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Wirtschaftsrecht
02.11.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Zur Wettbewerbsverbotsklausel in zwischen zwei auf unterschiedlichen Produktmärkten tätigen Unternehmen geschlossener Handelspartnerschaftsvereinbarung

EuGH, Urteil vom 26.10.2023 – C-331/21, EDP – Energias de Portugal SA, EDP Comercial – Comercialização de Energia SA, MC retail SGPS SA, vormals Sonae MC SGPS SA, Modelo Continente Hipermercados SA gegen Autoridade da Concorrência,

ECLI:EU:C:2023:812

Volltext: BB-Online BBL2023-2561-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

1. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass ein Unternehmen, das ein Netz von Einzelhändlern für Massenkonsumgüter betreibt, auch dann auf dem Strommarkt als potenzieller Wettbewerber eines Stromlieferanten anzusehen ist, mit dem es eine Partnerschaftsvereinbarung geschlossen hat, die eine Wettbewerbsverbotsklausel enthält, wenn das Unternehmen zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung auf diesem Produktmarkt keine Tätigkeit ausübt, sofern auf der Grundlage einer Reihe übereinstimmender tatsächlicher Umstände, die die Struktur und das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des Marktes berücksichtigen, nachgewiesen ist, dass wirkliche und konkrete Möglichkeiten bestehen, dass das Unternehmen in den Markt eintritt und mit diesem Lieferanten in Wettbewerb steht.

2. Art. 101 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen ist dahin auszulegen, dass eine Handelspartnerschaftsvereinbarung, die zwischen zwei Unternehmen geschlossen worden ist, die auf unterschiedlichen, einander nicht vor- oder nachgelagerten Produktmärkten tätig sind, nicht unter die Gruppen der „vertikalen Vereinbarungen“ und „Handelsvertreterverträge“ fällt, wenn diese Vereinbarung darin besteht, die Entwicklung des Absatzes der Produkte dieser beiden Unternehmen durch ein System der Förderung und gegenseitiger Rabatte zu begünstigen, wobei jedes dieser Unternehmen einen Teil der mit der Durchführung dieser Partnerschaft verbundenen Kosten trägt.

3. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Wettbewerbsverbotsklausel in einer zwischen zwei auf unterschiedlichen Produktmärkten tätigen Unternehmen geschlossenen Handelspartnerschaftsvereinbarung, mit der die Entwicklung des Absatzes der Produkte dieser beiden Unternehmen durch ein System der Förderung und gegenseitiger Rabatte begünstigt werden soll, nicht als Nebenabrede zu dieser Partnerschaftsvereinbarung angesehen werden kann, es sei denn, die sich aus dieser Klausel ergebende Beschränkung ist für die Durchführung der Partnerschaftsvereinbarung objektiv erforderlich und steht in einem angemessenen Verhältnis zu deren Zielen.

4. Art. 101 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass eine Wettbewerbsverbotsklausel, die im Rahmen einer Handelspartnerschaftsvereinbarung u. a. darin besteht, einer der Parteien dieser Vereinbarung zu verbieten, in den nationalen Stromversorgungsmarkt einzutreten, auf dem die andere Partei der Vereinbarung ein bedeutender Akteur ist, und zwar zum Zeitpunkt der letzten Phase der Liberalisierung dieses Marktes, auch dann eine Vereinbarung darstellt, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt, wenn die Verbraucher bestimmte Vorteile aus dieser Vereinbarung ziehen und die Wettbewerbsverbotsklausel zeitlich begrenzt ist, sofern sich aus einer Analyse des Inhalts dieser Klausel sowie ihres wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts ergibt, dass die Klausel den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt, um davon ausgehen zu können, dass die Prüfung ihrer Wirkungen nicht notwendig ist.

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV sowie von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a und c der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen (ABl. 2010, L 102, S. 1).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der EDP – Energias de Portugal SA (im Folgenden: EDP Energias), der EDP Comercial – Comercialização de Energia SA (im Folgenden: EDP Comercial), der MC retail SGPS SA (vormals Sonae MC SGPS SA und, zum Zeitpunkt des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, Sonae Investimentos SGSP SA und SONAE MC – Modelo Continente SGPS) (im Folgenden: MC retail) sowie der Modelo Continente Hipermercados SA (im Folgenden: Modelo Continente) auf der einen und der Autoridade da Concorrência (im Folgenden: AdC) auf der anderen Seite wegen Geldbußen, die wegen des Abschlusses einer wettbewerbswidrigen Vereinbarung verhängt worden sind.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 330/2010

3          Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 330/2010 sieht vor:

„(1) Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a) ‚vertikale Vereinbarung‘ ist eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, geschlossen wird und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen;

b) ‚vertikale Beschränkung‘ ist eine Wettbewerbsbeschränkung in einer vertikalen Vereinbarung, die unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fällt;

c) ‚Wettbewerber‘ ist ein tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber; ein „tatsächlicher Wettbewerber“ ist ein Unternehmen, das auf demselben relevanten Markt tätig ist; ein „potenzieller Wettbewerber“ ist ein Unternehmen, bei dem realistisch und nicht nur hypothetisch davon ausgegangen werden kann, dass es ohne die vertikale Vereinbarung als Reaktion auf einen geringen, aber anhaltenden Anstieg der relativen Preise wahrscheinlich innerhalb kurzer Zeit die zusätzlichen Investitionen tätigen oder sonstigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, die erforderlich wären, um in den relevanten Markt einzutreten;

…“

 

Leitlinien für vertikale Beschränkungen

4          Mit den Leitlinien für vertikale Beschränkungen, die in der Mitteilung der Kommission vom 10. Mai 2010 (SEK[2010] 411 endgültig, im Folgenden: Leitlinien für vertikale Beschränkungen) enthalten sind, wird u. a. der Geltungsbereich der Verordnung Nr. 330/2010 präzisiert.

5          Abschnitt II („Grundsätzlich nicht unter Artikel 101 Absatz 1 AEUV fallende vertikale Vereinbarungen“) der Leitlinien für vertikale Beschränkungen enthält einen Abschnitt 2 („Handelsvertreterverträge“), der u. a. die Rn. 12 bis 17 dieser Leitlinien umfasst, die wie folgt lauten:

„(12) Ein Handelsvertreter ist eine juristische oder natürliche Person, die mit der Vollmacht ausgestattet ist, im Auftrag einer anderen Person (des Auftraggebers) entweder im eigenen Namen oder im Namen des Auftraggebers Verträge auszuhandeln und/oder zu schließen, die Folgendes zum Gegenstand haben:

– den Ankauf von Waren oder Dienstleistungen durch den Auftraggeber, oder

– den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen des Auftraggebers.

(13) Entscheidend für die Frage, ob Artikel 101 Absatz 1 AEUV anwendbar ist, ist das finanzielle oder geschäftliche Risiko, das der Handelsvertreter bezüglich der ihm vom Auftraggeber übertragenen Tätigkeiten trägt. Dabei ist es unerheblich, ob der Vertreter für einen oder für mehrere Auftraggeber handelt. Auch die Einstufung des Handelsvertretervertrags durch die Unterzeichner oder die einzelstaatlichen Gesetze ist für die wettbewerbsrechtliche Würdigung belanglos.

(14) Im Hinblick auf die Anwendung des Artikels 101 Absatz 1 AEUV sind drei Arten finanzieller oder geschäftlicher Risiken für die Einstufung als Handelsvertreterverträge von Bedeutung. Erstens gibt es Risiken, die – wie die Finanzierung von Lagerbeständen – unmittelbar mit den Verträgen zusammenhängen, die der Vertreter für den Auftraggeber geschlossen und/oder ausgehandelt hat. Zweitens sind Risiken zu nennen, die mit marktspezifischen Investitionen verbunden sind, also mit Investitionen, die für die Art der vom Vertreter auszuführenden Tätigkeit erforderlich sind und die dieser benötigt, um den betreffenden Vertrag schließen und/oder aushandeln zu können. Solche Investitionen stellen normalerweise versunkene Kosten dar, weil sie nach Aufgabe des betreffenden Geschäftsfelds nicht für andere Geschäfte genutzt oder nur mit erheblichem Verlust veräußert werden können. Drittens existieren insofern Risiken in Verbindung mit anderen Tätigkeiten auf demselben sachlich relevanten Markt, als der Auftraggeber vom Handelsvertreter verlangt, diese durchzuführen, allerdings nicht im Namen des Auftraggebers, sondern auf eigenes Risiko.

(15) Für die Anwendung von Artikel 101 Absatz 1 AEUV gilt eine Vereinbarung als Handelsvertretervertrag, wenn der Handelsvertreter bezüglich der Verträge, die er im Namen des Auftraggebers schließt und/oder aushandelt, bezüglich marktspezifischer Investitionen für diesen Tätigkeitsbereich und bezüglich anderer Tätigkeiten, die der Auftraggeber für denselben sachlich relevanten Markt als erforderlich erachtet, keine oder nur unbedeutende Risiken trägt. Risiken, die mit der Erbringung von Handelsvertreterleistungen generell zusammenhängen, wie z. B. die Abhängigkeit des Einkommens des Handelsvertreters von seinem Erfolg als Vertreter oder von allgemeinen Investitionen in Geschäftsräume oder Personal, sind für die Würdigung irrelevant.

(16) Eine Vereinbarung wird für die Anwendung von Artikel 101 Absatz 1 AEUV im Allgemeinen als Handelsvertretervertrag betrachtet, wenn das Eigentum an erworbenen oder verkauften Vertragswaren nicht auf den Handelsvertreter übergeht, wenn der Handelsvertreter die Vertragsdienstleistungen nicht selbst erbringt und wenn der Vertreter

a) sich nicht an den Kosten, einschließlich Beförderungskosten, beteiligt, die mit der Lieferung/Erbringung bzw. dem Erwerb der Vertragswaren oder ‑dienstleistungen verbunden sind. Dies schließt nicht aus, dass der Handelsvertreter Beförderungsleistungen erbringt, sofern die Kosten vom Auftraggeber übernommen werden;

b) nicht auf eigene Kosten oder eigenes Risiko Vertragswaren lagert, was die Kosten für die Finanzierung der Lagerbestände und für den Verlust von Lagerbeständen einschließt, und unverkaufte Waren unentgeltlich an den Auftraggeber zurückgeben kann, sofern der Handelsvertreter nicht für Verschulden haftet, (wenn er es z. B. versäumt, zumutbare Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, um den Verlust von Lagerbeständen zu vermeiden);

c) gegenüber Dritten keine Haftung für Schäden übernimmt, die durch das verkaufte Produkt verursacht wurden (Produkthaftung), es sei denn, er ist als Handelsvertreter dafür verantwortlich;

d) keine Haftung dafür übernimmt, dass die Kunden ihre Vertragspflichten erfüllen, mit Ausnahme des Verlustes der Provision des Handelsvertreters, sofern dieser nicht für Verschulden haftet (wenn er es z. B. versäumt, zumutbare Sicherheitsmaßnahmen oder Diebstahlsicherungen vorzusehen oder zumutbare Maßnahmen zu treffen, um Diebstähle dem Auftraggeber oder der Polizei zu melden, oder es unterlässt, dem Auftraggeber alle ihm bekannten Informationen hinsichtlich der Zahlungsverlässlichkeit seiner Kunden zu übermitteln);

e) weder unmittelbar noch mittelbar verpflichtet ist, in verkaufsfördernde Maßnahmen zu investieren und sich z. B. an den Werbeaufwendungen des Auftraggebers zu beteiligen;

f) nicht in marktspezifische Ausrüstungen, Räumlichkeiten oder Mitarbeiterschulungen investiert, wie z. B. einen Kraftstofftank im Fall des Kraftstoffeinzelhandels oder spezielle Software für den Verkauf von Policen im Fall von Versicherungsvermittlern, es sei denn, der Auftraggeber übernimmt diese Kosten in vollem Umfang;

g) keine anderen Tätigkeiten auf Verlangen des Auftraggebers auf demselben sachlich relevanten Markt wahrnehmen muss, es sei denn, der Auftraggeber übernimmt die Kosten hierfür in vollem Umfang.

(17) Diese Aufstellung ist nicht erschöpfend. Sofern der Handelsvertreter jedoch eines oder mehrere der in Randnummern 14, 15 und 16 genannten Risiken oder Kosten zu tragen hat, kann die Vereinbarung zwischen Vertreter und Auftraggeber nicht als Handelsvertretervertrag gewertet werden. Die Frage des Risikos muss im Einzelfall beantwortet werden, wobei vorzugsweise auf die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten und weniger auf die Rechtsform abzustellen ist. Aus praktischen Erwägungen sollten bei der Beurteilung der Risiken zuerst die vertragsspezifischen Risiken geprüft werden. Hat der Vertreter die vertragsspezifischen Risiken zu tragen, so lässt sich daraus schließen, dass er ein unabhängiger Händler ist. Gehen die vertragsspezifischen Risiken nicht zu Lasten des Handelsvertreters, so ist zu prüfen, wer die Risiken trägt, die mit marktspezifischen Investitionen verbunden sind. Sofern der Handelsvertreter weder vertragsspezifische Risiken noch mit marktspezifischen Investitionen verbundene Risiken zu tragen hat, sind die Risiken in Verbindung mit anderen auf demselben sachlich relevanten Markt erforderlichen Tätigkeiten zu prüfen.“

 

6          In den Rn. 24 und 25 Buchstabe c dieser Leitlinien heißt es:

„(24) Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe a [der Verordnung Nr. 330/2010] definiert vertikale Vereinbarungen als ‚eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, geschlossen wird und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können‘.

(25) Die Definition vertikaler Vereinbarungen in Randnummer 24 beruht auf vier zentralen Elementen:

c) Die Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise besteht zwischen Unternehmen, die für die Zwecke der Vereinbarung auf unterschiedlichen Stufen der Produktions- oder Vertriebskette tätig sind. Dies bedeutet z. B., dass ein Unternehmen einen Rohstoff herstellt, den ein anderes als Vorleistung verwendet, oder dass es sich bei dem ersten Unternehmen um einen Hersteller, dem zweiten um einen Großhändler und dem dritten um einen Einzelhändler handelt. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass ein Unternehmen auf mehr als einer Stufe der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist.

…“

 

7          In Rn. 27 der Leitlinien heißt es:

„‚Vertikale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern‘ sind nach Artikel 2 Absatz 4 [der Verordnung Nr. 330/2010] ausdrücklich von der Freistellung ausgeschlossen. Sie sind, was mögliche Kollusionswirkungen betrifft, Gegenstand der [Leitlinien zu Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit]. Die vertikalen Elemente solcher Vereinbarungen sind jedoch nach den vorliegenden Leitlinien zu beurteilen. Ein Wettbewerber ist laut der Definition in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe c der [Verordnung Nr. 330/2010] ‚ein tatsächlicher oder potenzieller Wettbewerber‘. Zwei Unternehmen gelten als tatsächliche Wettbewerber, wenn sie auf demselben relevanten Markt tätig sind. Ein Unternehmen gilt als potenzieller Wettbewerber eines anderen Unternehmens, wenn wahrscheinlich ist, dass es, wenn keine Vereinbarung geschlossen wird, im Falle eines geringfügigen aber dauerhaften Anstiegs der relativen Preise innerhalb kurzer Zeit und in der Regel binnen höchstens eines Jahres die notwendigen Zusatzinvestitionen durchführen bzw. die notwendigen Umstellungskosten auf sich nehmen würde, um in den relevanten Markt, auf dem das andere Unternehmen tätig ist, einzutreten. Diese Einschätzung muss auf realistischen Annahmen beruhen; die rein theoretische Möglichkeit eines Marktzutritts reicht nicht aus. Ein Händler, der einem Hersteller Spezifikationen erteilt, damit dieser bestimmte Waren unter dem Markennamen des Händlers herstellt, ist nicht als Hersteller dieser Eigenmarkenwaren anzusehen.“

 

Portugiesisches Recht

8          Art. 9 Abs. 1 der Lei n.° 19/2012 – Aprova o novo regime jurídico da concorrência, revogando as Leis nos 18/2003, de 11 de junho, e 39/2006, de 25 de agosto, e procede à segunda alteração à Lei n.° 2/99, de 13 de janeiro (Gesetz Nr. 19/2012 zur Genehmigung der Neuregelung des Wettbewerbs, zur Aufhebung des Gesetzes Nr. 18/2003 vom 11. Juni 2003 und des Gesetzes Nr. 39/2006 vom 25. August 2006 und zur zweiten Änderung des Gesetzes Nr. 2/99 vom 13. Januar 1999) vom 8. Mai 2012 (Diário da República, Serie I, Nr. 89/2012 vom 8. Mai 2012, im Folgenden: NRJC) bestimmt:

„Verboten sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die eine Verhinderung, Verfälschung oder spürbare Einschränkung des Wettbewerbs auf dem gesamten nationalen Markt oder einem Teil davon bezwecken oder bewirken …“

 

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9          Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass Modelo Continente und MC retail zu einem Konzern gehören, dessen Gesellschaften in zahlreichen Branchen tätig sind, u. a. im Einzelhandel, in der Telekommunikation und im Bereich audiovisuelle Medien sowie in den Bereichen Einkaufszentren, Holzwerkstoffe, Tourismus und Energie, mit einer nach Tätigkeits- und/oder Geschäftsbereichen strukturierten Organisation unter dem Dach von Holdings und Subholdings (im Folgenden: Sonae-Konzern).

 

10        Innerhalb dieses Konzerns ist Modelo Continente im Bereich des Handels mit Lebensmitteln und Massenkonsumgütern in Portugal tätig. Sie betreibt unmittelbar oder mittelbar über Beteiligungen eine Reihe von Geschäften, die unter den Handelsnamen Continente, Continente Modelo und Continente Bom Dia tätig sind. MC retail, deren Zweck die Verwaltung von Gesellschaftsanteilen war, war zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit im Bereich des Einzelhandelsvertriebs tätig. Sie hielt 100 % des Kapitals von Modelo Continente Hipermercados.

 

11        EDP Energias und EDP Comercial gehören einem portugiesischen Konglomerat an, dessen Muttergesellschaft, EDP Energias, u. a. im Bereich der Erzeugung und Lieferung von Strom und Erdgas in Portugal tätig ist (im Folgenden: EDP-Konzern). Der EDP-Konzern ist der größte portugiesische Akteur auf den Märkten für Stromerzeugung, ‑verteilung und ‑lieferung, der drittgrößte Akteur bei der Stromerzeugung und einer der größten Gasversorger auf der Iberischen Halbinsel.

 

12        Am 5. Januar 2012 schlossen EDP Comercial und Modelo Continente eine Partnerschaftsvereinbarung, mit der der Wortlaut und die Bedingungen des „EDP-Continente-Programms“ festgelegt wurden. Diese Vereinbarung zielte darauf ab, Kunden zu gewinnen, den Verkauf zu fördern und den Verbrauchern Rabatte anzubieten. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung standen die beiden genannten Gesellschaften auf den unterschiedlichen Märkten für den Einzelhandel mit Lebensmitteln und Massenkonsumgütern sowie für die Lieferung von Strom und Erdgas in Portugal nicht wirksam im Wettbewerb.

 

13        Klausel 2.1 der Partnerschaftsvereinbarung bestimmte deren Gegenstand und Anwendungsbereich, indem sie im Wesentlichen vorsah, die Entwicklung der Tätigkeiten der Lieferung von Strom durch EDP Comercial und des Einzelhandelsvertriebs von Lebensmitteln durch Modelo Continente in verschiedenen Hyper- und Supermärkten sowie in Handelseinrichtungen, die von anderen zum Sonae-Konzern gehörenden Gesellschaften betrieben werden, zu fördern.

 

14        In geschäftlicher Hinsicht sah das „EDP-Continente-Programm“ Rabatte auf die Strompreise ausschließlich für Kunden vor, die die „Continente-Karte“, eine von Modelo Continente im Rahmen eines Treueprogramms ausgegebene Rabattkarte, besaßen.

 

15        Zusätzlich zum Besitz dieser Karte mussten Kunden, die am „EDP-Continente-Programm“ teilnehmen wollten, mit EDP Comercial einen Vertrag über die Versorgung mit Niederspannungsstrom unter der liberalisierten Regelung in Portugal schließen. Dadurch erhielten diese Kunden einen 10%igen Rabatt bezüglich ihres Stromverbrauchs. Hierfür wurden Rabattgutscheine über den Betrag der jeweiligen Ermäßigung ausgegeben und auf der Continente-Karte der betreffenden Kunden gutgeschrieben. Letztere konnten diese dann bei Einkäufen in den in Klausel 2.1 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung genannten Geschäften einlösen.

 

16        Ursprünglich kam EDP Comercial vollständig für den Betrag der Preisnachlässe auf. Modelo Continente sollte monatlich eine Lastschrift über den Betrag der im Vormonat ausgestellten und tatsächlich eingelösten Gutscheine ausstellen, die am Ende des Monats zu zahlen war, in dem die jeweilige Rechnung ausgestellt wurde. Allerdings war vorgesehen, dass Modelo Continente entsprechend der Zunahme der Nachfrage in den Geschäften des Sonae-Konzerns und der Umsatzsteigerung aufgrund des „EDP-Continente-Programms“ einen Teil der gewährten Rabatte übernehmen würde.

 

17        Die übrigen Kosten der Partnerschaft für Werbung, Marketing, Kommunikation und Rechtsvertretung in Verfahren wurden von EDP Comercial und Modelo Continente zu gleichen Teilen getragen.

 

18        Klausel 12.1 („Ausschließlichkeit“) der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung bestimmte:

„Während der Laufzeit dieser Vereinbarung und für einen Zeitraum von einem Jahr nach deren Ende verpflichtet sich Modelo Continente,

a) weder unmittelbar noch über eine Gesellschaft, an der Sonae Investimentos SGPS SA eine Mehrheitsbeteiligung hält, Strom oder Erdgas auf dem portugiesischen Festland zu vertreiben;

 

b) mit keinem Strom- oder Erdgaslieferanten, der nicht in einem Kontroll- oder Konzernverhältnis zu EDP Comercial steht …, Partnerschaftsvereinbarungen, Joint Ventures, Grundsatzvereinbarungen, Werbekampagnen oder andere Vereinbarungen zu verhandeln oder einzugehen, die – unter welchen Bedingungen auch immer – die Gewährung von Rabatten oder anderen finanziellen Vorteilen in Bezug auf Strom oder Erdgas bezwecken oder bewirken.

…“

 

19        Gemäß Klausel 12.2 dieser Vereinbarung ging EDP Comercial auf dem portugiesischen Festlandsmarkt für den Lebensmitteleinzelhandel gleichgerichtete Verpflichtungen ein.

 

20        Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung blieb bis zum 31. Dezember 2012 in Kraft, obwohl Verbraucher nur zwischen dem 9. Januar 2012 und dem 4. März 2012 am „EDP-Continente-Programm“ teilnehmen konnten.

 

21        Stromlieferverträge konnten innerhalb eines Netzes von 180 von Modelo Continente betriebenen Einkaufszentren geschlossen werden, deren Versorgung von EDP Comercial und Modelo Continente gemeinsam sichergestellt wurde. Insgesamt nahmen 146 775 Kunden am „EDP-Continente-Programm“ teil, von denen 137 144 während und nach dem Ende der Kampagne vertraglich an EDP Comercial gebunden blieben.

 

22        Die Summe der den Teilnehmern des „EDP-Continente-Programms“ gewährten Rabatte betrug 6 907 354 Euro; die Summe der eingelösten Gutscheine belief sich auf etwa 6 024 252 Euro. Von diesem Betrag trug Modelo Continente 1 795 912 Euro.

 

23        Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung in eine entscheidende Phase des Prozesses der Liberalisierung des Stromversorgungsmarktes gefallen sei, da die regulierten Tarife für die normale Niederspannung Ende 2012 ausgelaufen seien. Der EDP-Konzern habe daher versucht, eine große Zahl von Kunden auf dem liberalisierten nationalen Markt zu gewinnen, indem er eine Zeit genutzt habe, in der auf diesem Markt noch nicht die Spitze des Übergangs der Kunden im Bereich Niederspannung erreicht gewesen sei.

 

24        Insoweit geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die Liberalisierung der Stromversorgung in Portugal ab 1995 in mehreren Schritten verlief. Der portugiesische Regulierungsrahmen für die Vermarktung elektrischer Energie soll seit 1995 den freien Wettbewerb in diesem Sektor dadurch fördern, dass die rechtlichen Bedingungen für die Aufnahme und die Ausübung der Tätigkeit der Stromlieferung insofern vereinfacht werden, als diese nur noch einer Registrierung und nicht mehr einer Lizenz bedarf, wodurch der Marktzutritt unabhängiger Betreiber begünstigt wird.

 

25        Das vorlegende Gericht führt aus, dass Portugal im Jahr 2006 eine Übergangsperiode eingeführt habe, in der die Verbraucher zwischen dem regulierten und dem liberalisierten Markt allein aufgrund der Anreize und der wirtschaftlichen Attraktivität der Angebote hätten wählen können, wobei ihnen keinerlei regulatorische Belastungen oder Einschränkungen auferlegt worden seien.

 

26        Mit Wirkung vom 1. Januar 2011 seien die regulierten Tarife für die Lieferung von Strom in Höchst‑, Hoch- und Mittelspannung sowie in spezifischer Niederspannung für Endkunden abgeschafft worden. Die regulierten Tarife für die Lieferung von Niederspannungsstrom (kleine Geschäfte/Haushalte) seien mit Wirkung vom 1. Juli 2012 für Endkunden mit einer vertraglichen Leistung von mindestens 10,35 kVA und mit Wirkung vom 1. Januar 2013 für Kunden mit einer vertraglichen Leistung von weniger als 10,35 kVA abgeschafft worden. Nach diesen Zeitpunkten sollten neue Verträge nur noch auf dem liberalisierten Markt abgeschlossen werden können. Für Verbraucher, die sich zu den genannten Zeitpunkten nicht für einen Wechsel zu einem Vertrag auf dem liberalisierten Markt entschieden hätten, habe es jedoch tarifliche Übergangsregelungen gegeben. Für diese Verbraucher hätten von der Entidade Reguladora dos Serviços Energéticos (Regulierungsbehörde für Energiedienstleistungen, Portugal) festgesetzte Tarife mit Preisaufschlägen gegolten, um einen Anreiz für den Übergang zum liberalisierten Markt zu schaffen. Die letzte dieser Regelungen sei am 31. Dezember 2017 ausgelaufen.

 

27        Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts entwickelte der Sonae-Konzern in diesem Zusammenhang zwischen den Jahren 2002 und 2008 über eine Partnerschaft mit Endesa, einem in Spanien auf dem Markt der Stromerzeugung und ‑versorgung etablierten Akteur, eine Tätigkeit auf dem Markt für die Lieferung von Strom in Portugal. Diese Partnerschaft habe die Form eines am 1. Mai 2002 gegründeten, zu 50 % von jedem der beteiligten Unternehmen gehaltenen Gemeinschaftsunternehmens, Sodesa – Comercialização de Energia SA (im Folgenden: Sodesa), angenommen, um auf dem liberalisierten portugiesischen Markt Strom zu liefern und Dienstleistungen zu erbringen.

 

28        Im Mai 2007 habe der EDP-Konzern Marktanteile auf dem liberalisierten Markt für die Stromversorgung in Portugal verloren. Seine Wettbewerber wie Sodesa und Unión Fenosa hätten einen gemeinsamen Marktanteil von über 50 % der Kunden erreicht, die sich für einen Anbieterwechsel entschieden hätten. Dieser Verlust von Marktanteilen sei jedoch auf das Industriesegment beschränkt gewesen.

 

29        Des Weiteren hätten Modelo Continente und die Petróleos de Portugal – Petrogal SA, ein u. a. auf dem Markt für Stromlieferungen in Portugal und auf dem Markt für die Lieferung von Kraftstoffen tätiger Wirtschaftsteilnehmer, ab dem Jahr 2004 eine Partnerschaft entwickelt, mit der gemeinsamen Kunden Rabatte gewährt worden seien. Außerdem sei der Sonae-Konzern seit dem Jahr 2009 auf dem Markt der Stromerzeugung mittels Photovoltaikmodulen tätig, die auf den Dächern der betriebenen Geschäfte installiert seien.

 

30        Mit einer Entscheidung vom 4. Mai 2017 verhängte die AdC gegen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens Geldbußen wegen Verstoßes gegen Art. 9 NRJC, der im Wesentlichen Art. 101 AEUV wiedergibt.

 

31        Nach Ansicht der AdC bestand der Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht im Abschluss einer Partnerschaftsvereinbarung zwischen diesen Unternehmen, die eine Marktaufteilung – in Form einer Wettbewerbsverbotsklausel – betreffend die drei auf dem portugiesischen Festland gelegenen Märkte für die Lieferung von Elektrizität, für die Lieferung von Erdgas und für den Einzelhandelsvertrieb von Nahrungsmitteln zum Gegenstand gehabt habe. Außerdem sei diese Vereinbarung zu einem entscheidenden Zeitpunkt des Prozesses der Liberalisierung des nationalen Marktes für Stromlieferungen durchgeführt worden, was den wettbewerbswidrigen Charakter der Vereinbarung verstärkt habe.

 

32        Ferner war die AdC u. a. der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung für die Zwecke der Anwendung der Wettbewerbsregeln weder einen Handelsvertretervertrag noch eine vertikale Vereinbarung darstelle und dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass Klausel 12.1 Buchst. a und Klausel 12.2 dieser Vereinbarung unter eine „horizontale Zusammenarbeit“ fielen. Somit sei die in diesem Vertrag enthaltene Wettbewerbsverbotsklausel als bezweckte Beschränkung einzustufen und stelle einen Verstoß gegen das Verbot in Art. 9 NRJC dar.

 

33        Auf eine Klage der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens bestätigte das Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht, Portugal) mit Urteil vom 30. September 2020 die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sanktionsentscheidung, setzte die verhängten Geldbußen jedoch um 10 % herab. Um das Vorliegen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung festzustellen, berücksichtigte dieses Gericht u. a. die Tätigkeiten des Sonae-Konzerns auf den Märkten für die Erzeugung und Lieferung von Strom vor und während der Durchführung der Partnerschaftsvereinbarung.

 

34        Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens und die AdC legten gegen dieses Urteil beim Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.

 

35        Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung und vor allem die darin enthaltene Wettbewerbsverbotsklausel geeignet waren, den Wettbewerb auf den betroffenen Märkten zu beeinträchtigen. Es betont insoweit, dass die Klägerinnen der Ausgangsverfahren auf diesen Märkten nicht in einem wirksamen Wettbewerb gestanden hätten. Außerdem weist es darauf hin, dass es keine Belege dafür gebe, dass es seitens Modelo Continente oder der zum Sonae-Konzern gehörenden Gesellschaften erhebliche und ausreichende Vorbereitungen oder Investitionen gegeben habe.

 

36        Das vorlegende Gericht fragt sich auch, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine solche Vereinbarung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung – im Gegensatz zu einer bewirkten Wettbewerbsbeschränkung – eingestuft werden kann, da die Verbraucher daraus bestimmte Vorteile gezogen hätten.

 

37        Dieses Gericht weist darauf hin, dass nach der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs von der Vermutung, dass bestimmte Praktiken, die ihrem Zweck nach hinreichend restriktiv seien, um den Wettbewerb schwerwiegend zu schädigen, wettbewerbswidrige Wirkungen entfalteten, abgewichen werden könne, wenn mit den Vereinbarungen legitime und verhältnismäßige Ziele verfolgt würden oder wenn wettbewerbsfördernde Ziele oder Wirkungen nachgewiesen würden. Das Gericht fragt sich außerdem, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung als Handelsvertretervertrag eingestuft werden und damit nach der Art. 101 Abs. 3 AEUV entsprechenden nationalen Bestimmung vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen sein könnte.

 

38        Unter diesen Umständen hat das Tribunal da Relação de Lisboa (Berufungsgericht Lissabon) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Ist Art. 101 AEUV, an den Art. 9 NRJC angelehnt ist, dahin auszulegen, dass er es erlaubt, eine Wettbewerbsabrede mit dem Inhalt der Klauseln 12.1 und 12.2 der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung als eine die Einschränkung des Wettbewerbs bezweckende Vereinbarung einzustufen, die zwischen einem Stromlieferanten und einem Lebensmitteleinzelhändler, der Hyper- und Supermärkte betreibt, geschlossen wurde und vorsieht, dass Kunden, die einen bestimmten, auf dem portugiesischen Festland erhältlichen Energietarif des Stromlieferanten wählen und gleichzeitig Inhaber einer Treuekarte des Lebensmitteleinzelhändlers sind, Rabatte erhalten, die ausschließlich beim Kauf von Waren in Geschäften des Lebensmitteleinzelhändlers oder mit ihm verbundener Gesellschaften in Anspruch genommen werden können, wenn diese Vereinbarung andere Klauseln enthält, denen zufolge ihr Zweck in der Förderung der Tätigkeiten der beteiligten Unternehmen besteht, und nachweislich Vorteile für die Verbraucher entstehen, ohne dass geprüft wird, ob die Klauseln 12.1 und 12.2 der Partnerschaftsvereinbarung den Wettbewerb tatsächlich beeinträchtigt haben?

2.         Kann Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin ausgelegt werden, dass eine – zwei Unternehmen als Marktaufteilung vorgeworfene – Vereinbarung über den Verzicht der Ausübung bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung angesehen werden kann, wenn die Vereinbarung zwischen Unternehmen geschlossen wurde, die auf keinem der von der Verpflichtung zum Verzicht betroffenen Märkte tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber sind, auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass die von dieser Verpflichtung betroffenen Märkte liberalisiert sind und keine unüberwindbaren rechtlichen Markteintrittsbarrieren bestehen?

3.         Kann Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin ausgelegt werden, dass ein Stromlieferant und ein Hyper- und Supermärkte betreibender Lebensmitteleinzelhändler, die die Vereinbarung zur Förderung der Geschäfte und des Absatzes der jeweils anderen Partei (und, im Fall des Lebensmitteleinzelhändlers, von Gesellschaften, an denen seine Muttergesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung hält) geschlossen haben, als potenzielle Wettbewerber anzusehen sind, wenn der Lebensmitteleinzelhändler und die mit ihm verbundenen Gesellschaften bei Abschluss der Vereinbarung weder auf dem vom räumlichen Anwendungsbereich der Vereinbarung erfassten Markt noch auf einem anderen Markt als Stromlieferanten tätig waren und im Laufe des Verfahrens nicht nachgewiesen worden ist, dass sie beabsichtigten, diese Tätigkeit dort auszuüben, oder dass sie irgendwelche Schritte unternommen hatten, um die Ausübung dieser Tätigkeit vorzubereiten?

4,         Gilt die Antwort auf die vorhergehende Frage auch, wenn eine andere Gesellschaft, an der die Muttergesellschaft des an der Vereinbarung beteiligten Lebensmitteleinzelhändlers eine Mehrheitsbeteiligung hielt (jedoch ohne dass eine dieser beiden Gesellschaften von der AdC beschuldigt oder sanktioniert wurde und ohne dass sie Partei des Verfahrens vor diesem Gericht ist) und die nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der Wettbewerbsabrede erfasst war, eine 50 %ige Beteiligung an einem dritten Unternehmen gehalten hatte, das Tätigkeiten im Bereich des Vertriebs von Strom in Portugal ausgeübt hatte, die dreieinhalb Jahre vor dem Abschluss der Vereinbarung wegen der Auflösung dieses Unternehmens beendet worden waren?

5.         Ist die Antwort auf die vorhergehende Frage dieselbe, wenn das Einzelhandelsunternehmen, das Partei der Vereinbarung ist, Strom mittels auf den Dächern seiner Geschäfte platzierter Klein- und Kleinstanlagen erzeugt, aber den gesamten erzeugten Strom zu regulierten Preisen an den Versorger letzter Instanz liefert?

6.         Gilt die Antwort auf die vierte Frage auch, wenn das an der Partnerschaftsvereinbarung beteiligte Einzelhandelsunternehmen acht Jahre vor dem Abschluss der Vereinbarung einen anderen (bei Abschluss der Vereinbarung immer noch gültigen) Vertrag über eine geschäftliche Zusammenarbeit mit einem Flüssigkraftstoffe vertreibenden Dritten geschlossen hatte, der gegenseitige Rabatte für den Kauf von Flüssigkraftstoffen und von in den Hyper- und Supermärkten des Einzelhandelsunternehmens angebotenen Waren vorsah, und der Dritte seinerseits neben Flüssigkraftstoffen auch Strom auf dem portugiesischen Festland vertreibt, wobei nicht nachgewiesen ist, dass die Vertragsparteien bei Abschluss der Partnerschaftsvereinbarung die Absicht hatten oder Vorbereitungen getroffen hatten, um den Vertrag auf den Vertrieb von Strom zu erstrecken?

 

7          Gilt die Antwort auf die vierte Frage auch, wenn eine andere Gesellschaft, an der die Muttergesellschaft des an der Vereinbarung beteiligten Lebensmitteleinzelhändlers eine Mehrheitsbeteiligung hielt (jedoch wieder ohne dass eine dieser beiden Gesellschaften von der AdC beschuldigt oder sanktioniert wurde und ohne dass sie Partei des Verfahrens vor diesem Gericht ist) und die nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der Wettbewerbsabrede erfasst war, in einer Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage Strom erzeugte, aber den gesamten erzeugten Strom zu regulierten Preisen an den Versorger letzter Instanz lieferte?

 

8          Falls die vorstehenden Fragen bejaht werden, ist Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass eine Klausel als eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung anzusehen ist, die dem Lebensmitteleinzelhändler während der Geltungsdauer der Vereinbarung und im unmittelbar darauf folgenden Jahr verbietet, in dem von der Vereinbarung erfassten Gebiet auf dem Markt für den Vertrieb von Strom tätig zu werden – sei es selbst oder durch eine Gesellschaft, deren Anteile mehrheitlich seine vom Verfahren betroffene Muttergesellschaft hält?

 

9          Kann der Begriff „potenzieller Wettbewerber“ im Sinne von Art. 101 AEUV und von Art. 1 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 330/2010 dahin ausgelegt werden, dass er ein an ein Wettbewerbsverbot gebundenes Unternehmen erfasst, das auf einem völlig anderen Produktmarkt tätig ist als die andere Partei der das Wettbewerbsverbot enthaltenden Vereinbarung, wenn sich aus den Akten des nationalen Gerichts weder konkrete Anhaltspunkte (z. B. Projekte, Investitionen oder andere Vorbereitungen) ergeben, dass das betreffende Unternehmen vor dem Wettbewerbsverbot bzw. ohne dieses wahrscheinlich innerhalb kurzer Zeit in den Markt der anderen Partei eingetreten wäre, noch nachgewiesen wurde, dass das Unternehmen vor dem Wettbewerbsverbot bzw. ohne dieses von der anderen Partei der Vereinbarung als potenzieller Wettbewerber auf dem betreffenden Markt wahrgenommen wurde?

 

10        Kann Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin ausgelegt werden, dass der bloße Umstand, dass eine Partnerschaftsvereinbarung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende zwischen einem Unternehmen, das im Vertrieb von Strom tätig ist, und einem Unternehmen, das im Einzelhandel mit Lebensmitteln und Nicht-Lebensmitteln für den häuslichen Verbrauch tätig ist, zur gegenseitigen Förderung ihrer jeweiligen Tätigkeiten (in deren Rahmen u. a. das erste Unternehmen seinen Kunden Rabatte auf ihren Stromverbrauch gewährt, die das zweite Unternehmen vom Preis der Käufe dieser Kunden in seinen Einzelhandelsgeschäften abzieht) eine Klausel enthält, in der sich beide Parteien verpflichten, nicht miteinander in Wettbewerb zu treten und keine gleichartigen Vereinbarungen mit den Wettbewerbern der jeweils anderen Partei zu schließen, bedeutet, dass mit dieser Klausel eine Beschränkung des Wettbewerbs im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV bezweckt wird, obwohl

– der zeitliche Anwendungsbereich der betreffenden Klausel (Laufzeit der Vereinbarung von einem Jahr zuzüglich eines Jahres) dem in der Vereinbarung bestimmten Zeitraum entspricht, in dem die Parteien Geschäftsgeheimnisse oder Know-how, das während der Partnerschaft erworben wurde, nicht in Projekten mit Dritten verwenden dürfen;

– der räumliche Anwendungsbereich der Klausel auf den räumlichen Anwendungsbereich der Vereinbarung beschränkt ist;

– der persönliche Anwendungsbereich der Klausel auf die Parteien der Vereinbarung, auf die Unternehmen, an denen sie eine Mehrheitsbeteiligung halten, und auf andere Unternehmen desselben Konzerns, die ebenfalls Inhaber und/oder Betreiber von Einzelhandelsgeschäften sind, die von der Vereinbarung erfasst sind, beschränkt ist;

– der persönliche Anwendungsbereich der Klausel die überwiegende Mehrheit der Unternehmen ausschließt, die zu demselben Konzern gehören wie die jeweilige Partei, womit diese Unternehmen nicht durch die Klausel gebunden sind und sowohl während als auch nach dem Ende der Laufzeit der Vereinbarung mit der anderen Partei konkurrieren dürfen;

– die von dem Wettbewerbsverbot erfassten Unternehmen auf völlig unterschiedlichen Produktmärkten tätig sind und nicht nachgewiesen worden ist, dass sie bei Abschluss der Vereinbarung Projekte oder Pläne entwickelt oder Investitionen oder andere Vorbereitungen getätigt hatten, um in den Produktmarkt der jeweils anderen Partei einzutreten?

11.       Ist der Begriff „vertikale Vereinbarung“ im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV und von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen, dass er eine Vereinbarung mit den in den vorstehenden Fragen beschriebenen Merkmalen erfasst, wenn die Parteien auf völlig unterschiedlichen Produktmärkten tätig sind und nicht nachgewiesen worden ist, dass vor der Vereinbarung bzw. ohne sie Projekte, Pläne oder Investitionen zum Eintritt in den Produktmarkt der anderen Partei vorlagen, sich die Parteien jedoch für die Zwecke der Vereinbarung gegenseitig ihre jeweiligen Vertriebsnetze, ihr Vertriebspersonal und ihr Know-how zur Verfügung stellen, um Kundschaft für die andere Partei zu gewinnen und deren Geschäft zu fördern und zu steigern?

 

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs und zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

39        Was erstens die Zuständigkeit des Gerichtshofs betrifft, ist festzustellen, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nach portugiesischem Recht verurteilt wurden, d. h. auf der Grundlage des NRJC und nicht auf der Grundlage einer Bestimmung des Unionsrechts. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass die einschlägigen nationalen Vorschriften im Wesentlichen Art. 101 AEUV wiedergäben und im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs in der gleichen Weise ausgelegt würden wie diese Bestimmung des Unionsrechts.

 

40        Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof im Verfahren nach Art. 267 AEUV nicht für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig; die Auslegung des nationalen Rechts ist ausschließlich Sache des vorlegenden Gerichts (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Dezember 1965, Dekker, 33/65, EU:C:1965:118, S. 1190, und vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 25).

 

41        In Fällen, in denen der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens nicht unmittelbar in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, aber Vorschriften des Unionsrechts durch das nationale Recht aufgrund eines darin enthaltenen Verweises auf ihren Inhalt für anwendbar erklärt worden sind, ist der Gerichtshof jedoch für die Entscheidung über Vorschriften des Unionsrechts betreffende Vorabentscheidungsersuchen zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 41 und 42, sowie vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 26).

 

42        Richten sich nationale Rechtsvorschriften zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen, um beispielsweise zu verhindern, dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt, oder um sicherzustellen, dass in vergleichbaren Fällen ein einheitliches Verfahren angewandt wird, besteht nämlich ein klares Interesse der Union daran, dass die aus dem Unionsrecht übernommenen Bestimmungen oder Begriffe unabhängig davon, unter welchen Voraussetzungen sie angewandt werden sollen, einheitlich ausgelegt werden, um künftige Auslegungsunterschiede zu verhindern (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 1990, Dzodzi, C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360, Rn. 37, sowie vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 27).

 

43        Im vorliegenden Fall greift Art. 9 NRJC, wie aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervorgeht, den Inhalt von Art. 101 AEUV auf und wird von den zuständigen nationalen Behörden und den nationalen Gerichten in Übereinstimmung mit der letztgenannten Bestimmung angewandt.

 

44        Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung der Vorlagefragen zuständig.

 

45        Was zweitens die Zulässigkeit der Vorlagefragen anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlage zur Vorabentscheidung, bei der es sich um ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten handelt, auf einem Dialog des einen mit dem anderen Gericht beruht. Wenn es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu beurteilen, ob die Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts notwendig ist, um ihm die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu ermöglichen, obliegt diesem Gericht in Anbetracht des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrensmechanismus auch die Entscheidung, wie diese Fragen zu formulieren sind. Auch wenn es dem Gericht freisteht, die Parteien des bei ihm anhängigen Rechtsstreits aufzufordern, Formulierungen vorzuschlagen, die bei der Abfassung der Vorabentscheidungsfragen übernommen werden können, ist die Entscheidung sowohl über Form als auch über Inhalt dieser Fragen doch letztlich Sache des Gerichts allein (Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

46        Es spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen eines nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in den rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

47        Zu Letzterem ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung, die nunmehr Ausdruck in Art. 94 Buchst. a und b der Verfahrensordnung des Gerichtshofs gefunden hat, die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, es erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in dem sich seine Fragen stellen, darlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen die Fragen beruhen. Diese Erfordernisse gelten ganz besonders im Bereich des Wettbewerbs, der durch komplexe tatsächliche und rechtliche Verhältnisse gekennzeichnet ist (Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

48        Zudem ist es nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung unerlässlich, dass das Vorabentscheidungsersuchen eine Darstellung der Gründe enthält, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang angibt, den das vorlegende Gericht zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt.

 

49        Im vorliegenden Fall wäre es im Sinne des Geistes der Zusammenarbeit, der dem Dialog zwischen den Gerichten innewohnt, und um dem Gerichtshof die Möglichkeit zu geben, eine möglichst sachdienliche Entscheidung zu treffen, wünschenswert gewesen, dass das vorlegende Gericht sein eigenes Verständnis des bei ihm anhängigen Rechtsstreits sowie die seinem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Rechtsfragen in komprimierterer und klarerer Weise darlegt, anstatt zahlreiche Auszüge aus seinen Akten langatmig wiederzugeben.

 

50        Gleiches gilt insoweit, als, wie die Kommission und die portugiesische Regierung im Wesentlichen ausführen, das vorlegende Gericht zwar die Gründe dargelegt hat, die es dazu veranlasst haben, den Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung zu befassen, es jedoch im Interesse einer sachdienlichen Zusammenarbeit gelegen hätte, wenn dieses Gericht die ihm von den Parteien des Ausgangsrechtsstreits vorgeschlagenen Fragen umformuliert hätte, um unnötige Überscheidungen zwischen diesen Fragen zu vermeiden, und die rechtlichen und tatsächlichen Prämissen, auf denen diese Fragen beruhen, klargestellt hätte.

 

51        Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass in der Vorlageentscheidung bei den relevanten Tatsachen unterschieden wird zwischen solchen, die als erwiesen gelten, und solchen, die nicht als erwiesen gelten. Die zweite Frage beruht jedoch auf tatsächlichen Annahmen, die sich insofern als nicht erwiesen darstellen, als diese Frage von der Prämisse ausgeht, dass es keinen potenziellen Wettbewerb gibt, obwohl eine der wichtigsten Rechtsfragen, die das Vorabentscheidungsersuchen rechtfertigen, diesen Begriff betrifft.

 

52        Ebenso liegt der neunten Frage die Annahme zugrunde, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass das auf dem Stromliefermarkt tätige Unternehmen seinen Vertragspartner, einen Lebensmittelhändler, als potenziellen Wettbewerber wahrnahm. Diese Annahme entspricht jedoch nicht dem festgestellten Sachverhalt, wie er vom vorlegenden Gericht dargestellt worden ist. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht vielmehr hervor, dass das Tribunal da Concorrência, Regulação e Supervisão (Gericht für Wettbewerb, Regulierung und Aufsicht) bei seiner Entscheidung im ersten Rechtszug berücksichtigt hat, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens einander gegenseitig als potenzielle Wettbewerber betrachteten.

 

53        Schließlich fällt die der zehnten Frage zugrunde liegende tatsächliche Annahme, wonach die Geltung der Wettbewerbsverbotsklausel mit dem Zeitraum zusammenfällt, in dem die Parteien der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung nicht berechtigt waren, während der Durchführung der Partnerschaft erworbene Geschäftsgeheimnisse oder erworbenes Know-how zu verwenden, nicht unter die erwiesenen Tatsachen, sondern vielmehr unter die unbewiesenen Tatsachen.

 

54        Nach alledem ist die zweite Frage als unzulässig anzusehen. Die neunte und die zehnte Frage sind als unzulässig anzusehen, soweit sie auf den in den vorstehenden Randnummern genannten Annahmen beruhen.

 

Zu den Vorlagefragen

55        Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich die Vorlagefragen teilweise überschneiden, da sie die Auslegung einer begrenzten Zahl unionsrechtlicher Begriffe betreffen und dabei die tatsächlichen Annahmen variieren.

 

56        Insoweit ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Aus diesem Blickwinkel obliegt es dem Gerichtshof gegebenenfalls, die ihm gestellten Fragen umzuformulieren. Der Gerichtshof hat insoweit aus allem, was das einzelstaatliche Gericht vorgelegt hat, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. November 1978, Redmond, 83/78, EU:C:1978:214, Rn. 26, und vom 20. April 2023, Blue Air Aviation, C‑775/21 und C‑826/21, EU:C:2023:307, Rn. 58).

 

57        Im vorliegenden Fall sind die Vorlagefragen, wie der Generalanwalt in den Nrn. 33 und 34 seiner Schlussanträge anregt, dahin umzuformulieren, dass sie zusammengefasst werden, soweit sie eine gemeinsame Problematik betreffen, zu der das vorlegende Gericht Klarstellungen erhalten möchte.

 

58        Insoweit betreffen die Fragen 3 bis 7 und 9 die Kriterien, die für die Feststellung maßgeblich sind, ob zwei Unternehmen, die auf unterschiedlichen Produktmärkten tätig sind, potenzielle Wettbewerber sind. Die elfte Frage betrifft die Begriffe „Handelsvertretervertrag“ und „vertikale Vereinbarung“. Die zehnte Frage betrifft die Voraussetzungen, unter denen eine Wettbewerbsbeschränkung als Nebenabrede zu einer Vereinbarung eingestuft werden kann, deren Zweck nicht wettbewerbswidrig ist. Die erste und die achte Frage können ebenfalls zusammen behandelt werden, da sie die Unterscheidung zwischen dem Begriff „bezweckte Wettbewerbsbeschränkung“ und dem Begriff „bewirkte Wettbewerbsbeschränkung“ betreffen.

 

Zu den Fragen 3 bis 7 und 9 betreffend den Begriff „potenzieller Wettbewerb“

59        Mit seinen Fragen 3 bis 7 und 9 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob und unter welchen Voraussetzungen Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass ein Unternehmen, das ein Netz von Einzelhändlern für Massenkonsumgüter betreibt, auch dann auf dem Strommarkt als potenzieller Wettbewerber eines Stromlieferanten angesehen werden kann, mit dem es eine Partnerschaftsvereinbarung geschlossen hat, die eine Wettbewerbsverbotsklausel enthält, wenn das Unternehmen auf diesem Produktmarkt keine Tätigkeit ausübt.

 

60        Nach ständiger Rechtsprechung muss, um zu beurteilen, ob ein auf einem Markt nicht vertretenes Unternehmen mit einem oder mehreren anderen dort bereits vertretenen Unternehmen in einem Verhältnis des potenziellen Wettbewerbs steht, festgestellt werden, ob für das nicht auf dem Markt vertretene Unternehmen wirkliche und konkrete Möglichkeiten bestehen, in den Markt einzutreten und mit dem oder den auf dem Markt vertretenen Unternehmen in Wettbewerb zu treten (Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

61        Danach ist bei einer Vereinbarung, die dazu führt, dass ein Unternehmen vorübergehend vom Markt ferngehalten wird, zu prüfen, ob für dieses Unternehmen ohne die Vereinbarung wirkliche und konkrete Möglichkeiten bestanden, in den Markt einzutreten und mit den dort vertretenen Unternehmen in Wettbewerb zu treten (Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 37).

 

62        Mit diesem Kriterium wird ausgeschlossen, dass ein potenzielles Wettbewerbsverhältnis bereits aus der rein hypothetischen Möglichkeit eines solchen Markteintritts oder der bloßen Absicht des Unternehmens, das auf dem betreffenden Markt nicht tätig ist, abgeleitet wird. Hingegen ist nicht erforderlich, dass festgestellt wird, dass dieses Unternehmen tatsächlich in diesen Markt eintreten wird, oder gar, dass es sich in der Folge auf dem Markt behaupten kann (Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 38).

 

63        Der Nachweis einer Situation potenziellen Wettbewerbs muss daher durch eine Reihe übereinstimmender tatsächlicher Umstände untermauert werden, die die Struktur und das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des Marktes berücksichtigen und mit denen dargetan werden soll, dass das betreffende Unternehmen ohne die Vereinbarung wirkliche und konkrete Möglichkeiten gehabt hätte, in den betreffenden Markt einzutreten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 39).

 

64        So hat der Gerichtshof im Urteil vom 30. Januar 2020, Generics (UK) u. a. (C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 58), die Besonderheiten des Arzneimittelmarkts sowie das diesem eigene wirtschaftliche und rechtliche Umfeld berücksichtigt, um im Kern zu entscheiden, dass ein Generikahersteller als potenzieller Wettbewerber eines Herstellers des Originalpräparats, der Inhaber von Arzneimittelpatenten für das betreffende Arzneimittel ist, anzusehen ist, wenn er tatsächlich fest entschlossen und aus eigener Kraft in der Lage ist, in den betreffenden Markt einzutreten.

 

65        Wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die Auslegung des Begriffs „potenzieller Wettbewerb“, die der Gerichtshof in dem in der vorstehenden Randnummer genannten Urteil vorgenommen hat, entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht als allgemeingültig angesehen werden. Ein solches Beweismaß, das für den Nachweis erforderlich ist, dass das betreffende Unternehmen ohne eine Vereinbarung wirkliche und konkrete Möglichkeiten gehabt hätte, Zugang zum betreffenden Markt zu erlangen, beruht nämlich auf einer Analyse, die spezifisch für Arzneimittelmärkte ist, um die es in der Rechtssache ging, in der das genannte Urteil ergangen ist.

 

66        Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung in eine entscheidende Phase des Prozesses der Liberalisierung des Stromversorgungsmarktes fiel, da die regulierten Tarife für die normale Niederspannung Ende 2012 ausliefen. Die Erteilung einer Genehmigung für die Entwicklung einer Tätigkeit auf diesem Markt war dann nicht mehr erforderlich. Der EDP-Konzern habe versucht, eine große Zahl von Kunden auf dem liberalisierten nationalen Markt zu gewinnen, indem er eine Zeit genutzt habe, in der dieser Markt noch nicht die Spitze des Übergangs der Kunden im Bereich Niederspannung erreicht gehabt habe. Aus dieser Beschreibung ergibt sich somit, dass – vorbehaltlich der Prüfungen, die in die alleinige Zuständigkeit des vorlegenden Gerichts fallen – das besondere wirtschaftliche und rechtliche Umfeld dieses Marktes nicht mit dem Arzneimittelmarkt verglichen werden kann, der stark reguliert ist und Marktzutrittsschranken wie Patente zum Schutz von Arzneimitteln aufweist.

 

67        In diesem Zusammenhang fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Wesentlichen nach der Erheblichkeit einer Reihe von Beweisanzeichen, die für den Nachweis des Bestehens einer Situation potenziellen Wettbewerbs herangezogen werden können. Insbesondere möchte es vom Gerichtshof wissen, ob die Absicht oder die Wahrnehmung, die die Parteien der Partnerschaftsvereinbarung bezüglich der Tätigkeiten der Unternehmen des Konzerns, in den das auf dem betreffenden Markt nicht tätige Unternehmen integriert ist, hatten, oder die Tätigkeiten dieses Unternehmens auf diesem Markt und auf den vorgelagerten oder verbundenen Märkten vor der Unterzeichnung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vereinbarung sowie die vorbereitenden Maßnahmen dieses Unternehmens für den Eintritt in diesen Markt zu berücksichtigen sind.

 

68        Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, die Erheblichkeit der ihm vorliegenden Informationen im vorliegenden Fall zu beurteilen, doch kann ihm der Gerichtshof insoweit einige zweckdienliche Hinweise geben.

 

69        Was erstens die Erheblichkeit subjektiver Beweise betrifft, hat der Gerichtshof, wie in Rn. 63 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bereits entschieden, dass der Nachweis einer Situation potenziellen Wettbewerbs durch eine Reihe übereinstimmender tatsächlicher Umstände untermauert werden muss, die die Struktur und das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des Marktes berücksichtigen. Daher kann ein subjektives Indiz wie die bloße Absicht des Unternehmens, das auf dem betreffenden Markt nicht tätig ist, in diesen Markt einzutreten, oder auch die Wahrnehmung, die das bereits auf diesem Markt tätige Unternehmen bezüglich dieses Unternehmens hat, kein eigenständiges, entscheidendes oder unverzichtbares Indiz für den Nachweis einer Situation potenziellen Wettbewerbs sein.

 

70        Wie der Generalanwalt in Nr. 66 seiner Schlussanträge im Kern ausgeführt hat, steht jedoch dem nichts entgegen, dass ein solches subjektives Element berücksichtigt wird, um objektive übereinstimmende Indizien zu untermauern und damit den Nachweis des Bestehens wirklicher und konkreter Möglichkeiten für den Eintritt in den betreffenden Markt zu verstärken.

 

71        Was konkret die Wahrnehmung des Unternehmens, das bereits auf dem Markt tätig ist, bezüglich des Unternehmens betrifft, mit dem es eine Vereinbarung geschlossen hat, die vorsieht, dieses Unternehmen von diesem Markt fernzuhalten, ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Abschluss einer solchen Vereinbarung ein starkes Indiz für das Bestehen einer Situation potenziellen Wettbewerbs darstellt. Wenn sich die Parteien einer Vereinbarung über ein Wettbewerbsverbot nicht als potenzielle Wettbewerber wahrnähmen, hätten sie nämlich grundsätzlich keinen Grund, eine solche Vereinbarung abzuschließen. Ein solches Indiz kann daher objektive Anhaltspunkte, mit denen die wirklichen und konkreten Möglichkeiten des nicht auf dem Markt tätigen Unternehmens, in diesen einzutreten, nachgewiesen werden sollen, wirksam untermauern.

 

72        Was zweitens die Tätigkeiten der Unternehmen des Konzerns, in den dieses Unternehmen integriert ist, sowie die Tätigkeiten dieses Unternehmens auf dem betreffenden Markt sowie auf den vorgelagerten und verbundenen Märkten vor der Unterzeichnung der fraglichen Vereinbarung betrifft, ist festzustellen, dass auch solche Umstände bei der Feststellung einer Situation potenziellen Wettbewerbs berücksichtigt werden können. Zwar ist das Bestehen wirklicher und konkreter Möglichkeiten, in den betreffenden Markt einzutreten, zum Zeitpunkt des Abschlusses der betreffenden Vereinbarung zu beurteilen, so dass Indizien, die sich auf nach dem Abschluss dieser Vereinbarung eingetretene Umstände beziehen, denknotwendig ausgeschlossen sind. Dies gilt jedoch nicht für frühere wirtschaftliche Tätigkeiten der Unternehmen des Konzerns des Unternehmens, das auf diesem Markt nicht tätig ist, oder dieses Unternehmens auf dem betreffenden Markt oder auf den vorgelagerten oder verbundenen Märkten. Solche Tätigkeiten können sich nämlich u. a. als relevant erweisen, um etwaige Marktzutrittsschranken oder die Marktstruktur zu bestimmen, oder auch Indizien für eine mögliche tragfähige wirtschaftliche Strategie für den Eintritt in den betreffenden Markt darzustellen.

 

73        Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Sodesa, die gemeinsam vom Sonae-Konzern und von Endesa, dem etablierten Akteur in Spanien auf dem Markt der Stromerzeugung und ‑versorgung, kontrolliert wurde, von 2002 bis 2008 in Portugal auf dem Stromliefermarkt tätig war. Ebenso habe der Sonae-Konzern über eines seiner Unternehmen ein Unternehmen erworben, das eine Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage besessen und betrieben habe. Außerdem erzeugte Modelo Continente zum Zeitpunkt der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung Strom mittels Klein- und Kleinstanlagen auf den Dächern ihrer Geschäfte und verkaufte diesen Strom an den Versorger letzter Instanz. Schließlich weist das vorlegende Gericht in Bezug auf verbundene Märkte auch darauf hin, dass Modelo Continente mit einem Lieferanten von Flüssigkraftstoffen einen Vertrag über gegenseitige Rabatte geschlossen habe, der der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung ähnlich sei.

 

74        Insoweit ist, wie der Generalanwalt in Nr. 78 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, davon auszugehen, dass unabhängig von der Frage, ob der Sonae-Konzern als ein einziges Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts angesehen werden konnte, die wirtschaftlichen Tätigkeiten der verschiedenen Unternehmen des Konzerns auf dem betreffenden Markt vor der Unterzeichnung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung berücksichtigt werden können, da sie für die Feststellung einer Situation potenziellen Wettbewerbs relevante tatsächliche Umstände darstellen. Neben der möglichen Bildung oder Weitergabe von Know-how, das für den Eintritt in den betreffenden Markt von Nutzen ist, können solche Umstände insbesondere für die Beurteilung der Frage relevant sein, ob das betreffende Unternehmen eine tragfähige wirtschaftliche Strategie für den Eintritt in diesen Markt haben konnte. Dies könnte u. a. dann der Fall sein, wenn dieses Unternehmen bereits nachgewiesen hatte, dass es in der Lage war, seine starke Präsenz auf einem bestimmten geografischen Markt zu nutzen, um über Partnerschaften mit bereits auf den betreffenden Produktmärkten tätigen Unternehmen in neue Wirtschaftszweige einzusteigen. Ebenso können die Tätigkeiten des betreffenden Unternehmens auf Märkten, die mit dem betreffenden Markt verbunden sind, berücksichtigt werden, wenn sie den Nachweis der wirklichen und konkreten Möglichkeiten dieses Unternehmens, in diesen Markt einzutreten, untermauern können.

 

75        Was drittens die Erheblichkeit der vorbereitenden Maßnahmen des betreffenden Unternehmens im Hinblick auf den Eintritt in den betreffenden Markt anbelangt, können diese, wie der Generalanwalt in Nr. 69 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kein eigenständiges Erfordernis für den Nachweis des Bestehens einer Situation potenziellen Wettbewerbs darstellen. Solche Maßnahmen sind nämlich nur insoweit relevant, als sie für den Nachweis nützlich sein können, dass das betreffende Unternehmen wirkliche und konkrete Möglichkeiten hatte, in den betreffenden Markt einzutreten. Es kann daher nicht angenommen werden, dass zwingend nachgewiesen werden muss, dass das betreffende Unternehmen vorbereitende Maßnahmen ergriffen hat, um es als potenziellen Wettbewerber auf dem betreffenden Markt anzusehen.

 

76        Jedenfalls hängt die etwaige Bedeutung solcher Maßnahmen zum Eintritt in den betreffenden Markt u. a. von der Struktur dieses Marktes sowie von dessen wirtschaftlichem und rechtlichem Umfeld ab. Daher hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass sich solche Maßnahmen als wichtig erweisen können, wenn dieser Markt, wie ein Arzneimittelmarkt, zahlreiche Zutrittsschranken aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 43).

 

77        Nach alledem ist auf die Fragen 3 bis 7 und 9 zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass ein Unternehmen, das ein Netz von Einzelhändlern für Massenkonsumgüter betreibt, auch dann auf dem Strommarkt als potenzieller Wettbewerber eines Stromlieferanten anzusehen ist, mit dem es eine Partnerschaftsvereinbarung geschlossen hat, die eine Wettbewerbsverbotsklausel enthält, wenn das Unternehmen zum Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung auf diesem Markt keine Tätigkeit ausübt, sofern auf der Grundlage einer Reihe übereinstimmender tatsächlicher Umstände, die die Struktur und das wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des Marktes berücksichtigen, nachgewiesen ist, dass wirkliche und konkrete Möglichkeiten bestehen, dass das Unternehmen in den Markt eintritt und mit diesem Lieferanten in Wettbewerb steht.

 

Zur elften Frage betreffend die Unterscheidung zwischen vertikaler Vereinbarung und horizontaler Vereinbarung

 

78        Mit seiner elften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen ist, dass eine Handelspartnerschaftsvereinbarung, die zwischen zwei Unternehmen geschlossen worden ist, die auf unterschiedlichen, einander nicht vor- oder nachgelagerten Produktmärkten tätig sind, unter die Gruppen der „vertikalen Vereinbarungen“ und „Handelsvertreterverträge“ fällt, wenn diese Vereinbarung darin besteht, die Entwicklung des Absatzes der Produkte dieser beiden Unternehmen durch ein System der Förderung und gegenseitiger Rabatte zu begünstigen, wobei jedes dieser Unternehmen einen Teil der mit der Durchführung dieser Partnerschaft verbundenen Kosten trägt.

 

79        Zunächst ist zum einen darauf hinzuweisen, dass es, wie der Generalanwalt in Nr. 98 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, Sache des vorlegenden Gerichts sein wird, den wettbewerbswidrigen Charakter der Wettbewerbsverbotsklausel unabhängig von der Natur der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung zu beurteilen, insbesondere im Hinblick auf ihren Charakter als Nebenabrede zu dieser Vereinbarung. Diese Frage ist somit nur im Hinblick auf den letztgenannten Fall zu beantworten.

 

80        Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV eine Freistellung von der Anwendung von Art. 101 Abs. 1 AEUV für Vereinbarungen vorsieht, die ausreichende Vorteile bieten, um die wettbewerbswidrigen Auswirkungen auszugleichen. Für die Zwecke der Anwendung der erstgenannten Bestimmung legt die Verordnung Nr. 330/2010 für bestimmte Gruppen von Vereinbarungen die Voraussetzungen fest, unter denen die in dieser Bestimmung vorgesehene Freistellung durchgeführt werden kann. Das vorlegende Gericht wird daher nicht nur zu prüfen haben, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung in eine der so definierten Gruppen von Vereinbarungen fällt, sondern gegebenenfalls auch, ob alle in dieser Verordnung vorgesehenen Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind, damit die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Ausnahme fällt.

 

81        Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010 „vertikale Vereinbarung“ als eine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise definiert, die zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes für die Zwecke der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweise auf einer anderen Ebene der Produktions- oder Vertriebskette tätig ist, geschlossen wird und die die Bedingungen betrifft, zu denen die beteiligten Unternehmen Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen dürfen.

 

82        Die Leitlinien für vertikale Beschränkungen fassen Handelsvertreterverträge unter die vertikalen Vereinbarungen, die im Allgemeinen nicht unter Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen, und definieren sie als Verträge, durch die ein Handelsvertreter mit der Vollmacht ausgestattet ist, im Auftrag einer anderen Person, des Auftraggebers, Verträge auszuhandeln und/oder zu schließen, die u. a. den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen dieses Auftraggebers zum Gegenstand haben. In Rn. 13 dieser Leitlinien wird klargestellt, dass für die Frage, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV anwendbar ist, das finanzielle oder geschäftliche Risiko entscheidend ist, das der Handelsvertreter bezüglich der ihm vom Auftraggeber übertragenen Tätigkeiten trägt. Mit anderen Worten gilt eine Vereinbarung für die Anwendung dieser Bestimmung als Handelsvertretervertrag, wenn der Handelsvertreter im Rahmen der Verträge, die er im Auftrag des Auftraggebers aushandelt oder schließt, keine oder nur unbedeutende Risiken trägt.

 

83        Im vorliegenden Fall machen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens geltend, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung als zwei sich kreuzende Handelsvertreterverträge anzusehen sei, da jede Partei der Vereinbarung mit der Förderung des Absatzes der anderen Partei betraut werde. Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch hervor, dass die Kosten für die Durchführung des „EDP-Continente-Programms“ von den Parteien dieser Partnerschaftsvereinbarung zu gleichen Teilen getragen wurden.

 

84        Insoweit ergibt sich aus den Rn. 81 und 82 des vorliegenden Urteils, dass eine Vereinbarung, bei der die mit den in ihr vorgesehenen Geschäften verbundenen Risiken zwischen den Parteien der Vereinbarung geteilt werden, nicht als Handelsvertretervertrag eingestuft werden kann. Ebenso wenig kann eine solche Einstufung vorgenommen werden, wenn die Parteien einer Vereinbarung für die Zwecke der betreffenden Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise nicht innerhalb derselben Produktions- oder Vertriebskette tätig sind.

 

85        Es ist jedoch allein Sache des vorlegenden Gerichts, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Partnerschaftsvereinbarung unter Berücksichtigung aller vorstehenden Erläuterungen einzustufen.

 

86        Nach alledem ist auf die elfte Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 330/2010 dahin auszulegen ist, dass eine Handelspartnerschaftsvereinbarung, die zwischen zwei Unternehmen geschlossen worden ist, die auf unterschiedlichen, einander nicht vor- oder nachgelagerten Produktmärkten tätig sind, nicht unter die Gruppen der „vertikalen Vereinbarungen“ und „Handelsvertreterverträge“ fällt, wenn diese Vereinbarung darin besteht, die Entwicklung des Absatzes der Produkte dieser beiden Unternehmen durch ein System der Förderung und gegenseitiger Rabatte zu begünstigen, wobei jedes dieser Unternehmen einen Teil der mit der Durchführung dieser Partnerschaft verbundenen Kosten trägt.

 

Zur zehnten Frage betreffend den Begriff „Nebenabrede“

87        Mit seiner zehnten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Wettbewerbsverbotsklausel in einer zwischen zwei auf unterschiedlichen Produktmärkten tätigen Unternehmen geschlossenen Handelspartnerschaftsvereinbarung, mit der die Entwicklung des Absatzes der Produkte dieser beiden Unternehmen durch ein System der Förderung und gegenseitiger Rabatte begünstigt werden soll, als Nebenabrede zu dieser Partnerschaftsvereinbarung angesehen werden kann.

 

88        Nach ständiger Rechtsprechung fällt dann, wenn eine bestimmte Maßnahme oder Tätigkeit wegen ihrer Neutralität oder ihrer positiven Wirkung auf den Wettbewerb nicht von dem grundsätzlichen Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV erfasst wird, auch eine Beschränkung der geschäftlichen Selbständigkeit eines oder mehrerer an dieser Maßnahme oder Tätigkeit Beteiligten nicht unter dieses grundsätzliche Verbot, wenn sie für die Durchführung dieser Maßnahme oder Tätigkeit objektiv notwendig ist und zu den Zielen der einen oder der anderen in einem angemessenen Verhältnis steht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 89, und vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 69).

 

89        Wenn also eine solche Beschränkung nicht von der Hauptmaßnahme oder Haupttätigkeit unterschieden werden kann, ohne das Bestehen oder die Ziele dieser Maßnahme oder Tätigkeit zu gefährden, muss die Vereinbarkeit dieser Beschränkung mit Art. 101 AEUV zusammen mit der Vereinbarkeit der Hauptmaßnahme oder Haupttätigkeit, zu der sie eine Nebenabrede bildet, untersucht werden, und dies auch dann, wenn die Beschränkung als solche auf den ersten Blick unter das grundsätzliche Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV zu fallen scheint (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 90, und vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 70).

 

90        Bei der Prüfung, ob eine wettbewerbswidrige Beschränkung dem Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV entgehen kann, weil sie eine Nebenabrede zu einer Hauptmaßnahme bildet, die keinen wettbewerbswidrigen Charakter hat, muss ermittelt werden, ob die Durchführung dieser Maßnahme ohne die fragliche Beschränkung unmöglich wäre. Der Umstand, dass die Maßnahme ohne die Beschränkung nur schwerer durchführbar oder weniger rentabel wäre, verleiht dieser Beschränkung nicht den für ihre Qualifizierung als Nebenabrede erforderlichen Charakter einer „objektiv notwendigen“ Beschränkung. Eine solche Auslegung würde nämlich darauf hinauslaufen, diesen Begriff auf Beschränkungen auszudehnen, die für die Durchführung der Hauptmaßnahme nicht strikt unerlässlich sind. Dieses Ergebnis würde die praktische Wirksamkeit des in Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgesprochenen Verbots beeinträchtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. September 2014, MasterCard u. a./Kommission, C‑382/12 P, EU:C:2014:2201, Rn. 91, und vom 23. Januar 2018, F. Hoffmann-La Roche u. a., C‑179/16, EU:C:2018:25, Rn. 71).

 

91        Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich jede der Parteien der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung gemäß der darin enthaltenen Wettbewerbsverbotsklausel für eine Dauer von zwei Jahren, d. h. ein Jahr länger als die für diese Partnerschaftsvereinbarung vorgesehene Laufzeit, verpflichtet hat, auf dem Markt, auf dem die andere Partei der Vereinbarung tätig war, weder unmittelbar noch mittelbar Tätigkeiten zu entfalten. Was konkret den Markt für Stromlieferungen betrifft, so war diese Wettbewerbsverbotsklausel nicht wie die genannte Partnerschaftsvereinbarung allein auf die Lieferung von Niederspannungsstrom beschränkt, sondern umfasste auch die Lieferung von Strom im Mittel- und Hochspannungsbereich für Industriekunden. Nach dieser Klausel war es Modelo Continente auch untersagt, mit einem anderen Stromlieferanten eine Vereinbarung auszuhandeln oder zu schließen, die die Gewährung von Rabatten oder sonstigen geldwerten Vorteilen im Zusammenhang mit der Lieferung von Strom bezweckte oder bewirkte.

 

92        Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass die Wettbewerbsverbotsklausel in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung lediglich darauf abgezielt habe, die Parteien dieser Vereinbarung daran zu hindern, für die Zwecke der Durchführung des „EDP-Continente-Programms“ ausgetauschte wirtschaftlich sensible Informationen zu ihren Gunsten zu nutzen, und dass sich diese Informationen insbesondere auf das Stromverbrauchsmuster der Kunden bezogen hätten, die dem „EDP-Continente-Programm“ beigetreten seien. Die Klauseln über die Vertraulichkeit und den Schutz des geistigen Eigentums und der Daten seien nicht ausreichend gewesen, um die getätigten Investitionen und das geteilte Know-how zu schützen. Das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Wettbewerbsverbotsklausel habe es also ermöglicht, dieses Risiko abzudecken.

 

93        Insoweit wird das vorlegende Gericht zu beurteilen haben, ob diese Wettbewerbsverbotsklausel für die Durchführung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung objektiv erforderlich war und ob sie in einem angemessenen Verhältnis zu den mit dieser Vereinbarung verfolgten Zielen stand. Dazu wird insbesondere zu prüfen sein, ob es nicht eine weniger wettbewerbsbeschränkende Lösung gab, auf die die Parteien der Vereinbarung zum Zeitpunkt von deren Abschluss hätten zurückgreifen können, um diese Ziele zu erreichen. Zu diesem Zweck kann das vorlegende Gericht u. a. die Tragweite der Wettbewerbsverbotsklausel berücksichtigen, um zu prüfen, ob sie dem Zweck und der räumlichen und zeitlichen Geltung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung entspricht.

 

94        Nach alledem ist auf die zehnte Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Wettbewerbsverbotsklausel in einer zwischen zwei auf unterschiedlichen Produktmärkten tätigen Unternehmen geschlossenen Handelspartnerschaftsvereinbarung, mit der die Entwicklung des Absatzes der Produkte dieser beiden Unternehmen durch ein System der Förderung und gegenseitiger Rabatte begünstigt werden soll, nicht als Nebenabrede zu dieser Partnerschaftsvereinbarung angesehen werden kann, es sei denn, die sich aus dieser Klausel ergebende Beschränkung ist für die Durchführung der Partnerschaftsvereinbarung objektiv erforderlich und steht in einem angemessenen Verhältnis zu deren Zielen.

 

Zur ersten und zur achten Frage betreffend die Unterscheidung zwischen „bezweckter Wettbewerbsbeschränkung“ und „bewirkter Wettbewerbsbeschränkung“

 

95        Mit seiner ersten und seiner achten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Wettbewerbsverbotsklausel, die im Rahmen einer Handelspartnerschaftsvereinbarung u. a. darin besteht, einer der Parteien dieser Vereinbarung zu verbieten, in den nationalen Stromversorgungsmarkt einzutreten, auf dem die andere Partei der Vereinbarung ein bedeutender Akteur ist, und zwar zum Zeitpunkt der letzten Phase der Liberalisierung dieses Marktes, auch dann eine Vereinbarung darstellt, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt, wenn die Verbraucher bestimmte Vorteile aus dieser Vereinbarung ziehen und die Wettbewerbsverbotsklausel zeitlich begrenzt ist.

 

96        Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind nach Art. 101 Abs. 1 AEUV alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.

 

97        Vereinbarungen fallen nur dann unter dieses Verbot, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts „bezwecken oder bewirken“. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs seit dem Urteil vom 30. Juni 1966, LTM (56/65, EU:C:1966:38), erfordert es der durch die Konjunktion „oder“ gekennzeichnete alternative Charakter dieser Voraussetzung, zunächst den Zweck der Vereinbarung als solchen heranzuziehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. November 2015, Maxima Latvija, C‑345/14, EU:C:2015:784, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 18. November 2021, Visma Enterprise, C‑306/20, EU:C:2021:935, Rn. 54 und 55 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Steht der wettbewerbswidrige Zweck einer Vereinbarung fest, brauchen daher ihre Auswirkungen auf den Wettbewerb nicht geprüft zu werden (Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

98        Des Weiteren ist der Begriff der „bezweckten Wettbewerbsbeschränkung“ eng auszulegen. So kann dieser Begriff nur auf bestimmte Arten von Koordinierung zwischen Unternehmen angewandt werden, die den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigen, damit davon ausgegangen werden kann, dass die Prüfung ihrer Auswirkungen nicht notwendig ist (Urteil vom 29. Juni 2023, Super Bock Bebidas, C‑211/22, EU:C:2023:529, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

99        Bestimmte Absprachen zwischen Unternehmen beeinträchtigen nach ihrem Inhalt, den mit ihnen verfolgten Zielen und dem wirtschaftlichen und rechtlichen Kontext, in dem sie stehen, für sich genommen den Wettbewerb hinreichend, um davon ausgehen zu können, dass die Prüfung ihrer Wirkungen nicht notwendig ist. Bestimmte Arten von Koordinierung zwischen Unternehmen können nämlich schon ihrer Natur nach als schädlich für das gute Funktionieren des normalen Wettbewerbs angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

100      Zu diesen Absprachen, die in die Kategorie der bezweckten Beschränkungen fallen können, gehören Marktaufteilungsvereinbarungen. Solche Vereinbarungen stellen nämlich besonders schwere Wettbewerbsverstöße dar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Dezember 2013, Solvay Solexis/Kommission, C‑449/11 P, EU:C:2013:802, Rn. 82, sowie vom 4. September 2014, YKK u. a./Kommission, C‑408/12 P, EU:C:2014:2153, Rn. 26), da sie eine Einschränkung des Wettbewerbs zum Gegenstand haben und zu einer Kategorie durch Art. 101 Abs. 1 AEUV ausdrücklich untersagter Vereinbarungen gehören und ein solcher Gegenstand nicht durch eine Analyse des wirtschaftlichen Kontexts, in dem das fragliche wettbewerbswidrige Verhalten stand, gerechtfertigt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2016, Toshiba Corporation/Kommission, C‑373/14 P, EU:C:2016:26, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

101      Das Gleiche gilt für Marktausschlussvereinbarungen, da deren Zweck darin besteht, den potenziellen Wettbewerb auszuschalten und den freien Wettbewerb zu verhindern, indem ein potenzieller Wettbewerber von dem betreffenden Markt ferngehalten wird.

 

102      In einem solchen Fall kann die Analyse des wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts, in dem eine solche Vereinbarung steht, auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt werden, um auf das Bestehen einer bezweckten Wettbewerbsbeschränkung zu schließen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2016, Toshiba Corporation/Kommission, C‑373/14 P, EU:C:2016:26, Rn. 29). Insoweit kann der wettbewerbswidrige Zweck einer derartigen Vereinbarung somit durch den Umstand bestätigt werden, dass sie in einem besonderen Kontext der Marktliberalisierung erfolgt, der der Auflösung erheblicher Zutrittsschranken entspricht.

 

103      Ebenso hat der Gerichtshof entschieden, dass bei der Prüfung der Frage, ob eine Vereinbarung eine „bezweckte Beschränkung“ darstellt, als Bestandteile des Kontexts dieser Vereinbarung auch deren wettbewerbsfördernde Wirkungen gebührend zu berücksichtigen sind, wenn sich die Parteien der Vereinbarung darauf berufen. Diese Wirkungen können nämlich unter Umständen die Gesamtbeurteilung der Frage, ob die betreffende Absprache den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt, und folglich die Einstufung als „bezweckte Beschränkung“ in Frage stellen (Urteil vom 12. Januar 2023, HSBC Holdings u. a./Kommission, C‑883/19 P, EU:C:2023:11, Rn. 139 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

104      Das bloße Vorliegen wettbewerbsfördernder Wirkungen kann jedoch nicht genügen, um eine solche Einstufung auszuschließen. Die Einstufung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung ist nämlich nur auszuschließen, wenn diese Wirkungen erwiesen, relevant, allein auf die betreffende Vereinbarung zurückzuführen und hinreichend erheblich sind sowie begründete Zweifel daran aufkommen lassen können, dass diese Vereinbarung den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Januar 2020, Generics [UK] u. a., C‑307/18, EU:C:2020:52, Rn. 103, 105 bis 107).

 

105      Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, dem von ihm in der Vorlageentscheidung angeführten Umstand, dass die Anwendung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wettbewerbsverbotsklausel mit dem besonderen Kontext der letzten Phase der Liberalisierung des Stromversorgungsmarkts in Portugal zusammenfiel, Rechnung zu tragen. Ebenso ist es Sache des vorlegenden Gerichts, in dem Fall, dass die Wettbewerbsverbotsklausel keine Nebenabrede zu der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Partnerschaftsvereinbarung gewesen sein sollte, zu prüfen, ob die wettbewerbsfördernden Wirkungen, auf die sich die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens berufen, dieser Klausel tatsächlich zu eigen waren und nicht lediglich mit dieser Vereinbarung verbunden waren.

 

106      Nach alledem ist auf die erste und die achte Frage zu antworten, dass Art. 101 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass eine Wettbewerbsverbotsklausel, die im Rahmen einer Handelspartnerschaftsvereinbarung u. a. darin besteht, einer der Parteien dieser Vereinbarung zu verbieten, in den nationalen Stromversorgungsmarkt einzutreten, auf dem die andere Partei der Vereinbarung ein bedeutender Akteur ist, und zwar zum Zeitpunkt der letzten Phase der Liberalisierung dieses Marktes, auch dann eine Vereinbarung darstellt, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt, wenn die Verbraucher bestimmte Vorteile aus dieser Vereinbarung ziehen und die Wettbewerbsverbotsklausel zeitlich begrenzt ist, sofern sich aus einer Analyse des Inhalts dieser Klausel sowie ihres wirtschaftlichen und rechtlichen Kontexts ergibt, dass die Klausel den Wettbewerb hinreichend beeinträchtigt, um davon ausgehen zu können, dass die Prüfung ihrer Wirkungen nicht notwendig ist.

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