu 9 scheidet bereits - wie oben dargelegt - wegen Unzulässigkeit des diesbezüglichen Hauptantrags nach Ablauf der Wahlperiode für den nachzuwählenden Sitz aus. Im Übrigen wäre ein Fortbestand dieser Wahl auch nicht unerträglich, weil der Beigeladene zu 9 sich nach Ablauf seiner Amtszeit im Jahr 2022 bei den turnusmäßigen Neuwahlen in 2022 wieder zur Wahl stellen konnte, so dass seine Nachwahl im Jahr 2020 auch insofern keine Auswirkungen mehr auf die künftige Zusammensetzung des Vorstands mehr haben kann. Insoweit ist allerdings auf die entsprechenden Hilfsanträge des Klägers und des Beigeladenen zu 9 festzustellen, dass die Nachwahl wegen der Verbindung mit der turnusmäßigen Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang rechtswidrig war.
82 bb) Hinsichtlich der Neuwahl der Beigeladenen zu 1 bis 8 und zu 10 bis 12 im Jahr 2020 ist dagegen in Anbetracht des Gewichts der vorliegenden Wahlfehler kein überwiegendes Bestandsschutzinteresse zu bejahen.
83 Der unrechtmäßige Ausschluss eines Kandidaten von der Wahl stellt einen schwerwiegenden Eingriff in sein passives, aber auch in das aktive Wahlrecht der Wahlberechtigten unter Verletzung der wesentlichen Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl dar. Anders als etwa bei einer unzulässigen Wahlbeeinflussung oder formalen Fehlern bei der Durchführung einer Wahl wird eine Wahl dieses Kandidaten nicht nur nachteilig beeinträchtigt, sondern völlig unmöglich. Der Ausschluss des Klägers hat - wie oben dargelegt - möglicherweise nicht nur Auswirkungen auf die Wahl seiner Person, sondern auf die gesamte Zusammensetzung der im Jahr 2020 turnusmäßig neu gewählten Hälfte des Vorstands, deren Amtszeit auch nicht in bereits absehbarer Zeit endet.
84 Das gilt gleichermaßen für die unrechtmäßige Durchführung von Nachund Neuwahl in einem Wahlgang. Insbesondere auch im Hinblick darauf, dass dies nach der zum 1. Januar 2021 in Kraft getretenen Neufassung von § 19 Satz 2 der Wahlordnung der Beklagten für künftige Fälle einer Nachwahl ausdrücklich vorgegeben ist, lässt sich kein überwiegendes Bestandsschutzinteresse bejahen.
85 cc) Die Vorstandswahl 2020 ist hinsichtlich der Nachwahl des Beigeladenen zu 9 einerseits und der Neuwahl der übrigen Beigeladenen teilbar.
86 Sowohl aus den - auch für die Wahlanfechtung nach § 112f BRAO geltenden - allgemeinen verwaltungsprozessualen Grundsätzen für die Anfechtung von teilbaren Verwaltungsakten als auch aus dem bei Wahlanfechtungen geltenden Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs (s.o.) folgt, dass die Aufhebung einer Wahl, wenn möglich, auf den abgrenzbaren Teil, auf den sich der Wahlfehler ausgewirkt hat, zu beschränken ist (vgl. Senat, Urteil vom 7. Dezember 2020 - AnwZ (Brfg) 19/19, juris Rn. 111 f.).
87 Die den zugrundeliegenden Erwägungen gelten im vorliegenden Fall gleichermaßen. Zwar haben sich die festgestellten Wahlfehler sowohl auf das Ergebnis der Nach- als auch der Neuwahl ausgewirkt bzw. nicht nur theoretisch auswirken können. Gleichwohl kommt aus den oben genannten Gründen eine Ungültigerklärung der Nachwahl nicht mehr in Betracht. Auch wenn Nach- und Neuwahl in einem einheitlichen Wahlgang verbunden wurden, handelte es sich der Sache nach um zwei verschiedene Wahlen zu Ämtern mit unterschiedlichen Amtsperioden, die infolge dieser Selbständigkeit auch hinsichtlich ihrer Aufrechterhaltung aufgrund des gebotenen Bestandsschutzes voneinander getrennt werden können.
88 Jedenfalls besteht aufgrund des zwischenzeitlichen Ablaufs der Amtsperiode für das nachzuwählende Amt im Jahr 2022 auch keine Gefahr mehr, dass bei Ausnahme der Nachwahl von der Ungültigerklärung eine insoweit fehlerhafte Zusammensetzung des Gesamtvorstands auch noch künftig Bestand hätte. Da die insgesamt für ungültig erklärte turnusmäßige Neuwahl 2020 der elf Kandidaten mit den meisten Stimmen als solche von der damaligen Nachwahl des Kandidaten mit den zwölftmeisten Stimmen unabhängig ist, kann es auch insoweit nicht mehr zu einer Verzerrung des damaligen Wahlergebnisses kommen.
89 III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 155 Abs. 1 Satz 3, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3, § 159 Satz 2 VwGO.
90 Der Beklagten sind die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen aufzuerlegen, da der Kläger nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Die Wahlanfechtungsklage des Klägers hatte im Ergebnis nur hinsichtlich der für seinen niedergelegten Amtssitz erfolgten Nachwahl für die restliche Amtszeit von zwei Jahren teilweise keinen Erfolg, war aber hinsichtlich der übrigen elf turnusmäßig für vier Jahre neu zu wählenden Vorstandssitze erfolgreich. Zudem ist auch hinsichtlich der Nachwahl ein ergebnisrelevanter Wahlfehler festzustellen, der lediglich aufgrund des zwischenzeitlichen Ablaufs der Wahlperiode nicht zur Ungültigerklärung auch dieser Wahl geführt hat. Dementsprechend sind die Kosten des Verfahrens auch dem Beigeladenen zu 4 und dem Beigeladenen zu 11 aufzuerlegen, soweit sie in den Instanzen Anträge gestellt bzw. Rechtsmittel eingelegt haben (§ 154 Abs. 3, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO). Hinsichtlich des Beigeladenen zu 9 entspricht es billigem Ermessen, eine Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten erster bzw. beider Instanzen durch die Beklagte und den Beigeladenen zu 4 und zu 11 anzuordnen, da der Beigeladene zu 9 im selben Umfang wie der Kläger in beiden Instanzen Anträge gestellt und obsiegt hat (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten und der Beigeladenen zu 4 und zu 11 folgt aus § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 159 Satz 2 VwGO (vgl. BSG, BeckRS 2019, 25360 Rn. 22 f.).
91 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Juli 2018 - AnwZ (Brfg) 15/18, juris Rn. 15 mwN).