AGH NRW: Zulassung einer im Personalbereich tätigen Rechtsanwältin als Syndikusrechtsanwältin
AGH NRW, Urteill vom 9.5.2017 – 1 AGH 28/16
ECLI:DE:AWGHNRW:2017:0519.1AGH28.16.00
Volltext: BB-ONLINE BBL2017-2049-3
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Leitsätze
Eine im als "Director Corporate Development" bei einem Softwareunternehmen tätige Volljuristin kann aufgrund eines rechtlichen Schwerpunktes ihrer Tätigkeit als Syndikusrechtsanwältin zuzulassen sein.
§§ 46, 46a BRAO
Sachverhalt
Die am ##.##.1968 geborene Beigeladene ist seit dem 02.07.1997 im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Per Anstellungsvertrag vom 06.07.2012 ist die Beigeladene bei der W GmbH in B unter der Berufsbezeichnung „Director Corporate Development/HR“ beschäftigt.
Die Beigeladene ist Mitglied des Versorgungswerks der Rechtsanwälte im Land NRW. Aufgrund ihrer früheren beruflichen Tätigkeit war die Beigeladene durch Bescheid der Klägerin vom 22.09.1997 rückwirkend ab dem 16.07.1997 von der Versicherungspflicht in der allgemeinen Rentenversicherung befreit worden. Unter dem 27.02.2015 beantragte die Beigeladene bei der Klägerin festzustellen, dass sich die Befreiung auch auf die jetzige Tätigkeit bei der W GmbH erstreckt. Diesen Antrag wies die Klägerin zurück.
Mit dem am 28.01.2016 bei der Beklagten eingegangenen Antrag stellte die Beigeladene sodann einen Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwältin für ihre Tätigkeit bei der W GmbH. Dem Antrag beigefügt waren der Anstellungsvertrag vom 06.07.2012 nebst Tätigkeitsbeschreibung vom 04.01.2016. Ferner überreichte die Beigeladene eine Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 08.04.2016.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 15.04.2016 dem Antrag der Beigeladenen nach Anhörung der Klägerin entsprochen und die sofortige Vollziehung des Bescheids angeordnet.
Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, die Beigeladene übe eine fachlich unabhängige und eigenverantwortliche Tätigkeit aus, die den Anforderungen des § 46 Abs.3 Nr.1 – 4 BRAO entspreche. Dies ergebe sich aus dem Anstellungsvertrag, seiner Ergänzung und der Tätigkeitsbeschreibung vom 04.01.2016. Die Tätigkeit der Beigeladenen beinhalte prägend die Prüfung von Rechtsfragen, einschließlich der Aufklärung des Sachverhaltes sowie das Erarbeiten und Bewerten von Lösungsmöglichkeiten. Ihre Tätigkeit umfasse die Erstellung von Gutachten zu Arbeitszeitmodellen, zu Fragen der Mitbestimmung von Betriebsräten und Arbeitnehmervertretern, die Prüfung von Scheinselbstständigkeit und Angestelltenverhältnis, von Arbeitsschutz, die Prüfung der steuerliche Behandlung von Mitarbeitern, die im Ausland wohnen, die arbeitsrechtliche Gestaltung im agilen Arbeitsumfeld und die Mitbestimmung im Leistungsmanagement. Die Beigeladene erteile Rechtsrat, indem sie Führungskräfte bezüglich Bewerbungsverfahren und Fragerecht nach Vorstellungsgesprächen und Auswahlverfahren sowie die Geschäftsführung und Führungskräfte bei der Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen, in disziplinarischen arbeitsrechtlichen Fragestellungen sowie in der Gestaltung von Arbeitszeitmodellen berate. Ihre Tätigkeit sei auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen, insbesondere durch das selbständige Führen von Verhandlungen, und die Verwirklichung von Rechten ausgerichtet. Die Beigeladene sei verantwortlich für AGG-konforme Ausschreibungen von Stellen und Einstellungen von Mitarbeitern, Vertragsverhandlungen mit selbigen, für das Aufsetzen und Gestalten der Arbeits- und Beraterverträge. Sie erstelle die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ihr obliege die Durchführung disziplinarischer und arbeitsrechtlicher Maßnahmen. Die Beigeladene habe die Befugnis nach außen verantwortlich für ihre Arbeitgeberin aufzutreten, sie vertrete die W GmbH vor dem Arbeitsgericht und auch im Übrigen vor Gerichten und Behörden.
Die Klägerin hat gegen den am 22.04.2016 zugestellten Zulassungsbescheid fristgerecht Anfechtungsklage erhoben und gem. § 80 Abs.5 VwGO die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Tätigkeit der Beigeladenen nicht den Anforderungen des § 46 Abs.2 – 5 BRAO entspreche. Ob die Voraussetzungen für die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin vorlägen, sei nach der Gesamttätigkeit der Beigeladenen zu beurteilen. Danach könne nicht festgestellt werden, dass die anwaltliche Tätigkeit das Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen präge und mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit in Anspruch nehme. Die Klägerin führt dazu aus, dass der Beigeladenen im Schwerpunkt keine anwaltlichen, sondern organisatorische, verwaltende und strategische Aufgaben der Personal- und Unternehmensentwicklung oblägen. Der von der Klägerin beschriebene anwaltliche Teil der Aufgaben könne keinen wesentlichen Raum beanspruchen, da das Unternehmen über lediglich 150 Mitarbeiter verfüge. Dass der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit tatsächlich auf der Unternehmensentwicklung liege, ergebe sich außerdem aus verschiedenen Veröffentlichungen ihrer Arbeitgeberin aus den Jahren 2015 und 2016, in denen die Beigeladene ihre Kompetenz im Personalführungs- und –entwicklungsbereich präsentiere. Arbeitsrechtliche Kompetenzen der Beigeladenen spielten nur am Rande eine Rolle.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zurückgenommen.
Die Klägerin beantragt nunmehr noch,
den Bescheid der Beklagten vom 15.04.2016 aufzuheben;
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt im Einzelnen den von ihr erlassenen Bescheid.
Der Senat hat die Beteiligten persönlich gehört und Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen H und Q. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 28.10.2016 und 19.05.2017 Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Personalakte der Beklagten (MitgliedsNr.: #####) und die Verwaltungsakte der Klägerin (Nr.:## ###### R ###) verwiesen.
Aus den Gründen
Die zulässige Anfechtungsklage hat keinen Erfolg.
1. Der Bescheid vom 15.04.2016 ist rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Beigeladenen als Syndikusrechtsanwältin gem. §§ 46 a Abs.1, 46 Abs.2 – 5 BRAO liegen vor. Das Arbeitsverhältnis der Beigeladenen ist durch eine fachlich unabhängige und eigenverantwortlich ausgeübte anwaltliche Tätigkeit, die den Merkmalen des § 46 Abs.3 Nr.1 – 4 BRAO entspricht, geprägt.
a) Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf den Anstellungsvertrag vom 06.07.2012 sowie unter Hinweis auf die aktuelle Homepage der W GmbH und der Präsentation der Beigeladenen im Internet geltend macht, der Beigeladenen oblägen im Wesentlichen organisatorische, verwaltende und strategische Aufgaben aus den Bereichen Unternehmens- und Personalentwicklung, während anwaltliche Aufgaben allenfalls einen geringen Teil der Tätigkeit ausmachten, dringt sie im Ergebnis mit diesem Einwand nicht durch.
Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass die Tätigkeit der Beigeladenen nach ihrem eigenen und dem Internetauftritt der W GmbH im Schwerpunkt auf den Bereich der Unternehmens- und Personalentwicklung ausgerichtet scheint. Nach der Vertragsergänzung vom 08.04.2016 ist die Beigeladene als Director Corporative Development/HR tätig. Sowohl die Homepage der Beigeladenen als auch die der W GmbH enthalten Verweise auf Veröffentlichungen der Beigeladenen aus dem Themenbereich der Personal- und Unternehmensentwicklung; ferner ist die Beigeladene als Interviewpartnerin aufgetreten und hat zu den vorgenannten Themen referiert. Die Artikel sind wie folgt überschrieben: „Agilität als Organisationsform“, „Collaborative HR – Führung konkret – Neue Arbeitswelt: Neue Performanceanforderungen“, „Der Weg zur Collaborative Company – so könnte man es machen“, (Interview in „Competence Book“), „Ohne Dampf keine Leistung“. In diesen Beiträgen nimmt die Beigeladene Bezug auf eigene Erfahrung hinsichtlich des Umbaus traditionell hierarchisch geführter Unternehmen hin zu „Collaborative Companies“. Am Ende der Beiträge folgt jeweils der Hinweis darauf, dass die Beigeladene sich mit den Themen Performance, Führung und Motivation von Menschen befasse.
Die Anhörung der Beigeladenen und die Beweisaufnahme hat indes ergeben, dass die Gestaltung der Internetauftritte der Beigeladenen und ihrer Arbeitsgeberin der Werbewirksamkeit und der Außenwirkung geschuldet ist. Den tatsächlich prägenden Tätigkeitsschwerpunkt der Beigeladenen macht – wie sich auch aus der Tätigkeitsbeschreibung vom 04.01.2016 ergibt – deren fachlich unabhängige und eigenverantwortliche anwaltliche Tätigkeit i.S.d. § 46 Abs.2 – 5 BRAO für die W GmbH aus.
Die Beigeladenen erfüllt für ihre Arbeitgeberin folgende Aufgaben:
Prüfung von Rechtsfragen einschließlich der Klärung des Sachverhalts24
sowohl zu arbeitsrechtlichen und steuerrechtlichen Fragen als auch zu Fragen der Vereinbarkeit der von W GmbH entwickelten Softwareprodukte mit arbeitsrechtlichen, persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Anforderungen;
Beratung
der Geschäftsführung hinsichtlich arbeitsrechtlicher/ steuerrechtlicher Fragen und der Produktentwicklung bzgl. der Einhaltung der rechtlichen Erfordernisse;
Gestaltung von Rechtverhältnissen26
durch die Ausarbeitung von Arbeitsverträgen, Vertragsverhandlungen mit Mitarbeitern, Gestaltung von Stellenausschreibungen, Aussprechen disziplinarischer Maßnahmen (Abmahnungen/Kündigungen), Durchführung von Mediationen zur internen Konfliktlösung;
Vertretung27
der W GmbH nach außen durch die Vertretung in (arbeits)gerichtlichen und behördlichen Verfahren, durch die Vertretung gegenüber Versicherungen und anderen Unternehmen sowie durch die Befugnis für das Unternehmen Arbeitsverträgen zu schließen und zu kündigen.
Diese Aufgaben erledigt die Beigeladene eigenständig, eigenverantwortlich und fachlich unabhängig. Aus der Tätigkeitsbeschreibung ergibt sich, dass die Beigeladene keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen in fachlichen Angelegenheiten unterliegt und ihrer Arbeitgeberin eine eigenständige Analyse der Rechtslage schuldet.
Die anwaltliche Tätigkeit prägt die berufliche Tätigkeit der Beigeladenen für die W GmbH, da die Beigeladene in dieser Hinsicht mit deutlich mehr als 50 % ihrer Arbeitszeit für ihre Arbeitgeberin tätig ist. Dass der sich aus der Tätigkeitsbeschreibung vom 04.01.2016 ergebende anwaltliche Aufgabenkanon formal den Schwerpunkt der per Arbeitsvertrag vom 06.07.2012 für die W GmbH geschuldeten Tätigkeit der Beigeladenen ausmacht, ergibt sich aus der von den Geschäftsführern H und Q sowie der Beigeladenen unterzeichneten Tätigkeitsbeschreibung sowie der Vertragsergänzung vom 08.04.2016, worin klargestellt wird, dass die in der Tätigkeitsbeschreibung genannten Aufgaben Bestandteil des Arbeitsvertrags vom 12.07.2012 sind und etwa entgegenstehende Regelungen des Arbeitsvertrages ihre Wirksamkeit verloren haben.Die Anhörung der Beigeladenen und Vernehmung der Zeugen H und Q hat außerdem zur Überzeugung des Senats ergeben, dass das in der Tätigkeitsbeschreibung dargestellte Arbeitsverhältnis von den Vertragsparteien tatsächlich in dieser Form gelebt wird. Die Beigeladene hat unter dem 11.10.2016 schriftsätzlich den Inhalt ihrer 32 Wochenstunden umfassenden Tätigkeit für die W GmbH dargelegt, wobei sich ihre Ausführungen mit dem Inhalt der Tätigkeitsbeschreibung vom 04.01.2016 decken. Nach der Darstellung in dem Schriftsatz vom 11.10.2016 entfällt auf die anwaltliche Tätigkeit der Beigeladenen ein Anteil von mehr als 90 % der wöchentlichen Arbeitszeit. Mit dem schriftsätzlichen Vortrag korrespondieren die Angaben der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 28.10.2016. Die Beigeladene hatte dabei klargestellt, dass das Abfassen der im Internet zugänglichen Veröffentlichungen nur einen geringen Teil ihrer Arbeitszeit in Anspruch genommen habe, da sie die Beiträge zum Teil in ihrer Freizeit abgefasst oder Texte übernommen habe, die ihr die Presseabteilung ihrer Arbeitgeberin zur Verfügung gestellt habe.
Insbesondere aus der umfassenden Aussage des Zeugen H, Geschäftsführer der W GmbH, dessen Team die Beigeladene zugeordnet ist, ergibt sich, dass die Tätigkeit der Beigeladenen durch deren eigenverantwortlich und unabhängig ausgeübte anwaltliche Tätigkeit geprägt ist. Der Zeuge H hat angegeben, die Hauptaufgabe der Beigeladenen als alleiniger Juristin im Unternehmen sei die Bearbeitung aller im Unternehmen anfallenden rechtlichen Fragestellungen und Problemen. Der Zeuge hat ausgeführt, dass die Beigeladene diese Tätigkeit fachlich eigenverantwortlich und weisungsfrei ausübe. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge dargelegt, dass die Beigeladene generell befugt sei, Arbeitsverträge selbständig abzuschließen bzw. zu kündigen, so dass er von derartigen Vorgängen häufig erst im Nachgang erfahre. Zu den Aufgaben der Beigeladene gehöre es auch, das Unternehmen vor Gerichten zu vertreten, wobei ihr die Kompetenz obliege, zu entscheiden, ob ein Vergleich geschlossen oder das streitige Verfahren fortgesetzt werde. Ferner hat der Zeuge die Angaben der Beigeladenen dazu bestätigt, dass der Bereich der strategischen Unternehmens- und Personalentwicklung nicht Schwerpunkt ihrer Aufgabe sei. Die sich hierauf beziehenden Veröffentlichungen seien häufig vorgefertigt und würden der Beigeladenen mit dem Ziel der Außendarstellung zugeordnet. In gleicher Weise verhalte es sich mit der unternehmensinternen Berufsbezeichnung der Beigeladenen, das Unternehmen wolle sich insgesamt progressiv präsentieren. Die Angaben des Zeugen H werden durch die Aussage des Zeugen Q im Kern bestätigt, Widersprüche zwischen den Aussagen der Zeugen bzw. zwischen den Zeugenaussagen und den Angaben der Beigeladenen sind nicht erkennbar. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben der Zeugen nicht zutreffen und die Beigeladene im Schwerpunkt andere als anwaltliche Tätigkeiten wahrnimmt, sind nicht ersichtlich.
2. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 112 c BRAO, 154 Abs.1 u.3, 162 Abs.3 VwGO und §§ 167 VwGO, 708 Nr.11, 711 ZPO. Die im Verfahren unterlegene Klägerin hat auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen. Dies entspricht der Billigkeit, da die Beigeladene im Verfahren einen eigenen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl., § 162 Rn.23). Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 194 Abs.2 S.1 u. S.2 BRAO.
Ein Anlass, die Berufung nach §§ 112 c BRAO, 124 VwGO zuzulassen, besteht nicht.
Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, §§ 124 a Abs.1 S.1, 124 Abs.2 Nr.2 u. 3 VwGO, vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung. Ein Fall der Divergenz nach § 124 Abs.2 Nr.4 VwGO ist ebenfalls nicht gegeben, weil das Urteil des Senats in den tragenden Gründen nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts oder des gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht.