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Wirtschaftsrecht
20.09.2018
Wirtschaftsrecht
LG Frankfurt a. M.: Zulässigkeit von Facebook-Sperren bei Hassrede

LG Frankfurt a. M., Beschluss vom 10.9.20182-03 O 310/18

ECLI:DE:LGFFM:2018:0910.2.03O310.18.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-2242-3

Amtliche Leitsätze

1. Der Betreiber eines sozialen Netzwerks kann seine Verhaltensregeln grundsätzlich auch durch Entfernung eines rechtswidrigen Inhalts oder durch Sperrung eines Nutzeraccounts durchsetzen.

2. Der zwischen dem Nutzer und dem Plattformbetreiber geschlossene Vertrag beinhaltet jedoch Schutzpflichten des Plattformbetreibers gemäß § 241 Abs. 2 BGB, in deren Rahmen - im Wege der mittelbaren Drittwirkung - die Grundrechte der Betroffenen zu berücksichtigen sind. Dies schließt einerseits das Recht auf Meinungsfreiheit des Antragstellers gemäß Art. 5 Abs. 1 GG, andererseits die Rechte des Plattformbetreibers gemäß Art. 12 GG ein.

3. Die Abwägung der Interessen der Betroffen führt, dass im Einzelfall auch Äußerungen gelöscht werden dürfen, die grundsätzlich durch die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt sind. Das in den Bedingungen der Antragsgegnerin niedergelegte Verbot von Hassrede und Gewaltaufrufen ist daher nicht von vornherein als unzulässig anzusehen. Bei der Abwägung hat die Kammer auch berücksichtigt, dass nach der Rechtsprechung des EGMR ein Verbot von Hassrede und Aufruf zur Gewalt zulässig sein kann.

§§ 241, 1004 BGB, Art. 5, 12 GG

Sachverhalt

I.

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichtet auf die Unterlassung einer Sperre sowie Entfernung eines "Posts" bei Facebook wegen einer von ihm verfassten Äußerung.

Die Antragsgegnerin betreibt die Webseite www.facebook.com. Der Antragsteller ist Nutzer des von der Antragsgegnerin angebotenen Dienstes und dort angemeldet.

Der Antragsteller verfasste auf der Plattform der Antragsgegnerin als Reaktion auf einen Online-Artikel der Zeitung "Welt" mit dem Titel "Eskalation in Dresden - 50 Asylbewerber attackieren Polizisten - Beamte werden getreten und geschlagen" folgenden Kommentar:

"Wasser marsch, Knüppel frei und dann eine Einheit Militärpolizisten! Dann ist schnell Ruhe! Und jeden ermittelten Gast Merkels ab in die Heimat schicken."

Die Antragsgegnerin sperrte den Antragsteller am 21.07.2018 für 30 Tage.

Zuvor war der Antragsteller bereits im April 2018 wegen des Kommentars "..." gesperrt worden, ferner im Mai 2018 wegen einer von ihm geäußerten Kritik an Asylbewerbern, die versuchen, ihre Abschiebung durch tätliche Angriffe auf Polizisten zu verhindern.

Der Antragsteller forderte die Antragsgegnerin mit E-Mail vom 01.08.2018 (Bl. 184 d.A.) u.a. auf, die Sperre aufzuheben und gelöschte Beiträge unverzüglich wieder frei zu schalten. Die Antragsgegnerin reagierte nicht.

Aus den Gründen

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, der darauf gerichtet ist, es dem Antragsgegner bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu untersagen,

den Antragsteller für das Einstellen des nachfolgend genannten Textes (wörtlich oder sinngemäß)

"Wasser marsch, Knüppel frei und dann eine Einheit Militärpolizisten! Dann ist schnell Ruhe! Und jeden ermittelten Gast Merkels ab in die Heimat schicken."

auf www.facebook.com zu sperren (inbesondere, ihm die Nutzung der Funktionen von www.facebook.com wie Posten von Beiträge, Kommentieren fremder Beiträge und Nutzung des Nachrichtensystems vorzuenthalten) oder den Beitrag zu löschen,

wenn sich der Beitrag auf Berichte über randalisierende Asylbewerber bezieht, die Polizeibeamte angreifen,

ist unbegründet.

Es fehlt an einem Verfügungsanspruch.

Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin nicht, auch nicht gestützt auf die §§ 241 Abs. 2, 1004 BGB, die Unterlassung der Sperre (und der Löschung) aufgrund der streitgegenständlichen Äußerung verlangen.

Die Parteien haben nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Antragstellers einen Vertrag über die Nutzung des sozialen Netzwerks der Antragsgegnerin geschlossen, bei dem es sich um einen schuldrechtlichen Vertrag mit miet-, werk- und dienstvertraglichen Elementen handelt (vgl. KG Berlin DNotZ 2018, 286 [KG Berlin 31.05.2017 - 21 U 9/16] Rn. 56 m.w.N.; OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 - 18 W 1294/18: wohl Vertrag sui generis). Gegenstand dieses Vertrages sind auch die von der Antragsgegnerin gestellten Verhaltensregeln als AGB.

Grundsätzlich kann der Betreiber eines sozialen Netzwerks seine Verhaltensregeln auch durch Entfernung eines rechtswidrigen Inhalts oder durch Sperrung eines Nutzeraccounts durchsetzen (Schwartmann/Ohr in Schwartmann, Praxishandbuch IT-, Urheber- und Medienrecht, 4. Aufl. 2018, Kap. 11 Rn. 40; Elsaß/Labusga/Tichy, CR 2017, 234, 236 [OLG Köln 30.09.2016 - 20 U 83/16]; Feldmann/Heidrich, CR 2006, 406, 411; vgl. zu einer Facebook-Seite auch VG München, Urt. v. 27.10.2017 - M 26 K 16.5928; VG Mainz, Urt. v. 13.04.2018 - 4 K 762/17.MZ, BeckRS 2018, 10857).

Eine solche Sperre ist jedoch nicht voraussetzungslos möglich, z.B. lediglich aufgrund einer ungeprüften Beschwerde eines anderen Nutzers. Der zwischen dem Nutzer und dem Plattformbetreiber geschlossene Vertrag beinhaltet Schutzpflichten des Plattformbetreibers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Im Rahmen dieser Schutzpflichten sind - im Wege der mittelbaren Drittwirkung - die Grundrechte der Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG NJW 2018, 1667 [BVerfG 11.04.2018 - 1 BvR 3080/09] - Stadionverbot; LG Karlsruhe, Beschl. v. 12.06.2018 - 11 O 54/18).

Voraussetzung einer solchen Sperre ist daher zunächst, dass der Ausschluss sachlich gerechtfertigt und nicht willkürlich ist (LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 14.05.2018 - 2-03 O 182/18; LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 19.07.2018 - 2-03 O 265/18; LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 23.07.2018 - 2-03 O 238/18; LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 07.08.2018 - 2-03 O 285/18; in Bezug auf ein "virtuelles Hausrecht" LG Bonn MMR 2000, 109 [LG Bonn 16.11.1999 - 10 O 457/99]; dazu Ladeur, MMR 2001, 787; vgl. insoweit auch VG München, Urt. v. 27.10.2017 - M 26 K 16.5928 Rn. 17 - juris, für die Facebook-Seite eines öffentlich-rechtlichen Trägers; zur mittelbaren Wirkung der Grundrechte, insb. Art. 3 Abs. 1 GG, auf das Verhältnis von Privaten BVerfG a.a.O. - Stadionverbot).

Danach kann eine Sperre auch unter Berücksichtigung der dem Äußernden zu Gebote stehenden Meinungsfreiheit einerseits gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein, wenn der Äußernde mehrfach den Tatbestand der Beleidigung erfüllt und damit sowohl die Rechte anderer Nutzer verletzt als auch den Diskussionsverlauf nachhaltig gestört hat (VG München MMR 2018, 418, Urt. v. 27.10.2017 - M 26 K 16.5928 Rn. 19 - juris). Hierbei kann auch Berücksichtigung finden, ob das Verhalten des Äußernden geeignet ist, eine weitere sachliche Diskussion zu verhindern bzw. andere Nutzer fernzuhalten (vgl. VG München MMR 2018, 418 Rn. 27). Bei nachhaltigem, beleidigendem Verhalten soll der Betreiber nicht verpflichtet sein, den Nutzer weiterhin zu dulden (vgl. VG München MMR 2018, 418 Rn. 30; VG Mainz, Urt. v. 13.04.2018 - 4 K 762/17.MZ, BeckRS 2018, 10857 Rn. 82).

Diesen Einschränkungen der Möglichkeit des Plattformbetreibers, den Nutzer zu sperren, stehen grundsätzlich auch nicht die Nutzungsbedingungen der Antragsgegnerin entgegen. Diese können zwar als Auslegungshilfe dienen, aufgrund der Drittwirkung der Grundrechte können zulässige Meinungsäußerungen jedoch grundsätzlich nicht untersagt werden (OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 - 18 W 1294/18; LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 14.05.2018 - 2-03 O 182/18; vgl. LG Bonn MMR 2000, 109 [LG Bonn 16.11.1999 - 10 O 457/99]; LG Köln Urt. v. 4.5.2005 - 9 S 17/05, BeckRS 2005, 10688; VG München, Urt. v. 27.10.2017 - M 26 K 16.5928 Rn. 17 - juris).

Unter Berücksichtigung der mittelbaren Wirkung der Grundrechte in das Verhältnis zwischen den Parteien und der insoweit einzustellenden gegenseitigen Interessen kann die Löschung einer Äußerung andererseits aber im Einzelfall selbst dann zulässig sein, wenn die Äußerung selbst noch von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt ist.

Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet das Grundrecht der Meinungsfreiheit Schranken (allein) in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre, wobei nach der "Lüth"-Rechtsprechung des BVerfG eine Wechselwirkung zwischen Schutzbereich und Schranken dergestalt besteht, dass die Schranken zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Grenzen setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der grundlegenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen (BVerfGE 7, 198, 208 f. [BVerfG 15.01.1958 - 1 BvR 400/51] - Lüth; Maunz/Dürig-Grabenwarter, GG, 82. EL 2018, Art. 5 Abs. 1 Rn. 139). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Grundrechte hier mittelbar auf das Verhältnis der Parteien wirken und dass daher in die verfassungsrechtlich vorgegebene Abwägung auch die anderen im Einzelfall betroffenen Grundrechte einzubeziehen sind (Maunz/Dürig-Grabenwarter, a.a.O., Art. 5 Abs. 1 Rn. 145 m.w.N.). Zur Bewertung des Verhaltens der Antragsgegnerin sind daher vorliegend auch ihre grundrechtlich geschützten Interessen zu beachten und in die Abwägung einzustellen. In Bezug auf eine konkrete Äußerung ist daher bei der Beurteilung der mittelbaren Wirkung der Grundrechte das durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Antragsgegnerin am Betrieb ihrer Plattform einzubeziehen (vgl. insoweit auch Holznagel, CR 2018, 369 Rn. 21).

Der Kammer ist bekannt, dass durch störendes Verhalten und Hassrede in den letzten Jahren vermehrt Foren und Diskussionen, teils zu einzelnen Artikeln geschlossen wurden (s. nur Heise-Online v. 08.10.2017, https://www.heise.de/newsticker/meldung/Amazon-schliesst-Diskussionsforen-3852250.html; Netzpolitik.org v. 04.03.2016, https://netzpolitik.org/2016/umfrage-zeitungsredaktionen-schraenken-kommentarfunktionen-2015-weiter-ein; jeweils abgerufen am 10.09.2019). Das Portal "Legal Tribune Online" (LTO) hat kürzlich die Kommentarfunktion deaktiviert, weil das Forum unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zunehmend missbraucht worden sei, um Hass zu verbreiten (vgl. Lorenz, LTO v. 26.07.2018, https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/in-eigener-sache-lto-keine-kommentare-mehr-meinungsvielfalt-hass-hetze/, abgerufen am 10.09.2019). Der Kammer ist weiter bekannt, dass Nutzer teilweise die Beteiligung an Diskussionen bei bestimmten Themen oder aufgrund bestimmter vorangegangener Äußerungen einschränken und sich einer Meinungsäußerung enthalten (vgl. insoweit auch VG München MMR 2018, 418; VG Mainz, Urt. v. 13.04.2018 - 4 K 762/17.MZ, BeckRS 2018, 10857 Rn. 82).

Die Kammer verkennt nicht, dass Nutzer von Internetplattformen grundsätzlich ohne Furcht vor Sperren zulässige Meinungsäußerungen auf den Plattformen kundtun können sollen und sich insoweit auch auf die Maßstäbe, die Art. 5 Abs. 1 GG setzt, berufen können. Demgegenüber bezieht die Kammer jedoch auch ein, dass durch die oben dargestellten Beeinträchtigungen von Diskussionen die Interessen der Antragsgegnerin nach Art. 12 Abs. 1 GG betroffen sind (vgl. VG München MMR 2018, 418 Rn. 27; Holznagel, CR 2018, 369 Rn. 20).

Die Kammer erachtet vor diesem Hintergrund das in ihren Bedingungen niedergelegte Verbot der Antragsgegnerin von Hassrede und Gewaltaufrufen nicht von vornherein als unzulässig, auch wenn dadurch im Einzelfall Äußerungen erfasst werden können, die grundsätzlich noch als zulässige Meinungsäußerung anzusehen sind (ausdrücklich offengelassen OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 - 18 W 1294/18).

Insoweit hat die Kammer auch berücksichtigt, dass ein durch staatliche Organe verfügtes Verbot von Hassrede zwar nach den Maßstäben von Art. 5 Abs. 1 GG unzulässig wäre (vgl. BVerfG NJW 2010, 47 [BVerfG 04.11.2009 - 1 BvR 2150/08] - Wunsiedel, auch zur Sonderrechtslehre und dem Verbot nach § 130 Abs. 4 StGB), sich ein solches Verbot aber nach den vom EGMR aufgestellten Grundsätzen im Einzelfall als zulässig darstellen kann, weil hierdurch die Grundrechte Dritter ernsthaft beeinträchtigt werden (vgl. EGMR NJW 2017, 2091 - Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete u. Index.hu Zrt/Ungarn zu Hassrede in Kommentaren eines Internetproviders; EGMR NJW 2015, 2863 - Delfi AS/Estland zu Internet-Nachrichtenportalen; EGMR NJW 2006, 1645 - Pedersen u. Baadsgaard/Dänemark; EGMR NJW-RR 2011, 981 Rn. 50 - Ruokanen u. a./Finnland; EGMR, Urt. v. 17.12.2004 - 33348/96 Rn. 115 - Cumpana u. Mazare/Rumänien; vgl. zur EGMR-Rechtsprechung zu Hassrede im Verhältnis zur Rechtsprechung des BVerfG auch Hong, ZaöRV 2010, 73).

Der EGMR hat insoweit u.a. ausgeführt (EGMR NJW 2015, 2863 - Delfi AS/Estland Rn. 110, 136, 140, 157):

"Beleidigende und andere Formen eindeutig rechtswidriger Äußerungen einschließlich Hassreden und Aufrufe zur Gewaltanwendung können wie nie zuvor in Sekundenschnelle weltweit verbreitet werden und bleiben manchmal sehr lange online verfügbar. ... Weil die der Konvention zu Grunde liegenden Werte geschützt werden müssen und die in Art. 10 und 8 EMRK garantierten Rechte gleiche Achtung verdienen, muss ein Ausgleich hergestellt werden, der den Wesensgehalt beider Rechte bewahrt. Bei der Ausübung der Meinungsfreiheit kann das Internet von großem Vorteil sein, die Haftung für beleidigende oder sonst rechtswidrige Äußerungen muss aber grundsätzlich bestehen bleiben und Geschädigte müssen bei Verletzung von Persönlichkeitsrechten einen wirksamen Rechtsbehelf einlegen können. ...

Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass Äußerungen, die mit den von der Konvention proklamierten und garantierten Rechten nicht vereinbar sind, wegen Art. 17 EMRK (Verbot des Missbrauchs der Rechte) nicht von Art. 10 EMRK geschützt werden. Das hat er zum Beispiel für Äußerungen entschieden, die den Holocaust leugneten, eine Nazipolitik rechtfertigten, alle Muslime mit einer terroristischen Tat in Verbindung bringen oder Juden als Ursprung allen Übels in Russland bezeichnen ...

Die Kommentare der Nutzer ... waren eindeutig rechtswidrig. ... Die meisten enthielten Hassreden und Aufrufe zu Gewalt und waren deswegen nicht von Art. 10 EMRK geschützt (o. Nr. 136). Um die Freiheit der Meinungsäußerung der Verfasser der Kommentare geht es also nicht, sondern darum, ob die estnischen Gerichte das in Art. 10 EMRK garantierte Recht der Bf. verletzt haben, Informationen weiterzugeben, indem sie sie für die von Dritten abgegebenen Kommentare verantwortlich gemacht haben. ...

Wegen der vielen Möglichkeiten, die jeder hat, sich im Internet Gehör zu verschaffen, kann die Verpflichtung eines großen Nachrichtenportals, wirksame Maßnahmen zur Einschränkung von Hassreden und Aufrufen zu Gewalt wie hier zu treffen, in keiner Weise mit einer "privaten Zensur" gleichgestellt werden. Die wichtige Rolle des Internet bei der Verbesserung des Zugangs zu Nachrichten und der Verbreitung von Informationen im Allgemeinen ist anzuerkennen ..., es darf aber auch die Gefahr nicht verkannt werden, dass andere durch Mitteilungen von Informationen und ihren Inhalt geschädigt werden ..."

Insoweit darf die Rechtsprechung die Bestimmungen der EMRK und die Rechtsprechung des EGMR auch auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten über den Einzelfall hinaus anwenden (BVerfG NJW 2018, 2695 Rn. 130 - Streikverbot für Beamte; dazu s. auch Haug, NJW 2018, 2674). Insoweit soll die Rechtsprechung gar die nach der Rechtsprechung des EGMR im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung würdigen (BVerfG NJW 2018, 2695 Rn. 190 - Streikverbot für Beamte).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände und unter Einbeziehung der Grundrechte der Parteien, die im Rahmen der Drittwirkung der Grundrechte im Vertragsverhältnis der Parteien zu einem Ausgleich gebracht werden müssen, erachtet die Kammer es daher im Einzelfall und unter Berücksichtigung der Maßstäbe, die der EGMR aufgestellt hat, als zulässig, wenn der Betreiber einer Plattform Äußerungen, die als - noch zulässige - Hassrede zu qualifizieren sind, löscht. Denn durch solche Äußerungen kann das Interesse des Betreibers einer Plattform, das sich auch auf sachbezogene Diskussionen und die Ermöglichung der freien Rede für alle Nutzer richtet, in erheblichem Maße beeinträchtigt werden.

In Anwendung dieser Grundsätze stellt sich die streitgegenständliche Löschung und Sperre als zulässig dar, da die Äußerung des Antragstellers als Hassrede anzusehen ist.

aa. Die hier betroffene Äußerung ist zunächst als Meinungsäußerung zu qualifizieren.

Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Tatsachenbehauptung oder als Meinungsäußerung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtkontext der fraglichen Äußerung an (vgl. BVerfG AfP 2013, 389 [BVerfG 24.07.2013 - 1 BvR 444/13], juris-Rn. 18). Von einer Tatsachenbehauptung ist auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offen steht. Soweit eine Tatsachenbehauptung mit einem Werturteil verbunden ist bzw. beides ineinander übergeht, ist darauf abzustellen, was im Vordergrund steht und damit überwiegt. Wird eine Äußerung in entscheidender Weise durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt oder ist der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm, dass er gegenüber dem Wertungscharakter in den Hintergrund tritt, liegt eine Meinungsäußerung vor. Vom Überwiegen des tatsächlichen Charakters ist auszugehen, wenn die Wertung sich als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt (vgl. Wenzel/Burkhardt, Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 4 Rn. 43, 50 ff.).

Hierbei sind Äußerungen entsprechend dem Verständnis des unbefangenen Durchschnittsempfängers zu interpretieren (Wenzel/Burkhardt, a.a.O., Kap. 4 Rn. 4; Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Aufl. 2013, § 14 Rn. 4a; jew. m.w.N.).

Die Äußerung des Antragstellers versteht der Durchschnittsempfänger als eine Reaktion auf den Beitrag, der das Verhalten von Flüchtlingen in einem Flüchtlingsheim thematisiert und zwar dahingehend, dass gegen solches Verhalten Gewalt in Form von Wasserwerfern, Knüppel und Militärpolizei anzuwenden sei, um dem Verhalten der Flüchtlinge entgegen zu treten. Die Äußerung ist damit wesentlich durch meinende und wertende Teile geprägt.

Die Äußerung ist auch nicht aus dem Grunde nach dem Maßstab des Art. 5 Abs. 1 GG als unzulässig anzusehen, dass sie Schmähkritik darstellen würde.

Meinungsäußerungen sind nur als unzulässig zu behandeln, wenn sie die Grenze zur Schmähkritik überschreiten. Grundsätzlich liegt Schmähkritik nur vor, wenn eine Äußerung jeglichen sachlichen Bezug vermissen lässt, die inhaltliche Auseinandersetzung zurücktritt und eine Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (OLG Frankfurt NJW 2013, 798, 799; Wenzel/Burkhardt, a.a.O., Kap. 5 Rn. 97). Dies ist bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise der Fall und eher auf die Privatfehde beschränkt (BVerfG NJW 2012, 3712 [BVerfG 17.09.2012 - 1 BvR 2979/10] Rn. 30 m.w.N.). Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik eng zu verstehen. Auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Eine Äußerung nimmt diesen Charakter erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BVerfG NJW 2016, 2870 Rn. 17 m.w.N.). Nur dann, wenn der abwertende Vorwurf auch vom Standpunkt des Äußernden aus völlig grundlos, d.h. willkürlich, nicht sachbezogen und von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes ist, kann dies auf dessen Absicht hindeuten, den Betroffenen zu diffamieren (BVerfG NJW 2016, 2870 [BVerfG 29.06.2016 - 1 BvR 2646/15] Rn. 17 f.; OLG Saarbrücken, Urt. v. 04.06.2014 - 5 U 81/13, BeckRS 2015, 07789 Rn. 44). Insoweit sind auch als Hassrede zu qualifizierende Äußerungen grundsätzlich dem Schutz der Meinungsfreiheit unterstellt (vgl. Maunz/Dürig-Grabenwarter, a.a.O., Art. 5 Abs. 1 Rn. 73).

Die Voraussetzungen einer unzulässigen Schmähkritik liegen hier nicht vor. Aus Sicht des Antragstellers bestand durchaus ein Anlass für seine Äußerung, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Diffamierung im Vordergrund stand, während im Übrigen die Äußerung außerhalb jedes Sachzusammenhangs erfolgt wäre.

Die streitgegenständliche Äußerung verstößt - anders als in den bisher von der Kammer entschiedenen Fällen - gegen die Gemeinschaftsstandards der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin definiert den Begriff der "Hassrede" in ihren Gemeinschaftsbedingungen u.a. wie folgt:

"Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Geschlecht, Geschlechtsidentität, Behinderung oder Krankheit. Auch Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder entmenschlichende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren. Wir teilen Angriffe wie unten beschrieben in drei Schweregrade ein.

Angriffe mit Schweregrad 1 sind Angriffe, die auf eine Person oder Personengruppe abzielen, auf die eine der oben aufgeführten Eigenschaften oder der Einwanderungsstatus zutrifft (einschließlich aller Untergruppen, außer denen, die Gewaltverbrechen oder Sexualstraftaten begangen haben). Ein Angriff wird hier wie folgt definiert:

• Jedwede gewalttätige Äußerung oder Unterstützung in schriftlicher oder visueller Form

• Entmenschlichende Sprache oder Bilder. Hierzu gehört unter anderem Folgendes:

...

Angriffe mit Schweregrad 2 sind Angriffe, die auf eine Person oder Personengruppe abzielen, auf die eine der oben aufgeführten Eigenschaften zutrifft. Ein Angriff wird hier wie folgt definiert:

• Aussagen über Minderwertigkeit oder Bilder, die implizieren, dass eine Person oder eine Gruppe körperliche, geistige oder moralische Defizite aufweist

• Körperlich (unter anderem "verunstaltet", "unterentwickelt", "abscheulich", "hässlich")

• Geistig (unter anderem "zurückgeblieben", "behindert", "niedriger IQ", "dumm", "Idiot")

• Moralisch (unter anderem "Schlampe", "Betrüger", "billig", "Schnorrer")

• Ausdrücke von Verachtung oder ihre bildliche Entsprechung, wie u. a.:

...

Angriffe mit dem Schweregrad 3 sind Angriffe, die zum Ausschluss oder der Isolation einer Person oder Personengruppe aufgrund der oben aufgeführten Eigenschaften aufrufen. Wir lassen Kritik an Einwanderungsgesetzen und Diskussionen über die Einschränkung dieser Gesetze zu."

Ferner untersagt die Antragsgegnerin "Gewalt und kriminelles Verhalten".

Die Äußerung des Antragstellers fällt unter die Hassrede-Bedingungen der Antragsgegnerin, da sie zu Gewalt gegen die hier betroffenen Flüchtlinge aufruft. Denn der Durchschnittsempfänger kann die Äußerung nur so verstehen, dass Wasserwerfer, Knüppel und ggf. weitere Maßnahmen gegen Flüchtlinge angewendet werden sollen.

Die Äußerung ist ferner auch nach den oben dargestellten Maßstäben des EGMR als Hassrede anzusehen.

In der konkreten Abwägung der Interessen der Parteien überwiegt vorliegend das Interesse der Antragsgegnerin am Betrieb ihrer Plattform, durch den es auch den übrigen Nutzern ermöglicht werden soll, die Plattform zu nutzen.

Insoweit hat die Kammer zu Gunsten des Antragstellers berücksichtigt, dass die Maßnahmen der Antragsgegnerin seine Möglichkeit zur Äußerung - jedenfalls auf der Plattform der Antragsgegnerin - einschränken. Ihm wird dadurch die konkrete Äußerung unmöglich gemacht, darüber hinaus kann er sich für einen gewissen Zeitraum über die Plattform der Antragsgegnerin gar nicht äußern.

Die Kammer hat ferner berücksichtigt, dass der Antragsteller in der Vergangenheit bereits mehrfach von der Antragsgegnerin gesperrt wurde, darunter einmal wegen einer Kritik an Asylbewerbern. Da der Antragsteller jedoch die konkrete Äußerung nicht mehr vorgetragen hat, konnte die Kammer nicht prüfen, ob insoweit ebenfalls Hassrede vorlag oder nicht. Dementsprechend misst die Kammer diesem Umstand in der Abwägung eine geringere Bedeutung bei.

Auf Seiten der Antragsgegnerin hat die Kammer - wie oben dargestellt - das Interesse der Antragsgegnerin am geregelten Betrieb ihrer Plattform und der Ermöglichung von freier Rede für alle Nutzer berücksichtigt. Denn durch die Veröffentlichung von Hassrede kann der Diskussionsverlauf nachhaltig gestört werden, so dass andere Nutzer von einer weiteren Beteiligung absehen (vgl. VG München MMR 2018, 418 Rn. 27).

Weiter war einzustellen, dass Löschung und Sperre durch die Antragsgegnerin mit einem allgemeinen Äußerungsverbot, wie es z.B. § 130 Abs. 4 StGB vorsieht, nicht zu vergleichen sind. Denn durch Äußerungsdelikte wie § 130 Abs. 4 StGB oder die in § 1 Abs. 3 NetzDG genannten Vorschriften werden bestimmte Äußerungen kriminalisiert und damit in allen Kontexten und allen Verbreitungswegen strafbewehrt untersagt. Ebenso sind bei äußerungsrechtlichen Unterlassungsverfügungen einzelne Äußerungen - jedenfalls im Rahmen und unter den Voraussetzungen der Kerntheorie - generell und unabhängig vom Verbreitungsweg zu unterlassen.

Demgegenüber geht es vorliegend darum, dass dem Antragsteller die Wiederholung seiner Äußerung allein auf der Plattform der Antragsgegnerin untersagt wird. Es geht also gerade nicht darum, dass der Antragsteller sich überhaupt nicht derart äußern kann, dies steht ihm außerhalb der Plattform der Antragsgegnerin unabhängig vom hiesigen Antrag frei (LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 20.08.2018 - 2-03 O 306/18; kritisch insoweit im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 - 18 W 1294/18). Der Eingriff in die Rechte des Antragstellers ist daher insgesamt gegenüber einer äußerungsrechtlichen Unterlassungsverfügung oder durch die genannten Äußerungsdelikte deutlich eingeschränkt. Hierbei verkennt die Kammer nicht, dass die Antragsgegnerin eine - möglicherweise sogar marktbeherrschende - Plattform zur Verfügung stellt, damit einen wesentlicher Marktplatz für Informationen darstellt und ein großes Interesse für den Antragsteller daran besteht, seine Meinung auf dieser konkreten Plattform äußern zu können. Der Eingriff in die Rechte des Antragstellers ist hier zweifelsohne erheblich, er enthält jedoch kein Gesamtverbot und ist damit jedenfalls im Vergleich dazu weniger schwerwiegend. Auf der anderen Seite ist das Interesse der Antragsgegnerin an der Sperre solcher Äußerungen wie oben dargestellt ebenfalls erheblich und jedenfalls unter Zugrundelegung der Maßstäbe des EGMR auch berechtigt.

Die Löschung und Sperre waren darüber hinaus auch nicht als willkürlich anzusehen, da sie jedenfalls aufgrund der Einordnung der Äußerung des Antragstellers als Hassrede den Bedingungen der Antragsgegnerin entsprechen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 25.06.2018 - 15 W 86/18; OLG Dresden, Beschl. v. 08.08.2018 - 4 W 477/18, BeckRS 2018, 18249; LG Heidelberg, Beschl. v. 28.08.2018 - 1 O 71/18; offen gelassen OLG München, Beschl. v. 24.08.2018 - 18 W 1294/18).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus den §§ 3 ZPO, 53 Abs. 1 GKG. Hierbei hat die Kammer die Streitwertangabe in der Antragsschrift berücksichtigt, der indizielle Bedeutung zukommt. Ferner hat die Kammer einbezogen, dass der Antragsteller vorliegend nicht nur gegen die Löschung eines "Posts" vorgeht (vgl. insoweit LG Frankfurt a.M., Beschl. v. 20.08.2018 - 2-03 O 306/18: Streitwert in der Hauptsache 1.000,- EUR), sondern auch gegen die ihm gegenüber verhängte Sperre von immerhin 30 Tagen, die ihm in diesem Zeitraum jedwede Äußerung auf Facebook und nach seinem Vortrag auch die Verwendung von Facebook zum Einloggen in andere Dienste unmöglich macht (vgl. auch OLG München, Beschl. v. 02.08.2018 - 18 W 1173/18)

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