R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Wirtschaftsrecht
16.01.2012
Wirtschaftsrecht
OLG München: Zum Aktienverkauf bei nach US-Recht für wertlos erklärten Aktien

OLG München, Urteil vom 30.11.2011 - 7 U 330/11

Leitsatz

Beim Aktienverkauf, der für beide Vertragspartner Spekulationscharakter hat, verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung, dass den Schuldner bis zur Erfüllung die Gefahr des Untergangs oder der Nichtlieferbarkeit der Kaufsache wegen nach US-Recht für wertlos erklärter Aktien trifft.

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Kaufpreiszahlung aus Verträgen für Wertpapiere des amerikanischen Unternehmens U. A. und S. G.

In der Zeit vom 20.01.2006 bis zuletzt 03.02.2006 schlossen die Parteien Kaufverträge über Wertpapiere der U. A. im Gesamtwert von 119.321,43 €. Daneben schlossen die Parteien am 17.10. und am 18.10.2006 Kaufgeschäfte über Wertpapiere der S. G. im Gesamtwert von 8.342,10 €. Diese Beträge bezahlte die Beklagte nicht, nachdem die Klägerin die Wertpapiere nicht aushändigen kann, sondern als Gegenleistung ein in den USA übliches Liefersurrogat, einen Letter of Indemnity (LoI) anbot, was die Beklagte ablehnte.

Zum Zeitpunkt der Platzierung der Kauforder betreffend die Wertpapiere von U. A. befand sich die Fluggesellschaft U. A. seit dem 09.12.2002 in einem sogenannten Restrukturierungsverfahren nach Chapter 11. Am 20.01.2006 wurde durch das Insolvenzgericht Northern District of Illinois Eastern Divisions (vgl. Bl. 5 d.A.) der Restrukturierungsplan bestätigt und damit die Annullierung der Ansprüche und Rechte aus den Aktien. Die Wertloserklärung nach der Entscheidung des District Court wurde am 02.02.2006 von den Wertpapiermitteilungen (WM) veröffentlicht und die deutschen Börsen stellten den Handel mit diesen Wertpapieren ein. Ein Handel war seitdem nicht mehr möglich.

Hinsichtlich der Wertpapiere betreffend das Unternehmen S. G. war es ähnlich. Am 08.05.2006 beantragte das Unternehmen in den USA Gläubigerschutz nach Chapter 11. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts Southern District of New York vom 19.09.2006 wurde der Reorganisationsplan gerichtlich bestätigt. Die Wertloserklärung wurde am 23.10.2006 von den Wertpapiermitteilungen veröffentlicht. Die deutschen Börsen stellten den Handel mit diesen Wertpapieren ein.

Das Erstgericht hat die Klage abgewiesen. Nachdem es für die Klägerin unmöglich sei, die gekauften streitgegenständlichen Wertpapiere zu liefern, werde die Beklagte  gemäß §§ 320, 326 Abs. 1 Satz 1, 275 Abs. 1 BGB von ihrer Zahlungspflicht frei.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des Ersturteils (dort unter Ziffer II.) Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Klägerin.

Sie ist der Auffassung, auf Grund des Umstands, dass für beide Parteien die Spekulation mit entsprechenden Wertsteigerungen im Vordergrund stand, sowie der Entmaterialisierung des Wertpapierhandels sei es bei Aktienkäufen dieser Art im Rahmen einer konkludenten Vertragsauslegung in der Sache angemessen, den Zeitpunkt des Gefahrenübergangs bereits auf den Kaufvertragsabschluss vorzuverlagern. Jedenfalls hätten sich die Parteien in Kenntnis dieser möglichen Sachverhaltsentwicklung auf die Lieferung eines LoI als Erfüllungssurrogat verständigt. Das Bestehen der Beklagten auf Lieferung eines wertlosen Papiers sei zudem treuwidrig.

Schließlich seien die Fälle der objektiven Unmöglichkeit durch die Börsenregularien (§§ 13 bis 16 GB DFWB a.F.) verdrängt.

Die Klägerin beantragt daher das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin  127.663,53 € nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen der eingetretenen Unmöglichkeit sei sie nicht zur Zahlung verpflichtet. Die Börsenregularien beträfen lediglich die Fälle der Zahlungsverzögerung, nicht hingegen die Fälle der Unmöglichkeit.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird im Übrigen Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2011.

Aus den Gründen

II. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Erstgericht hat zutreffend die Klage abgewiesen.

Auf die zutreffenden Gründe des Ersturteils (dort unter Ziffer II. )wird  Bezug genommen.

Ergänzend wird ausgeführt:

Da es für die Klägerin unmöglich ist, die gekauften streitgegenständlichen Wertpapiere zu liefern, wird die Beklagte gemäß §§ 320, 326 Abs. 1 Satz 1, 275 Abs. 1 BGB von ihrer Zahlungspflicht frei.

Nachdem die streitgegenständlichen Aktien für wertlos erklärt und der Handel eingestellt worden war, war der Klägerin die Lieferung der Aktien unmöglich. Gemäß § 275 Abs. 1 BGB ist die Klägerin hierdurch von ihrer Leistungspflicht frei, ebenso wie die Beklagte nach §§ 275 Abs. 4, 326 Abs. 1 Satz 1 BGB von ihrer Pflicht zur Kaufpreiszahlung.

Ein Ausnahmefall vom Erlöschen des Kaufpreisanspruches liegt nicht vor. Die Beklagte ist weder für den Umstand der Nichtlieferbarkeit der Aktien verantwortlich gemäß § 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BGB, noch befand sie sich zum Zeitpunkt des Eintritts der Unmöglichkeit in Annahmeverzug,     §§ 326 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, 446 Satz 3 BGB, noch sind die Aktien vor dem Eintritt der Unmöglichkeit übergeben worden, § 446 Satz 1 BGB.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beklagte auch nicht verpflichtet, den klägerseits angebotenen LoI als Erfüllungssurrogat gemäß § 285 Abs. 1 BGB  anzunehmen. § 285 Abs. 1 BGB überlässt dem Gläubiger ausdrücklich die Wahl, ob er einen erlangten Ersatz beansprucht oder nicht, er ist jedenfalls hierzu nicht verpflichtet.

Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob es sich bei dem LoI überhaupt um einen Ersatz oder Ersatzanspruch handelt, welchen der Schuldner in Folge der Unmöglichkeit für den geschuldeten Gegenstand erlangt hat (§ 285 Abs. 1 BGB), oder ob es sich um einen vom Wertpapierverkäufer selbst erschaffenen Ersatz handelt (vgl. dazu Fleckner WM 2009, 2064, 2068).

Für die Behauptung der Klägerin, die Parteien hätten sich in Kenntnis dieser möglichen Sachverhaltsentwicklung auf die Lieferung eines LoI als Erfüllungssurrogat verständigt, fehlen jegliche hinreichenden Anhaltspunkte.

Immerhin handelte es sich für beide Parteien um ein Spekulationsgeschäft. Auch verbietet es  die erforderliche Klarheit im Aktienhandel, das Liefern von Surrogationspapieren schlechthin zuzulassen.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, das Bestehen der Beklagten auf Lieferung eines wertlosen Papiers sei  gemäß § 242 BGB treuwidrig, die Gefahr der Nichtlieferbarkeit der Aktien wegen Wertloserklärung müsse entgegen der gesetzlichen Regelung bereits auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorverlagert werden. Die Klägerin verkennt, dass es  hier für beide Parteien ein Spekulationsgeschäft war, damit auch beide Parteien mit dem gleichen Interesse und Risiko das Geschäft abgeschlossen haben und somit auch beiden Parteien bei Eingehen des Rechtsgeschäfts jeweils bewußt war, dass die Papiere wertlos werden können.

Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es bei  Anwendung der gesetzlichen Risikoverteilung auf das hier streitgegenständliche Wertpapiergeschäft der Parteien, d.h. die Gefahr des Untergangs oder der Nichtlieferbarkeit der Kaufsache  bis zur Erfüllung beim Schuldner zu belassen, zu nicht hinnehmbaren, vom Gesetzgeber nicht bedachten Wertungswidersprüchen führen würde.

Eine Vorverlagerung des Gefahrübergangs bereits auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses würde sogar für den Verkäufer bei Wertpapieren, bei denen eine Wertloserklärung unmittelbar bevorsteht, einen erhöhten Anreiz schaffen, die Wertpapiere mehrfach oder "leer" (sogenannte Leerverkäufe) zu verkaufen.

Es kommt auch nicht auf die klägerseits behauptete Entmaterialisierung des Aktienrechts, namentlich im amerikanischen Bereich, und auch nicht darauf an, dass die Buchungen in den Depots "contractual" und nicht "actual" erfolgen. Allein der Verkauf von amerikanischen Aktien führt hier noch nicht zu einer Derogation des allgemeinen deutschen Schuldrechts. Die durch den Kaufvertrag begründete Verpflichtung zur Übertragung des Wertpapiers ist nach wie vor dadurch zu erfüllen, dass dem Käufer die dingliche Rechtszuständigkeit an dem Wertpapier verschafft wird. Buchungen als solche, gleich in welchem Konto oder Depot, haben nur abbildenden Charakter und ersetzen deshalb weder das Rechtsgeschäft noch dessen Erfüllung.

Die "Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse" ( GB DFWB a.F.,vgl. Anlage K 7, dort insbesondere §§ 16, 16 a) gehen hier nicht als vorrangige Vorschriften vor, da sie lediglich den Zustand bei nicht rechtzeitiger Erfüllung regeln, nicht jedoch, wie vorliegend,  bei Unmöglichkeit der Erfüllung. Die Börsenregularien sehen gemäß § 16 a die Durchführung des Zwangsregulierungsverfahrens vor, das auf eine Übertragung der gekauften Wertpapiere gerichtet ist. Eine unmögliche Leistung kann jedoch nicht durch Zwang herbeigeführt werden, das Verfahren würde daher insoweit ins Leere laufen. Bereits hieraus ergibt sich, dass die Regularien die Fälle der Unmöglichkeit nicht betreffen.

Die Beklagte wurde daher gemäß § 326 Abs. 1 BGB von ihrer Kaufpreiszahlungspflicht kraft Gesetzes frei, da die Klägerin die georderten Wertpapiere nicht liefern kann.

Die Berufung der Klägerin war  als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) kommt einer Rechtssache nicht bereits deshalb zu, weil bislang keine Entscheidung des Revisionsgerichts zu der Frage vorliegt. Grundsätzlichkeit ist nur gegeben, wenn eine Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und die deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, wobei insbesondere erforderlich ist, dass die betreffende Rechtsfrage in einem gewissen Umfang umstritten ist.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht dargetan und liegen auch nicht vor. Es handelt sich um die Abwicklung eines Wertpapiergeschäfts auf Grund der zwischen den Parteien vereinbarten Vertragslage. Der Fall hat singulären Charakter. Dem Senat ist bislang lediglich der vergleichbare,  vom LG Frankfurt bereits entschiedene Fall (Urteil vom 30.11.2010, AZ: 3/9 O 43/10, NZG 2011, 436, Sprungrevision  wurde vom BGH nicht angenommen) bekannt.

Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) erforderlich. Das ist nur der Fall, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen und hieran ein abstraktes Interesse besteht, wenn es also für die rechtliche Beurteilung typischer oder verallgemeinerungsfähiger Lebenssachverhalte an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt. Auch dies liegt wegen des singulären Charakters nicht vor.

Da es abweichende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Oberlandesgerichts nicht gibt, liegt auch ein Fall des § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO nicht vor.   

stats