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Wirtschaftsrecht
10.09.2008
Wirtschaftsrecht
: Widerleglichkeit der Angemessenheitsvermutung beim übernahmerechtlichen Squeeze Out

LG Frankfurt, Beschluss vom 5.8.2008 - 3-5 O 15/08

Volltext des Beschlusses: // BB-Online BBL2008- -

Leitsätze

1. Bei der Ermittlung, ob die 90 % Grenze des § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG erreicht wird, sind auch Aktienerwerbe zu berücksichtigen, die während der Angebotsfrist aufgrund von vorangegangen Vereinbarungen erworben wurden, in denen sich Aktionäre unwiderruflich verpflichtetet haben, auf ein Übernahmegebot der Antragstellerin ihr die ihnen gehörenden Aktien zu übertragen.

2. Die Vermutung des § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass es sich um eine widerlegliche Vermutung handelt.

3. Haben Beteiligte konkrete Unstände im Verfahren vorgebracht, wonach die Vermutung des § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG erschüttert wird, kommt eine Beweiserhebung über die Angemessenheit der Abfindung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Unternehmenswert der Zielgesellschaft nicht in Betracht. Der Antrag auf Übertragung ist dann vielmehr vom Gericht zurückzuweisen.

§ 39a WpÜG; Art. 14 GG

Sachverhalt

Die D ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft mit Sitz in Hannover, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts H r unter der Registernummer und B, eingetragen in das Handelsregister des Amtsgerichts B unter der Registernummer HRB . Das Grundkapital beträgt Euro 80 640.000,00 und ist in 13 440.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem anteiligen Betrag am Grundkapital in Höhe von Euro 6,00 je Aktie eingeteilt.

Die Antragstellerin ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts nach deutschem Recht mit Sitz in H , B und M.

Am 11.11.2007 veröffentlichte die Antragstellerin ihre Entscheidung zur Abgabe eines Übernahmeangebotes nach § 10 Abs. 1 S. l, Abs. 3 S. 1 WpÜG. Gegenstand dieses Übernahmeangebotes an die Aktionäre der D war der Erwerb sämtlicher auf den Inhaber lautenden und unter ISIN /WKN gehandelten nennwertlosen Stückaktien der D zum Preis von Euro 36,09 je D Aktie. Die mit Datum vom 4.12.2007 durch die BaFin zur Veröffentlichung gestattete Angebotsunterlage veröffentlichte die Antragstellerin nach § 14 Abs. 3 WpÜG am 5.12.2007. Die Frist für die Annahme des Übernahmeangebotes begann am 5.12.2007 und endete am 2.1.2008, 24.00 Uhr MEZ. Wegen der Einzelheiten des Übernahmeangebots wird auf die zu der Akte gereichte Kopie (Bl. 22 ff d. A.) verwiesen. Bis zum 2.1.2008, 24:00 Uhr (MEZ) („Stichtag") wurde das Übernahmeangebot für insgesamt 13 098.931 Deutsche Hypothekenbank-Aktien angenommen. Dies entspricht einem Anteil von rund 97,462 % des Grundkapitals und der Stimmrechte an der D.

Weiter erwarb die Antragstellerin in zeitlichem Zusammenhang, aber außerhalb des Angebotsverfahren insgesamt 20.153 Stückaktien der D am 28.12.2007 zu dem mit dem Angebotspreis gemäß Übernahmeangebot übereinstimmenden Preis von Euro 36,09 in bar je D Aktie.

Zwischen der Antragstellerin und vier Aktionären gab es zuvor unter dem Datum vom 11./12.11.2007 Vereinbarungen in denen sich diese Aktionäre z. Teil unwiderruflich verpflichteten, auf ein Übernahmegebot der Antragstellerin ihr die ihnen gehörenden Aktien zu übertragen. Wegen der Einzelheiten dieser Vereinbarung (irrevocables) wird auf die zu der Akte gereichten Kopien (Bl. 87- 103 d. A.) verwiesen. Nach Veröffentlichung des Übernahmeangebots erfolgte die Übertragung dieser Aktien.

Die Antragstellerin gab am 7.1.2008 gemäß Ziffer 9.4 der Angebotsunterlage bekannt, dass sämtliche Angebotsbedingungen mit Ablauf der Annahmefrist eingetreten waren, nämlich

a)            die Mindestannahmeschwelle gemäß Ziffer 9.1 a) der Angebotsunterlage erreicht worden war,

b)            das Bundeskartellamt den Erwerb der D Aktien freigegeben hatte,

c)            bis zum Ablauf der Annahmefrist keine Veröffentlichung der D gemäß § 15 WpHG vorgenommen worden war, wonach über das Vermögen der D oder eines Tochterunternehmens der D das Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren eingeleitet, eröffnet oder beantragt wurde oder eine solche Maßnahme bevorstünde,

d)            bis zum Ablauf der Annahmefrist weder ein Bankenmoratorium noch eine Einstellung des Bank- oder Börsenverkehrs gemäß § 47 KWG betreffend die gewährt und/oder angeordnet worden war.

Die Übertragung der zum Verkauf eingereichten Aktien der D ist gegen Zahlung des Angebotspreises am 8.1.2008 in bar erfolgt, indem die Antragstellerin Euro 472 740.419,79 gegen Umbuchung der zum Verkauf eingereichten Aktien gezahlt hat. Der Antragstellerin gehörten am 14.1.2008 entsprechend einem Anteil von rund 97,612 % des Grundkapitals und der Stimmrechte an der D.

Mit Antragsschrift vom 11.1.2008 - eingegangen bei Gericht am 15.1.2008 - hatte die Antragstellerin gern. § 39a WpÜG beantragt,

„Die stimmberechtigten, auf den Inhaber lautenden, nennwertlosen Stückaktien der D), die nicht bereits der N gehören, werden gegen Gewährung einer Abfindung in Höhe von Euro 36, 09 je Stückaktie auf die N übertragen.

Es wird festgestellt, dass sich die Abfindung je nennwertlose Stückaktie der D ), die nicht bereits der N gehören, gemäß Satz 1 ermäßigt um den Betrag, der zwischen dem Tag des Eingangs dieses Antrages beim Landgericht Frankfurt und der Rechtskraft der Entscheidung gemäß § 39b, Abs. 5 WpÜG in Abwicklung eines Hauptversammlungsbeschlusses der D über die Verwendung des Bilanzgewinns als Dividende an die Inhaber der nennwertlosen Stückaktien verteilt (gezahlt) wird. "

Das Gericht hat diesen Antrag im elektronischen Bundesanzeiger vom 30.1.2008 - dem satzungsmäßig einzigem Gesellschaftsblatt der D gern. § 39b WpÜG bekannt gemacht. Mit Antragschrift vom 18.2.2008 (Bl. 155 d. A.) nahm die Antragstellerin den ergänzenden Feststellungsantrag zurück und beantragt nunmehr noch,

„Die stimmberechtigten, auf den Inhaber lautenden, nennwertlosen Stückaktien der D, die nicht bereits der N gehören, werden gegen Gewährung einer Abfindung in Höhe von Euro 36,09 je Stückaktie auf die N übertragen."

Das Gericht hat diesen Antrag im elektronischen Bundesanzeiger vom 22.2.2008 bekannt gemacht.

Mit weiterem Schriftsatz vom 2.4.2008 (Bl. 501 f d. A.) beantragte die Antragstellerin als Hilfsantrag,

„Die stimmberechtigten, auf den Inhaber lautenden, nennwertlosen Stückaktien der D , die nicht bereits der N gehören, werden Zug um Zug gegen Gewährung einer angemessen, von der N zu zahlenden Abfindung je Stückaktie auf die N übertragen."

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 39a Abs. 1, Abs. 3 WpÜG vorlägen. Sie sei Inhaber von (über) 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals der D und sie habe aufgrund des Angebots über 90°% des von Angebot betroffenen Grundkapitals erworben. Bei der Berechnung der 90 % Grenze seien auch die Aktien einzubeziehen, die sie aufgrund der sog. irrevocables erhalten habe. Die Vermutung des § 39a Abs. 3 WpÜG sei daher eingetreten, wonach der Angebotspreis von 36,09 EURO eine angemessene Abfindung sei. Diese Vermutung sei auch unwiderleglich.

Die Antragsgegner haben sich nach Bekanntmachung der Anträge im Bundesanzeiger an Verfahren beteiligt und sind den Anträgen entgegen getreten.

Sie tragen vor, dass die Angebotsunterlage nicht alle vorgeschriebenen Angaben enthalten habe. Das LG Frankfurt am Main sei nicht zur Entscheidung zuständig. Aus dem Antrag ergebe sich weder Rechtsform noch Sitz der Antragstellerin. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts könne die Antragstellerin nicht von Enteignungsbestimmung für Private Gebrauch machen. Der Erwerb der Aktien aufgrund des Angebots sei nicht nachgewiesen, ebenso nicht die Eigentümerstellung der Antragstellerin.

Die §§ 39a, 39b WpÜG entsprächen nicht der Übernahmerichtlinie, Diese verlange keine unwiderlegliche Vermutung. Es fehlten Schutzmechanismen zugunsten der Minderheitsaktionäre im Gesetz, u. a. fehle eine Bankgarantie für die Abfindung.

Die Vermutung des § 39a Abs. 3 WpÜG könne nicht unwiderleglich sein, da eine unwiderlegliche Vermutung verfassungswidrig wäre, da dann kein voller Wertersatz geleistet werden müsse.

Durch die Regelung des §§ 39a, 39b WpÜG werde die Hauptversammlungskompetenz umgangen. Die Erwerbe aufgrund der Vorabvereinbarungen seien bei der Ermittlung, ob 90 % das Übernahmeangebot angenommen hätten, nicht zu berücksichtigen.

Zumindest sei kein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben, da die Vereinbarungen mehr als 3 Wochen vor dem Angebot getroffen worden seien. Jedenfalls aufgrund der großen Pakete und des geringen Streubesitzes von 5,741 % könne die (Kapitalmarkt)Vermutung der Angemessenheit nicht greifen.

Es werde bestritten, dass es zu diesen Vereinbarungen keine Nebenabsprachen gebe.

Zur Angemessenheit sei ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es bestehe ein Informationsgefälle zwischen der Antragstellerin, die eine due diligence bei der D durchgeführt habe und den übrigen Aktionären.

Die übrigen Aktionäre hätten keinen aussagekräftigen Informationen über den Wert der Deutschen Hypothekenbank.

Jedenfalls sei eine Abfindung in Höhe von Euro 36,09 nicht angemessen. Dies ergebe sich aus den in 2001, 2002 vorgenommenen Unternehmensbewertungen der D nach dem Ertragswertverfahren, wobei die tatsächlichen Gewinne die dort angesetzten Planzahlen noch überschritten hätten. In diesen Bewertungen seien zudem ein zu hoher Basiszins und zu hohe Thesaurierungen angenommen worden.

Die Ermittlung des Angebotsbetrags beruhe auf dem Buchwert, jedenfalls sei wegen der geringen Überschreitung des Buchwerts die Abfindung nicht mehr angemessen.

Die Abfindung müsse jedenfalls den aktuellen Börsenkurs erreichen.

Die Erfahrungen aus anderen Übernahmen zeigten, dass Preise aufgrund von WpÜG Angeboten unter den tatsächlichen Werten lägen.

Hilfsweise sei ein Spruchverfahren einzuleiten.

Aus den Gründen

Das Landgericht Frankfurt am Main ist zunächst gem. § 39a Abs. 5 WpÜG zur Entscheidung über den Antrag berufen. Soweit sich einzelne Antragsteller darauf beziehen, dass die vom Bundesgesetzgeber hier gewählte bundesweite Zuständigkeitskonzentration gegen die Länderautonomie verstoße und es nur den Ländern möglich sei, mittels Staatsvertrag eine solche länderübergreifende Zuständigkeit zu schaffen, so wird übersehen, dass gern. Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG dem Bund u . a. für den Bereich der Gerichtsverfassung und gerichtliches Verfahren die konkurrierende Gesetzgebung zukommt, d. h. er ggf. die Maßstäbe der sachlichen, funktionellen und örtlichen Zuständigkeit definieren kann. Macht er wie. vorliegend von diesem Recht durch die Bestimmung eines bundeseinheitlichen Gerichtsstandes für Verfahren nach §§ 39a, 39b WpÜG Gebrauch, so kommt es auf Ländervereinbarungen im Wege eines Staatsvertrages nicht mehr an.

Gegen den Antrag nach §§ 39a WpÜG kann auch nicht eingewendet werden, dass die Angebotsunterlage nicht alle vorgeschriebenen Angaben enthalte. Wie sich aus § 12 Abs. 1 WpÜG ergibt, ist die Übertragung nach § 39a WpÜG davon unabhängig, vielmehr führen unrichtige oder unvollständige Angabe in der Angebotsunterlage nur zu einer Haftung.

Entgegen der Auffassung einiger Antragsgegner hat die Antragstellerin durch ihr Übernahmeangebot vom 5.12.2007 mehr als 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals i. S. d. § 39a Abs. 3 WpÜG erworben. Die vorliegend aufgrund der sog. „irrevocable undertakings" erworbenen Aktien in Höhe von 44, 34 % sind in die 90 % Schwelle einzubeziehen. Es kommt hier nicht darauf an, dass die dem Erwerb der Aktien zugrunde liegende Vereinbarung außerhalb des Angebotverfahrens geschlossen wurde, nämlich zeitgleich bzw. ein Tag nach der Veröffentlichung der Entscheidung nach § 10 WpÜG am 11.11.2007 und entsprechende Verhandlungen vor der Veröffentlichung der Entscheidung nach § 10 WpÜG stattgefunden haben dürften. Nach dem Wortlaut des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG sind solche Aktien zu berücksichtigen, die der Bieter „aufgrund des Angebots" erworben hat. Dies ist bei den sog. „irrevocable undertakings" hier der Fall, weil hier erst die Aktien aufgrund des formellen Angebotverfahrens an die Antragstellerin veräußert und übertragen wurden. Der Kaufpreis richtet sich nach dem Gegenwert, der auch für die übrigen Aktionäre gilt (vgl. Paefgen WM 2007, 765; Ott WM 2008, 384, 389). Es ist auch nicht ersichtlich und wird von den Antragsgegnern auch nicht substantiiert dargetan, dass weitere Gegenleistungen über Nebenabreden vereinbart und geflossen sind.

Die Antragstellerin kann sich daher zunächst auf die gesetzliche Vermutung berufen, dass der im Preis des Angebots von Euro 36,09 je Stückaktie auch im Rahmen der Aktienübertragung nach § 39a Abs. 1 WpÜG durch Gerichtsbeschluss ein angemessener Preis ist, wobei grundsätzlich die Vermutung einer marktpreisorientierten Angemessenheitsvermutung nicht zu beanstanden ist (vgl. hier im Einzelnen: Stöwe - Der Übernahmerechtliche Squeeze-out -, Europ. Hochschulschriften Bd./Vol. 4628, S. 63 ff, 97 ff m.w.Nachw.).

Der in der Frist des § 39a Abs. 4 WpÜG gestellte Haupt- und Hilfsantrag auf Übertragung der Aktien der D gegen Gewährung einer von der Antragstellerin zu zahlenden Abfindung in Höhe von EURO 36,09 je Stückaktie bzw. hilfsweise einer angemessenen Abfindung ist jedoch letztlich unbegründet.

Entgegen der überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl. Santelmann in Steinmeyer/Häger WpÜG, 2. Auf., § 39a Rn. 31 f.; Geibel/Süßmann WpÜG § 39a Rn. 15: Holzborn/Müller in: HeidelbKomm AktG. §§ 39a-39c WpÜG / Anh. § 327a AktG Rn. 10, 12; Krause BB 2004, 113, 118: Möller/Pötzsch ZIP 2001, 1256, 1261; Hasselbach ZGR 2005. 387. 405ff.: DAV- Gutachten, S. 13: Hasselbach. ZGR 2005, 387. 405: ders., WuB II A § 327a AktG 2.06; Austmann/Mennicke NZG 2004, 846. 851: van Kann/Just DStR 2006, 328, 331; Krause, Wortprotokoll des Finanzausschusses vom 10.5.2006. Protokollnummer 16/16. S. 5: Seibt/Heiser AG 2006. 301. 319; Meyer WM 2006, 1135, 1142; Arnold AG-R 2006, R224: Diekmann NJW 2007, 17: Wiesner ZIP 2004,343. 349; Stöwe, a.a.0. S. 103; a.A.: Hopt/Mülbert/Kumpan, AG 2005, 117: Heidel/Lochner in Kapitalmarktrecht, 2. Aufl., § 39a WpÜG Rn. 34 ff; Fraktion Bündnis90/Die Grünen, BT-Drs. 16/1541. S. 17; Neve NZG 2002, 1144, 1145; Maul/Muffat-Jeandet AG 2004, 221, 317; Mülbert NZG 2004, 633, 634; Kießling, Diss. im Erscheinen (Peter Lang Verlag) - Der übernahmerechtliche Squeeze-out gem. §§ 39a, 39b WpÜG - S. 139) handelt es sich bei der Vermutung des § 39a Abs. 3 Satz 3 WpÜG aber nicht um eine unwiderlegliche sondern um eine widerlegliche Vermutung.

Zunächst schließt der Gesetzestext selbst den Gegenbeweis i. S. d. § 292 ZPO nicht aus. Während bei gesetzlichen unwiderlegbaren Tatsachenvermutungen, z. B. in § 22a AGBG, § 1 AFRG, § 3 A1tTZG (in der Fassung v. 19.12.2007), § 1361b Abs. 4 BGB; Art. 233 § 2 Abs. 2 EGBGB, § 14 Abs. 4 LPartG, § 4 Abs. 2 UK1aG; § 15 Abs. 3 ZPOEG, im Gesetzestext ausdrücklich von einer unwiderleglichen Vermutung gesprochen wird, fehlt in § 39a Abs. 3 WpÜG ein derartiger Verweis auf die Unwiderleglichkeit. Zwar ging der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drs. 16/1003, S. 22; BT-Drucks. 16/1342 S. 6) davon aus, dass die Vermutung in § 39 Abs. 3 Satz 3 WpÜG unwiderleglich sein solle, doch bindet eine Äußerung des Gesetzesgebers die Gerichte letztlich nicht, wenn sie nicht im Gesetzestext ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. BGH, Beschl. v. 26.5.2008 - 11 ZB 23/07 -; BGH AG 2007, 629-631 = NZG 2007, 675 zur Zulässigkeit von Nebeninterventionen bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage; BGH v. 25.6.2008 -11 ZB 39/07 - zum Nachweis der Antragsbefugnis im Spruchverfahren).

Eine Auslegung des Gesetzes als unwiderlegliche Vermutung der Angemessenheit würde zudem gegen Art. 14 Abs. 1 GG verstoßen, weshalb sie einschränkend und verfassungskonform als widerlegliche Vermutung zu erfolgen hat. Die Zulässigkeit von unwiderleglichen Vermutungen muss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 30, 336, 353; 42, 176; 185; NJW 1981, 108) im Lichte der Bedeutung des geschützten Grundrechts und der Folgen des Ausschlusses von Gegenbeweisen beurteilt werden.

Eine Typisierung, die die Angemessenheit der Abfindung an das Erreichen einer bestimmten Annahmequote knüpft, lässt sich zwar grundsätzlich zutreffend damit begründen, dass der große Umfang der Akzeptanz einer Gegenleistung dafür spricht, dass diese auch angemessen ist (vgl. Austmann/Mennicke NZG 2004, 846; 850; Kammerbeschluss vom 12.6.2007 -3-05 O 12/06 -), doch rechtfertigt dies aber keine Verletzung durch eine nicht angemessen Abfindung im Einzelfall. Verfassungsgemäß ist solch eine typisierende Regelung nur solange, wie ein Verstoß im Einzelfall entweder durch verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift oder durch eine Billigkeitsmaßnahme abgewendet werden kann, (so BVerfG zur verfassungskonformen Auslegung v. 6. 12. 1972, 1 BvR 230/70 und 1 BvR 95/71, BVerfGE 34, 165, 200, sowie v. 22. 6. 1977, 1 BvL 23/75, BVerfGE 45, 393, 400, v. 22. 6. 1995, 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 = DStR 1995, 1348).

Durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG wird auch das Aktieneigentum geschützt. Die Aktie verbrieft dabei nicht nur die vermögensrechtliche Komponente, die durch Privatnützigkeit und Verfügungsbefugnis gekennzeichnet und damit Ausdruck der vermögensmäßigen Persönlichkeitsentfaltung ist (vgl. BVerfGE 24, 367, 389). Sie umfasst auch die mitgliedschaftliche Stellung in einer Aktiengesellschaft. Beim Ausschluss von Minderheitsaktionären handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen der Eigentumsgarantie nach Art. 14 Abs. 1 GG. Hier hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, in dessen Rahmen er das Interesse des einzelnen Aktionärs auf Erhalt seines Aktieneigentums ökonomischen Gründen grundsätzlich unterordnen kann (vgl. BVerfGE 14, 263; BVerfGE 100, 289; BVerfG NZG 2000, 117; zum aktienrechtlichen Squeeze-out insbes. BVerfG Beschl. v. 30.5.2007 - 1 BvR 390/04 - BB 2007, 1515 m. Komm. Bungert = AG 2007, 544 = NZG 2007, 587). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die grundlegende Entscheidung der Verfassung für das Privateigentum nicht über Gebühr verkürzt wird. Um dies zu gewährleisten, hat das Bundesverfassungsgericht Kriterien entwickelt, die beim Zwangsausschluss von Minderheitsaktionären erfüllt sein müssen, um den Anforderungen des Art. 14 GG zu genügen. Bisher sind hierzu im Wesentlichen vier Entscheidungen ergangen. Im Feldmühlurteil (BVerfGE 14, 263) ging es um die Verfassungsgemäßheit des § 15 UmwG a. F.. Im Ergebnis hat das BVerfG dies bejaht und damit begründet, dass der Gesetzgeber aufgrund seiner Einschätzungsprärogative befügt sei, das Eigentum an den Aktien zugunsten gesamtwirtschaftlicher Erwägungen einzuschränken. Der (internationale) Wettbewerb gebiete es, den Gesellschaften große Handlungsspielräume zu gewähren. Die Vorschriften, die dem Schutz von Minderheiten von Aktionären dienten, seien dabei hinderlich. Allerdings sei Voraussetzung für eine Herausdrängung dieser Minderheit, dass ihr wirksame Rechtsbehelfe gegen einen Missbrauch wirtschaftlicher Macht durch den Hauptaktionär zur Verfügung stünden. Außerdem müsse sie für den Verlust ihrer Rechtsposition wirtschaftlich voll entschädigt werden. Dabei genüge eine Entschädigung für den Vermögensverlust, hingegen sei der Verlust der Mitgliedschaft an der Gesellschaft bei einer Minderheit von höchstens 25% als gering zu bewerten, da von dieser keine wesentliche Entscheidungsmacht mehr ausginge.

Die Grundentscheidung aus dem Feldmühlurteil wurde hinsichtlich der Berechnung der Entschädigung der Aktionäre im Urteil DAT/Altana v. 27.4.1994 - 1 BvR 1613/95 - (BVerfGE 100, 289 = AG 1999, 567) vom Bundesverfassungsgericht präzisiert. Es verstoße gegen Art. 14 GG, bei Bemessung der Abfindung der ausscheidenden Aktionäre den Börsenkurs des Unternehmens außer Betracht zu lassen. Grundsätzlich bestünden keine Bedenken, die Ertragswertmethode zur Berechnung der Abfindung zu verwenden. Jedoch garantiere Art. 14 GG, dass der Aktionär die volle Entschädigung, also den wahren inneren Wert des Unternehmens, für den Verlust seines Aktieneigentums erhalte. Dies sei nur dann gewährleistet, wenn der Kurswert, der bei börsennotierten Unternehmen regelmäßig mit dem Verkehrswert übereinstimme, neben dem Ertragswert in die Berechnung mit einfließe. Der Kurswert müsse immer die untere Grenze der Abfindung bilden. Der Börsenkurs könne nur in Ausnahmen außer Betracht bleiben, beispielsweise wenn längere Zeit kein Handel mit dem betreffenden Papier stattgefunden habe.

In den Moto Meter-Entscheidungen, Beschluss vom 23.8.2000 - 1 BvR 68/95 und 147/97 - (NZG 2000, 1117 = AG 2001, 42) führt das Bundesverfassungsgericht dann aus, es verstoße gegen die Eigentumsgarantie, wenn in fachgerichtlichen Verfahren nicht überprüft würde, ob die Abfindung von ausscheidenden Minderheitsaktionären angemessen sei. Eine solche Prüfungspflicht der Gerichte könne auch nicht durch die Überprüfung durch einen Sachverständigen ersetzt werden.

Mit Beschluss vom 30.5.2007 - 1 BvR 390/04 (BB 2007, 1515 m. Komm. Bungert = NZG 2007, 587= AG2007, 544) hat das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit der §§ 327a ff. AktG entschieden. Hier hat es eine Verfassungswidrigkeit dieser Regelungen verneint, da der Gesetzgeber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von grundrechtsrelevanten Maßnahmen ausreichend Rechnung getragen habe. Art. 14 GG erfordere aber, dass es sich bei den auszuschließenden Anteilseignern um eine kleine Minderheit ohne relevanten Einfluss auf die Unternehmenspolitik handele, und dass eine volle wirtschaftliche Entschädigung für den Verlust des Aktieneigentums gewährleistet sei. Letzteres sei dadurch hinreichend gesichert, dass ein unabhängiger gerichtlicher Prüfer die Abfindung bestimme und etwaige Fehleinschätzungen des Gutachters jederzeit durch ein einzuleitendes Spruchverfahren überprüft werden könnten.

Aus dieser verfassungsrechtlichen Rechtsprechung ergibt sich, dass ein Ausschluss von Minderheitsaktionären nur unter drei Voraussetzungen verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Es müssen die auszuschließenden Aktionäre eine volle wirtschaftliche Entschädigung für den Verlust des Aktieneigentums erhalten, wobei der Börsenkurs des Unternehmens regelmäßig die Untergrenze der zu leistenden Abfindung darstellen soll, weil der Aktionäre mindestens so zu stellen ist, als habe er eine freiwillige Deinvestitionsentscheidung getroffen. Eine volle wirtschaftliche Entschädigung ist nur dann gegeben, wenn der ausgeschlossene Aktionär, den wahren Wert seiner Beteiligung erhält und die Angemessenheit der geleisteten Abfindung muss überprüfbar sein.

Eine Vorlage gern. Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht kommt nicht in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht besteht die in Art. 100 Abs. 1 GG und § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht nur dann, wenn das Gericht eine entscheidungserhebliche Gesetzesvorschrift für verfassungswidrig erachtet. Wie eine Norm des einfachen Rechts auszulegen ist, ist jedoch zunächst grundsätzlich Sache des dafür allgemein zuständigen Gerichts (vgl. BVerfGE 18, 85 [92f.] = NJW 1964, 1715). Ist es der Auffassung, eine Vorschrift, über deren Auslegung Streit besteht, sei nur bei einer bestimmten Auslegung mit der Verfassung vereinbar, muss es seiner Entscheidung diese Auslegung zu Grunde legen und darf nicht das Bundesverfassungsgericht anrufen (vgl. BVerfG NJW-RR 2000, 1309 m. w. Nachw.)

Die hierdurch gebotene verfassungemäße Auslegung als widerlegliche Vermutung steht auch nicht in Widerspruch zu höherrangigem Eurooparecht, so dass auch eine Vorlage an den Euroopäischen Gerichtshof nach Art. 234 EGV ausscheidet.

Entgegen der Auffassung der Bundesregierung (vgl. BT-Drucks. 16/1342 S. 6 zu Nr. 9) verlangt Art. 15 der Übernahmerichtlinie (R 04/25), die mit den §§ 39a f WpÜG umgesetzt werden sollte, nicht die Annahme einer unwiderleglichen Vermutung (a. A. auch Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl. § 39a Rz. 11).

In der deutschen Übersetzung bestimmt Art. 15 Abs. 5 der Richtlinie:

„Bei einem freiwilligen Angebot in den in Absatz 2 Buchstaben a) und b) vorgesehenen Fällen gilt die im Angebot angebotene Abfindung dann als angemessen, wenn der Bieter durch die Annahme des Angebots Wertpapiere erworben hat, die mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen stimmberechtigten Kapitals entsprechen. "

Aus Art. 15 V Unterabs. 2 der Übernahmerichtlinie ergibt sich zumindest auf den ersten Blick nicht eindeutig, ob die Angemessenheitsvermutung dem Gegenbeweis zugänglich sein soll, so dass auch hier eine Auslegung geboten ist, d. h. dass der Wortlaut zumindest die Annahme einer unwiderleglichen Angemessenheitsvermutung nicht ausschließt.

Die Auslegung sekundären Gemeinschaftsrechts folgt grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsregeln, richtet sich also nach Wortlaut, Historie, Systematik und Sinn und Zweck. Dabei muss erste Auslegungsform nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, C-106/89. Slg. 1990,1-4135 (Marleasing), Rn. 8; EuGH 14/83. Slg. 1984. 1891 (von Colson), Rn. 28; vgl. auch Roth, EWS 2005, 385. 389 immer der Wortlaut der betreffenden Vorschrift sein, weil ein eindeutiger Wortsinn grundsätzlich bindend für die Rechtsanwendung ist (vgl. auch BGHZ 46, 74).

Das Fehlen einer Möglichkeit des Widerlegens der Vermutung belegt aber nicht, dass die Formulierung „gilt als angemessen" im Umkehrschluss zwingend für die Unwiderleglichkeit der Angemessenheit spricht. In der deutschen Gesetzesterminologie wird bei unwiderleglichen Vermutung (s. o) dies regelmäßig vielmehr im Gesetzestext ausdrücklich festgehalten.

Bei der Auslegung von Gemeinschaftsrecht bietet sich dabei der Vorteil, auch andere Europäische Sprachfassungen mit einbeziehen zu können. Dabei ist zu Grunde zu legen, dass sich das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union über den Inhalt der Richtlinie einig waren und im Kern somit auch Einmütigkeit darüber herrschte, ob die fragliche Vermutungsregelung dem Gegenbeweis zugänglich sein sollte oder nicht. Wäre dies nicht so, bedeutete dies, dass die Ausgestaltung der Angemessenheitsregelungen den Mitgliedstaaten frei stünde. Die Folge wären unterschiedliche Regelungen in Euroopa, was evident dem Ziel der Richtlinie, ein „level playing field" des Europäischen Übernahmerechts zu schaffen, zuwiderlaufen würde. Somit sind die Richtlinienfassungen in anderen Sprachen geeignet, einen Rückschluss für die Interpretation der deutschen Fassung zu ermöglichen. Dabei ist abzustellen nicht auf die deutsche Fassung an sich, sondern vielmehr auf den Grundgedanken, den die EU-Kommission mit der Richtlinie verfolgte.

Von erheblicher Bedeutung ist zunächst die englische Fassung der Richtlinie, da der Bericht der Winter-Kommission, der der Richtlinie maßgeblich zugrunde lag, zunächst in englischer Sprache abgefasst war und von einer widerleglichen Angemessenheitsvermutung ausging („...rebuttably presumed to he fair..."). In der Begründung zu den Empfehlungen führt die Expertengruppe weiter aus:

"The presumption of the price of the bid as the fair price should be rebuttable, so that it could be challenged before courts or the anthority supervising the takeover bid in particular circumstances."

Die englische Fassung des Art. 15 V Unterabs. 2 der Richtlinie lautet:

"Following a voluntary bid, in both of the cases referred to in paragraph 2(a) and (b), the consideration offered in the bid shall be presumed to be fair where, through acceptance of the bid, the offeror has acquired securities representing not less than 90 % of the capital carrying voting rights comprised in the bid. "

Ausschlaggebend ist somit die Auslegung der Formulierung "shall be presumed". Das Verb „to presume" wird im Deutschen allgemein mit „annehmen", „mutmaßen" oder „unterstellen" übersetzt, bezeichnet mithin einen Vorgang, der nicht sicher feststeht, sondern als Tendenz widerlegbar ist. Soweit ersichtlich wird in englischer Gesetzesmethodik das Wort „to presume" in der Formulierung „shall be presumed" ausschließlich in einem Rahmen verwendet, in dem der Beweis des Gegenteils möglich ist, z.B. den Asylum and Immigration Act 2004, Sec. 2 (8): A person shall be presumed for the purposes of this section not to have a document with him if he fails to produce it to an immigration officer or official of the Secretary of State an request" und der Children Act 1995. Sec. 99 (3): "a person twelve years of age or more shall be presumed to be of sufficient age and maturity lo have such understanding ".

Will das englische Gesetz eine unwiderlegliche Vermutung aufstellen, kommt die Formulierung „shall be considered" zum Tragen, z. B. in Art. 2 (7) des Fees and Awards Regulations Act 2007: "An area shall be considered to have always been part of the European Economic Area." oder in Art. 3(1) des Environmental Protection Act 2006: "Items shall be considered to be packaging if they fulfil the above definition without prejudice to other functions".

Daraus lässt entnehmen, dass bei Annahme einer unwiderleglichen Vermutung die englische Richtlinienfassung nicht das Wort „presumed", sondern vielmehr das Wort „considered" verwendet hätte (vgl. hierzu auch Kießling a.a.0. S. 80 ff m.w.Nachw.).

Die Heranziehung der französischen Fassung kommt zum gleichen Ergebnis, da auch dort „presumee" und nicht „considere" verwendet wird (vgl. hierzu Kiessling a.a.O., S. 78 ff und zur spanischen Fassung, Stöwe, a.a.O., S. 101; Mülbert NZG 2004, 633, 634).

Auch die historische Auslegung führt nicht zur Unwiderlegbarkeit der Vermutung in der Richtlinie. Zu beachten ist dabei, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten die Wahl lässt, ob sie den Ausschluss der Minderheitsaktionäre an die Voraussetzungen des Art. 15 II a) oder b) der Richtlinie knüpfen wollen. Die Angemessenheitsvermutung des Art. 15 V Unterabs. 2 bezieht sich sowohl auf die Alternative a) als auch b), will demnach also die gleichen Regelungen für beide Alternativen treffen. Grundlage für die Ausgestaltung des Art. 15 II b) der Richtlinie war die englische Regelung der Sec. 428 - 430F des Companies Act 1985(vgl. Rühland NZG 2006, 401,406). Diese sah eine widerlegliche Vermutung hinsichtlich der Angemessenheit der Gegenleistung vor. Wenn demnach die Angemessenheitsvermutung im Rahmen von Art. 15 lI b) ÜbRL widerleglich sein soll, kann für Art. 15 11 a) ÜbRL nichts anderes gelten. In beiden Fällen muss also aufgrund des Einflusses des englischen Vorbildes ein Gegenbeweis gegen die Angemessenheit der Gegenleistung zulässig sein. Auch wenn das deutsche Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz sich zu Recht Art. 15 II a) ÜbRL bedient, ist wegen der Gleichbehandlung der beiden Alternativen in Art. 15 V Unterabs. 2 ÜbRL von einer widerleglichen Vermutung auszugehen.

Die EU-Kommission stellt in ihrem Richtlinienvorschlag auch ausdrücklich klar, dass man den Empfehlungen der Expertengruppe (Winterkommission) mit der Umsetzung folgen wolle und keine inhaltlichen Änderungen vorgenommen habe:

Im Übrigen wurden im gesamten Verlauf des Gesetzgebungsprozesses keine Änderungsanträge hinsichtlich dieser Regelungen gestellt. Wenn also die Kommission die Widerleglichkeit des Expertenvorschlags übernehmen wollte und diese nach ihrem Willen in die Richtlinie einfließen sollte, bleibt aus Sicht der historischen Auslegung kein Raum für eine unwiderlegliche Vermutung. Dies wird ausdrücklich von Hopt bestätigt (Hopt/Mülbert/Kumpan AG 2005, 109. 117), der Mitglied der siebenköpfigen Winter-Kommission war, und ebenso betont von Maul (NZG 2005, 151, 157), die als Nationale Expertin bei der EU-Kommission die Entwicklung der Übernahmerichtlinie begleitet hat.

Auch die Systematik der Richtlinie spricht gegen eine unwiderlegliche Vermutung. Es werden nur Minimalstandards hinsichtlich der Angemessenheit der Abfindung aufgestellt (Erwägungsgrund 25 der Richtlinie). Die Mitgliedstaaten können strengere Vorschriften erlassen, wenn sie es bei der Umsetzung ins nationale Recht für geboten erachten Wenn die Richtlinie aber wie der Gesetzgeber und die herrschende Literaturauffassung von einer Unwiderleglichkeit der Angemessenheitsvermutung ausginge, würde die Eröffnung eines Umsetzungsspielraumes keinen Sinn machen. In diesem Fall ginge die Vermutung immer zugunsten der Angemessenheit der Abfindung. Damit wäre kein Spielraum mehr gegeben, innerhalb dessen die Mitgliedstaaten nationale Regelungen erlassen könnten. Außerdem wird es im Erwägungsgrund 8 der Richtlinie den Mitgliedstaaten überlassen, „Rechte vorzusehen, die in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren gegen eine Aufsichtsstelle oder zwischen Parteien des Angebots geltend gemacht werden können." Diese Klausel bezieht sich ihrer systematischen Stellung innerhalb der anderen, teilweise speziellen Erwägungsgründe als „allgemeiner Teil" auf die gesamte Richtlinie und somit auch auf Art. 15.

Auch Sinn und Zweck der Richtlinie führen nicht zur Annahme der Vorgabe einer unwiderleglichen Vermutung. Soweit Stimmen im Schrifttum die Auffassung vertreten, eine Widerleglichkeit würde den hinter der Richtlinie stehenden Zweck untergraben (Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG, 2. Aufl., § 39a Rz. 11; DAV-Gutachten S. 15) nämlich ein zügiges und kostengünstiges Ausschlussverfahren im Anschluss an ein Übernahmeangebot unmöglich machen, ist dem entgegen zu halten, dass sich aus der Richtlinie selbst nicht dieser Zweck, ein schnelles Übernahmeverfahren zu gewährleisten, ergibt. Das Ziel des Art. 15 der Richtlinie besteht darin, dem Hauptaktionär ein Instrument an die Hand zu geben, mit welchem er durch Herausdrängung von Aktionärsminderheiten alle Gesellschaftsanteile auf sich vereinen kann. Dieses Ziel wird von der Frage, ob es sich nun um eine widerlegliche oder eine unwiderlegliche Vermutung handelt, nicht tangiert, sofern im Ergebnis ein angemessener Preis für die Minderheitsanteile bezahlt wird. Erklärtes Ziel der Richtlinie hinsichtlich der Angemessenheit der Abfindung ist es ausweislich Art. 15 V der Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen „dass eine angemessene Abfindung garantiert wird". Die Richtlinie zieht somit die Sicherstellung einer angemessenen Abfindung einem schnellen Verfahren vor. Eine Angemessenheit kann aber durch einen Marktmechanismus nur indiziert werden, eine endgültige Festlegung wird auf diesem Weg nicht erreicht. Somit müssen die Mitgliedstaaten nach dem Willen der Richtlinie Instrumente schaffen, durch die die Abfindung überprüfbar gemacht wird, um bei Bedarf eine Korrektur vornehmen zu können. Dies ist nur durch eine widerlegliche Vermutung gewährleistet.

Die Interpretation, den Ausschluss der Minderheitsaktionäre nach § 39a WpÜG als ein besonders zügiges Verfahren ausgestalten zu müssen, entstammt dem Willen des deutschen Gesetzgebers. Er wollte ein Gegengewicht zu den oft mit Anfechtungsklagen belasteten Verfahren nach den §§ 327a ff AktG schaffen. Dieses Ziel des deutschen Gesetzgebers ist aber für die Auslegung der Richtlinie selbst unbeachtlich.

Die an sich hier gegebene vermutete Angemessenheit der Abfindung wegen Erreichens des Quorums nach § 39a Abs. 3 S. 3 WpÜG ist aber aufgrund des Vorbringens einiger Antragsgegner nicht mehr gegeben, die gesetzliche Vermutung ist vielmehr erschüttet.

Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass EURO 36,09 je Stückaktie keine angemessene Abfindung sind. Diese Anhaltspunkte ergeben sich jedoch nicht aus den Überlegungen und Darlegungen einiger Antragsgegner, dass in einer Vielzahl von aktienrechtlichen Ausschlussverfahren, denen ein Übernahmeangebot voraus ging, eine höhere Abfindung festgelegt wurde, als es dem Übernahmeangebot entsprach. Derartige behauptete allgemeine Erfahrungen können eine konkrete Vermutung nicht erschüttern. Vielmehr ist für eine derartige Erschütterung auf konkrete, die Zielgesellschaft betreffende Umstände abzustellen, aus denen sich der die fehlende Angemessenheit der Abfindung aufdrängt.

Dies ist hier durch die Vorlage der Unternehmensbewertungen nach dem Ertragswertverfahren für die Zielgesellschaft in den Jahren 2001 und 2002 sowie den Geschäftsberichten 2004 bis 2006 der Zielgesellschaft (Bl. 325 ff d. A.) gegeben. Selbst wenn man den in diesen Planungsrechungen der Unternehmensbewertung ab 2007 angesetzten nachhaltig erzielbaren Überschuss von 34,5 Mio. Euro ansetzt und nicht den sich aus dem im Internet veröffentlichen Jahresabschluss 2007 ergebenden höheren Gewinn und jegliches nicht betriebsnotwendige Vermögen außen vor lässt, ergibt sich bei überschlägigen Ertragswertberechungen unter Annahme dieser konstanten Überschusses ein den Betrag von Euro 36,09 übersteigender Abfindungswert (über Euro 39,40). Bei dieser überschlägigen Berechnungen wurde beim Kapitalisierungszins entsprechend den Empfehlungen des IDW ein Basiszins von 4,5 % - wie er sich aus der Zinsstrukturkurve aus Staatsanleihen( (IDW-Fachnachrichten 2005, S. 555) zum Zeitpunkt der Antragstellung am 15.1.2008 (Durchschnitt der letzten 90 Tage) ergibt - einem Risikozuschlag von 3,96 % bzw. 4,95 gem. TAX-CAPM nach dem IDW SEI (Fassung 2007), dem die Kammer allerdings (zuletzt Beschluss vom 13.11.2007 - 3-05 O 174/04 -) und auch die obergerichtliche Rechtsprechung (zuletzt OLG München v. 2.4.2008 - 31 Wx 85/06 -) sehr kritisch gegenüber steht, und einem Wachstumsabschlag von 1,5 % bzw. 1,3 % jährlich gerechnet. Die Höhe des Risikozuschlags und des Wachstumsabschlags wurde dabei der Kammer vorliegenden, im Jahre 2007 erstellen Unternehmensbewertungen im Geschäftsfeld der Zielgesellschaft vergleichbarer Unternehmen (E AG, C AG) entnommen. Selbst die günstigsten Annahmen ergeben ein Abweichen nach oben gegenüber dem Angebotspreis von ca. 10 %, was gegen die Angemessenheit spricht.

Eine Übertragung der Aktien entsprechend dem Hauptantrag, d.h. zu Euro 36,09 konnte daher mangels Feststellbarkeit der Angemessenheit dieses Preises nicht erfolgen.

Eine Beweiserhebung zum Wert der Zielgesellschaft durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens kommt im Verfahren nach §§ 39a f WpÜG nicht in Betracht (a. A. Heidel/Lochner, Kapitalmarktrecht, 2. Auf., § 39a WpÜG Rz. 65; Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG 2. Aufl. § 39b Rz. 14; Kießling a.a.0. S. 144 f;), womit auch der Hilfsantrag erfolglos bleiben musste, da das Gericht eine angemessene Abfindung - auch nicht über den hier gegebenen Amtsermittlungsgrundsatz - nicht festlegen kann. Regelungen über eine etwaige Amtsermittlung oder Beweiserhebung zur Feststellung der angemessenen Abfindung durch das Gericht enthalten die §§ 39a, 39b WpÜG nicht, insbesondere fehlt eine Kompetenz des Gerichts, die Angemessenheit eigenständig wie im Spruchverfahren festzusetzen (vgl. Santelmann in Steinmeyer/Häger, WpÜG 2. Aufl. § 39b Rz. 14; Kießling a.a.0. 207).

Einer Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Unternehmenswert der Zielgesellschaft steht entgegen, dass diese nicht Beteiligte des Verfahrens nach §§ 39a, 39b WpÜG ist, mithin eine nicht beteiligte (juristische) Person zum Objekt einer gerichtlichen Beweiserhebung gemacht würde. Abgesehen davon, dass es schon fragwürdig ist, inwieweit man formell am Verfahren unbeteiligte Dritte zum Objekt einer Beweiserhebung machen kann, zumal im Gegensatz zum gesetzlichen Spezialfall des § 372a ZPO eine Mitwirkungspflicht nicht besteht und Zwangsmittel dem Gericht daher zur Durchsetzung der Beweisanordnung nicht zur Verfügung stehen (vgl. Musielak, ZPO, 5. Aufl. § 144 Rz. 10 und § 403 Rz. 3; Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. § 144 Rz. 24), steht ein Beweishindernis entgegen. Die amtswegige Anordnung einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist unstatthaft, wenn sie nur unter Verstoß gegen eine Verschwiegenheitspflicht durchgeführt werden könnte. Dies ist in den §§ 144 Abs. 2, 142 Abs. 2 ZPO ausdrücklich gesetzlich geregelt und gilt als ein Grundsatz des Prozessrechts auch im Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

§ 93 Abs. 1 Satz 3 AktG verpflichtet Vorstandsmitglieder über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der AG Stillschweigen zu bewahren. Unter den Geheimnisbegriff fallen kaufmännische Informationen u. a. Marketingstrategie und Unternehmensplanung (vgl. Krieger/Sailer in Schmidt/Lutter, AktG, § 93 Rz. 19; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG § 93 Rz. 152; Hüffer, AktG, 8.Aufl., § 93 Rz. 7), die aber für die Bewertung eines Unternehmens benötigt werden. Diese Pflicht zur Verschwiegenheit gibt dem Vorstand auch ein Recht zur Zeugnisverweigerung nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. OLG Koblenz NJW-RR 1987, 809; Hüffer, AktG, 8.Aufl. § 93 Rz. 9; Bürgers/Israel in Heidelberg Komm, AktG § 93 Rz. 53).

Eine Durchbrechung dieser Verschwiegenheitspflicht für den Vorstand der Zielgesellschaft ist in §§ 39a, 39b WpÜG nicht gegeben. Im Verfahren nach §§ 39a f WpÜG wird dem Vorstand der Zielgesellschaft nur gern. § 39b Abs. 5 S. 5 WpÜG die Pflicht auferlegt, den rechtskräftigen Übertragungsbeschluss des Gerichts beim Handelsregister anzumelden. Eine Verpflichtung zur Offenlegung von Informationen zu Bestimmung einer angemessenen Abfindung enthält das Gesetz nicht.

Auch die Antragstellerin hat gegenüber dem Vorstand kein besonderes Auskunftsrecht, die als Annex im gerichtlichen Verfahren eine Auskunftsverpflichtung des Vorstandes begründen würde. Ein dem § 327b Abs. 1 Satz 2 AktG entsprechendes Informationsrecht - was man u. U. als Legitimation für die Auskunftserteilung bei der Beweiserhebung im Spruchverfahren in den Fällen des § 1 Nr. 3 SpruchG ansehen könnte, in denen die zu bewertende Gesellschaft ebenfalls nicht am Verfahren beteiligt ist - hat der Gesetzgeber dem Hauptaktionär bei dem Ausschluss der Minderheitsaktionäre nach §§ 39a f WpÜG nicht eingeräumt. Es kann auch dahingestellt bleiben, ob der Antragstellerin als Hauptaktionärin aus dem Gesichtspunkt des faktischen Konzerns ein Auskunftsrecht zusteht. Soweit vertreten wird, dass dem herrschenden Unternehmen Auskunftsrechte wegen seiner Sonderstellung im Rahmen der speziellen Sonderverbindung der §§ 17, 311 ff. AktG zustehen (vgl. Decher in: Großkommentar zum AktG, 4. Aufl., Rdnr. 348 zu § 131 m.w.Nachw.) beruht dies auf der Überlegung, dass Informationen zur Ausübung der Leitungsmacht benötigt werden (zur Fragwürdigkeit dieser Argumentation, vgl. Altmeppen NJW 2008, 1553 unter Hinweis auf

§ 76 AktG, wonach auch im faktischen Konzern das herrschende Unternehmen nur „unverbindliche" Ratschläge erteilen kann und BGH Urt. v. 5.5.2008 - II ZR 108/07 - BB 2008, 1421 = BeckRS 2008, 11159). Vorliegend geht es aber nicht um Information im Rahmen einer Konzernleitung sondern um solche, die der Bewertung dienen sollen, mithin auch von einem derartigen etwaigen Informationsanspruch der Antragstellerin nicht erfasst sind. Eine analoge Anwendung des § 327b Abs. 1 Satz 2 AktG ist nicht möglich. Es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift von Gleichbehandlungsgrundsatz der Aktionäre hinsichtlich ihres Informationsrechts gegenüber der Gesellschaft. Dies zeigt, dass es sich nicht um eine allgemeine gesellschafts- oder kapitalmarktrechtliche Regel handelt, die generell angewandt werden könnte.

Gegen die Anordnung einer Beweisaufnahme zur Ermittlung der angemessenen Abfindung im Verfahren nach §§ 39a, 39b WpÜG spricht auch, dass nicht sichergestellt ist, wie die Rechte der Minderheitsaktionäre der Zielgesellschaft hierbei gewahrt werden können, die sich nicht am Verfahren beteiligen. Die Bestellung eines gemeinsamen Vertreters wie in § 6 SpruchG ist nicht vorgesehen, womit auch gütliche Beiliegung des Konflikts durch Einigung der Beteiligten über deine angemessene Abfindung entsprechend § 11 Abs. 2 SpruchG ausscheidet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 39b Abs. 6 Satz 7 und 8 WpÜG. Danach ist in allen Fällen der Antragsteller Schuldner der Gerichtskosten.

Weiter findet danach eine Kostenerstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner durch den Antragsteller grundsätzlich nicht statt, es sei denn, die Billigkeit gebietet eine andere Entscheidung. Dies ist hier nicht der Fall. Im Hinblick darauf, dass im vorliegenden Verfahren erstmals in einem gerichtlichen Verfahren über die Voraussetzungen der §§ 39a f WpÜG entschieden wurde insbesondere, ob es sich bei der Vermutungsregeln des § 39a Abs. 3 WpÜG um eine unwiderlegliche oder widerlegliche Vermutung handelt und die Kammer trotz des geäußerten entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers aus verfassungsrechtlichen Gründen von einer widerleglichen Vermutung ausgeht und nur deswegen der Antrag letztlich erfolglos war, sind Billigkeitserwägungen zu Lasten der Antragstellerin nicht veranlasst. Soweit daher Antragsgegner nicht durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachgewiesen haben, dass sie Aktionäre der Deutsche Hypothekenbank sind, mithin die Frage der Berechtigung der Teilnahme am Verfahren insoweit noch offen ist, konnte dies letztlich mangels Anordnung einer Kostenerstattung offen bleiben.

Die Bestimmung des Geschäftswerts für das Gericht ergibt sich aus § 39b Abs. 6 Satz 5 WpÜG SpruchG. Danach richtet sich der Geschäftswert nach dem Betrag, der dem Wert aller Aktien entspricht, auf den sich der Ausschluss beziehen, mindestens jedoch 200 000,-- Euro und höchstens 7,5 Mio. Euro. Nach der Angabe der Antragstellerin waren von dem beantragten Ausschluss der Minderheitsaktionäre 301.069 Stückaktien betroffen, wodurch sich der Höchstgeschäftswert von Euro 7,5 Mio. ergibt Wegen der Erreichens des

Höchstgeschäftswertes durch den Hauptantrags konnte eine Erhöhung durch Entscheidung über den Hilfsantrag nicht mehr stattfinden.

Die Bestimmung des Geschäftswertes für die anwaltlich vertretenen Antragsgegner gem. § 31 a RVG konnte mangels Antrags nach § 33 RVG noch nicht erfolgen.

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