LG München I: Zur Anfechtbarkeit des Beschlusses einer Hauptversammlung
LG München I, Urteil vom 2.9.2010 - 5 HK O 6069/10
Sachverhalt
Die Parteien streiten mittels Anfechtungsklage um die Wirksamkeit eines Beschlusses einer Hauptversammlung der Beklagten.
I.
Am 19.1.2010 veröffentlichte die seit Sommer 2008 von der polnischen Gesellschaft K... S.A. beherrschte Beklagte - eine operativ nicht tätige Holdinggesellschaft der H...-Gruppe, die Elektroanlagen für den Bergbau, insbesondere den Kohlebergbau unter Tage produziert und entwickelt und dafür auch Engineering, Service- und Reparaturdienstleistungen erbringt - im elektronischen Bundesanzeiger die Einladung zu ihrer außerordentlichen Hauptversammlung für den 26.2.2010. Diese Bekanntmachung (Anlage K 1) führte u. a. Folgendes aus:
„1. Beschlussfassung über die Verwendung des Gewinnvortrags
Die ordentliche Hauptversammlung der Gesellschaft hat am 26.06.2009 beschlossen, den Bilanzgewinn 2008 der Gesellschaft in Höhe von EUR 8.045.179,38 auf neue Rechnung vorzutragen.
Die Aktionärin K... S.A. hat den Vorstand der Gesellschaft mit Schreiben vom 22.12.2009 aufgefordert, eine Hauptversammlung der Aktionäre einzuberufen.
Die Aktionärin K... S.A. schlägt vor, den Gewinnvortrag teilweise an die Aktionäre auszuschütten. Auf Grund der geänderten geschäftlichen Lage schließen sich Vorstand und Aufsichtsrat dem Antrag der Aktionärin an und schlagen vor, aus dem Gewinnvortrag in Höhe von EUR 8.045.179,38 einen Teilbetrag in Höhe von EUR 1,60 je dividendenberechtigter Aktie, somit insgesamt EUR 4.000.000,00, an die Aktionäre auszuschütten. Der verbleibende Gewinnvortrag in Höhe von EUR 4.045.179,38 wird weiter auf neue Rechnung vorgetragen.
...
III.
Stimmrechtsvollmacht
Die Aktionäre, die nicht selbst an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, können ihr Stimmrecht und/oder ihre sonstigen Rechte bei entsprechender Vollmachtserteilung durch einen Bevollmächtigten ausüben lassen; auch ein Kreditinstitut oder eine Vereinigung von Aktionären kann bevollmächtigt werden. In diesem Fall haben sich die Bevollmächtigten rechtzeitig selbst anzumelden oder durch den Aktionär anmelden zu lassen. Die Vollmacht muss in Textform (§ 126b BGB) erteilt und der Gesellschaft vorgelegt werden. ..."
Die Satzung der Beklagten enthielt keine Regelung über die Art und Weise der Anmeldung eines Bevollmächtigten zur Wahrnehmung der Aktionärsrechte anlässlich der Hauptversammlung.
Während der Hauptversammlung, die Herrn M... W... wegen des Fehlens der Mitglieder des Aufsichtsrates zum Versammlungsleiter wählte, stellte der Aktionär C... W... folgende Fragen:
„Bitte erläutern Sie die zum Zeitpunkt der ordentlichen Hauptversammlung geänderte geschäftliche Lage en détail. Was hat sich zwischen Juni 2009 und dem 22.12.2009, dem Einberufungsverlangen der K... S.A. geändert?
Bitte erläutern Sie die Meinungsbildung zu diesem Thema in Vorstand und Aufsichtsrat. Welche Rolle haben insbesondere die Mitglieder des Aufsichtsrats bei der Vorbereitung dieser ordentlichen Hauptversammlung gespielt? Hat der Aufsichtsrat über den heute vorgeschlagenen TOP 1 einen Beschluss gefasst?
Bei der Hauptversammlung im Juni 2009 habe der Vorstand die Nichtausschüttung einer Dividende mit einer Abschwächung der wirtschaftlichen Lage in 2010 begründet. Wie sehen die tatsächliche Entwicklung des Auftragsbestandes und die Investitionsplanung aus?
Wie steht es um die Liquidität der Gesellschaft? Die Liquiditätsprobleme waren bei der ordentlichen Hauptversammlung 2009 ein großes Thema. Kann der Vorstand ohne geprüften und testierten Jahresabschluss bzw. ohne konkrete konsolidierte Zahlen für das Geschäftsjahr 2009 bereits zum heutigen Zeitpunkt gesichert und nachprüfbar sagen, dass eine Dividendenausschüttung von € 4,0 Mio. nicht zu erheblichen Liquiditätsproblemen der Gesellschaft führt?"
Als Antwort wies der Vorstand der Beklagten, unterstützt durch den Versammlungsleiter, darauf hin, dass er für das Jahr 2009 ein etwas besseres Ergebnis als 2008 erwarte, ihm aber genaue Zahlen nicht bekannt seien. Weiterhin verwies der Vorstand darauf, dass er für 2010 ein schwächeres Ergebnis erwarte, da die Bestellungen in 2009 abgearbeitet worden und neue Aufträge noch nicht ersichtlich seien sowie dass es bei der Beklagten keine konkreten Investitionsvorhaben gebe und die Gesellschaft keine Kredite in Anspruch nehme.
Nachdem Herr W... klargestellt hatte, er halte die erteilten Auskünfte für unzureichend, bestätigte der Vorstand nochmals, über keine genauen Zahlen für das Geschäftsjahr 2009 zu verfügen und daher auch keine Angaben hierzu machen zu können, was insbesondere auch für die finanzielle und/oder wirtschaftliche Situation bei den Tochtergesellschaften gelte. Als der Aktionär W... hierzu nochmals Stellung nehmen wollte, entzog ihm der Versammlungsleiter um 11.55 Uhr das Wort und erklärte, weitere Fragen des Aktionärs würden nicht beantwortet.
Die Frage nach dem Beschluss des Aufsichtsrates zu diesem Tagesordnungspunkt 1 beantwortete der Versammlungsleiter nicht.
Die Hauptversammlung, an der 2.450.011 Aktien und damit 98 % des Grundkapitals vertreten waren, stimmte dem Beschlussvorschlag zu Tagesordnungspunkt 1 mit 2.443.784 Ja-Stimmen bei 6.412 Nein-Stimmen zu. Der Kläger, der seine Aktien bereits vor der Bekanntmachung der Einberufung im elektronischen Bundesanzeiger erworben hatte und der bis zum 23.2.2009 Vorstand der Beklagten war, wurde auf der Hauptversammlung von Herrn M... N... vertreten; dieser erklärte gegen den zu Tagesordnungspunkt 1 gefassten Beschluss Widerspruch zur Niederschrift des Notars.
II.
Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die Einladung zur Hauptversammlung verstoße gegen § 121 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 und Nr. 2 AktG, weil angesichts des Fehlens von Regelungen in der Satzung der Beklagten über die Art und Weise einer Anmeldung eines Bevollmächtigten zur Wahrnehmung der Aktionärsrechte anlässlich der Hauptversammlung ausschließlich auf die gesetzliche Regelung abzustellen sei. Im Widerspruch zu dieser sehe die Einladung auch das Erfordernis der Anmeldung eines Bevollmächtigten vor. Dabei handele es sich auch nicht um einen nur marginalen Fehler ohne jede Relevanz. Angesichts des Beschlusses der Hauptversammlung vom Juni 2009 über das Einstellen des Bilanzgewinnes des Geschäftsjahres 2008 in Höhe von € 8.045.179,38 in vollem Umfang in den Gewinnvortrag für das Geschäftsjahr 2009 gehe es mit dem Beschluss nicht um eine Änderung des Gewinnverwendungsbeschlusses für das Geschäftsjahr 2008, sondern um die Verwendung des in das Geschäftsjahr 2009 vorgetragenen Gewinns, dessen Ausschüttung aber erst nach der Feststellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2009 erfolgen könne. Zudem werde bestritten, dass Vorstand und Aufsichtsrat der vom Hauptaktionär begehrten Verwendung des Gewinnvortrages zugestimmt hätten. Die vom Aktionär C... W... gestellten Fragen zur geänderten wirtschaftlichen Lage zwischen Juni 2009 und dem 22.12.2009 zu den Gründen für das Einberufungsverlangen der K... S.A., zu der tatsächlichen Entwicklung des Auftragsbestandes und der Investitionsplanung seit dem Beschluss der Hauptversammlung vom 26.6.2009 sowie zur entscheidenden Frage nach der Liquidität seien nicht beantwortet worden, was gleichfalls die Anfechtbarkeit nach sich ziehe. Angesichts des unentschuldigten Fehlens des Aufsichtsrates könne sich die Beklagte auch nicht auf die Unkenntnis des Vorstandes berufen. Der Wortentzug sei zur ordnungsgemäßen Durchführung der Hauptversammlung weder erforderlich noch verhältnismäßig gewesen.
Der Kläger beantragt daher:
Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 26.02.2010 zu dem Tagesordnungspunkt 1 „Beschlussfassung über die Verwendung des Gewinnvortrags" mit dem Inhalt:
Aus dem Gewinnvortrag in Höhe von € 8.045.179,38 wird ein Teilbetrag in Höhe von € 1,60 je dividendenberechtigter Aktie, somit insgesamt € 4.000.000,--, an die Aktionäre ausgeschüttet. Der verbleibende Gewinnvortrag in Höhe von € 4.045.179,38 wird weiter auf neue Rechnung vorgetragen.
wird für nichtig erklärt.
III.
Die Beklagte beantragt demgegenüber:
Klageabweisung.
Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, von einer Gesetzesverletzung könne nicht ausgegangen werden. Hintergrund der Klage seien zudem Unstimmigkeiten zwischen dem Kläger als früheren Vorstand der Beklagten im Zusammenhang mit der Abwicklung des Verkaufs der Aktienmehrheit an die heutige Hauptaktionärin. Der Einladung könne an keiner Stelle entnommen werden, dass die Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten von dessen Anmeldung vor der Hauptversammlung abhänge. Jedenfalls fehle einem diesbezüglichen Einladungsmangel die Relevanz, weil sich kein verständiger Aktionär durch das Erfordernis der Anmeldung eines Bevollmächtigten von seiner Stimmabgabe abhalten lasse. Mangels auflösungsbedürftiger Vermögensbindung könne die Aufhebung eines Gewinnvortrags unproblematisch erfolgen, weil es nicht zu einer Beeinträchtigung individueller Gewinnauszahlungsansprüche der Aktionäre komme. Da der Beschluss auch nicht den Bilanzgewinn bzw. den Jahresabschluss berühre, müsse er erst im folgenden Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2009 einbezogen werden. Eine Verletzung von Informationsrechten liege nicht vor; alle Fragen seien hinreichend beantwortet worden, was sich bereits daran zeige, dass die Mehrheit der Aktionäre aufgrund der vorhandenen Informationen und erteilten Auskünfte zum Geschäftserfolg und zur Liquiditätslage der Ausschüttung zugestimmt hätten. Da eine dritte Beantwortung der von Herrn W... gestellten gleichen Fragen zur geänderten wirtschaftlichen Lage nicht erforderlich gewesen sei, stelle sich der gegenüber Herrn W... ausgesprochene Wortentzug nicht als Verstoß gegen Auskunftsrechte von Aktionären dar. Zudem fehle es auch hier an der Relevanz für die sachgerechte Wahrnehmung von Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechten.
IV.
Mit Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten vom 11.8.2010 (Bl. 75/76 d. A.) sowie vom 28.7.2010 (Bl. 68/70 d. A.) sind Herr ... Z... sowie die U... GmbH dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers als Nebenintervenienten beigetreten. Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben sie sich dem Antrag des Klägers angeschlossen.
Die G... AG ist dem Rechtsstreit mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigen vom 04.08.2010 (Bl. 73/74 d. A.) auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin beigetreten.
V.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2.9.2010 (Bl. 80/82 d. A.).
Aus den Gründen
I.
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet, weil der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 26.02.2010 das Gesetz und die Satzung im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG verletzt.
Der Kläger ist anfechtungsbefugt im Sinne des § 245 Nr. 1 AktG, weil er nach seinem von der Beklagten nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden geltenden Sachvortrag die Aktien bereits vor der Bekanntmachung der Einladung zur Hauptversammlung im elektronischen Bundesanzeiger vom 19.1.2010 die Aktien erworben hatte, an der Hauptversammlung durch einen Vertreter teilnahm und Widerspruch gegen die Beschlussfassung zu Tagesordnungspunkt 1 zur Niederschrift erklärte.
Die Anfechtungsklage wurde fristgemäß innerhalb der Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG erhoben. Zwar ist eine Klage aufgrund von § 253 Abs. 1 ZPO erst mit Zustellung an die Beklagte erhoben. Indes findet die Vorschrift des § 167 ZPO im Geltungsbereich von § 246 Abs. 1 AktG zumindest entsprechende Anwendung. Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden, tritt diese Wirkung aufgrund von § 167 ZPO bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Der Kläger hat durch Benennung der ladungsfähigen Anschrift des Aufsichtsratsmitglieds Krzysztof Jedrzejewski in Polen alles Erforderliche getan, um eine Zustellung auch an den Aufsichtsrat zu ermöglichen. Da der Gerichtskostenvorschuss aus dem Beschluss vom 6.4.2010 über die vorläufige Festsetzung des Streitwertes ausweislich der Gerichtsakten bereits am 20.4.2010 einbezahlt wurde, liegt die Verzögerung der mit Verfügung des Vorsitzenden vom 4.5.2010 veranlassten Zustellung ausschließlich in der Organisationssphäre des Gerichts; angesichts dessen erfolgte die Zustellung demnächst. Damit aber kann auf die Anhängigkeit der Klage bei Gericht abgestellt werden; die Klage ging am 25.3.2010 bei Gericht ein, weshalb die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG eingehalten wurde.
Die Klage ist begründet, weil der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 26.2.2010 zu Tagesordnungspunkt 1 das Gesetz und die Satzung im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG verletzt.
Die Einberufung entspricht nicht den Anforderungen aus §§ 121 Abs. 3, 123 Abs. 2 AktG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrichtlinie (ARUG) vom 30.7.2009, BGBl. I 2479, wobei dies auch dann gilt, wenn die Beklagte nicht börsennotiert ist. Der Satzung der Beklagten ist nach dem von der Beklagten nicht bestrittenen und damit gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestandenen geltenden Vortrag des Klägers nicht zu entnehmen, dass eine Anmeldung auch eines Vertreters notwendig wäre. Abgesehen davon bestehen erhebliche Bedenken, inwieweit eine derartige Satzungsregelung überhaupt mit der Vorgabe aus § 23 Abs. 5 AktG vereinbar wäre. Der Verstoß gegen die Satzung liegt darin, dass die Einladung eine rechtzeitige Anmeldung des Bevollmächtigten fordert. Indes kann die Formulierung in der Einladung nicht so verstanden werden, dass eine Anmeldung des Bevollmächtigten entbehrlich wäre. Im ersten Satz von Ziffer III. der Einberufung heißt es, dass Aktionäre, die nicht selbst an der Hauptversammlung teilnehmen wollen, ihr Stimmrecht bei entsprechender Vollmachtserteilung durch einen Bevollmächtigten ausüben können. Nach Satz 2 haben sich in diesem Fall die Bevollmächtigten rechtzeitig selbst anzumelden oder durch den Aktionär anmelden zu lassen. Die Formulierung „in diesem Fall" bezieht sich nach den Regeln der deutschen Grammatik ohne jeden Zweifel auf die Ausübung der Rechte in der Hauptversammlung durch einen Bevollmächtigten. Dieses Erfordernis einer rechtzeitigen Anmeldung nicht nur des Aktionärs, sondern daneben auch des Bevollmächtigten findet weder im Aktiengesetz noch in der Satzung eine Stütze; es handelt sich vielmehr um eine unzulässige einschränkende Bedingung der Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung des Stimmrechts. Selbst wenn sich ein Aktionär während der Hauptversammlung von einem Dritten vertreten lässt, ist aufgrund der gesetzlichen Wertung in § 164 Abs. 1 BGB als Grundnorm des Vertretungsrechts Teilnehmer an der Hauptversammlung im Rechtssinne stets nur der Aktionär als Vertretener, nicht aber der Vertreter. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Aktionär nach Ende der Anmeldefrist schwer erkrankt oder auch aus beruflichen oder privaten zwingenden Gründen an der Teilnahme an der Hauptversammlung verhindert ist. Dann aber besteht ein Bedürfnis, einen Vertreter bevollmächtigen zu können, wenn sich der Aktionär selbst ordnungsgemäß angemeldet hat. Die anders zu verstehende Bekanntmachung in der Einladung ist dann aber auch geeignet, teilnahmewillige, aber kurzfristig verhinderte Aktionäre von der Hauptversammlung fernzuhalten (vgl. OLG Frankfurt AG 2010, 637, 638 = ZIP 2010, 1390, 1391 f. = WM 2010, 1656, 1657 f. für eine börsennotierte Gesellschaft für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des ARUG).
Vorliegend muss auch die Relevanz des Gesetzes- und Satzungsverstoßes bejaht werden. Dem Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten haftet ein Legitimationsdefizit an, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzen Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit rechtfertigt (vgl. BGH NZG 2005, 77, 79 - Thyssen Krupp) für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG; auch Göz/Holzborn WM 2006, 157, 160). Die rechtzeitige Anmeldung für das Teilnahme- und Mitgliedschaftsrecht ist für den Aktionär von wesentlicher Bedeutung. Die Formulierung ist - wie ausgeführt - tatsächlich geeignet, einen Aktionär von der Teilnahme durch einen Vertreter abzuhalten, wenn er kurzfristig verhindert ist. Insoweit unterscheidet sich der Sachverhalt grundlegend von dem, in dem von der Rechtsprechung jedenfalls überwiegend hinsichtlich der Form der Erteilung von Stimmrechtsvollmachten bei einer fehlerhaften Angabe in Bezug auf das Formerfordernis eine Ordnungsvorschrift angenommen wird, die nicht zur Anfechtbarkeit berechtigt, oder auf die mangelnde Relevanz abgestellt wird (vgl. OLG München AG 2008, 746, 747 f. = BB 2008, 2366, 2368 f. = ZIP 2008, 2117, 2120 f. = DNotZ 2009, 146, 149 ff. -HVB/UniCredit; AG 2009, 589, 590 f. = NZG 2009, 506, 507 = ZIP 2009, 416, 418 = WM 2009, 553, 555 f.; KG AG 2010, 163, 166 = NZG 2009, 1389, 1390 = DNotZ 2010, 704 ff.).
Die Anfechtbarkeit ergibt sich zudem aus einer Verletzung von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG. Nach dieser Vorschrift ist jedem Aktionär auf Verlangen vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachgemäßen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Gegen diese Vorgaben hat der Vorstand der Beklagten vorliegend verstoßen, weshalb eine Gesetzesverletzung bejaht werden muss.
Der Verstoß gegen das Gesetz beruht bereits darauf, dass der Vorstand die Frage eines Aktionärs nach dem Beschluss des Aufsichtsrates zu dem Einberufungsverlangen der Hauptaktionärin K... S.A. nicht beantwortete.
Der entsprechende Sachvortrag des Klägers zu dieser Frage in der Klageschrift wurde von der Beklagten in ihrer Klageerwiderung nicht bestritten; er gilt daher aufgrund von § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden und muss der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Die Frage, ob der Aufsichtsrat als Organ entsprechend dem Einberufungsverlangen einen Beschlussvorschlag an die Hauptversammlung unterbreitet, ist zur Beurteilung des Tagesordnungspunktes 1 erforderlich. Die Frage nimmt rechtlich Bezug auf die Regelung in § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG, wonach zu jedem Gegenstand der Tagesordnung, über den die Hauptversammlung beschließen soll, der Vorstand und der Aufsichtsrat Vorschläge zur Beschlussfassung zu machen haben. Mit dieser Regelung ist die rechtzeitige Information der Aktionäre über Beschlussgegenstände bezweckt; erst dadurch werden sie in die Lage versetzt, von ihrem Teilnahmerecht sinnvoll Gebrauch zu machen. Aktionäre müssen entscheiden können, ob sie teilnehmen wollen, und sie müssen Gelegenheit haben, sich mit den einzelnen Gegenständen ausreichend zu befassen, damit Rede-, Frage- und Stimmrecht sinnvoll ausgeübt werden können (vgl. BGHZ 153, 32, 36 = NJW 2003, 970, 971; LG München I AG 2007, 336, 337; Hüffer, AktG, 9. Aufl., Rdn. 1 zu § 124; Zöllner in: Kölner Kommentar zum AktG, 1. Aufl., Rdn. 2 zu § 124). Mit Blick auf diesen Normzweck ist es für einen Aktionär dann auch während der Hauptversammlung von zentraler Bedeutung zu erfahren, wie sich der Aufsichtsrat zu dem Einberufungsverlangen positioniert hat. Dem kann die Beklagte nicht entgegenhalten, von den Mitgliedern des Aufsichtsrates sei auf der Hauptversammlung niemand erschienen. Zum einen ergibt sich dies bereits daraus, dass der Vorstand für die Einberufung Kenntnis davon haben muss, ob der Aufsichtsrat einen entsprechenden Beschlussvorschlag unterbereitet. Zum anderen aber sind die Mitglieder des Aufsichtsrates grundsätzlich dazu verpflichtet, an der Hauptversammlung teilzunehmen; die Formulierung in § 118 Abs. 3 Satz 1 AktG als Sollvorschrift bringt lediglich die mangelnde beschlussrechtliche Relevanz zum Ausdruck, vermag aber an der Teilnahmepflicht nichts zu ändern (vgl. Hoffmann in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., Rdn. 22 zu § 118; Spindler in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., Rdn. 36 zu § 118). Wenn nun aber alle Mitglieder des Aufsichtsrates der Beklagten diese Pflicht verletzen, so kann dies nicht zum Nachteil des Aktionärs gereichen, wenn der Vorstand mangels unmittelbarer Informationsmöglichkeit in der Hauptversammlung nicht in der Lage ist, die Frage eines Aktionärs hinreichend zu beantworten.
Die Verletzung von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist auch kausal für die Beschlussfassung der Hauptversammlung. Ein objektiv urteilender Aktionär hätte die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen. Wegen unrichtiger, unvollständiger oder verweigerter Erteilung von Informationen kann nach der Regelung in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur angefochten werden, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte angesehen hätte. Der Gesetzgeber knüpfte bei der Schaffung dieser Vorschrift bewusst an die in der Rechtsprechung entwickelte Formel des „objektiv urteilenden Aktionärs" an. Auf die Frage, ob der tatsächliche Inhalt der in der Hauptversammlung verweigerten Auskunft einen objektiv urteilenden Aktionär von der Zustimmung zur Beschlussvorlage abgehalten hätte, kann es entgegen einer Formulierung in der Begründung zum Regierungsentwurf (vgl. BT-Drucks. 15/5092, S. 28 li Sp.) nicht ankommen. Der Gesetzeswortlaut spricht nämlich von der Wesentlichkeit für die sachgerechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte. Dem kann unter Berücksichtigung des hinter dem Fragerecht und dem Anfechtungsrecht stehenden Grundgedankens keine solche Bedeutung beigemessen werden, dass die Anfechtungsklage nur dann Erfolg haben kann, wenn der objektiv urteilende Aktionär ohne den Verfahrensverstoß bzw. in Kenntnis der ihm zu offenbarenden Umstände in der Hauptversammlung anders abgestimmt hätte als dies tatsächlich geschehen ist (so zwar noch BGHZ 122, 211, 238 f.; aufgegeben durch BGHZ 149, 158, 164 f. und auch BGHZ 153, 32, 36 f.). Die in diese Richtung gehende Formulierung aus dem Referentenentwurf vom Januar 2004 wurde gerade nicht Gesetz. Entscheidend für die hier vertretene Auffassung spricht vor allem auch der Normzweck des Frage- wie auch des Anfechtungsrechts bei der Gesetzesauslegung, auch wenn vom Wortlaut des Gesetzes auszugehen ist. Das Frage- wie auch das Anfechtungsrecht gehören zu den Kernbereichen des Schutzes der Minderheitsaktionäre. Wenn dieses nicht leer laufen oder sinnentleert sein soll, kann es nicht darauf ankommen, ob der Aktionär in Kenntnis der Information anders abgestimmt hätte als tatsächlich geschehen. Demgemäß stellt der Gesetzeswortlaut bereits auf die wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung der Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs ab. Darunter ist aber dann die Relevanz für das Mitwirkungs- bzw. Mitgliedschaftsrecht dergestalt zu verstehen, dass dem Beschluss ein Legitimationsdefizit anhaftet, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gerechtfertigt ist (vgl. BGH NZG 2005, 77, 79 - ThyssenKrupp für die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des UMAG; auch Göz/Holzborn WM 2006, 157, 160). Das UMAG hat an dieser Beurteilung aus den soeben genannten Gründen nichts geändert, so dass die Kammer die vom BGH in der zuletzt genannten Entscheidung aufgestellten Kriterien unverändert für maßgeblich erachtet.
Gerade auch weil ein Aktionär einen Antrag auf Einberufung der Hauptversammlung gestellt hatte, der eine Ursache in der Geschäftsentwicklung und Auswirkungen auf die Liquiditätssituation der Beklagten hatte, muss ein derartiges Legitimationsdefizit vorliegend bejaht werden; es ist für einen Aktionär von zentrale Bedeutung zu erfahren, ob das Aufsichtsorgan der Gesellschaft einen entsprechenden Beschluss gefasst hat.
Der Entzug des Wortes gegenüber dem Aktionär C... W... um 11.55 Uhr bedeutet ebenfalls eine Verletzung von § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG.
Zwar muss davon ausgegangen werden, dass der Leiter der Hauptversammlung das Rede- und Fragerecht - unabhängig von Satzungsregelungen im Sinne des § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG - generell oder im Einzelfall wie hier kraft eigenen Rechts zu Beschränkungen des Frage- und Rederechts befugt ist (vgl. Hüffer, AktG, a.a.O., Rdn. 20 zu § 129; Wicke in: Spindler/Stilz, AktG, a.a.O., Anh § 119 Rdn. 13; Kubis in: Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl., Rdn. 160 zu § 119). Allerdings ist der Wortentzug als einschneidendes Mittel nur unter engen Voraussetzungen verhältnismäßig, die hier nicht als erfüllt angesehen werden können. Es ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass der Aktionär C... W... generelle oder individuelle Redezeitbeschränkungen missachtet hätte. Allein der Umstand, dass er nach einer aus seiner Sicht unzureichenden Antwort des Vorstandes nachfragte und seine Frage wiederholte, begründet keinen Rechtsmissbrauch des Fragerechts. Ebenso wenig ergibt sich der Rechtsmissbrauch aus dem Umstand, dass der Vorstand bzw. der Versammlungsleiter bereits zweimal zu den gestellten Fragen zur geänderten wirtschaftlichen Lage Stellung genommen hatten. Der vollständige Wortentzug war zur ordnungsgemäßen Fortführung der Hauptversammlung nicht erforderlich; in einer derartigen Situation hätte es jedenfalls genügt, auf den Umstand hinzuweisen, dass der Vorstand der Auffassung sei, die gestellte Frage hinreichend beantwortet zu haben. Sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, müsste der Vorstand auf wiederholte Fragestellungen zu genau diesem Fragenkomplex nicht mehr antworten.
Die Kausalität des Gesetzesverstoßes muss auch hier bejaht werden. Wenn einem Aktionär das Wort vollständig entzogen wird, so beinhaltet dies einen gravierenden Eingriff in sein Rederecht, das zudem auch durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG verfassungsrechtlich abgesichert ist. Aufgrund des gesetzeswidrigen Entzugs des Frage- und Rederechts haftet dem Beschluss der Hauptversammlung ein Legitimationsdefizit an. Dabei kann es nicht mehr darauf ankommen, welche Fragen der Aktionär im Einzelnen noch hätte stellen wollen. Es muss davon ausgegangen werden, dass diese gerade auch angesichts des durchaus nachvollziehbaren Inhalts der gestellten Fragen nicht ohne jede Bedeutung für den Beschluss über die Gewinnverwendung gewesen wären.
(3) Da es sich bei dem Anfechtungsrecht um ein Kontrollrecht des einzelnen Aktionärs handelt, kann es nicht darauf ankommen, dass der Aktionär, der die Fragen gestellt hatte und dem das Wort entzogen wurde, selbst keine Anfechtungsklage erhoben hat.
Angesichts dessen muss die Kammer nicht mehr abschließend entscheiden, inwieweit die weiteren vorgetragenen Anfechtungsgründe zum Tragen kommen, insbesondere inwieweit eine Änderung des Beschlusses über die Gewinnverwendung überhaupt möglich war.
II.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2, 100 Abs. 1 AktG. Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetretenen Nebenintervenienten zu tragen. Da es sich bei dem Beitritt der Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten um eine streitgenössische Nebenintervention handelt, musste die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetretenen Nebenintervenientin aufgrund von §§ 101 Abs. 2, 100 Abs. 1 AktG in gleicher Weise wie die Hauptpartei an der Kostentragungspflicht beteiligt werden. Deshalb tragen die Beklagte und die dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetretenen Nebenintervenientin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetretenen Nebenintervenienten je zur Hälfte.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
Die Entscheidung über den Streitwert hat ihre Grundlage in § 247 Abs. 1 AktG.