BGH: Wirksamkeit von oder gegenüber einem Insolvenz- oder Gesamtvollstreckungsverwalter vorgenommenen Rechtshandlungen nach seiner Abberufung auch gegenüber dem neu bestellten Verwalter
BGH, Beschluss vom 16.3.2023 – IX ZB 28/22
ECLI:DE:BGH:2023:160323BIXZB28.22.0
Volltext: BB-Online BBL2023-1473-4
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Amtliche Leitsätze
a) Die von oder gegenüber einem Insolvenz- oder Gesamtvollstreckungsverwalter vorgenommenen Rechtshandlungen bleiben nach seiner Abberufung auch gegenüber dem neu bestellten Verwalter wirksam. Das gilt namentlich für gerichtliche Zustellungen und damit in Lauf gesetzte Fristen.
b) Lehnt das Gericht es ab, einen Vergütungsfestsetzungsbeschluss von Amts wegen zu ändern, eröffnet dies kein Rechtsmittel zugunsten eines Beteiligten, für den die Beschwerdefrist gegen diesen Beschluss bereits abgelaufen ist.
GesO § 1 Abs. 3, § 20; ZPO §§ 318, 329, 569 Abs. 1 Satz 1
Aus den Gründen
I.
1 Am 1. Oktober 1997 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet und der weitere Beteiligte zu 2 zum Gesamtvollstreckungsverwalter bestellt. Am 30. Juli 2008 nahm die Gläubigerversammlung einen Vergleich an. Das Gesamtvollstreckungsgericht bestätigte den Vergleich mit Beschluss vom 21. April 2009. Mit Beschluss vom 11. September 2009 setzte es auf Antrag des Beteiligten zu 2 dessen Vergütung auf insgesamt 17.493.000 € fest. Mit Beschluss vom 4. April 2017 berief das Gesamtvollstreckungsgericht ihn als Gesamtvollstreckungsverwalter der Schuldnerin ab und bestellte zugleich einen neuen Verwalter. Dieser verstarb 2019. Daraufhin bestellte das Gesamtvollstreckungsgericht mit Beschluss vom 3. Juli 2019 den weiteren Beteiligten zu 1 zum Gesamtvollstreckungsverwalter. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2020 regte der Beteiligte zu 1 gegenüber dem Gesamtvollstreckungsgericht die Aufhebung des Vergütungsbeschlusses vom 11. September 2009 von Amts wegen an. Zugleich legte er sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein.
2 Mit Beschluss vom 4. Februar 2021 hat das Gesamtvollstreckungsgericht seinen Beschluss vom 11. September 2009 geändert und die Vergütung des Beteiligten zu 2 auf 6.500.000 € festgesetzt. Auf dessen sofortige Beschwerde hin hat das Landgericht den Änderungsbeschluss aufgehoben und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Beteiligte zu 1 sein bisheriges Begehren weiter.
II.
3 Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, weil Entscheidungen des Gesamtvollstreckungsgerichts nach § 20 GesO mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind und das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 - IX ZB 183/04, ZIP 2006, 486 Rn. 6; vom 21. März 2019 - IX ZB 47/17, WM 2019, 1026 Rn. 9). Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, aber nicht begründet, soweit das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1 für unzulässig gehalten hat. Soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, dass das Gesamtvollstreckungsgericht den Vergütungsbeschluss nicht von Amts wegen habe ändern dürfen, ist das Rechtsmittel bereits nicht zulässig.
4 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, das Gesetz erlaube dem Gericht eine Abänderung seiner Entscheidung nur bis zum Ablauf der Beschwerdefrist. Die von dem Gesamtvollstreckungsgericht seinerzeit veranlasste öffentliche Bekanntmachung sei gemessen an den diesbezüglich vom Bundesgerichtshof zu § 9 InsO aufgestellten Maßstäben zwar unwirksam gewesen und habe den Lauf der Beschwerdefrist daher nicht in Gang setzen können. Jedoch sei das Beschwerderecht aller Beteiligten verwirkt. Dabei sei einerseits zu berücksichtigen, dass die Bekanntmachung nur unvollständig, aber hinreichend gewesen sei, um eine Obliegenheit der Beteiligten zu begründen, sich über den Inhalt des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses selbst zu informieren. Andererseits sei der erhebliche Zeitablauf seit dem Erlass dieses Beschlusses entscheidend. Hinzukomme, dass das Gesamtvollstreckungsgericht auch die Bestätigung des Vergleichs öffentlich bekannt gemacht habe, weshalb alle Beteiligten mit einer zeitnahen Aufhebung des Gesamtvollstreckungsverfahrens hätten rechnen müssen. Der Sachverhalt stehe dem vom Bundesgerichtshof für die Insolvenzordnung entschiedenen Fall gleich, dass die Schlussverteilung stattgefunden und die Aufhebung des Insolvenzverfahrens sowie die erfolgte Vergütungsfestsetzung öffentlich bekannt gemacht worden seien.
5 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand. Dem Beteiligten zu 1 stand jedoch bereits dem Grunde nach kein Beschwerderecht gegen den zu Gunsten seines Amtsvorgängers ergangenen und diesem wirksam zugestellten Vergütungsfestsetzungsbeschluss zu. Auf die Frage der Verwirkung eines Beschwerderechts des Beteiligten zu 1 kommt es nicht an. Ob das Gesamtvollstreckungsgericht den Beschluss vom 11. September 2009 noch von Amts wegen hat ändern dürfen, kann ebenso offenbleiben. Insoweit ist die Rechtsbeschwerde in Ermangelung einer Beschwerdebefugnis des Beteiligten zu 1 unzulässig.
6 a) Die sofortige Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Vergütungsbeschluss vom 11. September 2009 ist unzulässig. Der Ablauf der zweiwöchigen Frist gemäß § 1 Abs. 3, § 20 GesO, § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur Einlegung des Rechtsmittels durch den Beteiligten zu 2 bindet auch den Beteiligten zu 1 als dessen Nachfolger im Amt des Gesamtvollstreckungsverwalters.
7 aa) Der Bundesgerichtshof hat allerdings entschieden, dass der Insolvenzverwalter aufgrund seiner Verpflichtung zur Vermögensfürsorge für die Masse grundsätzlich die Befugnis zur Beschwerde zwecks Abwehr unberechtigter Vergütungsforderungen bei der Festsetzung der Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters, eines früheren abgewählten oder entlassenen Insolvenzverwalters oder eines Sonderinsolvenzverwalters hat (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2012 - IX ZB 276/11, ZIP 2012, 2081 Rn. 3; vom 10. Oktober 2013 - IX ZB 38/11, ZIP 2013, 2164 Rn. 12). Für den Gesamtvollstreckungsverwalter gilt nichts anderes. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich jedoch dadurch von den den bislang getroffenen Entscheidungen zugrundeliegenden Fallgestaltungen, als dort der neue Insolvenzverwalter zum Zeitpunkt des Erlasses und der Zustellung des Beschlusses über die Vergütung des alten Insolvenzverwalters bereits bestellt war, so dass Beginn und Lauf der Beschwerdefrist für den neuen Insolvenzverwalter keinen Zweifeln unterliegen konnten.
8 bb) Der Gesamtvollstreckungsverwalter ist nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs nicht anders als der Insolvenz- und vormals der Konkursverwalter Inhaber eines (privaten) Amts (vgl. RGZ 29, 29, 36; BGH, Urteil vom 27. Oktober 1983 - I ARZ 334/83, BGHZ 88, 331, 343; vom 26. Januar 2006 - IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260 mwN). Wird ein neuer Verwalter bestellt, bleiben die bisher vorgenommenen Rechtshandlungen und Verfügungen des alten Verwalters in ihrer Wirksamkeit durch die Personenänderung unberührt (vgl. Jaeger/Gerhardt, InsO, § 57 Rn. 16; MünchKomm-InsO/Graeber, 4. Aufl., § 57 Rn. 40; HK-InsO/Riedel, 11. Aufl., § 57 Rn. 15). Ebenso sind gegenüber dem Amtsvorgänger in der Vergangenheit vorgenommene Rechtshandlungen auch im Verhältnis zum neuen Insolvenz- oder Gesamtvollstreckungsverwalter weiterhin wirksam (vgl. Jaeger/Gerhardt, aaO § 56 Rn. 75; MünchKomm-InsO/Graeber, aaO Rn. 40; Uhlenbruck/Vallender/Zipperer, InsO, 15. Aufl., § 57 Rn. 32; HmbKomm-InsO/Frind, 9. Aufl., § 57 Rn. 23). Eine an den Amtsvorgänger erfolgte Zustellung wirkt somit auch gegen den neuen Insolvenz- oder Gesamtvollstreckungsverwalter.
9 cc) Im vorliegenden Fall hat das Gesamtvollstreckungsgericht den Vergütungsbeschluss vom 11. September 2009 über die in ihrer Wirksamkeit angezweifelte öffentliche Bekanntmachung des Beschlusses hinaus dem Beteiligten zu 2 als damaligen Gesamtvollstreckungsverwalter am 21. September 2009 auch zustellen lassen (vgl. § 64 Abs. 2 Satz 1 InsO). Gegen die Wirksamkeit dieser Zustellung sind Bedenken nicht erhoben worden, solche sind auch ansonsten nicht ersichtlich. Der Ablauf der an die Zustellung des Vergütungsbeschlusses an den Beteiligten zu 2 geknüpften Beschwerdefrist des Gesamtvollstreckungsverwalters gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO gilt auch für den Beteiligten zu 1 als Nachfolger im Amt. Auf die Frage der Wirksamkeit der erfolgten öffentlichen Bekanntmachung kommt es nicht an, weil diese den Nachweis einer erfolgten Einzelzustellung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ausschließt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2003 - IX ZB 140/02, ZIP 2003, 768 f). Die wirksame Zustellung an den Beteiligten zu 2 setzte mithin die Beschwerdefrist für den Gesamtvollstreckungsverwalter in Lauf. Die Unzulässigkeit der sofortigen Beschwerde ist klarstellend durch den Senat auszusprechen, nachdem das Beschwerdegericht einen entsprechenden Ausspruch unterlassen und lediglich den angefochtenen Beschluss des Gesamtvollstreckungsgerichts aufgehoben hat.
10 b) Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen die Auffassung des Beschwerdegerichts wendet, eine Änderung der Vergütungsentscheidung durch das Gesamtvollstreckungsgericht von Amts wegen sei nicht mehr statthaft gewesen, ist die Rechtsbeschwerde unzulässig. Dem Beteiligten zu 1 fehlt insoweit eine Beschwerdebefugnis, weil der Vergütungsbeschluss zumindest ihm gegenüber nach Ablauf der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde rechtskräftig geworden ist. Die grundsätzliche Möglichkeit einer Änderung eines an sich mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Beschlusses von Amts wegen innerhalb laufender Beschwerdefrist (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - IX ZB 117/04, ZIP 2006, 1651 Rn. 8 ff; vom 18. Oktober 2018 - IX ZB 31/18, BGHZ 220, 90 Rn. 14) vermag kein Rechtsmittel gegen eine die Änderung von Amts wegen ablehnende Entscheidung zugunsten eines Beteiligten zu eröffnen, für den die Beschwerdefrist bereits abgelaufen ist. Anderenfalls würde § 569 Abs. 1 ZPO (in Verbindung mit § 1 Abs. 3, § 20 GesO) unterlaufen.
11 c) Entgegen der Rechtsbeschwerde ist der Vergütungsbeschluss vom 11. September 2009 schließlich auch nicht nichtig. Wie im Fall von Urteilen oder Verfügungen kann die Nichtigkeit eines Beschlusses nur ausnahmsweise und bei schwersten Verfahrensfehlern angenommen werden (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 1962 - V ZR 155/60, BGHZ 37, 125, 126 ff; vom 30. November 1962 - IV ZR 194/62, FamRZ 1963, 131, 132; vom 30. September 1987 - IVb ZR 86/86, NJW 1988, 268). Dafür ist hier nichts ersichtlich.