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Wirtschaftsrecht
21.10.2010
Wirtschaftsrecht
BGH: Zulässigkeit des Insolvenzantrags eines nachrangigen Gläubigers

BGH, Beschluss vom 23.9. 2010 - IX ZB 282/09

Leitsatz

Der Insolvenzantrag eines nachrangigen Gläubigers ist auch dann zulässig, wenn dieser im eröffneten Verfahren keine Befriedigung erwarten kann.

InsO § 14 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 174 Abs. 3 Satz 1

Sachverhalt

I. Die Gläubigerin (Beteiligte zu 1) beteiligte sich an der Schuldnerin durch Vertrag vom 17. Februar/4. März 1998 als stille Gesellschafterin mit einer Ein-lage von 760.000 DM. Neben einer festen Vergütung von 3 % jährlich auf den Beteiligungsbetrag war eine Gewinnbeteiligung von jährlich 5 % vereinbart. Die Gläubigerin sollte nur im Falle einer Insolvenz am Verlust der Schuldnerin teil-nehmen. Im Falle eines Insolvenzverfahrens war der Anspruch auf Rückzah-lung der Einlage nach § 8 Abs. 2 des Vertrages nur nachrangig zu befriedigen. Die Gesellschaft endete zum 30. September 2007. Mit der Beendigung der stil-len Gesellschaft wandelten sich der Rückzahlungsanspruch sowie weitere Zah-lungsforderungen der Gläubigerin vertragsgemäß in ein Darlehen um.

Die Gläubigerin hat im Blick auf ihre nach Beendigung der Gesellschaft und Kündigung des Darlehens fällige Forderung in Höhe von 581.484,36 € ei-nen Insolvenzantrag über das Vermögen der Schuldnerin gestellt. Die Schuld-nerin ist dem Insolvenzantrag unter Berufung auf die Wertlosigkeit der nachran-gigen Forderung der Gläubigerin und ein demnach fehlendes Rechtsschutzinte-resse entgegengetreten.

Das Amtsgericht hat die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Schuldnerin angeordnet und den Beteiligten zu 2 zum vorläufigen Verwalter bestellt; außerdem hat es Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 InsO ange-ordnet. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.

Aus den Gründen

4          II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 7, 6 Abs. 1, § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

5          1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, der von der Gläubigerin ge-stellte Insolvenzantrag sei zulässig. Neben den allgemeinen Zulässigkeitsvor-aussetzungen sei auch ein rechtliches Interesse der Gläubigerin für den Insol-venzantrag gegeben. Nachrangige Gläubiger seien ohne weiteres zu einer An-tragstellung befugt. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Gläubigerin ihr Antragsrecht für verfahrensfremde Zwecke einsetze.

6          2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

7          a) Die Schuldnerin unterbreitet insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung die Rechtsfrage, ob ein nachrangiger Gläubiger zur Stel-lung eines Insolvenzantrages berechtigt ist, wenn er im Insolvenzverfahren nicht mit einer Befriedigung rechnen kann. Damit geht die Schuldnerin selbst davon aus, dass es sich bei der Forderung der Gläubigerin um eine nachrangi-ge Forderung im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO handelt und zwischen der Gläubigerin und ihr keine weitergehende Rangrücktrittsvereinbarung getroffen wurde, die nach teils vertretener Ansicht (vgl. Uhlenbruck, InsO 13. Aufl. § 14 Rn. 51; FK-InsO/Schmerbach, 5. Aufl. § 14 Rn. 49 b; vgl. auch BT-Drucks. 8/1347 S. 40; aA MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl. § 14 Rn. 48) das An-tragsrecht entfallen ließe. Durch die in dem Gesellschaftsvertrag für den Eintritt der Insolvenz vorgesehene Nachrangigkeit der Forderung wurde mangels einer zeitlichen Erstreckung des Nachrangs auch auf den davor liegenden Krisenzeit-raum nach der bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages im Jahre 1998 maß-geblichen Rechtslage ein qualifizierter Rangrücktritt (vgl. zu den Anforderungen BGHZ 146, 264, 271; Haas DStR 2009, 326, 328) nicht vereinbart. § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO, nach dessen durch das am 1. November 2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Mißbräuchen (MoMiG; BGBl. I, 2026) umgestalteten Inhalt abweichend von der früheren Rechtslage mit einer Rangrücktrittsvereinbarung im Sinne des § 39 Abs. 2 InsO versehene Forderungen bei der Überschuldung nicht zu berück-sichtigen sind (HK-InsO/Kirchhof, 5. Aufl. § 19 Rn. 26; HmbKomm-InsO/ Schröder, 3. Aufl. § 19 Rn. 43), ist auf den hier zu beurteilenden, früher ge-schlossenen Vertrag nicht anwendbar (Uhlenbruck, aaO § 19 Rn. 117).

8          b) Die Beteiligte zu 1 hat als Gläubigerin einer nur nachrangigen Forde-rung (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Befriedigungsaussichten ein Rechtsschutzinteresse (§ 14 InsO) für einen Insolvenzan-trag.

9          Zwar wird im Schrifttum aus der Regelung des § 174 Abs. 3 InsO teils hergeleitet, dass nachrangige Gläubiger (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) zu einer An-tragstellung nur berechtigt sind, wenn sie zumindest eine teilweise Befriedigung erwarten können (HK-InsO/Kirchhof, aaO § 14 Rn. 26; Jaeger/Gerhardt, InsO § 14 Rn. 13; Uhlenbruck, aaO; HmbKomm-InsO/Wehr, aaO § 14 Rn. 48; Hess, Insolvenzrecht § 14 Rn. 53; FK-InsO/Schmerbach, aaO § 14 Rn. 49a; Haas/Scholl ZInsO 2002, 645, 649 f). Zutreffend ist jedoch die Gegenauffas-sung, die einem nachrangigen Gläubiger ein Rechtsschutzinteresse auch dann zuspricht, wenn er voraussichtlich nicht mit einer Quote rechnen kann (Münch-Komm-InsO/Schmahl, aaO; Pape in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 13 Rn. 32, § 14 Rn. 63; BK-InsO/Goetsch, InsO § 14 Rn. 13; Häsemeyer, Insolvenzrecht 4. Aufl. Rn. 17.13 Fn. 38; Lang, Das Rechtsschutzinteresse beim Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, 2003 S. 110 f).

10        aa) Die Regelung des § 174 Abs. 3 InsO bezieht sich auf eröffnete Ver-fahren, die im Falle fehlender Befriedigungsaussichten nicht mit der Anmeldung und Prüfung nachrangiger Forderungen belastet werden sollen (BT-Drucks. 12/2443 S. 184). Damit trifft das Gesetz jedoch keine weitergehende Aussage dahin, dass ein Insolvenzantrag und die Verfahrenseröffnung auf eine nachran-gige Forderung nicht gestützt werden können. Vielmehr ist § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO zu entnehmen, dass nachrangig zu befriedigende Gesellschafter zu den Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) gehören (Häsemeyer, aaO Rn. 17.13). Der Gesetzgeber will die nachrangigen Gläubiger von Anfang an in das Insolvenz-verfahren einbeziehen und lediglich im weiteren Verfahren wegen ihrer geringen Befriedigungsaussichten eine Verzögerung vermeiden, indem eine Anmeldung solcher Forderungen nur auf besondere Aufforderung erfolgen soll (BT-Drucks, aaO S. 123). Mithin sind die nachrangigen Insolvenzgläubiger ebenso Insol-venzgläubiger wie die nicht nachrangigen (FK-InsO/Kießner, aaO § 174 Rn. 40). In ausdrücklicher Abkehr von dem Regierungsentwurf (BT-Drucks 16/6140 S. 56) hat der Gesetzgeber zudem § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO dahin ge-fasst, dass nachrangige Forderungen im Sinne von § 39 Abs. 1 InsO bei der Prüfung einer Überschuldung zu berücksichtigen sind. Dadurch soll eine unkon-trollierte Zunahme masseloser Insolvenzen verhindert werden (BT-Drucks. 16/9737 S. 104 f). Nachrangige Forderungen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sind - wenn keine weitergehende Nachrangvereinbarung getroffen (§ 39 Abs. 2 InsO) wurde (BGHZ 173, 286, 292 Rn. 18) - abweichend zu der für den früheren Rechtszustand überwiegend vertretenen Auffassung (vgl. HmbKomm-InsO/Schröder, aaO § 17 Rn. 12 m.w.N.) nach jetziger Gesetzeslage bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) in die Liquiditätsprognose einzu-beziehen, weil mit der Abschaffung des Eigenkapitalersatzrechts (§ 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG) das präventive Auszahlungsverbot für Gesellschafterdarlehen entfallen ist (Uhlenbruck, aaO § 17 Rn. 10; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 7; Scholz/Bitter, GmbHG 10. Aufl. Rn. 7 vor § 64; Baumbach/ Hueck/Haas, GmbHG 19. Aufl. § 64 Rn. 34; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG 6. Aufl. Rn. 23 vor § 64). Sind nachrangige Forderungen bei der Prü-fung der Insolvenz sonstigen Forderungen gleichzustellen, entspricht es dem Gesetzeszweck, dass die Insolvenzeröffnung auch auf der Grundlage einer nachrangigen Forderung beantragt werden kann. Demgemäß ist § 174 Abs. 3 InsO, der erst nach Feststellung der Teilungsmasse eingreift, eine Beschnei-dung der Antragsbefugnis nachrangiger Insolvenzgläubiger nicht zu entneh-men.

11        bb) Ferner hängt das Rechtsschutzinteresse für einen Insolvenzantrag generell nicht davon ab, ob der Gläubiger in dem Verfahren eine Befriedigung erlangen kann. Auch im Falle völliger Masseunzulänglichkeit wird das Rechts-schutzinteresse für einen Eröffnungsantrag nicht berührt (OLG Frankfurt KTS 1971, 285; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 14 Rn. 25, 35; Jaeger/Gerhardt, aaO § 14 Rn. 14; MünchKomm-InsO/Schmahl, aaO § 14 Rn. 46; Uhlenbruck, aaO § 14 Rn. 41; ebenso wohl FK-InsO/Schmerbach, aaO § 14 Rn. 40; aA nur AG St. Ingbert KTS 1983, 648). Aus § 26 InsO ergibt sich, dass auch Verfahren ohne Verteilungsperspektive zu eröffnen sind, wenn nur die Verfahrenskosten gedeckt sind (Jaeger/Gerhardt, aaO). Überdies unterbleibt eine Abweisung der Verfahrenseröffnung mangels einer kostendeckenden Masse (§ 26 Abs. 1 Satz 1 InsO), wenn ein Gläubiger einen zur Deckung der voraussichtlichen Ver-fahrenskosten genügenden Betrag vorschießt (§ 26 Abs. 1 Satz 2 InsO). Sind nicht nachrangige Insolvenzgläubiger trotz fehlender Befriedigungsaussichten zur Antragstellung berechtigt, kann für nachrangige Insolvenzgläubiger nichts anderes gelten.

12        cc) Überdies würde eine Beschränkung der Antragsbefugnis nachrangi-ger Gläubiger auf Fälle ernsthafter Befriedigungsaussichten den allgemeinen Zwecken eines Insolvenzverfahrens zuwiderlaufen.

13        Bei diesen Gläubigern handelt es sich regelmäßig um Gesellschafter von Gesellschaften, die keine natürliche Person als persönlich haftenden Gesell-schafter haben (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Für derartige Gesellschaften statuiert § 15a InsO eine Insolvenzantragspflicht der Organe, welche die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens bezweckt, um Altgläubiger vor einer weite-ren Verringerung der Haftungsmasse und Neugläubiger vor einem Vertrags-schluss mit notleidenden Gesellschaften zu schützen (BT-Drucks. 16/6140 S. 55). Missachten die Organe ihre Antragspflicht, kann das Verfahren nur auf Antrag eines Gläubigers - gleich ob es sich um einen Gesellschafter in seiner Funktion als Darlehensgeber oder einen außenstehenden Dritten handelt - er-öffnet werden. Ist sowohl eine Forderung als auch ein Insolvenzgrund gegeben, wäre es - auch im Licht der Ersatzzuständigkeit des Gesellschafters nach § 15a Abs. 3 InsO - höchst ungereimt, von einer Verfahrenseröffnung allein wegen der fehlenden Befriedigungsaussichten des Gesellschafters als nachrangiger Gläu-biger abzusehen. Vielmehr ist es im Interesse gerade der nicht nachrangigen Gläubiger geboten, auf den Antrag eines nachrangigen Gläubigers das Insol-venzverfahren zu eröffnen.

14        c) Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde, der Schuldnerin werde ver-wehrt, substantiierte Einwendungen gegen die dem Antrag zugrundeliegende Forderung geltend zu machen. Die Beteiligte zu 1 ist - wie ein weiterer Eröff-nungsantrag belegt - nicht die einzige Gläubigerin der Schuldnerin. Bei dieser Sachlage konnte sich die Beteiligte zu 1 mit einer Glaubhaftmachung ihrer For-derung (§ 14 Abs. 1 InsO) begnügen.

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