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Wirtschaftsrecht
02.03.2023
Wirtschaftsrecht
BGH: Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Inkassodienstleisters bei späterer Einschaltung eines RA

BGH, Versäumnisurteil vom 7.12.2022 – VIII ZR 81/21

Volltext: BB-Online BBL2023-514-7

unter www.betriebs-berater.de

Amtlicher Leitsatz

Beauftragt ein Gläubiger einen Inkassodienstleister mit der Einziehung einer - zunächst - unbestrittenen Forderung nach Verzugseintritt des Schuldners, sind dessen Kosten grundsätzlich auch dann in voller Höhe erstattungsfähig, wenn der Gläubiger aufgrund eines später erfolgten (erstmaligen) Bestreitens der Forderung zu deren weiteren - gerichtlichen - Durchsetzung einen Rechtsanwalt einschaltet.

BGB § 254 Abs. 2 Satz 1 Dc, § 280 Abs. 1, 2, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1; RDG §§ 13e, 13f; RDGEG § 4 Abs. 5 aF

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Inkassokosten.

Die Klägerin, ein regionales Energieversorgungsunternehmen, belieferte den Beklagten mit Gas und Wasser. Da der Beklagte ausstehende Rechnungen nicht zahlte, mahnte die Klägerin die offenen Beträge mehrfach erfolglos an. Anfang des Jahres 2019 beauftragte sie einen Inkassodienstleister mit dem Forderungseinzug. Nach weiteren vergeblichen Mahnungen beantragte dieser in Vertretung der Klägerin den Erlass eines Mahnbescheids. Hiergegen erhob der Beklagte - ohne nähere Begründung - Widerspruch. Mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen beauftragte die Klägerin sodann einen Rechtsanwalt.

Die auf Zahlung einer Hauptforderung in Höhe von 5.035,78 € nebst Zinsen gerichtete Klage hat vor dem Landgericht - vor welchem der Beklagte sich nicht zur Sache eingelassen hat und im Termin zur mündlichen Verhandlung säumig war - Erfolg gehabt. Die von der Klägerin weiter eingeklagten Inkassokosten in Höhe von 480,20 € (1,3 Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale), hat das Landgericht nur in Höhe der nicht auf die Prozessgebühr anrechenbaren Geschäftsgebühr (0,65 zuzüglich Auslagenpauschale), mithin in Höhe von 250,10 € nebst Zinsen, als erstattungsfähig angesehen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung hat das Landgericht diesbezüglich zunächst nicht zugelassen.

Auf eine Verfassungsbeschwerde der Klägerin hat das Bundesverfassungsgericht wegen Verletzung deren Rechts aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG die Entscheidung des Landgerichts insoweit aufgehoben, als darin hinsichtlich der Entscheidung über die Nebenforderungen (Inkassokosten) die Berufung nicht zugelassen worden ist. Hiernach hat das Landgericht die Berufung zugelassen.

Die auf Zahlung weiterer Inkassokosten in Höhe von 230,10 € nebst Zinsen gerichtete Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg gehabt. Dagegen richtet sich deren vom Berufungsgericht zugelassene Revision, mit welcher sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt.

 

Aus den Gründen

6          Die Revision hat Erfolg.

 

7          Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung.

 

I.

8          Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen ausgeführt:

 

9          Der Klägerin stehe ein Anspruch auf den von ihr zusätzlich geltend gemachten Teil der Inkassokosten (230,10 €) aus § 280 Abs. 1, 2, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht zu.

 

10        Der Anspruch auf Ersatz von Verzugsschäden sei dem Grunde nach nicht mehr im Streit; im Berufungsverfahren gehe es allein um deren Höhe. Im Ausgangspunkt habe der Schuldner die Rechtsverfolgungskosten des Gläubigers als adäquat verursachte Verzugsfolge zu ersetzen, wenn diese - nach Eintritt des Verzugs - aus der ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person in der Situation des Gläubigers nach den Umständen des Falls zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig gewesen seien. Hiernach seien Inkassokosten nach herrschender Rechtsprechung, welche der Berufungssenat teile, als Verzugsschaden erstattungsfähig.

 

11        Der Klägerin stehe allerdings kein Anspruch in Höhe der gesamten von ihr geltend gemachten Inkassokosten zu. Vielmehr sei die - gemäß § 4 Abs. 5 RDGEG in der bis zum 30. September 2021 geltenden Fassung (im Folgenden aF; nunmehr § 13e Abs. 1 RDG) nach der einem Rechtsanwalt zustehenden Vergütung dem Grunde nach zutreffend berechnete - 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG, ebenfalls in der bis zum 30. September 2021 geltenden Fassung; im Folgenden aF) auf eine 0,65 Geschäftsgebühr zu kürzen. Denn entsprechend § 254 Abs. 1 BGB sei der übrige Teil der Geschäftsgebühr (230,10 €) auf die spätere Verfahrensgebühr des beauftragten Rechtsanwalts anzurechnen.

 

12        Die entscheidungserhebliche Frage einer Anrechnung der bei vorgerichtlicher Tätigkeit eines Inkassounternehmens entstehenden Kosten auf die spätere Verfahrensgebühr des beauftragten Rechtsanwalts gemäß der Vorbemerkung zu Nr. 3100 Anlage 1 zu § 2 RVG in Verbindung mit § 15a RVG sei in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten und durch den Bundesgerichtshof bislang nicht geklärt. Der Berufungssenat entscheide diese Frage dahin, dass eine Anrechnung der bei vorgerichtlicher Tätigkeit eines Inkassounternehmens entstehenden Kosten auf die spätere Verfahrensgebühr des beauftragten Rechtsanwalts zu erfolgen habe. Die durch die Tätigkeit verschiedener Rechtsdienstleister entstehenden Mehrkosten trage nicht der Schuldner, denn im Falle der Inanspruchnahme nur eines Dienstleisters - des Rechtsanwalts - fielen solche überschießenden Kosten nicht an.

 

13        Gemäß § 4 Abs. 5 RDGEG aF sei die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten der Höhe nach durch die Gebührensätze des RVG begrenzt. Daher seien Inkassokosten (maximal) in Höhe einer 0,65 Geschäftsgebühr ersatzfähig, weil bei sofortiger Beauftragung eines Rechtsanwalts eine Verrechnung der Geschäfts- mit der Verfahrensgebühr erfolgte. Nutze der Gläubiger die Bereitschaft der Rechtsanwälte zum Inkasso nicht, sondern entscheide er sich für die Beauftragung eines Inkassodienstleisters, trage er die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst.

 

14        Dies gelte auch dann, wenn nach erfolgloser Tätigkeit des Inkassobüros die Forderung gerichtlich geltend gemacht und damit - wie hier - zusätzlich ein Rechtsanwalt beauftragt werde. Auch in diesem Fall könnten nur die Anwaltskosten als Verzugsschaden geltend gemacht werden, und zwar auch dann, wenn der Gläubiger nicht damit habe rechnen können, der Schuldner werde aufgrund der Bemühungen des Inkassobüros die Zahlung verweigern. Denn wie auch sonst sei eine Rechtsverfolgung, die doppelte Kosten verursache, nicht notwendig. Ein verständiger Gläubiger hätte zum Zeitpunkt der Einleitung der Rechtsverfolgungsmaßnahmen in Anbetracht der (vermeintlichen) Gleichwertigkeit von Inkassobüro und Anwalt (in Bezug auf die Inkassotätigkeit) von vornherein den Anwalt allein wegen der Möglichkeit eines später erforderlich werdenden Prozesses beauftragen müssen.

 

II.

15        Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

 

16        1. Entgegen der Ansicht der Revision unterliegt das Berufungsurteil jedoch nicht bereits deshalb der Aufhebung, weil es eine der Vorschrift des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO genügende Darstellung der Urteilsgründe vermissen ließe.

 

17        a) Nach § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO kann in einem Berufungsurteil der Tatbestand durch die Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil der ersten Instanz, verbunden mit erforderlichen Berichtigungen, Änderungen und Ergänzungen, die sich aus dem Vortrag der Parteien und aus einer etwaigen Bezugnahme auf Schriftsätze vor dem Berufungsgericht ergeben, ersetzt werden. Lässt ein Berufungsgericht - wie hier - die Revision zu oder unterliegt das Berufungsurteil der Nichtzulassungsbeschwerde, müssen sich die tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung aus dem Urteil oder - im Falle des § 540 Abs. 1 Satz 2 ZPO - aus dem Sitzungsprotokoll so erschließen, dass eine revisionsrechtliche Nachprüfung möglich ist. Außerdem muss das Berufungsurteil erkennen lassen, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist, und die Anträge, die die Parteien im Berufungsverfahren gestellt haben, müssen zumindest sinngemäß deutlich werden (vgl. Senatsurteile vom 18. Oktober 2017 - VIII ZR 242/16, DAR 2018, 78 Rn. 4; vom 26. Mai 2021 - VIII ZR 93/20, NJW-RR 2021, 1016 Rn. 11; vom 11. Mai 2022 - VIII ZR 379/20, NJW-RR 2022, 877 Rn. 14).

 

18        b) Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil noch gerecht.

19        Zwar verweist die Revision zutreffend darauf, dass die im Berufungsurteil erfolgte Bezugnahme auf den sich aus dem erstinstanzlichen Urteil ergebenden Sachverhalt sowie den dort gestellten Anträgen "ins Leere" geht, da das Teilversäumnis- und Endurteil des Landgerichts weder eine Sachverhaltsdarstellung enthält noch die gestellten Anträge wiedergibt. Jedoch sind die zweitinstanzlich gestellten Anträge im Berufungsurteil enthalten. Zudem kann ihm entnommen werden, von welchem Sach- und Streitstand das Berufungsgericht ausgegangen ist. Denn dieses führt einleitend aus, dass die Klägerin vom Beklagten die Zahlung von Energiekosten verlange, und schildert anschließend den Prozessverlauf. Hieraus ergibt sich, dass die seitens der Klägerin geltend gemachten Inkassokosten in der Vorinstanz nicht in voller Höhe zuerkannt worden sind. Aus einer Gesamtschau der Ausführungen zu einer Beschwer der Klägerin in Höhe von 230,10 €, der Wiedergabe der zweitinstanzlich gestellten Anträge sowie der Ausführungen dazu, dass der Klägerin der "zusätzlich geltend gemachte Teil der Inkassokosten" nicht zustehe, wird der Gegenstand der zweitinstanzlichen Entscheidung im Ergebnis hinreichend deutlich.

 

20        2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch angenommen, der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verzögerungsschadens (§ 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB) umfasse nicht die gesamten, von ihr außergerichtlich aufgewandten Inkassokosten. Anders als das Berufungsgericht meint, hat die Klägerin vorliegend mit der Beauftragung eines Inkassodienstleisters zur Einziehung ihrer Forderungen aus den Energielieferungen nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) verstoßen und muss sich daher nicht so behandeln lassen, als hätte sie den später - nach dem Widerspruch des Beklagten gegen den Mahnbescheid - mit der weiteren gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche beauftragten Rechtsanwalt von vornherein eingeschaltet. Daher sind die - zutreffend - in Höhe einer 1,3 Geschäftsgebühr (§ 4 Abs. 5 RDGEG aF iVm Nr. 2300 VV RVG aF) geltend gemachten Inkassokosten nicht entsprechend der Vorbemerkung Nr. 4 zu Nr. 3100 Anlage 1 zu § 2 RVG in Verbindung mit § 15a RVG auf eine 0,65 Gebühr zu kürzen.

 

21        a) Noch rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich der Beklagte gemäß § 280 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB mit der Zahlung der Vergütung aus den Energielieferungen in Verzug befand. Die seitens der Klägerin nach Verzugseintritt aufgewandten Inkassokosten stellen vorliegend einen dem Grunde nach ersatzfähigen Verzugsschaden dar.

 

22        aa) Denn es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Schädiger diejenigen Kosten der Rechtsverfolgung zu ersetzen hat, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (vgl. BGH, Urteile vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14, NJW 2015, 3793 Rn. 8; vom 24. Oktober 2018 - VIII ZR 66/17, BGHZ 220, 134 Rn. 92 [zu § 439 Abs. 2 BGB]; vom 1. September 2020 - X ZR 97/19, NJW-RR 2020, 1507 Rn. 36; vom 24. Februar 2022 - VII ZR 320/21, NJW-RR 2022, 707 Rn. 18).

 

23        bb) Hiervon ausgehend war die Einschaltung eines Inkassodienstleisters durch die Klägerin - nachdem der Beklagte in Verzug war - erforderlich und zweckmäßig.

24        Der Beklagte hat, nachdem er durch die Klägerin außergerichtlich zur Zahlung aufgefordert worden war, keine Einwände gegen die Forderungen erhoben und diese nicht bestritten. Ausweislich der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 16. April 2020 - 1 BvR 2373/19, WM 2020, 1451 Rn. 2) hat der Beklagte im Zuge einer - noch vor Beauftragung des Inkassodienstleisters erfolgten - Anschlusssperrung sogar die Zahlung der angemahnten Forderungen zugesagt.

25        Somit hat er weder die Erfüllung der klägerischen Forderungen ernsthaft und endgültig verweigert noch sind Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er - aus der ex-ante-Sicht der Klägerin - zahlungsunfähig war, so dass ein Fall, in welchem außergerichtliche Zahlungsaufforderungen durch den Rechtsdienstleister als nicht erfolgversprechend und daher als von vornherein nicht zweckmäßig anzusehen sein könnten, nicht gegeben ist (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14, aaO mwN; Beschluss vom 27. Mai 2020 - VIII ZR 384/18, WuM 2020, 650 Rn. 10; vgl. auch BVerfG, WM 2011, 2155, 2157).

26        Hinsichtlich der Beauftragung von Rechtsanwälten ist anerkannt, dass allein die Tatsache einer ausbleibenden Reaktion des Schuldners auf Zahlungsaufforderungen des Gläubigers nicht dazu führt, dass außergerichtliche Beitreibungsbemühungen als nicht erfolgversprechend anzusehen sind und insbesondere in Fällen, in denen - wie hier - der Grund für die Nichtzahlung im Dunkeln bleibt, die Zuhilfenahme eines Rechtsanwalts zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteile vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14, aaO Rn. 11; vom 24. Februar 2022 - VII ZR 320/21, aaO Rn. 22). Nichts anderes gilt bei der hier gegebenen Inanspruchnahme eines Inkassodienstleisters. Die Klägerin durfte aufgrund des unterbliebenen Bestreitens ihrer Forderungen daher aus ex-ante-Sicht davon ausgehen, dass sie den Beklagten mittels eines Inkassodienstleisters zu einer (Raten-)Zahlung bewegen, beziehungsweise ihre Forderung im Mahnverfahren - vertreten durch den Inkassodienstleister (§ 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO) - werde titulieren können (vgl. zur grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten BVerfG, WM 2011, 2155, 2156 f.; BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 2020 - 2 BvR 1762/16, juris Rn. 15 f.; Senatsurteile vom 24. Mai 1967 - VIII ZR 278/64, juris Rn. 29; vom 27. Mai 2020 - VIII ZR 45/19, BGHZ 225, 352 Rn. 117; Staudinger/Feldmann, BGB, Neubearb. 2019, § 286 Rn. 231; BT-Drucks. 18/1309, S. 19).

 

27        b) Die der Klägerin durch die Einschaltung des Inkassodienstleisters entstandenen Kosten sind der Höhe nach zutreffend berechnet worden.

28        Die Kosten einer - wie hier - registrierten Inkassodienstleisterin für außergerichtliche Inkassodienstleistungen, die eine nicht titulierte Forderung betreffen, sind gemäß § 4 Abs. 5 RDGEG aF (vgl. nunmehr § 13e Abs. 1 RDG) nur bis zur Höhe der einem Rechtsanwalt nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes zustehenden Vergütung erstattungsfähig. Nach Nr. 2300 VV RVG aF hat der Inkassodienstleister vorliegend eine 1,3 Geschäftsgebühr (460,20 €) nebst der Auslagenpauschale aus Nr. 7002 VV RVG (20 €), mithin insgesamt 480,20 €, berechnet. Anhaltspunkte dafür, dass die getroffene Bestimmung der Gebührenhöhe (1,3) unbillig wäre, sind von dem Beklagten - der hierfür darlegungs- und beweisbelastet ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14, NJW 2015, 3793 Rn. 24, 27; Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 216/10, juris Rn. 8 ff.) - nicht geltend gemacht.

29        Die durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I 3320) in § 13 Abs. 2 RVG und in Nr. 2300 VV RVG Ziffer 2 eingeführten geringeren Gebührensätze bei der außergerichtlichen Geltendmachung unbestrittener Forderungen - Regelgebühr von 0,9; Maximalgebühr von 1,3 (vgl. BR-Drucks. 196/20, S. 19 f.; BT-Drucks. 19/24735, S. 5, 14) - gelten erst ab dem 1. Oktober 2021 und sind daher ungeachtet der Frage des Vorliegens ihrer Voraussetzungen auf den vorliegenden Fall, dem eine Beauftragung des Inkassodienstleisters im Jahr 2019 zu Grunde liegt, nicht anwendbar.

 

30        c) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht einen Verstoß der Klägerin gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) angenommen, weil diese mit der Geltendmachung ihrer Forderungen sowohl (außergerichtlich) einen Inkassodienstleister als auch (gerichtlich) einen Rechtsanwalt beauftragt hat, und sie im Ergebnis so behandelt, als hätte sie von vornherein lediglich einen Rechtsanwalt mandatiert. Unzutreffend hat es daher die vorgenannte 1,3 Geschäftsgebühr in Anwendung der in Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG getroffenen Anrechnungsregelung auf eine 0,65 Gebühr gekürzt.

 

31        aa) Zutreffend nimmt das Berufungsgericht noch an, dass durch die Beauftragung zweier Rechtsdienstleister Mehrkosten im Vergleich zur Beauftragung lediglich eines Rechtsanwalts angefallen sind, weil sich der für die Klägerin - nach dem Widerspruch gegen den Mahnbescheid - tätige Rechtsanwalt auf seine im gerichtlichen Verfahren entstandene Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG) keine andere Gebühr anrechnen lassen muss, diese vielmehr in voller Höhe (1,3) verlangen kann.

 

32        (1) Nach Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG wird eine wegen desselben Gegenstands entstandene Geschäftsgebühr - hier nach Nr. 2300 VV RVG - zur Hälfte, höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 auf eine Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Hätte die Klägerin sowohl mit der außergerichtlichen als auch mit der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen nur einen Rechtsanwalt beauftragt, hätte dieser im Ergebnis nicht sowohl eine 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV RVG) als auch zusätzlich eine 1,3 Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV RVG), sondern nach § 15a Abs. 1 RVG lediglich den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren - der Sache nach somit einen Gebührensatz in Höhe von insgesamt 1,95 - geltend machen können.

 

33        (2) Vorliegend scheidet eine solche Kürzung der Verfahrensgebühr des erst während des gerichtlichen Verfahrens beauftragten Rechtsanwalts jedoch aus. Denn die Anrechnungsbestimmungen von Teil 3 Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG, § 15a Abs. 1 RVG finden ihren Grund in dem geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand, den ein bereits vorgerichtlich mit der Angelegenheit befasster Rechtsanwalt hat (vgl. BT-Drucks. 15/1971, S. 209; BGH, Urteil vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06, NJW 2007, 2050 Rn. 15; Beschluss vom 20. Dezember 2011 - XI ZB 17/11, NJW-RR 2012, 313 Rn. 9), so dass eine Anrechnung nur in Betracht kommt, wenn im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant eine solche zu erfolgen hat. Entscheidend hierfür ist, ob der Rechtsanwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr schon einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen Tätigwerden erlangt hat. Hat der erstmals im gerichtlichen Verfahren tätige Rechtsanwalt eine solche Gebühr nicht verdient, weil er - wie vorliegend - außergerichtlich noch nicht tätig geworden ist, scheidet eine Anrechnung dagegen aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Dezember 2009 - VII ZB 41/09, juris Rn. 11; vom 26. Oktober 2017 - V ZB 188/16, NJW 2018, 625 Rn. 14). So liegen die Dinge hier.

 

34        bb) Anders als das Berufungsgericht meint, kann die Klägerin trotz der unterbleibenden Kürzung der Verfahrensgebühr des Rechtsanwalts die beim Inkassodienstleister angefallene Geschäftsgebühr in voller Höhe ersetzt verlangen. Sie muss sich nicht so behandeln lassen, als hätte sie den - ausschließlich im gerichtlichen Verfahren mandatierten - Rechtsanwalt schon mit ihrer außergerichtlichen Vertretung beauftragt, so dass nach Vorstehendem eine Anrechnung erfolgt und im Ergebnis eine der Gebühren (Geschäfts- oder Verfahrensgebühr) lediglich in geringerem Umfang (0,65) hätte geltend gemacht werden können.

 

35        (1) Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin nicht gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) verstoßen, indem sie mit der außergerichtlichen Beitreibung ihrer Forderungen einen Inkassodienstleister beauftragt und damit - wie aufgezeigt - im Vergleich zur Beauftragung nur eines Rechtsanwalts im Ergebnis höhere Kosten verursacht hat.

 

36        (a) Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbs. BGB setzt voraus, dass es der Geschädigte schuldhaft unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dieses Verschulden bedeutet nicht die vorwerfbare Verletzung einer gegenüber einem anderen bestehenden Leistungspflicht, sondern ein Verschulden gegen sich selbst, also die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit (BGH, Urteil vom 25. Januar 2018 - VII ZR 74/15, NJW 2018, 944 Rn. 25 mwN). Von der Verletzung einer Obliegenheit kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Entscheidender Abgrenzungsmaßstab ist also der Grundsatz von Treu und Glauben. In anderen Vorschriften zum Ausdruck kommende Grundentscheidungen des Gesetzgebers dürfen dabei nicht unterlaufen werden (vgl. nur BGH, Urteile vom 18. März 2014 - VI ZR 10/13, NJW 2014, 2874 Rn. 28; vom 12. Februar 2019 - VI ZR 141/18, NJW 2019, 2538 Rn. 23; vom 18. Februar 2020 - VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795 Rn. 16).

 

37        (b) Eine derartige Obliegenheitsverletzung fällt der Klägerin nicht zur Last.

38        Wie ausgeführt, hat der Beklagte außergerichtlich - und auch im späteren gerichtlichen Verfahren - keine Einwände gegen die Forderungen der Klägerin erhoben. Im Zuge der Anschlusssperrung hat er sogar erklärt, er werde die Forderung ausgleichen. Daher durfte die Klägerin zum Zeitpunkt der Beauftragung der Inkassodienstleisterin davon ausgehen, der Beklagte werde nach deren Einschaltung seine Schuld erfüllen oder sie werde ihre Forderungen im Mahnverfahren titulieren können.

 

39        (2) Mit seiner gegenteiligen Ansicht, wonach ein Gläubiger zwecks vorbeugender Kostenminimierung ungeachtet der Umstände des Einzelfalls stets verpflichtet sei, von vornherein lediglich einen Rechtsanwalt mit der Verfolgung und Durchsetzung einer Forderung zu beauftragen, verkennt das Berufungsgericht die Grundentscheidungen des Gesetzgebers zu der Stellung und zu den Befugnissen von Inkassodienstleistern (vgl. hierzu grundlegend Senatsurteile vom 27. November 2019 - VIII ZR 285/18, BGHZ 224, 89 Rn. 114 ff.; vom 27. Mai 2020 - VIII ZR 45/19, BGHZ 225, 352 Rn. 43 ff.), welche, wie ausgeführt, durch die Annahme eines Mitverschuldens nicht unterlaufen werden dürfen.

40        Denn die außergerichtliche Forderungseinziehung ist nach der Wertung des Gesetzgebers gerade nicht allein Rechtsanwälten vorbehalten (vgl. BVerfG, NJW-RR 2004, 1570, 1571; Senatsurteil vom 27. Mai 2020 - VIII ZR 45/19, aaO Rn. 46 mwN; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr [ABl. EU Nr. L 48 S. 1], wonach zu den seitens des Schuldners im Falle eines Zahlungsverzugs zu erstattenden Kosten auch diejenigen zählen können, die durch die Beauftragung eines Inkassounternehmens entstehen). Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG dürfen registrierte Personen Inkassodienstleistungen erbringen, was in prozessualer Hinsicht durch eine auf unstreitige Verfahrensabschnitte beschränkte Vertretungsbefugnis im Mahnverfahren nach § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO ergänzt wird (vgl. Zöller/Althammer, ZPO, 34. Aufl., § 79 Rn. 9). Der Begriff der Inkassodienstleistung ist in Anbetracht der in den Gesetzesmaterialien niedergelegten Zielsetzungen, die vom Bundesverfassungsgericht zum Rechtsberatungsgesetz aufgestellten liberalisierenden Maßstäbe für Inkassodienstleister bei der Schaffung des Rechtsdienstleistungsgesetzes umzusetzen und auch für mögliche neue Berufsbilder fruchtbar zu machen, nicht in einem zu engen Sinne zu verstehen. Insbesondere ist es einem registrierten Inkassodienstleister nicht verwehrt, im Rahmen des außergerichtlichen Forderungseinzugs in substantieller Weise - auch begleitend zu einem Gerichtsverfahren - Rechtsberatung vorzunehmen (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 2020 - VIII ZR 45/19, aaO Rn. 53 mwN).

41        Diese durch das Bundesverfassungsgericht und den Senat vorgenommene Auslegung wurde durch das Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt vom 10. August 2021 (BGBl. I S. 3415) klarstellend in § 2 Abs. 2 Satz 1 RDG normiert, wonach zu einer Inkassodienstleistung auch die auf die Einziehung bezogene rechtliche Prüfung und Beratung zählt (vgl. BR-Drucks. 58/21, S. 17, 39). Damit sind von dem Begriff der Inkassodienstleistung nach § 2 Abs. 2 Satz 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG auch solche Tätigkeiten erfasst, die auf eine umfangreiche außergerichtliche Rechtsbesorgung und -beratung gerichtet sind und letztlich auf einen unter Beteiligung eines Rechtsanwalts zu führenden Rechtsstreit hinauslaufen (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 2020 - VIII ZR 45/19, aaO Rn. 54), sowie darüber hinaus solche Geschäftsmodelle, die ausschließlich oder vorrangig auf die gerichtliche Einziehung der Forderung abzielen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2021 - II ZR 84/20, BGHZ 230, 255 Rn. 22; vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 418/21, juris Rn. 11, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

42        Mithin steht ein künftig durchzuführendes gerichtliches Verfahren der Annahme einer (vorherigen) Inkassodienstleistung nicht grundsätzlich entgegen, so dass einem Gläubiger - anders als das Berufungsgericht meint - nicht entgegengehalten werden kann, er habe bereits "allein wegen der Möglichkeit eines später erforderlich werdenden Prozesses" von vornherein einen Rechtsanwalt beauftragen müssen. Die gegenteilige Sichtweise des Berufungsgerichts lässt die anerkannten Befugnisse eines Inkassodienstleisters unberücksichtigt und widerspricht damit den vorgenannten gesetzgeberischen Wertentscheidungen.

 

43        (3) Zudem nimmt das Berufungsgericht (so auch BeckOK-BGB/Lorenz, Stand: 1. August 2022, § 286 Rn. 77; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 286 Rn. 46; demgegenüber auf den Einzelfall abstellend MünchKommBGB/Ernst, 9. Aufl., § 286 Rn. 186) durch das Abstellen auf ein regelmäßig später erforderlich werdendes gerichtliches Verfahren der Sache nach eine unzulässige ex post-Betrachtung vor (vgl. Seitz/Vollkommer, Inkasso-Handbuch, 4. Aufl., Kapitel 23 Rn. 60; Goebel, Inkassodienstleistung und Inkassokosten, 3. Aufl., § 2 Rn. 385). Denn die aus der maßgebenden ex ante-Sicht erforderliche und zweckmäßige Hinzuziehung eines Inkassodienstleisters kann nicht losgelöst von den Umständen des Einzelfalls schon allein deshalb als Obliegenheitsverletzung gewertet werden, weil in solchen Fällen später häufig ein Rechtsanwalt mandatiert wird (vgl. den durch das Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3320) eingeführten § 13c Satz 3 RDG [nunmehr § 13f Satz 3 RDG]; hierzu BR-Drucks. 196/20, S. 54 f.; BT-Drucks. 19/24735, S. 13).

 

44        (4) Soweit das Berufungsgericht eine Kürzung der Inkassokosten mit der Vorschrift des § 4 Abs. 5 RDGEG aF (nunmehr § 13e Abs. 1 RDG) begründet hat, wonach die Erstattung von Inkassokosten der Höhe nach durch die Gebührensätze des RVG begrenzt ist, verkennt es den Inhalt und die Reichweite dieser Norm.

45        Denn diese bestimmt lediglich eine Obergrenze für die Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten, welche auf die Vergütung begrenzt werden sollen, die ein Rechtsanwalt für eine entsprechende Tätigkeit höchstens verlangen kann (vgl. BT-Drucks. 17/14216, S. 6). Demgegenüber regelt die Norm weder die Frage der materiell-rechtlichen Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Inkassodienstleisters noch die hier in Rede stehende Frage einer Schadensminderungspflicht des Gläubigers, insbesondere in Form der Anrechnung von Gebühren.    III.

46        Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, da es weiterer Feststellungen nicht bedarf und der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Zuerkennung eines weiteren Betrags in Höhe von 230,10 € nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit (§ 291 BGB), welche vorliegend - mangels alsbaldiger Abgabe des Verfahrens nach Erhebung des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid (§ 696 Abs. 3 ZPO) - mit dem Eingang der Akten beim Prozessgericht eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - III ZR 164/08, BGHZ 179, 329 Rn. 17).           Rechtsbehelfsbelehrung:            Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem Bundesgerichtshof, Karlsruhe, durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

 

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