EuGH: Weitergabe vertraulicher Informationen in bei Zwangsabwicklung eines Kreditinstituts
EuGH, Urteile vom 13.9.2018 – C-594/16, Enzo Buccioni gegen Banca d’Italia
ECLI:EU:C:2018:717
Volltext: BB-ONLINE BBL2018-2242-1
Tenor
Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Par laments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beauf sichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhe bung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG ist dahin auszulegen, dass er es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht verwehrt, vertrauliche Informationen an eine Person weiterzugeben, die dies beantragt, um ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren zum Schutz von Vermögensinteressen, die infolge der Zwangsabwicklung eines Kreditinstituts verletzt worden sein sollen, einleiten zu können. Allerdings muss der Antrag auf Weitergabe Informationen betreffen, hinsichtlich deren der Antragsteller genaue und übereinstimmende Indizien vorlegt, die plausibel vermuten lassen, dass sie für die Belange eines zivil- oder handels rechtlichen Verfahrens relevant sind, dessen Gegenstand vom Antragstel ler konkret bezeichnet werden muss und außerhalb dessen die fraglichen Informationen nicht verwendet werden dürfen. Es ist Sache der zuständigen Behörden und Gerichte, das Interesse des Antragstellers, über die in Rede stehenden Informationen zu verfügen, gegen die Interessen an der Auf rechterhaltung der Vertraulichkeit der geheimhaltungspflichtigen Informationen abzuwägen, bevor jede einzelne der erbetenen vertraulichen Informationen weitergegeben wird.
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338).
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Enzo Buccioni und der Banca d’Italia (im Folgenden: BdI) über deren Entscheidung, ihm den Zugang zu bestimmten die Banca Network Investimenti SpA (im Folgenden: BNI) betreffenden Dokumenten zu verweigern.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 In den Erwägungsgründen 2, 5, 6 und 15 der Richtlinie 2013/36 heißt es:
„(2) … Hauptziel und Gegenstand dieser Richtlinie ist die Koordinierung der nationalen Vorschriften über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, über die Modalitäten der Unternehmensführung und den Aufsichtsrahmen. …
…
(5) Diese Richtlinie sollte sowohl hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit als auch des freien Dienstleistungsverkehrs im Finanzdienstleistungssektor das wesentliche Instrument für die Verwirklichung des Binnenmarkts im Bereich der Kreditinstitute darstellen.
(6) Für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts bedarf es über die gesetzlichen Normen hinaus einer engen und regelmäßigen Zusammenarbeit sowie einer erheblich verstärkten Annäherung der Regelungs- und der Aufsichtspraxis der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten.
…
(15) Die Harmonisierung sollte so weit gehen, wie notwendig und ausreichend ist, um die gegenseitige Anerkennung der Zulassung und der Aufsichtssysteme sicherzustellen, damit eine einzige Zulassung für die gesamte Union gewährt und der Grundsatz der Beaufsichtigung durch den Herkunftsmitgliedstaat angewandt werden kann.“
4 Art. 4 („Benennung und Befugnisse der zuständigen Behörden“) dieser Richtlinie sieht vor:
„…
(2) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden die Tätigkeiten von Instituten … überwachen, um zu beurteilen, ob die Anforderungen dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012 (ABl. 2013, L 176, S. 1)] eingehalten werden.
(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass angemessene Maßnahmen vorhanden sind, damit die zuständigen Behörden die notwendigen Informationen erhalten können, um die Einhaltung der Anforderungen nach Absatz 2 durch Institute … zu prüfen und etwaige Verstöße gegen diese Anforderungen zu untersuchen.
…
(5) Die Mitgliedstaaten machen den Instituten zur Auflage, den zuständigen Behörden ihres Herkunftsmitgliedstaats alle erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, damit beurteilt werden kann, ob die in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie und der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 erlassenen Vorschriften eingehalten werden. Die Mitgliedstaaten stellen außerdem sicher, dass die internen Kontrollverfahren sowie die Verwaltung und die Rechnungslegung der Institute es gestatten, die Einhaltung der genannten Vorschriften jederzeit zu kontrollieren.
…“
5 Art. 6 („Zusammenarbeit im Rahmen des Europäischen Finanzaufsichtssystems“) dieser Richtlinie bestimmt:
„Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben tragen die zuständigen Behörden der Angleichung der Aufsichtsinstrumente und ‑verfahren bei der Anwendung der gemäß dieser Richtlinie und der Verordnung [Nr. 575/2013] erlassenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften Rechnung. Zu diesem Zweck stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass
a) die zuständigen Behörden als Teilnehmer am Europäischen Finanzaufsichtssystem (ESFS) im Einklang mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union vertrauensvoll und in uneingeschränktem gegenseitigem Respekt zusammenarbeiten und insbesondere die Weitergabe von angemessenen und zuverlässigen Informationen untereinander und an andere Teilnehmer am ESFS sicherstellen,
…“
6 Art. 50 („Zusammenarbeit bei der Aufsicht“) Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
„Bei der Beaufsichtigung der Tätigkeit von Instituten, die insbesondere über Zweigstellen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten als ihrem Sitzstaat tätig sind, arbeiten die zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten eng zusammen. Sie teilen einander alle Informationen über die Leitung, die Verwaltung und die Eigentumsverhältnisse der Institute mit, die geeignet sind, die Aufsicht über die Institute und die Prüfung der Voraussetzungen für ihre Zulassung zu vereinfachen, sowie alle Informationen, die geeignet sind, die Überwachung dieser Institute, insbesondere in Bezug auf Liquidität, Solvenz, Einlagensicherheit, Begrenzung von Großkrediten, andere Faktoren, die sich auf das von dem Institut ausgehende Systemrisiko auswirken können, Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren sowie interne Kontrolle zu erleichtern.“
7 Art. 53 („Geheimhaltungspflicht“) Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass alle Personen, die für die zuständigen Behörden tätig sind oder waren, sowie die von den zuständigen Behörden beauftragten Wirtschaftsprüfer und Sachverständigen der beruflichen Geheimhaltungspflicht unterliegen.
Vertrauliche Informationen, die diese Personen, Wirtschaftsprüfer oder Sachverständigen in ihrer beruflichen Eigenschaft erhalten, dürfen nur in zusammengefasster oder aggregierter Form weitergegeben werden, so dass einzelne Kreditinstitute nicht identifiziert werden können; dies gilt nicht für Fälle, die unter das Strafrecht fallen.
Wurde jedoch gegen ein Kreditinstitut durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet, dürfen vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des betreffenden Kreditinstituts beteiligt sind, in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren weitergegeben werden.“
8 Art. 54 dieser Richtlinie regelt die „Verwendung vertraulicher Informationen“.
9 Art. 22 der Verordnung (EU) Nr. 1024/2013 des Rates vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank (ABl. 2013, L 287, S. 63) betrifft das ordnungsgemäße Verfahren für die Annahme von Aufsichtsbeschlüssen der Europäischen Zentralbank (EZB), während Art. 27 dieser Verordnung die Geheimhaltungspflicht der Mitglieder des Aufsichtsgremiums, der Mitarbeiter der EZB und des von den teilnehmenden Mitgliedstaaten abgeordneten Personals, die Aufsichtsaufgaben wahrnehmen, und den Informationsaustausch zwischen der EZB und den nationalen Behörden oder Behörden und sonstigen Einrichtungen der Union betrifft.
Italienisches Recht
10 Art. 22 („Definitionen und Grundsätze im Bereich des Zugangs“) der Legge n. 241 – recante nuove norme in materia di procedimento amministrativo e di diritto di accesso ai documenti amministrativi (Gesetz Nr. 241 über neue Vorschriften für Verwaltungsverfahren und das Recht auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen) vom 7. August 1990 in geänderter Fassung sieht in seinen Abs. 2 und 3 vor:
„2. Angesichts seiner wichtigen Ziele des Allgemeininteresses stellt der Zugang zu Verwaltungsunterlagen einen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungshandelns dar, um die Beteiligung zu fördern und die Unparteilichkeit und Transparenz dieses Handelns zu gewährleisten.
3. Der Zugang ist zu allen Verwaltungsunterlagen, mit Ausnahme der in Art. 24 Abs. 1, 2, 3, 5 und 6 genannten, zu gewähren.“
11 Art. 24 („Ausschluss des Rechts auf Zugang“) dieses Gesetzes in geänderter Fassung bestimmt:
„1. Das Recht auf Zugang wird nicht gewährt
a) für Unterlagen, die dem Staatsgeheimnis im Sinne des Gesetzes Nr. 801 vom 24. Oktober 1977 und seinen späteren Änderungen unterliegen, und bei durch Gesetz, durch die in Abs. 6 genannte Verwaltungsverordnung oder durch die in Abs. 2 genannten Behörden ausdrücklich angeordneter Vertraulichkeit oder ausdrücklich angeordneten Weitergabeverboten.
…
3. Anträge auf Zugang, mit denen die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung allgemein kontrolliert werden soll, sind unzulässig.
…
7. Antragstellern muss jedenfalls der Zugang zu den Verwaltungsunterlagen, deren Kenntnis zur Wahrung oder zur Wahrnehmung ihrer eigenen rechtlichen Interessen erforderlich ist, gewährt werden. …“
12 Art. 7 („Geheimhaltungspflicht und Zusammenarbeit der Behörden“) Abs. 1 des Decreto legislativo n. 385 – recante il testo unico delle leggi in materia bancaria e creditizia (Gesetzesdekret Nr. 385 mit der konsolidierten Fassung des Bankwesengesetzes) vom 1. September 1993 in geänderter Fassung lautet:
„Alle Meldungen, Informationen und Daten, über die die [BdI] aufgrund ihrer Aufsichtstätigkeiten verfügt, unterliegen auch gegenüber Behörden, mit Ausnahme des Ministers für Wirtschaft und Finanzen in seiner Eigenschaft als Vorsitzendem des CICR (Comitato interministeriale per il credito e il risparmio [interministerieller Ausschuss für das Kredit- und Sparwesen]), dem Amtsgeheimnis. Das Amtsgeheimnis kann Gerichten nicht entgegengehalten werden, wenn die angeforderten Informationen für Ermittlungen oder Verfahren bezüglich strafbarer Verstöße erforderlich sind.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
13 Wie aus den dem Gerichtshof vorliegenden Informationen hervorgeht, ist Herr Buccioni seit 2004 Inhaber eines bei einem Kreditinstitut, der BNI, eröffneten Girokontos. Der Saldo dieses Kontos belief sich am 5. August 2012 auf 181 324,31 Euro. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts wurden, da dieses Kreditinstitut zwangsabgewickelt wurde, an Herrn Buccioni vom Fondo interbancario di tutela dei depositi (Einlagensicherungssystem) nur 100 000 Euro zurückgezahlt.
14 Herr Buccioni ist der Auffassung, dass Tatsachen vorlägen, die die Haftung sowohl der BdI als auch der BNI für die von ihm erlittenen finanziellen Verluste begründeten. Am 3. April 2015 beantragte er bei der BdI die Weitergabe mehrerer Dokumente, die sich auf die Aufsicht über die BNI bezogen, um zusätzliche Informationen für eine Einschätzung zu erhalten, ob die Erhebung einer Klage sinnvoll sei.
15 Mit Entscheidung vom 20. Mai 2015 lehnte die BdI diesen Antrag teilweise u. a. mit der Begründung ab, dass bestimmte Dokumente, deren Weitergabe beantragt worden sei, vertrauliche Informationen enthielten, die der ihr obliegenden Geheimhaltungspflicht unterlägen, dass der Antrag nicht hinreichend präzise sei oder dass er Dokumente betreffe, die für den Antragsteller nicht von Interesse seien.
16 Herr Buccioni erhob beim Tribunale amministrativo regionale del Lazio (Regionales Verwaltungsgericht Latium, Italien) Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, die mit Urteil vom 2. Dezember 2015 abgewiesen wurde.
17 Herr Buccioni legte gegen dieses Urteil beim Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) ein Rechtsmittel ein, mit dem er insbesondere geltend macht, dass das erstinstanzliche Gericht Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 fehlerhaft angewandt habe, da die Geheimhaltungspflicht der BdI nach Einleitung der Zwangsabwicklung der BNI nicht mehr gelte. Die BdI hält dem entgegen, dass nach dieser Bestimmung die Weitergabe vertraulicher Informationen, die ein Kreditinstitut beträfen, das zwangsabgewickelt werde, voraussetze, dass der Antragsteller zuvor ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren eingeleitet habe.
18 Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Steht der Grundsatz der Transparenz, der in Art. 15 AEUV als allgemeines verbindliches Ziel klar niedergelegt ist, wenn er dahin verstanden wird, dass (dieser Grundsatz) durch die dort in Abs. 3 vorgesehenen Rechtsquellen oder gleichwertige Quellen geregelt werden kann, deren Inhalt Ausdruck eines übermäßig weiten Ermessens ohne Grundlage in höherrangigen unionsrechtlichen Vorschriften über die notwendige Festsetzung von nicht zur Disposition stehenden Mindestgrundsätzen sein könnte, nicht im Widerspruch zu einer beschränkenden Absicht auf dem Gebiet des europäischen Bankenaufsichtsrechts, die so weit geht, dass dieser Grundsatz der Transparenz auch in dem Fall seines Sinnes entleert würde, in dem das Interesse am Zugang seine Grundlage in wesentlichen Interessen des Antragstellers hat, die offensichtlich denen gleichstehen, für die begünstigende Ausnahmen von den Einschränkungsfällen auf diesem Gebiet bestehen?
2. Sind folglich Art. 22 Abs. 2 sowie Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 nicht als nicht außergewöhnliche Fälle, in denen von der Nichtzugänglichkeit der Dokumente abgewichen werden kann, auszulegen, und als Vorschriften, die nach den umfassenderen Zielen von Art. 15 AEUV auszulegen und als solche auf einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts zurückzuführen sind, wonach der Zugang nach einer angemessenen und verhältnismäßigen Abwägung der Erfordernisse der Kreditwirtschaft gegen die grundlegenden Interessen des von einem „burden sharing“ betroffenen Sparers, je nach den maßgeblichen, von einer Aufsichtsbehörde, die ähnliche organisatorische Merkmale und Bereichszuständigkeiten hat wie die EZB, gesammelten Umständen, nicht eingeschränkt werden kann?
3. Sind daher Art. 53 der Richtlinie 2013/36 und die Vorschriften des nationalen Rechts, soweit sie mit dieser Bestimmung im Einklang stehen, mit den übrigen in Frage 1 angeführten Vorschriften und Grundsätzen des Unionsrechts in dem Sinne unvereinbar, dass der Zugang auf entsprechenden Antrag, der nach der Einleitung des Zwangsliquidationsverfahrens gegen das Bankinstitut gestellt wurde, gewährt werden kann, auch wenn der Antragsteller nicht ausschließlich im Rahmen von zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren, die tatsächlich zum Schutz von Vermögensinteressen, die aufgrund der Eröffnung des Zwangsliquidationsverfahrens über das Bankinstitut beeinträchtigt wurden, eingeleitet wurden, den Zugang beantragt, sondern auch in dem Fall, dass dieser Antragsteller, gerade um die konkrete Möglichkeit solcher zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren vorsorglich zu prüfen, ein vom Staat zum Schutz des Rechts auf Zugang und Transparenz befugtes Gericht gerade zur vollen Wahrung seines Verteidigungs- und Klagerechts anruft, insbesondere im Hinblick auf den Antrag eines Sparers, der bereits von den Auswirkungen des „burden sharing“ in einem Konkursverfahren gegen das Kreditinstitut, bei dem er seine Ersparnisse angelegt hatte, betroffen ist?
Zu den Vorlagefragen
19 Mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht sinngemäß wissen, ob Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 in Verbindung sowohl mit Art. 15 AEUV als auch mit Art. 22 Abs. 2 und Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 dahin auszulegen ist, dass er es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verwehrt, vertrauliche Informationen an eine Person weiterzugeben, die dies beantragt, um ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren zum Schutz von Vermögensinteressen, die infolge der Zwangsabwicklung eines Kreditinstituts verletzt worden sein sollen, einleiten zu können.
20 Soweit das vorlegende Gericht auch sowohl auf Art. 15 AEUV als auch auf Art. 22 Abs. 2 und Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1024/2013 abstellt, ist zu bemerken, dass die Auslegung dieser Bestimmungen, aus deren Wortlaut eindeutig hervorgeht, dass sie nicht an die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten gerichtet sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2017, Kommission/Breyer, C‑213/15 P, EU:C:2017:563, Rn. 51 und 52), im Ausgangsverfahren, das einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten betrifft, die sich im Besitz der BdI befinden, irrelevant ist.
21 Zur Beantwortung der Fragen ist zunächst festzustellen, dass aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/36 hervorgeht, dass diese hauptsächlich die nationalen Vorschriften über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, über die Modalitäten der Unternehmensführung und den Aufsichtsrahmen koordinieren soll.
22 Außerdem sollte die Richtlinie 2013/36, wie es in ihren Erwägungsgründen 5 und 6 heißt, das wesentliche Instrument für die Verwirklichung des Binnenmarkts im Bereich der Kreditinstitute darstellen, für dessen reibungsloses Funktionieren es über die gesetzlichen Normen hinaus einer engen und regelmäßigen Zusammenarbeit sowie einer erheblich verstärkten Annäherung der Regelungs- und der Aufsichtspraxis der zuständigen Behörden bedarf.
23 Ferner ergibt sich aus dem 15. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass mit ihr ein Harmonisierungsgrad erreicht werden soll, der notwendig und ausreichend ist, um die gegenseitige Anerkennung der Zulassung und der Aufsichtssysteme sicherzustellen, damit eine einzige Zulassung für die gesamte Union gewährt und der Grundsatz der Beaufsichtigung durch den Herkunftsmitgliedstaat angewandt werden kann.
24 Zu diesem Zweck sieht Art. 4 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/36 vor, dass die Mitgliedstaaten sowohl sicherstellen, dass die zuständigen Behörden die Tätigkeiten von Instituten überwachen, um zu beurteilen, ob die Anforderungen dieser Richtlinie eingehalten werden, als auch, dass angemessene Maßnahmen vorhanden sind, damit die zuständigen Behörden die notwendigen Informationen erhalten können, um die Einhaltung dieser Anforderungen durch die Institute zu prüfen. Gemäß Art. 4 Abs. 5 machen die Mitgliedstaaten den Kreditinstituten u. a. zur Auflage, den zuständigen Behörden ihres Herkunftsmitgliedstaats alle erforderlichen Informationen zur Verfügung zu stellen, damit beurteilt werden kann, ob die in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2013/36 erlassenen Vorschriften eingehalten werden.
25 Zudem bestimmt Art. 6 Buchst. a dieser Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die zuständigen Behörden im Einklang mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV vertrauensvoll und in uneingeschränktem gegenseitigem Respekt zusammenarbeiten und insbesondere die Weitergabe von angemessenen und zuverlässigen Informationen untereinander und an andere Teilnehmer am ESFS sicherstellen.
26 Darüber hinaus arbeiten gemäß Art. 50 Abs. 1 dieser Richtlinie die zuständigen Behörden der betreffenden Mitgliedstaaten bei der Beaufsichtigung der Tätigkeit von Kreditinstituten, die insbesondere über Zweigstellen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten als ihrem Sitzstaat tätig sind, eng zusammen. Sie teilen einander alle Informationen über die Leitung, die Verwaltung und die Eigentumsverhältnisse der Institute mit, die geeignet sind, die Aufsicht über die Institute und die Prüfung der Voraussetzungen für ihre Zulassung zu vereinfachen, sowie alle Informationen, die geeignet sind, die Überwachung dieser Institute, insbesondere in Bezug auf Liquidität, Solvenz, Einlagensicherheit, Begrenzung von Großkrediten, andere Faktoren, die sich auf das von dem Institut ausgehende Systemrisiko auswirken können, Verwaltungs- und Rechnungslegungsverfahren sowie interne Kontrolle zu erleichtern.
27 Die wirksame Umsetzung der in den vorstehenden Randnummern kurz beschriebenen Regelung über die Beaufsichtigung von Kreditinstituten, die der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie 2013/36 eingeführt hat und die auf einer Überwachung innerhalb eines Mitgliedstaats und dem Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden mehrerer Mitgliedstaaten beruht, erfordert es, dass sowohl die beaufsichtigten Kreditinstitute als auch die zuständigen Behörden sicher sein können, dass die vertraulichen Informationen grundsätzlich auch vertraulich bleiben (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Juni 2018, Baumeister, C‑15/16, EU:C:2018:464, Rn. 31).
28 Das Fehlen eines solchen Vertrauens könnte nämlich die reibungslose Übermittlung der vertraulichen Informationen gefährden, die zur Ausübung der Beaufsichtigung erforderlich sind (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Juni 2018, Baumeister, C‑15/16, EU:C:2018:464, Rn. 32).
29 Daher stellt Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 zum Schutz nicht nur der speziellen Interessen der unmittelbar betroffenen Kreditinstitute, sondern auch des allgemeinen Interesses insbesondere an der Stabilität des Finanzsystems innerhalb der Union die Grundregel auf, dass das Berufsgeheimnis zu wahren ist (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Juni 2018, Baumeister, C‑15/16, EU:C:2018:464, Rn. 33).
30 Schließlich werden die speziellen Fälle, in denen der in Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 aufgestellte allgemeine Grundsatz des Verbots der Weitergabe der den zuständigen Behörden vorliegenden vertraulichen Informationen ihrer Übermittlung oder Verwendung ausnahmsweise nicht entgegensteht, in dieser Richtlinie abschließend aufgeführt (vgl. entsprechend Urteil vom 19. Juni 2018, Baumeister, C‑15/16, EU:C:2018:464, Rn. 38).
31 Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 vorsieht, dass, „[wenn] gegen ein Kreditinstitut durch Gerichtsbeschluss das Insolvenzverfahren eröffnet oder seine Zwangsabwicklung eingeleitet [wurde], … vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des betreffenden Kreditinstituts beteiligt sind, in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren weitergegeben werden [dürfen]“.
32 Wie der Generalanwalt in den Nrn. 79 bis 81 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, wollte der Unionsgesetzgeber es der zuständigen Behörde mit dieser Bestimmung ermöglichen, vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, die an Versuchen zur Rettung des Kreditinstituts beteiligt sind, nur an die Personen, die von der Insolvenz oder der Zwangsabwicklung des Kreditinstituts unmittelbar betroffen sind, weiterzugeben, um sie unter der Kontrolle der zuständigen Gerichte im Rahmen von zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren zu verwenden.
33 Unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen kann jedoch weder aus dem Wortlaut von Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2013/36 noch aus dem Kontext, in den sich diese Bestimmung einfügt, und auch nicht aus Zielen, die mit den in dieser Richtlinie enthaltenen Regeln im Bereich der Geheimhaltungspflicht verfolgt werden, abgeleitet werden, dass die vertraulichen Informationen über ein Kreditinstitut, gegen das das Insolvenzverfahren eröffnet oder dessen Zwangsabwicklung eingeleitet wurde, nur im Rahmen von bereits eingeleiteten zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren weitergegeben werden können.
34 In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens kann die Weitergabe dieser Informationen in einem Verfahren, das nach dem nationalen Recht verwaltungsrechtlicher Natur ist, noch vor der Einleitung eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens die in Rn. 32 des vorliegenden Urteils festgestellten Anforderungen und damit die praktische Wirksamkeit der in Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 festgelegten Geheimhaltungspflicht gewährleisten.
35 In diesem Kontext würden die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege beeinträchtigt, wenn der Antragsteller gezwungen wäre, ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren mit dem Ziel einzuleiten, den Zugang zu vertraulichen Informationen, die sich im Besitz der zuständigen Behörden befinden, zu erhalten.
36 Diese Auslegung wird auch nicht durch die Erwägungen in Rn. 39 des Urteils vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362), in Frage gestellt, wonach der Rechtsstreit, um den es in der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, ging, nicht im Rahmen zivil- oder handelsrechtlicher Verfahren geführt wurde, die von Personen angestrengt wurden, die den Zugang zu vertraulichen Informationen über eine Wertpapierfirma, die sich in Liquidation befand, beantragt hatten. Im Urteil vom 12. November 2014, Altmann u. a. (C‑140/13, EU:C:2014:2362), war der Gerichtshof nämlich nicht ersucht, die Frage zu beantworten, um die es im vorliegenden Verfahren geht, da dieses Urteil die Auslegung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. 2004, L 145, S. 1) in einem Kontext betraf, der sich auf nationaler Ebene durch eine tatsächliche und verfahrensrechtliche Situation auszeichnete, die sich von der des Ausgangsverfahrens unterscheidet. Die Auslegung von Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 kann daher nicht anhand der Begründung in Rn. 39 dieses Urteils vorgenommen werden, wie der Generalanwalt in den Nrn. 50 und 52 seiner Schlussanträge sinngemäß ausgeführt hat.
37 Allerdings sind nach gefestigter Rechtsprechung die in der Richtlinie 2013/36 vorgesehenen Ausnahmen vom allgemeinen Verbot der Weitergabe vertraulicher Informationen eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. April 2010, Kommission/Vereinigtes Königreich, C‑346/08, EU:C:2010:213, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
38 Folglich ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit, von der Geheimhaltungspflicht nach Art. 53 Abs. 1 Unterabs. 3 dieser Richtlinie abzusehen, verlangt, dass der Antrag auf Weitergabe Informationen betrifft, hinsichtlich deren der Antragsteller genaue und übereinstimmende Indizien vorlegt, die plausibel vermuten lassen, dass sie für die Belange eines laufenden oder einzuleitenden zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens relevant sind, dessen Gegenstand vom Antragsteller konkret bezeichnet werden muss und außerhalb dessen die betreffenden Informationen nicht verwendet werden dürfen.
39 Es ist jedenfalls Sache der zuständigen Behörden und Gerichte, das Interesse des Antragstellers, über die in Rede stehenden Informationen zu verfügen, gegen die Interessen an der Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit dieser geheimhaltungspflichtigen Informationen abzuwägen, bevor jede einzelne der erbetenen vertraulichen Informationen weitergegeben wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Februar 2008, Varec, C‑450/06, EU:C:2008:91, Rn. 51 und 52 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
40 Nach alledem ist auf die Fragen zu antworten, dass Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36 dahin auszulegen ist, dass er es den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten nicht verwehrt, vertrauliche Informationen an eine Person weiterzugeben, die dies beantragt, um ein zivil- oder handelsrechtliches Verfahren zum Schutz von Vermögensinteressen, die infolge der Zwangsabwicklung eines Kreditinstituts verletzt worden sein sollen, einleiten zu können. Allerdings muss der Antrag auf Weitergabe Informationen betreffen, hinsichtlich deren der Antragsteller genaue und übereinstimmende Indizien vorlegt, die plausibel vermuten lassen, dass sie für die Belange eines zivil- oder handelsrechtlichen Verfahrens relevant sind, dessen Gegenstand vom Antragsteller konkret bezeichnet werden muss und außerhalb dessen die fraglichen Informationen nicht verwendet werden dürfen. Es ist Sache der zuständigen Behörden und Gerichte, das Interesse des Antragstellers, über die in Rede stehenden Informationen zu verfügen, gegen die Interessen an der Aufrechterhaltung der Vertraulichkeit der geheimhaltungspflichtigen Informationen abzuwägen, bevor jede einzelne der erbetenen vertraulichen Informationen weitergegeben wird.