BGH: Zum Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung
BGH, Beschluss vom 13.12.2022 – XI ZB 10/21
ECLI:DE:BGH:2022:131222BXIZB10.21.0
Volltext: BB-Online BBL2023-322-4
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Amtlicher Leitsatz
Der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung gilt auch dann, wenn der Anleger seine Beteiligung erst nach Ablauf der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG aF, § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG aF bestimmten Sechs-Monats-Frist gezeichnet hat.
VerkProspG § 13 (Fassung bis zum 31. Mai 2012)
BörsG §§ 44 ff. (Fassung bis zum 31. Mai 2012)
Sachverhalt
I.
Der Kläger nimmt die Beklagten aus sogenannter bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung im weiteren Sinne hinsichtlich seiner Beteiligung an einem Schiffsfonds in Anspruch.
Der Kläger beteiligte sich mit Beteiligungserklärung vom 19. Juni 2010 mittelbar an der MS "V. " GmbH & Co. KG, einem geschlossenen Schiffsfonds (im Folgenden: Fondsgesellschaft), mit einer Einlage von 15.000 € zuzüglich 5% Agio. Der Verkaufsprospekt war am 15. Mai 2009 veröffentlicht worden. Die Beklagten waren Gründungsgesellschafterinnen der Fondsgesellschaft, die Beklagte zu 2 war außerdem Treuhandkommanditistin.
Die Beklagten werden vom Kläger und in anderen Verfahren von weiteren Anlegern auf Schadensersatz wegen der Verwendung eines fehlerhaften Prospekts und damit einhergehender Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichten nach den Grundsätzen der Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen. Das Landgericht hat das vorliegende Verfahren im Hinblick auf den im Klageregister bekannt gemachten und mehrere Feststellungsziele zu Prospektfehlern enthaltenden Vorlagebeschluss des Landgerichts Hamburg vom 6. Januar 2021 zum Aktenzeichen 309 OH 1/20 gemäß § 8 KapMuG ausgesetzt. Die Beklagten haben gegen den Aussetzungsbeschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 1. Juli 2021 nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht vorgelegt. Mit Beschluss vom 2. August 2021 hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Landgerichts dahingehend abgeändert, dass das Verfahren gegen die Beklagte zu 1 nicht ausgesetzt wird, und die sofortige Beschwerde im Übrigen zurückgewiesen. Dagegen wenden sich der Kläger und die Beklagte zu 2 mit ihren - vom Beschwerdegericht zugelassenen - Rechtsbeschwerden, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Aus den Gründen
II.
4 Die statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2 ist begründet. Sie führt unter teilweiser Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts und teilweiser Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts dazu, dass das Klageverfahren des Klägers auch gegen die Beklagte zu 2 fortzusetzen ist. Die Rechtsbeschwerde des Klägers hat dagegen keinen Erfolg.
5 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
6 Die Aussetzung des Verfahrens hinsichtlich der Beklagten zu 1 sei zu Unrecht erfolgt. Die Beklagte zu 1 sei nach der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18) als Muttergesellschaft des vormaligen H. -Konzerns "Hintermann" und damit Prospektverantwortliche i.S.d. §§ 13 ff. VerkProspG i.V.m. § 44 BörsG aF. Damit sei die Prospekthaftung im weiteren Sinne, auf die der Kläger seine Ansprüche stütze, nicht anwendbar. Auch ein Anspruch des Klägers aus § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF scheide aus, weil der Kläger seine Beteiligung erst im Juni 2010 und damit nicht binnen sechs Monaten nach Veröffentlichung des Anlageprospekts am 15. Mai 2009 gezeichnet habe (§ 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG aF). Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei so zu verstehen, dass die Verdrängungswirkung der spezialgesetzlichen Prospekthaftung schon dann eingreife, wenn ein Prospektverantwortlicher i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BörsG aF in Anspruch genommen werde; dies setze nicht voraus, dass der Tatbestand des § 44 Abs. 1 BörsG aF vollständig erfüllt sei. Aufgrund dessen sei der Rechtsstreit hinsichtlich der Beklagten zu 1 entscheidungsreif i.S.d. § 301 ZPO, da die Beklagten nur einfache Streitgenossen seien.
7 Anders stelle sich die Sachlage hinsichtlich der Beklagten zu 2 dar. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei dahin zu verstehen, dass nicht schlicht die Eigenschaft als Gründungsgesellschafter einer Fondsgesellschaft zur Anwendung der §§ 13 ff. VerkProspG i.V.m. § 44 BörsG aF und damit der Verdrängung der Prospekthaftung im weiteren Sinne führe, sondern vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen sei, ob ein in Anspruch genommener Gründungsgesellschafter tatsächlich als "Prospektveranlasser" anzusehen sei. Dies sei bei der Beklagten zu 2 nicht der Fall. Vorliegend spreche schon die im Prospekt geschilderte Funktion der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 2 gegen die Einordnung als Prospektverantwortliche. Sie habe in erster Linie die Interessen der Treugeber und gerade nicht der anderen am Prospekt beteiligten Gesellschaften wahrnehmen müssen. Ihre Einbindung in die Konzernstruktur der H. -Gruppe ändere daran nichts. Zudem sei sie nur mit einem geringen Anteil von 1.000 € als Kommanditistin an der Emittentin beteiligt und auch nicht bzw. schon gar nicht mit einem erheblichen Anteil an der Komplementärin der Fondsgesellschaft. Ferner könne auch nicht aus dem wirtschaftlichen Interesse der Beklagten zu 2 an der Durchführung des Fondsprojekts auf ihre Prospektveranlassung geschlossen werden. Denn den wesentlichen Teil ihrer Vergütung habe sie für die Erbringung von Treuhand- und Serviceleistungen beziehen sollen. Schließlich ergebe sich weder aus dem Vorbringen der Beklagten noch aus dem Prospekt, dass die Beklagte zu 2 im Rahmen der Konzeptionierung des Schiffsfonds oder der Erstellung des Prospekts eine tragende oder auch nur einflussreiche Rolle gespielt habe.
8 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand, soweit das Beschwerdegericht eine Haftung der Beklagten zu 2 aus § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB als nicht durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt angesehen und deshalb die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 2 zurückgewiesen hat. Dagegen hat es die sofortige Beschwerde des Klägers zu Recht zurückgewiesen.
9 a) Die zulässige Rechtsbeschwerde des Klägers ist unbegründet.
10 Die Klage gegen die Beklagte zu 1 ist im Hinblick auf die in dem Musterverfahren streitgegenständlichen Feststellungsziele abweisungsreif, weil sich diese lediglich auf die sogenannte Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Prospekts beziehen und ein Anspruch auf dieser Grundlage durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung, die ihrerseits - was die Revision auch nicht in Abrede stellt - verjährt ist, verdrängt wird. Eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist daher ausgeschlossen.
11 aa) Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG ist allerdings das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz auf Schadensersatzansprüche wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffentlichen Kapitalmarktinformation oder wegen unterlassener Aufklärung darüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, anwendbar. Daher können auch Klagen wegen Prospekthaftung im weiteren Sinne und Verschuldens bei Vertragsverhandlung bzw. Beratungspflichtverletzungen Gegenstand eines Musterverfahrens sein, wenn sie auf die Verwendung eines fehlerhaften Prospekts gestützt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2014 - XI ZB 17/13, WM 2015, 69 Rn. 10). Ist die Entscheidung des Rechtsstreits aber nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängig, muss ein Musterverfahrensantrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG als unzulässig verworfen werden. Ein Rechtsstreit, in dem der Musterverfahrensantrag als unzulässig verworfen werden müsste, kann nicht durch Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG musterverfahrensfähig werden, denn sowohl § 3 Abs. 1 Nr. 1 KapMuG als auch § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG verlangen wortgleich, dass die Entscheidung des betroffenen Rechtsstreits von den Feststellungszielen abhängt (vgl. Senatsbeschluss aaO Rn. 11 mwN). So liegt der Fall hier.
12 bb) Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde ist die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängig, weil eine Haftung der Beklagten zu 1 als Gründungsgesellschafterin aus der sogenannten Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB nicht auf die Verwendung eines Prospekts als solche gestützt werden kann. Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird - was der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 19. Januar 2021 - XI ZB 35/18, BGHZ 228, 237 Rn. 22 ff., vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 7 ff. mwN in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908 und vom 26. Juli 2022 - XI ZB 23/20, WM 2022, 2137 Rn. 50 ff.) - durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt.
13 Auf den am 15. Mai 2009 veröffentlichten Prospekt findet die Regelung des § 8g VerkProspG in der vom 1. Juli 2005 bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (nachfolgend: aF) in Verbindung mit § 32 Abs. 2 Satz 1 VermAnlG Anwendung. Damit ist auch der Anwendungsbereich der § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG in der bis zum 31. Mai 2012 geltenden Fassung (nachfolgend: aF) eröffnet. Ein Anspruch des Klägers nach diesen Vorschriften gegen die Beklagte zu 1 als Gründungskommanditistin ist allerdings gemäß § 46 BörsG aF verjährt.
14 Die Beklagte zu 1 ist Prospektveranlasser im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Denn sie ist - was bereits ausreicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Oktober 2021 - XI ZB 26/19, WM 2021, 2386 Rn. 24, vom 26. April 2022 - XI ZB 32/19, WM 2022, 1277 Rn. 39 und vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 12 in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908) - Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft mit einer Kommanditeinlage von 12.000 €.
15 cc) Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidungen des II. und III. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Senatsbeschlüssen vom 15. März 2022 (XI ZB 31/20, WM 2022, 921 Rn. 25 ff.), vom 26. April 2022 (XI ZB 27/20, WM 2022, 1169 Rn. 22 ff.), vom 19. Juli 2022 (XI ZB 32/21, WM 2022, 1684 Rn. 23 ff.) und vom 22. November 2022 (XI ZB 28/21, juris Rn. 27) verwiesen. Die von der Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf den Beschluss des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 2022 (II ZR 22/22) in Bezug genommenen weiteren Urteile des II. Zivilsenats vom 10. April 1978 (II ZR 103/76, WM 1978, 611 f.) und vom 22. März 1982 (II ZR 114/81, BGHZ 83, 222, 227) betreffen ersichtlich Sachverhalte aus der Zeit vor Inkrafttreten des Wertpapier-Verkaufsprospektgesetzes und sind daher nicht einschlägig. Das Urteil vom 13. September 2004 (II ZR 276/02, WM 2004, 2150) betraf eine Sachverhaltskonstellation, in der sich für eine Haftung ein anderer Anknüpfungspunkt ergab, nämlich eine irreführende Vertragsgestaltung, die auch nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats von dem Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nicht erfasst wird (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 - XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 57).
16 Soweit der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 25. Oktober 2022 (II ZR 22/22) - allerdings lediglich in einem obiter dictum - der Rechtsauffassung des Senats entgegengetreten ist, kann die Rechtsbeschwerde daraus für sich nichts herleiten. Der XI. Zivilsenat ist nach A. I. XI. Zivilsenat 1.c) des Geschäftsverteilungsplans 2021 des Bundesgerichtshofs ausschließlich zuständig, unter anderem über Prospekthaftungsansprüche nach § 13 VerkProspG, §§ 44 ff. BörsG aF zu entscheiden. Soweit die Voraussetzungen für die Haftung nach diesen Vorschriften vorliegen, ist der Senat zugleich zuständig, über eine Anspruchsgrundlagenkonkurrenz und damit darüber zu entscheiden, ob die § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB unter denselben Haftungsvoraussetzungen neben den genannten Vorschriften der spezialgesetzlichen Prospekthaftung anwendbar sind (vgl. nur Senatsbeschluss vom 19. Juli 2022 - XI ZB 32/21, WM 2022, 1684 Rn. 34 mwN).
17 Davon abgesehen hat sich der erkennende Senat mit den vom II. Zivilsenat in dem Beschluss vom 25. Oktober 2022 (II ZR 22/22) vorgebrachten Argumenten zu Wortlaut, Gesetzesgenese und Sinn und Zweck der spezialgesetzlichen Prospekthaftung eingehend auseinandergesetzt und ist dabei zu dem - auch vom ganz überwiegenden Schrifttum anerkannten - Ergebnis eines Vorrangs der spezialgesetzlichen Prospekthaftung gegenüber der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung im engeren und im weiteren Sinne gelangt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 14. Juni 2022 - XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 8 ff. mwN in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908). Soweit der II. Zivilsenat in seinen Ausführungen verschiedentlich auf andere Anknüpfungspunkte abstellt, wie etwa ein Beratungsgespräch (Beschluss vom 25. Oktober 2022 - II ZR 22/22, Rn. 33) oder die Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens (aaO Rn. 62), werden solche Sachverhaltskonstellationen auch nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats von dem Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung nicht erfasst (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 - XI ZB 3/16, BGHZ 220, 100 Rn. 57). Nicht durchgreifend sind auch die Hinweise des II. Zivilsenats zu den unterschiedlichen Ausschluss- und Verjährungsfristen (Beschluss vom 25. Oktober 2022 - II ZR 22/22, Rn. 45). Diese sind Ergebnis einer demokratisch erfolgten Willensbildung des Gesetzgebers, die er - wie bei der Aufhebung der Sonderverjährungsfristen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juni 2022 aaO Rn. 23) oder der Verlängerung der Ausschlussfrist in § 20 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG (siehe hierzu Rn. 19) - auch wieder ändern kann.
18 dd) Der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung gilt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch im Hinblick darauf, dass der Kläger seine Beteiligung erst 11 Monate nach dem Zeitpunkt des ersten öffentlichen Angebots im Inland gezeichnet hat, d.h. nach Ablauf der in § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG aF, § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG aF bestimmten Sechs-Monats-Frist. Denn wie der Senat bereits im Beschluss vom 14. Juni 2022 (XI ZR 395/21, WM 2022, 1679 Rn. 8 ff. in der Fassung des Beschlusses vom 5. September 2022, WM 2022, 1908) im Einzelnen begründet hat, gilt der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung in ihrem Anwendungsbereich umfassend. Eine Haftung nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB kommt für einen Prospektverantwortlichen nur bei Sachverhaltskonstellationen in Betracht, die von der gesetzlich geregelten Prospekthaftung überhaupt nicht erfasst sind, wie beispielsweise unrichtige mündliche Zusicherungen. Wollte man die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Haftungsgrundsätze neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ohne jede Einschränkung zur Anwendung bringen, liefen die gesetzgeberischen Wertungsentscheidungen zu dem auf Vorsatz und grober Fahrlässigkeit reduzierten Verschuldensmaßstab (§ 12 Abs. 1 WpPG, § 20 Abs. 3 VermAnlG, § 306 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 KAGB) und in der Ausgestaltung der Rechtsfolge "als eine Art modifiziertes Rücktrittsrecht" anstelle eines Anspruchs auf Schadensersatz im Sinne von § 249 BGB vollständig leer (vgl. Senatsbeschluss aaO Rn. 12 und 16 mwN).
19 Für die in § 13 Abs. 1 Nr. 1 VerkProspG aF, § 44 Abs. 1 Satz 1 BörsG aF bzw. § 9 Abs. 1 Satz 1 WpPG, § 20 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG, § 306 Abs. 5 Satz 1 KAGB bestimmte Ausschlussfrist gilt nichts anderes (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. November 2022 - XI ZR 560/21 und XI ZR 568/21, juris; OLG Hamburg, BeckRS 2021, 21441 Rn. 57; Buck-Heeb/Dieckmann, ZIP 2022, 145, 149; Klöhn, NZG 2021, 1063, 1067; Koch, BKR 2022, 271, 286). Insoweit hat der Gesetzgeber etwa die Verlängerung der Ausschlussfrist von sechs Monaten auf zwei Jahre in § 20 Abs. 1 Satz 1 VermAnlG damit begründet, dass einerseits die (frühere) Ausschlussfrist von sechs Monaten bei Vermögensanlagen eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung der Anleger, die die Vermögensanlage später als sechs Monate nach dem ersten Angebot im Inland erwerben, darstelle, weil die Platzierungsphase bei einer Vermögensanlage mehrere Jahre betragen könne, ohne dass die Grundkonzeption der Vermögensanlage durch die Initiatoren geändert werde, andererseits aber zu berücksichtigen sei, dass der Anbieter nach § 11 VermAnlG nur während der Dauer des öffentlichen Angebots die Pflicht habe, den Verkaufsprospekt durch Nachträge auf einem aktuellen Stand zu halten, und der Verkaufsprospekt nach dieser Dauer von Gesetzes wegen veraltet sein dürfe, so dass es unbillig sei, Anlegern für den Fall, dass sie die Vermögensanlage zu einem späteren Zeitpunkt erwerben, auch Ansprüche wegen eines fehlerhaften Verkaufsprospekts zuzuerkennen (vgl. BT-Drucks. 17/6051 S. 36 f.). Diese gesetzgeberischen (Billigkeits-)Erwägungen würden missachtet, wenn neben der spezialgesetzlichen Prospekthaftung ohne weiteres die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung im weiteren Sinne anwendbar bliebe.
20 Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde führt der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung im Hinblick auf deren zeitliche Begrenzung nicht zu einem Wertungswiderspruch oder einer nicht gerechtfertigten Haftungslücke, wenn der Prospekt durch Umstände unrichtig oder unvollständig geworden ist, die erst nach seiner Fertigstellung eintreten. Diese Fallkonstellation hat der Gesetzgeber geregelt, indem er den Anbieter zur Veröffentlichung ergänzender Angaben bis zum Ende des öffentlichen Angebots (§ 11 VermAnlG, § 268 Abs. 2, § 316 Abs. 5 KAGB, § 16 WpPG in der bis zum 20. Juli 2019 geltenden Fassung, nunmehr: Art. 23 der Verordnung (EU) 2017/1129 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel an einem geregelten Markt zu veröffentlichen ist und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/71/EG, ABl. L 168 S. 12) und den Emittenten zur Veröffentlichung aktueller Informationen auch nach Beendigung des öffentlichen Angebots (z.B. § 11a VermAnlG) verpflichtet. Diese Vorschriften regeln für den Fall einer Pflichtverletzung auch die Rechtsfolgen, indem dem Anleger unter Umständen ein Widerrufsrecht eingeräumt wird (z.B. § 11 Abs. 2 VermAnlG, § 305 Abs. 8 KAGB) oder der Anbieter zu einer Haftung gegenüber dem geschädigten Anleger verpflichtet wird (z.B. im Rahmen des § 20 VermAnlG).
21 b) Die zulässige Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2 ist begründet.
22 Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts ist - aus den vorstehenden Gründen - auch die Klage gegen die Beklagte zu 2 im Hinblick auf die in dem Musterverfahren streitgegenständlichen Feststellungsziele abweisungsreif, weil der insoweit lediglich auf die sogenannte Prospekthaftung im weiteren Sinne gemäß § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verwendung eines unrichtigen oder unvollständigen Prospekts gestützte Anspruch durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt wird. Eine Aussetzung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG ist daher ausgeschlossen.
23 Die Beklagte zu 2 ist Prospektveranlasser im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF. Denn auch sie ist - wie die Beklagte zu 1 - Gründungsgesellschafterin der Fondsgesellschaft mit einer Kommanditeinlage von 1.000 €.
24 Dies gilt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch im Hinblick auf den Umstand, dass die Beklagte zu 2 nicht nur Gründungsgesellschafterin, sondern auch Treuhandkommanditistin ist. Wie der Senat mit Beschlüssen vom 20. September 2022 (XI ZR 34/19, WM 2022, 2371 Rn. 60) und vom 22. November 2022 (XI ZB 28/21, juris Rn. 22 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, wird hierdurch die Stellung als "Hintermann" und somit als Prospektveranlasser im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BörsG aF noch verstärkt.
III.
25 1. Der Kläger rügt zu Unrecht die Zuständigkeit des Senats (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2022 - XI ZB 32/21, WM 2022, 1684 Rn. 33 f. mwN). Soweit die Rechtsbeschwerde unter Hinweis auf den Beschluss des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 2022 (II ZR 22/22) erneut die Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter rügt (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), falls der Senat die Sache nicht dem Großen Senat für Zivilsachen vorlegt, bleibt dies ebenfalls ohne Erfolg. Bei der vom II. Zivilsenat geäußerten (abweichenden) Rechtsauffassung handelt es sich lediglich um ein obiter dictum, das für seine Entscheidung nicht tragend ist, so dass die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 GVG nicht vorliegen.
26 2. Eine Kostenentscheidung ergeht nicht. Die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens bilden einen Teil der Kosten des Rechtsstreits, die unabhängig vom Ausgang des Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens die nach §§ 91 ff. ZPO in der Sache unterliegende Partei zu tragen hat (vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2019 - XI ZB 13/18, BGHZ 222, 15 Rn. 36 mwN). Den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Senat gemäß § 3 ZPO mit einem Fünftel des Werts des Rechtsstreits (15.750 €) bemessen (vgl. Senatsbeschluss aaO Rn. 37 mwN).