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Wirtschaftsrecht
01.09.2010
Wirtschaftsrecht
BGH: Zur Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit von freier und markengebundener Fachwerkstatt

BGH, Urteil vom 13.7.2010 - VI ZR 259/09

Leitsätze

a) Der Schädiger kann den Geschädigten unter dem Gesichtspunkt der Scha-densminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Repa-raturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebe-nenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09 - VersR 2010, 225, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; vom 23. Fe-bruar 2010 - VI ZR 91/09 - VersR 2010, 923; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 337/09 - und - VI ZR 302/08 - jeweils z.V.b.).

b) Für die tatrichterliche Beurteilung der Gleichwertigkeit der Reparaturmöglich-keit gilt auch im Rahmen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB das erleichterte Be-weismaß des § 287 ZPO.

BGB §§ 249 Hb, 254 Abs. 2 G

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Autovermietung mit Sitz in Frankfurt am Main, nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 9. Oktober 2008 in Anspruch, bei dem ihr Fahrzeug, ein zum Unfallzeitpunkt sieben Jahre alter gewerblich genutzter Mercedes-Benz A 140, beschädigt wurde. Die Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten nur noch um die Frage, ob sich die Klägerin im Rahmen der fiktiven Abrech-nung ihres Fahrzeugschadens auf niedrigere Stundenverrechnungssätze einer von der Beklagten benannten, nicht markengebundenen Karosseriefachwerk-statt verweisen lassen muss oder ob sie auf Grundlage des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens die Stundenverrechnungssätze einer markenge-bundenen Vertragswerkstatt des Kfz-Herstellers erstattet verlangen kann.

Die Beklagte legte ihrer Schadensberechnung die günstigeren Stunden-verrechnungssätze einer von ihr benannten Karosseriefachwerkstatt zugrunde und kürzte deshalb die im Sachverständigengutachten kalkulierten Stundenver-rechnungssätze einer Mercedes-Benz-Vertragswerkstatt auf die Stundenver-rechnungssätze des teuersten der drei von ihr benannten Karosseriefachbetrie-be. Ferner berücksichtigte sie nicht Fahrzeugverbringungskosten. Der Diffe-renzbetrag von insgesamt 442,01 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche An-waltskosten in Höhe von 50,40 € sind Gegenstand der vorliegenden Klage. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Landgericht zu-gelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Aus den Gründen

3          I. Das Berufungsgericht ist ebenso wie das Amtsgericht der Auffassung, dass sich die Klägerin im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung auf die ihr von der Beklagten konkret benannte günstigere, nicht markengebundene Karosseriefachwerkstatt verweisen lassen müsse. Hinsichtlich der Frage der Gleichwertigkeit sei auf den Einzelfall abzustellen, wobei insbesondere Ge-sichtspunkte wie Art und Umfang des Schadens, Werkstattausstattung und Werkstatterfahrung eine Rolle spielten. Bei dem bereits sieben Jahre alten, ge-werblich genutzten Fahrzeug der Klägerin sei es nur zu einem Bagatellschaden gekommen, der eine zwingende Reparatur in der markengebundenen Fach-werkstatt nicht zu rechtfertigen vermöge. Für die Behebung des Bagatellscha-dens sei kein besonderes Fachwissen einer markengebundenen Fachwerkstatt erforderlich. Dies ergebe sich auch aus dem Umstand, dass das Fahrzeug der Klägerin nach dem Sachverständigengutachten für die Lackierarbeiten in eine gesonderte Lackiererei habe verbracht werden sollen. Die Klägerin habe im Hinblick auf die konkreten Umstände auch nicht dargetan, warum sie ein be-sonderes Interesse an einer Reparatur des Bagatellschadens in einer Ver-tragswerkstatt haben könnte. Darüber hinaus habe die Beklagte einen gravie-renden Mangel des Sachverständigengutachtens gerügt, weil dort Verbrin-gungskosten veranschlagt worden seien, obwohl alle Niederlassungen der Daimler AG in der Umgebung eine eigene Lackierwerkstatt hätten. Der Klägerin sei es auch räumlich zumutbar, eine der von der Beklagten benannten, nicht markengebundenen Fachwerkstätten aufzusuchen, die sich im unmittelbaren Einzugsbereich von Frankfurt am Main befänden.

4          II. Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

5          1. Der erkennende Senat hat inzwischen in mehreren Entscheidungen grundsätzlich Stellung dazu bezogen, unter welchen Voraussetzungen ein Ge-schädigter, der den Ersatz fiktiver Reparaturkosten begehrt, gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Erstattung der Stundenverrechnungssätze einer mar-kengebundenen Fachwerkstatt verlangen kann (vgl. Senatsurteile vom 20. Ok-tober 2009 - VI ZR 53/09 - VersR 2010, 225, z.V.b. in BGHZ; vom 23. Februar 2010 - VI ZR 91/09 - VersR 2010, 923; vom 22. Juni 2010 - VI ZR 337/09 - und - VI ZR 302/08 - jeweils z.V.b.).

6          Danach leistet der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im all-gemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrech-nung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.

7          Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Repara-tur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer mar-kengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.

8          Unzumutbar ist eine Reparatur in einer "freien Fachwerkstatt" für den Geschädigten im Allgemeinen dann, wenn das beschädigte Fahrzeug im Unfall-zeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Aber auch bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markenge-bundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug bisher stets in einer mar-kengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen. Unzumutbar ist eine Reparatur in einer "freien Fachwerkstatt" für den Geschädigten auch dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die (markt-) üblichen Preise dieser Werkstatt, sondern vertragliche Sonderkonditionen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zugrunde liegen.

9          2. Mit diesen Grundsätzen steht das Berufungsgericht im Einklang.

10        a) Das Berufungsgericht hat Fahrzeugverbringungskosten in Höhe eines Nettobetrages von 114 € nicht als ersatzfähig angesehen, weil nach dem sub-stantiierten Vortrag der Beklagten, dem die Klägerin nicht in erheblicher Weise entgegengetreten sei, sämtliche Niederlassungen der Daimler AG in der Umge-bung eine eigene Lackierwerkstatt hätten, insbesondere die Werkstätten der Niederlassungen in Frankfurt am Main und Offenbach. Die Revision zeigt nicht auf, weshalb diese tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts rechtsfeh-lerhaft sein soll. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich.

11        b) Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht im Streitfall getroffenen Feststellungen durfte die Beklagte die Klägerin im Rahmen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB auf eine günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit in der benannten Karosseriefachwerkstatt verweisen.

12        Für die technische Gleichwertigkeit der Reparatur der am Fahrzeug der Klägerin entstandenen Bagatellschäden hat das Berufungsgericht in tatrichter-licher Würdigung festgestellt, dass sämtliche benannten Fachbetriebe den "Eurogarant-Fachbetrieben" angehören, deren hoher Qualitätsstandard regel-mäßig vom TÜV oder der DEKRA kontrolliert werde. Es handele sich um Meisterbetriebe und Mitgliedsbetriebe des Zentralverbandes Karosserie- und Fahrzeugtechnik, die auf die Instandsetzung von Unfallschäden spezialisiert seien. Zudem erfolge die Reparatur nach dem unbestrittenen Beklagtenvortrag unter Verwendung von Originalteilen.

13        Auf dieser Grundlage durfte sich das auch im Rahmen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Berufungsgericht ohne Rechtsfehler die Überzeugung bilden, dass die benannten Betriebe die Unfall-schäden genauso kompetent beheben könnten wie eine markengebundene Vertragswerkstatt. Soweit die Revision meint, dadurch sei nicht der Nachweis geführt, dass diese Werkstätten über eine ausreichende Ausstattung und auch Erfahrung mit der Automarke Mercedes-Benz verfügten, steht dem die unange-griffene Feststellung des Berufungsgerichts entgegen, dass es für die Behebung der am Fahrzeug der Klägerin entstandenen Bagatellschäden besonderer Erfahrungen mit dieser Automarke nicht bedurfte.

14        c) Die Revision zeigt keine Umstände auf, die es im Streitfall der Klägerin gleichwohl unzumutbar machen könnten, sich auf eine mühelos und ohne wei-teres zugängliche Reparatur außerhalb einer markengebundenen Fachwerk-statt verweisen zu lassen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war das Fahrzeug der Klägerin zum Unfallzeitpunkt bereits sieben Jahre alt, so dass im Rahmen der Zumutbarkeit Gesichtspunkte wie Gewährleistung, Garantie oder Kulanz keine Rolle mehr spielten. Die Revision macht auch nicht geltend, dass das Fahrzeug nach dem Sachvortrag der Klägerin vor dem Unfall stets in der markengebundenen Fachwerkstatt gewartet und repariert worden sei.

15        d) Ohne Erfolg bleibt schließlich die Rüge der Revision, die Beklagte ha-be den Nachweis nicht geführt, dass die von ihr benannten Reparaturwerkstät-ten tatsächlich im konkreten Fall bereit gewesen wären, einen entsprechenden Reparaturauftrag des Geschädigten zu den im Rechtsstreit benannten Stun-denverrechnungssätzen auszuführen. Zwar trägt die Beklagte grundsätzlich die Beweislast dafür, dass sie ihrer Abrechnung die üblichen Preise der Vergleichs-werkstatt zugrunde gelegt hat und es der Klägerin deshalb zumutbar war, die ihr aufgezeigte günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit wahrzuneh-men (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2010 - VI ZR 337/09 - z.V.b.). Da die Revi-sion aber nicht geltend macht, dass die Klägerin die (Markt-)Üblichkeit der von der Beklagten benannten Preise bestritten habe, war das Berufungsgericht nach § 287 ZPO aus Rechtsgründen nicht gehalten, diesen Gesichtspunkt wei-ter aufzuklären (vgl. Senatsurteil vom 23. Februar 2010 - VI ZR 91/09 - VersR 2010, 923).

16        e) Schließlich war der Klägerin eine Reparatur in der von der Beklagten benannten "freien Fachwerkstatt" auch nicht deshalb unzumutbar, weil diese nicht im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats "mühelos und oh-ne weiteres zugänglich" gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat für die Frage der räumlichen Zugänglichkeit mit Recht auf die Umstände des Einzelfalls ab-gestellt, wonach sich sämtliche seitens der Beklagten benannten Fachwerkstät-ten im unmittelbaren Einzugsbereich von Frankfurt am Main befänden, so dass es der Klägerin ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen wäre, eine Reparatur in einer dieser Werkstätten ausführen zu lassen. Der lediglich pau-schale Hinweis der Revision, die Werkstätten befänden sich "nicht am Sitz der Klägerin", vermag dabei keine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen.

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