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Wirtschaftsrecht
12.01.2023
Wirtschaftsrecht
BGH: Zur Annahme einer den insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch ausschließenden vorweggenommenen Befriedigung

BGH, Urteil vom 10.11.2022 – IX ZR 160/21

Volltext: BB-Online BBL2023-66-4

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

Eine den insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch ausschließende vorweggenommene Befriedigung kann auch dann anzunehmen sein, wenn die vorinsolvenzliche Rückführung des in anfechtbarer Weise erlangten Gegenstands oder dessen Werts in das Vermögen des Schuldners mit dem Willen zur Erfüllung eines anderen, auf ein und dieselbe Leistung gerichteten Anspruchs erfolgt (Ergänzung zu BGH, Urteil vom 25. Januar 2018 – IX ZR 299/16, NZI 2018, 216 Rn. 10 ff).

InsO § 129 Abs. 1, § 143 Abs. 1

Sachverhalt

Der Kläger ist Sachwalter in dem auf Eigenantrag vom 27. Oktober 2017 in Eigenverwaltung eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der E. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Unter dem Gesichtspunkt der Deckungsanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO verlangt er von dem beklagten Land die (restliche) Rückgewähr von Steuerzahlungen.

Mit Beschluss vom 30. Oktober 2017 ordnete das Insolvenzgericht die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellte den Kläger zum vorläufigen Sachwalter. Darüber unterrichtete die Schuldnerin das beklagte Land mit Schreiben vom 3. November 2017. Hiernach leistete die Schuldnerin im Zeitraum vom 13. Dezember 2017 bis zum 31. Januar 2018 unter dem Vorbehalt einer späteren Insolvenzanfechtung acht Steuerzahlungen in Höhe von insgesamt 718.470,82 €. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verlangte der Kläger die Rückgewähr der geleisteten Zahlungen. Das beklagte Land zahlte 576.581,64 €. In Höhe des Unterschiedsbetrags von 141.889,18 € nimmt der Kläger das beklagte Land mit der vorliegenden Klage in Anspruch. Die Parteien streiten (nur) um die Frage, ob eine objektive Gläubigerbenachteiligung anzunehmen sei.

Hintergrund des Streits ist eine Zahlung des beklagten Landes vom 26. Januar 2018 in Höhe von 205.555,76 € an die Schuldnerin, mittels derer ein aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO folgender Steuererstattungsanspruch erfüllt worden ist. Der Steuererstattungsanspruch beruhte auf einer Überzahlung, die durch drei der angefochtenen Steuerzahlungen bewirkt worden war. Das beklagte Land ist der Ansicht, darin sei eine vorweggenommene Befriedigung des streitgegenständlichen insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs zu sehen.

Das Landgericht hat die Klage mangels objektiver Gläubigerbenachteiligung abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das beklagte Land antragsgemäß verurteilt. Mit seiner durch den Senat zugelassenen Revision will das beklagte Land die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.

Aus den Gründen

5          Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

    I.

6          Das Berufungsgericht hat die Anfechtungsvoraussetzungen des § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO bejaht. Die infolge der angefochtenen Steuerzahlungen eingetretene objektive Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO sei durch den Ausgleich des Steuererstattungsanspruchs der Schuldnerin durch Zahlung vom 26. Januar 2018 nicht beseitigt worden. Die Zahlung habe nicht der vorweggenommenen Befriedigung des individuellen Rückgewähranspruchs gedient, sondern nach der Zweckbestimmung der Erfüllung des Anspruchs aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Dem beklagten Land sei bekannt gewesen, dass die streitbefangenen Steuerzahlungen unter dem Vorbehalt einer späteren Insolvenzanfechtung erfolgten. Gleichwohl sei die Zahlung vom 26. Januar 2018 nicht auf den insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch erfolgt, sondern auf den Anspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Dadurch habe das beklagte Land die von der Schuldnerin geleisteten und später angefochtenen Steuerzahlungen als sicher und endgültig behandelt, obwohl diese unter dem Vorbehalt der Insolvenzanfechtung gestanden hätten.

    II.

7          Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Der vom Kläger geltend gemachte Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO scheitert an der Zahlung des beklagten Landes an die Schuldnerin vom 26. Januar 2018, die den eingeklagten Betrag übersteigt und in der eine vorweggenommene Befriedigung des streitgegenständlichen Rückgewähranspruchs zu sehen ist.

8          1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs ist anerkannt, dass eine vorinsolvenzlich erfolgte Rückführung des zuvor in anfechtbarer Weise erlangten Gegenstands oder dessen Werts in das Vermögen des Schuldners den mit der Verfahrenseröffnung entstehenden (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 - IX ZR 198/10, ZIP 2013, 1533 Rn. 30; vom 22. Oktober 2015 - IX ZR 171/14, NZI 2015, 976 Rn. 15; st. Rspr.) insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch hindern kann (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2007 - IX ZR 235/03, NZI 2007, 718 Rn. 19; Beschluss vom 7. Februar 2013 - IX ZR 175/12, NZI 2013, 397 Rn. 3 f; Urteil vom 4. Juli 2013 - IX ZR 229/12, BGHZ 198, 77 Rn. 18; vom 10. September 2015 - IX ZR 215/13, NZI 2015, 937 Rn. 11; vom 25. Januar 2018 - IX ZR 299/16, NZI 2018, 216 Rn. 10 ff).

9          a) Das wird zurückgeführt auf eine Rückgängigmachung der einmal eingetretenen Gläubigerbenachteiligung (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2007, aaO; Beschluss vom 7. Februar 2013, aaO; Urteil vom 10. September 2015, aaO; Urteil vom 25. Januar 2018, aaO).

10        Dabei ist maßgeblicher Gesichtspunkt des von der Rechtsprechung angenommenen Ausschlusses des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs dessen vorweggenommene Befriedigung (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2007, aaO; Beschluss vom 7. Februar 2013, aaO; Urteil vom 10. September 2015, aaO; Urteil vom 25. Januar 2018, aaO). Nimmt der Empfänger einer anfechtbaren Leistung vorweg, wozu er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und der damit einhergehenden Entstehung des Rückgewähranspruchs verpflichtet wäre, soll er nicht erneut zur Rückgewähr (§ 143 Abs. 1 InsO) oder Erstattung (§ 143 Abs. 3 InsO) verpflichtet sein (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2013, aaO). Entscheidend ist die Herstellung der Vermögenslage, wie sie nach Verfahrenseröffnung geschaffen werden müsste, weshalb auch die Wertungen des § 144 InsO zu berücksichtigen sind. Es kann deshalb ausreichen, wenn der Darlehensgeber dem Schuldner die in anfechtbarer Weise zurückerlangte Darlehensvaluta zu gleichen Bedingungen erneut zur Verfügung stellt (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2018, aaO Rn. 18). Dann ist sein Rückzahlungsanspruch im eröffneten Verfahren ebenso eine einfache Insolvenzforderung, wie er es unter Berücksichtigung von § 144 Abs. 1 InsO wäre, wenn der Anfechtungsanspruch erst nach Verfahrenseröffnung erfüllt würde.

11        b) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass es der Annahme einer vorweggenommenen Befriedigung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs nicht entgegensteht, wenn dem Anfechtungsgegner die Anfechtbarkeit der an ihn bewirkten Zahlung nicht bewusst gewesen ist (BGH, Urteil vom 25. Januar 2018, aaO Rn. 12). Allein ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Anfechtungsgegner die bei dem Schuldner vor Vollzug der anfechtbaren Handlung bestehende Vermögenslage tatsächlich wiederherstellt. Dies ist anzunehmen, wenn die von dem Anfechtungsgegner vorgenommene Leistung allein zur Vorwegbefriedigung des Anfechtungsanspruchs dienen kann, weil sonstige Forderungen des Schuldners, auf welche die Leistung angerechnet werden könnte, nicht bestehen (BGH, Urteil vom 25. Januar 2018, aaO Rn. 13).

12        Darin kommt der Gedanke zum Ausdruck, dass es auf die Herstellung der Vermögenslage so ankommt, wie sie sich im Falle einer Geltendmachung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens darstellte. An der Herstellung dieser Vermögenslage kann es fehlen, wenn der in anfechtbarer Weise erlangte Vermögensgegenstand zwar in das Vermögen des Schuldners zurückgeführt wird, damit aber eine sonstige Forderung beglichen wird, die im eröffneten Verfahren einen eigenständigen Vermögenswert dargestellt hätte. Dann fehlt es schon deshalb an der nämlichen Vermögenslage, weil der Verwalter die sonstige Forderung nicht mehr zur Masse ziehen kann.

13        Die sonstige Forderung des Schuldners hat jedoch keinen eigenständigen Vermögenswert, wenn sie im eröffneten Verfahren nicht neben dem insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewährsanspruch hätte durchgesetzt werden können. Maßgeblich ist, ob beide Ansprüche aus dem gleichen Lebenssachverhalt stammen und auf ein und dieselbe Leistung gerichtet sind, zwischen ihnen also im eröffneten Verfahren materiell-rechtliche Anspruchskonkurrenz bestünde. Das kommt etwa in Betracht, wenn das sonstige Forderungsrecht ein bereicherungsrechtlicher Rückgewähranspruch ist, der sich mit dem Anfechtungsanspruch deckt, wenn also der Empfänger der anfechtbaren Leistung deren Rückgewähr auch unter dem Gesichtspunkt einer ungerechtfertigten Bereicherung schuldet. Zwar ist anerkannt, dass Ansprüche aus Insolvenzanfechtung nicht durch vertragliche Ansprüche oder Bereicherungsforderungen (§§ 812 ff BGB) verdrängt werden. Vielmehr können Anfechtungsansprüche im Grundsatz selbstständig neben sonstigen Rückgewähransprüchen erhoben werden (BGH, Urteil vom 7. September 2017 - IX ZR 224/16, NZI 2017, 854 Rn. 10 mwN). Das bedeutet aber nicht, dass sowohl der Anfechtungsanspruch als auch der sonstige Rückgewähranspruch erfolgreich durchgesetzt werden können. Der Verwalter kann die Rückgewähr ein und derselben Leistung nur einmal verlangen.

14        d) Wenn und soweit vorinsolvenzlich die Vermögenslage so hergestellt wird, wie sie sich im Falle einer Geltendmachung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens darstellte, ist es ohne Bedeutung, wenn der Empfänger der anfechtbaren Leistung mit der Rückgewähr an den Schuldner einen anderen, auf ein und dieselbe Leistung gerichteten Anspruch tilgen will - etwa einen konkurrierenden Bereicherungsanspruch. Maßgeblich ist nicht die Willensrichtung des Leistungsempfängers, sondern die objektive Vermögenslage.

15        2. Nach diesen Grundsätzen ist davon auszugehen, dass die Zahlung des beklagten Landes vom 26. Januar 2018 zu einer vorweggenommenen Befriedigung des streitgegenständlichen Rückgewähranspruchs aus § 143 Abs. 1, § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO geführt hat.

16        In der Zahlung des beklagten Landes vom 26. Januar 2018 an die Schuldnerin ist eine vorweggenommene Befriedigung des insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs zu sehen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beruhte der durch die Zahlung erfüllte Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO auf einer Überzahlung, die durch drei der angefochtenen Steuerzahlungen bewirkt worden war. Der streitgegenständliche Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 InsO und der Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO waren deckungsgleich und hätten im eröffneten Verfahren nicht gemeinsam durchgesetzt werden können. Im Blick auf den streitgegenständlichen Anfechtungsanspruch hat vor diesem Hintergrund die Zahlung des beklagten Landes die Vermögenslage so hergestellt, wie sie sich bei Geltendmachung des Anspruchs aus § 143 Abs. 1 InsO im eröffneten Verfahren dargestellt hätte. Der Wille des beklagten Landes, mit der Zahlung vom 26. Januar 2018 den aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO folgenden Erstattungsanspruch zu erfüllen, ändert daran nichts.

    III.

17        Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts ist zurückzuweisen.

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