BGH: Zum Einwendungsdurchgriff bei sogenannter "0%-Finanzierung“
BGH, Urteil vom 30.9.2014 – XI ZR 168/13
Leitsätze
a) Der Einwendungsdurchgriff gemäß §§ 358, 359 BGB in der bis zum 3. August 2011 geltenden Fassung setzt einen entgeltlichen Darlehensvertrag voraus.
b) Ein entgeltlicher Darlehensvertrag liegt nicht deshalb vor, weil der Darlehensgeber das zinslos gewährte Darlehen aufgrund einer Vereinbarung mit dem Unternehmer nur teilweise an diesen auszahlt.
BGB §§ 358, 359
Sachverhalt
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Darlehensvertrag.
Der Kläger erwarb am 4. März 2011 von der B. KG (im Folgenden: Unternehmer) zwei Türen zum Preis von 6.389,15 € inklusive Montage. Gleichzeitig unterschrieb er in den Geschäftsräumen des Unternehmers, der seine Produkte mit einer "0%-Finanzierung" bewarb, auf einem dort bereitliegenden Formular der beklagten Bank unter dem Datum des 1. März 2011 einen Antrag auf Abschluss eines Darlehensvertrages, den die Beklagte am 21. Juni 2011 annahm. Danach betrug der Nettodarlehensbetrag 6.389,15 €, den der Kläger in einer Rate von 264,25 € und 23 weiteren monatlichen Raten von 266,30 € zurückzuzahlen hatte. Zur Sicherung der Ansprüche
der Beklagten trat der Kläger ihr den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens ab. Der formularmäßige Vertrag enthielt die Anweisung des Klägers an die Beklagte, den "als Zwischensumme ausgewiesenen Betrag", d.h. 6.389,15 €, an den Unternehmer auszuzahlen. Aufgrund einer Vereinbarung mit dem Unternehmer zahlte die Beklagte nur 5.973,86 € an diesen.
Nach dem Einbau der Türen rügte der Kläger Mängel und beantragte die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens. Der gerichtlich bestellte Sachverständige stellte Mängelbeseitigungskosten von 5.415,50 € und eine Minderung von 550 € fest. Der Kläger trat gegenüber dem Unternehmer vom Vertrag zurück und ist der Auffassung, er sei gemäß §§ 358, 359 BGB zur Rückzahlung des Darlehens an die Beklagte nicht verpflichtet.
Seine Klage auf Feststellung, dass der Beklagten aus dem Darlehens- und Lohnabtretungsvertrag vom 1. März/21. Juni 2011 keine Rechte mehr zustehen, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Feststellungsantrag weiter.
Aus den Gründen
5 Die Revision ist unbegründet.
I.
6 Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
7 Die Beklagte habe gegen den Kläger gemäß § 488 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des an den Unternehmer ausgezahlten Betrages von 5.973,86 €. Der Kläger könne sich demgegenüber nicht auf Mängel der Türen und seinen Rücktritt vom Vertrag mit dem Unternehmer berufen. Die Voraussetzungen eines Einwendungsdurchgriffs gemäß §§ 358, 359 BGB lägen nicht vor. § 358 BGB setze einen Verbraucherdarlehensvertrag, d.h. einen entgeltlichen Darlehensvertrag gemäß § 491 Abs. 1 BGB voraus. Ein solcher liege nicht vor, weil der Kläger der Beklagten für die Gewährung des Darlehens kein gesondertes Entgelt habe zahlen müssen. Er habe an die Beklagte denselben Betrag zu zahlen gehabt, den er dem Unternehmer geschuldet habe. Dass dieser bei der Überweisung des Kaufpreises durch die Beklagte einen Abschlag akzeptiert habe, komme dem Kläger nicht zugute, weil er dem Unternehmer trotzdem nur den vereinbarten Preis habe zahlen müssen. Der Darlehensvertrag habe ihm faktisch den Vorteil verschafft, seine Kaufpreisschuld nicht in einer Summe, sondern in Raten zu begleichen.
II.
8 Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand, so dass die Revision zurückzuweisen ist.
9 Die Beklagte hat gegen den Kläger aufgrund des Darlehensvertrages vom 1. März/21. Juni 2011 gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB einen Anspruch auf Rückzahlung des an den Unternehmer ausgezahlten Darlehens. Die Voraussetzungen eines Einwendungsdurchgriffs gemäß §§ 358, 359 BGB in der bei Abschluss des Darlehensvertrages am 1. März/21. Juni 2011 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) sind nicht erfüllt.
10 1. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die §§ 358, 359 BGB aF einen Verbraucherdarlehensvertrag i.S.d. § 491 Abs. 1 BGB, d.h. einen entgeltlichen Darlehensvertrag voraussetzen (vgl. Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, Neubearb. 2004, § 358 Rn. 21).
11 a) Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschriften, die ausdrücklich von einem Verbraucherdarlehensvertrag sprechen. Diese Formulierung ist im Gesetzgebungsverfahren bewusst zur "Anpassung an die Begrifflichkeit in den §§ 491 ff. BGB-BE" (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 9. Oktober 2001 zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts, BT-Drucks. 14/7052, S. 194 f.) gewählt worden.
12 b) Die Revision macht ohne Erfolg geltend, auf das Erfordernis einer Entgeltlichkeit des Darlehensvertrages sei im Wege einer teleologischen Reduktion zu verzichten. Dies erfordere der Regelungszweck der §§ 358, 359 BGB aF, den Verbraucher vor Risiken zu schützen, die ihm durch die Aufspaltung eines Erwerbsgeschäftes in ein Bargeschäft und einen damit verbundenen Darlehensvertrag drohten. Diese Gefahr bestehe unabhängig davon, ob es sich um einen entgeltlichen oder unentgeltlichen Darlehensvertrag handele.
13 Diese Auffassung ist unzutreffend. Die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion liegen nicht vor. Eine teleologische Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH, Urteile vom 26. November 2008 VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27 Rn. 22 und vom 21. Dezember 2011 VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn. 31). Ob eine derartige Lücke vorhanden ist, ist vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrundeliegenden Regelungsabsicht zu beurteilen. Das Gesetz muss also, gemessen an seiner eigenen Regelungsabsicht, unvollständig sein (BGH, Urteil vom 13. November 2001 X ZR 134/00, BGHZ 149, 165, 174). Nach diesen Maßstäben liegt keine verdeckte Regelungslücke vor, weil der Gesetzgeber, wie dargelegt, den Anwendungsbereich der §§ 358, 359 BGB aF bewusst auf Verbraucherdarlehensverträge begrenzt und diese in § 491 Abs. 1 BGB als entgeltliche Darlehensverträge definiert hat.
14 c) Dass die §§ 358, 359 BGB aF nur entgeltliche Darlehensverträge erfassen, steht in Einklang mit der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. EU L 133 S. 66), deren Umsetzungsfrist im Jahr 2011 abgelaufen war. Der Einwendungsdurchgriff gemäß Art. 15 Abs. 2 dieser Richtlinie gilt gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie nicht für zins und gebührenfreie Kreditverträge. Von der im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie eröffneten Möglichkeit, die Bestimmungen der Richtlinie auch auf Kreditverträge bzw. verbundene Kredite, die nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie bzw. unter deren Begriffsbestimmung für verbundene Kreditverträge fallen, anzuwenden, hat der deutsche Gesetzgeber, wie dargelegt, in §§ 358, 359 BGB aF für unentgeltliche Darlehensverträge keinen Gebrauch gemacht.
15 d) Durch Art. 1 Nr. 5 und 6 des am 4. August 2011 in Kraft getretenen Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen und über verbundene Verträge vom 27. Juli 2011 (BGBl. I S. 1600) sind in § 358 Abs. 1 und 3 Satz 1 und 2, Abs. 4 Satz 2 BGB und § 359a Abs. 3 BGB die Wörter "Verbraucherdarlehensvertrag" bzw. "Verbraucherdarlehensverträge" jeweils durch die Wörter "Darlehensvertrag", "Darlehensvertrag gemäß Abs. 1 oder 2" bzw. "Darlehensverträge" ersetzt worden. Damit sollte dem geänderten Begriff des Verbraucherdarlehensvertrags Rechnung getragen werden, dem früher generell entgeltliche Darlehensverträge zwischen einem Unternehmer als Darlehensgeber und einem Verbraucher als Darlehensnehmer unterfielen (§ 491 Abs. 1 BGB), während seit dem 11. Juni 2010 bestimmte Vertragsarten (§ 491 Abs. 2 BGB) ausgenommen sind (Begr. des RegEntwurfs vom 17. März 2011, BT-Drucks. 17/5097, S. 17 f.). Angesichts dieses Regelungszwecks erscheint fraglich, ob aufgrund dieser Gesetzesänderung der Einwendungsdurchgriff auch bei unentgeltlichen Darlehensverträgen eröffnet ist. Dies bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung, weil der vor-liegende Darlehensvertrag vom 1. März/21. Juni 2011 nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich der seit dem 4. August 2011 geltenden geänderten Vorschriften fällt.
16 2. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die Auffassung des Berufungsgerichts, der zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag sei kein Verbraucherdarlehensvertrag, d.h. kein entgeltlicher Darlehensvertrag i.S.d. § 491 Abs. 1 BGB.
17 a) Unter Entgelt ist jede Art von Gegenleistung des Verbrauchers für das eingeräumte Kapitalnutzungsrecht (Senatsurteil vom 16. Oktober 2007 XI ZR 132/06, BGHZ 174, 39 Rn. 17) zu verstehen (MünchKommBGB/Schürnbrand, 6. Aufl., § 491 Rn. 37). Darunter fallen zunächst Zinsen und andere laufzeitabhängige Kosten (Staudinger/Kessal-Wulf, BGB, Neubearb. 2012, § 491 Rn. 48). Auch ein Disagio oder Damnum stellt im Zweifel ein Entgelt für die Kapitalnutzung dar (Senatsurteil vom 29. Mai 1990 XI ZR 231/89, BGHZ 111, 287, 288 f.). Die Höhe des Entgelts ist unerheblich (OLG Köln, ZIP 1994, 776). Nur unerhebliche Kleinstbeträge begründen keine Entgeltlichkeit (LG Karlsruhe, NJW-RR 2000, 1442, 1443). Entsprechend Art. 2 Abs. 2 Buchst. f der Richtlinie 2008/48/EG werden mit dem Erfordernis der Entgeltlichkeit nur zinslose und gebührenfreie Darlehen aus dem Verbraucherdarlehensrecht ausgenommen (Begr. des RegEntwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur
Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht vom 21. Januar 2009, BT-Drucks. 16/11643, S. 75 f.).
18 b) Gemessen hieran ist der Darlehensvertrag vom 1. März/21. Juni 2011 kein entgeltlicher Darlehensvertrag. In dem Vertrag sind keine Zinsen oder Gebühren vereinbart worden. Dass die Beklagte an den Unternehmer nicht den vollen Nettodarlehensbetrag von 6.389,15 €, sondern nur 5.973,86 € ausgezahlt hat, rechtfertigt die Annahme einer Entgeltlichkeit nicht. Der von der Beklagten einbehaltene Differenzbetrag stellt kein Entgelt für die Kapitalnutzung dar. Vielmehr hat die Beklagte den Darlehensvertrag in Höhe dieses Betrages nicht erfüllt. Der vertragliche Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Auszahlung des vollen Darlehensnettobetrages in Höhe von 6.389,15 € ist durch die Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem Unternehmer, die der Auszahlung des verminderten Betrages von 5.973,86 € zugrunde liegt, unberührt geblieben. Gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB schuldet der Kläger, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht angenommen hat, nur die Rückzahlung des tatsächlich zur Verfügung gestellten Darlehens in Höhe von 5.973,86 €.
19 c) Die Ausführungen der Revision rechtfertigen keine andere Beurteilung. Die Revision meint, weder § 491 BGB noch Art. 2 Abs. 2 Buchst. f i.V.m. Art. 3 Buchst. n der Richtlinie 2008/48/EG setze eine unmittelbare Entgeltzahlung durch den Verbraucher selbst voraus. Entscheidend sei, dass irgendeine Gegenleistung erfolge, die sich zum finanziellen Nachteil des Verbrauchers auswirken könne. Eine solche Belastung beinhalte die vorliegende Null-Finanzierung in verschleierter Form. Die vom Unternehmer verlangte Vergütung für die Warenleistung dürfte in der vorliegenden Konstellation höher ausfallen als ohne zusätzlich vereinbarte Finanzierung. In diesem Zusammenhang sei, um den Verbraucherschutz nicht auszuhöhlen, eine generalisierende Betrachtung geboten und die Möglichkeit einer Umlegung der Vergütung für die Kreditgewährung im Wege einer Kaufpreiserhöhung als ausreichend anzusehen. Da der Verbraucher die Kalkulationsgrundlagen des Unternehmers nicht kenne, könnten von ihm nicht die Darlegung und der Beweis verlangt werden, dass die vereinbarte Gegenleistung wegen der Finanzierung höher ausgefallen sei. Um eine Umgehung der §§ 358, 359 BGB aF, § 491 BGB zu verhindern, sei von einer vom Darlehensgeber bzw. vom Unternehmer zu widerlegenden Vermutung auszugehen, dass bei verbundenen Verträgen trotz angeblicher Null-Finanzierung ein entgeltlicher Darlehensvertrag vorliege.
20 Mit dieser Argumentation kann die Revision nicht durchdringen. Die Beklagte erlangt bei der vorliegenden Null-Finanzierung weder vom Kläger noch vom Unternehmer noch von dritter Seite eine irgendwie geartete Gegenleistung, die sich zum finanziellen Nachteil des Klägers auswirken könnte. Als eine solche Gegenleistung kommt insbesondere nicht die Differenz zwischen dem Darlehensnettobetrag in Höhe von 6.389,15 € und dem von der Beklagten an den Unternehmer ausgezahlten Betrag von 5.973,86 € in Betracht. Die Beklagte hat gegen den Kläger, wie bereits dargelegt und vom Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt, gemäß § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB nur einen Anspruch auf Rückzahlung des zur Verfügung gestellten Darlehens, d.h. auf Rückzahlung von 5.973,86 €. Sie erhält also nur das ausgezahlte Kapital zurück, aber keinen darüber hinausgehenden Vermögensvorteil, der sich irgendwie zum Nachteil des Klägers auswirken könnte. Sofern der Unternehmer den Kläger auf Zahlung des vollen Preises von 6.389,15 € in Anspruch nimmt, ergibt sich auch daraus keine der Beklagten zufließende Gegenleistung.