BGH: Zur Nachrangigkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs eines ausgeschiedenen Gesellschafters im Insolvenzverfahren
BGH, Beschluss vom 15.11.2011 - II ZR 6/11
leitsätze
a) Prozesskostenhilfe ist dem Rechtsmittelführer nicht zu bewilligen, wenn die angefochtene Entscheidung formell keinen Bestand haben kann, das materielle Ergebnis sich nach einer Zurückverweisung jedoch voraussichtlich nicht ändern wird.
b) Die Verkündung eines Urteils ist unzulässig, wenn eine Unterbrechung des Verfahrens zwar nach dem Schluss einer mündlichen Verhandlung, aber vor dem Ende einer Schriftsatzfrist, die einer Partei bewilligt war, eingetreten ist.
c) Der Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters ist im Insol-venzverfahren allenfalls dann als nachrangig zu behandeln, wenn er im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag ausgeschieden ist.
ZPO §§ 114, 249 Abs. 3; GmbHG § 30 Abs. 1 Satz 3; InsO § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 Abs. 1 Nr. 2
aus den gründen
1 Der Antrag ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO).
2 I. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin, die E. AG (im Folgenden: Klägerin), war Gesellschafterin der Schuldnerin, einer GmbH, und gewährte dieser am 13./20. Juli 2000 ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 1,5 Mio. DM. Gleichzeitig erklärte sie sich bereit, der Schuldnerin bei erkennbarer Notwendigkeit weitere 1,5 Mio. DM zur Verfügung zu stellen. Am 22./23. Januar 2002 veräußerte die Klägerin ihre Geschäftsanteile an der Schuldnerin an ihre Mitgesellschafter, wobei sie sich verpflichtete, der Schuld-nerin die weiteren Darlehensmittel in Höhe von 766.937,82 € innerhalb von zwei Bankarbeitstagen zu zahlen. Die Klägerin und die Erwerber erklärten bezüglich der Darlehensmittel einen bis 31. Dezember 2005 befristeten Rangrücktritt. Das Darlehen sollte in Raten von 500.000 DM zum 31. Dezember 2003, in Höhe von 1.000.000 DM zum 31. Dezember 2004 und in Höhe von 1.500.000 DM zum 31. Dezember 2005 getilgt werden; die beiden ersten Raten sollten nur fällig werden, wenn die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft eine Tilgung zuließ. Spätestens zum 31. Dezember 2005 sollte die Klägerin die Rückzahlung des gesamten ausstehenden Betrags verlangen können. Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Schuldnerin Rückzahlung des Darlehens.
3 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil das Darlehen eigenkapi-talersetzend sei. Das Berufungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2010 darauf hingewiesen, dass die frühere Rechtsprechung zu den eigenkapitalersetzenden Darlehen auf Altfälle keine Anwendung mehr finde, hat den Parteien Gelegenheit gegeben, zu den „heute aufgeworfenen Rechtsfra-gen" bis 8. November 2010 Stellung zu nehmen, und hat Termin zur Verkün-dung einer Entscheidung auf den 22. November 2010 bestimmt. Am 4. Novem-ber 2010 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 8. November 2010 hat das Berufungsgericht beschlossen, dass das Verfahren unterbrochen sei, den Verkündungstermin aber nach § 249 Abs. 3 ZPO aufrechterhalten. Mit seinem am 22. November 2010 verkündeten Urteil, in dem der Beklagte als In-solvenzverwalter der Schuldnerin als Partei bezeichnet ist, hat das Berufungsgericht (OLG München, ZIP 2011, 225) das Urteil des Landgerichts abgeändert und „die Beklagte" zur Zahlung von 1.533.875,60 € nebst Zinsen verurteilt. Da-gegen hat der Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und innerhalb der Begründungsfrist Prozesskostenhilfe beantragt.
4 II. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat im Endergebnis keine Aussicht auf Erfolg.
5 1. Zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe muss die Rechtsverfolgung auch im materiellen Ergebnis Erfolgsaussichten haben. Prozesskostenhilfe ist dem Rechtsmittelführer nicht zu bewilligen, wenn die angefochtene Entschei-dung formell keinen Bestand haben kann, das materielle Ergebnis sich nach einer Zurückverweisung jedoch voraussichtlich nicht ändern wird. Der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht wie dem Bemittelten zu gewähren, gebietet lediglich, ihn einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2006 - IX ZB 107/05, AnwBl 2007, 94; Beschluss vom 27. Juni 2003 - IXa ZB 21/03, NJW-RR 2003, 1648; Beschluss vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160). Das gilt auch für die Aufhebung eines Urteils, das trotz Unterbrechung des Verfahrens infolge Insolvenzeröffnung erlassen wurde.
6 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat zwar Aussicht auf Erfolg. Die Re-vision wäre zuzulassen, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
7 a) Die Revision ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu-zulassen, wenn ein absoluter Revisionsgrund nach § 547 Nr. 1 bis 4 ZPO gel-tend gemacht wird und vorliegt (BGH, Beschluss vom 15. Mai 2007 - X ZR 20/05, BGHZ 172, 250 Rn. 8). Das während einer Unterbrechung des Verfahrens aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermö-gen einer Partei erlassene Berufungsurteil ist zuungunsten einer Partei ergan-gen, die nicht nach der Vorschrift des Gesetzes vertreten war; ein solcher Ver-fahrensfehler begründet den absoluten Revisionsgrund des § 547 Nr. 4 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2009 - XI ZR 519/07, ZIP 2009, 1027 Rn. 11 m.w.N.).
8 Das am 22. Dezember 2010 verkündete Berufungsurteil hätte wegen der nach der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2010 eingetretenen Unter-brechung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 4. November 2010 nicht ergehen dürfen. Nach § 249 Abs. 3 ZPO wird die Verkündung der auf-grund einer mündlichen Verhandlung zu erlassenden Entscheidung durch die nach dem Schluss dieser mündlichen Verhandlung eintretende Unterbrechung grundsätzlich nicht gehindert. Die Verkündung ist aber unzulässig, wenn die Unterbrechung zwar nach dem Schluss einer mündlichen Verhandlung, aber vor Ende einer Schriftsatzfrist, die einer Partei bewilligt war, eingetreten ist. In-folge der Insolvenzeröffnung ist eine Partei nicht mehr handlungsfähig, so dass eine Schriftsatzfrist infolge der Unterbrechung nicht mehr ablaufen kann (MünchKommZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 249 Rn. 23; Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 249 Rn. 8). Eine solche Schriftsatzfrist wurde den Parteien vom Berufungsgericht bewilligt. Ihnen wurde bis 8. November 2010 Gelegenheit gege-ben, zu den im Termin aufgeworfenen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Da-rauf, ob sich die Parteien nur zu Rechtsfragen äußern sollten oder ob Rechts-ausführungen zu einem Schriftsatzrecht für den Gegner führen (so Münch-KommZPO/Prütting, 3. Aufl., § 283 Rn. 9 m.w.N.; aA Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 283 Rn. 2a), kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsge-richts nicht an. Wenn eine Partei Gelegenheit erhält, zu einem bisher nicht be-achteten rechtlichen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (§ 139 Abs. 2 Satz 1, Abs. 5 ZPO), kann sie auf den Hinweis auch mit der Ergänzung von Tatsachen-vortrag oder Beweisantritt reagieren (BGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 - XII ZR 86/10, NJW-RR 2011, 1009 Rn. 12; Urteil vom 21. Dezember 2004 - XI ZR 17/03, BGHReport 2005, 671 m.w.N.).
9 b) Nach Zulassung der Revision wäre das Berufungsurteil, um die Unter-brechungswirkung herzustellen, aufzuheben und die Sache an das Berufungs-gericht zurückzuverweisen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2009 - XI ZR 519/07, ZIP 2009, 1027 Rn. 14 m.w.N.).
10 3. Die Rechtsverfolgung hat im materiellen Endergebnis aber keine Aus-sicht auf Erfolg. Der Klägerin stand eine Darlehensrückzahlungsforderung in Höhe von 1.533.875,60 € nebst Zinsen zu, die nach Insolvenzeröffnung auch zur Tabelle festzustellen ist, selbst wenn das Darlehen eigenkapitalersetzend war.
11 a) Die Forderung der Klägerin auf Rückzahlung ihres Darlehens war durchsetzbar. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führte ein ei-genkapitalersetzendes Darlehen zu einer Sperre für die Durchsetzbarkeit des Rückzahlungsanspruchs im Sinn einer Stundung (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2004 - II ZR 300/02, ZIP 2005, 82, 84). Da die Rechtsprechungs-regeln zum Eigenkapitalersatz mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisie-rung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 (MoMiG) (BGBl. I S. 2026) am 1. November 2008 aufgeho-ben wurden (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG), konnten die Gesellschafter und erst recht gesellschaftsfremde Dritte wie die Klägerin, die keine Gesellschafterin mehr war, die Rückzahlung ihrer eigenkapitalersetzenden Darlehen ab diesem Zeitpunkt durchsetzen.
12 b) Der Klägerin stehen auch die Zinsen zu. Rückstände auf Zinsen kön-nen geltend gemacht werden, wenn die Bindung eines Darlehens als Eigenka-pitalersatz entfällt (BGH, Urteil vom 8. November 2004 - II ZR 300/02, ZIP 2005, 82, 84; Urteil vom 15. Februar 1996 - IX ZR 245/94, ZIP 1996, 538, 540). Da die Bindung mit Inkrafttreten des MoMiG entfiel, konnten auch die Zinsen aus der Vergangenheit geltend gemacht werden.
13 c) Der Beklagte könnte nach Fortsetzung des Rechtsstreits auch nicht er-folgreich einwenden, dass die Forderung der Klägerin nach § 174 Abs. 3 Satz 1, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO wegen eines Nachrangs nicht zur Tabelle festzu-stellen ist. Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit der Beklagte den Nach-rang nach Aufnahme des Verfahrens geltend machen kann. Die Forderung ist nicht als nachrangig zu behandeln, da die Klägerin früher als ein Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Schuldnerin ausgeschie-den ist.
14 Der Darlehensrückzahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesell-schafters ist im Insolvenzverfahren allenfalls dann als nachrangig zu behandeln, wenn er im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antragausgeschieden ist. Die Nachrangigkeit beurteilt sich nach § 39 InsO in der Fas-sung des MoMiG, weil das Insolvenzverfahren nach dem 1. November 2008 eröffnet wurde (Art. 103d Satz 1 EGInsO; vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2011 - IX ZR 131/10, ZIP 2011, 575 Rn. 8).
15 In der Literatur besteht im Ergebnis Einigkeit, dass ein Darlehensrück-zahlungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters nicht unabhängig vom Zeitpunkt des Ausscheidens als nachrangig anzusehen ist und insoweit § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO entsprechend anwendbar ist. Dabei kann dahinstehen, ob eine nach § 39 Abs.1 Nr. 5 InsO nachrangige Forderung beim Ausscheiden des Gläubigers aus der Gesellschaft den Nachrang behält. § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist in diesem Fall entsprechend anzuwenden, entweder weil der Wechsel in der Gesellschafterstellung insoweit einer Befriedigung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO gleichsteht (Habersack in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissen-schaft und Praxis, 2009, Rn. 5.27; Habersack/Ulmer, GmbHG, Ergänzungsband MoMiG, § 30 Rn. 46; Hirte in Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl., § 39 Rn. 46) oder weil ein zeitlich unbegrenzter Nachrang gegenüber einer Person, die die persönli-chen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt, nicht zu rechtfertigen ist (Gehrlein, BB 2008, 846, 850; Goette/Kleindiek, Gesellschafterfinanzierung nach MoMiG, 6. Aufl., Rn. 241; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., Anh. § 64 Rn. 119; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., Nachtrag MoMiG §§ 32a/b a.F. Rn. 21; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 30 Anh. Rn. 29; Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, Anh. zu § 30 Rn. 31; Hk-GmbHG/Kolmann, Anh. § 30 Rn. 78; i.E. auch Haas, ZInsO 2007, 617, 626; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3603). Da im Gegensatz zum früheren Recht dem Beginn und dem Ende der Krise keine begrenzende Funktion mehr zu-kommt und das MoMiG statt dessen in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO auf ein zeitliches Konzept umgestellt hat, ist dies auch auf die persönlichen Voraussetzun-gen für die Nachrangigkeit zu übertragen. Dem Altgesellschafter kann es nicht zum Nachteil gereichen, dass er trotz des Ausscheidens aus der Gesellschaft das Darlehen belassen und nicht zurückgefordert hat. Nachrangig ist die Forde-rung danach nur, wenn der Gläubiger innerhalb der Anfechtungsfrist Gesell-schafter war.
16 Zum selben Ergebnis gelangt man auch, wenn § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO dahin verstanden wird, dass bereits nach dem Wegfall der Gesellschafterstel-lung kein Gesellschafterdarlehen mehr vorliegt. Zum Schutz vor einer Umge-hung der Regel von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO durch einen kurzfristigen Gesell-schafterwechsel soll dann der ausgeschiedene Gesellschafter noch für eine zeitlich begrenzte Frist der Subordination unterworfen werden, wozu die Frist des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO herangezogen wird (so HambKomm/Lüdtke, 3. Aufl., § 39 InsO Rn. 32).
17 Die Klägerin hat ihren Geschäftsanteil am 22./23. Januar 2002 und damit weit früher als ein Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom 15. Oktober 2010 abgetreten. Selbst wenn wegen einer bis zum Inkrafttre-ten des MoMiG fortbestehenden Verstrickung des Darlehens der 1. November 2008 der maßgebende Zeitpunkt wäre, läge er früher als ein Jahr vor dem In-solvenzantrag.
18 Ein Nachrang aufgrund einer Rangvereinbarung (§ 39 Abs. 2 InsO) be-stand nicht. Der Rangrücktritt war bis 31. Dezember 2005 befristet.
19 d) Auf die Frage, ob der Geschäftsführer die Zahlung an die Klägerin seit Inkrafttreten des MoMiG nach § 64 Satz 3 GmbHG verweigern durfte, kommt es nach Insolvenzeröffnung nicht mehr an. Im Übrigen war die Klägerin nicht mehr Gesellschafterin und wurde daher von der Vorschrift nicht erfasst.