BGH: Zu den Rechtsfolgen mangelnder Zahlungsfähigkeit einer GmbH nach Einziehungsbeschluss
BGH, Teilurteil vom 5.4.2011 - II ZR 263/08
Sachverhalt
Die Klägerin zu 2, ihr während des Revisionsverfahrens verstorbener Ehemann, der Kläger zu 1, und W. T. sind bzw. waren neben der von T. beherrschten T. Holding GmbH Gesellschafter der beklagten TM Immobilien und Vermietungs GmbH. Die Anteile der Kläger betrugen anfangs je 10 %. Der Anteil des Klägers zu 1 erhöhte sich in der Folgezeit auf 16,6 %. Die Beklagte errichtete und betreibt ein Wohn-, Geschäfts-, Freizeit- und Einkaufszentrum in B. Sie erhielt Kredite der Hypothekenbank in H. AG in Höhe von zusammen 39 Mio. DM. Zur Besicherung übernahmen die Kläger u.a. gemäß notarieller Urkunde vom 17. März 1998 mit Ergänzung vom 20. März 1998 die persönliche Haftung in Höhe von 1.520.000 DM und die übrigen Gesellschafter eine solche in Höhe von 4.390.500 DM. Die Gesellschafter unterwarfen sich jeweils der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen.
Am 18./19. Juli 2001 verkaufte die Bank ihre offene Darlehensforderung in Höhe von 37.408.082,89 DM für 22,2 Mio. DM an T. Am 21. August 2006 trat sie an ihn ihre Rechte aus der Schuldübernahme ab.
Am 20. Februar 2003 beschlossen die Gesellschafter, das Stammkapital von 50.000 DM auf 11.472.940 € zu erhöhen. Dies geschah durch Einbringung von Darlehensforderungen des T. und der T. Holding GmbH gegen die Gesellschaft als Sacheinlagen. Dadurch verminderte sich der Anteil der Kläger am Stammkapital auf insgesamt 0,06 %. Zugleich wurde vereinbart, dass die etwaigen Abfindungsansprüche der Kläger nach wie vor nach einem Anteil in Höhe von 26,6 % berechnet werden sollen.
T. ließ im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Geschäftsanteile der Kläger aus deren Haftungsübernahmeerklärungen bezüglich der noch offenen Ansprüche aus dem übernommenen Darlehen pfänden. Die Kläger wehren sich dagegen mit Vollstreckungsabwehrklagen.
Im Gesellschaftsvertrag der Beklagten ist für den Fall einer länger als 6 Wochen dauernden Zwangsvollstreckung in einen Geschäftsanteil die Ausschließung des betroffenen Gesellschafters vorgesehen. Dementsprechend beschloss die Gesellschafterversammlung der Beklagten am 30. Januar 2007, die Kläger auszuschließen und ihre Geschäftsanteile einzuziehen.
Dagegen haben die Kläger Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen erhoben. In erster Instanz waren die Klagen erfolgreich. Das Berufungsgericht hat die Klagen dagegen hinsichtlich der Ausschließungsbeschlüsse abgewiesen und ihnen nur hinsichtlich der Einziehungsbeschlüsse stattgegeben. Hiergegen richten sich die vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen der Kläger und die Anschlussrevision der Beklagten.
Aus den Gründen
7 Das Verfahren ist, soweit es den Kläger zu 1 betrifft, nach § 246 ZPO ausgesetzt worden. Über die Revision der Klägerin zu 2 und die Anschlussrevision der Beklagten, soweit sie die Beschlussmängelklage der Klägerin zu 2 betrifft, ist durch Teilurteil zu entscheiden (zur Zulässigkeit eines Teilurteils im Falle der Unterbrechung des Verfahrens gegen einen Streitgenossen wegen Todes s. BGH, Urteil vom 7. November 2006 - X ZR 149/04, NJW 2007, 156 Rn. 15 f.).
8 Die Revision der Klägerin zu 2 hat Erfolg. Die Anschlussrevision der Beklagten gegen die Klägerin zu 2 ist dagegen zurückzuweisen.
9 I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
10 Die Ausschließung der Kläger sei wirksam. Die satzungsmäßigen Voraussetzungen seien erfüllt. Danach könnten die Kläger ausgeschlossen werden, weil die Zwangsvollstreckung in ihre Geschäftsanteile betrieben würde und die Pfändung nicht innerhalb von sechs Wochen abgewendet worden sei. Diese Klausel sei nicht einschränkend auszulegen im Hinblick darauf, dass der Mitgesellschafter T. die Zwangsvollstreckung betreibe. T. verstoße damit auch nicht gegen seine gesellschafterliche Treuepflicht. Er sei insbesondere nicht verpflichtet, die Kläger von ihrer Haftung aus den Schuldbeitritten freizustellen. Auch aus § 34 Abs. 3 GmbHG bestünden keine Bedenken gegen eine Ausschließung. Zwar könne die Beklagte die Abfindung der Kläger nicht aus freiem Vermögen zahlen. Das habe aber auf die Wirksamkeit der Ausschließung keinen Einfluss, weil als Vollziehung der Ausschließung nicht nur die Einziehung der Geschäftsanteile der Kläger in Betracht komme, sondern auch eine Übertragung an einen Mitgesellschafter oder einen Dritten, der dann die Abfindung ohne Begrenzung durch die Kapitalerhaltungsregeln zahlen könne.
11 Der Einziehungsbeschluss sei dagegen gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG nichtig, weil bei Beschlussfassung festgestanden habe, dass die mit der Einziehung fällig werdende Abfindung nicht aus freiem Vermögen der Beklagten gezahlt werden könne. Aus den vorgelegten Unterlagen ergebe sich, dass den Klägern Abfindungsansprüche in beachtlicher Höhe zuständen und dem kein freies, nach Buchwerten berechnetes Vermögen der Beklagten gegenüber stehe.
12 II. Diese Ausführungen sind hinsichtlich der Einziehung frei von Rechtsfehlern, so dass die Anschlussrevision ohne Erfolg bleibt. Hinsichtlich der Ausschließung halten sie dagegen revisionsgerichtlicher Kontrolle nicht stand. Das Berufungsgericht hat insoweit übersehen, dass die Unwirksamkeit der Einziehung im vorliegenden Fall auch zur Unwirksamkeit der Ausschließung führt.
13 1. Nach § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG kann ein Geschäftsanteil an einer GmbH nur dann eingezogen werden, wenn es bei Fassung des Einziehungsbeschlusses möglich erscheint, dass die von der Gesellschaft geschuldete Abfindung aus freiem, die Stammkapitalziffer nicht beeinträchtigenden Vermögen gezahlt werden kann (BGH, Urteil vom 19. Juni 2000 - II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369 f.). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.
14 a) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Klägerin zu 2 - bei Wirksamkeit der Einziehung - gemäß den Regeln des Gesellschaftsvertrags ein Abfindungsanspruch zustehe. Dagegen wendet sich die Anschlussrevision ohne Erfolg.
15 Stichtag für die Berechnung des Abfindungsanspruchs ist nach dem Gesellschaftsvertrag der 31. Dezember 2006, nämlich das letzte Quartalsende vor dem Ausschließungs- und Einziehungsbeschluss. Die Abfindung ist nach § 16 des Gesellschaftsvertrags unter Berücksichtigung sämtlicher aktiver und passiver Vermögenswerte der Beklagten ohne den Firmenwert nach ihren wirklichen Werten zu berechnen. Stille Reserven sind dabei zu berücksichtigen.
16 Auszugehen ist von dem Jahresabschluss zum 31. Dezember 2005, da der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2006 noch nicht festgestellt ist. In dem Abschluss des Jahres 2005 stehen den Aktiva in Höhe von 17,8 Mio. € Verbindlichkeiten in Höhe von 17,79 Mio. € gegenüber. Die Werte sind um die in die Abfindungsbilanz einfließenden stillen Reserven zu erhöhen. Für das Vorhandensein von stillen Reserven spricht, dass der Verkehrswert der Gesellschaftsimmobilie am 19. Februar 2003 von einem Sachverständigen auf 30 Mio. € geschätzt worden ist, während das Grundstück in der Bilanz nur mit 16,7 Mio. € bewertet ist. Auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten behaupteten Leerstände ist die Feststellung des Berufungsgerichts rechtsfehlerfrei, dass der wahre Wert des Grundstücks zwischen Juli 2003 und Dezember 2005 jedenfalls nicht so stark gefallen ist, dass keine stillen Reserven mehr vorhanden waren. Dass sich diese Bewertung zu dem für die Abfindung maßgeblichen Stichtag 31. Dezember 2006 in erheblicher Weise geändert hätte oder dass mit einer Änderung bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit der in zwölf Monatsraten zu zahlenden Abfindung zu rechnen gewesen wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
17 b) Auch gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei nicht in der Lage, aus einem nach § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG freien Vermögen die Abfindung zu zahlen, ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern. Dabei kommt es nicht darauf an, um welchen Betrag der Wert des Grundstücks gegenüber dem Schätzwert von 30 Mio. € gefallen ist. Denn eine Unterbilanz i.S. von § 30 GmbHG bestimmt sich nicht nach den Verkehrs-, sondern nach den Buchwerten der stichtagsbezogenen Handelsbilanz (BGH, Urteil vom 29. September 2008 - II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 11). Darin sind die etwaigen stillen Reserven nicht auszuweisen. Der Jahresabschluss zum 31. Dezember 2005 weist eine rechnerische Überschuldung in Höhe von 18.595,59 € auf. Dass im Geschäftsjahr 2006 ein Überschuss erwirtschaftet worden wäre oder dass damit in der Folgezeit bis zum Fälligwerden der Abfindungsraten zu rechnen gewesen wäre, lässt sich dem Vortrag der Parteien nicht entnehmen, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt hat. Damit war die Beklagte bei Fassung des Einziehungsbeschlusses nicht in der Lage, die der Klägerin zustehende Abfindung zu zahlen.
18 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der angefochtene Beschluss aus den genannten Gründen auch hinsichtlich der Ausschließung nichtig.
19 a) Nach der Rechtsprechung des Senats gilt das Gebot der Kapitalerhaltung auch dann, wenn die Gesellschaft einen Gesellschafter ausschließen lassen will (BGH, Urteil vom 1. April 1953 - II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 175; ebenso Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 34 Anh. Rn. 7; Lutter in Hommelhoff/Lutter, GmbHG, 17. Aufl., § 34 Rn. 57; MünchKommGmbHG/Strohn, § 34 Rn. 110; Thiessen in Bork/Schäfer, GmbHG, § 34 Rn. 69; Michalski/Sosnitza, GmbHG, 2. Aufl., Anh. § 34 Rn. 20; Scholz/ H. Winter/Seibt, GmbHG, 10. Aufl., Anh. § 34 Rn. 32). Geschieht das nicht durch Urteil, sondern - wie hier - aufgrund einer Satzungsregelung durch Beschluss der Gesellschafterversammlung (zur Zulässigkeit s. Rowedder/ Bergmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl., § 34 Rn. 84), ist dieser Beschluss gemäß § 30 Abs. 1 GmbHG nichtig, wenn bei der Beschlussfassung feststeht, dass die Abfindung nicht aus freiem Vermögen gezahlt werden kann.
20 Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem nicht entgegen, dass die Ausschließung nicht notwendig durch eine Einziehung des Geschäftsanteils vollzogen werden muss, sondern dass dafür auch eine Übertragung des Geschäftsanteils auf einen Mitgesellschafter oder einen Dritten in Betracht kommt (Ulmer/Ulmer, GmbHG, Anh. § 34 Rn. 39). Bei einer solchen Übertragung schuldet zwar nicht die Gesellschaft, sondern der Erwerber die Abfindung in Form des Kaufpreises. Das Kapitalerhaltungsgebot aus § 30 Abs. 1 GmbHG kann in diesem Fall also in der Regel nicht verletzt werden. Darauf kann es aber nur dann ankommen, wenn diese Möglichkeiten tatsächlich bestehen. Ob sie darüber hinaus in dem Beschluss auch festgelegt sein müssen, kann offen bleiben. Hier bestehen sie jedenfalls nicht. Denn die Gesellschafterversammlung der Beklagten hat mit der Ausschließung zugleich die Einziehung der Geschäftsanteile beschlossen. Damit ist das Schicksal der Ausschließung mit dem der Einziehung untrennbar verbunden. Es besteht kein Anlass, die Wirksamkeit der Ausschließung großzügiger zu beurteilen als die Wirksamkeit der Einziehung.
21 b) Anders als das Berufungsgericht meint, steht der Anwendung des § 30 Abs. 1 GmbHG nicht entgegen, dass die Ausschließung nach dem Inhalt des Gesellschaftsvertrags mit Zugang des Beschlusses wirksam wird, und zwar un-abhängig davon, "ob der betroffene Gesellschafter ein Entgelt beanspruchen kann" (zur Zulässigkeit derartiger Klauseln s. BGH, Urteil vom 30. Juni 2003 - II ZR 326/01, ZIP 2003, 1544, 1546). Damit ist der Zusammenhang zwischen Ausschließung und Abfindung nicht aufgehoben. Mit einer solchen Regelung soll vielmehr erreicht werden, dass die Wirksamkeit der Ausschließung nicht hinausgeschoben wird, wenn sich die Abfindungszahlung verzögert, etwa weil Streit über deren Höhe besteht oder weil die Abfindung satzungsgemäß zu einem späteren Zeitpunkt oder - wie hier - in Raten zu zahlen ist. Wenn dagegen schon bei Fassung des Ausschließungsbeschlusses feststeht, dass die Abfindung nicht gezahlt werden kann, betrifft das nicht den Schwebezustand bis zur Abfindungszahlung, sondern die Wirksamkeit der Ausschließung insgesamt. Es ist kein Grund ersichtlich, warum sich ein Gesellschafter einer Ausschließung unterwerfen soll, wenn feststeht, dass die geschuldete Abfindung nicht gezahlt werden kann.
22 3. Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, hat der Senat in der Sache zu entscheiden und die Anschlussrevision zurückzuweisen sowie die Nichtigkeit des Beschlusses auch hinsichtlich der Ausschließung der Klägerin zu 2 festzustellen, § 563 Abs. 3 ZPO.