BGH: Zum Kleinbeteiligtenprivileg im Fall der Anfechtung der Rückzahlung eines Darlehens oder einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung des Gesellschafters
BGH, Urteil vom 20.4.2023 – IX ZR 44/22
ECLI:DE:BGH:2023:200423UIXZR44.22.0
Volltext: BB-Online BBL2023-1410-1
unter www.betriebs-berater.de
Amtliche Leitsätze
a) Für das Kleinbeteiligtenprivileg im Fall der Anfechtung der Rückzahlung eines Darlehens oder einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung des Gesellschafters genügt es, dass seine Voraussetzungen in dem Zeitraum von einem Jahr vor Beantragung des Insolvenzverfahrens vorliegen. Auf die Verhältnisse in der Zeit davor, insbesondere zum Zeitpunkt der Finanzierungsentscheidung des Gesellschafters, kommt es grundsätzlich nicht an.
b) Für die Annahme einer der Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs entgegenstehenden koordinierten Finanzierung genügt es nicht, dass der geringfügig beteiligte Gesellschafter einer darlehensgleichen Finanzierungsleistung an den Schuldner in der Gesellschafterversammlung nur zustimmt, ohne damit zugleich eine über seine Rolle hinausgehende unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.
InsO § 39 Abs. 5, § 135 Abs. 1 Nr. 2
Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 4. April 2019 am 1. Juli 2019 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der D. Verwaltungs- und Beteiligungs- GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Das Stammkapital der Schuldnerin beträgt 230.000 €. Seit dem 1. Januar 2015 ist der Beklagte Gesellschafter der Schuldnerin. Sein Geschäftsanteil beläuft sich auf 23.000 € (10 v.H.). Die übrigen 90 v.H. des Stammkapitals werden von F. (im Folgenden: Mehrheitsgesellschafterin) gehalten. In der Zeit vom 3. November 2014 bis zum 29. Dezember 2017 war der Beklagte auch Geschäftsführer der Schuldnerin. In diesem Zeitraum, am 26. Juni 2017, beschloss die Gesellschafterversammlung, den Überschuss aus dem Jahr 2016 sowie Gewinne aus den Vorjahren von insgesamt 685.000 € auf neue Rechnung vorzutragen. Am 8. Juni 2018 beschloss die Gesellschafterversammlung die Ausschüttung dieses Betrags an die Gesellschafter entsprechend den Beteiligungsverhältnissen. In Ausführung des Beschlusses zahlte die Schuldnerin am 29. Juni 2018 an den Beklagten 68.500 €. Der Beklagte stimmte in beiden Gesellschafterversammlungen mit der Mehrheitsgesellschafterin.
Der Kläger verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung die Erstattung des Betrags von 68.500 € von dem Beklagten. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der von dem Senat zugelassenen Revision, mit der er die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Aus den Gründen
3 Die Revision hat keinen Erfolg.
4 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es könne offenbleiben, ob in der Zustimmung eines Minderheitsgesellschafters zu einem Beschluss der Gesellschafterversammlung über einen Gewinnvortrag die Gewährung einer darlehensgleichen Leistung an diese zu sehen sei. Jedenfalls scheitere eine Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO gegenüber dem Beklagten am Kleinbeteiligtenprivileg gemäß § 39 Abs. 5 InsO. Für dessen Anwendung sei ausschließlich auf den Zeitraum des letzten Jahres vor Beantragung des Insolvenzverfahrens und nicht schon auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Beschlusses der Gesellschafter über den Gewinnvortrag abzustellen. Denn auch insoweit gelte das zeitliche Konzept des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO. In dem genannten Zeitraum hätten die Voraussetzungen des Privilegs vorgelegen. Entscheidend sei, dass der Beklagte bereits zuvor seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Schuldnerin beendet gehabt habe.
5 2. Das hält rechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
6 a) Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die für die Forderung eines Gesellschafters auf Rückgewähr eines Darlehens im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO oder für eine gleichgestellte Forderung Befriedigung gewährt hat, wenn die Handlung im letzten Jahr vor dem Eröffnungsantrag oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist. Diese Voraussetzungen liegen hinsichtlich der Gewinnausschüttung von 68.500 € an den Beklagten nicht vor.
7 Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Zustimmung eines Minderheitsgesellschafters zu einem den Vortrag des Jahresüberschusses auf neue Rechnung enthaltenden Gewinnverwendungsbeschluss der Gesellschafterversammlung dazu führt, dass der Anspruch aus einem später gefassten Gewinnausschüttungsbeschluss als eine wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehende Forderung anzusehen ist (vgl. für den Fall des Alleingesellschafters BGH, Urteil vom 22. Juli 2021 - IX ZR 195/20, BGHZ 230, 335 ff), kann dahinstehen. Eine Anfechtung der Ausschüttung an den Beklagten wird jedenfalls durch § 39 Abs. 5 InsO ausgeschlossen. Dem steht weder der Gesichtspunkt eines koordinierten Zusammenwirkens der Gesellschafter noch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Beklagten entgegen.
8 b) Im Streitfall scheidet eine Anfechtung bereits deshalb aus, weil der Beklagte in dem Zeitraum von einem Jahr vor Insolvenzantragstellung durchgängig unter das Kleinbeteiligtenprivileg gemäß § 39 Abs. 5 InsO fiel, nachdem er in dieser Zeit nicht mehr Geschäftsführer der Schuldnerin war. Nach der Bestimmung, die gemäß § 135 Abs. 4 InsO für die Anfechtung entsprechend gilt, gilt § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nicht für den nicht geschäftsführenden Gesellschafter einer Gesellschaft im Sinne von § 39 Abs. 4 Satz 1 InsO, der mit 10 v.H. oder weniger am Haftkapital beteiligt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor.
9 aa) Auch eine Beteiligung von genau 10 v.H. fällt unter das Kleinbeteiligtenprivileg gemäß § 39 Abs. 5 InsO. Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift im Sinne einer Beschränkung auf Beteiligungen von weniger als 10 v.H. scheidet aus, wie der Senat bereits entschieden hat (BGH, Urteil vom 26. Januar 2023 - IX ZR 85/21, ZIP 2023, 705 Rn. 21 f).
10 bb) Für die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen von § 39 Abs. 5 InsO kommt es entsprechend § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO grundsätzlich auf die Verhältnisse während des letzten Jahres vor Insolvenzantragstellung an. Damit ist entscheidend, dass der Beklagte bereits am 29. Dezember 2017 und damit vor Beginn dieses Zeitraums aus der Geschäftsführung der Schuldnerin ausgeschieden ist.
11 (1) Die Frage ist allerdings umstritten. Nach einer Auffassung kann das Kleinbeteiligtenprivileg nur dann in Anspruch genommen werden, wenn die Vor-aussetzungen des § 39 Abs. 5 InsO bereits im Zeitpunkt der Darlehensgewährung vorlagen. Eine spätere Verringerung der Beteiligung auf 10 v.H. oder weniger oder eine spätere Aufgabe der Tätigkeit als Geschäftsführer der Gesellschaft rechtfertigt danach nicht die Anwendung der Bestimmung (vgl. MünchKomm-InsO/Behme, 4. Aufl., § 39 Rn. 68; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 15. Aufl., § 39 Rn. 73; HmbKomm-InsO/Schröder, 9. Aufl., § 135 Rn. 88; Habersack, ZIP 2007, 2145, 2150; Dahl/Schmitz, NZG 2009, 325, 326). Nach anderer und überwiegender Ansicht ist das Kleinbeteiligtenprivileg anzuwenden, wenn die Geschäftsführung vor Beginn des Zeitraums gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO niedergelegt wurde und die Beteiligung im entscheidenden Zeitraum höchstens 10 v.H. betrug (vgl. MünchKomm-InsO/Gehrlein, 4. Aufl., § 135 Rn. 31; ders. in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 4. Aufl., § 135 Rn. 13; HK-InsO/Kleindiek, 11. Aufl., § 39 Rn. 69; Graf-Schlicker/Neußner, InsO, 6. Aufl., § 39 Rn. 68; Scholz/Bitter, GmbHG, 13. Aufl., Anh. § 64 Rn. 107; Baumbach/Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., Anh. § 64 Rn. 51; Altmeppen, NJW 2008, 3601, 3604 f; Haas, ZInsO 2007, 617, 619 f; Tettinger, NZI 2010, 248, 250; Seibold/Waßmuth, GmbHR 2016, 962, 964; offengelassen von HmbKomm-InsO/Lüdtke, 9. Aufl., § 39 Rn. 70).
12 (2) Die zweite Auffassung trifft zu.
13 (a) Die Bestimmung des § 39 Abs. 5 InsO ist durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 (BGBl. I S. 2026; fortan: MoMiG) in die Insolvenzordnung aufgenommen worden. Mit ihr hat der Gesetzgeber die Vorgängervorschrift des § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Konzerne an Kapitalmärkten und zur Erleichterung der Aufnahme von Gesellschafterdarlehen vom 20. April 1998 (BGBl. I S. 707; fortan: Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz) rechtsformneutral in die Insolvenzordnung übernommen (vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 56 f). Über den Zeitpunkt, zu dem die Privilegierungsvoraussetzungen gegeben sein müssen, verhalten sich die Materialien zum MoMiG nicht. Hinsichtlich dieser Frage ist auch der Regierungsentwurf zum Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz zunächst unergiebig (vgl. BT-Drucks. 13/7141, S. 11 f).
14 (b) Der Gesetzgeber des MoMiG hat das für das Eigenkapitalersatzrecht bestimmende Tatbestandsmerkmal der Krise und das damit einhergehende Erfordernis einer eigenkapitalersetzenden Finanzierungsleistung des Gesellschafters in § 32a Abs. 1 GmbHG wegen der mit diesem Begriff verbundenen Unsicherheiten bewusst aufgegeben (vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 57 zu Nummer 5). An die Stelle einer besonderen Qualifizierung der Finanzierungsleistung als eigenkapitalersetzend ist der Zeitraum von einem Jahr vor Insolvenzantragstellung getreten. Deshalb kommt es für die Anfechtbarkeit ausschließlich auf - wegen der zeitlichen Nähe zum Insolvenzantrag nach Auffassung des Gesetzgebers fragwürdige - Auszahlungen an Gesellschafter in dieser typischerweise kritischen Zeitspanne an (vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 26). Demgemäß sind Darlehensrückzahlungen oder Leistungen der Gesellschaft auf Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Darlehen wirtschaftlich entsprechen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO), außerhalb dieses Zeitraums nicht anfechtbar (vgl. BGH, Beschluss vom 30. April 2015 - IX ZR 196/13, WM 2015, 1119 Rn. 7 ff).
15 (c) Hierfür spricht weiter, dass die Befriedigung eines Darlehens nicht anfechtbar ist, wenn der darlehensgewährende Gesellschafter vor Beginn des in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO bestimmten Zeitraums vollständig aus der Gesellschaft ausscheidet. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass die Darlehensrückzahlung nur dann der Anfechtung unterliegt, wenn der Darlehensgeber in diesem Zeitraum Gesellschafter oder einem solchen gleichzustellen war (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2011 - II ZR 6/11, WM 2012, 78 Rn. 14 ff; Urteil vom 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12, BGHZ 196, 220 Rn. 25; Beschluss vom 30. April 2015 - IX ZR 196/13, WM 2015, 1119 Rn. 3; Urteil vom 15. November 2018 - IX ZR 39/18, ZIP 2019, 182 Rn. 12). Nach dieser Rechtsprechung kommt es mithin nicht darauf an, dass der Darlehensgeber zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung außerhalb der Anfechtungsfrist noch Gesellschafter war. Entsprechendes muss für den zunächst nicht unter § 39 Abs. 5 InsO fallenden Gesellschafter gelten, der seine Beteiligung vor Beginn des Zeitraums gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO reduziert oder seine Tätigkeit als Geschäftsführer aufgibt, so dass er in diesem Zeitraum durchgehend nur noch geringfügig im Sinne der Bestimmung beteiligt ist.
16 Der Gesetzgeber des Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetzes hat die Einführung eines Kleinbeteiligtenprivilegs in dem § 39 Abs. 5 InsO für die GmbH inhaltlich entsprechenden § 32a Abs. 3 Satz 2 GmbHG aF damit gerechtfertigt, dass der nur geringfügig Beteiligte typischerweise keine mitunternehmerische Verantwortung trage, es ihm regelmäßig an der Insiderstellung eines sonstigen Gesellschafters fehle, er kaum Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft habe und folglich in seinem Fall auch nicht von einer Finanzierungsfolgenverantwortung für diese auszugehen sei (vgl. BT-Drucks. 13/7141, S. 12). Im Ergebnis stuft der Gesetzgeber den Kleinbeteiligten daher wie einen außenstehenden, an der Gesellschaft nicht beteiligten Gläubiger ein. Das Gesetz ordnet denjenigen, der unter das Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 5 InsO fällt, nicht als Gesellschafter im Sinne von § 135 InsO ein (vgl. Schmidt, ZRI 2022, 891, 892). Dies spricht dafür, die Reduzierung der Beteiligung an der Gesellschaft unter die Schwelle von § 39 Abs. 5 InsO oder die für die Einstufung entscheidende Niederlegung der Geschäftsführerfunktion vor Beginn des Jahreszeitraums nicht anders als das vollständige Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt zu behandeln.
17 Bereits die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendung von § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO stellt darauf ab, dass ein zeitlich unbegrenzter Nachrang der Darlehensforderung des ausgeschiedenen Gesellschafters gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO über den in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO festgelegten Zeitraum von einem Jahr nach seinem Ausscheiden hinaus nach der gesetzlichen Regelung unangemessen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 15. November 2011 - II ZR 6/11, WM 2012, 78 Rn. 15; Beschluss vom 30. April 2015 - IX ZR 196/13, WM 2015, 1119 Rn. 3). Dies gilt in gleicher Weise für den Gesellschafter, der seine Beteiligung außerhalb der Jahresfrist unter die Schwelle von § 39 Abs. 5 InsO verringert oder sein Geschäftsführeramt aufgibt.
18 c) Zu einer abweichenden Würdigung führt entgegen der Revision auch nicht der Gesichtspunkt einer koordinierten Finanzierung der Gesellschaft durch einen Minderheitsgesellschafter im Zusammenwirken mit dem Mehrheitsgesellschafter. Die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen koordinierten Vorgehensweise des Beklagten mit der Mehrheitsgesellschafterin liegen nicht vor.
19 aa) Allerdings kann - wie der Senat mit Urteil vom 26. Januar 2023 (IX ZR 85/21, ZIP 2023, 705 Rn. 23 ff) entschieden hat - im Hinblick auf die Anwendung von § 135 Abs. 1 Nr. 1, § 39 Abs. 5 InsO eine koordinierte Finanzierung mit der Folge der Zusammenrechnung der Beteiligungen der an der Finanzierung beteiligten Gesellschafter auch nach Maßgabe der neuen Rechtslage gemäß dem MoMiG nach den Umständen des Einzelfalls zur Verneinung der Anwendung des Kleinbeteiligtenprivilegs führen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Finanzierung vor oder nach Eintritt der Krise der Gesellschaft vorgenommen worden ist. Maßgeblich ist vielmehr allein die Übernahme einer über den nominellen Gesellschaftsanteil hinausgehenden, überschießenden unternehmerischen Verantwortung des Kleinbeteiligten, die in einer koordinierten Fremdfinanzierung wie beispielsweise einer Konsortialvereinbarung zum Ausdruck kommen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2023, aaO Rn. 26, 28, 30).
20 bb) Hier liegen die Voraussetzungen für ein koordiniertes Vorgehen des Beklagten und der Mehrheitsgesellschafterin der Schuldnerin nicht vor. Die Stellung eines Gesellschafters als Geschäftsführer ist hierfür ohne Bedeutung. Eine davon unabhängige koordinierte Finanzierung mit einer überschießenden unternehmerischen Verantwortung, die sich aus den im Zusammenhang mit dem Gewinnverwendungsbeschluss getroffenen Abreden ergeben könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Das bloße Einvernehmen der Gesellschafter bei der Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung, die Zustimmung des Beklagten zu dem Gewinnvortrag, genügt für eine solche Annahme nicht. Allein in dieser, den üblichen Rahmen einer Beschlussfassung der Gesellschafter nicht verlassenden Zustimmung liegt keine Übernahme einer überschießenden unternehmerischen Verantwortung. Der Beklagte ist damit nicht über seine Rolle als Kleinbeteiligter hinausgegangen. Weitere Feststellungen sind nicht zu erwarten. Einer Zurückverweisung bedarf es deshalb nicht.
21 cc) Damit kann dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine aufgrund einer koordinierten Fremdfinanzierung erfolgende Zusammenrechnung der Beteiligungen am Haftkapital der Gesellschaft außerhalb des Anfechtungszeitraums des § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO in einer Weise beendet werden kann, dass sich einer der an der koordinierten Fremdfinanzierung beteiligten Gesellschafter bei einer Rückzahlung des Darlehens innerhalb des Anfechtungszeitraums auf das Kleinbeteiligtenprivileg gemäß § 39 Abs. 5 InsO berufen kann.
22 d) Schließlich steht einer Anwendbarkeit des Kleinbeteiligtenprivilegs gemäß § 39 Abs. 5 InsO im Streitfall auch nicht die nach Aufgabe seiner Geschäftsführertätigkeit fortbestehende gesellschaftsrechtliche Treuepflicht des Beklagten als Gesellschafter der Schuldnerin entgegen.
23 Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allerdings als rechtsformübergreifendes Verbandsprinzip anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2019 - IX ZR 149/16, BGHZ 221, 100 Rn. 16; vom 8. November 2022 - II ZR 91/21, WM 2023, 376 Rn. 27; jeweils mwN). Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich sowohl auf das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft als auch auf das Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Der Gesellschafter hat dabei die Pflicht zur Förderung des Gesellschaftszwecks und der Gesellschaftsinteressen (vgl. BGH, Urteil vom 1. April 1953 - II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 163; vom 14. Februar 2019, aaO Rn. 17 f). Von der Treuepflicht sind dagegen weder der Erhalt der künftigen Insolvenzmasse noch der Schutz der Gläubiger der Gesellschaft erfasst (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2019, aaO Rn. 25). Aus diesem Prinzip kann daher nichts für die Frage hergeleitet werden, ob eine Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO weiterhin durchgreift, wenn die Voraussetzungen des Kleinbeteiligtenprivilegs erst nach der Darlehensgewährung, aber außerhalb des Anfechtungszeitraums herbeigeführt werden.