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Wirtschaftsrecht
16.04.2009
Wirtschaftsrecht
LG München I: Zur Akzessorietät der Bürgenverpflichtung

LG München I, Urteil vom 6.4.2009 - 2 O 23094/07

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch.

Am 4. April 2001 schlossen die Klägerin und der Fa. xxx einen Bauvertrag zum Bauvorhaben xxx, xxx. Ihre Leistungen rechnete die Fa. xxx mit Schlussrechnung vom 9. Oktober 2001 ab.  Die Fa. xxx übergab der Klägerin die streitgegenständliche Bürgschaftsurkunde der Beklagten vom 13. November 2001. Die Bürgschaft ist „für die Erfüllung der Ansprüche auf Gewährleistung" ausgestellt, die Bürgin verpflichtet sich „auf erste schriftliche Anforderung jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von DM 52.600.- zu zahlen". Hinsichtlich des genauen Wortlauts der Bürgschaft wird auf die Anlage K5 Bezug genommen. Mit Schreiben vom 9. August 2007 forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung der Bürgschaftssumme bis zum 31. August 2007 auf. Die Beklagte lehnte die Zahlung mit Schreiben vom 9. Oktober 2007 ab.

Die Klägerin trägt vor, für die Dauer der Gewährleistung sei ein Sicherheitseinbehalt in Höhe von 5% der Schlussrechnungssumme vereinbart gewesen. Die Fa. xxx habe den Sicherheitseinbehalt durch die streitgegenständliche Bürgschaft abgelöst. Bei einer Begehung am 11. Juli 2005 habe der technische Leiter der Klägerin Mängel am Gewerk der Klägerin festgestellt. Die Klägerin und die Fa. xxx hätten die Mängelbeseitigung im Weiteren abgesprochen. Vor Durchführung der Mängelbeseitigung habe die Fa. xxx am 7. August 2006 beim Amtsgericht xxx Insolvenz angemeldet. Die Insolvenzverwalterin habe die Mängelbeseitigung abgelehnt. Der Klägerin entstünden geschätzte Mängelbeseitigungskosten in Höhe von 26.180.- Euro. Die Bürgin werde auf Ersatz der Mängelbeseitigungskosten in Anspruch genommen.

Die Klägerin beantragt,

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 26.893,95 Euro nebst 8%-Punkten über dem Basiszinssatz daraus seit dem 3.11. 2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass ein Sicherheitseinbehalt zwischen Klägerin und der Fa. xxx vereinbart war und dass dieser nach Übergabe der Bürgschaft ausgezahlt wurde. Sie bestreitet die Mangelhaftigkeit des Gewerks der Fa. xxx und die Erforderlichkeit und Angemessenheit der geltend gemachten Mängelbeseitigungskosten. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

Die Beklagte meint, die Ablöseregelung zum Sicherheitseinbehalt zwischen Klägerin und der Fa. xxx sei unwirksam, da die Klägerin diese einseitig durch Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgegeben habe. Die Unwirksamkeit der Ablöseabrede im Hauptvertragsverhältnis sei im Rahmen der Akzessorietät der Bürgschaft beachtlich. Die Klägerin könne sie daher nicht in Anspruch nehmen.

Wegen des weiteren Vorbringens und der Rechtsauffassungen der Parteien im Einzelnen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst dazu gehörigen Anlagen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 11. Juli 2008 (Bl. 63 f der Akten) durch uneidliche Einvernahme der Zeugen xxx und xxx. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 17. Dezember 2008 (Bl. 74 bis 86) Bezug genommen. Mit Beschluss vom 2. Februar 2009 (Bl. 93 bis 99) hat das Gericht auf seine Rechtsauffassung hingewiesen.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist ganz überwiegend begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte im tenorierten Umfang Anspruch auf Zahlung aus Bürgschaftsversprechen, § 765 BGB. Die Bürgschaft ist als Bürgschaft auf erstes Anfordern wirksam erteilt. Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Beklagten als Bürgin liegen vor. Die von der Beklagten dagegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. Insbesondere missbraucht die Klägerin nicht offensichtlich die ihr eingeräumte formale Rechtstellung.

1.

Die Einwendungen, das Werk des Hauptschuldners sei nicht mangelhaft und etwaige Ansprüche seien bereits verjährt, sind bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern im Erstprozess unbeachtlich. Sie begründen jedenfalls keinen offenkundigen Missbrauch der formalen Rechtstellung der Klägerin.

2.

Auch die von der Beklagten erhobene Einwendung, die der streitgegenständlichen Bürgschaft zu Grund liegende „Sicherungsabrede" sei unwirksam, begründet keinen offenkundigen Missbrauch der klägerischen Rechtstellung.

a) Eine Sicherungsabrede ist im Streitfall nicht vereinbart worden. Darunter ist ein Vertrag zwischen Gläubiger und Hauptschuldner zu verstehen, nach dem der Gläubiger von der ihm eingeräumten (formalen) Rechtsmacht (Bürgschaft) nur unter bestimmten Voraussetzungen Gebrauch machen darf. Im Streitfall haben die Parteien des Hauptschuldverhältnisses dagegen lediglich vereinbart, auf welche Weise der Hauptschuldner einen Sicherheitseinbehalt des Gläubigers ablösen darf (im Folgenden: Ablösevereinbarung). Von dieser Vereinbarung hat der Schuldner Gebrauch gemacht, indem er die streitgegenständliche Bürgschaft gestellt hat. 

b) Gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Bürge die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Als Folge der Unwirksamkeit der Ablösevereinbarung hätte der Hauptschuldner gegen den Gläubiger lediglich einen bereicherungsrechtlichen Anspruch auf Rückgabe der Bürgschaftsurkunde (vgl. BGH Urteil vom 5. Juni 1997 VII ZR 324/95). Ein Anspruch gegen den Gläubiger, von der ihm eingeräumten Sicherheit keinen Gebrauch zu machen, besteht nicht. Eine auf die Unwirksamkeit der Ablösevereinbarung gestützte bereicherungsrechtliche Einrede steht dem Bürgen gegen den Gläubiger nach Auffassung des Gerichts deshalb nicht zu. Auf die Wirksamkeit der Ablösevereinbarung kommt es nicht an. Der entgegenstehenden Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH Urteil vom 8. März 2001 IX ZR 236/00) folgt das Gericht nicht.

aa) Nach der Rechtsprechung des BGH steht dem Bürgen die auf die Unwirksamkeit der Ablösevereinbarung gestützte bereicherungsrechtliche Einrede im Wesentlichen wegen der Akzessorietät der Bürgschaft zu. Dem liegt aus Sicht des Gerichts ein zu weites Verständnis der Akzessorietät zu Grunde.

Die Abhängigkeit der Bürgenschuld von Bestand und Durchsetzbarkeit der Hauptschuld soll gewährleisten, dass der Bürge nicht mehr zahlen muss als der Hauptschuldner dem Gläubiger aus dem durch die Bürgschaft gesicherten Schuldverhältnis schuldet. Dieser Grundsatz wird nicht verletzt, wenn der Bürge in Abhängigkeit von der Hauptforderung zur Zahlung verpflichtet bleibt, obwohl der Hauptschuldner nicht verpflichtet war, eine Bürgschaft zu stellen. Nach Auffassung der Gerichts ist insofern zwischen der Hauptschuld aus dem der Bürgschaft zu Grunde liegenden Bauvertrag einerseits und der Nebenvereinbarung über die Ablösung des vereinbarten Sicherheitseinbehaltes andererseits zu unterscheiden. Die Leistungszusage des Bürgen bezieht sich nur auf die Hauptschuld aus dem Bauvertrag und nicht auf die Nebenvereinbarung, in welcher festgelegt ist, auf welche Weise der Schuldner berechtigt ist, zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts seinerseits Sicherheit an den Gläubiger zu leisten. Nichts anderes gilt für die Reichweite der dem Bürgen gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB zustehenden Einreden. Folglich ist die Leistungsverpflichtung des Bürgen nicht davon abhängig, ob der Hauptschuldner verpflichtet war, eine Sicherheit zu stellen, sondern nur davon, ob der Hauptschuldner aus der gesicherten Hauptschuld zur Leistung verpflichtet ist.

bb) Der abstrakten Leistungsverpflichtung des Bürgen steht auch nicht dessen Schutzbedürftigkeit entgegen. Entsprechenden Überlegungen kann das Gericht nur insoweit folgen, als eine offensichtlich unberechtigte Inanspruchnahme des Bürgen verhindert werden muss, etwa weil die Hauptforderung offenkundig nicht besteht oder nicht mehr durchsetzbar ist. Ein darüber hinaus gehender Schutz des Bürgen wird der von den Vertragsbeteiligten vereinbarten und gewollten Risikoverteilung im dreiseitigen Verhältnis zwischen dem Hauptschuldner, dem Gläubiger und dem Bürgen nicht gerecht: 

(1) Das Risiko des Hauptschuldners, eine Bürgschaft beizubringen, die er nicht schuldet, beschränkt sich darauf, den vereinbarten Avalzins an den Bürgen entrichten zu müssen. Der auf Herausgabe der rechtsgrundlos erlangten Bürgschaft gerichtete Anspruch des Hauptschuldners gegen den Gläubiger zielt darauf, diesen Nachteil des Hauptschuldners auszugleichen.

Im Übrigen hat der Hauptschuldner nach Ansicht des Gerichts jedenfalls aus Bereicherungsrecht keinen Anspruch gegen den Gläubiger, von der rechtsgrundlos erlangten Bürgschaft keinen Gebrauch zu machen. Denn durch die Inanspruchnahme des Bürgen entsteht dem Hauptschuldner kein weiterer Nachteil. Wenn der Bürge zahlt, obwohl die Hauptschuld nicht besteht, findet kein Forderungsübergang gemäß § 774 BGB statt. Der Bürge kann sich deshalb in diesem Fall nicht an den Schuldner halten, sondern muss gegen den Zahlungsempfänger vorgehen.  Wenn die Hauptschuld besteht, ändert sich durch die Leistung des Bürgen und den gesetzlichen Forderungsübergang aus der Sicht des Schuldners nur die Person des Gläubigers; die Hauptschuld ändert sich jedoch nicht.

Der Nachteil des Hauptschuldners, dem Gläubiger eine nicht geschuldete Bürgschaft hingegeben zu haben, beschränkt sich damit auf die aufgewendeten Avalzinsen. Diesen Nachteil muss der Gläubiger gegebenenfalls bereicherungsrechtlich ersetzen und zwar unabhängig davon, ob er den Bürgen in Anspruch genommen hat.

(2) Aus der Sicht des Bürgen ist der Nachteil des Hauptschuldners, für eine Bürgschaft zu zahlen, die dieser (wegen Unwirksamkeit der Ablösevereinbarung) nicht schuldet, kein Nachteil, sondern - ganz im Gegenteil - ein Vorteil. Wollte man dagegen - wie der BGH - den Hauptschuldner und den Bürgen im Verhältnis zum Gläubiger als Einheit ansehen, so könnte der Bürge die Gegenleistung für ein Risiko behalten, das er gar nicht tragen muss. Denn der Hauptschuldner kann den an den Bürgen gezahlten Avalzins von ihm nicht mit der Begründung zurückverlangen, er habe dem Gläubiger keine Bürgschaft geschuldet. In Bezug auf den zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen geschlossenen Bürgschaftsvertrag, wäre dies ein unbeachtlicher Motivirrtum.

(3) Nichts anderes ergibt sich wertungsmäßig aus der Sicht des Gläubigers. Er ist durch die Zahlung des Bürgen nicht rechtsgrundlos bereichert, wenn die Bürgschaft wirksam ist und die Hauptforderung besteht. Zwar hat der Gläubiger auf Grund der (rechtsgrundlos erlangten) Bürgschaft eine Rechtsposition inne, die ihm im Verhältnis zum Hauptschuldner nicht zusteht. So kann er - wie im Streitfall - vom Bürgen auch dann Zahlung verlangen, wenn der Hauptschuldner insolvent geworden ist. Soweit die durch die Bürgschaft gesicherte Forderung nicht besteht, muss er eine vom Bürgen geleistete Zahlung jedoch nicht an den Hauptschuldner, sondern an den Bürgen herausgeben, da die Rückabwicklung nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen vorrangig im Leistungsverhältnis stattfindet.

Der Bürge kann wiederum seine Leistung vom Gläubiger nicht zurückfordern, soweit die Bürgschaft wirksam und der Hauptschuldner zu Zahlung verpflichtet war. Ob der Hauptschuldner zur Zahlung in der Lage gewesen wäre, ist im Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen unbeachtlich, denn der Bürge hat gegenüber dem Gläubiger gerade das Insolvenzrisiko des Hauptschuldners übernommen und sich dafür vom Hauptschuldner bezahlen lassen.

3.

Dem von der Beklagten erhobenen Einwand, die klageweise geltend gemachten Kosten seien nicht erforderlich und nicht angemessen, ist in diesem Prozess nicht nachzugehen, da die dafür erforderlichen Anknüpfungstatsachen weder offenkundig noch liquide beweisbar sind.

4.

Die Klägerin hat nur Anspruch auf Zahlung der Bürgschaftssumme Zug um Zug gegen Herausgabe der Bürgschaftsurkunde. Durch Zahlung der Bürgschaftssumme wird die Bürgenverpflichtung der Beklagten erfüllt. Die Beklagte hat damit Anspruch auf Herausgabe der Bürgschaftsurkunde.

5.

Die von der Beklagten zu leistende Zahlung ist ab Verzug zu verzinsen. Die Zinshöhe ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB. § 288 Abs. 2 BGB ist nicht anzuwenden, da die streitgegenständliche Zahlungsverpflichtung der Beklagten kein Entgelt ist.

II.

1.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Klägerin ist lediglich hinsichtlich der Verurteilung Zug um Zug sowie hinsichtlich einer Zinsdifferenz von drei Basispunkten unterlegen. Das Gericht erachtet es als angemessen, die Kosten des Rechtsstreits insgesamt der Beklagten aufzuerlegen.

2.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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