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Wirtschaftsrecht
09.01.2025
Wirtschaftsrecht
EuGH: Zur (Nicht-)Anwendbarkeit von Art. 1 Abs. 2 Buchst. b VO (EU) Nr. 1215/2012

EuGH, Urteil vom 14.11.2024 – C-394/22, Oilchart International NV gegen O. W. Bunker (Netherlands) BV, ING Bank NV

ECLI:EU:C:2024:952

Volltext: BB-Online BBL2025-65-3

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er auf eine in einem Mitgliedstaat gegen eine Gesellschaft erhobene Klage auf Zahlung gelieferter Waren, in der weder ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat über das Vermögen dieser Gesellschaft eröffnetes Insolvenzverfahren noch der Umstand erwähnt wird, dass die Forderung bereits als Insolvenzforderung angemeldet worden ist, nicht anwendbar ist.

 

Aus den Gründen

1            Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1) in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. 2000, L 160, S. 1).

 

2            Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Oilchart International NV (im Folgenden: Oilchart), einer Gesellschaft belgischen Rechts, einerseits und der O. W. Bunker Netherland BV (im Folgenden: OWB) sowie der ING Bank NV, zwei Gesellschaften niederländischen Rechts, andererseits über die Begleichung einer zur Zahlung ausstehenden Rechnung für Schiffsbedarfsdienstleistungen, die von Oilchart für Rechnung der für insolvent erklärten OWB erbracht wurden.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1346/2000

3          In den Erwägungsgründen 2 und 6 der Verordnung Nr. 1346/2000 heißt es:

„(2)       Für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts sind effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren erforderlich …

(6)        Gemäß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sollte sich diese Verordnung auf Vorschriften beschränken, die die Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren und für Entscheidungen regeln, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen. Darüber hinaus sollte diese Verordnung Vorschriften hinsichtlich der Anerkennung solcher Entscheidungen und hinsichtlich des anwendbaren Rechts, die ebenfalls diesem Grundsatz genügen, enthalten.“

 

4          Art. 3 („Internationale Zuständigkeit“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 bestimmt:

„Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.“

 

5          Art. 4 („Anwendbares Recht“) der Verordnung Nr. 1346/2000 bestimmt:

„(1) Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend ‚Staat der Verfahrenseröffnung‘ genannt.

(2) Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:

a) bei welcher Art von Schuldnern ein Insolvenzverfahren zulässig ist;

b) welche Vermögenswerte zur Masse gehören und wie die nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind;

c) die jeweiligen Befugnisse des Schuldners und des Verwalters;

e) wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt;

f) wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt; ausgenommen sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten;

g) welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen;

h)         die Anmeldung, die Prüfung und die Feststellung der Forderungen;

m) welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen.“

 

6          Die Verordnung Nr. 1346/2000 wurde durch die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. 2015, L 141, S. 19) aufgehoben. Nach Art. 84 Abs. 2 der letztgenannten Verordnung gilt die Verordnung Nr. 1346/2000 jedoch weiterhin für Verfahren, die vor dem 26. Juni 2017 eröffnet wurden.

 

Verordnung Nr. 1215/2012

7          In den Erwägungsgründen 10 und 21 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(10) Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken …

(21) Im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege müssen Parallelverfahren so weit wie möglich vermieden werden, damit nicht in verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen. …“

 

8          Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:

„(1)       Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii).

(2) Sie ist nicht anzuwenden auf:

b) Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“.

 

9          Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:

„Lässt sich der Beklagte, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat und der vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist.“

 

Niederländisches Recht

10        Art. 25 der Wet op het faillissement en de surséance van betaling (Gesetz über Insolvenz und Zahlungsaufschub) vom 30. September 1893 (Stb. 1893, Nr. 140, im Folgenden: NFW) lautet:

„(1) Klagen, die Rechte oder Pflichten aus der Insolvenzmasse betreffen, sind von bzw. gegenüber dem Insolvenzverwalter zu erheben.

(2) Werden solche Klagen von oder gegenüber dem Insolvenzschuldner erhoben oder betrieben und führen sie zu einer Verurteilung des Insolvenzschuldners, entfaltet das betreffende Urteil keine Rechtswirkung gegenüber der Insolvenzmasse.“

 

11        Art. 26 NFW bestimmt:

„Klagen auf Erfüllung einer Forderung aus der Insolvenzmasse können gegen den Insolvenzschuldner ausschließlich nach Maßgabe von Art. 110 erhoben werden.“

 

12        In Art. 110 NFW heißt es:

„Forderungen sind beim Insolvenzverwalter durch Einreichung einer Rechnung oder einer anderen schriftlichen Erklärung, aus der Art und Höhe der Forderung hervorgeht, verbunden mit Belegen oder Abschriften hiervon, und einer Erklärung darüber, ob ein Vorrecht, ein Pfandrecht, eine Hypothek oder ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird, anzumelden. …“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13        Im Rahmen einer Reihe von Verträgen über die Versorgung von Seeschiffen betankte Oilchart am 21. Oktober 2014 für Rechnung von OWB das Schiff Evita K., das im Hafen von Sluiskil (Niederlande) vor Anker lag, mit Kraftstoff.

 

14        Am 22. Oktober 2014 stellte Oilchart OWB eine Rechnung in Höhe von 116 471,45 US-Dollar (USD) (ca. 107 229,44 Euro). Diese Rechnung blieb unbeglichen.

 

15        Mit Urteil der Rechtbank te Rotterdam (Bezirksgericht Rotterdam, Niederlande) vom 21. November 2014 wurde OWB für insolvent erklärt.

 

16        Oilchart meldete die Forderung aus dieser unbeglichenen Rechnung zur Prüfung durch die Insolvenzverwalter von OWB an.

 

17        Aufgrund einer Reihe ausstehender Rechnungen erwirkte Oilchart vorsorglich den Arrest einiger Hochseeschiffe, die sie mit Kraftstoff betankt hatte. Um die Freigabe der Schiffe zu erreichen, wurden zugunsten von Oilchart Bürgschaften gewährt, die auf der Grundlage eines in Belgien gegen OWB oder gegen den Schiffseigentümer ergangenen Gerichtsurteils oder Schiedsspruchs in Anspruch genommen werden konnten.

 

18        Am 11. März 2015 erhob Oilchart bei der Rechtbank van koophandel te Antwerpen (Handelsgericht Antwerpen, Belgien) eine u. a. auf Zahlung der unbeglichenen Rechnung gerichtete Klage gegen OWB. Die ING Bank ist dieser Klage als Inhaberin einer von OWB als Gegenleistung für die Bereitstellung einer Kreditlinie abgetretenen Forderung beigetreten.

 

19        Das genannte Gericht hielt sich zwar für die Entscheidung über die Klage für zuständig, wies die Klage aber mit Urteil vom 15. März 2017 auf der Grundlage des niederländischen Insolvenzrechts als unzulässig ab.

 

20        Am 16. Mai 2017 legte Oilchart Berufung gegen dieses Urteil beim Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien), dem vorlegenden Gericht, ein.

 

21        Da OWB weder in der mündlichen Verhandlung vor der Rechtbank van koophandel te Antwerpen (Handelsgericht Antwerpen) noch in der vor dem vorlegenden Gericht erschienen war, hielt sich das vorlegende Gericht für verpflichtet, seine internationale Zuständigkeit gemäß Art. 28 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 zu prüfen.

 

22        Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs fragt sich das vorlegende Gericht, ob der Anspruch, der der von Oilchart gegen OWB erhobenen Klage zugrunde liegt, den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 oder aber den Sonderregeln für Insolvenzverfahren entspringt.

 

23        Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Klage von Oilchart gegen OWB nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und ohne dessen Erwähnung erhoben worden sei, und zwar in Anwendung einer besonderen Bestimmung des niederländischen Insolvenzrechts, nämlich Art. 25 Abs. 2 NFW, der Klagen betreffe, die sich nicht auf die Insolvenzmasse bezögen, sondern die persönlichen Interessen des Insolvenzschuldners beträfen, und nicht auf der Grundlage von Art. 25 Abs. 1 NFW, der sich unmittelbar auf die Insolvenzmasse beziehe.

 

24        Welcher Natur die von Oilchart erhobene Klage sei und ob die Möglichkeit bestehe, eine solche Klage gegen eine für insolvent erklärte Gesellschaft zu erheben, sei anhand der abweichenden Sonderregeln des niederländischen Insolvenzrechts zu prüfen und nicht anhand der allgemeinen Vorschriften des Zivil- und Handelsrechts. Im Rahmen der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts, die dieser Prüfung vorausgeht, fragt sich das vorlegende Gericht jedoch, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Klage nicht in engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehe, so dass allein das Gericht, bei dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, für die Entscheidung über diese Klage zuständig sei.

 

25        Darüber hinaus möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift ausschließt, wonach ein Gläubiger in einem Mitgliedstaat Leistungsklage in Bezug auf eine Forderung erheben kann, die er in einem anderen Mitgliedstaat bereits als Insolvenzforderung angemeldet hat.

 

26        Unter diesen Umständen hat der Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin auszulegen, dass unter die Begriffe „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“ in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 auch ein Verfahren fällt, in dem die in der Klageschrift geltend gemachte Forderung als eine schlichte Forderung aus Lieferungen und Leistungen beschrieben wird, ohne dass eine bereits eingetretene Insolvenz der beklagten Partei erwähnt wird, wobei die eigentliche Rechtsgrundlage der Forderung auf die abweichenden Sonderregeln des niederländischen Insolvenzrechts (Art. 25 Abs. 2 NFW) gestützt wird, und in dem

– zu prüfen ist, ob eine solche Forderung als eine überprüfbare Forderung (Art. 26 in Verbindung mit Art. 110 NFW) oder eine nicht überprüfbare Forderung (Art. 25 Abs. 2 NFW) anzusehen ist,

– die Frage, ob beide Forderungen gleichzeitig geltend gemacht werden können und ob die eine die andere nicht ausschließt, unter Berücksichtigung der spezifischen Rechtsfolgen jeder Forderung (einschließlich der Möglichkeit, eine nach Eintritt der Insolvenz übernommene Bankbürgschaft in Anspruch zu nehmen) nach den spezifischen Regeln des niederländischen Insolvenzrechts zu beurteilen ist?

2. Ist Art. 25 Abs. 2 NFW mit Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 vereinbar, soweit diese Rechtsvorschrift es zulässt, eine solche Forderung (nach Art. 25 Abs. 2 NFW) vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats statt vor dem Insolvenzgericht des Mitgliedstaats, in dem die Insolvenz eingetreten ist, geltend zu machen?

 

Verfahren vor dem Gerichtshof

27        Am 31. März 2023 hat der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht ein Auskunftsersuchen zum tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Ausgangsverfahrens übermittelt, das das vorlegende Gericht am 28. April 2023 beantwortet hat.

 

28        Am 11. Juli 2023 hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht um Auskunft ersucht, ob es sein Vorabentscheidungsersuchen angesichts des Umstands, dass Oilchart die Klage im Ausgangsverfahren zurückgenommen hat, aufrechterhalten will.

 

29        Mit Urteil vom 27. November 2023 hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof mitgeteilt, dass das Verfahren weiterhin bei ihm anhängig sei, da die von Oilchart erklärte Klagerücknahme zurückgewiesen worden sei.

 

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

30        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er auf eine in einem Mitgliedstaat gegen eine Gesellschaft erhobene Klage auf Zahlung gelieferter Waren, in der weder ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat über das Vermögen dieser Gesellschaft eröffnetes Insolvenzverfahren noch der Umstand erwähnt wird, dass die Forderung bereits als Insolvenzforderung angemeldet worden ist, anwendbar ist.

 

31        Insbesondere ist zu klären, ob eine solche Klage unter Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt, der Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren vom Anwendungsbereich der Verordnung ausschließt. Bejahendenfalls fiele diese Klage in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1346/2000, deren Art. 3 Abs. 1 den Gerichten des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner Interessen hat, die ausschließliche internationale Zuständigkeit für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens überträgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Dezember 2019, Tiger u. a., C‑493/18, EU:C:2019:1046, Rn. 23, 25 und 29 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

32        Der Gerichtshof hat nämlich in Bezug auf den jeweiligen Anwendungsbereich der Verordnungen Nrn. 1215/2012 und 1346/2000 bereits entschieden, dass diese Verordnungen so auszulegen sind, dass nicht nur jede Überschneidung zwischen den in ihnen enthaltenen Rechtsvorschriften, sondern auch jede Regelungslücke vermieden wird. Dementsprechend fallen die Klagen, die nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 von deren Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, da sie unter „Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren“ einzuordnen sind, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1346/2000. Spiegelbildlich fallen die Klagen, die nicht in den Anwendungsbereich von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 fallen, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 24, und vom 18. September 2019, Riel, C‑47/18, EU:C:2019:754, Rn. 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

33        Der Gerichtshof hat ferner festgestellt, dass der Unionsgesetzgeber, wie u. a. aus dem zehnten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 hervorgeht, die Absicht hatte, den in Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung enthaltenen Begriff „Zivil- und Handelssachen“ und damit den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 weit zu fassen. Demgegenüber darf der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1346/2000 nach ihrem sechsten Erwägungsgrund nicht weit ausgelegt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Dezember 2017, Valach u. a., C‑649/16, EU:C:2017:986, Rn. 25, und vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

34        In Anwendung dieser Grundsätze hat der Gerichtshof entschieden, dass die jeweiligen Anwendungsbereiche dieser beiden Verordnungen eindeutig voneinander abgegrenzt sind und dass nur Klagen, die unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 fallen. Demnach fallen nur diese Klagen in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1346/2000 (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 26, und vom 18. September 2019, Riel, C‑47/18, EU:C:2019:754, Rn. 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

35        Dieses doppelte Kriterium, das im sechsten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1346/2000 zur Eingrenzung des Gegenstands dieser Verordnung enthalten ist, wurde im Übrigen in der – zeitlich nicht auf die vorliegende Rechtssache anwendbaren – Verordnung 2015/848 wörtlich übernommen, soweit nach deren Art. 6 („Zuständigkeit für Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen“) die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für alle Klagen zuständig sind, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 27).

 

36        Im Licht der vorstehenden Erwägungen ist daher zu prüfen, ob eine Klage auf Zahlung gelieferter Waren, die gegen eine Gesellschaft erhoben wird, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, dieses doppelte Kriterium erfüllt.

 

37        In Bezug auf das erste Kriterium ist zur Bestimmung, ob eine Klage unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervorgeht, festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, nicht der prozessuale Kontext ist, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage. Nach diesem Ansatz ist zu prüfen, ob der der Klage zugrunde liegende Anspruch oder die ihr zugrunde liegende Verpflichtung den allgemeinen Regeln des Zivil- oder Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Sonderregeln für Insolvenzverfahren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 28, vom 18. September 2019, Riel, C‑47/18, EU:C:2019:754, Rn. 33, und vom 4. Dezember 2019, Tiger u. a., C‑493/18, EU:C:2019:1046, Rn. 27 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

38        So hat der Gerichtshof entschieden, dass eine Klage, die der Verkäufer auf der Grundlage einer Eigentumsvorbehaltsklausel gegen den für insolvent erklärten Käufer erhebt, eine von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unabhängige Rechtsfrage betrifft. Mit anderen Worten stellt sie eine eigenständige Klage dar, die ihre Grundlage nicht im Insolvenzrecht hat und weder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch die Bestellung eines Insolvenzverwalters erfordert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, German Graphics Graphische Maschinen, C‑292/08, EU:C:2009:544, Rn. 31 und 32).

 

39        Außerdem fällt eine Klage, die gegen einen Dritten von einem Kläger auf der Grundlage einer durch den im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bestellten Verwalter erfolgten Forderungsabtretung erhoben wird, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“, soweit der Rechtsstreit nicht die Gültigkeit der Abtretung durch den Insolvenzverwalter betrifft und für die Geltendmachung der an einen Zessionar abgetretenen Forderung andere Regeln gelten als im Rahmen eines Insolvenzverfahrens (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2012, F‑Tex, C‑213/10, EU:C:2012:215, Rn. 37, 42 und 49).

 

40        Das Gleiche gilt, wenn der Rechtsstreit im Rahmen der Geltendmachung der abgetretenen Forderung durch den Zessionar nur das Verhalten des Zessionars betrifft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2012, F‑Tex, C‑213/10, EU:C:2012:215, Rn. 42). Dagegen fällt eine Klage, die eine im Rahmen eines Insolvenzverfahrens erfolgte Übertragung von Gesellschaftsanteilen betrifft, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1346/2000, soweit dem Insolvenzverwalter vorgeworfen wird, ein Vorrecht nicht ausgeübt zu haben, das ihm nach dem für Insolvenzverfahren geltenden nationalen Recht zusteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juli 2009, SCT Industri, C‑111/08, EU:C:2009:419, Rn. 28).

 

41        Auch eine Klage auf Feststellung des Bestehens einer Forderung zum Zweck ihrer Anmeldung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens fällt nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012, da sich eine solche Klage unmittelbar aus den nationalen Insolvenzvorschriften ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2019, Riel, C‑47/18, EU:C:2019:754, Rn. 37 und 38), ebenso wenig wie eine Schadensersatzklage gegen Mitglieder eines Gläubigerausschusses, die durch ihre Stimme die Umwandlung eines Sanierungsverfahrens in ein Insolvenzverfahren herbeigeführt haben, da eine solche Klage die unmittelbare und untrennbare Folge der Ausübung einer Funktion ist, die eigens den nationalen Bestimmungen über das Insolvenzverfahren entnommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Valach u. a., C‑649/16, EU:C:2017:986, Rn. 30 und 35).

 

42        Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten und den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts, dass die Klage im Ausgangsverfahren auf die Verurteilung einer Gesellschaft zur Zahlung von Waren gerichtet ist, die gemäß einem vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft geschlossenen Vertrag geliefert wurden. Aufgrund von Vereinbarungen, die später im Hinblick auf die Aufhebung vorsorglich erwirkter Arreste geschlossen wurden, ist eine solche Verurteilung erforderlich, damit die Klägerin des Ausgangsverfahrens die zu ihren Gunsten gestellten Bankbürgschaften verwerten kann.

 

43        Es ist jedoch festzustellen, dass sowohl die im Rahmen der Klage geltend gemachten vertraglichen Verpflichtungen als auch die in Bezug auf diese Verpflichtungen vorgesehenen Vollstreckungsmechanismen ihre Grundlage im Vertragsrecht haben und von den Sonderregeln für Insolvenzverfahren unabhängig sind.

 

44        Außerdem ist eine Klage auf Zahlung gelieferter Waren insofern eigenständig, als sie außerhalb jedes Insolvenzverfahrens erhoben werden kann.

 

45        Im Übrigen hat weder die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens noch die Bestellung eines Insolvenzverwalters eine Änderung der Rechtsgrundlage einer unter die allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts fallenden Klage zur Folge, so dass diese dem Anwendungsbereich der Sonderregeln für Insolvenzverfahren unterworfen würde.

 

46        Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass die bloße Tatsache, dass ein im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bestellter Insolvenzverwalter nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eine Leistungsklage im Interesse der Gläubiger erhoben hat, nicht zu einer wesentlichen Änderung der Art der geltend gemachten Forderung führt, die von einem Insolvenzverfahren unabhängig ist und materiell-rechtlich weiterhin dem allgemeinen Recht unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. November 2019, CeDe Group, C‑198/18, EU:C:2019:1001, Rn. 36).

 

47        Was das zweite, in Rn. 34 des vorliegenden Urteils genannte Kriterium angeht, so entscheidet sich nach ständiger Rechtsprechung nach der Enge des Zusammenhangs, der zwischen einer gerichtlichen Klage und dem Insolvenzverfahren besteht, ob der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 genannte Ausschluss Anwendung findet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. Dezember 2017, Valach u. a., C‑649/16, EU:C:2017:986, Rn. 27, und vom 6. Februar 2019, NK, C‑535/17, EU:C:2019:96, Rn. 30).

 

48        Wie die Generalanwältin in Nr. 57 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, erlaubt dieses Kriterium die Berücksichtigung von Begleitumständen, die nichts mit der Rechtsgrundlage der Klage zu tun haben.

 

49        Auch wenn im Ausgangsverfahren das Bestehen eines gewissen Zusammenhangs zwischen der erhobenen Klage und dem Insolvenzverfahren nicht geleugnet werden kann, da die Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnergesellschaft erhoben wurde, in dessen Rahmen die Klägerin des Ausgangsverfahrens dieselbe Forderung wie die in der Klage geltend gemachte als Insolvenzforderung angemeldet hat, reicht die bloße Identität zwischen der vor dem vorlegenden Gericht geltend gemachten Forderung und der bei den Insolvenzverwaltern angemeldeten Forderung doch nicht dafür aus, dass diese Klage unter den in Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Ausschluss fällt.

 

50        Insoweit ist hervorzuheben, dass mit der Bestimmung des zuständigen Gerichts weder über das auf die Klage im Ausgangsverfahren anwendbare Recht noch über die einschlägigen Regeln entschieden wird, nach denen sich das auf die Klage im Ausgangsverfahren anwendbare Recht bestimmen lässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. November 2019, CeDe Group, C‑198/18, EU:C:2019:1001, Rn. 38).

 

51        Sowohl die Frage der Zulässigkeit einer Klage einzelner Gläubiger gegen eine insolvente Gesellschaft als auch die Frage, wie eine solche Klage im Fall der Anmeldung einer Forderung als Insolvenzforderung zu behandeln ist, gehören nämlich nicht zu den Zuständigkeitsregeln, sondern zu den Kollisionsregeln, anhand deren das anwendbare Recht zu bestimmen ist.

 

52        Insoweit ergibt sich aus Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000, dass für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats gilt, in dem dieses Verfahren eröffnet wird.

 

53        Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung stellt klar, dass das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Diese Vorschrift beinhaltet eine nicht abschließende Aufzählung der verschiedenen Abschnitte des Insolvenzverfahrens, die dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung unterliegen, nämlich u. a. unter Buchst. e, wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge auswirkt, unter Buchst. f, wie sich die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt, unter Buchst. h die Anmeldung, die Prüfung und die Feststellung der Forderungen, unter Buchst. g, welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und wie Forderungen zu behandeln sind, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen, sowie unter Buchst. m, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen.

 

54        Aus Art. 3 in Verbindung mit Art. 4 der Verordnung Nr. 1346/2000 ergibt sich, dass diese Verordnung grundsätzlich auf eine Übereinstimmung zwischen den international zuständigen Gerichten und dem auf das Insolvenzverfahren anwendbaren Recht abzielt. Außer in den Fällen, für die diese Verordnung ausdrücklich etwas anderes vorsieht, folgt nämlich das anwendbare Recht gemäß Art. 4 der Verordnung der nach Art. 3 der Verordnung bestimmten internationalen Zuständigkeit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. November 2019, CeDe Group, C‑198/18, EU:C:2019:1001, Rn. 30).

 

55        Da sich Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 auf die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit für die Eröffnung von Insolvenzverfahren beschränkt und der Anwendungsbereich von Art. 4 der Verordnung weiter ist als der von Art. 3 der Verordnung, weil er für Insolvenzverfahren und deren Wirkungen gilt, kann diese Übereinstimmung zwischen dem anwendbaren Recht und dem zuständigen Gericht nicht unter allen Umständen gewährleistet werden.

 

56        Im vorliegenden Fall wurde das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Insolvenzverfahren in den Niederlanden eröffnet, so dass nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 für dieses Verfahren und seine Wirkungen das niederländische Recht gilt.

 

57        Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Klage auf Verurteilung einer für insolvent erklärten Gesellschaft zur Zahlung gelieferter Waren dem niederländischen Recht unterliegt, da dieses Recht, wie in Rn. 53 des vorliegenden Urteils ausgeführt, vorgibt, wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge und auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt und welche Regeln für die Anmeldung, die Prüfung und die Feststellung der Forderungen sowie für Handlungen gelten, die die Gläubiger benachteiligen können.

 

58        Wie die Europäische Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hervorgehoben hat, wird gerade durch die Anwendung ein und desselben, nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 zu bestimmenden Rechts auf das Insolvenzverfahren und sämtliche Wirkungen des Insolvenzverfahrens sichergestellt, dass die Ziele der Verordnung in Bezug auf die Gleichbehandlung der Gläubiger und den Schutz ihrer Interessen unabhängig von der Frage der gerichtlichen Zuständigkeit erreicht werden.

 

59        In diesem Zusammenhang ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die in der Verordnung Nr. 1215/2012 enthaltene Regel, wonach, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzt, um zu vermeiden, dass in Bezug auf diese Klagen miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen, nicht einmal entsprechend auf das System der Verordnung Nr. 1346/2000 anwendbar ist, da die Verordnung Nr. 1346/2000 u. a. für Sekundärinsolvenzverfahren die Zuständigkeit der Gerichte in anderen Mitgliedstaaten zulässt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2019, Riel, C‑47/18, EU:C:2019:754, Rn. 42, 44 und 46).

 

60        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass er auf eine in einem Mitgliedstaat gegen eine Gesellschaft erhobene Klage auf Zahlung gelieferter Waren, in der weder ein zuvor in einem anderen Mitgliedstaat über das Vermögen dieser Gesellschaft eröffnetes Insolvenzverfahren noch der Umstand erwähnt wird, dass die Forderung bereits als Insolvenzforderung angemeldet worden ist, nicht anwendbar ist.

 

Zur zweiten Frage

61        In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich die Beantwortung der zweiten Frage.

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