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Wirtschaftsrecht
03.08.2023
Wirtschaftsrecht
EuGH: Zur Beurteilung der Transparenz und etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Hypothekendarlehensvertrag mit variablem Zinssatz aufgrund Referenzindex

EuGH, Urteil vom 13.7.2023 – C-265/22, ZR, PI gegen Banco Santander SA

ECLI:EU:C:2023:578

Volltext: BB-Online BBL2023-1793-1

unter www.betriebs-berater.de

Tenor

Art. 3 Abs. 1 sowie die Art. 4 und 5 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen sind dahin auszulegen, dass für die Beurteilung der Transparenz und der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Hypothekendarlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die als Referenzindex für die regelmäßige Anpassung des für dieses Darlehen geltenden Zinssatzes einen durch ein amtlich veröffentlichtes Rundschreiben festgelegten Index angibt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, der Inhalt der in einem anderen Rundschreiben enthaltenen Informationen relevant ist, denen zufolge auf diesen Index unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden ist, um diesen Zinssatz an den Marktzinssatz anzupassen. Ebenfalls relevant ist, ob diese Informationen einem Durchschnittsverbraucher hinreichend zugänglich sind.

 

 

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5 und 7 der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22) und von Art. 3 Abs. 1, der Art. 4 und 5 sowie von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

 

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen ZR und PI auf der einen und der Banco Santander SA auf der anderen Seite über die Gültigkeit der Klausel über die regelmäßige Anpassung des Zinssatzes für ein Hypothekendarlehen, das ZR und PI von der Rechtsvorgängerin der Banco Santander gewährt wurde.

 

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

 

3          Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, ist als missbräuchlich anzusehen, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.“

 

4          Art. 4 der Richtlinie 93/13 sieht vor:

„(1) Die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel wird unbeschadet des Artikels 7 unter Berücksichtigung der Art der Güter oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrages sind, aller den Vertragsabschluss begleitenden Umstände sowie aller anderen Klauseln desselben Vertrages oder eines anderen Vertrages, von dem die Klausel abhängt, zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt.

(2) Die Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klauseln betrifft weder den Hauptgegenstand des Vertrages noch die Angemessenheit zwischen dem Preis bzw. dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefasst sind.“

 

5          Art. 5 der Richtlinie 93/13 lautet:

„Sind alle dem Verbraucher in Verträgen unterbreiteten Klauseln oder einige dieser Klauseln schriftlich niedergelegt, so müssen sie stets klar und verständlich abgefasst sein. Bei Zweifeln über die Bedeutung einer Klausel gilt die für den Verbraucher günstigste Auslegung. Diese Auslegungsregel gilt nicht im Rahmen der in Artikel 7 Absatz 2 vorgesehenen Verfahren.“

 

Richtlinie 2005/29

6          Nach Art. 19 der Richtlinie 2005/29 hatten die Mitgliedstaaten bis zum 12. Juni 2007 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich waren, um dieser Richtlinie nachzukommen, zu erlassen und zu veröffentlichen und die Europäische Kommission unverzüglich davon in Kenntnis zu setzen. Diese Vorschriften sollten spätestens ab dem 12. Dezember 2007 anwendbar sein.

 

Spanisches Recht

7          Art. 1258 des Código Civil (Zivilgesetzbuch) lautet:

„Verträge werden durch einfache Einigung geschlossen und verpflichten von da an nicht nur zur Erfüllung des ausdrücklich Vereinbarten, sondern auch zu allen Folgen, die gemäß ihrer Natur Treu und Glauben, der Verkehrssitte und dem Gesetz entsprechen.“

 

8          Die Richtlinie 93/13 wurde durch die Ley 7/1998, sobre condiciones generales de la contratación (Gesetz 7/1998 über allgemeine Geschäftsbedingungen) vom 13. April 1998 (BOE Nr. 89 vom 14. April 1998, S. 12304) in spanisches Recht umgesetzt.

 

9          Art. 7 des Gesetzes 7/1998 bestimmt:

„Folgende allgemeine Geschäftsbedingungen gelten nicht als Vertragsbestandteil:

a) jene, bei denen der Verbraucher tatsächlich keine Gelegenheit hatte, sie vor Vertragsschluss in vollem Umfang zur Kenntnis zu nehmen, oder die, falls erforderlich, nicht in einer Art. 5 entsprechenden Fassung unterzeichnet wurden;

b) unlesbare, mehrdeutige, unklare oder unverständliche Bedingungen; davon ausgenommen sind unverständliche Bedingungen, die von der den Vertrag annehmenden Partei ausdrücklich und schriftlich angenommen wurden und die besondere Regelung einhalten, die in ihrem Anwendungsbereich die erforderliche Transparenz von Vertragsklauseln normiert.“

 

10        In Art. 8 des Gesetzes 7/1998 heißt es:

„(1) Die allgemeinen Geschäftsbedingungen, die zum Nachteil der Vertragspartei gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes oder gegen irgendeine andere zwingende Norm verstoßen, sind nichtig, sofern diese Vorschriften für den Fall ihrer Verletzung keine andere Folge vorsehen.

(2) Insbesondere sind missbräuchliche allgemeine Geschäftsbedingungen nichtig, wenn der Vertrag mit einem Verbraucher geschlossen wurde …“

 

11        Die Ley 3/1991, de Competencia Desleal (Gesetz 3/1991 über den unlauteren Wettbewerb) vom 10. Januar 1991 (BOE Nr. 10 vom 11. Januar 1991, S. 959) bestimmt in Art. 4 Abs. 1:

„Ein Verhalten ist als unlauter anzusehen, wenn es den Erfordernissen von Treu und Glauben objektiv widerspricht.

Im Verhältnis zu Verbrauchern und Nutzern ist unter einem Verhalten eines Unternehmers oder Gewerbetreibenden, das gegen die Gebote von Treu und Glauben verstößt, ein Verhalten zu verstehen, das gegen die berufliche Sorgfalt verstößt, d. h. gegen die von einem Unternehmer nach den anständigen Marktgepflogenheiten zu erwartende Sachkenntnis und besondere Sorgfalt, und das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers oder – wenn es sich um eine auf eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern abzielende Geschäftspraxis handelt – des Durchschnittsmitglieds der Zielgruppe der Praxis erheblich beeinflusst oder zu beeinflussen geeignet ist.

Im Sinne dieses Gesetzes ist unter dem wirtschaftlichen Verhalten des Verbrauchers oder Nutzers jede Entscheidung zu verstehen, mit der er sich in Bezug auf Folgendes zum Handeln oder zum Nichthandeln entscheidet:

a) die Auswahl eines Angebots oder eines Anbieters;

b) der Erwerb eines Gutes oder einer Dienstleistung sowie gegebenenfalls die Modalitäten und Bedingungen dieses Erwerbs;

c) die vollständige oder teilweise Zahlung des Preises oder jede andere Form der Zahlung;

…“

 

12        Art. 7 („Irreführende Unterlassungen“) des Gesetzes 3/1991 lautet:

„(1) Als unlauter gilt die Vorenthaltung oder Verheimlichung von Informationen, die notwendig sind, damit der Adressat in voller Kenntnis der Sachlage eine Entscheidung über sein wirtschaftliches Verhalten trifft oder treffen kann. Desgleichen ist sie unlauter, wenn die erteilten Informationen unklar, unverständlich, mehrdeutig oder nicht rechtzeitig erteilt worden sind oder wenn der geschäftliche Zweck dieser Praxis nicht offengelegt wird, sofern sich dieser nicht aus dem Kontext ergibt.

(2) Zur Feststellung, ob die im vorstehenden Absatz genannten Handlungen irreführend sind, ist deren tatsächlicher Zusammenhang zu berücksichtigen, insbesondere all ihre Merkmale und Umstände sowie die Beschränkungen des verwendeten Kommunikationsmediums.“

 

13        Der Banco de España (spanische Zentralbank) erließ das Circular 8/1990, a entidades de crédito, sobre transparencia de las operaciones y protección de la clientela (Rundschreiben 8/1990 an Kreditinstitute über die Transparenz von Geschäften und den Schutz der Kunden) vom 7. September 1990 (BOE Nr. 226 vom 20. September 1990, S. 27498). Das Rundschreiben 8/1990 wurde u. a. durch das Circular 5/1994, a entidades de crédito (Rundschreiben 5/1994 an Kreditinstitute) vom 22. Juli 1994 (BOE Nr. 184 vom 3. August 1994, S. 25106) geändert. Nach seiner Änderung durch das Rundschreiben 5/1994 legte das Rundschreiben 8/1990 bestimmte offizielle Referenzindizes oder ‑zinssätze für Hypothekendarlehen fest. Dazu gehörten verschiedene durchschnittliche Zinssätze für bestimmte Hypothekendarlehen, die eine Laufzeit von über drei Jahren haben und zum Erwerb von Wohnraum auf dem freien Markt bestimmt sind (im Folgenden: IRPH), darunter der Zinssatz der von Banken gewährten Darlehen (im Folgenden: IRPH der Banken) und der Zinssatz der von allen übrigen Kreditinstituten gewährten Darlehen (im Folgenden: IRPH der Kreditinstitute).

 

14        Die Präambel des Rundschreibens 5/1994 – das in der vorstehenden Randnummer genannte Änderungsrundschreiben – enthielt folgenden Passus:

„Die ausgewählten Referenzzinssätze sind letztlich [effektive Jahreszinssätze]. Die durchschnittlichen Zinssätze der von Banken und allen übrigen Instituten gewährten und zum Erwerb von Wohnraum auf dem freien Markt bestimmten Hypothekendarlehen stellen genau genommen effektive Jahreszinssätze dar, da sie auch die Auswirkungen von Provisionen miteinbeziehen. Sie einfach unmittelbar als Vertragszinssätze anzuwenden, würde folglich dazu führen, dass der effektive Jahreszins des jeweiligen Hypothekengeschäfts über dem auf dem Markt praktizierten Zinssatz läge. Um den effektiven Jahreszins dieses Geschäfts an den Marktzins anzupassen, müsste man einen negativen Korrekturwert anwenden, dessen Höhe je nach den Provisionen des Geschäfts und der Häufigkeit der Raten variieren müsste.“

 

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

15        Am 12. Mai 2006 schlossen ZR und PI auf der einen und die Rechtsvorgängerin von Banco Santander auf der anderen Seite einen Hypothekendarlehensvertrag über 197 934,54 Euro.

 

16        Nach Art. 3a dieses Vertrags (im Folgenden: streitige Klausel) ist der Zinssatz variabel, wobei bis zum Vertragsende nach Ablauf jedes Zwölfmonatszeitraums für die folgenden zwölf Monate ein neuer Zinssatz zu bestimmen ist. Der neue Zinssatz wird anhand eines „Referenzzinssatzes“ – dem IRPH der Kreditinstitute zuzüglich 0,20 Prozentpunkten – oder anhand eines „alternativen Referenzzinssatzes“ – dem IRPH der Banken zuzüglich 0,50 Prozentpunkten – festgesetzt.

 

17        Die streitige Klausel definiert den Referenzzinssatz in Abs. 3 wie folgt:

„Der Referenzzinssatz ist der [IRPH der Kreditinstitute], definiert als der einfache Mittelwert der durchschnittlichen Zinssätze, gewichtet nach dem Kapital der hypothekarisch gesicherten und zum Erwerb von Wohnraum auf dem freien Markt bestimmten Darlehensgeschäfte mit einer Laufzeit von mindestens drei Jahren, die von allen [Instituten, nämlich] Banken, Sparkassen und Hypothekenkreditgesellschaften im Referenzmonat des Indexes aufgenommen oder erneuert wurden, wobei als Bezugsgrundlage der letzte dieser durchschnittlichen Zinssätze dient, den der Banco de España [(im Folgenden: Bank von Spanien)] im [BOE] vor Beginn jeder neuen Zinsperiode und innerhalb der drei vorangegangenen Kalendermonate veröffentlicht hat.“

 

18        Dieser Abs. 3 definiert in analoger Weise den alternativen Referenzzinssatz, der dann anwendbar ist, wenn kein Referenzzinssatz veröffentlicht wird.

 

19        In der streitigen Klausel steht desgleichen, dass der Referenzzinssatz und der alternative Referenzzinssatz in Anhang VIII des Rundschreibens 8/1990 beschrieben sind.

 

20        Am 13. Februar 2020 erhoben ZR und PI beim Juzgado de Primera Instancia n.°17 de Palma de Mallorca (Gericht erster Instanz Nr. 17 von Palma de Mallorca, Spanien), dem vorlegenden Gericht, Klage und beantragten die Feststellung der Nichtigkeit der streitigen Klausel wegen Missbräuchlichkeit und die Verurteilung von Banco Santander zum Ersatz des Schadens, der ihnen durch die Anwendung dieser Klausel entstanden sein soll.

 

21        ZR und PI machen vor dem vorlegenden Gericht geltend, dass der Umstand, dass die streitige Klausel in Bezug auf die jährliche Anpassung des Zinssatzes ihres Darlehens auf zwei IRPH verweise und für diese einen geringen Aufschlag vorsehe, nämlich 0,20 Prozentpunkte beim IRPH der Kreditinstitute bzw. 0,50 Prozentpunkte beim IRPH der Banken, irreführend sei. Denn diese Darstellung, die aus einem relativ begrenzten Aufschlag bestehe, veranlasse prospektive Darlehensnehmer zum Abschluss eines Darlehens, dessen Zinssatz unter Bezugnahme auf einen IRPH anstatt des durchschnittlichen Zinssatzes des europäischen Interbankenhandels (im Folgenden: Euribor) angepasst werden könne, während eine Bezugnahme auf den Euribor bei einem deutlich höheren Aufschlag – selbst in der Größenordnung von 2 % – zur Anwendung eines niedrigeren angepassten Zinssatzes führen würde. Dies ergebe sich daraus, dass die IRPH im Gegensatz zum Euribor auf der Grundlage von Zinssätzen, die Provisionen berücksichtigten, berechnet würden. Nach Ansicht der Kläger des Ausgangsverfahrens beläuft sich der ihnen durch die Anwendung der streitigen Klausel entstandene Schaden auf 39 799,25 Euro.

 

22        Die Beklagte des Ausgangsverfahrens wendet sich gegen diesen Antrag sowohl in Bezug auf die Feststellung der Missbräuchlichkeit der streitigen Klausel als auch in Bezug auf die Bezifferung des geltend gemachten Schadens. Desgleichen macht sie geltend, dass diese Klausel individuell ausgehandelt worden und grundsätzlich rechtmäßig sei, da die IRPH offizielle und veröffentlichte Indizes seien und somit den Verbrauchern zugänglich seien, die folglich von den für deren Berechnungsmethode und historische Entwicklung relevanten Daten dadurch Kenntnis erlangen könnten, dass sie die in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag enthaltenen Angaben einsähen.

 

23        Im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht haben die Kläger des Ausgangsverfahrens ferner geltend gemacht, dass die streitige Klausel deshalb für nichtig zu erklären sei, weil sie in Anbetracht dessen, dass sie für die regelmäßigen Anpassungen des Zinssatzes des betreffenden Darlehens einen IRPH als Referenzsatz angebe, die Anwendung eines negativen Korrekturwerts, wie im Rundschreiben 5/1994 verlangt, und nicht eines positiven Korrekturwerts hätte vorsehen müssen.

 

24        Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass die Präambel des Rundschreibens 5/1994 keine normative Kraft habe. Sie zeige jedoch, dass die Verwaltungsbehörde, von der dieses Rundschreiben stamme, der Ansicht gewesen sei, dass die Vermarktung von Produkten, denen ein IRPH als Bezugsgrundlage diene, mit der Anwendung eines negativen Korrekturwerts einhergehen müsse.

 

25        Zur Darstellung der streitigen Klausel führt das vorlegende Gericht aus, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag nicht die in dieser Präambel enthaltenen Hinweise auf die Anwendung eines negativen Korrekturwerts auf die IRPH zu deren Anpassung an den Marktzins erwähne.

 

26        Zu den Auswirkungen der streitigen Klausel weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich für die Darlehensnehmer die Bezugnahme auf einen IRPH zwangsläufig nachteilig auswirke, da ein solcher Index aus dem Mittelwert der für alle laufenden betreffenden Darlehensgeschäfte geltenden Zinssätze bestehe, die bereits zum Teil aus Provisionen und Aufschlägen bestünden.

 

27        Das vorlegende Gericht vertritt daher die Ansicht, dass die unterbliebene Unterrichtung der Darlehensnehmer über den Inhalt der Präambel des Rundschreibens 5/1994 und damit nicht nur über die Merkmale der IRPH, sondern ganz allgemein über die jeweilige Höhe der IRPH und des Euribor gegen den guten Glauben verstoßen und zu einem Missverhältnis zum Nachteil der Verbraucher führen könnte, was die Einstufung der streitigen Klausel als missbräuchlich rechtfertige.

 

28        Ferner könne die unterbliebene Unterrichtung über den Inhalt der Präambel des Rundschreibens 5/1994 in Verbindung mit der Anwendung eines positiven Korrekturwerts, der geringfügig niedriger sei als bei Darlehen, deren Zinssätze unter Bezugnahme auf den Euribor festgelegt würden, einen Marketingtrick darstellen, der den Eindruck einer günstigeren Zinsbelastung erwecken solle. Würden die in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 enthaltenen Angaben den prospektiven Darlehensnehmern hingegen mitgeteilt, könnten diese in Kenntnis der Sachlage entscheiden.

 

29        In diesem Zusammenhang zieht das vorlegende Gericht die Möglichkeit in Betracht, dass die Aufnahme der streitigen Klausel in den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Darlehensvertrag als unlautere Geschäftspraxis im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2005/29 angesehen werden könne, da sie das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers wesentlich beeinflusse oder beeinflussen könne, weil er nicht darüber informiert werde, dass die Anwendung eines negativen Korrekturwerts notwendig sei, wenn der Referenzzinssatz ein IRPH sei. Insoweit weist es darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Zusammenhang mit einer Vertragsklausel das Vorliegen einer unlauteren Geschäftspraxis im Sinne der Richtlinie 2005/29 ein Kriterium für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit dieser Klausel darstelle.

 

30        Unter diesen Umständen hat das Juzgado de Primera Instancia n.°17 de Palma de Mallorca (Gericht erster Instanz Nr. 17 von Palma de Mallorca) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.         Wenn man berücksichtigt, dass bei der Bildung des IRPH der Kreditinstitute die Provisionen und die auf diesen Zinsindex angewandten Korrekturwerte in den Zinssatz mit einbezogen werden, so dass sich für den Verbraucher eine größere Zinsbelastung ergibt als bei den übrigen marktüblichen effektiven Jahreszinssätzen, und dass die Korrekturwerte nach dem Rundschreiben 5/1994 – einem normativen Kriterium der Regulierungsbehörde – negativ sein müssen, was von den Kreditinstituten generell nicht mitgeteilt und nicht eingehalten wurde, ist es dann mit den Art. 5 und 7 der Richtlinie 2005/29 unvereinbar, vollständig vom normativen Kriterium der Regulierungsbehörde abzuweichen?

2.         Sofern es mit den Art. 5 und 7 der Richtlinie 2005/29 unvereinbar ist, vom zuvor genannten normativen Kriterium abzuweichen, stellt diese unlautere Praxis in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑689/20 einen Anhaltspunkt bei der Prüfung und Beurteilung der Missbräuchlichkeit der entsprechenden Klausel dar und ist sie mit den Art. 3 und 4 der Richtlinie 93/13 unvereinbar?

3.         Sofern das Rundschreiben 5/1994, das sich speziell auf den Finanzsektor bezieht, der Bevölkerung aber im Allgemeinen nicht bekannt ist, vollständig unberücksichtigt geblieben ist und festgestellt wird, dass dies mit Art. 7 der Richtlinie 2005/29 unvereinbar ist, stellt diese Unterlassung einen Anhaltspunkt bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 dar, und ist gegebenenfalls beim IRPH‑Index, der sich aus „Referenzindex und Korrekturwert“ zusammensetzt, eine Transparenzkontrolle geboten?

4.         Stehen Art. 3 Abs. 1, Art. 4 und Art. 5 der Richtlinie 93/13 einer nationalen Rechtsprechung entgegen, nach der im Hinblick auf die besondere Regelung des IRPH die unterbliebene Anwendung eines negativen Korrekturwerts – entgegen der entsprechenden Anforderung im Rundschreiben 5/1994 und der Tatsache, dass die Darlehen, deren variabler Zinssatz unter Bezugnahme auf den IRPH bestimmt wird, der weniger günstig ist als alle anderen effektiven Jahreszinssätze, so vermarktet wurden, als ob sie ebenso günstige Produkte wie die Darlehen wären, deren variabler Zinssatz unter Bezugnahme auf den Euribor bestimmt wird, ohne dass die Anforderung berücksichtigt wird, dem IRPH einen negativen Korrekturwert hinzuzufügen – keine missbräuchliche Praxis darstellt, und wäre es demnach möglich, die Auswirkungen der Klauseln, die in den betreffenden Verträgen solch eine Anwendung des IRPH vorsehen, wegen ihrer Nichtigkeit zu beseitigen, die Banken zu veranlassen, in Zukunft von deren Verwendung abzusehen, da die Vermarktung dieser Dienstleistung gegenüber besonders schutzbedürftigen Verbrauchern deren wirtschaftliches Verhalten beeinflussen kann, und festzustellen, dass diese Klauseln in gewerblichen Verträgen auszuschließen sind, weil sie unlauter sind, da sie zur Bestimmung der Zinssätze unter Verstoß gegen die Richtlinie 2005/29 eingefügt wurden?

5.         Ist es mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 unvereinbar, dass in Bezug auf eine Klausel, wonach der variable Zinssatz eines Darlehensvertrags unter Bezugnahme auf den IRPH bestimmt wird, keine Kontrolle der Einbeziehung und der Missbräuchlichkeit erfolgt, wenn ein Korrekturwert versteckt vorgeschrieben wurde, in Anbetracht dessen, dass der Korrekturwert in einem Angebot von einer Bank negativ sein muss und der Verbraucher während der vorvertraglichen Informationsphase nichts darüber erfährt, wie sich der auf sein Darlehen angewandte Zinssatz wirtschaftlich auswirkt, was mit der Richtlinie 2005/29 unvereinbar ist?

 

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit der Fragen 1 bis 3 und 5

31        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob ein zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossener Darlehensvertrag mit variablem Zinssatz, dessen Klausel, mit der die Modalitäten der regelmäßigen Anpassung des Zinssatzes festgelegt werden, als Bezugsgrundlage einen offiziellen Index, auf den ein Aufschlag angewandt wird, heranzieht und damit von den Hinweisen abweicht, die in dem Rechtsakt, mit dem die zuständige Behörde diesen Index aufgestellt hat, enthalten sind und die im Gegenteil klarstellten, dass unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden sei, um den effektiven Jahreszins des Darlehens an den Marktzins anzupassen, mit den Art. 5 und 7 der Richtlinie 2005/29 vereinbar ist.

 

32        Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage bittet das vorlegende Gericht für den Fall der Verneinung der ersten Frage um bestimmte Erläuterungen.

 

33        Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht schließlich wissen, wie Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Darlehensvertrags auszulegen ist, dessen Zinssatz unter Verstoß gegen die Anforderungen der Richtlinie 2005/29 irreführend dargestellt wird.

 

34        Nach ständiger Rechtsprechung spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Fragen des nationalen Gerichts zum Unionsrecht. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 24. November 2020, Openbaar Ministerie [Urkundenfälschung], C‑510/19, EU:C:2020:953, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

35        Um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, muss das Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs eine Darstellung der Gründe, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt, enthalten (Urteil vom 26. Januar 2023, Ministerstvo na vatreshnite raboti [Registrierung biometrischer und genetischer Daten durch die Polizei], C‑205/21, EU:C:2023:49, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

36        Die Fragen 1 bis 3 und 5 setzen voraus, dass die Richtlinie 2005/29 auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist.

 

37        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass eine neue Rechtsnorm ab dem Inkrafttreten des Rechtsakts anwendbar ist, mit dem sie eingeführt wird, und dass sie zwar nicht auf unter dem alten Recht entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar ist, doch auf deren künftige Wirkungen sowie auf neue Rechtspositionen Anwendung findet. Etwas anderes gilt nur – und vorbehaltlich des Verbots der Rückwirkung von Rechtsakten –, wenn zusammen mit der Neuregelung besondere Vorschriften getroffen werden, die speziell die Voraussetzungen für ihre zeitliche Geltung regeln (Urteile vom 16. Dezember 2010, Stichting Natuur en Milieu u. a., C‑266/09, EU:C:2010:779, Rn. 32, sowie vom 26. März 2015, Kommission/Moravia Gas Storage, C‑596/13 P, EU:C:2015:203, Rn. 32).

 

38        Was insbesondere Richtlinien anbelangt, fallen somit in der Regel nur nach Ablauf der Umsetzungsfrist einer Richtlinie erworbene Rechtspositionen in zeitlicher Hinsicht in deren Geltungsbereich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 2019, E. B., C‑258/17, EU:C:2019:17, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

39        Nach Art. 19 der Richtlinie 2005/29 hatten die Mitgliedstaaten bis zum 12. Juni 2007 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen, zu erlassen und zu veröffentlichen, und diese Vorschriften sollten spätestens ab dem 12. Dezember 2007 anwendbar sein.

 

40        In der Praxis haben das Königreich Spanien und die Kommission in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 2005/29 schließlich durch die Ley 29/2009, por la que se modifica el régimen legal de la competencia desleal y de la publicidad para la mejora de la protección de los consumidores y usuarios (Gesetz 29/2009 zur Änderung der Regelung über den unlauteren Wettbewerb und die Werbung zwecks Verbesserung des Schutzes der Verbraucher und Nutzer) vom 30. Dezember 2009 (BOE Nr. 315 vom 31. Dezember 2009, S. 112039) umgesetzt worden sei.

 

41        Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Richtlinie 2005/29 zum Zeitpunkt des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags, der am 12. Mai 2006 erfolgte, nicht anwendbar war.

 

42        Folglich steht die Auslegung dieser Richtlinie in keinem Zusammenhang mit der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits, so dass die Fragen 1 bis 3 und teilweise die fünfte Frage, die unmittelbar oder mittelbar diese Auslegung betreffen, unzulässig sind.

 

43        Soweit die fünfte Frage die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 betrifft, enthält das Vorabentscheidungsersuchen nicht die nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung erforderlichen Angaben, die es dem Gerichtshof ermöglichen sollen, dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, da in dem Ersuchen nicht dargelegt wird, aus welchen Gründen das vorlegende Gericht Zweifel an der Auslegung dieser Bestimmung hat.

 

44        Folglich ist auch die fünfte Frage insgesamt unzulässig.

 

Zur vierten Frage

45        Mit der vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 sowie die Art. 4 und 5 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Rechtsprechung entgegenstehen, wonach eine Klausel eines Darlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die trotz der in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 enthaltenen Hinweise als Referenzindex einen IRPH festlegt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, nicht missbräuchlich ist.

 

46        Vorab ist erstens festzustellen, dass die Vorlageentscheidung keine Angaben zum genauen Inhalt der in der vierten Frage angeführten nationalen Rechtsprechung enthält, so dass der Gerichtshof nicht über die erforderlichen Angaben verfügt, um eine auf diese Rechtsprechung abgestimmte Antwort zu geben.

 

47        Zweitens ergibt sich aus den Ausführungen in der Vorlageentscheidung, dass die vierte Frage nicht nur den Umstand betrifft, dass die streitige Klausel nicht die Anwendung eines negativen Korrekturwerts auf den als Referenzindex bestimmten IRPH vorsieht, um den in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 beschriebenen Auswirkungen der Methode zur Berechnung der IRPH Rechnung zu tragen, sondern auch den Umstand, dass die Darlehensnehmer in der vorvertraglichen Phase nicht über die Existenz und den Inhalt dieser Hinweise unterrichtet wurden, was insbesondere durch die Nennung von Art. 5 der Richtlinie 93/13 bestätigt wird, der das Transparenzerfordernis betrifft.

 

48        Drittens und letztens ergibt sich aus diesen Ausführungen auch zum einen, dass die streitige Klausel auf das Rundschreiben 8/1990 verweist, soweit in dessen Anhang VIII die IRPH beschrieben werden, und zum anderen, dass die Präambel, in der die Hinweise zu den Auswirkungen der Methode zur Berechnung der IRPH stehen, nicht in diesem Rundschreiben, sondern im Rundschreiben 5/1994 enthalten ist, die beide amtlich veröffentlicht wurden.

 

49        Nach alledem ist anzunehmen, dass das vorlegende Gericht mit seiner vierten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 3 Abs. 1 sowie die Art. 4 und 5 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass für die Beurteilung der Transparenz und der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Hypothekendarlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die als Referenzindex für die regelmäßige Anpassung des für dieses Darlehen geltenden Zinssatzes einen durch ein amtlich veröffentlichtes Rundschreiben festgelegten Index angibt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, der Inhalt der in einem anderen Rundschreiben enthaltenen Informationen relevant ist, denen zufolge auf diesen Index unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden ist, um diesen Zinssatz an den Marktzinssatz anzupassen.

 

50        Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Zuständigkeit des Gerichtshofs nach seiner ständigen Rechtsprechung insoweit auf die Auslegung der Begriffe der Richtlinie 93/13 sowie auf die Kriterien erstreckt, die das nationale Gericht bei der Prüfung einer Vertragsklausel im Hinblick auf die Bestimmungen der Richtlinie anwenden darf oder muss, wobei es Sache des nationalen Gerichts ist, unter Berücksichtigung dieser Kriterien über die konkrete Bewertung einer bestimmten Vertragsklausel anhand der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Infolgedessen muss sich der Gerichtshof darauf beschränken, dem vorlegenden Gericht Hinweise an die Hand zu geben, die dieses zu beachten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Januar 2014, Constructora Principado, C‑226/12, EU:C:2014:10, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

51        Was als Erstes das Erfordernis der Transparenz von Vertragsklauseln betrifft, wie es sich aus Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 der Richtlinie 93/13 ergibt, ist darauf hinzuweisen, dass es für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung ist, dass er vor Abschluss eines Vertrags über die Vertragsbedingungen und die Folgen des Vertragsschlusses informiert ist. Insbesondere auf der Grundlage dieser Information entscheidet er, ob er sich durch die vom Gewerbetreibenden vorformulierten Bedingungen binden möchte (Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

52        Angesichts dessen und unter Berücksichtigung des Umstands, dass das mit dieser Richtlinie eingeführte Schutzsystem auf dem Gedanken beruht, dass der Verbraucher gegenüber dem Gewerbetreibenden u. a. einen geringeren Informationsstand besitzt, muss dieses Erfordernis umfassend verstanden werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

53        Konkret bedeutet das Erfordernis der klaren und verständlichen Abfassung einer Vertragsklausel, dass die Finanzinstitute bei Darlehensverträgen den Darlehensnehmern Informationen zur Verfügung stellen müssen, die ausreichen, um die Darlehensnehmer in die Lage zu versetzen, umsichtige und besonnene Entscheidungen zu treffen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 51). Insoweit hat der nationale Richter in Anbetracht aller den Vertragsschluss begleitender Umstände zu prüfen, ob dem betroffenen Verbraucher sämtliche Tatsachen mitgeteilt wurden, die sich auf den Umfang seiner Verpflichtung auswirken könnten und ihm u. a. erlauben, diese Verpflichtung insbesondere hinsichtlich der Gesamtkosten des Kredits einzuschätzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

54        Eine entscheidende Rolle bei dieser Beurteilung spielt es zum einen, ob die Klauseln klar und verständlich abgefasst sind und es einem Durchschnittsverbraucher, d. h. einem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher, dadurch ermöglichen, diese Kosten einzuschätzen, und zum anderen, ob in dem Kreditvertrag Informationen fehlen, die in Anbetracht der Natur der Waren oder Dienstleistungen, die Gegenstand dieses Vertrags sind, als wesentlich angesehen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

55        Was insbesondere eine Klausel betrifft, die im Rahmen eines Hypothekendarlehensvertrags ein Entgelt für dieses Darlehen in Form von Zinsen vorsieht, die auf der Grundlage eines variablen Satzes berechnet werden, der wie im Ausgangsverfahren unter Bezugnahme auf einen offiziellen Index festgelegt wird, ist das Transparenzerfordernis so zu verstehen, dass es u. a. verlangt, dass ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher in die Lage versetzt werden muss, zu verstehen, wie dieser Zinssatz konkret berechnet wird, und somit auf der Grundlage genauer und nachvollziehbarer Kriterien die möglicherweise beträchtlichen wirtschaftlichen Folgen einer solchen Klausel für seine finanziellen Verpflichtungen einzuschätzen (Urteil vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

56        Zu den relevanten Gesichtspunkten, die das nationale Gericht bei der Vornahme der insoweit erforderlichen Prüfungen zu berücksichtigen hat, gehören nicht nur der Inhalt der vom Darlehensgeber im Rahmen der Aushandlung des betreffenden Darlehensvertrags bereitgestellten Information, sondern auch der Umstand, dass die Hauptelemente zur Berechnung des Referenzindex aufgrund ihrer Veröffentlichung leicht zugänglich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. März 2020, Gómez del Moral Guasch, C‑125/18, EU:C:2020:138, Rn. 52, 53 und 56).

 

57        Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung zum einen hervor, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Referenzindex durch das Rundschreiben 8/1990 festgelegt wurde, das im Boletín Oficial del Estado veröffentlicht wurde. Zum anderen wird in der streitigen Klausel angegeben, dass der Index in Anhang VIII des Rundschreibens beschrieben wird und dieses Rundschreiben von der Bank von Spanien stammt.

 

58        Das vorlegende Gericht hat sich zu vergewissern, dass die auf diese Weise erteilten Informationen ausreichten, damit ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher die Modalitäten der Berechnung des in der streitigen Klausel genannten Referenzindex tatsächlich zur Kenntnis nehmen konnte.

 

59        In Bezug auf die Frage, ob die tatsächliche Kenntnisnahme von den – in Anhang VIII des Rundschreibens 8/1990 enthaltenen – Modalitäten der Berechnung des in der streitigen Klausel genannten Referenzindex ausreichte, damit ein Durchschnittsverbraucher sie verstehen und ihre wirtschaftlichen Folgen erfassen konnte, ohne dass ihm auch die in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 enthaltenen Informationen zur Kenntnis gebracht wurden, hat das vorlegende Gericht zu berücksichtigen, welche Bedeutung diese Informationen für diesen Verbraucher hatten, um die wirtschaftlichen Folgen des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Hypothekendarlehensvertrags richtig beurteilen zu können. Insoweit ist der Umstand, dass die Einrichtung, von der das Rundschreiben 5/1994 stammt, es für angebracht hielt, mit Hilfe dieser Präambel die Kreditinstitute auf die Höhe der IRPH im Vergleich zum Marktzinssatz und auf die Notwendigkeit der Anwendung eines negativen Korrekturwerts zur Anpassung der IRPH an diesen Satz hinzuweisen, ein relevanter Anhaltspunkt für den Nutzen solcher Informationen für den Verbraucher.

 

60        Für die Beurteilung durch das vorlegende Gericht ist auch der Umstand relevant, dass diese Informationen zwar im Boletín Oficial del Estado veröffentlicht wurden, aber in der Präambel des Rundschreibens 5/1994 enthalten sind, und nicht in dem den vertraglichen Referenzindex festlegenden Rundschreiben, auf das die streitige Klausel verwies, nämlich das Rundschreiben 8/1990. Das vorlegende Gericht hat insbesondere zu prüfen, ob zur Erlangung dieser Informationen ein Vorgehen erforderlich war, das von einem Durchschnittsverbraucher vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, da es bereits zur juristischen Recherche gehört.

 

61        Was als Zweites die Beurteilung der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel wie der streitigen Klausel betrifft, bestimmt Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, dass eine Vertragsklausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde, als missbräuchlich anzusehen ist, wenn sie entgegen dem Gebot von Treu und Glauben zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner verursacht.

 

62        Insoweit ist vorab festzustellen, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens – wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht – geltend macht, dass die streitige Klausel im Einzelnen ausgehandelt worden sei. Es ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts, über diese Frage unter Berücksichtigung der in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 und 3 der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Regeln über die Beweislastverteilung zu entscheiden, die u. a. bestimmen, dass dem Gewerbetreibenden die Beweislast obliegt, wenn er behauptet, dass eine Standardvertragsklausel im Einzelnen ausgehandelt wurde.

 

63        Im Rahmen der Beurteilung der Missbräuchlichkeit einer nicht im Einzelnen ausgehandelten Vertragsklausel, die das nationale Gericht nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 vorzunehmen hat, hat es unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände der Rechtssache zunächst zu prüfen, ob ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben vorliegt, und dann, ob zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis im Sinne dieser Bestimmung besteht (Urteil vom 3. Oktober 2019, Kiss und CIB Bank, C‑621/17, EU:C:2019:820, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

64        Zur Klarstellung dieser Begriffe ist zum einen in Bezug auf die Frage, unter welchen Umständen ein solches Missverhältnis „entgegen dem Gebot von Treu und Glauben“ verursacht wird, festzustellen, dass in Anbetracht des 16. Erwägungsgrundes der Richtlinie 93/13 das nationale Gericht prüfen muss, ob der Gewerbetreibende bei loyalem und billigem Verhalten gegenüber dem Verbraucher vernünftigerweise erwarten durfte, dass der Verbraucher sich nach individuellen Verhandlungen auf eine solche Klausel einlässt (Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

65        Zum anderen sind bei der Frage, ob eine Klausel ein „erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis“ der vertraglichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner zum Nachteil des Verbrauchers verursacht, insbesondere diejenigen Vorschriften zu berücksichtigen, die im nationalen Recht anwendbar sind, wenn die Parteien in diesem Punkt keine Vereinbarung getroffen haben, um zu bewerten, ob – und gegebenenfalls inwieweit – der Vertrag für den Verbraucher eine weniger günstige Rechtslage schafft, als sie das geltende nationale Recht vorsieht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 59). Wenn es um eine Klausel über die Berechnung der Zinsen aus einem Darlehensvertrag geht, sind auch die in der Klausel vorgesehene Methode zur Berechnung des ordentlichen Zinssatzes und die sich daraus ergebende tatsächliche Höhe des Satzes mit den üblicherweise angewandten Berechnungsmethoden und dem gesetzlichen Zinssatz sowie den Zinssätzen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags für ein Darlehen in gleicher Höhe und mit gleicher Laufzeit wie der betreffende Darlehensvertrag auf dem Markt praktiziert wurden (Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus, C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 65).

 

66        Desgleichen ist darauf hinzuweisen, dass die Transparenz einer Vertragsklausel, wie sie in Art. 5 der Richtlinie 93/13 verlangt wird, einen der Gesichtspunkte darstellt, die bei der Beurteilung der Missbräuchlichkeit dieser Klausel zu berücksichtigen sind (Urteil vom 3. Oktober 2019, Kiss und CIB Bank, C‑621/17, EU:C:2019:820, Rn. 49). Dagegen ergibt sich aus Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie, dass der Umstand, dass eine Klausel nicht klar und verständlich abgefasst ist, für sich allein nicht geeignet ist, sie missbräuchlich zu machen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 17. November 2021, Gómez del Moral Guasch, C‑655/20, EU:C:2021:943, Rn. 37).

 

67        Schließlich ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 zu berücksichtigen, soweit darin klargestellt wird, dass die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel u. a. unter Berücksichtigung aller anderen Klauseln desselben Vertrags beurteilt wird. Insoweit kann es in Anbetracht dessen, dass die IRPH nach dem Wortlaut der Präambel des Rundschreibens 5/1994 die Auswirkungen von Provisionen mit einbeziehen, von Bedeutung sein, die Art der in anderen Klauseln des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags gegebenenfalls vereinbarten Provisionen zu prüfen, um festzustellen, ob die Gefahr einer doppelten Vergütung bestimmter Leistungen des Darlehensgebers besteht.

 

68        Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation unter Berücksichtigung der Ausführungen in den Rn. 51 bis 67 des vorliegenden Urteils zu beurteilen, nachdem es die zum Sachverhalt dieser Rechtssache und zum nationalen rechtlichen Rahmen gehörenden Gesichtspunkte geprüft hat.

 

69        Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 sowie die Art. 4 und 5 der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass für die Beurteilung der Transparenz und der etwaigen Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Hypothekendarlehensvertrags mit variablem Zinssatz, die als Referenzindex für die regelmäßige Anpassung des für dieses Darlehen geltenden Zinssatzes einen durch ein amtlich veröffentlichtes Rundschreiben festgelegten Index angibt, auf den ein Aufschlag angewandt wird, der Inhalt der in einem anderen Rundschreiben enthaltenen Informationen relevant ist, denen zufolge auf diesen Index unter Berücksichtigung seiner Berechnungsmethode ein negativer Korrekturwert anzuwenden ist, um diesen Zinssatz an den Marktzinssatz anzupassen. Ebenfalls relevant ist, ob diese Informationen einem Durchschnittsverbraucher hinreichend zugänglich sind.

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