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Wirtschaftsrecht
25.08.2011
Wirtschaftsrecht
KG Berlin: Zur Geltendmachung von Haftungsansprüchen im Inland durch einen Partikularinsolvenzverwalter

KG , Beschluss  vom 21.07.2011 - Aktenzeichen 23 U 97/09 (Vorinstanz: LG Berlin vom 09.04.2009 - Aktenzeichen 9 O 6/08; )
 
 
Gründe: 
Die Berufung des Klägers wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückgewiesen, da das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert. 
Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 und Satz 2 ZPO auf die mit Beschluss vom 09.06.2011 erteilten Hinweise Bezug, die unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens des Klägers noch einmal zusammengefasst und ergänzt werden: 
I. 
Der Kläger verfolgt als Partikularinsolvenzverwalter gegen die in Polen ansässige Beklagte vermeintliche Haftungsansprüche von Insolvenzgläubigern. Er trägt dazu vor, nahezu ausschließlich inländische Insolvenzgläubiger hätten aus Geschäften mit der inländischen Niederlassung der Beklagten zur Insolvenztabelle festgestellte Forderungen in Höhe von zuletzt 223.589,69 EUR inne, für deren Erfüllung die Beklagte als "Quasigesellschafter" der Niederlassung hafte. Er sei befugt, analog § 93 InsO diese Ansprüche geltend zu machen. Das Landgericht hat die Klage mangels Aktivlegitimation als unbegründet abgewiesen. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung des Klägers. 
II. 
Das zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Der Kläger kann die vermeintlichen Haftungsansprüche der Insolvenzgläubiger gegen die Beklagte nicht geltend machen. 
1. Das Landgericht hat die Klage zu Unrecht in der Sache abgewiesen. Die Klage ist bereits unzulässig, weil der Kläger nicht prozessführungsbefugt ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., vor § 50, Rdnr. 19); hiervon ist die Aktivlegitimation als ein Fall der Sachbefugnis zu unterscheiden (Zöller/Vollkommer, aaO., vor § 50, Rdnr. 18). Im Rahmen der Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO darf die Begründung ausgewechselt werden (Zöller/Heßler, aaO., § 522, Rdnr. 36). Die Abweisung der Klage (lediglich) als unzulässig stellt auch keinen Verstoß gegen das Verbot der reformatio in peius dar, denn es fehlt an einem "Besitzstand", dessen Wahrung das Verbot dient. 
2. Der Kläger kann die vermeintlichen Ansprüche nicht bereits kraft seines Amtes als Partikularinsolvenzverwalter geltend machen. 
Im Verhältnis zu Polen gilt die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 (MünchKommInsO/Reinhart, 2. Aufl., Art. 1 EuInsVO, Rdnr. 14). Unter Geltung des Territorialprinzips, Art. 28 EuInsVO, sind die Rechte und Pflichten des Partikularinsolvenzverwalters auf den Staat begrenzt, in dessen Gebiet das Verfahren eröffnet wurde (Paulus, Europäisches Insolvenzrecht, 3. Aufl., Art. 28, Rdnr. 2; Art. 18 Rdnr. 9). Dies ergibt sich bereits aus dem Zweck des Partikularinsolvenzverfahrens. Erfasst von dem Verfahren wird nur inländisches Vermögen, Art. 3 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO. Es ergäbe daher keinen Sinn, die Wirkungen eines solchen Verfahrens auf andere Mitgliedstaaten zu erstrecken (Huber ZZP 114, 133, 148; Stephan in HK- InsO, 5. Aufl., Art. 17 EuInsVO, Rdnr. 7). Forderungen gelten indes als am (Wohn-) Sitz des Schuldners belegenes Vermögen, Art. 2 lit. g dritter Spiegelstrich EuInsVO. Mithin handelt es sich bei den verfolgten vermeintlichen Haftungsansprüchen um im Ausland, nämlich in Polen belegenes Vermögen. Das unterfällt aber nicht der Amtsgewalt des Partikularinsolvenzverwalters. 
Art. 18 Abs. 2 EuInsVO enthält zwar eine Erweiterung der Befugnisse des Partikularinsolvenzverwalters für die Tätigkeit in den Mitgliedstaaten (Paulus, aaO., Art. 18, Rdnr. 10). Der Kläger strebt aber zum einen nicht eine gerichtliche Geltendmachung der Haftungsansprüche in Polen an, zum anderen gewährte ihm Art. 18 Abs. 2 EuInsVO eine solche Befugnis auch nicht. 
3. Dem Partikularinsolvenzverwalter wird eine Prozessstandschaft zur gerichtlichen Geltendmachung von Haftungsansprüchen, wie von dem Kläger reklamiert, nicht eingeräumt. 
Auf das Partikularinsolvenzverfahren, Art. 3 Abs. 2 EuInsVO, findet das inländische Insolvenzrecht, also die deutsche Insolvenzordnung Anwendung, soweit die Verordnung nichts anderes bestimmt, Art. 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 EuInsVO (MünchKommInsO/Reinhart, aaO., Art. 4 EuInsVO, Rdnr. 1; Art. 28 EuInsVO, Rdnr. 11). 
a) Die Verordnung gewährt keine Prozessführungsbefugnis. 
Art. 32 Abs. 2 EuInsVO ist nicht einschlägig. Diese Bestimmung setzt einerseits ein Nebeneinander von Hauptinsolvenzverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren voraus, woran es vorliegend fehlt, und räumt andererseits eine gerichtliche Durchsetzungsbefugnis nicht ein (zu letzterem Paulus, aaO., Art. 32, Rdnr. 19; Uhlenbruck/Lüer, Insolvenzordnung, 13. Aufl., Art. 32, Rdnr. 8). 
Art. 32 EuInsVO ist entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht analog heranzuziehen. Es fehlt sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einem vergleichbaren Sachverhalt. Die Bestimmung bezweckt, die Parallelität von Verfahren in der Weise zu regeln, dass die Effizienzverluste so weit wie möglich minimiert werden, die sich aus der Aufspaltung einer einzigen Insolvenz in mehrere Verfahren zwangsläufig ergeben. Es soll also einerseits eine bestmögliche Verteilungsgerechtigkeit für die Gläubigergesamtheit gewährleistet werden und andererseits neben der bloßen Anmeldung von Forderungen die Vertretung der einzelnen Gläubigerinteressen in den jeweils anderen Verfahren sichergestellt werden (Paulus, aaO., Art. 32, Rdnr. 1 und 2). Die Regelungsabsicht des Verordnungsgebers beschränkte sich daher darauf, mehrere Insolvenzverfahren aufeinander abzustimmen. Der Sachverhalt mehrerer Insolvenzverfahren ist mit dem eines einzigen nicht vergleichbar. Soweit der Kläger meint, der Insolvenzgläubiger sei (durch das Partikularinsolvenzverfahren) nicht gehindert, seine Forderung auch gegenüber der Hauptniederlassung (gerichtlich) geltend zu machen, und insoweit auf die Kommentierung von Reinhart in Münchener Kommentar zur InsO, 2. Aufl., Art. 32, EuInsVO, Rdnr. 2 verweist, trägt das Zitat die geäußerte Rechtsansicht nicht, weil dort nur und zutreffend vertreten wird, dass der Insolvenzgläubiger seine Forderung in allen Verfahren in den Mitgliedstaaten der Vorordnung anmelden kann. 
b) Die sonach verbleibende Verweisung auf das inländische Insolvenzrecht führt ebenfalls nicht zu einer Prozessführungsbefugnis des Klägers. 
§ 93 InsO, wonach die Geltendmachung der persönlichen Haftung der Gesellschafter dem Insolvenzverwalter obliegt, ist, wie auch der Kläger einräumt, nicht einschlägig. 
§ 93 InsO ist entgegen der Ansicht des Klägers aber auch nicht analog heranzuziehen. Wiederum fehlt es sowohl an einer planwidrigen Regelungslücke als auch an einem vergleichbaren Sachverhalt. Der Kläger hat schon nicht aufgezeigt, dass vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht das Gesetz unvollständig ist (Senat, Beschl. v. 23.06.2011 - 23 AktG 1/11; BGH, Urt. v. 13.11.2001 - X ZR 134/00). Darüber hinaus liegt ein vergleichbarer Sachverhalt nicht vor. Ein ausländisches Unternehmen kann im Inland durch unselbständige Agenturen, registerrechtlich einzutragende Zweigniederlassungen oder durch selbständige Tochtergesellschaften präsent sein (MünchKommHGB/Krafka, § 13 d, Rdnr. 4). Die Parteien haben die Begriffe Zweigniederlassung und Tochtergesellschaft zu Unrecht vereinzelt synonym benutzt; ein Partikularinsolvenzverfahren scheidet bei einer Tochtergesellschaft aus. Maßgeblich für den hier einschlägigen Begriff der Niederlassung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 EuInsVO ist der in Art. 2 lit. h EuInsVO verwandte (MünchKommInsO/Reinhart, aaO., Art. 3 EuInsVO, Rdnr. 72). Mithin genügt jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht, die den Einsatz von Personal und Vermögenswerten voraussetzt. Dabei muss das eingesetzte Personal aus der Sicht außen stehender Dritter für den Schuldner auftreten und für diesen tätig werden (MünchKommInsO/Reinhart, aaO., Art. 2 EuInsVO, Rdnr. 30). Folglich und auch mangels eigener Rechtspersönlichkeit begründet die Niederlassung nicht eine eigene Verbindlichkeit, für die der Inhaber lediglich haftet. Vielmehr verpflichtet die Niederlassung den Inhaber, so dass dieser selbst und ausschließlich schuldet. Mithin bestehen neben den zur Insolvenztabelle festgestellten Forderungen keine (bloßen) Haftungsansprüche gegen die Beklagte. 
Soweit der Kläger auf Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 1. Aufl., § 13, Rdnr. 67 abhebt, missversteht er die Kommentierung. Sie verneint eine Haftung des Unternehmensträgers lediglich mit dem Vermögen der Zweigniederlassung. Sie betrifft daher den Umfang des haftenden Vermögens, nicht aber vermeintlich unterschiedliche Rechtsträger. Bei der Niederlassung handelt es sich, wie von den Kommentatoren zuvor zutreffend hervorgehoben, nicht um ein eigenständiges Rechtssubjekt (vgl. auch MünchKommHGB/Krafka, aaO., § 13, Rdnr. 15, 18). Nur der Unternehmensträger, nicht etwa die Zweigniederlassung selbst, ist Träger der mit dem Unternehmen verbunden Rechte und Pflichten. §§ 13, 13 d, 13 e und 13 g HGB stellen rein registerrechtliche Vorschriften dar; sie haben weder eine Klagebefugnis, noch eine Aktivlegitimation zum Gegenstand. 
III. 
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die über den Streitwert auf §§ 48 Abs. 1, 47 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. 
 

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