BGH: Wirksamkeit eines mit GmbH-Geschäftsführer vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots
BGH, Urteil vom 23.4.2024 – II ZR 99/22
ECLI:DE:BGH:2024:230424UIIZR99.22.0
Volltext: BB-Online BBL2024-1538-2
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Amtlicher Leitsatz
Zur Wirksamkeit eines mit einem GmbH-Geschäftsführer vereinbarten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots, das bei Zuwiderhandlung den rückwirkenden Verfall einer Karenzentschädigung vorsieht.
§ 138 BGB, § 6 GmbHG
Sachverhalt
Der Beklagte zu 1 (im Folgenden: der Beklagte) war Geschäftsführer der Klägerin und davor Vorstand ihrer Rechtsvorgängerin, der C. Aktiengesellschaft. Als Unternehmensgegenstand der Klägerin weist das Handelsregister den Betrieb von Kur- und Rehabilitationskliniken, Seniorenwohn- und Pflegeheimen und von betreutem Wohnen aus.
Gemäß § 6.3 seines Anstellungsvertrags vom 1. April 2005 unterlag der Beklagte einem zweijährigen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot, wobei nach § 6.1 des Vertrags alle Unternehmen als Konkurrenzunternehmen angesehen werden, die räumlich und gegenständlich im Geschäftszweig der Klägerin tätig sind oder werden können. Als Entschädigung für dessen Einhaltung sah der Vertrag für die Dauer des Wettbewerbsverbots eine Zahlung von monatlich 50 % der zuletzt bezogenen Monatsbezüge vor. In § 6.6 heißt es:
Der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot aus § 6.3 führt weiterhin zum Wegfall der Karenzentschädigung ex tunc; bereits gezahlte Teile der Karenzentschädigung wird Herr M. [Beklagter] an die Gesellschaft zurückzahlen.
Der Beklagte wurde mit Beschluss der Gesellschafterversammlung der Klägerin vom 31. Mai 2012 als Geschäftsführer der Klägerin abberufen. Mit Schreiben vom selben Tag widersprachen die Gesellschafter der Klägerin einer Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses mit dem Beklagten und erklärten vorsorglich dessen ordentliche Kündigung.
Seit 17. Juni 2013 war der Beklagte als Geschäftsführer der C. Gesellschaft mbH (im Folgenden: C. ) tätig. Die C. ist eine Unternehmensberatungsgesellschaft, zu deren Kunden unter anderem Unternehmen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft (etwa Kliniken, Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen) sowie der Altenhilfe, Altenpflege und Seniorenwirtschaft gehören.
Der Beklagte hat die Klägerin mit der Widerklage unter anderem auf Zahlung einer Karenzentschädigung in Höhe von 92.004 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht seiner Widerklage in Höhe von 47.918,75 € nebst Zinsen stattgegeben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Aus den Gründen
6 Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt im zugelassenen Umfang zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
7 I. Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte könne von der Klägerin für die Zeit von seiner Abberufung zum 31. Mai 2012 an bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit für die C. am 17. Juni 2013 die Zahlung einer monatlichen Karenzentschädigung von 3.833,50 €, für zwölfeinhalb Monate mithin insgesamt 47.918,75 € verlangen. Der Beklagte habe mit seiner Tätigkeit für die C. zwar gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verstoßen, an dem die Klägerin zum Schutz ihrer Kundenverbindungen ein berechtigtes Interesse habe. Die vertragliche Regelung, wonach der Verstoß gegen das Wettbewerbsverbot aus § 6.3 zum rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigung ("ex tunc") führe (§ 6.6 des Anstellungsvertrags), verstoße allerdings gegen das Übermaßverbot. Denn insoweit könnte sich der Arbeitnehmer veranlasst sehen, mit zunehmendem Zeitablauf nach seinem Ausscheiden, auf eine neue berufliche Tätigkeit und damit auf sein berufliches Fortkommen zu verzichten, weil er zu befürchten habe, die komplette Entschädigung auch für die Zeit seiner vorhergehenden Untätigkeit zu verlieren. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote seien jedoch nur zulässig, wenn sie den Schutz eines berechtigten Interesses des Unternehmens dienten und nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung und wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers nicht unbillig erschwerten.
8 II. Die Entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ein Anspruch des Beklagten auf Karenzentschädigung ist nach § 6.6 des Anstellungsvertrags weggefallen, weil er gegen das in § 6.3 des Vertrags geregelte Wettbewerbsverbot verstoßen hat.
9 1. Das in § 6.3 des Anstellungsvertrags vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbots ist wirksam.
10 a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit Rücksicht auf die grundgesetzlich geschützte Berufsausübungsfreiheit nur dann gerechtfertigt und nicht nach § 138 BGB sittenwidrig, wenn und soweit sie notwendig sind, um einen Vertragspartner vor einer illoyalen Verwertung der Erfolge seiner Arbeit durch den anderen Vertragspartner zu schützen. Sie sind nur wirksam, wenn sie in räumlicher, gegenständlicher und zeitlicher Hinsicht das notwendige Maß nicht überschreiten (BGH, Urteil vom 26. März 1984 - II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 5; Urteil vom 28. April 1986 - II ZR 254/85, ZIP 1986, 1056, 1057; Urteil vom 14. Juli 1986 - II ZR 296/85,WM 1986, 1282; Urteil vom 16. Oktober 1989 - II ZR 2/89, ZIP 1990, 586, 588; Urteil vom 14. Juli 1997 - II ZR 238/96, WM 1997, 1707, 1708; Urteil vom30. November 2009 - II ZR 208/08, ZIP 2010, 324 Rn. 13; Beschluss vom 7. Juli 2008 - II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719 Rn. 3; Urteil vom 20. Januar 2015- II ZR 369/13, ZIP 2015, 472 Rn. 8). Ob ein gesellschaftsvertragliches Wettbewerbsverbot diesen Anforderungen entspricht, ist aufgrund einer Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls, insbesondere des mit dem Wettbewerbsverbot verfolgten Zwecks, zu beurteilen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1986 - II ZR 296/85, WM 1986, 1282; Urteil vom 30. November 2009 - II ZR 208/08, ZIP 2010, 324 Rn. 14).
11 Entgegen der Auffassung des Beklagten unterliegt das Wettbewerbsverbot keiner Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass es sich bei dem Wettbewerbsverbot um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt. Dagegen hat sich der Beklagte nicht mit einer Verfahrensrüge gewendet.
12 b) Das Berufungsgericht hat in Anwendung dieser Grundsätze die Wirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots in § 6.3 des Anstellungsvertrags bejaht. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen und wird vom Beklagten auch nicht angegriffen. Wäre es nicht wirksam, fehlte es von vornherein an einer Anspruchsgrundlage für die Karenzentschädigung (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2008 - II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719 Rn. 4).
13 2. Auch der in § 6.6 vorgesehene rückwirkende Wegfall der Karenzentschädigung belastet den Beklagten nicht unbillig.
14 a) Nach der Rechtsprechung des Senats muss dem Geschäftsführer einer GmbH, mit dem ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart wird, keine Karenzentschädigung versprochen und später gezahlt werden (BGH, Urteil vom 26. März 1984 - II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 3; Urteil vom 4. März 2002 - II ZR 77/00, ZIP 2002, 709, 710; Urteil vom 28. April 2008 - II ZR 11/07,ZIP 2008, 1379 Rn. 6; Beschluss vom 7. Juli 2008 - II ZR 81/07, ZIP 2008, 1719 Rn. 3, 5). Wird dennoch eine Entschädigung versprochen, können die Vertragsparteien ihre Höhe frei vereinbaren (BGH, Urteil vom 28. April 2008 - II ZR 11/07, ZIP 2008, 1379 Rn. 6). Dementsprechend kann auch der rückwirkende Wegfall einer versprochenen Karenzentschädigung wirksam für den Fall vereinbart werden, dass der Geschäftsführer gegen das Wettbewerbsverbot verstößt.
15 b) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist eine andere Beurteilung hier nicht deshalb geboten, weil die Regelung keine "Konsequenz für das Wettbewerbsverbot im Falle einer Pflichtverletzung der Klägerin statuiert". Insoweit bleibt schon unklar, welche denkbare Pflichtverletzung der Klägerin im Gleichbehandlungsinteresse sanktionierungsbedürftig sein soll. Ein Missverhältnis, das dem, wie der Beklagte meint, zwischen § 75 Abs. 1 und Abs. 3 HGB bestehenden (BAGE 29, 30) gleichkommt, ist nicht erkennbar.
16 c) Dem Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Karenzentschädigung in § 6.3 des Anstellungsvertrags "erkennbar" als Einkommensersatzleistung ausgestaltet sei, die ihm billigerweise nicht rückwirkend genommen werden dürfe. Dem ist schon im Ausgangspunkt entgegenzuhalten, dass es der Klägerin nach der Vertragsbestimmung erlaubt war, einseitig auf das Wettbewerbsverbot zu verzichten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1992 - II ZR 140/91, ZIP 1992, 543).
17 3. Davon abgesehen hat das Berufungsgericht, indem es isoliert den rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigung für unwirksam erachtet hat, in der Sache eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion des in § 6 Nr. 3 und 6 des Anstellungsvertrags geregelten nachvertraglichen Wettbewerbsverbots vorgenommen.
18 a) Dabei hat es zum einen verkannt, dass im Wege der geltungserhaltenden Reduktion ausschließlich ein die zeitlichen Schranken übersteigendes Wettbewerbsverbot auf das noch zu billigende zeitliche Maß zurückgeführt werden kann (BGH, Urteil vom 28. April 1986 - II ZR 254/85, ZIP 1986, 1056; Urteil vom 29. Oktober 1990 - II ZR 241/89, WM 1990, 2121, 2122; Urteil vom 14. Juli 1997 - II ZR 238/96, WM 1997, 1707, 1708; Urteil vom 25. Oktober 2012 - VII ZR 56/11, BGHZ 195, 207 Rn. 34). Bei einer nicht nur zeitlichen Überschreitung der zulässigen Grenzen müsste das Gericht den übrigen Inhalt der Vereinbarung rechtsgestaltend festlegen, was den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum überdehnt. Zudem widerspricht eine weitergehende geltungserhaltende Reduktion dem mit § 138 BGB verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko der Nichtigkeit ihrer Vereinbarung zuzuweisen (BGH, Urteil vom 14. Juli 1997 - II ZR 238/96, WM 1997, 1707, 1708; Urteil vom 25. Oktober 2012 - VII ZR 56/11, BGHZ 195, 207 Rn. 34).
19 b) Zum anderen wäre auch bei Nichtigkeit nur des rückwirkenden Wegfalls der Karenzentschädigung entsprechend § 139 BGB im Zweifel auch das gesamte nachvertragliche Wettbewerbsverbot hinfällig. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass die Parteien das Wettbewerbsverbot auch ohne die Verfallsregelung vereinbart hätten. Eine Verfahrensrüge hat der Beklagte insoweit nicht erhoben. Ein derartiger übereinstimmender Parteiwille ist auch nicht ohne Weiteres anzunehmen, da die Klägerin, wie ausgeführt, ein solches Verbot rechtswirksam auch ohne Zusage einer Karenzentschädigung hätte vereinbaren können.
20 4. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Tätigkeit des Beklagten für die C. gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verstieß. Die dagegen erhobenen Verfahrensrügen des Beklagten hat der Senat geprüft und erachtet sie nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).
21 5. Schließlich ist es der Klägerin auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigung zu berufen. Hierfür genügt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht, dass die Klägerin die monatlich fälligen Entschädigungszahlungen nicht leistete. Allenfalls bei einer ernsthaften und endgültigen Zahlungsverweigerung könnte davon gesprochen werden, dass die Klägerin den Beklagten zur Aufnahme der Konkurrenztätigkeit "herausgefordert" hat. Im Streitfall ist indes schon nicht festgestellt, dass der Beklagte die Entschädigung eingefordert hat.