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Wirtschaftsrecht
07.06.2023
Wirtschaftsrecht
BGH: Zur Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei

BGH, Urteil vom 8.3.2023 – 1 StR 188/22

ECLI:DE:BGH:2023:080323U1STR188.22.0

Volltext: BB-Online BBL2023-1346-4

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

1. Für die Abgrenzung von sog. scheinselbständigen Rechtsanwälten und freien Mitarbeitern einer Rechtsanwaltskanzlei ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung maßgebend; soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und Eingliederung wegen der Eigenart der Anwaltstätigkeit im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen.

2. Beitragszahlungen von Schwarzarbeitern und illegal Beschäftigten aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung lassen nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 und 2 StGB entfallen, sondern sind erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen.

StGB § 266a Abs. 1 und 2

Aus den Gründen

1          Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 189 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Daneben hat es gegen den Angeklagten eine Gesamtgeldstrafe von 300 Tagessätzen zu je 200 € verhängt sowie die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 118.850,58 € angeordnet, „soweit nicht eine Verrechnung mit den freiwillig geleisteten Krankenversicherungs-/Pflegeversicherungsbeiträgen erfolgt“. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg erzielt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten, zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft den Strafausspruch. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat ebenfalls Erfolg.

 

I.

2          1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt und gewertet:

 

3          Der seit 1982 als niedergelassener Rechtsanwalt tätige Angeklagte beschäftigte über ein von ihm praktiziertes „Modell der freien Mitarbeiterschaft“ in seiner Kanzlei „   S.        & Kollegen“ im verfahrensgegenständlichen Tatzeitraum von 2013 bis 2017 als alleiniger Kanzleiinhaber zwölf Rechtsanwälte zum Schein als selbständige freie Mitarbeiter, die tatsächlich bei ihm abhängig beschäftigt waren. Vor Beginn ihrer Tätigkeit in der Kanzlei schloss der Angeklagte mit den Rechtsanwälten einen im Wesentlichen gleichlautenden schriftlichen Vertrag („Freier Mitarbeitervertrag“) über eine zeitlich nicht befristete Zusammenarbeit sowie – in zehn dieser Fälle – eine im Wesentlichen gleichlautende weitere schriftliche Zusatzvereinbarung. Während der Mitarbeitervertrag insbesondere regelte, dass der Rechtsanwalt als freier Mitarbeiter für die Kanzlei tätig war, seine Sozialabgaben selbst abführte, eigenes Personal beschäftigen und selbst werben durfte sowie berechtigt war, das vereinbarte Jahresgehalt in monatlichen Teilbeträgen abzurufen, sah die Zusatzvereinbarung namentlich vor, dass die Beschäftigung eigenen Personals und die Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei der Zustimmung der Kanzlei bedurften und Werbemaßnahmen abzustimmen und zu genehmigen waren. Die vorgefertigten Vertragsentwürfe legte der Angeklagte den Rechtsanwälten zur Unterschrift vor, die sie ohne weiteres Aushandeln unterzeichneten.

 

4          Während ihrer Beschäftigung waren die Rechtsanwälte nur für den Angeklagten tätig, der ihnen auch die zu bearbeitenden Mandate zuwies. Sofern sie keine auswärtigen Termine wahrzunehmen hatten, erbrachten sie ihre Tätigkeit, wie vom Angeklagten erwartet und eingefordert, zu den Kanzleizeiten nahezu ausschließlich in den Kanzleiräumlichkeiten; hierfür stellte ihnen der Angeklagte, ohne sie an den Kosten zu beteiligen, neben einem eigenen Büro das geschulte kanzleiinterne Personal sowie die gesamte sonstige Infrastruktur seiner Kanzlei zur Verfügung. Das vereinbarte Jahreshonorar riefen die Rechtsanwälte regelmäßig einmal pro Monat anteilig, also in Höhe eines Zwölftels, per Rechnung ab, unabhängig von dem durch sie in dem jeweiligen Abrechnungszeitraum erwirtschafteten Umsatz.

 

5          Insgesamt enthielt der Angeklagte den vier zuständigen Einzugsstellen von Februar 2013 bis Dezember 2017 in 189 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 118.850,58 € vor.

 

6          2. In rechtlicher Hinsicht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Tätigkeit der zwölf näher bezeichneten Anwälte im Tatzeitraum als abhängige Beschäftigung einzustufen sei und damit der Sozialversicherungspflicht unterlegen habe.

 

7          Zur Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsabgaben hat es die jeweils festgestellte und an die Rechtsanwälte gezahlte monatliche Nettovergütung anhand – nicht konkret mitgeteilter – individueller Merkmale im Wege des „Abtastverfahrens“ auf eine monatliche Bruttovergütung hochgerechnet, die dem 1,35- bis zu 2,33-fachen der Nettovergütung entsprach, und – unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenzen – die Höhe der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge berechnet. Soweit die beschäftigten Rechtsanwälte Mitglieder im Versorgungswerk für Rechtsanwälte und im Einzelfall von der Rentenversicherungspflicht befreit waren, hat das Landgericht Rentenversicherungsbeiträge bei der Beitragsermittlung nicht in Ansatz gebracht. Entsprechendes gilt für die Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträge, soweit die hochgerechneten Bruttovergütungen die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V überschritten. Nur in Bezug auf die Beiträge zur Arbeitsförderung hat es angenommen, dass der Angeklagte diese in allen festgestellten Fällen vorenthielt (UA S. 18 ff. und 213 f.).

 

8          Den so ermittelten vorenthaltenen Sozialversicherungsbeitrag mit einer Gesamthöhe von 118.850,58 € hat das Landgericht seiner Strafzumessung zwar zugrunde gelegt, allerdings hat es mit Blick auf die teilweise freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Rechtsanwälte und die insoweit geleisteten Beiträge der „(eigentlichen strafrechtlichen) Berechnung“ eine „alternative Berechnung mit ‚herausgerechneten‘ freiwilligen Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen an gesetzliche Krankenversicherungen“ (UA S. 228) gegenübergestellt. Hierfür hat es die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge auf der Grundlage einer weiteren Hochrechnung unter Herausnahme der Arbeitnehmerbeiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung für jeden Monat neu bestimmt und insgesamt einen geringeren Gesamtbetrag von 100.284,24 € errechnet. In die Strafzumessung im engeren Sinne hat das Landgericht sodann eingestellt, dass der entstandene Gesamtschaden im Falle einer Verrechnung mit den von den freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Rechtsanwälten erbrachten Beiträgen nur in einer Höhe von 100.284,24 € anzusetzen sei (UA S. 288).

 

II. Revision des Angeklagten

 

9          Der Schuldspruch des Landgerichts ist frei von Rechtsfehlern. Demgegenüber hält der Rechtsfolgenausspruch insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da das Landgericht den Schuldumfang rechtsfehlerhaft bestimmt hat.

 

10        1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts tragen den Schuldspruch wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a Abs. 1 und 2 Nr. 2 StGB. Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Angeklagte Arbeitgeber der zwölf Rechtsanwälte war und für diese der Sozialversicherungspflicht unterliegenden (abhängig) Beschäftigten Beiträge zur Sozialversicherung vorenthielt.

 

11        a) Einen autonomen Arbeitgeberbegriff enthält das StGB nicht. Ob eine Person Arbeitgeber ist, richtet sich nach dem Sozialversicherungsrecht, das weitgehend auf das Arbeitsrecht Bezug nimmt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2015 – 1 StR 76/15 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 5 Rn. 10 und vom 23. März 2022 – 1 StR 511/21, Rn. 15). Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist Beschäftigung – als Gegenstück zum Begriff des Arbeitgebers – die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis; Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts setzt eine solche Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (vgl. nur BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 – B 12 R 4/20 R Rn. 17; verfassungsrechtlich unbedenklich, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96). Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – namentlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet (statt vieler: BSG, Urteile vom 29. März 2022 – B 12 R 2/20 R, BSGE 134, 84 Rn. 31 [vorgesehen] und vom 14. März 2018 – B 12 KR 13/17 R, BSGE 125, 183 Rn. 16). Entscheidend für die Abgrenzung von unselbständiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit sind – ausgehend vom Vertragsverhältnis der Beteiligten – die tatsächlichen Gegebenheiten der „gelebten Beziehung“, die einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 24 mwN).

 

12        Aus dem Berufsbild des Rechtsanwalts und den Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung ergibt sich für diese Abgrenzung nichts wesentlich anderes. Zwar kann die Eigenart der Anwaltstätigkeit als einer Dienstleistung höherer Art mit einer sachlichen Weisungsfreiheit einerseits und einem weitgehend durch Sachzwänge bestimmten zeitlichen und örtlichen Arbeitsablauf es mit sich bringen, dass sich das Abgrenzungsmerkmal der äußeren Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort und Dauer des Arbeitseinsatzes so reduzieren kann, dass es eine sichere Unterscheidung zwischen abhängiger und selbständiger Ausübung nicht mehr erlaubt; auch kann die Eingliederung wegen der Eigenart der Berufsausübung eines Rechtsanwalts sowohl bei abhängiger Beschäftigung als auch bei freier Mitarbeit in erster Linie durch die Sachgegebenheiten bedingt sein, weil auch der freie Mitarbeiter sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen können muss (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1981 – 12 RK 11/80 Rn. 43; siehe auch BSG, Urteil vom 28. Juni 2022 – B 12 R 4/20 R). Sofern allerdings im Einzelfall die Weisungsgebundenheit eines Rechtsanwalts deutlich über das sich aus Sachzwängen ergebende Maß hinausgeht, kann dies ein deutliches Zeichen sein, dass eine solche Tätigkeit als eine abhängige Beschäftigung zu qualifizieren ist. Entsprechendes gilt für die Eingliederung in die Kanzlei, falls diese über die durch Sachgegebenheiten bedingte hinausgeht oder losgelöst von diesen festzustellen sein sollte.

 

13        Maßgebend bleibt stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteile vom 4. Juni 2019 – B 12 R 11/18 R, BSGE 128, 191 Rn. 14 und vom 29. Juli 2015 – B 12 KR 23/13 R, BSGE 119, 216 Rn. 16; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 13. Dezember 2018 – 5 StR 275/18 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 6 Rn. 25; vom 24. Juni 2015 – 1 StR 76/15 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 5 Rn. 10 und vom 4. September 2013 – 1 StR 94/13 BGHR StGB § 266a Arbeitgeber 4 Rn. 11; BAG, Urteil vom 27. Juni 2017 – 9 AZR 851/16 Rn. 17). Soweit die Kriterien der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung im Einzelfall an Trennschärfe und Aussagekraft verlieren, weil die konkreten Umstände sowohl bei einer abhängigen Beschäftigung als auch einer selbständigen Tätigkeit festzustellen sein können, muss im Rahmen der notwendigen Gesamtbetrachtung den übrigen Merkmalen mehr Gewicht beigemessen werden. In diesen Fällen ist vornehmlich auf das eigene Unternehmerrisiko und die Art der vereinbarten Vergütung abzustellen. Insoweit ist vor allem entscheidend, ob die Tätigkeit mit einem – gegebenenfalls pauschalierten – Verlustrisiko belastet ist und deshalb einer Gewinnbeteiligung gleichkommt oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1981 – 12 RK 11/80 Rn. 43; vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Juli 2019 – 5 StR 649/18 Rn. 26).

 

14        b) Nach diesen Grundsätzen tragen die Feststellungen die Wertung des Landgerichts, dass zwischen dem Angeklagten und den zwölf im Urteil näher bezeichneten Rechtsanwälte sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse bestanden. Die vertraglichen Vereinbarungen, insbesondere aber die tatsächlichen Gegebenheiten der „gelebten Beziehung“ und das Fehlen jedweden unternehmerischen Risikos belegen, dass die Rechtsanwälte ihre Tätigkeit nicht als selbständige freie Mitarbeiter, sondern als abhängig Beschäftigte ausübten; einer weiteren Abgrenzung zu den in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI geregelten arbeitnehmerähnlichen Personen bedurfte es nicht.

 

15        aa) Ausgehend von den vertraglichen Vereinbarungen hat das Landgericht ohne Rechtsfehler zunächst als Beleg für eine abhängige Beschäftigung herangezogen, dass die Rechtsanwälte dem Angeklagten nach dem „Mitarbeitervertrag“ als Gegenleistung für ein fest vereinbartes Jahreshonorar ihre ganze Arbeitskraft (etwa bei voller Arbeitsleistung 40 bis 60 Stunden/Woche) zur Verfügung stellen mussten. Zudem hat es insoweit berücksichtigt, dass die Möglichkeit der Beschäftigung eigenen Personals, der Bearbeitung von Mandaten außerhalb der Kanzlei und der Werbung in eigener Sache – als für eine Selbständigkeit sprechende Umstände von Gewicht – durch die in fast allen Fällen geschlossene Zusatzvereinbarung und die vereinbarten dort Zustimmungserfordernisse faktisch wieder ausgehebelt wurden (UA S. 245 f.).

 

16        bb) Auch die tatsächlichen Gegebenheiten, auf die das Landgericht im Rahmen seiner Gesamtbewertung maßgeblich abstellt, erlauben die Bewertung, dass die Tätigkeit der zwölf Rechtsanwälte als abhängige Beschäftigung einzuordnen ist. Die festgestellte Weisungsgebundenheit der Rechtsanwälte ging deutlich über das sich aus Sachgegebenheiten und -zwängen ergebende Maß hinaus. Zutreffend hat das Landgericht insoweit in seine Wertung eingestellt, dass dem Angeklagten hinsichtlich aller zwölf Rechtsanwälte ein von ihm ausgeübtes Weisungsrecht zustand, mit dem er Arbeitszeiten, Ort sowie Art und Inhalt der Tätigkeit der Rechtsanwälte bestimmen konnte. Etwa legte der Angeklagte konkret fest, dass die Rechtsanwälte, sofern nicht durch Gerichts- oder Mandantentermine verhindert, während des Kanzleibetriebs vor Ort sein mussten, sie ihre Abwesenheiten einzutragen hatten und ihre Urlaubszeiten mit ihm abstimmen mussten. Er entschied zudem, wer welche Termine wahrzunehmen hatte (UA S. 250 ff.). Zutreffend hat das Landgericht auch in den Blick genommen, dass der Angeklagte nicht nur Erwartungen äußerte, sondern an die Einhaltung der Anwesenheitspflicht anlassbezogen erinnerte und Fehlzeiten beanstandete (UA S. 250) und mithin im Ergebnis Weisungen erteilte (vgl. BAG, Urteil vom 27. Juni 2017 – 9 AZR 851/16 Rn. 31).

 

17        Weitergehend konnte das Landgericht seine Wertung im Ergebnis auch auf die Eingliederung der zwölf Rechtsanwälte in den Kanzleibetrieb stützen und insoweit auf die Vorgaben des Angeklagten abstellen, nach der diese während der regulären Bürozeiten grundsätzlich anwesend zu sein hatten (UA S. 256). Entgegen der Wertung des Landgerichts indiziert zwar der Umstand, dass die Rechtsanwälte ohne Kostenbeteiligung in den Kanzleiräumlichkeiten ein eigenes Büro gestellt bekamen, die bereits aufgebaute Kanzleiinfrastruktur nutzen und sich namentlich des kanzleieigenen Personals bedienen konnten (UA S. 256 f.), für sich genommen nicht eine Eingliederung in die Kanzlei. Denn auch freie Mitarbeiter müssen sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen können, ohne dabei, wie in der in § 59q BRAO geregelte Bürogemeinschaft von Rechtsanwälten üblich, an den Kosten beteiligt zu werden. Auch soweit das Landgericht ergänzend darauf abgestellt hat, dass sich eine Eingliederung aus der Zuteilung der Mandate über das Sekretariat nach den Fachgebieten der Rechtsanwälte ergebe (UA S. 256), ist darin kein zwingendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung zu sehen; denn die Zuweisung eines bestimmten Auftrags durch den Auftraggeber kann gleichfalls Teil der selbständigen Berufsausübung sein. Jedoch hat das Landgericht die vorgenannten Aspekte nicht isoliert bewertet, sondern zu den Gesamtumständen in Beziehung gesetzt. Insbesondere unter ergänzender Berücksichtigung der vom Landgericht festgestellten und vom Angeklagten eingeforderten Anwesenheitszeiten begegnet die tatrichterliche Gesamtabwägung nach alledem keinen durchgreifenden Bedenken.

 

18        cc) Vor allem durfte das Landgericht seine Wertung rechtsfehlerfrei mit dem für die höheren Dienste zentralen Kriterium des Unternehmerrisikos, das hier fehlte, und der Art der Vergütung begründen. Es hat zutreffend insoweit darauf abgestellt, dass der Angeklagte den Rechtsanwälten für ihre volle Arbeitskraft faktisch ein festes Jahresgehalt auszahlte, dessen Höhe gänzlich unabhängig vom Gewinn und Verlust der Kanzlei und – insbesondere – der von ihnen erbrachten Arbeitsleistung war (UA S. 259 ff.). Weder hatten die Rechtsanwälte eigenes Kapital noch die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einzusetzen, so dass es an den maßgeblichen Kriterien für ein unternehmerisches Risiko fehlte (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 2008 – B 12 KR 13/07 R Rn. 27). Dass das Landgericht aus dem Fehlen eigenen Unternehmerrisikos und der fest vereinbarten Vergütung mögliche Rückschlüsse auf die rechtliche Natur des Arbeitseinsatzes als abhängige Beschäftigung gezogen hat, ist rechtlich zutreffend und auch geboten, zumal es den Rechtsanwälten nach den Feststellungen zeitlich nicht möglich war, für andere Auftraggeber tätig zu sein (UA S. 264). Die bloße Möglichkeit der Kündigung der geschlossenen Verträge durch den Angeklagten führt – genauso wenig wie bei anderen Arbeitnehmern – nicht dazu, dass diese ein unternehmerisches Risiko tragen.

 

19        dd) Angesichts der klaren Einordnung der Rechtsanwälte als abhängig Beschäftigte bedurfte es einer weiteren Abgrenzung zu den in § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI geregelten arbeitnehmerähnlichen Personen nicht. Der Umstand, dass die Rechtsanwälte dem Angeklagten Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis stellten, ändert nichts; denn insoweit wollte der Angeklagte Vorsteuern geltend machen.

 

20        2. Der Rechtsfolgenausspruch hat insgesamt keinen Bestand. Die Berechnung der nach § 266a Abs. 1 und 2 StGB vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das Urteil insoweit den Darstellungsanforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO nicht genügt.

 

21        a) Im Grundsatz zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht nur die Beiträge zur Arbeitsförderung, sondern auch zur Kranken- und Pflege- sowie Rentenversicherung vorenthielt, soweit nicht bei den beschäftigten Rechtsanwälten im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht erfüllt waren.

 

22        aa) Ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat das Landgericht in den Fällen 31 bis 37, 86 bis 95 sowie 144 bis 154 der Urteilsgründe angenommen, dass die Rechtsanwälte F.    ,    M.   und W.     kranken- und pflegeversicherungspflichtig waren, soweit deren nach § 14 Abs. 2 SGB IV hochgerechnete Jahresentgelte (nach der allerdings rechtsfehlerhaften Berechnung des Landgerichts) im nach § 6 Abs. 4 SGB V maßgeblichen Zeitraum auch die besondere Jahresarbeitsentgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V nicht überstiegen, und diese Beiträge bei der Schadensermittlung grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Hiergegen ist im Grundsatz nichts zu erinnern. Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen in der Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V; § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI) der Versicherungspflicht. Nur Arbeiter und Angestellte, deren regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 oder 7 SGB V übersteigt, sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V krankenversicherungsfrei; in diesen Fällen besteht auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung keine Versicherungspflicht (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Die vom Angeklagten jeweils gezahlte Nettovergütung war nach § 14 Abs. 2 SGB IV hochzurechnen. Dass die Rechtsanwälte selbst Steuern und teilweise über eine freiwillige Mitgliedschaft Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung zahlten, ist für die Anwendbarkeit der Vorschrift – entgegen der Ansicht der Revision – ohne Belang.

 

23        Auch soweit das Landgericht spiegelbildlich hierzu angenommen hat, dass der Angeklagte hinsichtlich der übrigen Rechtsanwälte, die wegen des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze kranken- und pflegeversicherungsfrei waren, insoweit keine Sozialversicherungsbeiträge vorenthielt, ist dies grundsätzlich nicht zu beanstanden. Übersteigt die gezahlte Vergütung die maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze, endet die Versicherungspflicht am Ende des Kalenderjahres, in dem sie überschritten wird (§ 6 Abs. 4 SGB V). Die nach Ende der Versicherungspflicht auf die Kranken- und Pflegeversicherung entfallenen Beiträge sind vom – sozialrechtsakzessorisch ausgestalteten – Tatbestand des § 266a Abs. 1 und 2 StGB nicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2023 – 1 StR 361/22 Rn. 12; vgl. auch Müller-Gugenberger/Thul, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl., § 38 Rn. 107; a.A. wohl BeckOGK/Zieglmeier, Stand: 1. Mai 2022, SGB IV § 14 Rn. 175). Der Umfang der abzuführenden Beiträge bestimmt sich, wie die Abführungspflicht selbst, nach materiellem Sozialversicherungsrecht (BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 14). Das durch § 266a Abs. 1 und 2 StGB geschützte Rechtsgut, das Interesse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Aufkommens der Mittel für die Sozialversicherungen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2009 – 1 StR 501/09 Rn. 20), ist insoweit nicht betroffen, da dieses Aufkommen aufgrund der Versicherungsfreiheit nicht gefährdet ist. Ob die von der Versicherungspflicht befreiten Rechtsanwälte freiwillig gesetzlich oder privat kranken- und pflegeversichert waren, ist unerheblich; auch die Beiträge freiwillig gesetzlich versicherter Beschäftigter sind nicht von § 266a Abs. 1 und 2 StGB erfasst, zumal diese im Verhältnis zur Krankenversicherung nach § 250 Abs. 2 SGB V ihre Beiträge vollständig selbst erbringen (vgl. MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl., § 266a Rn. 45; NK-StGB/Tag, 5. Aufl., § 266a Rn. 45).

 

24        bb) Zudem begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht in den Fällen 31 bis 37, 40 bis 42 sowie 86 bis 143 der Urteilsgründe davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte Beiträge zur Rentenversicherung für die Rechtsanwälte F.  , L.   und   M.     vorenthielt, weil insoweit die Voraussetzungen für eine Befreiung von der grundsätzlich bestehenden Rentenversicherungspflicht (§ 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht oder nicht ab Beginn ihrer Tätigkeit für den Angeklagten erfüllt waren. Zwar sind Rechtsanwälte kraft gesetzlicher Verpflichtung (vgl. § 12 Abs. 3 BRAO) Mitglied in der Rechtsanwaltskammer als berufsständische Kammer im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und im Regelfall auch Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung; von der Versicherungspflicht werden sie jedoch nur auf Antrag befreit (§ 6 Abs. 2 SGB VI). Nach den Feststellungen hatten die Rechtsanwältinnen   M.    und, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, F.    in den vorgenannten Fällen keinen Antrag gestellt, der Rechtsanwalt L.   beantragte die Befreiung erst im Juli 2016 (UA S. 216 f.). Dass das Landgericht eine Befreiung von der Rentenversicherung auch in den Fällen nicht angenommen hat, in denen ein Befreiungsantrag zwar in der Vergangenheit für eine andere Beschäftigung gestellt wurde, die Befreiung jedoch nach dem Eintritt in die Kanzlei des Angeklagten nicht erneut beantragt wurde (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 31. Oktober 2012 – B 12 R 3/11 R, BSGE 112, 108 Rn. 16 ff.), begegnet keinen Bedenken, sondern folgt vielmehr aus der – sozialrechtsakzessorischen – Bestimmung des Umfangs der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge, die sich grundsätzlich nach dem materiellen Sozialversicherungsrecht richtet, das zur Tatzeit gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. September 2021 – 1 StR 114/21).

 

25        cc) Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass die von den vermeintlich freiwillig gesetzlich versicherten Rechtsanwälten gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht schon die Tatbestandsmäßigkeit des § 266a Abs. 1 StGB ausschließen, sondern erst auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen sind. Bei § 266a Abs. 1 StGB handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt; das tatbestandsmäßige Verhalten erschöpft sich in der bloßen Nichterfüllung eines Handlungsgebots bei Handlungsfähigkeit, ohne dass ein darüberhinausgehender Erfolg eintreten muss (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2019 – 1 StR 58/19 BGHSt 65, 136 Rn. 11 f.). Das Vorenthalten im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB ist mit der schlichten Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen erfüllt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2011 – 1 StR 295/11 BGHR StGB § 266a Abs. 2 Leistungsfähigkeit 1). Den Eintritt eines Schadens verlangt der Wortlaut der Norm nicht. Zwar können Beitragszahlungen, die ein Dritter aufgrund einer mit dem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung leistet, den Tatbestand entfallen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2001 – 3 StR 126/01 Rn. 9; Beschluss vom 21. September 2005 – 5 StR 263/05 Rn. 9; vgl. auch MüKoStGB/Radtke, 4. Aufl., § 266a Rn. 49 mwN; a.A. Lackner/Kühl/Heger, 30. Aufl., § 266a Rn. 7). Jedoch sind Schwarzarbeiter und illegal Beschäftigte keine Dritten im Sinne der vorstehenden Rechtsprechung. Schwarzlohn- oder vergleichbare Abreden weichen zum Nachteil der beschäftigten Arbeitnehmer von den sozialrechtlichen Vorschriften ab und sind nach § 32 Abs. 1 SGB I nichtig. Zahlungen auf der Grundlage einer solchen – verbotenen – Vereinbarung lassen den Tatbestand deshalb nicht entfallen. Aus der Schutzrichtung des § 266a Abs. 1 StGB folgt nichts anderes. Das Beitragsaufkommen wird weder durch den Abschluss einer nichtigen Vereinbarung noch durch – letztlich zufällige – Zahlungen der illegal Beschäftigten gesichert, die sich freiwillig für eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung entscheiden.

 

26        b) Die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge als des maßgeblich den Schuldumfang und die Höhe der Einziehung bestimmenden Umstands ist jedoch rechtsfehlerhaft, weil die vom Landgericht nach § 14 Abs. 2 SGB IV vorgenommene Hochrechnung der Netto- auf die Bruttovergütung nicht nachprüfbar ist.

 

27        aa) Bei der Strafvorschrift des § 266a StGB obliegt es dem Tatgericht grundsätzlich, die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge für die Fälligkeitszeitpunkte gesondert nach Anzahl, Beschäftigungszeiten, Löhnen der Arbeitnehmer und der Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse festzustellen, weil die Höhe der geschuldeten Beiträge auf der Grundlage des Arbeitsentgelts nach den Beitragssätzen der jeweiligen Krankenkassen sowie den gesetzlich geregelten Beitragssätzen der Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zu berechnen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2022 – 1 StR 511/21 Rn. 23). Wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer im konkreten Fall bekannt sind, muss der Umfang vorenthaltener Sozialversicherungsbeiträge anhand der Lohnsteuerklasse der Arbeitnehmer ermittelt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 36 f.; vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 185/16 Rn. 24; vom 8. August 2012 – 1 StR 296/12 und vom 8. Februar 2011 – 1 StR 651/10, BGHSt 56, 153 Rn. 19).

 

28        Die Urteilsgründe müssen auch die Berechnungsgrundlagen und Berechnungen im Einzelnen wiedergeben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. April 2016 – 1 StR 1/16 Rn. 6 mwN und vom 6. Juli 2018 – 1 StR 234/18 BGHR StPO § 267 Abs. 1 Steuerhinterziehung 2 Rn. 13), die nicht nur für den Schuldumfang entscheidend sind, sondern auch für die Einziehungsentscheidung. Bei bekannten Arbeitnehmern ist das Tatgericht aus rechtlichen Gründen jedoch nicht gehalten, in jedem Einzelfall nachzuzeichnen, wie sich der individuelle, der Hochrechnung zugrundeliegende Faktor im Einzelnen errechnet. Insbesondere in Fällen, in denen eine Vielzahl – bekannter – Schwarzarbeiter beschäftigt werden, würde dies die Darlegungsanforderungen überspannen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, dass die tatrichterlich ermittelten Ergebnisse anhand repräsentativer Fälle belegt werden, die eine Nachprüfung der Hochrechnung ermöglichen. Hierzu gehört, dass alle den Hochrechnungsfaktor beeinflussende Größen – auch der Höhe nach – benannt werden, soweit diese nicht durch Gesetz oder Rechtsverordnung geregelt oder allgemeinbekannt sind.

 

29        bb) Diesen Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil bei den hier im konkreten Fall bekannten Beschäftigten nicht gerecht. Zwar hat das Landgericht im Ansatz zutreffend die einem jeden Rechtsanwalt jeweils monatlich gezahlte Nettovergütung nach dem Abtastverfahren auf eine Bruttovergütung hochgerechnet, um die jeweiligen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge festzustellen (UA S. 213 ff.). Jedoch fehlt eine revisionsrechtlich nachvollziehbare Darstellung der Hochrechnung der Nettovergütung auf die Bruttovergütung. Den Urteilsausführungen lässt sich insoweit lediglich entnehmen, dass das Landgericht die vom als Zeugen vernommenen Betriebsprüfer der Deutschen Rentenversicherung ermittelten Netto- und Bruttovergütungen überprüft und nachvollzogen habe, und in die Berechnungen „– bei Vorliegen – weitere Informationen etwa hinsichtlich Steuerklasse, Kinderfreibetrag oder Kirchensteuer nachvollziehbar eingeflossen“ seien (vgl. UA S. 238). Ob und in welcher Höhe diese Faktoren in die Berechnung Eingang gefunden haben, teilt das Landgericht indes in keinem Fall mit, auch nicht bei der Darstellung der Zeugenaussage des Betriebsprüfers (UA S. 213 ff.). Soweit es in der Darstellung von dessen Zeugenaussage ergänzend auf die „im Selbstleseverfahren ‚1‘ V. eingeführten Berechnungsgrundlagen (Ausgangsberechnung)“ (UA S. 213) verweist, ist dies unbehelflich (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2021 – 4 StR 457/20 Rn. 8). Die gebotenen eigenen Urteilsfeststellungen oder Würdigungen können durch Bezugnahmen nicht ersetzt werden, weil es sachlich-rechtlich an der Möglichkeit der Nachprüfung durch das Revisionsgericht fehlt (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 – 2 StR 242/20 Rn. 19 mwN).

 

30        cc) Zu weiteren Ausführungen hätte sich das Landgericht allerdings auch deshalb gedrängt sehen müssen, weil die von ihm in Ansatz gebrachten Hochrechnungsfaktoren, also das Verhältnis der festgestellten Netto- und Bruttovergütung, auch in den Fällen einer ähnlichen Nettovergütung stark variieren und die Werte sich insgesamt in der breiten Spanne von 1,35 bis 2,33 bewegen. Zwar liegen die Hochrechnungsfaktoren nur im Fall der Berechnung mit dem Eingangssteuersatz der Lohnsteuerklasse VI bei Werten zwischen 1,5 und 1,6 (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 5. Juli 2018 – 1 StR 111/18 Rn. 18 f.), so dass bei einer individuellen Berechnung ein Abweichen von diesen Werten für sich genommen noch nicht besorgen lässt, dass das Landgericht unrichtige Hochrechnungsfaktoren ermittelt hat; rein rechnerisch ist auch ein deutliches Abweichen von den „Standard“-Hochrechnungsfaktoren durchaus möglich, etwa bei einem sehr geringen oder hohen Einkommen, mit dem in der Regel ein entsprechend geringer bzw. hoher (Durchschnitts-)Steuersatz einhergeht. Diese unterschiedlichen Einkommensverhältnisse hat das Landgericht etwa in den Fällen der Rechtsanwältin F.    mit einem monatlichen Verdienst von 1.200 € im Jahr 2016 und des Rechtsanwalts K.           mit einem Monatsverdienst von 1.300 € im Juli 2016 aber gerade nicht festgestellt, jedoch seiner Hochrechnung im ersten Fall einen Faktor von 2,33 und im zweiten Fall von 1,35 zugrunde gelegt. Dass sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt, dass das Landgericht für bestimmte Rechtsanwälte eine Befreiung von der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung angenommen hat, vermag diese Erörterungslücke nicht zu schließen.

 

31        c) Da der Schuldumfang nicht rechtsfehlerfrei bestimmt worden ist, hält der am Sozialversicherungsschaden anknüpfende Strafausspruch sowohl hinsichtlich der Einzelstrafen als auch der Gesamtstrafe revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Dasselbe gilt für den Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen im Umfang der für die vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge ersparten Aufwendungen (§ 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB). Der Senat hebt auch die dem Rechtsfolgenausspruch zugrunde liegenden Feststellungen insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatgericht insoweit widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.

 

32        d) Der aufgezeigte Rechtsfehler beim Schuldumfang lässt hingegen den Schuldspruch selbst unberührt; die fehlerhafte Berechnung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge wirkt sich nicht dergestalt auf die jeweilige Verwirklichung des Tatbestands aus, dass dieser entfällt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. September 2021 – 1 StR 86/21 Rn. 9 und vom 24. September 2019 – 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195 Rn. 43 mwN).

 

III. Revision der Staatsanwaltschaft

33        Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.

 

34        1. Der Strafausspruch unterliegt schon aus den vorstehend unter II. 2. ausgeführten Gründen der Aufhebung. Der Senat vermag angesichts der rechtsfehlerhaften Darstellung der Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeträge nicht auszuschließen, dass der aufgezeigte Rechtsfehler sich auch zugunsten des Angeklagten ausgewirkt hat.

 

35        2. Die Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge weist zudem weitere, den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler auf.

 

36        a) Das Landgericht hat zugunsten des Angeklagten als maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze die (niedrigere) besondere Entgeltgrenze nach § 6 Abs. 7 SGB V und nicht die allgemeine Jahresarbeitsentgeltgrenze nach § 6 Abs. 6 SGB V zugrunde gelegt (UA S. 214). Die besondere Entgeltgrenze des § 6 Abs. 7 SGB V gilt allerdings nur für Arbeitnehmer, die am 31. Dezember 2002 die damalige Jahresarbeitsentgeltgrenze von 40.500 € erreicht hatten. Die – vom Landgericht auch nicht weiter belegte – Annahme der Geltung dieser Grenze steht jedoch im Widerspruch zu den Urteilsausführungen, nach denen ein Teil der Rechtsanwälte Berufsanfänger und im Jahr 2002 noch nicht berufstätig war (vgl. etwa UA S. 50, 69, 73, 84 und 246). Unabhängig davon erschließt sich ohne nähere Ausführungen nicht, aus welchem Grund das Landgericht keine Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Ansatz gebracht hat, soweit die hochgerechneten Bruttovergütungen nach den Feststellungen (auch) unter der (besonderen) Jahresarbeitsentgeltgrenze lagen, was über die vom Landgericht berücksichtigten Fälle hinaus etwa in Bezug auf die Rechtsanwälte D.    , K.           und (ab 2014)   M.    der Fall war (UA S. 214 und 218 ff.).

 

37        Zudem hat das Landgericht nicht erkennbar beachtet, dass eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung wegen des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze nur dann nicht besteht, wenn der nach § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV hochgerechnete Bruttolohn diese Grenze nach Abzug des Arbeitnehmeranteils des Krankenversicherungs- und des Pflegeversicherungsbeitrages überschreitet; der Arbeitnehmeranteil des Krankenversicherungs- und des Pflegeversicherungsbeitrages ist nicht auf die Jahresarbeitsentgeltgrenze anzurechnen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Dezember 1995 – 12 RK 39/94, BSGE 77, 181 Rn. 15 ff.; siehe auch Figge/Sieben, Sozialversicherungs-Handbuch Beitragsrecht, S. 171).

 

38        b) Die zum Zwecke der Strafzumessung vom Landgericht vorgenommene alternative Berechnung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge mit einem reduzierten Gesamtschadensbetrag von 100.284,24 € begegnet schon deshalb durchgreifenden Bedenken, weil die von den freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherten Rechtsanwälten gezahlten Beiträge nicht durch eine Hochrechnung zu bestimmen waren; die Höhe dieser Beiträge richtete sich vielmehr nach den beitragspflichtigen Einnahmen – dies dürften insbesondere die vom Angeklagten gezahlten (Netto-)Honorare sein – und den jeweiligen Beitragssätzen, §§ 240 ff. SGB V. Ungeachtet dessen kommt eine rechnerische Ermittlung der Beiträge ohnehin nur in Betracht, wenn die tatsächlich gezahlten Beträge nicht anderweitig (etwa durch entsprechende Auskünfte der Krankenkassen oder Rechtsanwälte) ermittelt werden können.

 

IV.

39        Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

 

40        1. Soweit – was nach den landgerichtlichen Urteilsausführungen naheliegt – die Rechtsanwälte, die trotz ihrer Mitgliedschaft im Versorgungswerk aufgrund eines fehlenden (erneuten) Befreiungsantrags rentenversicherungspflichtig waren, Beiträge an das anwaltliche Versorgungswerk abgeführt haben, kann dieser Umstand – ähnlich wie bei den Beiträgen freiwillig gesetzlich kranken- und pflegeversicherter Beschäftigten – bei der Strafzumessung jedenfalls dann zu berücksichtigen sein, wenn die Deutsche Rentenversicherung auf eine Nachforderung der nicht gezahlten Beiträge verzichtet hat.

 

41        2. Sollte das neue Tatgericht wiederum die Verhängung einer Geldstrafe neben einer Freiheitsstrafe (§ 41 StGB) erwägen, wird es zu bedenken haben, dass diese Strafe vornehmlich auf Fälle zugeschnitten ist, in denen es nach der Art von Tat und Täter zur Erreichung der Strafzwecke sinnvoll erscheint, diesen nicht nur an der Freiheit, sondern darüber hinaus auch am Vermögen zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1976 – 3 StR 8/76, BGHSt 26, 325, 328). Jedenfalls ist in den Fällen, in denen zur Abschöpfung des aus der Tat erlangten Vermögens eine Einziehungsentscheidung getroffen wird, zu erörtern, ob die kumulative Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen im Sinne des § 41 StGB angebracht ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2020 – 5 StR 603/19 Rn. 8 mwN).

 

42        3. Bei der neu zu treffenden Einziehungsentscheidung wird das neue Tatgericht das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) zu beachten haben, da der Senat das angefochtene Urteil auf die Revision der Staatsanwaltschaft nur im Strafausspruch aufgehoben hat. Anders als vom Landgericht, das die Einziehung des Wertes von Taterträgen angeordnet hat, „soweit nicht eine Verrechnung mit den freiwillig geleisteten Krankenversicherungs-/Pflegeversicherungsbeiträgen erfolgt“, zugrunde gelegt, ist die Einziehung nach § 73e Abs. 1 Satz 1 StGB im Übrigen erst ausgeschlossen, soweit der Anspruch des Sozialversicherungsträgers tatsächlich erloschen ist; insoweit kommt es auf den Zeitpunkt der Entscheidung über die Einziehung an. Nach den Feststellungen des Landgerichts war noch offen, ob es zu einer Verrechnung kommt (UA S. 294).

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