OLG Karlsruhe: Zeitliche Beschränkung des Anspruchs auf Nutzungsausfallentschädigung
OLG Karlsruhe, Urteil vom 8.8.2011 - 1 U 54/11
leitsätze
Der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung beschränkt sich grundsätzlich auf die für die Reparatur oder Ersatzbeschaffung notwendige Zeit
Allerdings verlängert sich die zeitliche Dauer des entschädigungspflichtigen Nut-zungsausfalls dann, wenn dem Geschädigten die Gebrauchsvorteile durch ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers (Verzug oder zögerliches Regulierungs-verhalten der einstandspflichtigen Versicherung) für eine längere Zeit entgehen.
Das gilt aber wiederum nicht uneingeschränkt, vielmehr ist der Geschädigte im Rahmen der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) ge-halten, den Schädiger auf die Gefahr eines drohenden höheren Schadens hinzu-weisen (im Anschluss an OLG Celle, VersR 1980, 633; KG Berlin, MDR 2010, 79).
sachverhalt
I. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 4. März 2011 verwiesen. Zweitinstanzliche Änderungen und Ergänzungen ergeben sich aus den nachfolgenden Ausführungen.
Der Kläger hat erstinstanzlich immaterielle und restliche materielle Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 07.04.2010 in Mannheim geltend gemacht, der vom Beklagten Ziff. 2 unstreitig allein verschuldet wurde. Er hat Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes (mindestens € 900.-), (restliche) Nutzungsentschädigung mit € 4.210,00 nebst Zinsen sowie Verzugszinsen aus dem von der Beklagten Ziff. 1 vorprozessual gezahlten Betrag von € 9.447,61 begehrt.
Das Landgericht hat dem Kläger restlichen Nutzungsausfall i. H. v. € 1.850,00 nebst Zinsen sowie weitere Verzugszinsen i. H. v. € 116,62 zugesprochen und die Klage im übrigen abgewiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten, die Klagabweisung insgesamt anstreben. Sie rügen eine unzutreffende rechtliche und tatsächliche Würdigung durch das Landgericht.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 04.03.2011 - 9 O 320/10 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in beiden Instanzen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 11.07.2011 auf die zuständige Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
aus den gründen
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie hat auch weitgehend Erfolg. Die Beklagten sind nicht verpflichtet, dem Kläger weiteren Nutzungsausfall über die vorprozessual gezahlten € 4.500,00 hinaus zu zahlen. Insoweit hat die Berufung Erfolg. (1.). Zu Recht hat das Landgericht allerdings dem Kläger einen Verzugsschaden i. H. v. 116,62 € zugesprochen, so dass die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen werden musste (2.).
1. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß §§ 249 Abs. 1, 251 BGB auf Zahlung einer weiteren Nutzungsentschädigung i. H. v. € 1.850,00 nebst Zinsen, wie ihm vom Landgericht zugesprochen. Die Beklagte Ziff. 1 hat vorprozessual € 4.500,00 auf diese Position gezahlt. Ausgehend von dem vom Landgericht als ersatzfähig angesehenen Tagessatz von € 50,00 (die Höhe des Tagessatzes ist in der Berufungsinstanz unstreitig) hat die Beklagte Ziff. 1 somit für 90 Tage Nutzungsausfall Schadensersatz geleistet. Damit sind die berechtigten Ansprüche des Klägers erfüllt.
Der Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der die Möglichkeit zur Nutzung seines Pkw einbüßt, hat nach ständiger Rechtsprechung auch dann einen Schadensersatzanspruch, wenn er kein Ersatz-Kfz mietet. Dabei wird auf den Verlust der Gebrauchsmöglichkeit abgestellt, wobei Anspruchsvoraussetzung weiter eine fühlbare Beeinträchtigung der Nutzung ist (vgl. zu allem Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 249 Rn. 40 f.). Der Anspruch beschränkt sich grundsätzlich auf die für die Reparatur oder Ersatzbeschaffung notwendige Zeit (Palandt/Grüneberg, a.a.O., Rn. 37). Diese wurde von dem vom Kläger mit der Schadensbegutachtung beauftragten Sachverständigen Starke mit neun Tagen bewertet.
Allerdings verlängert sich die zeitliche Dauer des entschädigungspflichtigen Nutzungsausfalls dann, wenn dem Geschädigten die Gebrauchsvorteile durch ein schuldhaftes Verhalten des Schädigers (Verzug oder zögerliches Regulierungsverhalten der einstandspflichtigen Versicherung) für eine längere Zeit entgehen. Das gilt aber wiederum nicht uneingeschränkt, vielmehr ist der Geschädigte im Rahmen der ihm obliegenden Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) gehalten, den Schädiger auf die Gefahr eines drohenden höheren Schadens hinzuweisen (Palandt a. a. O., § 254 Rn. 37, OLG Celle, VersR 1980, 633, KG Berlin, MDR 2010, 79).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Kläger jedenfalls keinen Anspruch auf Schadensersatz für entgangene Nutzung für mehr als die von der Beklagten Ziff. 1 bereits ausgeglichenen 90 Tage. Denn er hat dadurch gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, dass er erst mit Schreiben vom 23.06.2010 an die Beklagte Ziff. 1 darauf hingewiesen hat, dass er aufgrund seiner finanziellen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sei, die Kosten für die notwendige Reparatur seines bei dem Unfall vom 07.04.2010 beschädigten Fahrzeugs vorzufinanzieren und ihm ein Kredit von seiner Bank nicht gewährt werde. Nähere Ausführungen zu seinen finanziellen Verhältnissen werden in diesem Schreiben nicht gemacht. Vorausgegangen war die Schadensmeldung des Klägers mit Schreiben vom 16.04.2010, mit dem der Versicherung lediglich mitgeteilt wurde, dass der Kläger das Fahrzeug reparieren lassen wolle und die Geltendmachung eines Nutzungsausfallschadens vorbehalten bleibe. In diesem Schreiben wurde der beklagten Versicherung eine Zahlungsfrist bis zum 07.05.2010 eingeräumt, ohne dass darauf hingewiesen wurde, dass eine Reparatur aus finanziellen Gründen erst nach Eingang eines Vorschusses erfolgen könne und sich der Nutzungsausfallschaden demgemäß vergrößern könne. Erstmals mit Schreiben vom 14.10.2010, mit dem der Nutzungsausfallschaden mit. € 8.710,00 für 134 Kalendertage beziffert wurde, werden nähere Angaben zur finanziellen und wirtschaftlichen Situation des Klägers gemacht.
Unter Zugrundelegung dieses - unstreitigen - zeitlichen Ablaufs kann der Kläger frühestens ab dem 24.06.2010, also dem Zeitpunkt, zu dem er die Versicherung darüber informiert hat, dass er eine Reparatur aus finanziellen Gründen nicht vorfinanzieren könne, über die für eine Reparatur erforderliche Zeit hinausgehenden Nutzungsausfall mit Erfolg geltend machen. Denn bis zu diesem Zeitpunkt konnte die Beklagte Ziff. 1 davon ausgehen, dass der Kläger eine erforderliche Reparatur unter Einsatz eigener Mittel durchführen lässt, wie dies dem Geschädigten zuzumuten ist, wenn er es ohne Einschränkung der gewohnten Lebensführung ermöglichen kann (vgl. Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 254 Rn. 43). Erst ab diesem Zeitpunkt kann der beklagten Versicherung ein Verschuldensvorwurf gemacht werden, wenn sie zur Abwendung eines weiteren Schadens ihre Schadensüberprüfung nicht beschleunigt und die Reparaturkosten oder zumindest einen ausreichenden Vorschuss nicht anweist.
Hier hat die Beklagte Ziff. 1 die Reparaturkosten mit Schreiben vom 30.07.2010 angewiesen, wobei die Zahlung am 03.08.2010 bei dem Prozessbevollmächtigten des Klägers einging, Für die Zeit vom 24.06.2010 (1Tag Überlegungsfrist nach Eingang des Schreibens vom 23.06.2010 ist ihr zuzugestehen) bis zum 03.08.2010 hat sie somit Schadensersatz zu leisten. Dazu kommen die neun Tage Reparaturdauer, so dass von einem gesamten Zeitraum von 50 Tagen auszugehen ist (24.06. - bis 03.08.2010 = 41 Tage + 9 Tage Reparaturzeit = 50 Tage). Daraus errechnet sich ein Betrag i. H. v. 2.500,00 € (€ 50 x 50 Tage). Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger vor Anmeldung seiner Ansprüche an die Beklagte Ziff. 1 den Eingang des Schadensgutachtens abwarten durfte (dieses wurde am 10.04.2010 erstellt) und insoweit auf die tatsächlich erfolgte Schadensmeldung vom 16.04.2010 abstellt, kommt man auch bei großzügiger Betrachtungsweise - gerechnet vom Tag des Unfalls am 07.04. bis zur Schadensanmeldung vom 16.04.2010 - auf weitere 11 Tage, für die der Kläger berechtigterweise Nutzungsausfall beanspruchen kann. Die somit errechneten 61 Tage liegen immer noch unter den 90 Tagen, für die die Beklagte Ziff. 1, wie ausgeführt, bereits € 4.500,00 gezahlt hat.
Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, dass sich die verzögerte Mitteilung über seine finanzielle Situation nicht ausgewirkt habe. Die in § 254 BGB postulierte Warnpflicht soll dem Schädiger Gelegenheit geben, Gegenmaßnahmen gegen den drohenden Schaden zu ergreifen. Eine Warnung kann deshalb nur erwartet werden, wenn sie nicht schon vornherein als aussichtslos erscheint. Wenn der Schädiger sie ohnehin nicht beachtet hätte, ist ihr Unterlassen für den entstandenen Schaden nicht kausal (BGH NJW 1989, 290).
Im hier vorliegenden Fall wäre eine Warnung nicht aussichtlos gewesen. Zwar hat die Beklagte Ziff. 1 auch nach Eingang des Schreibens vom 23.06.2010 nicht unverzüglich gezahlt, sondern nochmals über einen Monat gewartet, bis sie die Reparaturkosten zur Anweisung brachte. Daraus kann aber allenfalls der Schluss gezogen werden, dass sie bei früherer Kenntnis der finanziellen Verhältnisse des Klägers sich ebenfalls über einen Monat Zeit gelassen hätte, um ihre Überprüfungen zu beenden, nicht aber wie hier geschehen, fast fünf Monate. Von einer mangelnden Schadensursächlichkeit der unterlassenen Mitteilung des Klägers kann somit nicht ausgegangen werden.
Gerade der Hinweis des Klägers darauf, dass die Beklagte Ziff. 1 zunächst eine Nachbesichtigung des klägerischen Fahrzeugs verlangt hatte, dann aber, nachdem der Kläger auf seine finanzielle Situation hingewiesen hatte, davon Abstand genommen hat und ohne eine solche Nachbesichtigung die Reparaturkosten gezahlt hat, zeigt, dass die Beklagte Ziff. 1 sehr wohl auf den Hinweis des Klägers auf einen drohenden höheren Schaden reagiert hat.
2. Mit zutreffender Begründung, der der Senat folgt, hat das Landgericht entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Verzugszinsen aus dem Betrag von € 9.447,61 hat. Zunächst ist es unstreitig, dass die Beklagte mit Zahlung dieses Betrags in Verzug gekommen ist. Der Kläger hatte in dem Vorprozess vor dem Amtsgericht Mannheim - 3 C 285/10 - diesen Betrag auch nebst Zinsen eingeklagt. Die Beklagte Ziff. 1 hat nach Zustellung der Klage lediglich die Hauptforderung gezahlt. Dass in der daraufhin erfolgten Klagrücknahme ein Verzicht auf die eingeklagten Zinsen zu sehen ist, kann nicht angenommen werden. Vielmehr hat der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 02.08.2010 dem Gericht ausdrücklich mitgeteilt, die Klage werde zurückgenommen, da der Beklagte Ziff. 1 mittlerweile die Klagforderung gezahlt habe. Bezüglich der mit der Klage geltend gemachten Zinsen gehe er davon aus, dass ebenfalls noch Zahlung erfolgen wird. Eine anders geartete getroffene Vereinbarung zwischen den Parteien hat die Beklagte Ziff. 1 weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen. Insoweit war die Berufung daher zurückzuweisen.
3. Nach alledem war das Urteil des Landgerichts Mannheim wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 92, 97 ZPO; diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) sind nicht gegeben.