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Wirtschaftsrecht
13.12.2012
Wirtschaftsrecht
OLG Stuttgart: Wahlrecht des doppelt gesicherten absonderungsberechtigten Gläubigers bei der Verwertung von Sicherheiten

OLG Stuttgart, Urteil vom 26.9.2012 - 9 U 65/12


Leitsätze (der Redaktion)


1. Die absonderungsberechtigte Grundpfandrechtgläubigerin ist nicht nach den §§ 44a, 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO verpflichtet, zunächst die Gesellschaftersicherheiten zu verwerten. Sie hat ein Wahlrecht hinsichtlich der Verwertung von Sicherheiten, das sie nicht derart auszuüben hat, die Verwertung der Gesellschaftssicherheiten erst vorzunehmen, wenn alle Gesellschaftersicherheiten verwertet sind. Die Wahlmöglichkeit besteht unabhängig von der Frage, ob eine Gesellschaftssicherheit bereits verwertet wurde oder nicht. Auch spielt für das eingeräumte Wahlrecht keine Rolle, ob der Rückgriff auf den Gesellschafter für die Schuldnerin oder den Insolvenzverwalter mit erheblichen Problemen verbunden ist. Das Wahlrecht steht in seiner Ausübung allein unter dem Gebot von Treu und Glauben gem. § 242 BGB.


2. Durch das Wahlrecht wird der Grundsatz, dass die Gesellschaftersicherheit im wirtschaftlichen Ergebnis vorrangig zu verwerten ist, nicht ausgehebelt, da der Zugriff auf das Gesellschaftervermögen durch den Insolvenzverwalter über die analoge Anwendung der Anfechtungsmöglichkeit der §§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 InsO erfolgt.


3. Die gewünschte und gebotene Heranziehung des eine Sicherheit gewährenden Gesellschafters zur Haftung wird durch die Einräumung eines Erstattungsanspruchs der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter unter den Voraussetzungen des § 32a GmbHG a. F. im Umfang der Befreiung gegenüber dem Gläubiger erreicht. Diese Gründe haben trotz Reform der InsO und des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) ungeachtet fehlender gesetzlicher Regelung weithin Bestand.


InsO §§ 44a, 39 Abs. 1 Nr. 5, 135 Abs. 2, 143 Abs. 3; BGB § 138; GmbHG a. F. § 32a   


Sachverhalt


Die Klägerin macht mit der Klage einen Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung und der Beklagte mit der Widerklage Feststellungs-, Auskunfts- und Rechenschaftsansprüche geltend.


Die Schuldnerin, bestehend aus den Gesellschaftern..., über deren Vermögen durch Beschluss des Amtsgerichts Heilbronn vom 1.9.2010 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist Eigentümerin eines Grundstücks. Auf diesem Grundstück ist seit 21.5.2002 für die Klägerin in Abt. III Nr. 1 eine jederzeit ohne Kündigung fällige Grundschuld über 511.291,88 Euro nebst 15 % Zinsen eingetragen. Diese Grundschuld sicherte zunächst einen Kontokorrentkredit über 1 Mio. Euro vom 11.4.2002. Der Beklagte wurde zum Insolvenzverwalter der Schuldnerin bestellt.


Die Klägerin schloss mit der Schuldnerin am 27.2./11.3.2008 einen Kontokorrentvertrag über 1 Mio. Euro und am 3.7./.7.7.2009 einen weiteren Kontokorrentvertrag über 500.000 Euro. Mit Schreiben vom 12.7.2010 kündigte die Klägerin die gesamte Geschäftsverbindung mit der Schuldnerin und forderte diese auf, die offene Forderung i. H. v. 1.560.874,05 Euro zu begleichen. Die Forderung der Klägerin ist neben der streitgegenständlichen Grundschuld abgesichert durch zwei Bürgschaften, ein Geldmarktguthaben und weitere Grundschulden auf Immobilien des Gesellschafters, die teilweise verwertet wurden. Das LG hat der Klage auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück wegen eines Teilbetrags von 50.000 Euro stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos.


Aus den Gründen


II. ... 2.) Die Berufung ist unbegründet, soweit sie die Verurteilung des Beklagten zur Duldung der Zwangsvollstreckung angreift.


a) Die von der Klägerin erhobene Klage gegen den Beklagten ist zulässig. Die Pfandklage nach § 49 lnsO ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes zu richten (vgl. Kirchhof/Lwowski/Stürner in MüKo lnsO, 2. Aufl., Vor §§ 49 -52, Rn. 142; Andres in Nerlich/Römermann, lnsO, EL 10, § 49, Rn. 18, m. w. N.).


  • Anspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück

b) Der Klägerin steht gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in das Grundstück ... nach §§ 1192, 1147 BGB zu. Die Klägerin ist als lnhaberin der fälligen streitgegenständlichen Grundschuld nach § 49 lnsO zur abgesonderten Befriedigung berechtigt. Die Grundschuld ist bestimmt. Die zwischen der Schuldnerin und der Klägerin getroffene Sicherungsabrede ist nicht wegen einer gescheiterten Sanierung der Schuldnerin nach § 138 BGB nichtig. Die von der Schuldnerin gestellte Sicherheit ist auch nicht gegenüber den der Klägerin eingeräumten Gesellschaftersicherheiten nach §§ 44a, 39 Abs. 1 Nr. 5 lnsO nachrangig. Durch die eingeräumten Sicherheiten ist die Klägerin nicht übersichert bzw. zur Freigabe der Grundschuld verpflichtet.


  • Hinreichende Bestimmtheit der Grundschuld

(1) Die Grundschuld am Grundstück der Schuldnerin ist im Kontokorrentkreditvertrag vom 27.2./11.3.2008 im Zusammenhang mit der zeitgleich erfolgten Zweckerklärung ... als Grundsicherung des Kontokorrentkredites ausreichend bestimmt.


Die Grundschuld am Grundstück der Schuldnerin dient auch der Sicherung des weiteren der Schuldnerin eingeräumten Kontokorrentkredits vom 3./7.7.2009. Obwohl die streit­ gegenständliche Grundschuld in diesem Kreditvertrag nicht als Sicherheit aufgeführt wird, wird dieser Kredit von der Zweckerklärung vom 27.2./11.3.2008 erfasst. Die Grundschuld dient der Sicherung der bestehenden und künftigen, auch bedingten oder befristeten Forderungen der Klägerin gegen die Schuldnerin. Nachdem bezüglich der streitgegenständlichen Grundschuld Schuldner und Sicherungsgeber identisch sind und eine Drittsicherung nicht vorliegt, ist die anlässlich des Kontokorrentvertrages  vom 27.2/11.3.2008 gewählte weite Zweckerklärung unproblematisch (vgl. Epp in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch, 4. Aufl., § 94, Rn. 311). Dies auch hinsichtlich der durch den Mehrheitsaktionär und Geschäftsführer...gewährten Drittsicherheiten, nachdem dieser ausreichend und maßgeblich selbst Einfluss auf die Entstehung künftiger Forderungen der Klägerin gegenüber der Schuldnerin nehmen konnte (vgl. Epp in Schimansky/Bunte/Lwowski, a. a. O., § 94, Rn. 326).


  • Die zugunsten der Klägerin erfolgte Grundschuldbestellung ist nicht wegen sittenwidriger Gläubigerbenachteiligung nach § 138 BGB unwirksam

(2) Eine Unwirksamkeit der zugunsten der Klägerin erfolgten Grundschuldbestellung am 21.5.2002 oder einer Sicherungsabrede im Zusammenhang mit der Gewährung eines Sanierungskredits nach § 138 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Für die Annahme einer sittenwidrigen Gläubigerbenachteiligung oder Gläubigergefährdung durch die Einräumung eines mit der streitgegenständlichen Grundschuld gesicherten Kontokorrentkredits oder einer sich mit der Krediteinräumung ergebenden lnsolvenzverschleppung der Schuldnerin, für die auf den Inhalt des zwischen der Klägerin und der Schuldnerin geschlossenen Vertrages und auf die sie leitenden Beweggründe abzustellen ist (vgl. Obermüller, Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 8. Aufl., Rn. 5.15), fehlt es an einer hinreichenden Tatsachengrundlage, jedenfalls in subjektiver Hinsicht. Für die Tatbestandsvoraussetzungen trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast (Palandt/EIIenberger, BGB, 71. Aufl., § 138, Rn. 23}.


(a) Nachdem die insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände Spezialregelungen für Geschäfte darstellen, deren Inhalt und Zweck im Wesentlichen auf eine Gläubigerbenachteiligung hinausläuft, kommt eine Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit nur dann in Betracht, wenn zu den Tatsachen, die die Anfechtung begründen, weitere besondere  und gewichtige Fallumstände hinzutreten, die die Bewertung als sittenwidrig rechtfertigen (BGH, Urteil vom 4.7.2000 - VI ZR 192/99, Rn. 9, zitiert nach juris).


(b) Im Zusammenhang mit der Kreditgewährung geschlossene Sicherungsverträge sind nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn eine Bank einem insolvenzreifen Unternehmen zum Zwecke der Sanierung einen Kredit gegen Sicherheitsleistungen gewährt und dadurch in sittenwidriger Weise bewirkt, dass Dritte über die Kreditwürdigkeit des Unternehmens getäuscht werden (BGH, Urteil vom 9.7.1953 - IV ZR 242/52, Leitsatz und Rn. 10 ff, zitiert nach juris; OLG München, Urteil vom 24.7.1998 - 23 U 1620/98, Rn. 14, zitiert nach juris). Teilweise wird gefordert, dass eine Bank verpflichtet ist, vor der Krediteinräumung durch einen branchenkundigen Wirtschaftsfachmann eingehend und objektiv prüfen zu lassen, ob das Sanierungsvorhaben Erfolg verspricht (vgl. BGH, Urteil vom 9.7.1953 - IV ZR 242/52, Leitsatz und Rn. 10, zitiert nach juris; offen gelassen: BGH, Urteil vom 11.11.1985 - II ZR 109/84, BB 1986, 417 Rn. 14 ff, zitiert nach juris; zum Streitstand vgl. Häuser in Schimansky/8unte/Lwowski, a. a. O., § 85, Rn. 121; Obermüller, a. a. O., Rn. 5.49). Eine positive Prüfung durch einen externen Fachmann begründet zumindest einen ernsthaften Sanierungsversuch, der eine objektive Gläubigerbenachteiligung ausschließt (BGH, Urteil vom 4.12.1997 - IX ZR 47/97, BB 1998, 1023 m. BB-Komm. Wiester Rn. 28, zitiert nach juris). Unterlässt eine Bank die bei bevorstehendem Zusammenbruch des Schuldners gebotene Prüfung, so trifft sie der Vorwurf, sich leichtfertig über die Gefahr hinweggesetzt zu haben, dass andere Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht werden. Sittenwidrigkeit wird dann angenommen (BGH, Urteil vom 9.7.1953 - IV ZR 242/52, Leitsatz und Rn. 10; BGH, Urteil vom 19.3.1998 - IX ZR 22/97, BB 1998, 1966 Rn. 36, zitiert nach juris).


(c) Der Zeitpunkt, ab dem Sicherungsabreden bei Kreditgewährungen Gefahr laufen, wegen Verstoßes gegen § 138 Abs. 1 BGB nichtig zu sein, wird in Rechtsprechung und Lehre nicht einheitlich angenommen. Unstreitig ist, dass sich das Unternehmen in der Krise befunden haben muss, wobei unklar bleibt, wann eine Unternehmenskrise anzunehmen ist. Die vom BGH geforderte Insolvenzreife (BGH Urteil vom 9.7.1953 - IV ZR 242/52) wird teilweise bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, teilweise bereits im Zeitpunkt der Sanierungsbedürftigkeit angenommen (so Obermüller, a. a. O., Rn. 5.28; vgl. zur Diskussion: Schäffler, BB 2006, S. 56 ff).


(d) Eine Festlegung, ab wann die Schuldnerin sich im Zustand der Insolvenzreife befand, ist nicht erforderlich, da der erste von der Klägerin eingeräumte Kontokorrentkredit am 11.4.2002 über 1 Mio. Euro, der bereits durch die streitgegenständliche Grundschuld gesichert wurde, kein Sanierungskredit war und ein unredliches Verhalten der Klägerin in Zusammenwirkung mit der Schuldnerin nicht festgestellt werden kann. Aufgrund der unstreitigen Umstände und der vorgelegten Unterlagen ist nicht auszuschließen, dass die Klägerin auch später ernsthaft und mit aus ihrer Sicht tauglichen Mitteln die Sanierung der Schuldnerin angestrebt hat und sie sich bei der Gewährung der weiteren Kontokorrentkredite und dem Abschluss der Sicherungsvereinbarungen nicht sittenwidrig über Belange anderer gegenwärtiger und zukünftiger Gläubiger hinweggesetzt und deren Benachteiligung leichtfertig in Kauf genommen hat.


(aa) Der bereits mit der streitgegenständlichen Grundschuld gesicherte Kontokorrentkredit vom 11.4.2002 über 1 Mio. Euro war kein Sanierungskredit ...


(bb) Der den Kontokorrentkredit vom 11.4.2002 ablösende Kontokorrentkredit vom 20.3.2003 über 2 Mio. Euro stellt zwar eine Erweiterung des der Schuldnerin eingeräumten Kreditrahmens dar, kann aber keine weitergehende Gläubigerbenachteiligung begründen, nachdem die bestellten Gesellschaftssicherheiten nicht erweitert wurden. An diese Krediterweiterung und dessen Absicherung durch die Schuldnerin können die an die Sicherung eines Sanierungskredits gestellten Wirksamkeitsanforderungen nicht gestellt werden, denn nur neu eingeräumte Kredite und neu gewährte Sicherheiten können un ter das für Sanierungskredite entwickelte Regelungsregime subsumiert werden (vgl. bspw. OLG Köln, Urteil vom 9.1.2002 - 13 U 22/01, Rn. 26, zitiert nach juris; Obermüller, a. a. O., Rn. 5.29). Dies gilt ebenfalls für die nunmehr konkret durch die Grundschuld gesicherten Kontokorrentkredite der Klägerin vom 27.2./11.3.2008 und 3./7.7.2009, die ... den vorhergehenden Kredit vom 20.3.2003 über 2 Mio. Euro abgelöst haben und somit keine Sanierungskredite sind.


(cc) Ein subjektiv vorwerfbares Fehlverhalten der Klägerin kann zumindest nicht nachgewiesen werden. Nach den der Klägerin bei der Krediteinräumung vorliegenden und zur Grundlage ihrer Entscheidung gemachten Unterlagen und Liquiditätsplänen ging die Schuldnerin im Jahr 2002 und 2003 von temporären Liquiditätsengpässen aus, die sich jedoch ab 2003 deutlich reduzierten. Die Finanzierung der Schuldnerin durch die Klägerin war auch vertretbar, nachdem der Hauptaktionär und Geschäftsführer der Gesellschafter der Schuldnerin ... einerseits vermögend war und in beträchtlichem Umfang Gesellschaftersicherheiten zur Absicherung der eingeräumten Kredite zur Verfügung stellte und hierdurch zum Ausdruck brachte, am Fortbestand der Schuldnerin interessiert zu sein. Daneben ist zu berücksichtigen, dass die gewährte Gesellschaftssicherheit durch die Schuldnerin qualitativ eine untergeordnete Rolle spielt. Letztlich wurde auch eine - wenn auch nicht tragfähige - Konsolidierung erreicht, wie sich daran zeigt, dass im Jahr 2005 und 2006 unstreitig Überschüsse erwirtschaftet wurden und das Insolvenzverfahren erst 2010, also sieben bzw. acht Jahre nach der Gewährung der ersten Kredite, eingeleitet wurde. Die Sanierungsunfähigkeit der Schuldnerin musste sich für die Klägerin somit zum Zeitpunkt der ersten Krediteinräumung nicht aufdrängen (vgl. hierzu OLG München, Urteil vom 24.7.1998 - 23 U 1620/98, Rn. 14, zitiert nach juris). Der Einholung einer externen Stellungnahme eines branchenkundigen Wirtschaftsfachmannes bedurfte es zur Vermeidung unredlichen Verhaltens nicht.


  • Die Klägerin war nicht zur vorrangigen Verwertung der Gesellschaftersicherheiten nach §§ 44a, 39 Abs. 1 Nr. 5 lnsO verpflichtet

(3) Die Klägerin ist nicht nach §§ 44a, 39 Abs. 1 Nr. 5 lnsO verpflichtet, zunächst die Gesellschaftersicherheiten zu verwerten. Sie hat ein Wahlrecht hinsichtlich der Verwertung von Sicherheiten, das sie nicht derart auszuüben hat, die Verwertung der Gesellschaftssicherheiten erst vorzunehmen, wenn alle Gesellschaftersicherheiten verwertet sind.


(a) Die Vorschriften sind auf die Schuldnerin und die Gesellschaftersicherheit des Aktionärs und Geschäftsführers ... anzuwenden. Der Gesellschafter-Gesellschafter ist einem Gesellschafter gleichzustellen, wenn er einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschafter, vornehmlich auf Grund einer qualifizierten Mehrheit der Anteile oder Stimmrechte, ausüben kann (BGH, Urteil vom 20.7.2009 - II ZR 36/08, Rn. 20, zitiert nach juris). Durch die rechtsformneutral ausgestaltete Regelung in §§ 44a, 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 S. 1 lnsO finden die Vorschriften auf alle Gesellschaften Anwendung, die weder eine natürliche Person noch eine Gesellschaft als persönlich haftenden Gesellschafter haben, bei der ein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist. Erfasst sind somit auch Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person persönlich und unbeschränkt haftet. Dies ist bei der Schuldnerin, die als alleinige Gesellschafter eine AG und eine GmbH hat, der Fall. Ein eventuell bestehender Verlustausgleichsanspruch nach § 302 AktG begründet keine unbeschränkte persönliche Haftung des Aktionärs...vgl. Uhlenbruck/Hirte, lnsO, 13. Aufl., § 39, Rn. 58 f).


(b) Der durch Gesellschafts- und Gesellschaftersicherheiten des Aktionärs und Geschäftsführers ... doppelt gesicherten Klägerin steht ein Wahlrecht bei der Verwertung der eingeräumten Sicherheiten zu, das durch § 44a lnsO nicht eingeschränkt wird (BGH, Urteil vom 1.12.2011 - IX ZR 11/11, Rn. 13, zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.3.2012 - 14 U 28/11, Rn. 33, zitiert nach juris; Gehrlein in Schimansky/Bunte/Lwowski, a. a. O., § 84, Rn. 67). Hergeleitet wird das Wahlrecht aus der historischen Entwicklung des § 44a lnsO aus § 32a Abs. 2 GmbHG a. F., für den an­ erkannt war, dass es der freien Entscheidung des Drittgläubigers unterlag, ob er Gesellschafts- oder Gesellschaftersicherheiten in Anspruch nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 19.11.1984 - II ZR 84/84; Rn. 8, zitiert nach juris). Die gewünschte und gebotene Heranziehung des eine Sicherheit gewährenden Gesellschafters zur Haftung wurde durch die Einräumung eines Erstattungsanspruchs der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter unter den Voraussetzungen des § 32a GmbHG a. F. im Umfang der Befreiung gegenüber dem Gläubiger erreicht (BGH, Urteil vom 19.11.1984 - II ZR 84/84, Rn. 9, zitiert nach juris). Diese Gründe haben trotz Reform der lnsO und des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbrauch (MoMiG) ungeachtet fehlender gesetzlicher Regelung weiterhin Bestand (BGH, Urteil vom 1.12.2011 - IX ZR11/11, Rn. 10, 15, zitiert nach juris). Begründet wird dies mit einer ansonsten sich ergebenden weiteren Verschlechterung der Situation des absonderungsberechtigten Gläubi gers, dessen Position bereits durch die Insolvenzordnung beschränkt wurde und für die es keine gesetzliche Grundlage gibt (BGH, Urteil vom 1.12.2011 - IX ZR 11/11, Rn. 16, zitiert nach juris). Die in der Literatur vertretene Ansicht, der Drittgläubiger sei zunächst verpflichtet, die Gesellschaftersicherheit und dann erst die Gesellschaftssicherheit zu verwerten (vgl. Andres in Nerlich/Römermann, lnsO, EL 2009, § 44a, Rn. 16; K. Schmidt, BB 2008, 8.1966), ist mit der Entscheidung des BGH überholt.


Die Wahlmöglichkeit der Klägerin besteht unabhängig von der Frage, ob eine Gesellschaftssicherheit bereits verwertet wurde oder nicht. Auch spielt für das eingeräumte Wahlrecht keine Rolle, ob der Rückgriff auf den Gesellschafter für die Schuldnerin oder den Insolvenzverwalter mit erheblichen Problemen verbunden ist, zumal sich identische Probleme auch für die Klägerin stellen.


(c) Durch das eingeräumte Wahlrecht wird der Grundsatz, dass die Gesellschaftersicherheit im wirtschaftlichen Ergebnis vorrangig zu verwerten ist (BGH, Urteil vom 1.12.2011 - IX ZR 11/11, Rn. 10, zitiert nach juris), nicht ausgehebelt, da der Zugriff auf das Gesellschaftervermögen durch den Insolvenzverwalter über die analoge Anwendung der Anfechtungsmöglichkeit des§§ 135 Abs. 2, 143 Abs. 3 lnsO erfolgt. Der Gesellschafter hat die einem Dritten gewährte Leistung nach § 143 Abs. 3 S. 1 InsO zur Insolvenzmasse zu erstatten. Anfechtungsgegenstand ist hierbei entgegen der missverständlichen Formulierung des § 135 Abs. 2 lnsO nicht die Befriedigung des dritten Darlehensgebers, sondern das Freiwerden der Real- bzw. Personalsicherheit. Als Rechtshandlung im Sinne von § 135 Abs. 2 lnsO ist die Befreiung des Gesellschafters, der die Sicherheit gestellt hat, anzusehen. Diese kann auch durch die Verwertung einer von der Gesellschaft bestellten Sicherheit eintreten (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 14.3.2012 - 14 U 28/11, Rn. 32, zitiert nach juris).


  • Das Wahlrecht hinsichtlich der Verwertung von Sicherheiten besteht auch bei teilweiser Übersicherung

(4) Es kann dahingestellt bleiben, ob die der Klägerin eingeräumten Sicherheiten eine nachträgliche Übersicherung begründen, da eine Verpflichtung der Klägerin zur Freigabe der Gesellschaftssicherheit nach Ziff. 6 der Zweckerklärung über Grundschulden vom 27.2./13.3.2008 wegen ausreichender ordnungsgemäßer Kreditsicherung durch die Gesellschaftersicherheiten des Aktionärs ... auch bei einer anzunehmenden Übersicherung nicht besteht. Der Klägerin kommt im Falle einer Übersicherung ein Wahlrecht nach § 262 BGB zu, welche von mehreren selbständigen Sicherheiten sie im Falle teilweiser Übersicherung an den Sicherungsgeber zurückgibt (BGH, Urteil vom 3.7.2002 - IV ZR 227/01, Rn. 13, zitiert nach juris; Epp in Schimansky/Bunte/Lwowski, a. a. O., § 94, Rn. 390, 393). Dieses Wahlrecht muss auch dann bestehen, wenn mehrere Sicherungsgeber vorhanden sind. Wegen eines überschießenden Teils der Sicherheiten kann zwar ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch des Beklagten bei endgültig sich erweisender Übersicherung bestehen - eventuell bei teilweiser Tilgung auch ein Anspruch auf Rückgewähr eines entsprechenden Teils der Grundschuld (vgl. BGH, Urteil vom 8.12.1989 - V ZR 53/88, Rn. 10, zitiert nach juris) -, den er der Klägerin einredeweise entgegenhalten könnte. Nachdem die Klägerin aber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, sich für die Freigabe einer bestimmten Sicherheit zu entscheiden, steht dem Beklagten kein Freigabeanspruch bezüglich der streitgegenständlichen Sicherheit und keine sich hieraus ergebende Einrede zu. Das Wahlrecht steht in seiner Ausübung allein unter dem Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB (BGH, Urteil vom 9.6.1983 - III ZR 105/82, Rn. 39, zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 3.7.2002 - IV ZR 227/01, Rn. 13, zitiert nach juris). Umstände, die eine Verletzung dieses Gebotes belegen, werden vom Beklagten nicht dezidiert vorgetragen. Aufgrund des für die Klägerin bestehenden Wahlrechts zwischen der Verwertung der Gesellschafter- und der Gesellschaftssicherheit stellt die von der Klägerin getroffene Wahlentscheidung, sich aus dem Gesellschaftsvermögen zu befriedigen, auch keine vorwerfbare und gegen Treu und Glauben verstoßende Handlung dar. Nachdem die Klägerin nur hin sichtlich eines Teilbetrags von 50.000 Euro die Duldung der Zwangsvollstreckung beantragt, würde selbst ein Anspruch des Beklagten auf teilweise Rückübertragung der Grundschuld und eine sich hieraus ergebende Einrede bezüglich eines Teilanspruchs dem Beklagten nicht weiterhelfen ...


3.) Die Berufung des Beklagten ist auch unbegründet, soweit er die Abweisung der Widerklage angreift ... [wird ausgeführt].


  • Keine Zulassung der Revision

4.) Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache ist weder von grundsätzlicher Bedeutung, noch ist für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich.



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