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Wirtschaftsrecht
23.06.2010
Wirtschaftsrecht
LG Frankenthal: Zulässigkeit der einvernehmlichen Aufhebung der Vorstandsbestellung bei gleichzeitiger Neubestellung

LG Frankenthal: Zulässigkeit der einvernehmlichen Aufhebung der Vorstandsbestellung bei gleichzeitiger Neubestellung

LG Frankenthal, Urteil vom 22.4.2010 - 2 HKO 89/09

Leitsatz (nicht amtlich)

Eine Neufestsetzung der Amtszeit eines Vorstandes früher als ein Jahr vor Ablauf seiner bisherigen Amtszeit ist zulässig, wenn wichtige Gründe diese Vorgehensweise erfordern.

§ 84 AktG

Sachverhalt

Die Beklagte ist ein mittelständisches Bauunternehmen mit mehreren Niederlassungen und Schwestergesellschaften in Deutschland und Tochtergesellschaften im europäischen Ausland. Die Anteile an der Beklagten werden von zwei Familienstämmen gehalten; zwischen beiden Stämmen bestehen erhebIiche Spannungen. Der Aufsichtsrat der Beklagten besteht aus insgesamt sechs Mitgliedern, wobei jeder Familienstamm die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder auswählt. Der Vorstand bestand bei Klageerhebung aus drei Vorstandsmitgliedern, nämlich dem Vorstandssprecher Z und den Vorstandsmitgliedern X und Y. Im Januar 2010 war Z Amtszeit als Vorstand beendet. Die Vorstände X und Y waren mit Aufsichtsratsbeschlüssen vom 22.1.2005 auf die Dauer von fünf Jahren bzw. vom April 2006 bis zum Ablauf des 21.1.2010 bestellt worden. Der Kläger, seit 21.8.2006 Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten, begehrt vorliegend die Feststellung der Nichtigkeit von Beschlüssen des Aufsichtsrats der Beklagten vom 6.7.2007, mit denen seinerzeit einstimmig die Bestellung der Vorstandsmitglieder X und Y mit sofortiger Wirkung „einvernehmlich aufgehoben" und sie für die Dauer von fünf Jahren zum Mitglied des Vorstandes bestellt worden waren. Auf der Tagesordnung der Aufsichtsratssitzung vom 6.7.2007 standen u. a. die Anträge auf Widerruf der Bestellung mit gleichzeitiger Neubestellung der Herren X und Y. In der Hauptversammlung der Beklagten, die am darauffolgenden Tag, dem 7.7.2007 stattfand, wurde ein neuer Aufsichtsrat gewählt Der Kläger ist der Auffassung, die streitgegenständlichen Aufsichtsratbeschlüsse seien unter Verstoß gegen aktienrechtliche Bestimmungen gefasst worden, da die vorzeitige Neubestellung von Vorständen nicht statthaft sei. Es hätten auch keine besonderen Umstände vorgelegen, die eine solche Vorgehensweise ausnahmsweise rechtfertigen konnten. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

            Voraussetzungen der Verwirkung sind im Streitfall nicht gegeben

Das Recht des Klägers, sich auf die Nichtigkeit der Beschlüsse vom 6.7.2007 zu berufen, kann auch nicht als verwirkt angesehen werden.

Dabei konnte offenbleiben, ob die Auffassung des Klägers zutrifft, wonach bei einem Verstoß gegen § 84 Abs.1 S. 3 AktG ein so schwerwiegender Mangel vorliegt, dass eine Verwirkung nicht möglich ist.

RegeImäßig ist die Verwirkung dann ausgeschlossen, soweit ihr überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen (BGH 5, 196; 16, 93).

Die Voraussetzungen der Verwirkung liegen im Streitfall auch dann nicht vor, wenn sie grundsätzlich möglich wäre.

Ein Recht ist verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zelt nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten auch darauf einrichten durfte; dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde. Die Verwirkung ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens, und der Verstoß gegen Treu und Glauben liegt in der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung (vgl. dazu Palandt, BG8, 69. Aufl., Rn. 87 zu § 242 m. w. M.).

Neben dem Zeitmoment, also der Zeitspanne der Untätigkeit des Berechtigten - sie betrug im Streitfall, da der Kläger seit 21.8.2008 Aufsichtsratsmitglied der Beklagten ist, knapp ein Jahr und ist damit nicht als besonders lang anzusehen - ist für die Annahme der Verwirkung das Umstandsmoment maßgeblich. Der Berechtigte muss einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben dahingehend, dass der Verpflichtete sich auf Grund seines Verhaltens darauf eingerichtet hat, dieser werde sein (vermeintliches) Recht nicht mehr geltend machen (vgl. Palandt, a.a.O., Rdnr. 95 m. w. N.).

Daran fehlt es hier ...

            Die beanstandeten Beschlüsse sind nicht nichtig, da eine vorzeitige Veränderung der Amtszeit bei Vorliegen besonderer Gründe zulässig ist

Dazu gilt Folgendes:

Gem. § 84 Abs. 1 AktG bestellt der Aufsichtrat Vorstandsmitglieder auf höchstens fünf Jahre. Eine wiederholte Bestellung oder Verlängerung der Amtszeit, jeweils für höchstens fünf Jahre, ist zulässig. Sie bedarf eines erneuten Aufsichtsratsbeschlusses, der frühestens ein Jahr vor Ablauf der Amtszeit gefasst werden kann (S.3 der Vorschrift).

Gemessen am Wortlaut der Bestimmung hat der Aufsichtsrat der Beklagten mit seinen Beschlüssen vom 7.7.2007 nicht gegen die gesetzlichen Vorgaben verstoßen. Bei seiner Maßnahme handelte es sich weder um wiederholte Bestellungen noch um Verlängerungen der Amtszeit. Vielmehr wurde nach dem Wortlaut der Beschlüsse die Bestellung der Vorstandsmitglieder mit sofortiger Wirkung „einvernehmlich aufgehoben" und sie für die Dauer von fünf Jahren zum Mitglied des Vorstandes der Gesellschaft bestellt wurden.

Die Zulässigkeit einer solchen Vorgehensweise ist in der Literatur umstritten, und die - soweit ersichtlich - bisher einzige gerichtliche Entscheidung zu dieser Thematik des AG Duisburg (NZI 2008, 622) bezeichnet eine solche Handhebung als greifbare Umgehung des § 84 Abs. 1 Satz 3 AktG und hält sie für unzulässig.

Der Auffassung des Amtsgerichts Duisburg folgt die Kammer nicht.

Sie schließt sich der wohl überwiegenden Meinung in der Literatur an, wonach eine vorzeitige Veränderung der Amtszeit zulässig ist, wenn besondere Gründe dies rechtfertigen (vgl. dazu Hüffer, Aktiengesetz 8. Aufl., Rdnr. 7 zu § 84 und Bürgers/Körber, Aktiengesetz, Rdnr. 11 zu § 84 jew. m. w. N.).

Dementsprechend sieht der Deutsche Corporate-Governance-Kodex im Hinblick auf die Aufgaben und Zuständigkeiten des Aufsichtsrats unter Ziff. 5.1.2 u. a. folgendes vor:

Der Aufsichtsrat bestellt und entlässt die MitgIieder des Vorstands. Er soll gemeinsam mit dem Vorstand für eine langfristige Nachfolgeplanung sorgen.

Bei Erstbestellungen sollte die maximal mögliche Bestelldauer von fünf Jahren nicht die Regel sein. Eine Wiederbestellung vor Ablauf eines Jahres vor dem Ende der Bestelldauer bei gleichzeitiger Aufhebung der laufenden Bestellung soll nur bei Vorliegen besonderer Umstände erfolgen. ...

Dieser Kodex, entworfen und ständig überprüft von einer Regierungskommission aus führenden deutschen Aktienrechtlern und namhaften Vertretern der aktienrechtlichen Praxis hat nach seiner Präambel den Anspruch, wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften darzustellen, und seine Beachtung wird auch nicht börsennotierten Gesellschaften empfohlen.

Wenngleich dem Kläger darin zuzustimmen ist, dass die Empfehlungen der Kommission mangels verfassungsrechtlicher Legitimation weder Gesetzeskraft haben noch ein Gesetz verbindlich auslegen können, darf nach Auffassung der Kammer nicht außer Betracht bleiben, dass es wichtige Gründe geben kann, die die beanstandete Vorgehensweise erfordern und eine Neufestsetzung der Amtszeit eines Vorstandes früher als ein Jahr vor Ablauf seiner bisherigen Amtszeit erfordern.

Maßgeblicher Gesichtspunkt für die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Aufsichtsrats der Beklagten vorn 6.7.2007 war demzufolge, ob wichtige Gründe dafür vorgelegen haben.

Diese Frage ist nach Meinung der Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bejahen ...

Tragende Motive waren danach sowohl das Ausscheiden des Vorstandsmitglieds Z , die Gefahr der Abwanderung der betroffenen Vorstände X und Y zu einem anderen Unternehmen sowie der Umstand, dass ohne diese Entscheidung für das Unternehmen die Gefahr bestand, Anfang des Jahres 2010 ohne Vorstand dazustehen ...

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