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Wirtschaftsrecht
21.10.2021
Wirtschaftsrecht
BGH: Zahlungsdiensterahmenvertrag – vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen eines durch Insolvenzverfahrenseröffnung erloschenen Girovertrags ist kein konkludenter Neuabschluss

BGH, Urteil vom 16.9.2021 – IX ZR 213/20

ECLI:DE:BGH:2021:160921UIXZR213.20.0

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2021-2514-1

Leitsatz

Erlischt ein Zahlungsdiensterahmenvertrag (Girovertrag) des Schuldners durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und weiß die Bank nichts vom Insolvenzverfahren,

können Handlungen der Bank nach Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Schuldners, die sich nach objektivem Empfängerhorizont als vertragsgemäßes Verhalten im

Rahmen des (erloschenen) Zahlungsdiensterahmenvertrags darstellen, nicht als konkludente Zustimmung zur Neubegründung eines Zahlungsdiensterahmenvertrags ausgelegt werden.

InsO §§ 115, 116; BGB §§ 133 B, 157 C, § 675f Abs. 2

Sachverhalt

Der Kläger ist Zahnarzt. Auf einen Insolvenzantrag vom 29. August 2014 bestellte das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 1. September 2014 den Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete einen Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an. Mit Beschluss vom 1. Oktober 2014 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter.

Bereits am 9. September 2014 eröffnete der Kläger bei der C.  (fortan: Bank) ein neues Girokonto mit Kontokorrentabrede. Der Beklagte kannte das Girokonto des Klägers nicht. Der Kläger nutzte das Girokonto kaum; am 30. November 2014 betrug der Kontostand 157,69 €. Nachdem der Beklagte mit Wirkung zum 1. Dezember 2014 die freiberufliche Tätigkeit des Klägers als Zahnarzt aus der Masse freigegeben hatte, nutzte der Kläger das Girokonto als neues Geschäftskonto. Mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 forderte der Beklagte die Bank auf, das Konto zu sperren. Später löste der Beklagte das Konto auf und ließ das am 31. Dezember 2014 bestehende Kontoguthaben in Höhe von 13.270,37 € auf ein für die Insolvenzmasse eingerichtetes Sonderkonto überweisen. Das Guthaben ist auf Gutschriften in Höhe von 33.777,78 € und Abverfügungen des Klägers in Höhe von 20.507,41 € zurückzuführen, welche die Bank ausgeführt hat. Unter den Gutschriften befinden sich Überweisungen der K. (fortan: K. ) über 11.457,49 € und 1.000 € sowie Überweisungen der D.  GmbH (fortan: D. ) über 11.869,22 € und 8.544,60 €.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf Auszahlung von 12.521,59 € in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 11.721,59 € stattgegeben.

Der Bundesgerichtshof hat das die Berufung des Beklagten zurückweisende erste Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 ff). Im neuen Berufungsverfahren hat das Berufungsgericht die Klage in Höhe weiterer 239,87 € abgewiesen und die weitergehende Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte eine vollständige Klageabweisung.

Aus den Gründen

4          Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5          Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZVI 2021, 104 ff veröffentlicht ist, hat gemeint, der Kläger habe am 9. September 2014 keinen wirksamen Girovertrag mit der Bank abschließen können, weil der Kläger aufgrund der Bestellung des Beklagten zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt nicht verfügungsbefugt gewesen sei. Jedenfalls sei der Girovertrag durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Oktober 2014 erloschen. Für die Zeit nach der Freigabeerklärung liege jedoch ein konkludenter Neuabschluss des Girovertrags zwischen dem Kläger und der Bank vor. Damit stehe das Guthaben auf dem Girokonto dem Kläger zu. Der aufgrund der Einziehung des Kontoguthabens durch den Beklagten bestehende Herausgabeanspruch aus § 816 Abs. 2 BGB in Höhe von 11.721,59 € sei durch eine Aufrechnung des Beklagten in Höhe von 239,87 € erloschen. In dieser Höhe habe die D. Rechnungen für Leistungen bezahlt, die der Kläger vor dem 1. Dezember 2014 erbracht habe.

6          Weitere Gegenforderungen habe der Beklagte nicht substantiiert dargelegt. Bei den Zahlungen der K. vom 23. und 30. Dezember 2014 handele es sich um Abschlagszahlungen, für die es allein auf den Zeitpunkt der Zahlung ankomme. Hinsichtlich der Zahlungen der D. vom 23. und 29. Dezember 2014 habe der Beklagte - soweit sie den Betrag von 239,87 € überstiegen - nicht substantiiert dargelegt, dass sie Behandlungen vor dem 1. Dezember 2014 betroffen hätten. Der darlegungs- und beweisbelastete Beklagte habe nur pauschal behauptet, die Behandlungen der Privatpatienten hätten vor dem 1. Dezember 2014 stattgefunden. Er habe jedoch weder einen bestimmten Tag benannt, an dem die Behandlung stattgefunden haben soll, noch mitgeteilt, aus welchem Grund die vom Kläger angegebenen Behandlungsdaten falsch sein sollten. Auf den gerichtlichen Hinweis, dass den Kläger keine sekundäre Darlegungslast treffe, habe der Beklagte keinen weiteren Sachvortrag gehalten. Insbesondere habe der Beklagte nicht aufgezeigt, dass es ihm trotz Ausschöpfung aller Befugnisse und Möglichkeiten als Insolvenzverwalter bis hin zu Anträgen nach §§ 97, 98 InsO nicht möglich gewesen sei, die erforderlichen Auskünfte zu erhalten. Da der Beklagte seiner Darlegungslast nicht nachgekommen sei, sei von einer Vernehmung der vom Beklagten als Zeugen für die Behandlungsdaten benannten 47 Privatpatienten abzusehen. Es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis.

7          Im Übrigen habe der Kläger einer etwaigen sekundären Darlegungslast genügt, indem er die Nachdrucke der für die Behandlungen der Privatpatienten erstellten Rechnungen vorgelegt habe. Daraus ergäben sich die Behandlungsdaten. Das pauschale Bestreiten des Beklagten, dass diese Behandlungsdaten nicht zuträfen, sei nicht ausreichend.

II.

8          Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

9          1. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, dass der Kläger gemäß § 816 Abs. 2 BGB die Rückzahlung des vom Beklagten vereinnahmten Kontoguthabens verlangen kann. Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht, dass das Guthaben auf dem Konto der Bank zum insolvenzfreien Vermögen des Klägers gehörte. Sie rechtfertigen es nicht, einen konkludenten Neuabschluss eines Girovertrags nach der Freigabeerklärung vom 1. Dezember 2014 anzunehmen.

10        a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Zahlungsdiensterahmenvertrag vom 9. September 2014 durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers gemäß §§ 115, 116 InsO erloschen ist. Ein neuer Zahlungsdiensterahmenvertrag kann durch konkludente Willenserklärungen zustande kommen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 Rn. 11 mwN). Ob ein schlüssiges Verhalten als Willenserklärung zu werten ist, bestimmt sich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Maßstäben. Hiernach kommt es entscheidend darauf an, wie das Verhalten objektiv aus der Sicht des Erklärungsempfängers zu verstehen ist (BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - VIII ZR 391/12, NJW 2014, 1951 Rn. 14; vom 14. Oktober 2020 - VIII ZR 318/19, NJW 2021, 464 Rn. 32; vom 16. März 2021 - VI ZR 140/20, VersR 2021, 798 Rn. 14). Die Bank muss Handlungen vorgenommen haben, derentwegen ein objektiver Empfänger ihr Verhalten nach dem 1. Dezember 2014 als Annahme eines konkludenten Antrags des Klägers auf Neuabschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags zu den bisherigen Bedingungen verstehen musste.

11        Diese Beurteilung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist in erster Linie dem Tatrichter vorbehalten. Das Revisionsgericht prüft insoweit lediglich nach, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt sind, wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen worden ist oder die Auslegung auf mit der Revision gerügten Verfahrensfehlern beruht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 - IX ZR 313/12, ZIP 2014, 736 Rn. 13; vom 12. Oktober 2016 - VIII ZR 55/15, BGHZ 212, 248 Rn. 35; vom 17. September 2020 - IX ZR 174/19, ZIP 2020, 2135 Rn. 28, jeweils mwN). Das gilt auch für die Auslegung einer Willenserklärung durch schlüssiges Verhalten (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014, aaO).

12        Im Interesse der Rechtssicherheit können strenge Anforderungen an einen Vertragsschluss durch schlüssiges Verhalten zu stellen sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2019 - IX ZR 89/18, WM 2019, 728 Rn. 12 mwN; vom 14. Februar 2019 - IX ZR 203/18, WM 2019, 1227 Rn. 9, jeweils zum konkludenten Abschluss eines Anwaltsvertrags). Die Qualifizierung eines Verhaltens als schlüssige Annahmeerklärung setzt das Bewusstsein voraus, dass für das Zustandekommen des Vertrages zumindest möglicherweise noch eine Erklärung erforderlich ist (BGH, Urteil vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 18 mwN). Der Erklärende muss Zweifel an dem Fortbestand des Vertrages haben (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juni 2010, aaO mwN). Handlungen, die sich als Erfüllungsleistungen darstellen, kommt ein Erklärungswert nicht allgemein, sondern nur dann zu, wenn der Schuldner aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall bei seiner Leistung aus der Sicht des Empfängers den Eindruck erweckt, er handle mit einem auf den Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung gerichteten Rechtsfolgewillen (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2021 - VI ZR 140/20, VersR 2021, 798 Rn. 14). Sie sind grundsätzlich nicht als schlüssige Annahmeerklärung auszulegen, wenn der handelnde Teil von einem wirksamen Vertrag ausgeht (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2005 - VIII ZR 66/04, WM 2005, 1089, 1091; vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 17 f; vom 7. Juni 2013 - V ZR 10/12, NJW 2013, 3434 Rn. 27; vom 14. Januar 2016 - III ZR 107/15, NJW 2016, 3027 Rn. 30; vom 24. Februar 2016 - XII ZR 5/15, BGHZ 209, 105 Rn. 37).

13        b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft für die Zeit nach dem 1. Dezember 2014 einen konkludenten Neuabschluss eines Zahlungsdiensterahmenvertrags im Sinne des § 675f Abs. 2 BGB bejaht.

14        aa) Bereits der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts ist rechtsfehlerhaft. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, es könne nicht angenommen werden, dass der Kläger am 9. September 2014 bei der Bank wirksam ein Girokonto eröffnet habe. Der Kläger war am 9. September 2014 in der Lage, sich uneingeschränkt zu verpflichten. Der am 29. August 2014 gestellte Insolvenzantrag hat keinen Einfluss auf die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Klägers. Auch der Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO beschränkt die Verfügungsbefugnis des Schuldners nicht. Er bewirkt lediglich, dass der vorläufige Verwalter wirksame Verfügungen des Schuldners verhindern kann (BGH, Urteil vom 24. September 2020 - IX ZR 289/18, BGHZ 227, 123 Rn. 20 mwN). Er hindert den Schuldner insbesondere nicht daran, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen zu übernehmen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - IX ZR 78/07, ZIP 2009, 673 Rn. 21; MünchKomm-InsO/Haarmeyer/Schildt, 4. Aufl., § 24 Rn. 12). Dies gilt auch für eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2009, aaO; vom 15. März 2012 - IX ZR 249/09, ZIP 2012, 737 Rn. 21; vgl. zu den im Kontokorrent enthaltenen Verträgen MünchKomm-HGB/Langenbucher, 5. Aufl., § 355 Rn. 7 ff). Diese erlischt vielmehr gemäß §§ 115, 116 InsO erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BGH, Urteil vom 25. Juni 2009 - IX ZR 98/08, BGHZ 181, 362 Rn. 10). Dass sich die mit dem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO angeordneten Verfügungsbeschränkungen auf die im Kontokorrentvertrag enthaltenen antizipierten Verrechnungsvereinbarungen auswirken (grundlegend BGH, Urteil vom 4. Mai 1979 - I ZR 127/77, BGHZ 74, 253, 254 f; vgl. BGH, Urteil vom 15. März 2012, aaO), schränkt den Schuldner nicht ein, eine schuldrechtliche Kontokorrentabrede zu treffen.

15        bb) Das Berufungsgericht hat weiter den von ihm zugrunde gelegten Sachverhalt unvollständig gewürdigt und dabei den Grundsatz der beiderseits interessengerechten Auslegung von Willenserklärungen außer Acht gelassen. Das Berufungsgericht hat unterstellt, dass der Bank weder die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters am 1. September 2014 noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Klägers bekannt gewesen seien. Damit stellen sich die Handlungen der Bank - wie die Revision zutreffend rügt - aus der Sicht eines objektiven Empfängers als vertragsgemäßes Verhalten im Rahmen des bereits am 9. September 2014 abgeschlossenen Zahlungsdiensterahmenvertrags dar. Schon deshalb kommt ihnen kein weitergehender rechtsgeschäftlicher Erklärungswert zu. Dies gilt umso mehr, als das Berufungsgericht nichts dazu feststellt, dass der Bank am 1. Dezember 2014 die Freigabe der selbständigen Tätigkeit des Klägers und der Wille des Klägers, einen neuen Zahlungsdiensterahmenvertrag für den Zahlungsverkehr aufgrund der freigegebenen Tätigkeit abschließen zu wollen, bekannt oder auch nur erkennbar gewesen sind.

16        Den vom Berufungsgericht herangezogenen Umständen kommt im Streitfall kein Erklärungswert zu. Die vom Kläger am 9. September 2014 bei Abschluss des Zahlungsdiensterahmenvertrags gemachten Angaben geben keinen Anhaltspunkt dafür, dass die verstärkte Nutzung des Kontos nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit einen besonderen Erklärungsinhalt haben könnte. Ebenso wenig folgt aus der Art der Nutzung des Kontos ein besonderer Erklärungsinhalt. Der Kläger nutzte das Konto nach den Feststellungen des Berufungsgerichts - wenn auch nur in geringem Umfang und ohne erkennbaren Bezug zu einer zahnärztlichen Tätigkeit - bereits vor der Freigabe der selbständigen Tätigkeit. Dann kann die verstärkte Nutzung nach der Freigabe der selbständigen Tätigkeit als solche keinen Erklärungsinhalt haben. Zudem wickelte die Bank durchgängig lediglich den Zahlungsverkehr entsprechend den am 9. September 2014 getroffenen Vereinbarungen ab. Schließlich berücksichtigt das Berufungsgericht nicht, dass die Bank das Konto auf die Aufforderung des Beklagten ohne weiteres sperrte und das Guthaben auf ein Konto des Beklagten überwies. Ein solches Verhalten spricht dafür, dass die Bank davon ausging, kein Vertragsverhältnis mit dem Kläger im Rahmen der freigegebenen selbständigen Tätigkeit eingegangen zu sein.

17        2. Soweit das Berufungsgericht annimmt, dass dem Beklagten keine über 239,87 € hinausgehenden Gegenansprüche zustehen, hält dies rechtlicher Überprüfung in wesentlichen Punkten ebenfalls nicht stand.

18        a) Hinsichtlich der Zahlungen der D. hat das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft den vom Beklagten angebotenen Beweis nicht erhoben.

19        aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 - IX ZR 170/18, ZIP 2020, 83 Rn. 17 mwN; vom 4. Februar 2021 - III ZR 7/20, ZIP 2021, 1278 Rn. 18 mwN). Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2012 - VIII ZR 124/11, WuM 2012, 311 Rn. 6 mwN; Urteil vom 17. Dezember 2014 - VIII ZR 88/13, NJW 2015, 934 Rn. 43; Beschluss vom 26. März 2019 - VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 11 mwN). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, welche Angaben einer Partei zumutbar und möglich sind. Falls sie keinen Einblick in die Geschehensabläufe hat und ihr die Beweisführung deshalb erschwert ist, darf sie auch vermutete Tatsachen unter Beweis stellen. Sie ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2017 - III ZR 565/16, BGHZ 216, 245 Rn. 33 mwN; vom 4. Februar 2021, aaO).

20        Einer Partei darf nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Sie kann deshalb genötigt sein, eine von ihr nur vermutete Tatsache zu behaupten und unter Beweis zu stellen (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 - IX ZR 283/99, ZIP 2003, 1596, 1597 unter II. 1. mwN). Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufstellt (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003, aaO mwN; vom 26. Januar 2016 - II ZR 394/13, ZIP 2016, 1119 Rn. 20 mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003, aaO mwN; vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 160 Rn. 40 mwN).

21        bb) Nach diesen Grundsätzen hat der Beklagte seiner Darlegungslast genügt. Der Beklagte hat behauptet, der Kläger habe die von der D. mit den Zahlungen von Dezember 2014 abgerechneten Behandlungen bereits im November 2014 ausgeführt. Auf der Grundlage dieses Sachvortrags stehen die Zahlungen der D. der Insolvenzmasse und damit dem Beklagten zu. Der Beklagte hat zum Beweis für diese Behauptung bestimmte Patienten des Klägers namentlich als Zeugen benannt und hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen, warum deren Behandlungen nach seiner Auffassung vor dem 1. Dezember 2014 durchgeführt worden seien.

22        Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, von einer Beweiserhebung absehen zu dürfen. Seine Auffassung, es handele sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, widerspricht den höchstrichterlichen Anforderungen an ein substantiiertes Vorbringen. Zwischen den Parteien ist allein streitig, ob das vom Kläger der D. mitgeteilte und in den vorgelegten Rechnungen angegebene Behandlungsdatum zutreffend ist. Hingegen sind die behandelten Patienten sowie Art und Umfang der Behandlung unstreitig. Vor diesem Hintergrund muss der Beklagte - anders als das Berufungsgericht meint - weder angeben, an welchem konkreten Tag vor dem 1. Dezember 2014 die Behandlungen stattgefunden haben sollen, noch aus welchem konkreten Grund ein vom Kläger angegebenes Behandlungsdatum falsch sein soll. Damit kommt es auf die Frage, ob und in welchem Umfang den Kläger eine sekundäre Darlegungslast zu den Umständen der einzelnen Behandlungen treffen könnte, nicht an. Soweit das Berufungsgericht keine Zweifel an der Richtigkeit der in den Rechnungen zu den Behandlungsdaten enthaltenen Angaben hat, handelt es sich um eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung.

23        b) Ohne Rechtsfehler verneint das Berufungsgericht einen Gegenanspruch des Beklagten hinsichtlich der Zahlungen der K. . Das Berufungsgericht hat die Zahlungen in tatrichterlicher Würdigung als Abschlagszahlungen für künftige Honorarzahlungen der K. eingeordnet. Für die Zuordnung von Abschlagszahlungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung kommt es auf den Zeitpunkt ihrer Zahlung an (BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 Rn. 37; BSGE 118, 30 Rn. 34). Die Revision setzt lediglich ihre eigene Würdigung an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung. Revisionsrechtlich erhebliche Fehler zeigt sie nicht auf.

III.

24        Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.

25        Das Berufungsgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob ein Neuabschluss des Girovertrags erfolgt ist. Sofern es sich von einem Neuabschluss überzeugen sollte, wird es die vom Beklagten zu den Gegenansprüchen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019 - IX ZR 246/17, BGHZ 221, 212 Rn. 44) angebotenen Beweise zu erheben haben.

26        Sofern das Berufungsgericht sich nicht davon überzeugen kann, dass ein Neuabschluss des Girovertrags unter Zuordnung zum insolvenzfreien Vermögen des Klägers erfolgt ist, wird es den vom Kläger hinsichtlich der einzelnen Einzahlungen auf dem Konto hilfsweise geltend gemachten Anspruch prüfen müssen. Insoweit muss der Kläger substantiiert darlegen und beweisen, dass die in Rede stehenden Forderungen gegen die D. und die K. seinem insolvenzfreien Vermögen zuzuordnen waren (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019, aaO Rn. 29, 45 f). Dabei wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass eine Bereicherung der Masse ausscheidet, soweit der Kläger über das Kontoguthaben zu seinen Gunsten bereits verfügt hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2019, aaO Rn. 46).

 

 

 

 

 

BGH: Rechtsanwaltsverschulden; Berufungsfrist; vorschnelles Aufgeben der Telefaxübermittlung

BGH, Beschluss vom 26.8.2021 – III ZB 9/21

ECLI:DE:BGH:2021:260821BIIIZB9.21.0

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2021-▀-▀

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Amtlicher Leitsatz

Einem Rechtsanwalt gereicht es zum Verschulden, wenn er den Versuch, einen fristgebundenen Schriftsatz (hier: Berufungsschrift) per Telefax an das Gericht zu übermitteln, vorschnell aufgibt und die für ihn nicht aufklärbare Ursache der aufgetretenen Übermittlungsschwierigkeiten der Risikosphäre des Empfangsgerichts zuschreibt (Fortführung von BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - II ZB 25/13, NJW 2015, 1027 Rn. 20 ff und vom 20. August 2019 - VIII ZB 19/18 [BB 2019, 2242 Ls], NJW 2019, 3310 Rn. 16 ff).

ZPO § 85 Abs. 2, § 233 Fe, § 520

Sachverhalt

I. Der Kläger verlangt Schadensersatz im Zusammenhang mit seinem Beitritt zu einem Fonds. Das Landgericht hat die Klage mit dem Kläger am 25. November 2020 zugestelltem Urteil abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat er mit beim Oberlandesgericht am 29. Dezember 2020 eingegangenem Schriftsatz vom 28. Dezember 2020 Berufung eingelegt.

Mit weiterem Schriftsatz vom 28. Dezember 2020, eingegangen beim Oberlandesgericht am 8. Januar 2021, hat er um die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nachgesucht. Zur Begründung seines Antrags hat er geltend gemacht, im unmittelbaren Anschluss an die Zustellung des Urteils des Landgerichts habe er sich um die Erteilung einer Deckungszusage seines Rechtsschutzversicherers bemüht. Nach deren Zugang bei den seinerzeit von ihm mandatierten Prozessbevollmächtigten (im Folgenden: Prozessbevollmächtigten) am 28. Dezember 2020 um 11.56 Uhr habe deren Mitarbeiterin M. M. P. am selben Tage um 14.00 Uhr, 14.27 Uhr, 15.03 Uhr und 15.05 Uhr jeweils erfolglos versucht, die Berufungsschrift per Telefax an das Oberlandesgericht unter der ihnen bekannten Nummer des Telefaxanschlusses zu übermitteln. In den durch das in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten befindliche Faxgerät ausgegebenen Sendeprotokollen sei jeweils das Fehlschlagen der Übermittlung der Rechtsmittelschrift ausgewiesen worden. Der beim Oberlandesgericht am Nachmittag des 28. Dezember 2020 diensthabende Justizbedienstete H. B. habe den Prozessbevollmächtigten weder die Rufnummer eines alternativen Telefaxanschlusses bekanntgegeben, noch habe er ihnen einen telefonischen Kontakt zu einer Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts vermittelt. Daraufhin hätten seine Prozessbevollmächtigten die Berufungsschrift noch am 28. Dezember 2020 auf dem Postweg an das Oberlandesgericht versandt.

Dem Wiedereinsetzungsgesuch waren unter anderem vom Faxgerät der Prozessbevollmächtigten ausgedruckte Sendeprotokolle beigefügt, die für den 28. Dezember 2020 in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.05 Uhr fünf erfolglose Übermittlungsversuche ausweisen.

Mit Verfügung vom 11. Januar 2021 hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts den Parteien mitgeteilt, dass dort am 28. Dezember 2020 in der Zeit zwischen 14.00 Uhr und 15.31 Uhr 15 Telefaxsendungen ordnungsgemäß eingegangen und fehlgeschlagene Übermittlungsversuche während dieses Zeitraums nicht verzeichnet worden seien. Das letzte Telefax sei an dem betreffenden Tage um 23.23 Uhr ordnungsgemäß empfangen worden.

Aus den Gründen

 

5          II. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es - unter anderem - ausgeführt:

6          Die bis zum Ablauf der Berufungsfrist unterbliebene Übermittlung der Berufungsschrift an das Berufungsgericht beruhe auf einem Verschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers. Der Kläger habe weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass sich seine Prozessbevollmächtigten in dem sich an die erfolglosen Übermittlungsversuche anschließenden Zeitraum von 15.05 Uhr bis 24.00 Uhr des 28. Dezember 2020 bemüht hätten, die Rechtsmittelschrift an den Telefaxanschluss des Oberlandesgerichts zu übermitteln.

7          Die Prozessbevollmächtigten hätten nach ihren Versendungsversuchen am frühen Nachmittag nicht davon ausgehen dürfen, dass eine Telefaxübermittlung vor Fristablauf nicht möglich sein werde. Bekanntermaßen häuften sich gerade am Nachmittag die Telefaxsendungen an die Gerichte. Daher liege bei einem Scheitern der Übermittlung zu dieser Zeit die Vermutung nahe, dass der Telefaxanschluss des Gerichts durch andere Sendungen besetzt sei. Die Prozessbevollmächtigten hätten deshalb versuchen müssen, die Berufungsschrift zu einem späteren Zeitpunkt durch Telefax zu übermitteln. Dies wäre jedenfalls erfolgreich gewesen. Am 28. Dezember 2020 seien beim Oberlandesgericht zwischen 16.41 Uhr und dem Ende des Tages insgesamt nur sieben Telefaxsendungen eingegangen, während die Telefaxeingänge zwischen 14.00 Uhr und 16.41 Uhr sich auf insgesamt 30 belaufen hätten.

8          Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

 

9          III. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und auch den Form- und Fristerfordernissen genügende Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Denn die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, noch erfordert sie eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. In Sonderheit verletzt der angefochtene Beschluss nicht die verfassungsrechtlich verbürgten Ansprüche des Klägers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

10        Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen, weil seine Prozessbevollmächtigten die Frist zur Einlegung der Berufung schuldhaft versäumt haben. Das beruht darauf, dass sie die Versuche, die Berufungsschrift an das Berufungsgericht per Telefax zu übermitteln, am Tag des Fristablaufs bereits um 15.05 Uhr und damit vorschnell aufgegeben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2019 - VIII ZB 19/18 [BB 2019, 2242 Ls], NJW 2019, 3310 Rn. 14).

 

11        1. Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass das Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (BGH, Beschlüsse vom 6. April 2011 - XII ZB 701/10, VersR 2011, 1417 Rn. 8; vom 8. April 2014 - VI ZB 1/13, NJW 2014, 2047 Rn. 7; vom 14. September 2017 - IX ZB 81/16, FamRZ 2017, 1946 Rn. 6 und vom 20. August 2019 aaO Rn. 15).

12        Zwar dürfen die aus den technischen Gegebenheiten des Kommunikationsmittels Telefax herrührenden besonderen Risiken nicht auf den Nutzer dieses Mediums abgewälzt werden. Vielmehr hat er mit der Wahl einer Telefaxübertragung bei ordnungsgemäßer Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis zum Fristablauf - hier am 28. Dezember 2020 bis 24.00 Uhr - zu rechnen ist. Das gilt auch, wenn das Empfangsgerät des Gerichts gestört ist. Denn in diesem Fall liegt die entscheidende Ursache für die Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts (st. Rspr.; vgl. BVerfG, NJW 2006, 829; BGH, Beschlüsse vom 14. September 2017 aaO Rn. 7 und vom 20. August 2019 aaO Rn. 16; jew. mwN).

13        Auch Störungen der Übermittlungsleitungen sind dem gewählten Übertragungsmedium immanent, weil ein Telefax nur über sie zum Empfangsgerät gelangt. Leitungsstörungen, die zur fehlenden Erreichbarkeit des angewählten Faxgerätes führen - eine solche macht der Kläger geltend (vgl. Eidesstattliche Versicherung des vom Kläger seinerzeit mandatierten Rechtsanwalts M. R. vom 5. Mai 2021, Anlage ReBe 1) -, sind daher ebenfalls der Risikosphäre des Gerichts zuzuordnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - II ZB 25/13, NJW 2015, 1027 Rn. 19 und vom 14. September 2017 aaO).

14        Dies befreit den Prozessbevollmächtigten indessen nicht davon, alle noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen, wenn wegen einer technischen Störung eine Telefaxverbindung (zunächst) nicht zustande kommt, wobei die Gerichte die Anforderungen an die dem Prozessbevollmächtigten obliegende Sorgfalt nicht überspannen dürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 aaO Rn. 8). Er muss deswegen nicht - unter Aufbietung aller nur denkbaren Anstrengungen - innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte Zugangsart sicherstellen (BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 und vom 14. September 2017, jew. aaO, mwN). Wohl aber ist er gehalten, bis zum Fristablauf weitere Übermittlungsversuche zu unternehmen, um auszuschließen, dass die Übermittlungsschwierigkeiten in seinem Bereich liegen (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - VIII ZB 44/10, juris Rn. 9). Das gilt jedenfalls dann, wenn er auch eine lediglich zeitlich beschränkte - das heißt bis zum Fristablauf wieder behobene - technische Störung in Betracht ziehen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2019 aaO Rn. 23). Es gereicht ihm deshalb zum Verschulden, wenn er unter diesen Voraussetzungen seine Übermittlungsversuche vorschnell weit vor Fristablauf aufgibt und die für ihn letztlich nicht aufklärbare Ursache der aufgetretenen Übermittlungsschwierigkeiten dem Empfangsgericht zuschreibt (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 aaO, mwN).

 

15        2. Danach ist der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht zurückgewiesen worden.

 

16        a) Der Kläger hat vorgetragen, dass sein Wiedereinsetzungsantrag nicht so zu verstehen sei, er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass die Übermittlung der Berufungsschrift per Telefax an der Belegung des Telefaxgerätes des Berufungsgerichts durch andere eingehende Sendungen gescheitert sei; die Faxprotokolle hätten nämlich nicht den Vermerk "Belegt" getragen. Als Vermerk auf den Faxprotokollen mit der Überschrift "Fax fehlgeschlagen" sei vielmehr am rechten Rand unter der Rubrik "Status" der Hinweis "Keine Antwort" erschienen, was auf eine fehlende Erreichbarkeit des angewählten Faxgeräts habe schließen lassen; hätte ihm das Berufungsgericht einen Hinweis nach § 139 ZPO erteilt, hätte er dies auch so vorgetragen und seinerzeit schon eine entsprechende - nunmehr als Anlage ReBe 1 vorgelegte - eidesstattliche Versicherung seiner Prozessbevollmächtigten beigefügt.

 

17        b) Dies ist jedoch unerheblich. Denn der Kläger hat nichts zur Dauer der von seinen Prozessbevollmächtigten - infolge des Vermerks "Keine Antwort" in den Faxprotokollen - angenommenen fehlenden Erreichbarkeit des angewählten Faxgeräts (Anlage ReBe 1) vorgetragen. Tatsächliche Anhaltspunkte für eine bis zum Fristablauf ununterbrochen andauernde technische Störung lassen sich weder seinem Vorbringen noch beigefügten oder sonstigen Unterlagen entnehmen. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers hätten daher (auch) in Betracht ziehen müssen, dass das Scheitern der Übermittlungsversuche am 28. Dezember 2020 in der Zeit von 14.00 Uhr bis 15.05 Uhr auf einer lediglich vorübergehenden technischen Störung beruhte, und deswegen nach dieser Zeit weitere Versuche unternehmen müssen. Dass sie dies nicht getan, sondern stattdessen die Berufungsschrift noch am 28. Dezember 2020 auf dem Postweg an das Oberlandesgericht versandt haben, ist ihnen als dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnender - schuldhafter Verstoß gegen die sie treffende erhöhte Sorgfaltspflicht bei Übersendung eines Schriftsatzes am letzten Tag der Frist vorzuwerfen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014 aaO Rn. 21).

18        Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen der Fristwahrung ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre (Senat, Beschluss vom 23. Oktober 2018 - III ZB 54/18, NJW-RR 2018, 1529 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 14. September 2017 aaO Rn. 10). Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass im Fall eines nach 15.05 Uhr vorgenommenen Wiederholungsversuchs die Berufungsschrift noch fristgerecht an das Berufungsgericht übermittelt worden wäre, wofür im Übrigen - ohne dass dies noch entscheidungserheblich ist - spricht, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts vom Nachmittag des 28. Dezember 2020 bis 24.00 Uhr noch mehrere Telefaxsendungen bei ihm eingingen. Dabei lässt der Senat offen, ob ein Rechtsanwalt in einer derartigen Situation gehalten ist, die Übermittlungsversuche gegebenenfalls bis 24.00 Uhr fortzusetzen. Jedenfalls die Beendigung der Versuche bereits um 15.05 Uhr ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers als vorschnelles Aufgeben im Sinne der Rechtsprechung anzulasten (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2014 aaO Rn. 22).

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