BGH: Wahrung des Schriftlichkeitserfordernisses durch österreichischen RA und dienstleistender europäischer RA
BGH, Beschluss vom 15.5.2025 – IX ZB 1/24
ECLI:DE:BGH:2025:150525BIXZB1.24.0
Volltext: BB-Online BBL2025-1474-2
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Amtliche Leitsätze
Zur Wahrung des Schriftlichkeitserfordernisses für bestimmende Schriftsätze durch Zeichnung im Rubrum des Schriftsatzes durch einen österreichischen Rechtsanwalt.
ZPO § 569 Abs. 2 S. 1, §§ 129, 130
Der dienstleistende europäische Rechtsanwalt hat im Grundsatz in einem Verfahren vor den Zivilgerichten vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument zu übermitteln.
ZPO § 130d; EuRAG §§ 25 ff.
Aus den Gründen
1 I. Mit Zahlungsbefehl des Bezirksgerichts Ried im Innkreis vom 12. Dezember 1995 wurde der Antragsgegner in der Republik Österreich zur Begleichung einer Forderung von 20.589,20 öS nebst Zinsen sowie zur Zahlung von Kosten in Höhe von 2.709,68 öS verpflichtet. Auf Antrag des Antragstellers vom 13. März 2023 hat das Landgericht Traunstein am 20. September 2023 beschlossen, dass der Zahlungsbefehl mit der Vollstreckungsklausel zugunsten des Antragstellers als Rechtsnachfolger der ursprünglichen Titelgläubigerin, der H. , zu versehen sei.
2 Der Beschluss des Landgerichts ist dem Antragsgegner am 7. Oktober 2023 zugestellt worden. Bereits am 6. Oktober 2023 ging per Telefax ein Schriftsatz der Instanzbevollmächtigten des Antragsgegners, einer österreichischen Rechtsanwaltsgesellschaft, beim Landgericht ein. Der Schriftsatz vom 6. Oktober 2023 ging noch einmal per Post am 11. Oktober 2023 beim Landgericht ein. Dem Schriftsatz war ein (vollständiges) Rubrum vorangestellt. Das Rubrum wies die Rechtsanwaltsgesellschaft als Vertreterin des Antragsgegners aus. Die maschinenschriftliche Bezeichnung der Rechtsanwaltsgesellschaft im Rubrum war handschriftlich durch einen Rechtsanwalt der Gesellschaft unterschrieben. Inhaltlich enthielt der Schriftsatz dem Antragsgegner zugeschriebene Mitteilungen, nämlich die Bekanntgabe der Vollmachtserteilung an die Rechtsanwaltsgesellschaft und einen namentlich benannten Rechtsanwalt der Gesellschaft, eine Äußerung zur Sache und den Antrag, die beantragte Vollstreckbarerklärung des Zahlungsbefehls ab- oder zurückzuweisen.
3 Das Landgericht hat den Schriftsatz als Beschwerde gegen seinen Beschluss vom 20. September 2023 gewertet und die Sache an das Oberlandesgericht abgegeben. Das Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde den angefochtenen Beschluss aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Rechtsbeschwerde.
4 II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Verwerfung der Erstbeschwerde als unzulässig.
5 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
6 a) Mit Recht hat das Beschwerdegericht erkannt, dass sich die Vollstreckbarerklärung des streitbefangenen österreichischen Zahlungsbefehls nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 6. Juni 1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen und dem zu diesem Vertrag ergangenen Ausführungsgesetz vom 8. März 1960 (BGBl. I S. 169; nachfolgend: Ausführungsgesetz) richtet. Der Zahlungsbefehl stammt vom 12. Dezember 1995. Der zeitliche Anwendungsbereich des Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (BGBl. 1994 II S. 2658, nachfolgend: LugÜ) ist deshalb nicht eröffnet (Art. 54 Abs. 1, Art. 61 LugÜ). Das LugÜ ist für die Republik Österreich erst am 1. September 1996 in Kraft getreten (BGBl. II S. 2520).
7 b) Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 des Ausführungsgesetzes unterliegt die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung der Beschwerde nach den §§ 567 bis 577 der Zivilprozessordnung. Die Vorschrift ist durch Art. 23 des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) dem neuen Rechtsmittelrecht der Zivilprozessordnung angepasst worden. Der Verweis auf die Beschwerde erfasst daher sowohl die sofortige Beschwerde als auch die Rechtsbeschwerde (vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 133). § 2 Abs. 4 Satz 2 des Ausführungsgesetzes verweist (u.a.) auf die Vorschrift des § 1065 ZPO. Daraus folgt, dass gegen die Entscheidung über die sofortige Beschwerde die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof unabhängig von einer Zulassung durch das Beschwerdegericht stattfindet (vgl. BT-Drucks. 14/4722, aaO).
8 c) Die vorliegende Rechtsbeschwerde ist folglich nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 2 Abs. 4 des Ausführungsgesetzes in Verbindung mit § 1065 Abs. 1 Satz 1, § 1062 Abs. 1 Nr. 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere besteht ein Zulässigkeitsgrund im Sinne des § 574 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat im Blick auf die Zulässigkeit der Erstbeschwerde grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
9 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hätte nicht in der Sache entscheiden dürfen. Die Erstbeschwerde war unzulässig.
10 a) Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die Fassung der Beschwerdeschrift genüge den formellen Mindestanforderungen. Die Frage, ob eine sogenannte "Rubrumsunterschrift", wie sie in Österreich üblich sei, für einen bestimmenden Schriftsatz in einem deutschen Verfahren ausreichen könne, sei streitig und müsse richtigerweise davon abhängen, ob der Sinn des Unterschriftserfordernisses im Einzelfall gewahrt sei. Dies sei hier zu bejahen. Aus Sicht des Senats habe sich die Bevollmächtigte des Antragsgegners die in dem Schriftsatz enthaltene Erklärung des Antragsgegners zu eigen gemacht und die erforderliche Verantwortung für das eingelegte Rechtsmittel übernommen.
11 Die Beschwerdeschrift sei auch form- und fristgemäß eingereicht worden. Insbesondere gelte für den zeichnenden Rechtsanwalt als dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt ohne deutsche Zulassung nicht die in § 130d ZPO vorgesehene Nutzungspflicht.
12 b) Das hält rechtlicher Prüfung nicht in allen Punkten stand.
13 aa) Ohne Rechtsfehler hat allerdings das Beschwerdegericht den Schriftsatz der Instanzbevollmächtigten des Antragsgegners vom 6. Oktober 2023 als sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 20. September 2023 angesehen. Die Zulässigkeit der Beschwerde ist, weil sich die Vollstreckbarerklärung des streitbefangenen österreichischen Zahlungsbefehls nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 6. Juni 1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen und dem zu diesem Vertrag ergangenen Ausführungsgesetz richtet (vgl. oben Rn. 6), nach § 2 Abs. 4 Satz 1 des Ausführungsgesetzes in Verbindung mit den §§ 567 ff ZPO zu beurteilen (vgl. oben Rn. 7). Dabei ist zu berücksichtigen, dass man auf Seiten der Instanzbevollmächtigten des Antragsgegners nach Maßgabe der §§ 25 ff des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland vom 9. März 2000 (BGBl. I 182; EuRAG) tätig geworden ist.
14 bb) Mit Recht ist das Beschwerdegericht auch davon ausgegangen, dass dem Schriftlichkeitserfordernis für bestimmende Schriftsätze genüge getan ist. Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben.
15 (1) Gemäß § 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO wird die Beschwerde durch Einreichung einer Beschwerdeschrift eingelegt. Sofern die Beschwerde - wie hier - nicht durch ein elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) eingelegt wird, gilt damit das Schriftlichkeitserfordernis für bestimmende Schriftsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2015 - I ZB 64/14, AfP 2016, 48 Rn. 13; vom 20. Juli 2023 - IX ZB 7/22, BGHZ 237, 375 Rn. 26; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 22. Aufl., § 569 Rn. 7; MünchKomm-ZPO/Hamdorf, 6. Aufl., § 569 Rn. 14). Verfahrensvorschriften sind allerdings kein Selbstzweck. Sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern (vgl. GmS-OGB, Beschluss vom 5. April 2000 - GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160, 161 f). In diesem Sinne ist auch das Schriftlichkeitserfordernis auszulegen, soweit es durch prozessrechtliche Vorschriften zwingend gefordert wird. Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (GmS-OGB, Beschluss vom 30. April 1979 - GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340, 348 f; vom 5. April 2000, aaO S. 162; BGH, Beschluss vom 18. März 2015 - XII ZB 424/14, NJW 2015, 1527 Rn. 7).
16 (2) Ob die Zeichnung eines Schriftsatzes in dem seinem Inhalt vorangestellten Rubrum (nachfolgend: Rubrumsunterschrift) dem Schriftlichkeitserfordernis im vorstehenden Sinne genügt, ist in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet worden. Auch das Schrifttum beurteilt diese Frage nicht einheitlich (dafür Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 22. Aufl., § 129 Rn. 9; dagegen Stein/Jonas/Kern, ZPO, § 130 Rn. 21 (Fn 43); wohl auch BeckOK-ZPO/von Selle, 2025, § 130 Rn. 9; zweifelnd Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 130 Rn. 11). Verneint worden ist die Einhaltung des Schriftlichkeitserfordernisses insbesondere durch zwei ältere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 22. April 1960 - IV ZR 294/59, WoltersKluwerRS 1960, 15080) und des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 29. Juli 1969 - VII R 92/68, BFHE 96, 381). Verwiesen wurde jeweils auf das Erfordernis der Zeichnung unterhalb des (bestimmenden) Inhalts des Schriftsatzes (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1960, aaO Rn. 9; BFH, aaO, S. 384 ff). In der neueren Rechtsprechung wird die Wahrung des Schriftlichkeitserfordernisses zum Teil für möglich gehalten (BSGE 132, 178 Rn. 15 ff; BPatG, GRUR-RR 2021, 269 Rn. 23 ff), zum Teil verneint (OLG Frankfurt/Main, RIW 2001, 543, 544; 16 OLG Braunschweig, FamRZ 2022, 202, 203 f).
17 (3) Nach Ansicht des Senats ist das Schriftlichkeitserfordernis gewahrt, wenn die Rubrumsunterschrift - wie nach den im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts - von einem österreichischen Rechtsanwalt stammt.
18 (a) Auch das österreichische Verfahrensrecht kennt ein Schriftlichkeitserfordernis. Nach § 75 Nr. 3 der österreichischen Zivilprozessordnung hat jeder Schriftsatz die Unterschrift der Partei selbst oder ihres gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten, im Anwaltsprozess im Grundsatz die des Anwalts zu enthalten. Die Unterschrift kann nach § 58 Abs. 4 der österreichischen Geschäftsordnung für die Gerichte der I. und II. Instanz - als Rubrumsunterschrift - auf der ersten Seite des Schriftsatzes oder an dessen Schluss erfolgen. Für das österreichische Verfahrensrecht erübrigt sich daher die Diskussion, ob eine Unterschrift den Inhalt des Schriftsatzes räumlich abschließen muss (vgl. Fasching/Konecny/Schneider, Zivilprozessgesetze, 2016, § 75 ZPO Rn. 36).
19 (b) Vor diesem Hintergrund können bei Vorliegen einer Rubrumsunterschrift eines österreichischen Rechtsanwalts aus dem entsprechenden Schriftsatz sowohl der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, als auch die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden. Da sich der österreichische Rechtsanwalt einer im österreichischen Recht ausdrücklich vorgesehenen Form der Unterschrift bedient, steht - vorbehaltlich abweichender Anhaltspunkte im Einzelfall - zugleich fest, dass es sich bei dem Schriftsatz nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass er mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist.
20 cc) Die Einlegung der Beschwerde war nicht deshalb unwirksam, weil der auf Seiten der Instanzbevollmächtigten des Antragsgegners tätig gewordene österreichische Rechtsanwalt nicht im Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt gehandelt hat (§§ 28 f EuRAG). Nach Maßgabe des Ausführungsgesetzes war der österreichische Rechtsanwalt zwar gehalten, im Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln. Zu Gunsten des Antragsgegners greift allerdings der Meistbegünstigungsgrundsatz, weil das Landgericht das Verfahren unrichtig nach dem Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. November 2015 (BGBl. I S. 2146) behandelt hat.
21 (1) Gemäß § 28 Abs. 1 EuRAG darf der dienstleistende europäische Rechtsanwalt in gerichtlichen Verfahren, in denen der Mandant nicht selbst den Rechtsstreit führen oder sich verteidigen kann, als Vertreter oder Verteidiger eines Mandanten nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (Einvernehmensanwalt) handeln. Ein Einvernehmensanwalt ist daher erforderlich, wenn sich die Parteien gemäß § 78 ZPO durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (vgl. Weyland/Nöker, BRAO, 11. Aufl., § 28 EuRAG Rn. 2; Buchmann/Gerking in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 28 EuRAG Rn. 1). Das Einvernehmen ist bei der ersten Handlung gegenüber dem Gericht oder der Behörde schriftlich nachzuweisen (§ 29 Abs. 1 EuRAG). Gemäß § 29 Abs. 3 EuRAG sind Handlungen unwirksam, für die der Nachweis des Einvernehmens zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nicht vorliegt.
22 (2) Nach Maßgabe des Ausführungsgesetzes bestand für die Einlegung der sofortigen Beschwerde Anwaltszwang und fehlte es am Nachweis des Einvernehmens.
23 (a) Der Anwaltszwang folgt aus § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO; ein Ausnahmefall des § 78 Abs. 3 ZPO liegt nicht vor. Anders als § 11 Abs. 1 Satz 1 AVAG sieht § 2 Abs. 4 Satz 1 des Ausführungsgesetzes die Einlegung der Beschwerde durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht vor. Auch § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO entbindet vorliegend nicht vom Anwaltszwang. Das Verfahren war auch im ersten Rechtszug vor dem Landgericht als Anwaltsprozess zu führen.
24 (b) Unerheblich ist, dass das vom Antragsteller angerufene Landgericht sachlich nicht zuständig war. Zuständig ist gemäß § 1 Abs. 1 des Ausführungsgesetzes das Amtsgericht oder das Landgericht, das für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs zuständig sein würde. Das war hier das Amtsgericht, weil die zu vollstreckende Hauptforderung umgerechnet weniger als 5.000 € betrug (§ 23 Nr. 1 GVG). Bei § 78 ZPO handelt es sich indes um eine formale Ordnungsvorschrift (vgl. BGH, Urteil vom 16. Dezember 1982 - VII ZR 55/82, BGHZ 86, 160, 163 f; Beschluss vom 20. Juni 2000 - X ZB 11/00, NJW 2000, 3356, 3357; vom 22. April 2008 - X ZB 18/07, NJW-RR 2008, 1290 Rn. 9). Wann und in welcher Weise sich die Parteien eines Rechtsstreits durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen und welche Voraussetzungen diese erfüllen müssen, richtet sich daher im Grundsatz nach rein formalen Gesichtspunkten (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2000, aaO). Formaler Gesichtspunkt für den sachlichen Anwendungsbereich des § 78 Abs. 1 ZPO ist, wo das Verfahren anhängig war oder anhängig gemacht werden sollte (vgl. Stein/Jonas/Jacoby, ZPO, 23. Aufl., § 78 Rn. 17). Hingegen kommt es nicht darauf an, wo das Verfahren richtigerweise hätte anhängig gemacht werden müssen.
25 (3) Zugunsten des Antragsgegners greift allerdings der Meistbegünstigungsgrundsatz. Dieser führt dazu, dass die Einlegung der Beschwerde als wirksam anzusehen ist, ohne dass es auf den Nachweis des Einvernehmens ankommt.
26 Der Grundsatz der Meistbegünstigung findet auch Anwendung, wenn - wie hier - das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entscheidungsart zwar zutreffend gewählt hat, der Fehler jedoch auf der Anwendung falschen Verfahrensrechts beruht. Denn auch in diesen Fällen ist das Vertrauen der Beteiligten auf die Richtigkeit der gewählten Entscheidungs- oder Verfahrensform schutzwürdig (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - XII ZB 553/10, NJW-RR 2011, 939 Rn. 13). Da das Landgericht das Verfahren unrichtig nach dem AVAG behandelt hat, durfte demnach der Antragsgegner darauf vertrauen, dass die Beschwerde auch zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AVAG, § 78 Abs. 3 ZPO) und daher ohne das Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden kann.
27 dd) Der Schriftsatz der Instanzbevollmächtigten des Antragsgegners vom 6. Oktober 2023 ist allerdings als Prozesserklärung unwirksam, weil er nicht alselektronisches Dokument übermittelt worden ist (§ 130d Satz 1 ZPO). Der auf Seiten der Instanzbevollmächtigten des Antragsgegners tätig gewordene österreichische Rechtsanwalt war zur Einreichung der Beschwerdeschrift in elektronischer Form gemäß § 130d Satz 1 ZPO gehalten.
28 (1) Die bereits durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013 (BGBl. I S. 3786) neu geschaffene Bestimmung des § 130d ZPO ist am 1. Januar 2022 in Kraft getreten (Art. 26 Abs. 7 des Gesetzes). Sie ist damit grundsätzlich auf ab diesem Zeitpunkt gegenüber den Gerichten abgegebene Erklärungen von Rechtsanwälten anwendbar. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form gemäß § 130d Satz 1 ZPO betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen, ihre Nichteinhaltung führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (BGH, Beschluss vom 24. November 2022 - IX ZB 11/22, ZIP 2023, 92 Rn. 7 mwN).
29 (2) § 130d Satz 1 ZPO bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Vorgabe dabei nicht nur für das Erkenntnisverfahren, sondern umfassend für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der Zivilprozessordnung gelten (BT-Drucks. 17/12634, S. 28).
30 (3) Diese Vorgaben gelten im Grundsatz auch für dienstleistende europäische Rechtsanwälte im Sinne der §§ 25 ff EuRAG.
31 (a) Ob der dienstleistende europäische Rechtsanwalt der Nutzungspflicht des § 130d Satz 1 ZPO unterliegt, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Zum Teil wird der dienstleistende europäische Rechtsanwalt von der Nutzungsplicht ausgenommen (Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 45. Aufl., § 130d Rn. 1a; Vollkommer, MDR 2022, 747, 750). Überwiegend wird hingegen von einer Nutzungspflicht ausgegangen (Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., 130d Rn. 3; jurisPK-ERV/Biallaß, 2023, § 130d ZPO Rn. 11; Fritzsche, NZFam 2022, 1, 3; ebenso FG Nürnberg, DStRE 2024, 492 Rn. 18 f für § 52d Satz 1 FGO).
32 (b) Die überwiegende Ansicht ist richtig. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 EuRAG hat der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im Zusammenhang mit der Vertretung oder Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege oder vor Behörden die Stellung eines Rechtsanwalts, insbesondere dessen Rechte und Pflichten, soweit diese nicht die Zugehörigkeit zu einer Rechtsanwaltskammer sowie die Kanzlei betreffen. Die Vorschrift stellt den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt mit dem in Deutschland niedergelassenen Anwalt im Hinblick auf dessen Rechte und Pflichten gleich.
33 Die Gleichstellung bewirkt, dass der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im Grundsatz ebenso wie der in Deutschland niedergelassene der Nutzungspflicht des § 130d Satz 1 ZPO unterliegt. § 130d ZPO soll für Rechtsanwälte und andere vertretungsberechtigte Personen, soweit ihnen ein spezieller, sicherer Übermittlungsweg zu den Gerichten zur Verfügung steht, die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr mit Gerichten verpflichtend machen (vgl. BT-Drucks. 17/2634 S. 20). Eine von der Nutzungspflicht entbindende Ausnahmevorschrift enthalten die Regelungen des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland nicht. § 27a Abs. 1 Satz 1 EuRAG sieht vielmehr vor, dass der dienstleistende europäische Rechtsanwalt die Einrichtung eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs beantragen kann. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Gesetzgeber im Blick auf die am 1. Januar 2018 eingetretene passive Nutzungspflicht alle im Zivilprozess auftretenden Anwälte, somit auch dienstleistende europäische Rechtsanwälte, für verpflichtet hielt, einen sicheren Übermittlungsweg für die Zustellung elektronischer Dokumente zu eröffnen (vgl. BT-Drucks. 18/9521, S. 156). Deshalb sollte auch für dienstleistende europäische Rechtsanwälte die Möglichkeit geschaffen werden, ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach eingerichtet zu bekommen (vgl. BT-Drucks. 18/9521, aaO).
34 Was für die passive Nutzungspflicht gilt, findet im Grundsatz Anwendung auch auf die seit dem 1. Januar 2022 geltende aktive Nutzungspflicht. Die im Allgemeinen von den Art. 56 ff AEUV und im Besonderen durch die Richtlinie des Rates 77/249/EWG vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. EG L 78, S. 17) geschützte Dienstleistungsfreiheit steht dem nicht entgegen. Dem europäischen Rechtsanwalt muss lediglich ermöglicht werden, unter den für die in Deutschland niedergelassenen Rechtsanwälte geltenden Bedingungen tätig zu werden (vgl. Art. 57 Abs. 3 AEUV; Art. 4 Abs. 1 der RL 77/249/EWG; EuGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - C-99/16, NJW 2017, 3285 Rn. 24 f). Deshalb setzen sich Sinn und Zweck der aktiven Nutzungspflicht - die Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs durch Vermeidung erheblicher Druck- und Scanaufwände bei Gerichten und bei Rechtsanwälten (vgl. BT-Drucks. 17/12634, S. 27) - auch im Blick auf die Tätigkeit des dienstleistenden europäischen Rechtsanwalts durch.
35 (c) Im Streitfall muss nicht entschieden werden, ob die Dienstleistungsfreiheit Ausnahmen von der aktiven Nutzungspflicht (§ 130d ZPO) für dienstleistende europäische Rechtsanwälte gebietet. Ob diesen stets zugemutet werden kann, eine Möglichkeit zur Einreichung elektronischer Dokumente vorzuhalten oder dies die Ausübung ihrer Dienstleistungsfreiheit im Einzelfall behindert oder weniger attraktiv macht (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Mai 2017 - C-99/16, NJW 2017, 3285 Rn. 26), muss nicht beantwortet werden. Ein Sachverhalt, der die Annahme einer Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nahelegen könnte, die nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre (vgl. EuGH, Urteil vom 18. Mai 2017, aaO Rn. 34 ff), ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
36 III. Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden, weil die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Die Erstbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.