BGH: Zum Vorleistungsanspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO bei wissentlicher Pflichtverletzung des Notars
BGH, Urteil vom 11.6.2014 – IV ZR 414/12
Amtliche Leitsätze
1. Für den Vorleistungsanspruch gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO ist entscheidend, dass der Berufshaftpflichtversicherer unter Berufung auf eine wissentliche Pflichtverletzung des Notars die Regulierung ablehnt, gegen das Bestehen des Deckungsanspruchs aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag aber keine weiteren Einwendungen erhebt. Ein Streit zwischen Anspruchsteller und Berufshaftpflichtversicherer über die wissentliche Pflichtverletzung ist nicht erforderlich.
2. Der Geschädigte ist nicht gehalten, von sich aus vor einer Inanspruchnahme des Berufshaftpflichtversicherers an den Vertrauensschadenversicherer heranzutreten, um dessen Leistungsbereitschaft zu klären.
§ 19a Abs 2 S 2 BNotO
Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte als Berufshaftpflichtversicherer des ehemaligen, inzwischen in Insolvenz befindlichen Notars Dr. S. (im Folgenden nur kurz: Notar) wegen von diesem begangener Pflichtverletzungen auf Schadensersatz in Höhe von 1.734.059,73 € in Anspruch.
Den von der Klägerin unter Berufung auf das Absonderungsrecht gemäß § 157 VVG a.F. erhobenen Ansprüchen, die zur Insolvenztabelle festgestellt sind, liegt folgendes Geschehen zugrunde: Der Notar beurkundete Kaufverträge zwischen einer Verkäuferin und insgesamt 15 namentlich benannten Käufern über Wohneigentum in zwei Objekten in M. und W. , wobei die Klägerin den Käufern in allen Fällen Finanzierungskredite bewilligt hatte, die sie von einem Eigenanteil der Käufer an der Finanzierung abhängig gemacht hatte. Dieser Eigenanteil konnte auch in der Übernahme der Kaufnebenkosten liegen. Nach allen beurkundeten Verträgen waren die Kaufnebenkosten vom jeweiligen Käufer zu tragen. Tatsächlich wurden Gerichtskosten und Grunderwerbssteuer in keinem einzigen Fall vom Käufer, sondern aufgrund einer vom Notar mit der Verkäuferin getroffenen Vereinbarung aus den von der Klägerin zur Erfüllung des Kaufpreisanspruchs der Verkäuferin mit Treuhandauftrag überwiesenen Verwahrgeldern bezahlt, nachdem der Notar die entsprechenden Beträge zuvor auf sein Kanzleikonto umgeleitet hatte. Auf diesem Wege wurde das von der Klägerin mit ihren Kreditnehmern abgestimmte Finanzierungskonzept hintergangen, indem diese den darin vorgesehenen Eigenanteil nicht leisteten.
Nach § 4 Abs. 3 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen des zwischen der Beklagten und dem Notar geschlossenen Versicherungsvertrages (im Folgenden kurz: AVB-N) bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schadenverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung.
Die Beklagte hält sich im Hinblick hierauf für nicht leistungspflichtig. Die Klägerin meint, dass die Beklagte dann zumindest im Hinblick auf die von der Streithelferin der Beklagten als zuständiger Notarkammer für den Notar geschlossene Vertrauensschadenversicherung, die Schäden aus wissentlicher Pflichtverletzung abdeckt, gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO vorleistungspflichtig sei.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.
Aus den Gründen
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Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag wegen einer wissentlichen Pflichtverletzung ausscheide. Auch ein Anspruch aus § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO bestehe nicht, weil zwischen den Parteien nicht streitig sei, ob der Ausschlussgrund gemäß § 19a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BNotO vorliege. Insoweit genüge es, wenn - wie im Streitfall gegeben - zwischen Geschädigtem und Berufshaftpflichtversicherer ein Sachverhalt unstreitig sei, der rechtlich als wissentliche Pflichtverletzung zu werten sei. Hinzu komme, dass auch die Streithelferin der Beklagten und der Vertrauensschadenversicherer die streitgegenständlichen Amtspflichtverletzungen des Notars mittlerweile als wissentlich begangen betrachteten.
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II. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Steht eine wissentliche Pflichtverletzung des Notars im Raum, so kommt der Vorleistungsanspruch gegen den Berufshaftpflichtversicherer gemäß § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO bereits dann in Betracht, wenn Letzterer unter Berufung hierauf die Regulierung ablehnt, gegen das Bestehen des Deckungsanspruchs aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag aber keine weiteren Einwendungen erhebt. Ein Streit zwischen Anspruchsteller und Berufshaftpflichtversicherer über diesen Punkt ist nicht erforderlich.
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Der Wortlaut der Vorschrift sagt nichts darüber aus, zwischen wem das Vorliegen des Ausschlussgrundes wissentlicher Pflichtverletzung nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 streitig sein muss. Jedoch ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung, dass ein Anspruch des Geschädigten sogar dann gegeben sein kann, wenn zwischen ihm und dem Berufshaftpflichtversicherer ausdrücklich Einigkeit über eine wissentliche Pflichtverletzung des Notars besteht.
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Der Gesetzgeber hatte bei Einführung der Regelung des § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO einen Streit der beiden Versicherer vor Augen, die auf den jeweils anderen verweisen, und wollte, dass diese ihn untereinander austragen (BT-Drucks. 13/11034 S. 38 f.). Dagegen soll sich der Mandant des Notars, wenn klar ist, dass jedenfalls einer der beiden Versicherer leistungspflichtig ist (weil "nur" die wissentliche Pflichtverletzung streitig ist), im Interesse zügiger Schadenregulierung an den Berufshaftpflichtversicherer halten können. Letzterem stehen zum Ausgleich der Forderungsübergang (§ 19a Abs. 2 Satz 3 BNotO) und ein Anspruch auf Aufwendungsersatz (§ 19a Abs. 2 Satz 4 BNotO) gegen den Vertrauensschadenversicherer zu, so dass die Streitfrage im Regressprozess zwischen diesen beiden Versicherern geklärt werden kann. Soweit dabei im Gesetz vom Übergang des Anspruchs gegen einen sonstigen "Ersatzberechtigten" die Rede ist, handelt es sich um ein offensichtliches Redaktionsversehen des Gesetzgebers; gemeint ist "Ersatzverpflichteten" (vgl. Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler, BNotO 6. Aufl. § 19a Rn. 57).
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Der Zweck der zügigen Schadenregulierung würde verfehlt, sofern der Geschädigte nicht beim Berufshaftpflichtversicherer liquidieren könnte, wenn in ihrem Verhältnis die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung geklärt ist, der Vertrauensschadenversicherer, den dieses nicht bindet, dagegen nach wie vor nicht regulierungsbereit ist. Die Frage der wissentlichen Pflichtverletzung soll nach der gesetzlichen Konzeption - wenn es keine weiteren Streitpunkte gibt - nicht zwischen dem Geschädigten und dem Berufshaftpflichtversicherer, sondern allein zwischen Letzterem und dem Vertrauensschadenversicherer geklärt werden. Allein dies sollte daher mit der Formulierung "nur streitig" zum Ausdruck gebracht werden.
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Dieses Verständnis der Regelung liegt bereits dem Senatsurteil IV ZR 131/09 vom 20. Juli 2011 zugrunde (juris Rn. 15). Auch in jenem Fall bestand zwischen dem Geschädigten und dem Berufshaftpflichtversicherer (jedenfalls mittlerweile) kein Streit (mehr) über die Wissentlichkeit der Pflichtverletzung.
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2. Der mögliche Anspruch der Klägerin entfällt nicht deswegen, weil inzwischen auch der Vertrauensschadenversicherer die Amtspflichtverletzung des Notars als wissentlich begangen betrachtet. Diese Feststellung des Berufungsgerichts beruht auf einem Schreiben des Vertrauensschadenversicherers vom 17. August 2012, das erst im Verlauf des Rechtsstreits verfasst worden ist. Die Klägerin war auch nicht etwa gehalten, von sich aus vor einer Inanspruchnahme der Beklagten an den Vertrauensschadenversicherer heranzutreten, um dessen Leistungsbereitschaft zu klären. Auch dies würde dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen, dass sich der Geschädigte - bis zur Höhe der gesetzlichen Mindestversicherungssumme - im Interesse zügiger Schadenregulierung an den Berufshaftpflichtversicherer halten kann, ohne sich mit dem Einwand der Wissentlichkeit auch nur befassen zu müssen, wenn der Inanspruchnahme des Berufshaftpflichtversicherers keine anderen Einwendungen entgegenstehen. Lediglich eine vorsorgliche Schadenmeldung wird er dem Vertrauensschadenversicherer gegenüber bei drohendem Ablauf der Anzeigefrist abgeben müssen (vgl. dazu das Senatsurteil IV ZR 400/12 vom heutigen Tage).
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3. Von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent hat sich das Berufungsgericht nicht mit der Frage befasst, ob die Ausschlussfrist in § 4 Nr. 2 der Vertrauensschadenversicherung einer Einstandspflicht des Vertrauensschadenversicherers entgegensteht (vgl. Senatsurteil vom 20. Juli 2011 - IV ZR 209/10, VersR 2011, 1264 Rn. 10 ff.). Da die Vorleistungspflicht des Berufshaftpflichtversicherers nach § 19a Abs. 2 Satz 2 BNotO jedoch durch dessen Regressansprüche gegenüber dem Vertrauensschadenversicherer begrenzt ist (Senat aaO Rn. 9), bedarf es der Zurückverweisung der Sache, damit die hierzu notwendigen Feststellungen getroffen werden können.
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