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Wirtschaftsrecht
31.08.2017
Wirtschaftsrecht
Anwaltsgerichtshof Hamm: Zulassung einer „Schadensachbearbeiterin“ als Syndikusrechtsanwältin

Anwaltsgerichtshof Hamm, Urteil vom 28.4.2017 – 1 AGH 63/16

ECLI:DE:AWGHNRW:2017:0428.1AGH63.16.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2017-2049-2

unter www.betriebs-berater.de

Sachverhalt

I. Die Beigeladene erhielt ihre Zulassung als Rechtsanwältin bei der Beklagten am .... Januar 2016. Am .... Januar 2016 stellte sie einen Antrag auf Zulassung als Syndikus-Rechtsanwältin bei der Beklagten, und zwar für ihre Tätigkeit bei der T Rückversicherung Direktion für Deutschland - Niederlassung der T SE, einer Rückversicherin. Sie legte ihren Arbeitsvertrag vom 20. Mai 2015 nebst Zusatzvereinbarung vom 28. Juni 2016 vor sowie eine gesonderte Tätigkeitsbeschreibung vom 21. Januar 2016 und eine Konkretisierung des Arbeitgebers vom 4. März 2016.

Danach wurde der Beigeladenen Handlungsvollmacht erteilt (Nr. 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrages), ihr wurde zugesichert, keinen allgemeinen oder konkreten Weisungen zu unterliegen sowie fachlich eigenverantwortlich zu arbeiten (Zusatzvereinbarung vom 28. Juni 2016). Nach der gegenüber der Beklagten erfolgten Konkretisierung des Arbeitgebers vom 21. Januar 2016 betreut und berät die Beigeladene neben ihrer allgemeinen Tätigkeit (Prüfung von Leistungsfällen in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht) Lebensversicherer bei der Klärung von juristischen Fragestellungen aus dem Bereich der Lebensversicherung, was die Ausgestaltung und Formulierung von Rückversicherungsverträgen hinsichtlich der den Schadensbereich betreffenden Vertragsinhalte umfasst. Dies deckt sich mit der von der Beigeladenen selbst vorgelegten Tätigkeitsbeschreibung.

II. Vor der Entscheidung über die Zulassung als Syndikus-Rechtsanwältin hörte die Beklagte die Klägerin an, die sich mit Schreiben vom 28. Juli 2016 ablehnend äußerte.

Die Klägerin ist darin der Ansicht, dass die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 Nr. 1 BRAO (Prüfung von Rechtsfragen) und Nr. 3 (Gestaltung von Rechtsverhältnissen) nicht vorliegen. Ohnehin könne nicht davon die Rede sein, dass die (unabhängige und eigenverantwortliche) Tätigkeit das Arbeitsverhältnis i. S. v. § 46 Abs. 3 S. 1 BRAO "präge": Die Beigeladene sei als "Senior Claim Manager im Bereich Client Services" vielmehr überwiegend mit einer klassischen sachbearbeitenden Tätigkeit im Bereich der Schadensregulierung befasst:

Juristische Mitarbeiter, und dies gelte auch für die Beigeladene, die in Schadens- oder Leistungsabteilungen von Versicherungen eingesetzt würden, seien vorrangig, wenn nicht ausschließlich, für die Prüfung des Vorliegens der Deckungsvoraussetzungen zuständig: Sie prüften, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Leistungen aus einem Versicherungsvertrag zu erbringen seien.

Aufgrund der umfassenden Kodifizierung durch Allgemeine und Besondere Versicherungsbedingungen habe die Beigeladene allenfalls einen gewissen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage des Vorliegens von normativen Tatbestandsmerkmalen. Das reiche nicht aus.

Der beschriebene (enge) Rahmen gelte auch für eventuell erforderliche Verhandlungen bei Meinungsverschiedenheiten über die Eintrittspflicht oder den Umfang der Zahlungspflicht. Einigungsverhandlungen könnten sich stets nur im Rahmen der bestehenden Versicherungsbedingungen bewegen. Lediglich im Rahmen der Beweiswürdigung und der Einschätzung eventueller Prozessrisiken seien Verhandlungen zur vergleichsweisen Beilegung von Auseinandersetzungen denkbar. Abgesehen davon, dass dieser Spielraum nicht rechtlicher, sondern wirtschaftlicher Natur sei, unterfalle das Führen von Vergleichsverhandlungen im Falle von Meinungsverschiedenheiten über die Eintrittspflicht (oder den Umfang der Zahlungspflicht) mit den Beteiligten oder deren Anwälten nicht dem Merkmal "Gestaltung von Rechtsverhältnissen". Denn es gehe im Wesentlichen nicht um die Formulierung von Verträgen aus rechtlicher Sicht, sondern vorrangig um das Aushandeln des Umfangs der Schadensregulierung.

III. Dennoch entschied die Beklagte durch Bescheid vom 9. August 2016 im Sinne der Beigeladenen.

IV. Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Klägerin vom 9. August 2016 aufzuheben.

V. Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält den Zulassungsbescheid aus den Gründen des Bescheides für rechtens.

Aus den Gründen

I. Die fristgerecht erhobene Klage ist auch im Übrigen zulässig. Gegen den Bescheid der Beklagten ist ohne Durchführung eines Vorverfahrens (§ 68 VwGO, § 110 JustG NRW) Anfechtungsklage zulässig und statthaft (§ 42 VwGO, § 112 c Abs. 1 BRAO). Der Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen ist für die Klage zuständig (§ 112 a BRAO).

II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat der Beigeladenen die Zulassung zur Syndikus-Rechtsanwältin zu Recht erteilt.

1. Der Zulassungsbescheid ist formell rechtmäßig.

Über den Antrag der Beigeladenen vom 22. Januar 2016 auf Zulassung als Syndikus-Rechtsanwältin hat die Beklagte als örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer nach Anhörung des Trägers der Rentenversicherung entsprechend § 46a Abs. 2 S. 1 BRAO entschieden.

2. Der Zulassungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig.

Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikus-Rechtsanwältin ist gemäß § 46a Abs. 1 BRAO auf Antrag zu erteilen, wenn

a. ) die allgemeinen Zulassungsvoraussetzungen zum Beruf des Rechtsanwalts gemäß § 4 BRAO erfüllt sind,

b. ) kein Zulassungsversagungsgrund nach § 7 BRAO vorliegt und

c. ) die Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO entspricht.

Liegen die Voraussetzungen des § 46a Abs. 1 BRAO vor, ist die Zulassung zu erteilen. Es handelt sich um eine gebundene Entscheidung.

3. Im Einzelnen:

a. ) Die Voraussetzungen für den Zugang zum Beruf des Rechtsanwaltes gemäß § 4 BRAO liegen vor. Die Beigeladene ist seit dem 12. Januar 2016 bei der Beklagten zugelassene Rechtsanwältin.

b. ) Gründe für die Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 BRAO sind nicht ersichtlich.

c. ) Die Tätigkeit entspricht den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO.

ca.) Die Beigeladene ist Angestellte einer anderen als in § 46 Abs. 1 BRAO genannten Person oder Gesellschaft, nämlich der T Rückversicherung Direktion für Deutschland - Niederlassung der T SE.

cb.) Angestellte Syndikus-Rechtsanwälte sind anwaltlich tätig, wenn ihre fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübenden Tätigkeiten durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO aufgeführten Merkmale geprägt sind (§ 46 Abs. 3 BRAO). Die Merkmale müssen kumulativ vorliegen, allerdings nicht sämtlich in gleicher Intensität.

Eine fachlich unabhängige Tätigkeit übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine am Einzelfall orientierte Rechtsberatung ausschließen. Die fachliche Unabhängigkeit ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten. Aus § 46 Abs. 2 BRAO i.V.m. den Absätzen 3 und 4 wird deutlich, dass nicht jeder Mitarbeiter eines Unternehmens, der juristisch geprägte Tätigkeiten ausübt, anwaltlich tätig ist. Die anwaltliche Tätigkeit ist entscheidend von der Unabhängigkeit der anwaltlichen Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten geprägt.

Diese Voraussetzungen erfüllt die Beigeladene:

(1) Die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 BRAO geforderte Prüfung von Rechtsfragen erfordert zunächst die vollständige und sorgfältige Aufklärung und Analyse des Sachverhalts, um schließlich auf Basis der rechtlichen Prüfung verschiedene Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, die in rechtlicher, tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht zu bewerten sind, um die Entscheidung des Auftraggebers vorzubereiten und zu ermöglichen (vgl. Amtl. Begründung zu §46 Abs. 3 BRAO-E BT-Drs. 18/5201; ebenso 1 AGH 34/16).

Die Beigeladene hat im Rahmen ihrer Anhörung vor dem erkennenden Senat nachvollziehbar und glaubhaft geschildert, dass sie zunächst den Rückversicherungsfall prüfe, ob also ihre Arbeitgeberin gegenüber deren Kunden, den Erstversicherern, einstandspflichtig wäre, und sodann den originären Versicherungsfall des Endkunden, der Ansprüche gegenüber dem Erstversicherer geltend mache, d.h. ob die bei ihrer Arbeitgeberin rückversicherte Gesellschaft zu Recht in Anspruch genommen wird. Fragen zum Sachverhalt kläre sie selbstständig auf, namentlich durch Befragung einer zu ihrem Team gehörenden Ärztin. In diesem Zusammenhang nimmt sie auch eine Risikobewertung vor.

(2) Auch die Voraussetzungen des § 46 Abs. 3 Nr. 2 und 3 BRAO (rechtsberatende Tätigkeit und Ausrichtung der Tätigkeit auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen, namentlich durch das selbständige Führen von Verhandlungen) sind zu bejahen:

Das Ergebnis ihrer tatsächlichen wie rechtlichen Prüfungen teilt die Beigeladene den Erstversicherern mit. Entweder bestätigt sie die Eintrittspflicht ganz oder teilweise oder sie lehnt sie ab. Ihre alleinige Handlungsvollmacht erstreckt sich dabei im Bereich von Lebensversicherungen auf bis zu 500.000,00 EUR, bei Berufsunfähigkeitsfällen auf 100.000,00 EUR (hier gilt ausnahmsweise ein Vier-Augen-Prinzip), bei allen anderen Versicherungen auf 180.000,00 EUR. Diese Rahmen werden in gut 90% aller Fälle nicht überschritten. Gegebenenfalls stimmt sich die Beigeladene dann mit ihrem Chef ab, einem Betriebswirt. Darüberhinaus nimmt sie gemeinsam mit Vertretern der in Anspruch genommenen Versicherungsunternehmen an Verhandlungen mit den Endkunden teil. Sie ist befugt, Vergleiche abzuschließen. Kommt es zu Klageverfahren zwischen dem Endkunden und dem Erstversicherer, werden diese von der Beigeladenen beraten. Ferner formuliert sie eigenständig Versicherungsbedingungen für Rückversicherer.

Die nach § 46 Abs. 3 Nr. 2 BRAO notwendige rechtsberatende Tätigkeit der Beigeladenen wird nicht, wie die Klägerin meint, dadurch in Frage gestellt, dass sie aufgrund umfassender Kodifizierung durch Allgemeine und Besondere Versicherungsbedingungen nur geringe Beurteilungsspielräume hinsichtlich der Frage des Vorliegens von Tatbestandsvoraussetzungen habe. Es liegt vielmehr in der Natur der Rechtsberatung, dass allgemein gültige oder individuelle vereinbarte Kodifizierungen gleich welcher Art zu beachten sind. Sie sind das Wesen der Rechtsanwendung.

(3) Aus den vorgenannten Feststellungen ergibt sich auch, dass die Bedingungen des § 46 Abs. 3 Nr. 4 BRAO vorliegen. Die Beigeladene ist befugt, nach außen verantwortlich aufzutreten, wie es auch schon in ihrem Arbeitsvertrag (s. o.) geregelt ist. Das Vorliegen des in Nr. 4 genannten Kriteriums wird von der Klägerin auch nicht in Abrede gestellt.

(4) Die der Beigeladenen vertraglich zugesicherte Weisungsfreiheit im Rahmen der rechtlichen Vorgaben und Vereinbarungen, zu denen auch die Versicherungsbedingungen zählen, wird auch gelebt:

Der erkennende Senat hat aufgrund der nachvollziehbaren und glaubhaften Schilderungen der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung sowie des persönlichen Eindrucks, den er dabei gewinnen konnte, keine Zweifel, dass es ihre eigenverantwortliche Entscheidungsfreiheit begrenzenden oder bindenden Regelwerke nicht gibt: Sofern unter Nr. 17 des Arbeitsvertrages von im Intranet verfügbaren"Policies und interne Regelungen" die Rede ist, so beziehen sich diese nicht auf die Tätigkeit der Beigeladenen in der Sache selbst, sondern auf Arbeitszeiten und dergleichen. Sofern im Jobprofil von "Claims-Richtlinien" die Rede ist, beziehen sich diese allein auf die Handlungsvollmachten, nicht auf die fachliche Seite der Fallbearbeitung.

(5) Die Tätigkeiten der Beigeladenen werden auch durch die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO aufgeführten Merkmale "geprägt".

Die gebotene Gesamtbetrachtung der Tätigkeit der Beigeladenen innerhalb des hier in Rede stehenden Arbeitsverhältnisses zeigt, dass die anwaltlichen Aufgaben den ganz eindeutigen Schwerpunkt der ausgeübten Tätigkeit bilden, d.h. die anwaltliche Tätigkeit die qualitativ und quantitativ ganz eindeutig vorherrschende Leistung des angestellten Rechtsanwalts ist. Durch die Verwendung des Begriffs "prägen" solle, so der Gesetzgeber weiter (BT-Drucks. 18/5201, S. 19), dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der ganz eindeutige Schwerpunkt der im Rahmen des Anstellungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeiten und der bestehenden vertraglichen Leistungspflichten im anwaltlichen Bereich liegen muss.

So liegen die Dinge hier, wie sich aus den obigen Feststellungen des Senats zur konkreten Tätigkeit der Beigeladenen zweifellos ergibt, zumal die Beigeladene andere als die von ihr geschilderten Tätigkeiten, insbesondere nicht-juristische, im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses faktisch nicht ausübt.

cc.) Da sich die Befugnis der Beigeladenen nach dem auch so gelebten Arbeitsvertrag auf die Beratung und Vertretung ihrer Arbeitgeberin beschränkt, liegen auch die Voraussetzungen des § 46 Abs. 5 BRAO vor.

III. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 112c BRAO, 154, 162 Abs. 3 VwGO und §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf §§ 194 Abs. 1 und 2 BRAO, 52 GKG. Da es sich bei der Zulassung zur Syndikus-Rechtsanwältin um die Zweitzulassung der Beigeladenen handelt, hat der Senat den Streitwert - ausgehend von § 194 Abs. 2 BRAO - entsprechend abgesenkt.

IV. 1. Ein Anlass, die Berufung nach § 112c Abs. 1 BRAO i. V. m. § 124 VwGO zuzulassen, besteht nicht. Weder weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§§ 124a Abs. 1 S. 1, 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BRAO).

2. Ein Fall der Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 BRAO ist ebenfalls nicht gegeben, weil das Urteil des Senats tragend weder von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundesverfassungsgerichts oder des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht.

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