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Wirtschaftsrecht
22.10.2009
Wirtschaftsrecht
OLG Frankfurt: Zur Rechtzeitigkeit der Prospektübergabe anlässlich der Zeichnung einer Beteiligung

OLG Frankfurt, Urteil vom 19.8.2009 - 17 U 98/09

Leitsatz (der Kommentatorin)

Ein Anleger, der bei der Anlageentscheidung den Prospekt in Händen hat, muss konkret vortragen, warum die Unterzeichnung der Beteiligung nicht bis zur Durchsicht des Prospekts hätte aufgeschoben werden können.

Sachverhalt

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen die Abweisung seiner Klage, mit der er die Beklagte im Hinblick auf eine angebliche fehlerhafte Anlageberatung im Zusammenhang mit der durch die Beklagte vermittelten Beteiligung an dem geschlossenen Film & Entertainment VIP Medienfonds 3 GmbH & Co. KG auf Schadensersatz in Anspruch nimmt.

Der Kläger beteiligte sich am 19.11.2003 mit insgesamt 52 500 Euro über einen Treuhänder an der Film & Entertainment VIP Medienfonds 3 GmbH Co. KG. Die Beteiligung wurde dem Kläger von einem Mitarbeiter der beklagten Bank, dem Zeugen M., empfohlen. Dieser übergab dem Kläger einen Prospekt, auf dessen Deckblatt der Fonds als „Garantiefonds" bezeichnet wird. Die Beklagte erhielt eine Vermittlungsprovision in Höhe von 8,5 % der Anlagesumme, worauf der Kläger vom Anlageberater M. nicht mündlich oder schriftlich gesondert hingewiesen wurde.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

II. ... Auch unter Berücksichtigung des mit der Berufung Vorgebrachten gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat. Eine etwaige Pflichtverletzung der Beklagten, die darin bestehen könnte, dass diese den Kläger nicht über die Höhe der ihr nach dem Fondsmodell zukommenden Rückvergütung aufgeklärt hat, ist jedenfalls nicht für den Beitrittsentschluss des Klägers kausal geworden.

            Zustandekommen eines Beratungsvertrags 

Rechtlich zutreffend ist zunächst die Annahme des Landgerichts, dass zwischen den Parteien ein Anlageberatungsvertrag zustande gekommen ist. Dabei kann offen bleiben, ob die Initiative zur Zeichnung der Fondsbeteiligung vom Kläger als Kunden oder von dem Kundenberater der Beklagten ausgegangen ist. Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder der Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (vgl. BGH, Urt. v. 6.7.1993 - XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 ff. = BB 1993, 1903, zit. nach juris, Rn. 11 m. w. N.).

            Keine Schadensersatzpflicht wegen Verletzung von Beratungspflichten

Dem Landgericht kann auch in der Beurteilung gefolgt werden, dass sich die Beklagte nicht wegen Verletzung von Beratungspflichten gegenüber dem Kläger schadensersatzpflichtig gemacht hat.

Inhalt und Umfang der Beratungspflicht hängen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die Beratung hat sich zunächst daran auszurichten, ob das beabsichtigte Anlagegeschäft der sicheren Geldanlage dienen soll oder spekulativen Charakter hat. Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung dieses Ziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten, also „anlegergerecht" sein (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1981 - IV a ZR 286/80, NJW 1982, 1095, 1096; BGH, Urt. v. 6.7.1993 - XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 ff. = BB 1993, 1903, zit. nach juris, Rn. 17). Die Bank trifft eine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aufklärung über das konkrete Anlagerisiko (vgl. BGH, Urt. v. 6.3.2008 - III ZR 198/05, WM 2008, 725 ff., zit. nach juris, Rn. 25). Fehlen ihr derartige Kenntnisse, so hat sie das dem Kunden mitzuteilen und offenzulegen, dass sie zu einer Beratung z. B. über das konkrete Risiko eines Geschäfts mangels eigener Information nicht in der Lage ist (vgl. BGH, Urteil vom 6.7.1993, a. a. O., Rn. 19; BGH, Urteil vom 7.10.2008 - XI ZR 89/07 = BB 2008, 2645 m. Komm. Rotter = WM 2008, 2166 ff., zit. nach juris, Rn. 14). Die Beklagte hat diese aufgezeigten Verpflichtungen zur anlegergerechten und anlagegerechten Beratung nicht verletzt, als sie dem Kläger empfahl, sich an dem streitgegenständlichen Medienfonds zu beteiligen.

Dies gilt zunächst hinsichtlich der die Beklagte treffenden Pflicht zur Plausibilitätsprüfung des Anlagekonzeptes, in deren Erfüllung sie die prospektierte Anlageform mit banküblichem kritischem Sachverstand zu prüfen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 7.10.2008 - XI ZR 89/07 = BB 2008, 2645 m. Komm. Rotter = WM 2008, 2166 ff., zit. nach juris, Rn. 12). Dies hat die Beklagte dadurch erfüllt, dass sie das Emissionsprospekt einer Prüfung nach den Prüfungsgrundsätzen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., IDW Standard S. 4 („IDW Standard) unterzogen hat. Soweit sie diese Prüfung der P. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft übertragen hat, würde die Beklagte für etwaige, dieser Gesellschaft zur Last fallende Beurteilungsfehler zwar gemäß § 278 BGB wie für eigenes Verschulden haften. Fehler des beklagtenseits vorgelegten Wirtschaftsprüfergutachtens vom 12.11.2002 sind jedoch weder konkret vorgetragen, noch ersichtlich ...

Auch hat die Beklagte die ihr obliegende Pflicht zur Plausibilitätsprüfung nicht in Bezug auf die klägerseits beabsichtigte steuerliche Anerkennung der Verlustzuweisungen verletzt ...

Die Beklagte hat weiterhin den Kläger nicht hinsichtlich des Totalverlustrisikos fehlerhaft beraten. Der Zeuge M. hat dem Kläger vor Zeichnung der Kapitalanlage den Beteiligungsprospekt überlassen, welcher ... unter der Überschrift „Chancen und Risiken" hinreichend klarstellt, dass es sich um eine unternehmerische Beteiligung handelt, die zum Totalverlust des investierten Kapitals führen kann. Eine Mitunternehmerstellung der Anleger war ja gerade Voraussetzung der steuerlichen Verrechnung von Verlustzuweisungen ...

            Keine Aufklärungspflichtverletzung über Rückvergütungen

Die Beklagte haftet dem Kläger auch nicht wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) deshalb auf Schadensersatz, weil sie die notwendige Aufklärung des Klägers über die ihr zugesagte und zugeflossene Innenprovision (Rückvergütung) unterlassen hätte.

Allerdings traf die Beklagte aus dem mit dem Kläger geschlossenen Beratungsvertrag die Pflicht, den Kläger über die Höhe der Innenprovision wahrheitsgemäß aufzuklären.

In seiner Entscheidung vom 20.1.2009 (XI ZR 510/07, u. a. abgedruckt in BB 2009, 459 mit Komm. Lamberti/Stumpf = WM 2009, 405-406 = ZIP 2009, 455-460 u. BKR 2009, 354-355 u. NJW 2009, 1416-1417) hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass eine Bank eine Aufklärungspflicht über beim Vertrieb von Fondsanteilen (dort: Medienfonds) erhaltene Rückvergütung trifft. Dem folgt der Senat. Denn der Kunde wird erst durch die Aufklärung über die Innenprovision in die Lage versetzt, das Umsatzinteresse der Bank selbst einzuschätzen (BGH, Urt. v. 19.12.2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 ff., zit. nach juris, Rn. 23).

Für den Mitarbeiter der Beklagten bestand im Hinblick auf die Vermittlungsprovision ein ganz erheblicher Anreiz, gerade diese konkrete Fondsbeteiligung zu empfehlen. Darüber und über den damit verbundenen Interessenkonflikt musste die Beklagte den Kläger im Rahmen des Beratungsgesprächs grundsätzlich informieren, um ihn in die Lage zu versetzen, das Umsatzinteresse der Beklagten einschätzen und beurteilen zu können, ob die Beklagte und ihr Berater die Fondsbeteiligung nur deshalb empfahl, weil sie selbst daran verdienten.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, insoweit fehle es an einem schuldhaften Verstoß, weil sich die Rechtsprechung zur Aufklärungspflicht durch die vorstehend wiedergegebene Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Aufklärungspflicht hinsichtlich Innenprovisionen und Rückvergütungen geändert habe und sie auf die frühere abweichende Rechtsprechung, die eine Aufklärungspflicht verneint habe, im Zeitpunkt der Beratung habe vertrauen dürfen. Tatsächlich hat eine Vielzahl erstinstanzlicher Entscheidungen in diesem Sinne entschieden und ein Verschulden des Anlageberaters bei fehlender Aufklärung verneint. Auch in Kenntnis der Entscheidung des XI. Zivilsenats vom 20.1.2009 wird in Urteilsanmerkungen weiterhin vertreten, in Bezug auf ältere Fälle erscheine es nicht als ausgeschlossen, dass sich eine Bank im Einzelfall darauf berufen könne, eine Pflicht zur ungefragten Offenlegung von Vermittlungsgebühren beim Vertrieb von geschlossenen Fonds sei für Anlageberater vor Veröffentlichung des Beschlusses vom 20.1.2009 nicht erkennbar gewesen (vgl. die Anmerkung zu BGH Beschluss v. 20.1.2009 von Prof. Dr. Buck-Heeb in jurisPR-BKR 3/2009 Anm. 1 u. Geist, BKR 2009, S. 127, 128). Der Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen. Auch wenn man von einem vorsatzausschließenden Rechtsirrtum der Beklagten ausgehen muss, bleibt der Vorwurf einer fahrlässigen Pflichtverletzung grundsätzlich bestehen, denn von einem unvermeidlichen Rechtsirrtum kann nicht ausgegangen werden.

Es gab nämlich im Zeitpunkt der maßgeblichen Anlageentscheidung des Klägers (1996) keine höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Aufklärungspflicht der Bank über Innenprovisionen bei Empfehlung und anschließender Vermittlung von Fondsanteilen verneint hätte. Auch begründete die Entscheidung des BGH vom 20.1.2009 keine Rechtsprechungsänderung. Vielmehr hatte der BGH bereits im Urteil v. 19.12.2006 - XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 ff., die Pflicht zur Aufklärung über Rückvergütungen im Rahmen eines Beratungsvertrags - allerdings einen Aktienfonds betreffend - angenommen. Die abweichende Entscheidung vom 22.3.2007 (III ZR 218/06, WM 2007, 873, 874, Tz. 9) betraf die Haftung eines Anlagevermittlers (vgl. zur Maßgeblichkeit dieser Unterscheidung: BGH, Beschluss v. 20.1.2009 - XI ZR 510/07 = BB 2009, 459 mit Komm. Lamberti/Stumpf = WM 2009, 405, zit. nach juris, Rn. 10). Der Senat folgt vielmehr dem Landgericht Hamburg (Urteil vom 18.3.2009 - 301 O 26/08, zit. nach juris, Rn.36 ff.) darin, dass an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums strenge Maßstäbe anzulegen sind, die hinsichtlich der Aufklärungspflicht über Rückvergütungen im Rahmen von, Beratungsverträgen nicht erfüllt sind.

Einer abschließenden Entscheidung seitens des Senats hinsichtlich dieser Problematik unter Einbezug der von der Beklagten vorgelegten erstinstanzlichen Rechtsprechung, die für ihren Standpunkt streitet, bedarf es allerdings nicht, weil hier eine Pflichtverletzung der Beklagten daran scheitert, dass es einer Angabe des genauen Prozentsatzes der der Beklagten aus einer Vermittlung der streitgegenständlichen Fondsbeteiligung zufließenden Rückvergütung aus den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht bedurfte. So ist eine notwendige Aufklärung des Klägers darüber, dass für die Eigenkapitalbeschaffung von Seiten der Fondsgesellschaft Innenprovision gezahlt wurden, in dem dem Kläger bei Beteiligungserwerb vorliegenden Fondsprospekt erfolgt ... [wird ausgeführt].

Aus diesen Prospektangaben war für den Kläger nicht nur der Umstand ersichtlich, dass die Beklagte für die Vermittlung der Fondsbeteiligung von der Fondsgesellschaft eine Rückvergütung erhielt. Es wurde ihm vielmehr auch die Provisionshöhe annähernd deutlich gemacht, die (für die Beklagte) tatsächlich bei 8,5% der Anlagesumme lag.

Durch seine mangelnde Nachfrage zu diesem Punkt machte der Kläger deutlich, dass die konkrete Provisionshöhe, die die Beklagte für die Vermittlung der streitgegenständlichen Fondsbeteiligung erhalten würde, für seine Anlageentscheidung unwesentlich war und sich weitere Aufklärung dazu erübrigte. Diese Beurteilung steht auch im Einklang mit der Darstellung des Klägers hinsichtlich seiner Motivation in der Klageschrift, dass er nämlich dem Medienfonds nicht beigetreten wäre, wenn er die seiner Meinung nach bestehende Steuerschädlichkeit des Garantiekonzepts gekannt hätte. Demnach kam es dem Kläger gerade auf die Möglichkeit an, Steuern zu sparen. Damit ist die unterlassene ausdrückliche Aufklärung des Klägers über die genaue Höhe der an die Beklagte gezahlten Vertriebsprovision für die Anlageentscheidung jedenfalls nicht kausal geworden.

Zwar streitet zugunsten des Anlegers im Fall einer Aufklärungspflichtverletzung eine Kausalitätsvermutung, dass er bei entsprechender Aufklärung die Beteiligung nicht eingegangen wäre. Da aus den vorgeschilderten Gründen hier die erheblichsten Zweifel bestehen, dass die Höhe der der Beklagten für den Vertrieb gezahlten Provision für die Anlageentscheidung eine Rolle gespielt hat, vielmehr davon auszugehen ist, dass die Steuerersparnis für ihn im Vordergrund stand, und er die Anlage auch bei Kenntnis dieses Punktes gezeichnet hätte, streitet die Kausalitätsvermutung hier nicht zu seinen Gunsten. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger den Prospekt erst unmittelbar vor Zeichnung der Beteiligung erhalten haben und nicht zur Kenntnis genommen und sich vor allem auf die Einschätzung des Zeugen M. verlassen haben will.

Dafür, dass ihm der Prospekt nicht rechtzeitig vor der Anlageentscheidung zugegangen sei, trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.2006 - III ZR 205/05, WM 2006, 1288 ff., zit. nach juris, Rn. 6 ff.; OLG München, Urt. v. 2.6.2008 - 17 U 5698/07, zit. nach juris, Rn. 51). Unstreitig hat der Kläger den Prospekt bei der Anlageentscheidung in Händen gehabt. Dass es ihm nicht möglich gewesen sein sollte, von dem Prospektinhalt Kenntnis zu nehmen und sich damit eingehend zu befassen, hat der Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Insoweit hätte es konkreter Darlegungen dazu bedurft, warum die Unterzeichnung der Beteiligung nicht bis zur Durchsicht des Prospekts hätte aufgeschoben werden können.

Ein etwaiges Vertrauen des Klägers, die Beklagte erhalte keine Innenprovision, wäre nicht schutzwürdig. Denn der Zeuge M. hatte dem Kläger ja gerade den Prospekt vor Zeichnung der Anlage zu dem Zwecke übergeben, sich über nicht ausdrücklich angesprochene Fragen kundig zu machen. Zudem musste der Kläger auch deshalb mit einer Rückvergütung der Beklagten rechnen, weil er in einem Vermögensanlage-Bogen auf mögliche, der Beklagten zufließende, Vertriebsprovisionen und Interessenkonflikte der Beklagten hingewiesen worden ist.

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