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Wirtschaftsrecht
21.08.2008
Wirtschaftsrecht
BGH: Zum Rechtsschutzbedürfnis des Insolvenzverwalters bei Abwehr eines Feststellungsbegehrens

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.07.2008
Aktenzeichen: IX ZR 126/07
Rechtsgebiete: InsO, ZPO
Vorschriften:

      InsO § 179
      InsO § 180
      ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1

Dem Begehren des Insolvenzverwalters, die Feststellung einer für unberechtigt gehaltenen Forderung zur Tabelle abzuwehren, kann das Rechtsschutzbedürfnis selbst dann nicht abgesprochen werden, wenn die voraussichtliche Quote Null beträgt.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 126/07

Verkündet am: 17. Juli 2008

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in dem am 20. Juni 2008 geschlossenen schriftlichen Verfahren durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Vill und Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Teilurteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 28. Dezember 2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen wird, zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin hat die ursprüngliche Beklagte (= Schuldnerin) auf Zahlung eines Restwerklohns in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die ursprüngliche Beklagte zur Zahlung von 76.253,82 € Zug um Zug gegen Übergabe diverser Baumaterialien verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Nachdem beide Seiten dagegen Berufung eingelegt hatten, wurde über das Vermögen der ursprünglichen Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und der nunmehrige Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Klägerin hat den Rechtsstreit aufgenommen und den Klageantrag auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle umgestellt.

Das Berufungsgericht hat durch Teilurteil die Berufung des nunmehrigen Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung (durch die ursprüngliche Beklagte) sei die Beschwer zwar hinreichend im Sinne des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gewesen. Da der nunmehrige Beklagte nicht dargetan habe, dass die zu erwartende Quote zugunsten der Klägerin mehr als Null betrage, fehle es aber jetzt an dem Rechtsschutzinteresse an der Durchführung des Berufungsverfahrens. Der Beklagte verfolge kein wirtschaftlich nachvollziehbares Ziel. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist der von § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO geforderte Wert erreicht.

a) Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung muss die Beschwerdesumme bei Einlegung des Rechtsmittels erreicht sein; durch eine spätere Verminderung der Beschwerdesumme wird das Rechtsmittel nicht unzulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Verminderung der Beschwerdesumme auf einer später erfolgten willkürlichen Beschränkung des Rechtsmittels beruht (BGHZ 1, 29 ff; BGH, Urt. v. 9. September 1999 - IX ZR 80/99, ZIP 1999, 1811, 1812).

Im vorliegenden Fall liegt eine solche willkürliche Veränderung des Rechtsmittels - wie auch die Revisionserwiderung nicht in Abrede stellt - nicht vor. Der Beklagte hat lediglich die Konsequenzen aus dem veränderten Antrag der Gegenseite gezogen.

b) Zwar wird im Schrifttum die Ansicht vertreten, es komme auf den Berufungsantrag an, den der Berufungskläger zur Entscheidung des Berufungsgerichts stelle; der Wert dieses Begehrens sei dann nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung zu bemessen (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl. § 511 Rn. 55). Dies führt jedoch im vorliegenden Fall zu keinem abweichenden Ergebnis.

Das Berufungsbegehren des Beklagten richtet sich - nachdem die Klägerin in der Berufungsinstanz ihre Klage auf Feststellung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle umgestellt hat - darauf, das Berufungsgericht möge die Forderung der Klägerin nicht zur Tabelle feststellen. Nach der vorgenannten Ansicht wäre also darauf abzustellen, was die von der Klägerin verfolgten Forderungen im Zeitpunkt der Berufungseinlegung - im August 2002 - wert gewesen sind. Da das Insolvenzverfahren erst am 1. April 2004 eröffnet worden ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Forderungen bereits im August 2002 wertlos waren.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen Wegfalls des Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden.

a) Allerdings kann - entgegen der Ansicht der Revision - das Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses ausnahmsweise zur Unzulässigkeit eines Rechtsmittels führen. Die Entscheidung BGHZ 57, 224, 225, auf welche die Revision sich beruft, besagt nichts anderes. Gemeint sind damit jedoch regelmäßig die Rechtsmittel eines Anspruchstellers (BGHZ aaO; BGH, Beschl. v. 2. Februar 2006 - IX ZB 78/04, NZI 2006, 250, 251). Handelt es sich um das Rechtsmittel einer Person, die zu Unrecht in Anspruch genommen worden ist, ist deren Interesse an der formellen Beseitigung eines stattgebenden Erkenntnisses grundsätzlich auch dann rechtlich schützenswert, wenn dieses sie materiell nicht belastet. Ein solcher Fall ist im Übrigen kaum vorstellbar, weil der Rechtsmittelführer jedenfalls durch die Kostenentscheidung betroffen wird.

b) Selbst wenn die voraussichtliche Quote Null beträgt, kann dem Begehren des Insolvenzverwalters, die Feststellung einer für unberechtigt gehaltenen Forderung zur Tabelle abzuwehren, das Rechtsschutzbedürfnis auch aus anderen Gründen nicht abgesprochen werden. Dem auf Feststellung zur Insolvenztabelle klagenden Gläubiger wird bei fehlender Quotenaussicht das allgemeine Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen; spiegelbildlich muss für den Verwalter, der unberechtigte Feststellungsbegehren abwehren will, dasselbe gelten.

aa) Ein dem Interesse der Insolvenzgläubiger an der Feststellung ihrer Forderungen zur Tabelle korrespondierendes Interesse des Insolvenzverwalters an dem Unterbleiben dieser Feststellung folgt aus dem mit der Feststellung verbundenen Recht auf Teilhabe an der Masse (MünchKomm-InsO/Schumacher, 2. Aufl. § 179 Rn. 9; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 179 Rn. 11; HmbK-InsO/Herchen, 2. Aufl. § 179 Rn. 17 f; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 22.03).

Dass es aus der Masse nichts an die Insolvenzgläubiger zu verteilen gibt, kann nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden. Nicht selten gelingt es den Insolvenzverwaltern, in anfänglich masselosen Verfahren - etwa im Wege von Anfechtungen - Masse zu generieren. Für solche Fälle, in denen sich später Masse herausstellt, sieht das Gesetz eine Nachtragsverteilung (§ 203 InsO) vor. Schon die nicht auszuschließende Aussicht auf eine solche rechtfertigt selbst bei zunächst masselosen Verfahren das Feststellungsinteresse für eine Klage nach § 180 InsO und umgekehrt das Interesse des Insolvenzverwalter an der Verteidigung gegen diese.

bb) Das Rechtsschutzinteresse für die Feststellungsklage und - umgekehrt - für die Verteidigung des Insolvenzverwalters gegen eine solche kann auch deswegen nicht verneint werden, weil die Feststellung des Bestehens der Forderung das Insolvenzteilnahmerecht sichert (Uhlenbruck, aaO). Selbst in masselosen Verfahren haben die Insolvenzgläubiger ein rechtlich schützenswertes Interesse, an einem geordnet durchgeführten Insolvenzverfahren teilzunehmen. Immerhin wird in diesem Verfahren möglicherweise auch darüber entschieden, ob ihre Forderungen von der Restschuldbefreiung erfasst werden (vgl. § 301 Abs. 1 Satz 2 InsO). Wären sie von der Teilnahme an dem Verfahren ausgeschlossen, weil sie die Feststellung ihrer bestrittenen Forderungen zur Tabelle nicht durchsetzen können, wenn die Quote voraussichtlich Null beträgt, könnte ihre Forderung durch die Restschuldbefreiung undurchsetzbar werden, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, ihren Standpunkt hierzu vorzutragen. Dadurch wäre das Grundrecht der Gläubiger bestrittener Forderungen auf effektiven Rechtsschutz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt.

Dem Interesse der Insolvenzgläubiger im Hinblick auf ihr Teilnahmerecht entspricht auf Seiten des Insolvenzverwalters das Interesse, dass an dem von ihm betriebenen Verfahren alle Gläubiger teilnehmen, die eine Insolvenzforderung gegen den Schuldner haben, aber eben nur diese, nicht solche Personen, die sich eines derartigen Anspruchs zu Unrecht berühmen.


BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Verfahrensgang: LG Neubrandenburg, 3 O 347/00 vom 08.07.2002
OLG Rostock, 7 U 132/02 vom 28.12.2006

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