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Wirtschaftsrecht
26.06.2008
Wirtschaftsrecht
: Wirkungslosigkeit des Eigenkapital ersetzenden Charakters der Gebrauchsüberlassung bei Insolvenz des Gesellschafters

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.04.2008
Aktenzeichen: II ZR 207/06
Rechtsgebiete: GmbHG, InsO
Vorschriften:

      GmbHG § 32 a
      GmbHG § 32 b
      InsO § 110 Abs. 1

Die Wirkung einer eigenkapitalersetzenden Gebrauchsüberlassung, dass nämlich die Gesellschaft bzw. - im Falle ihrer Insolvenz - der Insolvenzverwalter das Grundstück unentgeltlich nutzen darf, endet, wenn über das Vermögen des vermietenden Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet wird, nach § 110 Abs. 1 InsO spätestens mit Ablauf des der Insolvenzeröffnung nachfolgenden Kalendermonats (Fortführung von BGHZ 140, 149 ff.; Klarstellung von BGH, Sen.Urt. v. 28. Februar 2005 - II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 ff.).


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

II ZR 207/06

Verkündet am: 28. April 2008

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 12. Juli 2006 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

M. S. vermietete gemäß schriftlichem Mietvertrag vom 2. März 1998 der S. GmbH, deren alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin sie war, in ihrem Eigentum stehende Büroflächen und Lagerräume für eine monatliche Nettokaltmiete von 3.500,00 DM zzgl. Mehrwertsteuer. Über das Vermögen der Mieterin S. GmbH hat das Amtsgericht N. am 1. August 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet und den Beklagten zum Insolvenzverwalter bestellt. Über das Vermögen der Vermieterin M. S. wurde am 1. Januar 2003 das Insolvenzverfahren unter Einsetzung des Klägers zum Verwalter eröffnet.

Der Kläger hat vom Beklagten rückständige Miete für die Monate August 2002, Januar und April 2003 verlangt.

Der Beklagte, der das Mietverhältnis mit Schreiben vom 27. Dezember 2002 gekündigt hat, hat behauptet, er habe die Mieträume einvernehmlich am 31. Januar 2003 an den Kläger zurückgeben lassen, der sie ab dem 7. Februar 2003 an eine F. S. GmbH weiter vermietet habe. Aufgrund der Weitervermietung habe der Kläger seiner Gebrauchsüberlassungspflicht nicht genügen können, so dass er von der Mietzinszahlung frei sei. Darüber hinaus hat der Beklagte den Mietzinsforderungen des Klägers die Einrede der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung entgegengehalten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers in Höhe eines Teilbetrages der Miete für April 2003 in Höhe von 1.446,22 € stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die unbeschränkt zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht (ZIP 2006, 1582) hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt:

Die Kündigung des Beklagten habe den Mietvertrag gemäß §§ 109 Abs. 1 Satz 1 InsO, 580 a Abs. 2 BGB erst zum 30. Juni 2003 beendet. Auf die für April 2003 geltend gemachte Miete müsse sich der Kläger die Weitervermietung anrechnen lassen mit der Folge, dass die Mietforderung für April 2003 lediglich noch 1.446,22 € betrage. Mit dem Einwand, seine Mietzinszahlungspflicht sei nach § 537 Abs. 2 BGB entfallen, weil der Kläger wegen der Gebrauchsüberlassung an die F. S. GmbH außerstande gewesen sei, dem Beklagten den Gebrauch zu gewähren, dringe dieser wegen Rechtsmissbräuchlichkeit (§ 242 BGB) nicht durch. Auch der Einwand der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung greife im Hinblick auf § 110 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht durch.

II. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

1. a) Entgegen der Ansicht der Revision geht das Berufungsgericht zutreffend unter Bezugnahme auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 122, 163 ff.; BGH, Urt. v. 22. Dezember 1999 - XII ZR 339/97, WM 2000, 776 ff.; Urt. v. 19. Dezember 2007 - XII ZR 13/06, NZM 2008, 206 ff.) davon aus, dass der Beklagte rechtsmissbräuchlich handelt, wenn er sich gegenüber dem Mietzinszahlungsanspruch des Klägers auf § 537 Abs. 2 BGB beruft. Ist der Mieter ohne Rücksicht auf den fortbestehenden Mietvertrag aus den gemieteten Räumen ausgezogen und hat keine Miete mehr gezahlt, und vermietet der Vermieter daraufhin das Mietobjekt zu einem niedrigeren Mietzins weiter, der dem erzielbaren Marktpreis entspricht, so bleibt der Mieter verpflichtet, die Mietdifferenz zu zahlen. Er kann sich gegenüber dem Mietzinsanspruch des Vermieters nicht darauf berufen, der Vermieter sei wegen der Weitervermietung zur Gebrauchsüberlassung an ihn nicht mehr in der Lage gewesen.

b) So liegt der Fall hier. Nach der von der Revision nicht angegriffenen, zutreffenden Ansicht des Berufungsgerichts endete der Mietvertrag mit Ablauf des 30. Juni 2003. Bis zu diesem Zeitpunkt traf den Beklagten gemäß § 537 Abs. 1 BGB das Verwendungsrisiko, d.h. er wurde von seiner Verpflichtung zur Entrichtung des Mietzinses nicht dadurch befreit, dass er durch einen in seiner Person liegenden Grund, hier: die Aufgabe der Mieträume, an der Ausübung des Gebrauchsrechts gehindert war. Zwar war der Kläger seinerseits infolge der Überlassung der von dem Beklagten gemieteten Räume an die F. S. GmbH nicht (mehr) erfüllungsbereit, weshalb der Beklagte gemäß § 537 Abs. 2 BGB grundsätzlich nicht mehr zur Zahlung der Miete verpflichtet gewesen wäre. Gegen die Wertung des Berufungsgerichts, hierauf könne sich der Beklagte gemäß § 242 BGB nicht berufen, wendet sich die Revision ohne Erfolg.

Das Berufungsgericht musste im Rahmen der Prüfung, ob sich der Beklagte rechtsmissbräuchlich verhält, nicht, wie die Revision meint, berücksichtigen, dass Frau S. als Alleingesellschafterin bereits Ende 2001 verpflichtet gewesen wäre, die Insolvenzeröffnung über das Vermögen der S. GmbH zu beantragen mit der Folge, dass der Beklagte lange vor dem 1. August 2002 als Insolvenzverwalter der S. GmbH bestellt worden wäre und das Mietverhältnis gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO i.V.m. § 580 a Abs. 2 BGB vorher ordentlich hätte kündigen können, so dass das Mietverhältnis vor April 2003 beendet gewesen wäre. Voraussetzung hierfür wäre eine Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch Frau S. , die das Berufungsgericht mangels ausreichenden Vortrags des für diesen Einwand nach allgemeinen Grundsätzen darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht festgestellt hat. Das Berufungsgericht hat lediglich eine Überlassungsunwürdigkeit der GmbH festgestellt, nicht jedoch deren Insolvenzreife. Insolvenzreife und Kredit- bzw. Überlassungsunwürdigkeit sind jedoch eigenständige, in ihren Anwendungsvoraussetzungen voneinander unabhängige Tatbestände der Krise im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts (Sen.Urt. v. 3. April 2006 - II ZR 332/05, WM 2006, 1150 ff. Tz. 7 m.w.Nachw.). Hinzu kommt, dass die von der Revision geltend gemachte Möglichkeit des Beklagten, den Mietvertrag vorzeitig zu kündigen, nicht den Vortrag ersetzt - den die Revision in der Revisionsinstanz ohnehin nicht mehr halten kann -, dass der Beklagte den Mietvertrag tatsächlich vor dem 27. Dezember 2002 gekündigt hätte. Hiergegen spricht im Übrigen, dass der Beklagte bereits aufgrund seiner Bestellung mit Wirkung vom 1. August 2002 die Möglichkeit gehabt hätte, das Mietverhältnis durch ordentliche Kündigung zum 31. März 2003 zu beenden und dadurch das Fortbestehen der Mietzinsverpflichtung für den Monat April 2003 zu verhindern.

2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Einwand der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung greife im Hinblick auf die Vorschrift des § 110 Abs. 1 InsO nicht durch.

a) Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats (BGHZ 109, 55; 127, 1 ff. und 17 ff.; 140, 147; Sen.Urt. v. 31. Januar 2005 - II ZR 240/02, ZIP 2005, 484, 485; Urt. v. 28. Februar 2005 - II ZR 103/02, ZIP 2005, 660, 661) festgestellt, dass die mietweise Überlassung der Gewerberäume durch die Alleingesellschafterin S. eine eigenkapitalersetzende Leistung an die S. GmbH darstellte. Hiergegen wird von der Revision - zu Recht - nichts erinnert.

b) Nach Insolvenzeröffnung über das Vermögen der S. GmbH hatte der Beklagte daher das Recht, die Gewerberäume unentgeltlich weiter zu nutzen (st.Rspr., s. nur Sen.Urt. v. 31. Januar 2005 aaO m.w.Nachw.). Dieses Recht endete jedoch, wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 InsO mit Ablauf des Monats Januar 2003 im Hinblick auf das am 1. Januar 2003 über das Vermögen der vermietenden Alleingesellschafterin S. eröffnete Insolvenzverfahren. Ab Februar 2003 war der Beklagte gegenüber dem Kläger zur Mietzinszahlung verpflichtet, ohne diesem die Einrede der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung entgegenhalten zu können.

aa) Dass die Einrede der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung gegenüber Gläubigern des Gesellschafters nicht erhoben werden kann, hat der Senat bereits für den Fall eines vollstreckenden Grundpfandgläubigers wiederholt entschieden (BGHZ 140, 147, 150 ff.; Sen.Urt. v. 31. Januar 2000 - II ZR 309/98, ZIP 2000, 455; v. 31. Januar 2005 aaO; v. 28. Februar 2005 aaO). Danach tritt mit dem Wirksamwerden der im Wege der Zwangsverwaltung bewirkten Beschlagnahme eine Zäsur ein. Zwar fallen die Miet- und Pachtzinsen in den Haftungsverband des Grundpfandrechts. In den Grenzen, die §§ 1123, 1124 BGB bestimmen, darf der Eigentümer bis zu dem genannten Zeitpunkt über die Zinsen auch zu Lasten des Grundpfandrechtsgläubigers verfügen. Deshalb kann die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter in Anwendung der Regeln über den Eigenkapitalersatz das Grundstück bis zur Beschlagnahme auch unentgeltlich nutzen. Mit der Beschlagnahme ändert sich dies, weil nunmehr in dem Interessenkonflikt zwischen den Gläubigern des Grundstückseigentümers und den Gesellschaftsgläubigern ersteren der Vorrang gebührt. Die eigenkapitalersetzend wirkende Nutzungsüberlassung wird, da das zugrunde liegende Rechtsverhältnis durch das "Stehenlassen" der Gesellschafterhilfe in seinem Rechtscharakter keine Änderung erfährt, vielmehr nur der Nutzungsentgeltsanspruch während der Dauer der Krise nicht durchsetzbar ist, wie eine Stundung behandelt, die unter den Begriff der Vorausverfügung des § 1124 Abs. 2 BGB fällt. Diese Wirkung tritt mit der Beschlagnahme von selbst ein. Mit dem Wirksamwerden der Beschlagnahme verliert danach die GmbH bzw. der Insolvenzverwalter das Recht, das Betriebsgrundstück unentgeltlich zu nutzen. Der Gegenwert, der aus der Vermietung oder Verpachtung erzielt werden kann, steht vielmehr den Grundpfandrechtsgläubigern zu (grundlegend BGHZ 140 aaO).

bb) Nach § 110 Abs. 1 InsO hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Vermieters für die Wirksamkeit von Vorausverfügungen des Vermieters über die Miete, u.a. in Form der Stundung, dieselben Rechtsfolgen, wie die Beschlagnahme im Rahmen der Zwangsverwaltung, d.h. das Recht zur unentgeltlichen Nutzung endet spätestens ab dem übernächsten Monat nach der Verfahrenseröffnung (BGHZ 163, 201, 206).

Die Regelung des § 110 Abs. 1 InsO, die in ihrem Kern von ihrer Vorgängerregelung in der Konkursordnung (§ 21 Abs. 2 KO) übernommen worden ist (BT-Drucks. 12/2443 Seite 147), ist der Regelung des § 1124 Abs. 2 BGB nahezu wörtlich nachgebildet und an dieser ausgerichtet (BGHZ 163 aaO m.w.Nachw.). Bereits unter der Geltung von § 21 KO bestand dementsprechend ebenso wenig wie nunmehr zu § 110 Abs. 1 InsO Streit darüber, dass zum Kreis der dort angesprochenen Vorausverfügungen - wie in § 1124 BGB - auch die bloße Stundung sowie jede sonst zeitliche, örtliche oder gegenständliche Änderung der Zahlungsart gehören (zur KO: Jaeger/Henkel, KO 9. Aufl. § 21 Rdn. 14; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 21 KO Anm. 4; zur InsO: MünchKommInsO/Eckert 2. Aufl. § 110 Rdn. 5; Marotzke in HK-InsO 4. Aufl. § 110 Rdn. 8; Uhlenbruck/Berscheid, InsO 12. Aufl. § 110 Rdn. 3; Braun/Kroth, InsO 3. Aufl. § 110 Rdn. 3). Da in der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung eine der Vorausabtretung vergleichbare rechtsgeschäftliche Stundungsabrede liegt (BGHZ 140, 147, 154), endet daher nach dem eindeutigen Wortlaut des § 110 Abs. 1 InsO das Recht des von der Vorausverfügung Begünstigten, im Fall der eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung mithin das Recht der Gesellschaft bzw. nach Insolvenzeröffnung ihres Insolvenzverwalters, das Grundstück oder die überlassenen Räume weiter unentgeltlich zu nutzen. Dass damit die Ansprüche aus eigenkapitalersetzender Nutzungsüberlassung unbeweglicher Sachen in der Insolvenz des Gesellschafters hinsichtlich ihrer Durchsetzbarkeit eine Sonderregelung gegenüber den sonstigen eigenkapitalersatzrechtlichen Ansprüchen erfahren, ist im Hinblick auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 110 Abs. 1 InsO, die das Grundvermögen und dessen wirtschaftlichen Nutzen der Insolvenzmasse des Vermieters zuordnet, hinzunehmen. Soweit sich aus dem Sen.Urt. v. 28. Februar 2005 - II ZR 103/02, ZIP 2005, 660 ff. Abweichendes ergeben sollte, wird hieran nicht festgehalten.


BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Verfahrensgang: LG Neuruppin, 3 O 393/03 vom 04.08.2005
OLG Brandenburg, 3 U 220/05 vom 12.07.2006

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