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Wirtschaftsrecht
11.12.2024
Wirtschaftsrecht
EuGH: Zum Begriff „Produkt“ und zu einem in der Wertermittlung und dem Ankauf einer Ware (hier: Goldankauf) bestehenden Kopplungsangebot

EuGH, Urteil vom 5.12.2024 – C-379/23, Guldbrev AB gegen Konsumentombudsmannen

ECLI:EU:C:2024:1002

Volltext: BB-Online BBL2024-2945-1

unter www.betriebs-berater.de

 

Tenor

Art. 2 Buchst. c, d und i sowie Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) sind dahin auszulegen, dass die von einem Gewerbetreibenden für einen Verbraucher erbrachte Dienstleistung, mit der der Wert einer Ware ermittelt wird, bevor sie diesem Verbraucher abgekauft wird, wobei der Ankauf davon abhängig gemacht wird, dass der infolge der Wertermittlung festgesetzte Preis akzeptiert wird, zusammen mit diesem Ankauf ein „Produkt“ im Sinne dieser Bestimmungen darstellt, so dass die Maßnahmen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bewerbung dieses Produkts bei den Verbrauchern in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.

 

Aus den Gründen

1            Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. c, d und i sowie von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22, berichtigt in ABl. 2009, L 253, S. 18).

 

2            Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Guldbrev AB und dem Konsumentombudsman (Verbraucherbeauftragter, Schweden, im Folgenden: KO) zu der Frage, ob mit dem Unionsrecht und dem nationalen Recht bestimmte Geschäftspraktiken vereinbar sind, die von Guldbrev in Bezug auf die Wertermittlung von Gold und dessen Ankauf von Verbrauchern eingesetzt werden.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3            In den Erwägungsgründen 6 bis 8, 17 und 23 der Richtlinie 2005/29 heißt es:

„(6) Die vorliegende Richtlinie gleicht … die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken einschließlich der unlauteren Werbung an, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher unmittelbar und dadurch die wirtschaftlichen Interessen rechtmäßig handelnder Mitbewerber mittelbar schädigen. Im Einklang mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip schützt diese Richtlinie die Verbraucher vor den Auswirkungen solcher unlauteren Geschäftspraktiken, soweit sie als wesentlich anzusehen sind, berücksichtigt jedoch, dass die Auswirkungen für den Verbraucher in manchen Fällen unerheblich sein können. …

(7) Diese Richtlinie bezieht sich auf Geschäftspraktiken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidungen des Verbrauchers in Bezug auf Produkte stehen. …

(8) Diese Richtlinie schützt unmittelbar die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern. …

(17) Es ist wünschenswert, dass diejenigen Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen unlauter sind, identifiziert werden, um größere Rechtssicherheit zu schaffen. Anhang I enthält daher eine umfassende Liste solcher Praktiken. Hierbei handelt es sich um die einzigen Geschäftspraktiken, die ohne eine Beurteilung des Einzelfalls anhand der Bestimmungen der Artikel 5 bis 9 als unlauter gelten können. Die Liste kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.

(23) Da die Ziele dieser Richtlinie, nämlich durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken die durch derartige Vorschriften verursachten Handelshemmnisse zu beseitigen und ein hohes gemeinsames Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher besser auf [Unionsebene] zu erreichen sind, kann die [Union] im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsprinzip geht diese Richtlinie nicht über das für die Beseitigung der Handelshemmnisse und die Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Verbraucherschutzniveaus erforderliche Maß hinaus.“

 

4            Art. 1 („Zweck der Richtlinie“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Zweck dieser Richtlinie ist es, durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.“

 

5          In Art. 2 („Definitionen“) dieser Richtlinie heißt es:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

c) ,Produkt‘ jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, Rechte und Verpflichtungen;

d) ‚Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern‘ (nachstehend auch ‚Geschäftspraktiken‘ genannt) jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt;

i) ‚Aufforderung zum Kauf‘ jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen;

…“

 

6            Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 1 der Richtlinie sieht vor:

„Diese Richtlinie gilt für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne des Artikels 5 von Unternehmen gegenüber Verbrauchern vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts.“

 

7            Art. 4 („Binnenmarkt“) der Richtlinie 2005/29 lautet:

„Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Warenverkehr nicht aus Gründen, die mit dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich zusammenhängen, einschränken.“

 

8            Art. 5 („Verbot unlauterer Geschäftspraktiken“) in Kapitel 2 („Unlautere Geschäftspraktiken“) dieser Richtlinie enthält ein Verbot unlauterer Geschäftspraktiken und nennt die Kriterien, anhand deren bestimmt werden kann, ob eine solche Praxis unlauter ist. Insbesondere heißt es in seinem Abs. 5:

„Anhang I enthält eine Liste jener Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter anzusehen sind. Diese Liste gilt einheitlich in allen Mitgliedstaaten und kann nur durch eine Änderung dieser Richtlinie abgeändert werden.“

 

9            Art. 11 („Durchsetzung“) Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen.“

 

10        In Anhang I („Geschäftspraktiken, die unter allen Umständen als unlauter gelten“) der Richtlinie 2005/29 werden aufgeführt:

„Irreführende Geschäftspraktiken

5. Aufforderung zum Kauf von Produkten zu einem bestimmten Preis, ohne dass darüber aufgeklärt wird, dass der Gewerbetreibende hinreichende Gründe für die Annahme hat, dass er nicht in der Lage sein wird, dieses oder ein gleichwertiges Produkt zu dem genannten Preis für einen Zeitraum und in einer Menge zur Lieferung bereitzustellen oder durch einen anderen Gewerbetreibenden bereitstellen zu lassen, wie es in Bezug auf das Produkt, den Umfang der für das Produkt eingesetzten Werbung und den Angebotspreis angemessen wäre (Lockangebote).

6. Aufforderung zum Kauf von Produkten zu einem bestimmten Preis und dann

c) Vorführung eines fehlerhaften Exemplars

in der Absicht, stattdessen ein anderes Produkt abzusetzen (‚[B]ait-and-switch‘-Technik).“

 

Schwedisches Recht

11        § 5 des Marknadsföringslag (2008:486) (Gesetz über Absatzförderung [2008:486]), mit dem die Richtlinie 2005/29 in schwedisches Recht umgesetzt wurde, bestimmt, dass „Absatzförderung … mit den guten Marktgepflogenheiten im Einklang stehen [muss]“.

 

12        § 6 dieses Gesetzes sieht vor:

„Absatzförderung, die den guten Marktgepflogenheiten im Sinne von § 5 zuwiderläuft, ist als unlauter anzusehen, wenn sie die Fähigkeit des Adressaten, eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, spürbar beeinträchtigt oder wahrscheinlich beeinträchtigt.“

 

13        § 8 des Gesetzes lautet:

„Eine im Sinne einer der Bestimmungen der §§ 9, 10 oder 12 bis 17 irreführende Absatzförderung ist als unlauter anzusehen, wenn sie die Fähigkeit des Adressaten, eine informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen, spürbar beeinträchtigt oder wahrscheinlich beeinträchtigt.

Irreführende Absatzförderung, wie sie in Anhang I Nrn. 1 bis 23 der Richtlinie 2005/29/EG genannt ist, ist stets als unlauter anzusehen.“

 

14        In § 9 des Gesetzes heißt es:

„Jede Absatzförderung ist so zu gestalten und zu präsentieren, dass daraus deutlich hervorgeht, dass es sich um Absatzförderung handelt.

Sie muss auch deutlich erkennen lassen, wer für die Absatzförderung verantwortlich ist. …“

 

15        § 10 des Gesetzes über Absatzförderung sieht vor:

„Maßnahmen zur Absatzförderung eines Gewerbetreibenden dürfen keine falschen Angaben oder irreführenden Darstellungen über seine Tätigkeiten oder die eines anderen Gewerbetreibenden enthalten.

Absatz 1 gilt insbesondere für Darstellungen in Bezug auf

1. das Vorhandensein, die Art, die Menge, die Qualität und andere wesentliche Merkmale des Produkts,

4. den Preis, die Grundlagen der Preisberechnung, besondere Preisvorteile und Zahlungsbedingungen für das Produkt,

Ein Gewerbetreibender darf in den Maßnahmen zur Absatzförderung seiner eigenen gewerblichen Tätigkeit oder der eines anderen auch keine wesentlichen Informationen vorenthalten. Um irreführende Auslassungen handelt es sich auch, wenn wesentliche Informationen auf eine unklare, unverständliche, zweideutige oder andere unangemessene Weise gegeben werden.“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16        Guldbrev ist eine Kapitalgesellschaft nach schwedischem Recht, deren Tätigkeit darin besteht, online den Wert von Gold zu ermitteln und dieses Verbrauchern abzukaufen. Da die Gesellschaft über keine Ladenlokale verfügt, erfolgt die Wertermittlung des von den Verbrauchern übersandten Goldes anhand seines Karatwerts und seines Gewichts. Akzeptiert der Verbraucher den von der Gesellschaft als Gegenleistung angebotenen Betrag, wird das Geschäft durchgeführt.

 

17        Da der KO der Auffassung war, dass bestimmte Werbemaßnahmen von Guldbrev auf ihren Websites, in den sozialen Netzwerken und in den an Verbraucher gesandten Schreiben irreführend und unlauter seien, rief er den Patent- och marknadsdomstol (Patent- und Marktgericht, Schweden) an, damit Guldbrev derartige Maßnahmen untersagt würden und sie verpflichtet werde, gegenüber den Verbrauchern bestimmte Angaben zu machen.

 

18        Zur Begründung dieser Anträge führte der KO zunächst aus, dass das Bewerben des Goldpreises ein Lockangebot darstelle und darauf abziele, stattdessen ein anderes Produkt abzusetzen („Bait-and-switch“-Technik), was gegen mehrere Bestimmungen von Anhang I der Richtlinie 2005/29 verstoße. Guldbrev habe ferner Werbung auf den Websites nicht hinreichend deutlich gekennzeichnet und nicht klargestellt, dass die Anzeigen von ihr stammten. Schließlich seien die von der Gesellschaft angegebenen Höchstpreise angesichts der Anforderungen, die sie an die Verbraucher stellten, unangemessen, unvorhersehbar oder unmöglich zu erhalten. Dies beeinträchtige die Fähigkeit der Verbraucher, eine informierte Entscheidung zur treffen.

 

19        Guldbrev trat den Anträgen des KO entgegen und machte im Wesentlichen geltend, dass der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens keine Anhaltspunkte für eine Anwendbarkeit der Richtlinie 2005/29 oder des Gesetzes über Absatzförderung enthalte, da die in Rede stehenden Handlungen Ankaufsdienstleistungen beträfen. Jedenfalls sei die beanstandete Werbung weder irreführend noch unlauter, und der Verbraucher verfüge über hinreichende Informationen darüber, wie die Preisfestsetzung erfolge.

 

20        Mit Urteil vom 25. März 2022 untersagte der Patent- och marknadsdomstol (Patent- und Marktgericht) Guldbrev unter Androhung eines Ordnungsgelds, mit ihrer Werbetätigkeit fortzufahren, und gab dieser Gesellschaft auf, bestimmte Angaben in ihre Werbung aufzunehmen. Das Gericht vertrat nämlich die Auffassung, dass die sich auf die Wertermittlung und den Ankauf von Gold beziehenden Tätigkeiten dieser Gesellschaft Geschäftspraktiken seien, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 fielen, und entschied demnach, dass bestimmte Werbemaßnahmen nicht den Anforderungen des Gesetzes über Absatzförderung entsprächen, mit dem diese Richtlinie in schwedisches Recht umgesetzt worden sei.

 

21        Guldbrev legte gegen Teile dieses Urteils Berufung beim Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht für Svealand als Patent- und Marktobergericht, Schweden), dem vorlegenden Gericht, ein.

 

22        Dieses Gericht weist insoweit darauf hin, dass aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 2 Buchst. c und d sowie zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 davon ausgegangen werden könne, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Werbemaßnahmen ihrem eigentlichen Wesen nach – unter der Voraussetzung, dass sie ein Produkt im Sinne der Richtlinie beträfen – eine Geschäftspraxis im Sinne dieser Richtlinie darstellen könnten. Allerdings stellt das vorlegende Gericht auch fest, dass sich der Gerichtshof noch nicht zu der Frage geäußert habe, ob das Angebot eines Gewerbetreibenden, wie es im vorliegenden Fall in Rede stehe, ein Produkt im Sinne der Richtlinie betreffe. Anhand einer Beantwortung dieser Frage lasse sich indessen bestimmen, ob die Vorschriften des nationalen Rechts im Licht der in dieser Richtlinie vorgesehenen materiell-rechtlichen Vorschriften auszulegen seien.

 

23        Unter diesen Umständen hat das Svea hovrätt, Patent- och marknadsöverdomstolen (Berufungsgericht für Svealand als Patent- und Marktobergericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Stellt die Wertermittlung von Gold und dessen Ankauf von Verbrauchern in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ein Produkt (Kopplungsprodukt) im Sinne von Art. 2 Buchst. c, d und i sowie Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 dar?

2. Falls die Frage 1 verneint wird, stellt die Wertermittlung von Gold in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ein Produkt im Sinne der Richtlinie 2005/29 dar?

 

Zur Beantwortung der Fragen

Zur ersten Frage

24        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Buchst. c, d und i sowie Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen sind, dass die von einem Gewerbetreibenden für einen Verbraucher erbrachte Dienstleistung, mit der der Wert einer Ware ermittelt wird, bevor sie diesem Verbraucher abgekauft wird, wobei der Ankauf davon abhängig gemacht wird, dass der infolge der Wertermittlung festgesetzte Preis akzeptiert wird, zusammen mit diesem Ankauf ein „Produkt“ im Sinne dieser Bestimmungen darstellt.

 

25        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht, wie sich dem Vorabentscheidungsersuchen entnehmen lässt, diese Frage stellt, um zu klären, ob die Richtlinie 2005/29 unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, wenn also ein Gewerbetreibender von einem Verbraucher Gold kauft und hierfür zwei geschäftliche Handlungen zu einem einzigen kommerziellen Angebot verbindet, nämlich die Dienstleistung der Wertermittlung dieser Ware und deren Ankauf bei diesem Verbraucher. Insbesondere geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens nur dann bereit ist, dem Verbraucher Gold abzukaufen, wenn dieser die von ihr zur Bestimmung der Qualität und des Ankaufspreises für das Gold erbrachte Dienstleistung der Wertermittlung akzeptiert. Dieser Ankaufspreis wird also zum Zeitpunkt der Wertermittlung bestimmt und ist für den Verbraucher verbindlich, wenn er das Geschäft abschließen möchte.

 

26        Die Guldbrev im Rahmen des Ausgangsverfahrens zur Last gelegten Handlungen bestehen u. a. in bestimmten den Goldpreis betreffenden Werbemaßnahmen, die nach Auffassung des KO „irreführende Geschäftspraktiken“ im Sinne von Anhang I Nr. 5 und Nr. 6 Buchst. c der Richtlinie 2005/29 darstellen. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts können die Werbemaßnahmen tatsächlich „Geschäftspraktiken“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d und Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie darstellen und daher in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, sofern jedenfalls die Dienstleistung der Ermittlung des Goldwerts und der Goldankauf zum so ermittelten Preis zusammen als ein „Produkt“ im Sinne dieser beiden Bestimmungen angesehen werden können.

 

27        Die Richtlinie 2005/29 gilt gemäß ihrem Art. 3 Abs. 1 für unlautere Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 5 dieser Richtlinie von Unternehmen gegenüber Verbrauchern, und zwar vor, während und nach Abschluss eines auf ein Produkt bezogenen Handelsgeschäfts. Art. 5 verbietet zwar unlautere Geschäftspraktiken und nennt die Kriterien, anhand deren bestimmt werden kann, ob eine Praxis unlauter ist, doch ob Handlungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Werbemaßnahmen als eine solche Praxis einzustufen sind, ist nicht Gegenstand der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen.

 

28        Was dagegen die anderen vom vorlegenden Gericht in der ersten Frage angeführten Bestimmungen betrifft, so definiert Art. 2 der Richtlinie 2005/29 in seinen Buchst. c, d und i den Begriff „Produkt“ als „jede Ware oder Dienstleistung, einschließlich Immobilien, Rechte und Verpflichtungen“, den Begriff „Geschäftspraktiken im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt,“ und den Begriff „Aufforderung zum Kauf“ als „jede kommerzielle Kommunikation, die die Merkmale des Produkts und den Preis in einer Weise angibt, die den Mitteln der verwendeten kommerziellen Kommunikation angemessen ist und den Verbraucher dadurch in die Lage versetzt, einen Kauf zu tätigen“.

 

29        Folglich muss eine Handlung, damit sie als „Geschäftspraktik“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 eingestuft werden und damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen kann, unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juli 2019, Kirschstein, C‑393/17, EU:C:2019:563, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

30        Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Ermittlung des Goldwerts um ein Produkt, das im Sinne dieser Vorschriften „an Verbraucher [geliefert]“ wird, während der Ankauf von Gold dem Verkauf einer Ware durch einen Verbraucher an einen Gewerbetreibenden entspricht. Somit könnten Werbemaßnahmen, die unmittelbar mit dem Goldankauf, aber nicht mit der Ermittlung des Wertes dieser Ware zusammenhängen, nur in dem von diesem Gericht in seiner Frage geschilderten Fall als „Geschäftspraktiken“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 angesehen werden, also wenn die Dienstleistung der Wertermittlung und der Ankauf zusammen als ein im Sinne dieser Vorschriften an die Verbraucher geliefertes „Produkt“ angesehen werden können.

 

31        Überdies ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 den Begriff der „Geschäftspraxis“ mit einer besonders weiten Formulierung definiert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, VTB-VAB und Galatea, C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2009:244, Rn. 49). Insoweit besteht das einzige in dieser Bestimmung genannte Kriterium darin, dass die Praxis des Gewerbetreibenden mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung einer Ware oder einer Dienstleistung an Verbraucher in unmittelbarem Zusammenhang stehen muss (Urteile vom 19. September 2013, CHS Tour Services, C‑435/11, EU:C:2013:574, Rn. 27, und vom 16. April 2015, UPC Magyarország, C‑388/13, EU:C:2015:225, Rn. 35).

 

32        Insbesondere was Kopplungsangebote anbelangt, die auf der Kopplung von mindestens zwei unterschiedlichen Produkten oder Dienstleistungen in einem einzigen Angebot beruhen, so hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass sie geschäftliche Handlungen sind, die sich eindeutig in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines Gewerbetreibenden einfügen und unmittelbar mit der Absatzförderung und dem Verkauf zusammenhängen. Sie stellen daher Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 dar und fallen damit in deren Anwendungsbereich (Urteile vom 23. April 2009, VTB-VAB und Galatea, C‑261/07 und C‑299/07, EU:C:2009:244, Rn. 50, sowie vom 7. September 2016, Deroo-Blanquart, C‑310/15, EU:C:2016:633, Rn. 28).

 

33        Da im vorliegenden Fall der Gewerbetreibende dem Verbraucher eine in der Ermittlung des Goldwerts bestehende Dienstleistung anbietet und diese zugleich mit dem Ankauf dieser Ware – unter der Voraussetzung, dass der infolge der Wertermittlung bestimmte Preis akzeptiert wird – verbindet, kann er nur in Gestalt einer Mitteilung zur Förderung des Absatzes der Wertermittlungsdienstleistung im Sinne der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung einer Geschäftspraxis nachgehen.

 

34        Was diesen letzten Aspekt betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, und zwar nach Maßgabe des Wortlauts der Vorschrift, ihres systematischen Zusammenhangs und der Ziele der Regelung, zu der sie gehört (Urteil vom 24. Oktober 2024, Kwantum Nederland und Kwantum België, C‑227/23, EU:C:2024:914, Rn. 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

35        Was erstens den Wortlaut der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorschriften betrifft, so steht die in Rn. 28 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Definition des Begriffs „Produkt“ dem nicht entgegen, dass bei einem Kopplungsangebot, das – wie im vorliegenden Fall – auf der Kopplung von mindestens zwei verschiedenen Produkten oder Dienstleistungen zu einem einzigen einem Verbraucher von einem Gewerbetreibenden unterbreiteten Angebot beruht, davon auszugehen ist, dass es unter diesen Begriff fällt. Was die in Rn. 28 wiedergegebenen übrigen Bestimmungen angeht, in deren Definitionen der Begriff „Produkt“ Eingang gefunden hat, so legt ihr Wortlaut ebenso wenig nahe, dass ein solches Angebot nicht unter diesen Begriff fallen könnte.

 

36        Was zweitens den systematischen Zusammenhang, in dem die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen stehen, und die Ziele anbelangt, die mit der Regelung, zu der sie gehören, verfolgt werden, so ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, dass die Richtlinie 2005/29 sich durch einen besonders weiten sachlichen Anwendungsbereich auszeichnet (Urteil vom 16. April 2015, UPC Magyarország, C‑388/13, EU:C:2015:225, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

37        Durch diesen besonders weiten Anwendungsbereich kann die volle Wirksamkeit der Richtlinie 2005/29 sichergestellt werden, indem gewährleistet wird, dass entsprechend dem in Art. 1 der Richtlinie genannten Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, die unlauteren Geschäftspraktiken gemäß der Vorgabe in Art. 11 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie „im Interesse der Verbraucher“ wirksam bekämpft werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2013, Trento Sviluppo und Centrale Adriatica, C‑281/12, EU:C:2013:859, Rn. 32).

 

38        Das mit der Richtlinie 2005/29 verfolgte Ziel, die Verbraucher umfassend vor unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen, beruht auf dem Umstand, dass sich ein Verbraucher im Vergleich zu einem Gewerbetreibenden insbesondere hinsichtlich des Informationsniveaus in einer unterlegenen Position befindet, da er als wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren als sein Vertragspartner angesehen werden muss. Die Bestimmungen dieser Richtlinie sind daher im Wesentlichen aus der Sicht des Verbrauchers als des Adressaten und Opfers unlauterer Geschäftspraktiken konzipiert (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, C‑59/12, EU:C:2013:634, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

39        Unter diesen Umständen ist anzunehmen, dass die Dienstleistung der Wertermittlung und der Ankauf von Gold aufgrund des zwischen ihnen bestehenden untrennbaren Zusammenhangs, wie er sich aus den Ausführungen in Rn. 25 des vorliegenden Urteils ergibt, zusammen ein „Produkt“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c, d und i sowie Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 darstellen, so dass Handlungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Werbemaßnahmen als „Geschäftspraktiken“ im Sinne von Art. 2 Buchst. d und Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie eingestuft werden und daher in deren Anwendungsbereich fallen können.

 

40        Angesichts der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. c, d und i sowie Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29 dahin auszulegen sind, dass die von einem Gewerbetreibenden für einen Verbraucher erbrachte Dienstleistung, mit der der Wert einer Ware ermittelt wird, bevor sie diesem Verbraucher abgekauft wird, wobei der Ankauf davon abhängig gemacht wird, dass der infolge der Wertermittlung festgesetzte Preis akzeptiert wird, zusammen mit diesem Ankauf ein „Produkt“ im Sinne dieser Bestimmungen darstellt, so dass die Maßnahmen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Bewerbung dieses Produkts bei den Verbrauchern in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.

 

Zur zweiten Frage

41        Die zweite Frage wurde nur für den Fall gestellt, dass der Gerichtshof die erste Frage verneint. Wie in der vorstehenden Randnummer dargelegt, ist die erste Frage jedoch zu bejahen.

 

42        Daher bedarf es keiner Beantwortung der zweiten Frage.

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