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Wirtschaftsrecht
09.08.2023
Wirtschaftsrecht
OLG Düsseldorf: Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens

OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.7.2023 – VI-6 U 1/22 (Kart)

ECLI:DE:OLGD:2023:0727.6U1.22KART.00

Volltext: BB-Online BBL2023-1858-7

unter www.betriebs-berater.de

 

Amtliche Leitsätze

1. Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens.

2. Die Verjährung von Regressansprüchen gegen einen Geschäftsführer oder Vorstand wegen deren Beteiligung an einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch beginnt im Falle einer Grundabsprache mit dem letzten zu einer Bewertungseinheit zusammengefassten Teilakt („Einzeltat“).

 

 

Sachverhalt

Die Klägerinnen nehmen den Beklagten als ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin zu 1) und als ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 2) aus Organhaftung wegen der Beteiligung an wettbewerbswidrigen Kartellabsprachen und -abstimmungen auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin zu 1) begehrt den Ersatz des vom Bundeskartellamt wegen dieser Verhaltensweisen gegen sie verhängten Bußgeldes nebst Gebühren und Auslagen. Die Klägerin 2) verlangt den Ersatz ihr entstandener Aufklärungs- und Verteidigerkosten in Form von Kosten für ihre Verteidiger und IT-Kosten. Zudem begehren beide Klägerinnen die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten wegen möglicher künftiger Schäden, u.a. aus der Inanspruchnahme Dritter nach § 33a GWB.

 

Die Klägerinnen sind Gesellschaften der X.-Gruppe, einer Herstellerin metallischer Präzisions-Halbzeuge, spezialisiert auf Kaltumformung von rostfreiem Edelstahl, Titan, C-Stahl und Sonderwerkstoffen zu Band, Draht, Stab und Profil. Die X.-Gruppe erzeugt selbst keinen Edelstahl, sondern bezieht diesen von verschiedenen Stahlherstellern aus der ersten Marktstufe als Abnehmerin. Die Klägerin zu 1) ist die operative Gesellschaft der X.-Gruppe und eine 100%ige Tochtergesellschaft der Klägerin zu 2). Die Klägerin zu 2) ist die Holding der gesamten X.-Gruppe.

 

Der Beklagte war von 1998 bis Ende 2015 Vorstandsmitglied der Klägerin zu 2) und jedenfalls ab dem Jahr 2003 ihr Vorstandsvorsitzender. Gleichzeitig war er während des gesamten Zeitraums von 1998 bis 2015 - neben anderen - Geschäftsführer der Klägerin zu 1).

 

Zugunsten des Beklagten schloss die Klägerin zu 2) bei der Streithelferin des Beklagten eine Geschäftsleiterhaftpflichtversicherung (sog. Directors and Officers Liability) mit einer Deckungssumme in Höhe von .. Mio. € ab. Dem Versicherungsvertrag liegen die Versicherungsbedingungen .. zu Grunde. Darin ist u.a. geregelt, dass der Versicherer weltweit Versicherungsschutz für den Fall gewährt, dass eine der versicherten Personen wegen einer (behaupteten) Pflichtverletzung, die sie in ihrer Eigenschaft als geschäftsführendes Organ begangen hat, in Anspruch genommen wird. Der Versicherungsschutz erstreckt sich nicht auf Schadensersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung (dolus directus) der in Anspruch genommenen Person. Er erstreckt sich auch nicht auf gegen die versicherte Person verhängte Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Tatbestand des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main (2-08 O 313/20 vom 20.1.2023) verwiesen.

 

Die Klägerin zu 1) war als stahlverarbeitendes Unternehmen u.a. Mitglied des F. e.V. und des Wirtschaftsverbandes der D.. Der Beklagte nahm im Namen beider Klägerinnen regelmäßig an den Sitzungen des F.e.V. teil und gehörte seit November 1998 dem Vorstand sowie seit 2004 dem .. Vorstand dieser Vereinigung an. 2012 wurde er ihr Vorstandsvorsitzender. Außerdem nahm er für die Klägerin zu 1) bis Ende 2009 an Treffen des D. teil.

 

In der Zeit vom Ende des EGKS-Vertrages am 23.7.2002 bis zum 31.12.2015 beteiligte sich der Beklagte als Vertreter der Klägerin zu 1) an einem Preiskartell. Er traf als ihr Vertreter gemeinschaftlich handelnd mit Vertretern diverser anderer stahlherstellender, stahlverarbeitender und stahlvertreibender Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet waren und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezweckten und bewirkten. Zwischen den an diesem Kartell beteiligten Unternehmen - vertreten durch ihre jeweiligen Leitungspersonen einschließlich des Beklagten - bestand das Grundverständnis, einen Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen.

 

Sie praktizierten ein branchenweit einheitliches Preissystem aus Basispreis und Zuschlägen für die von den beteiligten Stahlherstellern bezogenen und weiter verarbeiteten eigenen Produkte, wobei die Zuschläge der Höhe nach wiederum unter den beteiligten Stahlherstellern abgestimmt waren. Hierbei handelte es sich um den Schrottzuschlag und den Legierungszuschlag, den die Stahlhersteller auf ihre Produkte erheben. Diesbezüglich bestand nicht nur zwischen den Stahlherstellern untereinander, sondern auch zwischen den Stahlherstellern und ihren Abnehmern auf der ersten Marktstufe sowie zwischen den Abnehmern der Stahlersteller untereinander der Grundsatz, die von den Stahlherstellern nach deren Systemen berechneten Schrott- und Legierungszuschläge sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig den eigenen Verträgen zugrunde zu legen. In der Verantwortung des Beklagten legte auch die Klägerin zu 1) auf Grundlage dieses gemeinsamen Grundverständnisses die von den Stahlherstellern berechneten Legierungszuschläge sowohl beschaffungs- als auch absatzseitig den eigenen Verträgen zugrunde. Auch im Handelsgeschäft mit Werkzeug- und Schnellarbeitsstählen legte die Klägerin zu 1) in der Verantwortung des Beklagten auf Grundlage des gemeinsamen Grundverständnisses den eigenen Verträgen den brancheneinheitlichen Schrottzuschlag zugrunde. Ebenfalls auf Grundlage des gemeinsamen Grundverständnisses veröffentlichten die betroffenen Unternehmen Preiszuschlagslisten im Internet, die hinsichtlich ihres Aufbaus, der Struktur und der Höhe weitgehend identisch und damit vergleichbar waren. Die damit einhergehende branchenweite Markttransparenz und Vergleichbarkeit - als Ersatz des Preismeldesystems der EU-Kommission unter dem EGKS-Vertrag - ermöglichte es den betroffenen Unternehmen, sich - entsprechend dem zu Zeiten des EGKS-Vertrages bestehenden Angleichungsrecht - scheinbar autonom an dem jeweiligen Marktführer auszurichten und das eigene Wettbewerbsverhalten hieran anzugleichen. Wie bereits zu Zeiten des EGKS-Vertrages, in der die betroffenen Unternehmen das Diskriminierungsverbot als Argument genutzt haben, um nicht von ihren Listenpreisen abzuweichen, diente danach die Einheitlichkeit der Zuschläge oftmals als Argument, Verhandlungen hierüber auszuschließen.

 

Die Klägerin zu 1) hatte aufgrund ihrer Marktstellung das beschaffungsseitig bestehende System zu akzeptieren. Auch absatzseitig musste sie zwangsläufig versuchen, die beschaffungsseitig vereinbarten Basispreise und Zuschläge an ihre eigenen Abnehmer weiterzureichen. Soweit sie teilweise intensiv über die Berechnung und Weitergabe von Zuschlägen verhandelte, bestand ein nicht unerheblicher Teil der Kunden der Klägerin zu 1) auf der branchenweit einheitlichen Berechnung der Zuschläge. Die Klägerin zu 1) hatte keine konstituierende Bedeutung für das Preissystem. Dem Beklagten ging es daher auch nicht um die Stabilisierung oder Erhaltung des einheitlichen Preissystems, sondern um die Absicherung der eigenen Beschaffung und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) auf der Weiterverarbeitungsstufe.

 

Bei den Sitzungen des F. e.V. und des .. Vorstands sowie bei den Sitzungen der D. tauschte sich der Beklagte mit den Vertretern diverser anderer an dem Kartell beteiligten Unternehmen (Lieferanten und Wettbewerbern) nicht nur über dieses branchenweit einheitliche Preissystem, sondern auch über die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände bei den Kunden und den Ablauf des Versands ihrer Produkte, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen aus. Bis Januar 2015 stellte der F. e.V. - seit 2012 unter dem Vorstandsvorsitz des Beklagten - monatlich den von den Stahlherstellern abgestimmten Schrottzuschlag den teilnehmenden Mitgliedsunternehmen zur Verfügung.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Tatgeschehens wird auf den Bußgeldbescheid des Bundekartellamts vom 4.7.2018 verwiesen.

 

Der Beklagte wurde durch die Hauptversammlung der Klägerin zu 2) im Zeitraum zwischen 2002 und 2014 jedes Jahr sowohl als Vorstand der Klägerin zu 2) als auch als Geschäftsführer der Klägerin zu 1) entlastet.

 

Der Beklagte beauftragte für den F. e.V. die Kanzlei I. mit einem kartellrechtlichen Audit, das im Januar/Februar 2015 durchgeführt wurde. Mit Schreiben vom 20.5.2015, auf das im Übrigen verwiesen wird (Anlage B 12), fasste Rechtsanwältin S. das Ergebnis des Audits u.a. wie folgt zusammen:

 

"Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass die aktuelle Arbeitsweise der F. im Großen und Ganzen den kartellrechtlichen Vorgaben entspricht. Zur Gewährleistung eines weitergehenden Sicherheitsabstands von kartellrechtlichen Risiken werden folgende weitere Maßnahmen ergriffen:

 

Im Rahmen der Sitzungstätigkeit wird auf Diskussionen unternehmensindividueller Themen zukünftig ganz verzichtet. Insbesondere Tischabfragen zu Neuigkeiten aus einzelnen Unternehmen unterbleiben vollständig.

 

Sitzungsprotokolle werden zukünftig als reine Ergebnisprotokolle geführt [...]

 

Die F. trägt keine Verantwortung für Inhalte und Ablauf von Fremdveranstaltungen zum Thema Edelstahl [...]

 

Alle Mitarbeiter werden in regelmäßigen Zeitabständen kartellrechtliche Compliance-Schulungen der Wirtschaftsvereinigung .. besuchen [...]".

 

Der F. e.V. beauftragte ferner die N. Rechtsanwaltsgesellschaft mit der kartellrechtlichen Einschätzung der ab Januar 2015 beabsichtigten "Erhebung der durchschnittlichen Stahlschrott-Einkaufspreise". In einer Stellungnahme vom 15.11.2015 hielt die Kanzlei N. die Erhebung einer solchen Statistik unter näher beschriebenen Voraussetzungen für zulässig. Hierzu gehörte insbesondere, dass der Ablauf der Datenerhebung und -mitteilung so gestaltet wird, dass kein Mitglied Zugang zu den individuellen eingelieferten Daten hat. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage B 13 Bezug genommen.

 

Im Jahr 2015 entschieden die Klägerinnen, die bestehenden Verträge mit dem Beklagten aus unternehmerischen Gründen nicht fortzusetzen. Spätestens ab August 2015 wurde der Beklagte freigestellt. Im Dezember 2015 schlossen die Klägerin zu 2), vertreten durch den Aufsichtsrat, und der Beklagte mit Wirkung zum 31.12.2015 einen Aufhebungsvertrag über das Dienstverhältnis des Beklagten als Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 2).

 

Nach § 1 Nr. 2

 

"sind sich die Parteien einig, dass zwischen Herrn Dr. R. und der Gesellschaft sowie sonstigen Unternehmen der X.-Gruppe keine weiteren Dienst- und Arbeitsverhältnisse bestehen".

 

Nach § 15 sind

 

"alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Dienstvertrag und aus Anlass seiner Beendigung, die nicht in dieser Vereinbarung geregelt sind, unabhängig davon, ob bekannt oder unbekannt, fällig oder fällig werdend, mit Erfüllung dieser Vereinbarung erledigt. Ausgenommen sind Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Handlung und Ansprüche aus dem Mindestlohngesetz."

 

Wegen der Einzelheiten wird auf den Aufhebungsvertrag Bezug genommen (Anlage B 17).

 

Im November 2015 nahm das Bundeskartellamt erste Durchsuchungen wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Absprachen und Abstimmungen in der Edelstahlbranche vor. Weitere Durchsuchungen folgten u.a. am 7.4.2016 und am 20.4.2016. Nachdem bis dahin - beginnend ab März 2015 - zahlreiche geständige Einlassungen diverser an dem Kartell beteiligter Unternehmen und Betroffener beim Bundeskartellamt eingegangen waren, teilte das Bundeskartellamt dem Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 2), T., mit Schreiben vom 12.9.2016 (Anlage K 1) mit, dass es ein Ermittlungsverfahren gegen Hersteller von Stahlprodukten wegen des Verdachts wettbewerbswidriger Absprachen und Verhaltensweisen führe. Nach Darlegung des Tatvorwurfs erläuterte das Amt, dass die Beschlussabteilung auch "gegen die X. AG einschl. der mit ihr verbundenen X. GmbH ein Ermittlungsverfahren eingeleitet" habe.

 

Die Klägerin zu 2) beauftragte daraufhin die auf kartellrechtliche Ermittlungsverfahren spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei K. mit der internen Aufklärung des Sachverhalts und der Vertretung gegenüber dem Bundeskartellamt. Mit inhaltlich gleichem Schreiben vom 24.11.2016 (Anlage K 2), gerichtet an die vorgenannte Anwaltskanzlei, informierte das Bundeskartellamt auch die Klägerin zu 1) über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens.

 

Mit Vertrag vom 6./7.12.2016 beauftragte der Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2), in deren Namen die M. GmbH. Das Unternehmen wertete, sichtete und verwahrte im Hinblick auf das kartellrechtliche Ermittlungsverfahren elektronisch gespeicherte Daten von 11 Mitarbeitern u.a. aus 11 Laptops und acht Handys.

 

Nach weiteren unternehmensinternen Aufklärungsmaßnahmen setzten die Klägerinnen am 12.12.2016 beim Bundeskartellamt einen "Marker" und erklärten ihre Bereitschaft zur Kooperation nach Maßgabe der Bonusregelungen des Bundeskartellamtes.

 

Nachdem die Haftungsfrage des Beklagten zwischen den Parteien ohne Ergebnis erörtert worden war, verzichtete der Beklagte mit Vereinbarung vom 15.12.2016 auf die Erhebung der Einrede der Verjährung, soweit es um Ansprüche geht, die gegebenenfalls nach Abschluss der Vereinbarung und vor dem bestandskräftigen Abschluss des Kartellordnungswidrigkeitenverfahrens verjähren würden. Nachdem die Klägerin zu 2) zunächst noch in der Einladung zur außerordentlichen Hauptversammlung am 22.12.2016 die Entlastung des Beklagten für das Geschäftsjahr 2015 vorgeschlagen hatte, wurde dem Beklagten dann aber eine Entlastung wegen des laufenden Ermittlungsverfahrens verweigert.

 

Mit Schriftsatz vom 13.2.2017 legten die Klägerinnen dem Bundeskartellamt einen mit dem Beklagten abgestimmten Bonusantrag vor. Dieser reichte ebenfalls einen Bonusantrag ein, mit dem der Bonusantrag der Klägerinnen im Wesentlichen bestätigt wurde. Es wurde dann mit dem Bundeskartellamt über ein Settlement verhandelt. Am 29.1.2018 akzeptierten die Klägerinnen und der Beklagte das vom Bundeskartellamt vorgeschlagene Settlement. Aufgrund des von den Klägerinnen und dem Beklagten eingeräumten Sachverhalts erließ das Bundeskartellamt am 4.7.2018 einen Kurzbußgeldbescheid, mit dem es gegen den Beklagten ein Bußgeld .. wegen einer vorsätzlichen Kartellordnungswidrigkeit gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV festsetzte. Gegen die Klägerin zu 1) verhängte es ein solches in Höhe von .. €. Die Geldbußen hatten ausschließlich ahndenden Charakter. Von einer Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile sah das Bundeskartellamt ab. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beklagten und der Klägerin zu 1) als Gesamtschuldnern auferlegt, wobei auf die Klägerin zu 1) Gebühren in Höhe von .. € und Auslagen in Höhe von .. € entfielen. Wegen der Einzelheiten wird auf den bestandskräftigen Bußgeldbescheid verwiesen (Anlage K 4). Mit Schreiben vom 6.8.2018, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Anlage K 6), stellte das Bundeskartellamt das Bußgeldverfahren gegen die Klägerin zu 2) aus Ermessensgründen nach § 47 Abs. 1 OWiG ein.

 

Die Klägerin zu 1) zahlte das Bußgeld nebst Gebühren und Auslagen. Beide Klägerinnen fürchten Schadenersatzansprüche, namentlich solche aus einer Inanspruchnahme potentiell Geschädigter auf Schadensersatz nach § 33a GWB. Hierbei droht nicht nur die Inanspruchnahme durch eigene Abnehmer, sondern auch seitens der Abnehmer jedes an dem Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmens. Die tatsächliche Höhe etwaiger Schadenersatzansprüche kann derzeit nicht abgeschätzt werden. Bislang haben zwei Kunden Schadensersatz gefordert.

 

Mit Vereinbarung vom 30.7.2018 bestätigten die Parteien die Verjährungsverzichts-Vereinbarung. Wegen der Einzelheiten wird auf § 1 dieser Vereinbarung verwiesen (Anlage BK 12). Mit weiteren Vereinbarungen vom 10.12.2018, 15.2.2019 und 24.4.2019 wurde der Verjährungsverzicht verlängert, zuletzt bis zum 30.6.2019.

 

Die Streithelferin des Beklagten lehnte diesem gegenüber mit Schreiben vom 12.6.2019 und vom 4.7.2019, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Anlagen B 1), eine Deckung für die von den Klägerinnen geltend gemachten Schäden ab. Dies geschah u.a. mit dem Hinweis, dass der Regress von Bußgeldern wegen vorsätzlicher, wissentlicher Kartellverstöße nicht versichert sei. Mit Urteil vom 20.1.2023 verurteilte das Landgericht Frankfurt am Main (Az. 2-08 O 313/20) die Streithelferin zur Leistung von Deckungsschutz bis zur Höhe der Deckungssumme. Der Beklagte habe nicht wissentlich im Sinne der Versicherungsbedingungen gehandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf dieses Urteil verwiesen.

 

Die Klägerinnen haben die Ansicht vertreten, der Beklagte hafte wegen seines wettbewerbswidrigen Verhaltens für das gegen die Klägerin zu 1) verhängte Bußgeld einschließlich Auslagen, für die der Klägerin zu 2) entstandenen Rechtsverfolgungskosten sowie für heute noch nicht bezifferbare künftige Schäden aus einer potentiellen Inanspruchnahme Dritter nach § 33a GWB.

 

Die Klägerinnen haben behauptet, die Klägerin zu 2) habe zur tatsächlichen und rechtlichen Aufklärung des Sachverhalts im Ermittlungsverfahren Rechtsanwaltskosten in Höhe von .. aufgewendet. Diese Kosten, die ausschließlich zur Abwehr des Bußgeldes im Ermittlungsverfahren angefallen seien, seien erforderlich und angemessen, da ihnen ein Bußgeld von bis zu 10 % des Konzernumsatzes, also bis zu .. Mio. €, gedroht habe. Durch die getroffenen Maßnahmen habe das Bußgeld gegen die Klägerin zu 1) auf .. € und für die Klägerin zu 2) auf null reduziert werden können. Ferner seien der Klägerin zu 2) Auslagen .. für den externen IT-Dienstleister M. GmbH für die tatsächliche Aufarbeitung des Sachverhalts entstanden. Auch diese Kosten seien nur für das Ermittlungsverfahren zur Abwehr bzw. Reduzierung des drohenden Bußgeldes aufgewendet worden.

 

Die Klägerinnen haben gemeint, der Beklagte könne sich nicht auf eine Vorteilsausgleichung berufen, sein Vortrag sei unsubstantiiert, er sei für die Voraussetzungen darlegungs- und beweispflichtig. Im Übrigen hätten sie aus dem Pflichtverstoß des Beklagten keine ausgleichsfähigen Vorteile erlangt.

 

Wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das Urteil des Landgerichts (Bl. 212 f. GA) verwiesen.

 

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, er habe sich in einem schuldausschließenden unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Hierzu hat er behauptet, ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er oder die Klägerin zu 1) durch die im Bußgeldbescheid geahndeten Verhaltensweisen gegen Wettbewerbsrecht verstoßen hätten. Er sei gutgläubig gewesen und habe sich mit einem branchenweiten System konfrontiert gesehen. Trotz Prüfung der Rechtslage und Einholung entsprechenden Rechtsrats sei für ihn nicht erkennbar gewesen, dass die betreffenden Verhaltensweisen wettbewerbswidrig gewesen seien. So hätten sowohl die Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) als auch die externen Gutachten der Rechtsanwältin S. und der Kanzlei N. keine Veranlassung gegeben, von einem wettbewerbswidrigen Verhalten auszugehen. Das Preissystem sei seit Jahrzehnten etabliert, offen und von der gesamten Stahlbranche praktiziert worden.

 

Der Beklagte hat die Geltendmachung von Schadensersatz für rechtsmissbräuchlich gehalten. Er hat behauptet, er habe auf stillschweigende Weisung der Klägerinnen gehandelt. Das gelebte Preissystem sei den Klägerinnen und ihren Vertretern, insbesondere dem damaligen Vorstandsmitglied und heutigem Vorsitzenden des Vorstands der Klägerin zu 2), T., sowie dem Aufsichtsrat und Eignern der Klägerin zu 2) bekannt gewesen. T. habe sich als Vorstandsmitglied der Klägerin zu 2) und als Geschäftsführer der Klägerin zu 1) ebenso wie zahlreiche weitere Führungspersonen und Mitarbeiter der Klägerinnen an den ihm nun vorgeworfenen Verhaltensweisen beteiligt. So habe T. seit 2010 an diversen Sitzungen des F. e.V. und der D. teilgenommen. Im Übrigen sei der Beklagte im Zeitraum von 2002 bis 2014 jeweils in der Hauptversammlung der Klägerin zu 2) als Vorstand und Geschäftsführer trotz voller Kenntnis aller Beteiligten von den das Grundverständnis konstituierenden Umständen und seinem gesamten als wettbewerbswidrig eingestuften Verhalten entlastet worden.

 

Der Beklagte hat gemeint, die Erledigungsklausel in § 15 des Aufhebungsvertrages stehe seiner Haftung entgegen, da sein Verhalten allenfalls als leicht fahrlässig zu bewerten sei. Die Forderungen hätten darüber hinaus eine existenzvernichtende Wirkung.

 

Der Beklagte hat ferner die Ansicht vertreten, eine Kartellgeldbuße gegen ein Unternehmen könne im Regressfall nicht als Schaden ersetzt verlangt werden. Dem stünden die Wertungen des Kartellrechts entgegen. Jedenfalls sei kein regressfähiger Schaden entstanden, weil die Klägerinnen durch das Verhalten des Beklagten erheblich wirtschaftlich profitiert hätten. Die Klägerinnen seien darlegungs- und beweispflichtig, dass ihnen keine kartellbedingten Gewinne verblieben seien.

 

Mit Nichtwissen hat der Beklagte die von der Klägerin zu 2) geltend gemachten Rechtsanwalts- und IT-Kosten bestritten und hinsichtlich der Rechtsanwaltsgebühren eine unzureichende Substantiierung gerügt. Diese Kosten seien nicht notwendig gewesen und teilweise bei der Klägerin zu 1) entstanden. Mit Nichtwissen hat der Beklagte bestritten, dass die Auslagen für den externen IT-Dienstleister M. im Zusammenhang mit der Aufklärung der Wettbewerbsverstöße angefallen seien.

 

Die seit dem 28.6.2019 anhängige Klage ist dem Beklagten am 30.7.2019 zugestellt worden.

 

Mit Urteil vom 10.12.2021 hat das Landgericht unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 4.7.2018 dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren. Die Klägerin zu 1) könne von dem Beklagten dem Grunde nach Schadensersatz aus § 43 Abs. 2 GmbHG beanspruchen. Durch den Kartellverstoß habe der Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1) eine Pflichtverletzung begangen. Dies sei schuldhaft erfolgt. Anhaltspunkte für eine wissentliche und willentliche Pflichtverletzung, also vorsätzliches Handeln, bestünden nicht. Jedoch habe der Beklagte fahrlässig gehandelt. Unter Anlegung eines objektiven Maßstabs hätte er wissen müssen, dass sein Verhalten rechtswidrig gewesen sei. Selbst wenn man von einer unklaren Rechtslage ausgehen wolle, hätte der Beklagte zu Beginn seiner Teilnahme im Jahr 2003 Rechtsrat einholen müssen und nicht erst im Jahr 2015. Der Beklagte könne der Klägerin zu 1) im Innenverhältnis nicht das Mitverschulden anderer Geschäftsführer entgegenhalten, weil dem der Sinn der in § 43 Abs. 2 GmbHG angeordneten Solidarhaftung entgegenstehe.

 

Auch ein Überwachungsverschulden könne er nicht einwenden, weil die jeweiligen Organpflichten nebeneinander bestünden.

 

Eine Haftung entfalle nicht wegen der im Laufe der Jahre erteilten Entlastungen. Diese erfassten nur Ansprüche, deren Existenz bei sorgfältiger Prüfung erkennbar gewesen sei. Dies setze die Erkennbarkeit bzw. Kenntnis der entsprechenden Umstände durch alle Gesellschafter voraus. Insoweit sei es Aufgabe des Geschäftsführers, die Gesellschafter über alle relevanten Vorgänge und Vorkommnisse zu informieren. Dies sei hier nicht geschehen, zumal der Beklagte die objektiv gebotene Einholung von Rechtsrat unterlassen habe. Aus diesem Grund sei die Haftung des Beklagten auch nicht durch eine sonstige Billigung oder stillschweigend erklärte Einverständniserklärung ausgeschlossen. Die jedenfalls unvollständige Information der Gesellschafter stehe der Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Klägerinnen entgegen.

 

Die Forderung der Klägerin zu 1) sei nicht durch den zwischen der Klägerin zu 2) und dem Beklagten geschlossenen Aufhebungsvertrag erloschen. Soweit der Aufhebungsvertrag Forderungen der Klägerin zu 1) mitumfasse, liege ein unwirksamer Vertrag zu Lasten Dritter vor.

 

Die Frage der Vorteilsausgleichung könne für den Feststellungsantrag dahinstehen, weil nicht auf erste Sicht und ohne eine aufwändige Sachverhaltsklärung festzustellen sei, dass der eingeklagte Kartellschaden in voller Höhe weitergegeben worden sei.

 

Aus denselben Gründen sei der Feststellungsantrag der Klägerin zu 2) gemäß § 93 Abs. 2 AktG begründet. Der in dem Aufhebungsvertrag vereinbarte Forderungsverzicht sei gegenüber der Klägerin zu 2) gemäß § 93 Abs. 4 S. 3 AktG unwirksam.

 

Der Klageantrag zu 1) sei unbegründet. Die Haftung des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 2 GmbHG umfasse nicht die Erstattung eines gegen die GmbH vom Bundeskartellamt nach deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht verhängten Unternehmensbußgeldes. Eine solche Haftung widerspreche dem Sanktionszweck des § 81 GWB. Der Schutzzweck der Haftungsnorm sei - was detailliert ausgeführt wird - einzuschränken. Diese Erwägungen führten dazu, dass auch der Klageantrag zu 2) unbegründet sei. Die Verteidigungskosten im Bußgeldverfahren seien von der Klägerin zu 2) mit dem Ziel aufgewendet worden, die Höhe des ihr bzw. der Klägerin zu 2) drohenden Bußgelds zu reduzieren, für das der Beklagte jedoch nicht einzustehen habe.

 

Gegen dieses Urteil wenden sich der Beklagte und die Klägerinnen mit ihren jeweils form- und fristgerecht eingelegten, selbständigen Berufungen.

 

Der Beklagte meint, das Landgericht habe nicht hinreichend seinen Tatsachenvortrag gewürdigt, insbesondere nicht hinsichtlich des Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums. Der Kartellverstoß sei für ihn und einen gewissenhaften, informierten, ordentlichen und redlichen Geschäftsführer nicht erkennbar gewesen. Er hätte die unklare oder umstrittene Rechtslage nicht erkennen können, zumal die Umstände hier atypisch gewesen seien. So habe auch das Bundeskartellamt nur aufgrund einer Kumulation der Gesamtumstände einen Kartellverstoß angenommen. Unstreitig sei er an den Absprachen der Stahlhersteller auf der ersten Marktstufe nicht beteiligt gewesen. Er und die Klägerinnen hätten auf der zweiten Marktstufe eine völlig untergeordnete Rolle gespielt. Die eingeholten Rechtsgutachten hätten sein Verhalten als kartellrechtlich unbedenklich bewertet. Die kartellrechtliche Praxis habe sich im Laufe der Jahre bis 2018 erst entwickelt. Die anzuwendenden kartellrechtlichen Maßstäbe seien im Jahr 2003 noch viel geringer gewesen. Zu berücksichtigen sei, dass die gesamte Branche das System praktiziert habe und dem Bundeskartellamt bekannt gewesen sei.

 

Der Beklagte behauptet, er habe die Absprachen der Stahlhersteller und damit einen zentralen Punkt des vorgeworfenen Kartellverstoßes nicht gekannt. Auch der Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) sei nie davon ausgegangen, dass kartellrechtlich etwas nicht korrekt gewesen sein könnte. Selbst wenn er, der Beklagte, bereits im Jahr 2003 Rechtsrat eingeholt hätte, hätte dies zu keinem anderen Ergebnis geführt.

 

Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung. Er vertritt die Auffassung, zum Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage seien solche Schadensersatzansprüche verjährt gewesen, die bereits vor dem 28.6.2014 entstanden seien. Den durch den Kartellverstoß geschädigten Dritten sei jeweils ein Schaden im Zeitpunkt der Durchführung der kartellbefangenen Transaktion entstanden. Gleichzeitig sei ein entsprechender Anspruch der Klägerinnen gegen den Beklagten entstanden, den diese zu diesem Zeitpunkt im Wege der Feststellungsklage hätten geltend machen können.

 

Der Beklagte beantragt,

 

1. unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 10.12.2021, Az.: 37 O 66/20 (Kart), die Klage auf Feststellung, dass er verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 4.7.2018 (Az.: B12-21/17, U2 und P1) dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren, abzuweisen,

 

2. hilfsweise für den Fall, dass das Gericht von einer schuldhaften Pflichtverletzung durch ihn i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 AktG ausgehen sollte, unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 10.12.2021, Az.: 37 O 66/20 (Kart), die Klage auf Feststellung, dass er verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Schäden zu leisten, die aus dem im Bußgeldbescheid des Bundeskartellamtes vom 4.7.2018 (Az.: B12-21/17, U2 und P1) dargestellten Wettbewerbsverstoß resultieren, insoweit abzuweisen, als diese Schäden auf einem Kartellschaden beruhen, der Dritten vor dem 28.6.2014 entstanden ist.

 

Die Klägerinnen beantragen,

 

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

 

Sie meinen, der Bußgeldbescheid stelle nicht nur den Pflichtverstoß, sondern auch das Verschulden des Beklagten bestandskräftig fest. Er könne nicht aufgrund der gleichen Handlung einerseits ordnungsrechtlich schuldhaft und andererseits zivilrechtlich entschuldigt gehandelt haben. Den Schuldvorwurf habe er vor dem Bundeskartellamt akzeptiert. Eine Erleichterung oder Relativierung des Verschuldensmaßstabs bei Verstößen gegen die Legalitätspflicht komme nicht in Betracht. Es hätte nahegelegen, die noch zulässigen Verhaltensweisen nach Auslaufen des EGKS-Vertrags im Jahr 2002 rechtlich prüfen zu lassen. Tatsächlich sei nicht nur von einem fahrlässigen, sondern einem bedingt vorsätzlichen Pflichtverstoß des Beklagten auszugehen.

 

Der Beklagte sei mit der Einrede der Verjährung präkludiert. Außerdem habe er wirksam bis zum 30.6.2019 auf die Erhebung dieser Einrede verzichtet, so dass die Klageerhebung rechtzeitig erfolgt sei, um etwaige Ansprüche zu hemmen. Es sei rechtsmissbräuchlich, sich auf die Verjährungseinrede zu berufen. Der Schadensersatzanspruch sei am 12.9.2016 entstanden, so dass Verjährung erst am 12.9.2021 eingetreten sein könne. Die Verjährung beginne nicht mit der pflichtverletzenden Handlung, sondern mit Eintritt des durch die Verletzungshandlung verursachten Schadens. Erst am 31.12.2015 habe die pflichtverletzende (Dauer-) Handlung des Beklagten ein Ende gefunden.

 

Mit ihrer Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr erstinstanzliches Begehren weiter, soweit sie vor dem Landgericht unterlegen waren. Sie meinen, auch das Bußgeld und die für die Rechtsverfolgung angefallenen Kosten seien nach der Differenzhypothese ein ersatzfähiger Schaden im Sinne von § 249 BGB. Dies folge aus den §§ 43 Abs. 2 GmbHG, 93 Abs. 2 AktG, 249 ff. BGB. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass der Gesetzgeber in sämtlichen Novellen des Aktien- und GmbH-Rechts trotz entsprechender Forderungen nie eine Haftungsbeschränkung von Organmitgliedern normiert habe. Dies auch deshalb, weil - wie auch seitens der Klägerinnen geschehen - zugunsten von Organmitgliedern D&O-Versicherungen abgeschlossen werden könnten. Auch habe der Bundesgerichtshof, etwa in den sogenannten Beraterfällen, Bußgelder als ersatzfähigen Schaden anerkannt.

 

Hinsichtlich der Abweisung des Klageantrags zu 2) sei die Entscheidung des Landgerichts überraschend. Warum die Rechtsverfolgungskosten schadensrechtlich wie das Bußgeld zu behandeln seien, habe das Landgericht nicht erläutert. Die durch einen Pflichtverstoß ausgelösten Ermittlungskosten seien ersatzfähig. Sie behaupten unter Vorlage der Anlagen BK 2 bis BK 11, die dort aufgeführten und näher beschriebenen und nach Daten aufgelisteten Tätigkeiten ihrer Verteidiger seien tatsächlich angefallen, abgerechnet und von der Klägerin zu 2) bezahlt worden sowie in der Sache erforderlich und angemessen.

 

Die Klägerinnen beantragen,

 

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 10.12.2021, Az.: 37 O 66/20 (Kart), den Beklagten über die bislang ausgesprochene Verurteilung hinaus zu verurteilen,

 

1. an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von .. zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

 

2. an die Klägerin zu 2) einen Betrag in Höhe von .. zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

 

Der Beklagte und seine Streithelferin beantragen,

 

die Berufungen der Klägerinnen zurückzuweisen.

 

Der Beklagte meint, dass das Landgericht zutreffend eine Regressfähigkeit von Kartellbußen abgelehnt habe. Mit Nichtwissen bestreite er, dass die Kanzlei K. den Klägerinnen Rechnungen gestellt hätte und diese tatsächlich bezahlt worden seien. Die im Berufungsverfahren vorgelegten Übersichten seien weder nachvollziehbar noch der Höhe nach angemessen.

 

Die Streithelferin ist - auf Grundlage einer umfangreichen Argumentation, auf die Bezug genommen wird - ebenfalls der Ansicht, dass die gegen die Klägerin zu 1) verhängte Geldbuße kein ersatzfähiger Schaden sei.

 

Aus den Gründen

B.

 

Die Berufungen sind zulässig, aber unbegründet.

 

I. Berufung des Beklagten

 

Die Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg. Soweit das Landgericht den Beklagten auf den Klageantrag zu 3) hin antragsgemäß verurteilt hat, beruht die Entscheidung des Landgerichts weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

 

Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen Schadensersatz zu leisten für alle Schäden, die über die mit den Klageanträgen zu 1) und 2) verfolgten Schäden hinausgehen und die auf dem Wettbewerbsverstoß des Beklagten beruhen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der von dem Beklagten im Berufungsverfahren erstmals erhobenen Einrede der Verjährung.

 

1. Zulässigkeit der Feststellungsklagen

 

Die Feststellungsklagen beider Klägerinnen sind zulässig.

 

Die Klägerinnen haben ein rechtliches Interesse, dass die Verpflichtung des Beklagten zum Schadensersatz, soweit er über die mit den Klageanträgen zu 1) und 2) geltend gemachten Schäden hinausgeht, festgestellt wird. Zwar besteht ein berechtigtes Interesse an der Erhebung einer positiven Feststellungsklage grundsätzlich nicht, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17, NJW 2019, 661; BGH, Urteil vom 9.6.1983, III ZR 74/82, NJW 1984, 1118, 1119). Sie ist jedoch zulässig, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger seinen Anspruch deshalb ganz oder teilweise nicht beziffern kann. Ist bereits ein Teil des Anspruchs bezifferbar, steht es dem Kläger frei, diesen Teil durch Leistungsklage und den Rest durch einen ergänzenden Feststellungsantrag geltend zu machen. Er darf stattdessen aber auch den gesamten Anspruch im Wege der Feststellungsklage einklagen (vgl. BGH, Urteil vom 30.3.1983, VIII ZR 3/82, NJW 1984, 1552, 1554).

 

Beiden Klägerinnen, die nach den unangefochten gebliebenen Feststellungen des Landgerichts bereits mit Schadensersatzansprüchen Dritter nach § 33a GWB konfrontiert wurden, drohen unstreitig Schäden, die über die Klageanträge zu 1) und 2) hinausgehen, namentlich solche aus einer Inanspruchnahme potentiell Geschädigter auf Schadensersatz nach § 33a GWB. Einige geschädigte Dritte haben bei den Klägerinnen bereits Schadensersatzansprüche angemeldet. Den Klägerinnen droht nicht nur die Inanspruchnahme durch eigene Abnehmer, sondern auch seitens aller Abnehmer jedes an dem Wettbewerbsverstoß beteiligten Unternehmens sowie seitens deren Abnehmern. Die tatsächliche Höhe der Inanspruchnahme kann nach dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Klägerinnen derzeit nicht abgeschätzt werden.

 

2. Begründetheit der Feststellungsklagen

 

Die Feststellungsklagen beider Klägerinnen sind begründet.

 

Begründet ist eine Feststellungsklage, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann.

 

Diese Voraussetzungen sind bei beiden Klägerinnen gegeben, wobei dahingestellt bleiben kann, ob dafür die Möglichkeit eines Schadens ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 9.1.2007, VI ZR 133/06, NJW-RR 2007, 601) oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Schadenseintritt - entsprechend der Rechtsprechung zum zulässigen Erlass eines Grundurteils (vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 - Schienenkartell, NJW 2019, 661-668, Rn. 38) - gegeben sein muss (vgl. BGH, Urteil vom 24.1.2006, XI ZR 384/03). Jedenfalls besteht hier auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für einen Schaden.

 

a) Begründetheit der Feststellungsklage der Klägerin zu 1)

 

Die Klägerin zu 1) hat gegenüber dem Beklagten einen Anspruch auf Schadensersatz dem Grunde nach gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG.

 

Nach § 43 Abs. 2 GmbHG haftet der Geschäftsführer einer GmbH im Innenverhältnis für alle Schäden der Gesellschaft, die er auf Grund der Verletzung einer ihm obliegenden Pflicht schuldhaft verursacht. Da es bei der Feststellungsklage noch nicht auf den Eintritt eines kausalen Schadens ankommt, genügt es festzustellen, dass der Beklagte eine ihm der Klägerin zu 1) gegenüber obliegende Pflicht schuldhaft verletzt hat.

 

Das ist der Fall. Der Beklagte hat seine Legalitätspflichten vorsätzlich verletzt.

 

aa) Pflichtverletzung

 

Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte die ihm obliegenden Legalitätspflichten verletzt hat. Diese verpflichten ihn, sämtliche Rechtsvorschriften zu beachten, die die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen. Dazu gehört, dass er zwingende gesetzliche Verhaltensvorgaben der Rechtsordnung, also insbesondere auch des Kartellrechts, uneingeschränkt beachten muss. Diese Pflicht ist ohne weiteres verletzt, wenn der Geschäftsführer gegen Vorschriften des europäischen und deutschen Kartellrechts verstößt. Dabei ist es unerheblich, ob der Gesetzesverstoß im vermeintlichen Interesse der Gesellschaft begangen wurde. Ein unternehmerisches Ermessen des Organvertreters zur Begehung sog. nützlicher Gesetzesverstöße besteht nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27.8.2010, 2 StR 111/09, NJW 2010, 3458 Rn. 29; LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 43, 30; Oetker, in: Henssler/Strohn GesR, 5. Aufl. 2021, GmbHG § 43 Rn. 25; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 10).

 

Nach den Feststellungen des Landgerichts (vgl. Urteil des Landgerichts, S. 12 Ziffer II Nr. 1), die sich wiederum auf die erstinstanzlich unstreitig gebliebenen Feststellungen des Bundeskartellamts im Bußgeldbescheid stützen, war der Beklagte über einen über 13 Jahre währenden Zeitraum an wettbewerbsbeschränkenden Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt, die den Tatbestand von § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung erfüllen. Wegen der Einzelheiten der Tathandlung wird auf die Ausführungen im Tatbestand dieses Urteils verwiesen. Erstinstanzlich wie auch in der Berufung wendet sich der Beklagte allein gegen die Feststellung des Landgerichts, er habe schuldhaft gehandelt, ohne die festgestellten einzelnen Tathandlungen als solche anzuzweifeln.

 

An die Feststellungen des Landgerichts hinsichtlich der Tathandlungen des Beklagten ist der Senat gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Hätte die Berufung die festgestellten Tathandlungen angreifen wollen, hätte sie eine Begründung enthalten müssen, warum die Bindung an die festgestellten Tatsachen ausnahmsweise nicht bestehen soll. Nach § 520 Abs. 2 Nr. 3 ZPO muss der Berufungsführer konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (vgl. BGH, Urteil vom 28.5.2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531). Das ist nicht geschehen. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Feststellungen in dem Bußgeldbescheid für einen Schadensersatzprozess der vorliegenden Art, der sich nicht auf § 33 Abs. 2 GWB a.F., sondern auf § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG stützt, auch nach § 33 Abs. 4 GWB a.F. bindend sind (vgl. zu dieser Problematik: Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG, Rn. 210).

 

Das im Bußgeldbescheid und vom Landgericht festgestellte wettbewerbswidrige Verhalten des Beklagten verstieß während des gesamten Tatzeitraums von Juli 2002 bis Dezember 2015 durchgängig gegen deutsche und europäische Kartellnormen und war bußgeldbewehrt (vgl. § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB in den Fassungen vom 26.8.1998 und 10.11.2001 jeweils i.V.m. § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998; § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB in den Fassungen vom 7.7.2005, 15.7.2005 und 18.12.2007 jeweils i.V.m. Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002; § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB in den Fassungen vom 18.12.2007, 12.11.2010, 12.12.2012 und 30.6.2013 jeweils i.V.m. Art. 101 Abs. 1 AEUV in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung).

 

Der Beklagte kann nicht damit gehört werden, er sei als Vorstandsmitglied für rechtliche Fragen nicht zuständig gewesen. Als Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender war es eine seiner wesentlichen Pflichten als ordentlicher Kaufmann sicherzustellen, dass er sich selbst gesetzeskonform verhielt.

 

bb) Verschulden

 

Der Beklagte hat seine Legalitätspflichten vorsätzlich und damit schuldhaft gemäß § 276 Abs. 1 BGB verletzt. Er kann sich nicht auf einen schuldausschließenden, unvermeidbaren Verbotsirrtum oder sonst einen zumindest den Vorsatz ausschließenden Verbotsirrtum berufen.

 

Der Beklagte handelte bei Ausübung der in dem Bußgeldbescheid beschriebenen Tathandlungen - vorbehaltlich des Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums - vorsätzlich im Sinne von § 276 Abs. 1 S. 1 BGB. Die vom Landgericht auf Grundlage des Bußgeldbescheides festgestellte Tathandlung hat der Beklagte vorsätzlich begangen.

 

Gemäß § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und § 34 Abs. 2 S. 2 GenG hat das Geschäftsleitungsorgan darzulegen und zu beweisen, dass es in objektiver und subjektiver Hinsicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat. Die Gesellschaft muss nur Tatsachen vortragen, aus denen sich die Möglichkeit einer Pflichtverletzung ergibt. Der Geschäftsführer hat dann darzulegen und zu beweisen, dass er seine Pflichten nicht verletzt hat.

 

Dem Geschäftsführer obliegt es insbesondere, sein fehlendes Verschulden zu beweisen, d.h. im Einzelfall nachzuweisen, dass er den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab eingehalten hat oder dass ihm die Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs unverschuldet unmöglich war (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2008, II ZR 62/07, Rn. 5, NZG 2008, 314; BGH, Urteil vom 4.11.2002, II ZR 224/00, NZG 2003, 81; Fleischer, in: BeckOGK, 1.7.2022, AktG, § 93 AktG, Rn. 274-276 m.w.N.). Zwar fehlt im GmbHG eine entsprechende Regelung; jedoch werden § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und § 34 Abs. 2 S. 2 GenG nach allgemeiner Ansicht im Rahmen von § 43 Abs. 2 GmbHG analog angewandt. Insoweit stellt sich die Darlegungs- und Beweislage bei Organhaftungsansprüchen der GmbH nicht anders dar als bei der Aktiengesellschaft oder bei der Genossenschaft (vgl. BGH, Beschluss vom 18.2.2008, II ZR 62/07 Rn. 5, NZG 2008, 314; BGH, Urteil vom 4.11.2002, II ZR 224/00, NZG 2003, 81; Ziemons, in: Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbH-Gesetz, 3. Aufl. 2017, § 43 GmbHG, Rn. 471 ff.; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 336-338; Oetker, in: Henssler/Strohn, GesR, 5. Aufl. 2021, § 43 GmbHG, Rn. 61, 62, jeweils m.w.N.). Dies gilt auch für ausgeschiedene Geschäftsführer (vgl. Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 341 m.w.N. auch zur Rechtsprechung).

 

Aufgrund der vom Landgericht für den Senat bindend festgestellten Tatsachen ist davon auszugehen, dass der Beklagte bei der fortlaufenden Verletzung des Wettbewerbsrechts vorsätzlich handelte. Für die Annahme von Vorsatz hinsichtlich der Kartellverstöße genügt es, dass der Beklagte - wie von den maßgeblichen Handlungsnormen des Kartellrechts (§ 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV, die er verletzt hat) verlangt - nicht in Unkenntnis darüber sein konnte, dass das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte oder bewirkte (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2022, KZR 40/20, Schlecker; EuGH, Urteil vom 11. Juli 1989, C 246/86, WuW/E EWG/MUV 865 Rn. 41).

 

Dass er in Unkenntnis darüber war, dass sein Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte oder bewirkte, behauptet der Beklagte, auf dessen Angaben der Bonusantrag der Klägerin zu 2) und damit der Bußgeldbescheid maßgeblich beruhen, nicht. So können sämtliche von dem Bußgeldbescheid beschriebenen Tathandlungen nur vorsätzlich ausgeübt werden. Das betrifft insbesondere die bindend festgestellte Teilnahme des Beklagten an einem Grundverständnis, das das Ziel hatte, einen Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen, indem ein branchenweit einheitliches Preissystem aus Basispreis und Zuschlägen praktiziert und aufrechterhalten wurde. Bei diesem Grundverständnis handelt es sich um eine konkludent getroffene Grundabsprache, die die Einschränkung des Wettbewerbs im Sinne von § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV bezweckte. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin zu 1) aufgrund ihrer Marktstellung keine andere Wahl hatte, als beschaffungsseitig das bestehende System zu akzeptieren, und absatzseitig versuchen musste, die beschaffungsseitig vereinbarten Basispreise und Zuschläge an ihre eigenen Abnehmer weiterzureichen. Hierbei handelt es sich um wirtschaftliche Überlegungen. Der Beklagte hatte sich als Leitungsperson der Klägerinnen entschieden, sich dem System anzupassen und dieses durch sein Verhalten zu unterstützen. Insoweit handelte er mit dem Vorsatz, den Wettbewerb beschränken zu wollen.

 

Ebenfalls nur als von Vorsatz getragen kann auch das bindend festgestellte Verhalten gewertet werden, wonach auf Grundlage des Grundverständnisses bei der Klägerin zu 1) in Verantwortung des Beklagten Preiszuschlagslisten im Internet veröffentlicht wurden, die hinsichtlich Aufbau, Struktur und Höhe bei allen an dem Kartell teilnehmenden Unternehmen weitgehend identisch und damit vergleichbar waren. Ziel dieser branchenweit bestehenden Markttransparenz und Vergleichbarkeit (Ersatz des Preismeldesystems der EU-Kommission unter dem EGKS-Vertrag) war es unstreitig, es den betroffenen Unternehmen zu ermöglichen, sich scheinbar autonom an dem jeweiligen Marktführer auszurichten und das eigene Wettbewerbsverhalten hieran anzugleichen. Auch hierin liegt eine - vorsätzlich - bezweckte Wettbewerbsbeschränkung.

 

Auch die Handlungen des Beklagten anlässlich der Sitzungen des F. e.V. und des .. Vorstands sowie bei den Sitzungen der D. waren nur vorsätzlich zu begehen. Dort tauschte sich der Beklagte mit den Vertretern diverser anderer an dem Kartell beteiligten Unternehmen (Lieferanten und Wettbewerbern) nicht nur über dieses branchenweit einheitliche Preissystem, sondern auch über die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände bei den Kunden und den Ablauf des Versands ihrer Produkte, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen aus. Dieses Verhalten diente ebenfalls dem von dem Beklagten erkannten Zweck, den Wettbewerb zu beschränken.

 

Soweit sich der Beklagte darauf beruft, dass es ihm - entsprechend den weiteren Ausführungen im Bußgeldbescheid - um die Absicherung der eigenen Beschaffung und den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) auf der Weiterverarbeitungsstufe gegangen sei, steht dies der Bewertung nicht entgegen. Denn auch wenn der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin zu 1) vorrangiges Motiv für das Handeln des Beklagten gewesen sein mag, war dies nur über das notwendige Zwischenziel zu erreichen, den Preiswettbewerb unter den Wettbewerbern zu vermeiden oder jedenfalls spürbar zu dämpfen. Daher wollte der Beklagte auch das Zwischenziel erreichen, um das eigene Unternehmen zu stärken.

 

cc) Unvermeidbarer Verbotsirrtum

 

Der Vorsatz des Beklagten ist nicht durch einen Verbotsirrtum ausgeschlossen. Ein solcher Irrtum lässt sich nicht feststellen.

 

Selbst wenn man aber - allein höchst vorsorglich und hilfsweise - einen Rechtsirrtum zu Gunsten des Beklagten unterstellen wollte, wäre der Irrtum vermeidbar und sein Verhalten jedenfalls als fahrlässig und damit schuldhaft im Sinne von § 276 Abs. 2 BGB anzusehen.

 

(1) Voraussetzungen

 

Verschulden durch vorsätzliches Verhalten setzt das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraus (Vorsatztheorie). Dieses fehlt, wenn ein Verbotsirrtum gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 16.5.2017, VI ZR 266/16, NJW 2017, 2463 Rn. 16; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, § 276 Rn. 11 m.w.N.). Nur im Rahmen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 StGB bei Verletzung einer Strafnorm oder einer Norm des OWiG muss der Vorsatz nach strafrechtlichen Maßstäben beurteilt werden. In diesem Fall führt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum gemäß § 17 S. 1 StGB bzw. § 11 OWiG zur Schuldlosigkeit und lässt den Vorsatz unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 30.7.2019, VI ZR 486/18, NJW-RR 2019, 1524; BGH, Urteil vom 16.5.2017, VI ZR 266/16, NJW 2017, 2463 Rn. 16).

 

Soweit sich - wie hier der Beklagte - ein Täter auf einen Rechtsirrtum beruft, ist zudem zu unterscheiden: Während die vorsätzliche Haftung bei einem bloßen Rechtsirrtum entfällt, ist die verbleibende Haftung wegen Fahrlässigkeit nur bei einem unvermeidbaren Rechtsirrtum ausgeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339).

 

Wer sich im Rahmen eines Schuldverhältnisses auf einen den Vorsatz ausschließenden Rechtsirrtum beruft, trägt insoweit die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Urteil vom 12.5.2009, XI ZR 586/07, NJW 2009, 2298; Grundmann, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2022, § 276 Rn. 158 ff.; Grüneberg, in: Grüneberg, 82. Aufl. 2023, § 276 Rn. 11). Das deckt sich mit den oben aufgeführten allgemeinen Grundsätzen im Rahmen von § 43 Abs. 2 GmbHG, wonach der Beklagte im Einzelfall nachzuweisen hat, dass er den erforderlichen Sorgfaltsmaßstab eingehalten hat oder dass ihm die Einhaltung des Sorgfaltsmaßstabs unverschuldet unmöglich war. Insoweit stellt sich die Darlegungs- und Beweislast in diesem Prozess zu Lasten des Beklagten anders dar, als bei dem Deckungsprozess des Beklagten gegen die Streithelferin vor dem Landgericht Frankfurt am Main.

 

(2) Irrtum

 

Es lässt sich nicht feststellen, dass sich der Beklagte in einem Irrtum über die rechtlichen Folgen seines Verhaltens befand. Die von dem Beklagten für diese innere Tatsache vorgebrachten Indizien vermögen gemäß § 286 Abs. 1 ZPO weder jedes für sich genommen noch in ihrer Gesamtheit die Überzeugung zu vermitteln, dass er irrte. Insoweit ist es entgegen den Ausführungen des Landgerichts nicht geboten, zugunsten des Beklagten einen Rechtsirrtum anzunehmen, für dessen Vorliegen keine hinreichend konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2021, 5 StR 127/21, BeckRS 2021, 36863) bzw. vorgetragen sind.

 

Ein Geschäftsführer hat für die Fähigkeiten und Kenntnisse einzustehen, welche die ihm anvertraute Aufgabe objektiv erfordert. Verfügt er über spezielle, individuelle Fähigkeiten, so ist er gegenüber der Gesellschaft verpflichtet, diese auch einzusetzen. Umgekehrt vermögen ihn persönliche Unfähigkeit, Unerfahrenheit oder fachliche Unkenntnis nicht zu entlasten. Wer nicht über die nötige Kompetenz verfügt, darf das Amt nicht übernehmen (vgl. Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 308). Der Geschäftsführer hat die Pflichten eines ordentlichen Kaufmanns zu erfüllen. Dazu gehört als eine seiner Kardinalspflichten, dass er zwingende gesetzliche Verhaltensvorgaben des GmbH-Rechts und der Rechtsordnung im Übrigen, also insbesondere auch des Kartellrechts, uneingeschränkt beachten muss (vgl. Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 30; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 10).

 

Gemessen daran war von dem Beklagten zu erwarten, dass er die während seiner Leitungstätigkeit geltenden, zentralen Normen des Wettbewerbsrechts - § 1 GWB in der Fassung vom 26.8.1998, Art. 81 Abs. 1 EGV in der Fassung vom 24.12.2002 und Art. 101 Abs. 1 AEUV in der seit dem 1.12.2009 geltenden Fassung - sowie deren Anwendungsbereiche kennt. Die von dem Bußgeldbescheid erfassten und von dem Beklagten eingeräumten Tathandlungen sind aufgrund ihrer Schwere und ihrer erheblichen wettbewerbsdämpfenden Wirkung ohne Anstrengung und größere Unklarheiten unter die vorgenannten Normen zu subsumieren. Danach hat sich der Beklagte über Jahre an einer wettbewerbsbeschränkenden Grundabsprache sowie bei der Umsetzung der Grundabsprache in einer Vielzahl von Fällen an abgestimmten Verhaltensweisen, die das Ziel der Wettbewerbsbeschränkung hatten, beteiligt.

 

Er hat vor dem Bundeskartellamt und auch erstinstanzlich auf Grundlage des Bußgeldbescheides zugestanden, nach Auslaufen des EGKS-Vertrages das bis dahin bestehende Preissystem unverändert fortgeführt und gefördert zu haben, um den Wettbewerb zu dämpfen und für alle Beteiligten des Kartells ein am Markt möglichst auskömmliches Preisniveau zu etablieren. Hierzu hat er u.a. die zu EGKS-Zeiten bestehende Markttransparenz aufrechterhalten und sich u.a. für die fortlaufende Veröffentlichung von Preiszuschlagslisten im Internet, die mit denjenigen der anderen Wettbewerber nahezu identisch waren, verantwortlich gezeigt.

 

Auf den Sitzungen des F. e.V. hat er sich mit anderen Wettbewerbern über wettbewerblich sensible Informationen wie die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht. Auch dies diente dem Ziel, die Preise zu stabilisieren und den Wettbewerb zu dämpfen, um das eigene Unternehmen gut dastehen zu lassen.

 

Dass es beispielsweise verboten ist, sich mit Wettbewerbern in regelmäßigen Gesprächsrunden über beabsichtigte Preiserhöhungen auszutauschen, um den Wettbewerb zu beschränken, ist einfachstes kartellrechtliches Grundwissen und bereits interessierten Laien bekannt. Das Verbot zu kennen, kann daher erst recht von einem erfahrenen Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens erwartet werden. Eine unklare Rechtslage, die besonders schwierig zu beurteilen gewesen wäre, bestand - auch schon im Jahr 2003 - hinsichtlich der im Bußgeldbescheid aufgeführten Handlungen nicht.

 

Die Behauptung eines Irrtums ist auch vor dem Hintergrund des Endes des EGKS-Vertrages unglaubhaft. Richtig ist, dass zur Zeit der Geltung des EGKS-Vertrages ein Teil der ihm vorgeworfenen Handlungen - es galten Sonderregeln hinsichtlich Markttransparenz und Vergleichbarkeit der Preise - zeitweise erlaubt war. Der Beklagte war jedoch im Juli 2002 bereits über vier Jahre Geschäftsführer der Klägerin zu 1) und Mitglied des Vorstandes der Klägerin zu 2). Angesichts der gravierenden Zäsur durch das Ende des EGKS-Vertrages drängte sich die Frage geradezu auf, wie in Zukunft noch rechtskonform gehandelt werden konnte. Dass der Beklagte, wie sein Prozessbevollmächtigter .. erklärt hat, sich keine Gedanken gemacht habe, überzeugt nicht. Vielmehr ist es fernliegend, dass ein Geschäftsführer/Vorstand, der ein Unternehmen mit einem dreistelligen Millionenumsatz führt, sich nicht einmal die Frage gestellt haben will, was sich nach dem Ende des EGKS-Vertrages - auch rechtlich - ändern würde.

 

Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Beklagte seit dem Jahr 1998 im Vorstand des F. e.V. war. Seit dem Jahr 2004 war er Mitglied im .. Vorstand und seit 2012 Vorsitzender des Vereins. Das Bundeskartellamt hatte - so sein Vorbringen - bereits im Jahr 1975 Kartellabsprachen zwischen stahlherstellenden bzw. -vertreibenden Unternehmen festgestellt und geahndet, wobei - wie zum Teil auch hier - Gegenstand kartellrechtswidriges Verhalten in Zusammenhang mit Listenpreisen für Edelstahlerzeugnisse war. Hier wie dort war der F. e.V. maßgeblich an der Organisation des Informationsaustausches beteiligt. Ein weiteres Verfahren gegen die Branchenverbände der Stahlindustrie wurde von der EU-Kommission im Jahr 1994 abgeschlossen. Das führte dazu, dass die Branchenverbände in der Folgezeit ihren danach weiter praktizierten Informationsaustausch aus Furcht vor erneuter Entdeckung nicht mehr protokollierten. Das zeigt, dass in den Verbänden Unrechtsbewusstsein herrschte.

 

Auch ist die lange Dauer des Kartells kein Indiz dafür, dass man nicht vorsätzlich handelte. Vielmehr werden oft gerade auch besonders schwerwiegende Kartellverstöße mit erheblicher kartellrechtswidriger Energie über viele Jahre begangen. So ist es vor dem Hintergrund seines Wissens als Mitglied im Vorstand des F. e.V. und seines Wissens um das Ende des EGKS-Vertrages nicht glaubhaft, wenn der Beklagte anführt, er sei nicht davon ausgegangen, dass sein Verhalten wettbewerbswidrig hätte sein können, weil sich auch alle anderen Unternehmen an dem Preissystem beteiligt hätten. Die Beteiligung möglichst vieler Unternehmen an einem Kartell und eine hohe Marktabdeckung machen dieses vielmehr besonders erfolgreich.

 

Die Behauptung eines Rechtsirrtums, ist schließlich vor dem Hintergrund seines Verhaltens im Bußgeldverfahren insgesamt unschlüssig und unglaubhaft. Weder aus dem Entwurf des Bonusantrages, der maßgebend auf den Angaben des Beklagten beruht, noch aus dem Bußgeldbescheid geht hervor, dass der Beklagte sich dort auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum berufen hat. Entsprechendes hat er auch im Rahmen der Anhörung auf Nachfrage nicht vorgetragen. Vielmehr haben seine Prozessbevollmächtigten nur erklärt, man habe dem Bundeskartellamt den Sachverhalt mitgeteilt. Man habe auf fahrlässiges Verhalten hinwirken wollen. Dies spricht gegen einen unvermeidbaren Verbotsirrtum. Ein unvermeidbarer Rechtsirrtum, hätte er denn vorgelegen, hätte dazu geführt, dass weder gegen den Beklagten noch gegen die Klägerin zu 1) ein Bußgeld hätte verhängt werden dürfen. In diesem Fall wäre dem Beklagten nach § 11 Abs. 2 OWiG die Tat nicht vorwerfbar gewesen, so dass sie nicht hätte geahndet werden können (vgl. Valerius, in: BeckOK Graf, OWiG, 37. Edition, Stand 1.1.2023, § 11 Rn. 35 ff.). Auch hätte keine Geldbuße gegen die Klägerin zu 1) nach § 30 Abs. 4 OWiG verhängt werden dürfen, da eine Verfolgung im selbständigen Verfahren nur möglich ist, wenn die Leitungsperson die Zuwiderhandlung schuldhaft, d.h. vorwerfbar, begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8.2.1994, KRB 25/93, NStZ 1994, 346; Gürtler/Thoma, in: Göhler, OWiG, 18. Aufl. 2021, § 30 Rn. 40 m.w.N.).

 

(3) Unvermeidbarkeit

 

Selbst wenn man entgegen den obigen Ausführungen hilfsweise zugunsten des Beklagten einen Verbortsirrtum annehmen wollte, wäre dieser nicht unvermeidbar gewesen, so dass der Beklagte jedenfalls fahrlässig gehandelt hätte (§ 276 Abs. 2 BGB).

 

Es gilt ein strenger Maßstab. Eine Leitungsperson muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten (vgl. BGH, Urteil vom 20.9.2011, II ZR 234/09, NZG 2011, 1271; BGH, Beschluss vom 29.6.2010, XI ZR 308/09, NJW 2010, 2339; BGH, Urteil vom 27.9.1989, IV a ZR 156/88, NJW-RR 1990, 160). Der Irrtum ist vorwerfbar, wenn der Schädiger bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung seines Verhaltens durch die Gerichte rechnen musste. Keinesfalls reicht es zur Entlastung aus, wenn sich der Schädiger über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens keine Gedanken macht (vgl. BGH, Urteil vom 24.1.2017, KZR 47/14, BeckRS 2017, 104876, Rn. 37). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs gelten noch strengere Maßstäbe. Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum kann danach nur angenommen werden, wenn der Schädiger alles ihm Mögliche und Zumutbare getan hat, um den ihm zur Last gelegten Verstoß gegen das Unionskartellrecht zu vermeiden (vgl. EuGH, Urteil vom 18.6.2013, C-681/11, NZG 2013, 1198 - Schenker & Co. AG).

 

Danach liegt hier keine Unvermeidbarkeit vor. Die Argumentation des Beklagten lässt - wenn man nicht ohnehin von einer Kenntnis von der Rechtslage ausgeht (s.o.) - allenfalls den Schluss zu, dass er sich keinerlei Gedanken über die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens gemacht hat. Seine Argumentation in der Berufung beruht im Wesentlichen darauf, dass es angesichts der Komplexität der Rechtslage weder für ihn als juristischem Laien noch für andere möglich gewesen sei, sein Verhalten als kartellrechtlich bedenklich einzustufen. Niemand sei imstande gewesen, das kartellrechtliche Problem überhaupt auch nur zu identifizieren.

 

Diese Annahmen sind vor dem Hintergrund der vom Bußgeldbescheid beschriebenen sowie unstreitig gebliebenen zahlreichen und schwerwiegenden wettbewerbsbeeinträchtigenden Tathandlungen abwegig. Soweit der Beklagte meint, das Kartellrecht habe sich 2003 erst in seinen Anfängen und am Beginn einer Entwicklung befunden, überzeugt dies nicht. Darüber hinaus verweist der Beklagte selbst darauf, dass bereits 1975 vom Bundeskartellamt und später im Jahr 1994 von der Europäischen Kommission Bußgeldverfahren wegen ähnlicher Verhaltensweisen gegen Stahlunternehmen und deren Verbände geführt worden seien. Wie bereits ausgeführt, drängte sich im Übrigen aufgrund der Zäsur des EGKS-Vertrages eine Rechtsprüfung auf.

 

Dass ein Teil des kartellrechtswidrigen Verhaltens öffentlich und - so meint der Beklagte - "unter den Augen des Bundeskartellamtes" stattgefunden habe, ändert nichts an der Bewertung. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Bundeskartellamt beispielsweise die Praxis der Veröffentlichung einheitlicher Preislisten, geschweige denn der Austausch geheimer, wettbewerbsrechtlich hoch sensibler Informationen - wie etwa Preiserhöhungsabsichten - bekannt gewesen war.

 

Soweit der Beklagte im Jahr 2015 externen und internen Rechtsrat eingeholt hat, entlastet ihn das nicht.

 

Ein Geschäftsführer handelt nicht schuldhaft, wenn er bei fehlender eigener Sachkunde den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm darauf erteilten Antwort dem Rat folgt (vgl. BGH, Urteil vom 14.5.2007, II ZR 48/06, NJW 2007, 2118, 2119; BGH, Urteil vom 27.3.2012, II ZR 171/10, NZG 2012, 672; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 314).

 

Gemessen daran war der von dem Beklagten eingeholte Rechtsrat unzureichend, um sein Verschulden auszuschließen. Der Beklagte hat weder vorgetragen noch ist es sonst ersichtlich, dass er die Kanzlei I., die Rechtabteilung der Klägerin zu 2) oder die N. Rechtsanwaltsgesellschaft mit der uneingeschränkten Überprüfung seines Verhaltens, wie es im Bußgeldbescheid dargestellt ist, beauftragt hat. Es ist ebenfalls nicht vorgetragen und sonst nicht ersichtlich, dass er die Anwaltskanzleien und die Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert hätte. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus Teilen der von ihm vorgelegten Unterlagen.

 

Den konkreten Inhalt des Auftrags, den der Beklagte an Rechtsanwältin S. im Namen des F. e.V. erteilt haben will, trägt der Beklagte nicht vor. Auch im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung wurde hierzu nichts Substantiiertes erläutert. Es bleibt nebulös, über welche konkreten Verhaltensweisen er die Rechtsanwältin informiert haben will. Dies lässt sich auch nicht dem Schreiben vom 20.5.2015 entnehmen. Auch erscheint es abwegig, dass eine kartellrechtlich geschulte Rechtsanwältin etwa den Geheimaustausch von geplanten Preiserhöhungen als kartellrechtlich unbedenklich eingestuft hätte. Im Übrigen hat der Beklagte den Auftrag nicht im Namen der Klägerinnen oder im eigenen Namen, sondern im Namen des F. e.V. erteilt. Inhaltlich stand daher das Verhalten dieses Vereins zur Prüfung an.

 

Nichts Anderes gilt für den von dem Beklagten vorgelegten E-Mail-Verkehr mit dem Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2). Dass dieser von dem Beklagten über dessen gesamtes kartellrechtswidriges Verhalten, das im Bußgeldbescheid beschrieben wird, informiert wurde, ist nicht vorgetragen.

 

Hinsichtlich des von dem Beklagten im Namen der F. e.V. erteilten Auftrags an die N. Rechtsanwaltsgesellschaft folgt aus den vorgelegten Unterlagen, dass dieser Auftrag das im Bußgeldbescheid beschriebene Verhalten nicht betraf. Vielmehr war diese Kanzlei mit der kartellrechtlichen Einschätzung der ab Januar 2015 beabsichtigten "Erhebung der durchschnittlichen Stahlschrott-Einkaufspreise" beauftragt worden. In einer Stellungnahme vom 15.11.2015 hielt die N. Rechtsanwaltsgesellschaft die zukünftige "Erhebung einer solchen Statistik" unter näher beschriebenen Voraussetzungen für zulässig. Hierzu gehörte insbesondere, dass der Ablauf der Datenerhebung und -mitteilung so gestaltet wird, dass kein Mitglied Zugang zu den individuellen eingelieferten Daten hat. Die Erhebung einer derartigen anonymen Statistik ist aber nicht Gegenstand des Bußgeldbescheides.

 

Selbst wenn er sich rechtzeitig im Jahr 2002 den Rechtsrat eingeholt hätte, den er im Jahr 2015 eingeholt hat, wären die erteilten Ratschläge aus den oben aufgeführten Gründen nicht geeignet gewesen, bei ihm einen Vertrauenstatbestand aufzubauen und ihn als gutgläubig erscheinen zu lassen. Im Übrigen war aus der Stellungnahme vom 15.11.2015 leicht zu erkennen, dass es für ein kartellrechtskonformes Informationssystem gerade erforderlich war, dass Daten nur anonym, gerade ohne Rückverfolgbarkeit auf bestimmte Hersteller, ausgewertet werden sollten. Tatvorwurf des Bußgeldbescheides war dagegen u.a., sich "facetoface", eben nicht anonym, über Preiserhöhungsabsichten ausgetauscht zu haben.

 

dd) Verjährung

 

Der Anspruch der Klägerin zu 1) aus § 43 Abs. 2 GmbHG ist nicht verjährt.

 

Die im Berufungsrechtszug von dem Beklagten erhobene Verjährungseinrede ist zulässig. § 531 Abs. 2 ZPO ist auf die in zweiter Instanz erhobene Verjährungseinrede nicht anzuwenden, wenn zwischen den Parteien sowohl die Erhebung der Einrede als auch die sie begründenden tatsächlichen Umstände unstreitig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 23.6.2008, GSZ 1/08, NJW 2008, 3434; Rimmelspacher, in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, § 531 ZPO, Rn. 30). So verhält es sich hier.

 

Die Einrede der Verjährung ist nicht begründet.

 

Ersatzansprüche nach § 43 Abs. 2 GmbHG gegen Geschäftsführer verjähren gemäß § 43 Abs. 4 GmbHG unabhängig von der Kenntnis des Geschädigten in fünf Jahren. Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung trägt der Schuldner, hier der Beklagte (vgl. BGH, Urteil vom 17.6.2016, V ZR 134/15, NJW 2017, 248; Grothe, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2021, § 194 BGB, Rn. 24). Die am 28.6.2019 anhängig gewordene Klage ist dem Beklagten am 30.7.2019 zugestellt worden, so dass jedenfalls seit dem 28.6.2019 die Verjährung gehemmt ist (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, § 167 ZPO). Das gilt unabhängig von einer weiteren Hemmung, die die Verhandlungen der Parteien und die Verjährungsverzichtserklärungen des Beklagten ausgelöst haben mögen. Am 28.6.2019 waren die Schadensersatzansprüche der Klägerin zu 1) noch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist begann erst mit Ablauf des 31.12.2015 zu laufen.

 

Nach § 200 S. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist in dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch entstanden ist. Ein Schadensersatzanspruch ist in diesem Sinn entstanden, sobald der Berechtigte in der Lage ist, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, d.h. mit dem Eintritt des durch die Verletzungshandlung verursachten Schadens dem Grunde nach, ohne dass der Schaden schon bezifferbar sein muss; es genügt regelmäßig die Möglichkeit einer Feststellungsklage (vgl. BGH, Urteil vom 18.9.2018, II ZR 152/17 juris, Rn. 17, 18; BGH, Urteil vom 29.9.2008, II ZR 234/07, NJW 2009, 68, 70, Rn. 16; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 401; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, GmbHG, § 43 GmbHG, Rn. 103, jeweils m.w.N.) bzw. jede Verschlechterung der Vermögenslage (vgl. BGH, Urteil vom 14.7.2008, II ZR 202/07, NJW 2008, 3361).

 

Die Bestimmung des Verjährungsbeginns bei einem - wie hier gegebenen - schädigenden Dauerverhalten des Geschäftsführers hängt davon ab, ob man das fortdauernde Handeln/Unterlassen als eine einheitliche Dauerhandlung begreift oder es sich um mehrere, sich wiederholende neue Eingriffe handelt. So hat der Bundesgerichtshof für Unterlassungshandlungen entschieden, dass bei der Annahme einer einheitlichen Dauerhandlung die Verjährung nicht eingreife, solange der Eingriff noch andauere (vgl. BGH, Urteil vom 18.9.2018, II ZR 152/17 juris, Rn. 17 - 18). Zuvor hatte er für einheitliche Tathandlungen entschieden, dass in dem Fall, dass eine Reihe von Maßnahmen auf einem einheitlichen Tatplan beruhen, die Verjährung nicht vor Abschluss der als einheitliches Geschehen anzusehenden schädigenden Handlung beginne. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn sei dann erst der Abschluss des letzten Teilakts (vgl. BGH, Beschluss vom 14.7.2008, II ZR 202/07, NJW 2008, 3361, zustimmend: Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 365; Beurskens, in: Noack/Servatius/Haas, 23. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 105).

 

Diese Entscheidungen sind teilweise auf Kritik gestoßen. Nach teilweise in der Literatur vertretener Ansicht soll bei wiederholten Eingriffen durch aktives Tun wie auch bei einer andauernden pflichtwidrigen Unterlassung nicht von einer einheitlichen Dauerhandlung ausgegangen werden dürfen, sondern nur von sich unter Umständen täglich wiederholenden Verletzungshandlungen, für die jeweils ein eigener Verjährungsbeginn gegeben sei (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 12. Auflage 2021, § 43 GmbHG, Rn. 412; Kleindiek in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 20. Aufl. 2020, § 43 GmbHG, Rn. 67; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 404). Die Annahme einer einheitlichen Dauerhandlung mit der Folge, dass die Verjährungsfrist nicht vor deren Abschluss beginnen könne, führe zu Ergebnissen, die den Zweck der Verjährung, Rechtsfrieden zu schaffen, zurückdränge. Nur dies füge sich auch in die übrige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Urteil vom 9.11.2007, V ZR 25/07, Rn. 2, juris) zu sich wiederholenden vergleichbaren Handlungen (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl. 2021, § 43 GmbHG, Rn. 412 m.w.N.).

 

Die erstgenannte Auffassung ist vorzugswürdig. Ihr ist jedenfalls für Schadensersatzansprüche wegen andauernder Pflichtverletzungen gegenüber dem Unternehmen in Form von Kartellverstößen, denen - wie hier - eine einheitliche und auf Dauer angelegte Grundabsprache zugrunde liegt, zu folgen. Nach der bußgeldrechtlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründen Einzelabsprachen, die lediglich eine kartellrechtswidrige Grundabsprache konkretisieren, regelmäßig keine selbständigen Taten. Sie stellen keine mehrfache Verletzung desselben Tatbestandes dar; vielmehr werden sie vom gesetzlichen Tatbestand zu einer Bewertungseinheit verbunden (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.1995, KRB 33/95, BGHSt 41, 385, 394; BGH, Beschluss vom 28.6.2005, KRB 2/05, NJW 2006, 163 f. - Berliner Transportbeton I; BGH, Beschluss vom 26.2.2013, KRB 20/12, BGHSt 58, 158, Rn. 23, juris - Grauzementkartell I). Das hat der Bundesgerichtshof auch für das Zivilrecht übernommen und ausgeführt, dass die unter Geltung einer Grundabsprache vorgenommenen, konkretisierenden Einzelakte auch zivilrechtlich eine tatbestandliche Handlungseinheit darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2022, KZR 42/20, Rn. 90 - Schlecker; BGH, Urteil vom 19.5.2020, KZR 70/17, NZKart 2020, 535, Rn. 32 - Schienenkartell III).

 

Es würde daher der gesetzlichen Wertung widersprechen, die zu einer Bewertungseinheit verbundenen Teilakte allein für die Frage der Verjährung - entsprechend der oben aufgeführten Ansicht in der Literatur - wieder in Einzelakte aufzuspalten. Die vorgenannte Rechtsprechung fügt sich vielmehr überzeugend und nachvollziehbar in die zivilrechtliche Rechtsprechung zur Verjährung ein, wonach bei Maßnahmen, die - wie es bei dem Bestehen einer Grundabsprache der Fall ist - auf einem einheitlichen Tatplan beruhen, die Verjährung nicht vor Abschluss der als einheitliches Geschehen anzusehenden schädigenden Handlung beginnt. Durch die hier vom Bundeskartellamt festgestellte und unstreitige Grundabsprache werden die wesentlichen Merkmale des weiteren Vorgehens der Kartellbeteiligten verbindlich und auf unbestimmte Zeit festgelegt. Zur Stabilisierung des Preissystems und Unterdrückung des Wettbewerbs haben die Teilnehmer - in unterschiedlichem Umfang - die Grundabsprache konkretisierende Einzelabsprachen und -abstimmungen vorgenommen, so dass von einer Bewertungseinheit und einem einheitlichen Tatplan auszugehen ist.

 

Dem steht nicht entgegen, dass im Rahmen von Schadensersatzansprüchen Dritter gemäß § 33 GWB die aus einzelnen Erwerbsvorgängen abgeleiteten Schäden materiellrechtlich jeweils selbständige Ansprüche bilden. Das hat in den Fällen des § 33 GWB zur Folge, dass insoweit die Frage der Verjährung für jeden Erwerbsvorgang gesondert zu beurteilen ist. In solchen Fällen sind Schadensersatzansprüche aus den Erwerbsvorgängen spätestens mit Vollzug der Kaufverträge zu kartellbedingt erhöhten Preisen entstanden (vgl. BGH, Kartellsenat, Urteil vom 23.9.2020, KZR 35/19 - LKW-Kartell, NZKart 2021, 117 Rn. 73 ff.), so dass ab diesem Zeitpunkt die Verjährungsfrist läuft. Im Streitfall liegt jedoch die für den Schadensersatz maßgebliche Pflichtverletzung nicht in dem Abschluss eines für einen Dritten ungünstigen Kaufvertrages, sondern in der auf einem einheitlichen "Tatplan" beruhenden, dauerschädigenden Legalitätspflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft.

 

Das führt dazu, dass die Verjährung erst mit dem Abschluss des letzten Teilaktes, also mit Beendigung des Kartells und damit der Grundabsprache am 31.12.2015, zu laufen begann. Die kenntnisunabhängige fünfjährige Verjährungsfrist war damit am 28.6.2019, dem Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage, noch nicht abgelaufen.

 

ee) Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts

 

Die für die Begründetheit der Feststellungsklage erforderliche Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht ebenso wie die teilweise in der Rechtsprechung geforderte Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts.

 

Das Bestehen einer Schadenswahrscheinlichkeit hat das Landgericht unangefochten festgestellt. Es hat dazu ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, dass der eingetretene Kartellschaden in Gänze seitens der Klägerinnen weitergegeben worden sei. An diese Feststellung ist der Senat gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

 

Unabhängig davon ist die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts bei beiden Klägerinnen auch in der Sache zu bejahen.

 

Die Klägerinnen sind unstreitig bereits mit ersten Schadensersatzverlangen Dritter konfrontiert worden. Dass diese grundsätzlich begründet sein können, hat der Beklagte in beiden Instanzen nicht in Frage gestellt. Er hat sich vielmehr auf den Einwand der Vorteilsausgleichung berufen und darauf verwiesen, dass die Kartellabsprachen zu höheren Preisen geführt hätten, was den Klägerinnen zugutegekommen sei. Er hat damit eingestanden, dass es grundsätzlich zu einem Schaden bei den Abnehmern der am Kartell Beteiligten gekommen ist.

 

Der von dem Beklagten erstinstanzlich erhobene Einwand der Vorteilsausgleichung steht der Annahme der Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht entgegen. Zwar kann der Vorteil, der dem Geschädigten aus einer Abwälzung des kartellbedingten Preisaufschlags auf seine Abnehmer erwächst, unter dem Aspekt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen sein. Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung liegt jedoch auch in Kartellschadensersatzprozessen nach allgemeinen Grundsätzen beim Schädiger (vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 - ORWI). Er hat anhand der allgemeinen Marktverhältnisse auf dem relevanten Absatzmarkt, insbesondere der Nachfrageelastizität, der Preisentwicklung und der Produkteigenschaften plausibel dazu vorzutragen, dass eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung ernsthaft in Betracht kommt. Er hat greifbare Anhaltspunkte vorzubringen, die für eine Weitergabe des kartellbedingten Schadens sprechen, und muss konkret darlegen, dass die Preiserhöhung gerade auf das Kartellgeschehen und nicht etwa auf andere preisbildende Faktoren zurückgeht (vgl. BGH, Urteil vom 23.9.2020, KZR 4/19, NZKart 2021, 44, Rn. 36 ff. - Schienenkartell V; BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 - ORWI). Gegebenenfalls kann den Geschädigten eine sekundäre Darlegungslast treffen, wenn der Schädiger außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und dem Geschädigten nähere Angaben zumutbar sind. Hierbei ist jedoch Zurückhaltung geboten (vgl. BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 - ORWI).

 

Dem ist zu folgen. Soweit vereinzelt für die Haftung von Organen für Kartellbußgelder eine Umkehrung der Beweislast vertreten wird (vgl. Kersting, ZIP 2016, 1255, 1273 ff.), steht dies der ganz überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur entgegen (vgl. zum Kartellrecht: BGH, Urteil vom 23.9.2020, KZR 4/19, NZKart 2021, 44, Rn. 36 ff. - Schienenkartell V; BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 - ORWI; LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782 ff.; Beck, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 1. Aufl. 2019, § 16 Rn. 37; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 452, 456; Thomas, NZG 2015, 1409, 1415; im Übrigen: BGH, Urteil vom 4.4.2014, V ZR 275/12, NJW 2015, 468, Rn. 22; BGH, Urteil vom 15.1.2013, II ZR 90/11, NJW 2013, 1958; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, vor § 249 Rn. 75; Oetker, in: MüKoBGB, 9. Aufl. 2022, § 249 BGB, Rn. 279; Grigoleit, in: Grigoleit/Tomasic, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG, Rn. 98 jeweils m.w.N.). Die von der herrschenden Ansicht vertretene Beweislastverteilung beruht auf dem Gedanken, dass die Abwälzung des (kartellbedingten) Vermögensnachteils nicht bereits die Entstehung eines Schadens ausschließt. Vielmehr geht es bei der Vorteilsausgleichung darum, dem Geschädigten unter bestimmten Voraussetzungen diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Hierbei handelt es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung, für die nach allgemeinen Grundsätzen derjenige die Beweislast trägt, der sich auf sie berufen möchte. Gründe, hiervon abzuweichen, sind nicht gegeben.

 

Soweit teilweise in der Literatur diskutiert wird, ob es vor dem Hintergrund jahrelanger vorsätzlicher Verstöße gegen die Legalitätspflichten überhaupt gerechtfertigt sei, dass sich ein Organ auf die Grundsätze der Vorteilsausgleichung berufen können solle (vgl. zum Streitstand: Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 266, Fn. 1113), braucht diese Frage nicht entschieden zu werden. Denn der Beklagte hat seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Es ist von ihm nicht dargetan, dass und - und wenn überhaupt - in welcher Höhe den Klägerinnen durch sein kartellrechtswidriges Verhalten Vorteile entstanden sind. Erst recht ist nicht dargetan, dass diese Vorteile die möglichen Schäden der Klägerinnen übersteigen, so dass ihnen - wie es aber für die vollständige Abweisung der Feststellungsklage erforderlich wäre - überhaupt kein Schaden entstanden wäre. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Klägerinnen ausnahmsweise eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast treffen würde, wäre substantiierterer Vortrag von dem Beklagten zu erwarten gewesen. Denn als langjähriger Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der Klägerinnen kannte er jedenfalls die Grundsätze der Preisbildung zur Zeit seiner Geschäftsführertätigkeit und mögliche Vorteile, die er durch die von ihm begangene Wettbewerbsbeschränkung für die Klägerinnen erzielt haben will.

 

b) Begründetheit der Feststellungsklage der Klägerin zu 2)

 

Die Feststellungsklage der Klägerin zu 2) ist ebenfalls begründet. Es gelten die obigen Ausführungen entsprechend. Für die Klägerin zu 2) folgt die Haftung des Beklagten aus § 93 Abs. 2 AktG, da er während des Tatzeitraums als Vorstand der Klägerin zu 2), seit dem Jahr 2012 als Vorsitzender des Vorstands, tätig war.

 

II. Berufung der Klägerin zu 1)

 

Die Berufung der Klägerin zu 1) ist unbegründet.

 

Zu Recht hat das Landgericht festgestellt, dass die Klägerin zu 1) gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von .. gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG hat. Sie kann den Beklagten nicht für die gegen sie verhängte Unternehmenskartellbuße .. zuzüglich Gebühren und Auslagen in Regress nehmen, weil nach zutreffender Auffassung in der vorliegenden Konstellation der Anwendungsbereich von § 43 Abs. 2 GmbHG aufgrund der Sanktionszwecke von §§ 81a bis 81d GWB teleologisch zu begrenzen ist.

 

Die Frage, ob und inwieweit ein Regress für Unternehmensgeldbußen gegen (ehemalige) Führungskräfte eines Unternehmens, die an einem Kartellverstoß beteiligt sind, nach den Sanktionszwecken von §§ 81a bis 81d GWB rechtlich möglich ist, ist umstritten und bislang nicht höchstrichterlich geklärt (Übersichten zum Meinungsstand: Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 304 ff.; Beck, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 16 Rn. 21 ff.).

 

1. Auffassungen für die Erstattungsfähigkeit von Kartellbußgeldern

 

Eine im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum stark vertretene Ansicht spricht sich für die grundsätzliche Ersatzfähigkeit einer gegen die Gesellschaft verhängten Verbandsgeldbuße aus, dies aber zu einem erheblichen Teil mit Beschränkungsvorschlägen zur Höhe (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 260; Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, AktG § 93 Rn. 194; Koch, in: Koch/AktG, 17. Aufl. 2023, § 93 AktG, Rn. 88; Hopt/Roth in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2014, § 93 AktG, Rn. 419; Sailer-Coceani, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rn. 37; Fleischer, in: MüKoGmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 GmbHG, Rn. 322; Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4; Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449-456; Degner, Vorstandsinnenhaftung nach Kartellrechtsverstößen, 2021, S. 75 ff.; Kersting, ZIP 2016, 1266, 1267 ff.; Stancke, in: Stancke/Weidenbach/Lahme, Kartellrechtliche Schadensersatzklagen, 2. Aufl. 2021, Rn. 116 ff.; Mühlhoff, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 10 Rn. 9; jeweils m.w.N.).

 

a) Differenzhypothese

 

Ausgangspunkt dieser Ansicht ist, dass Kartellbußgelder nach der Differenzhypothese zu einer Vermögensminderung bei der Gesellschaft führen und damit nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen einen Schaden im Sinne des § 249 Abs. 1 BGB bilden. Eine teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 249 Abs. 1 BGB ist nach dieser Auffassung nicht gerechtfertigt.

 

Dies folge insbesondere nicht aus entgegenstehenden Wertungen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. So habe der Bundesgerichtshof zur Beraterhaftung (vgl. BGH, Urteil vom 31.1.1957, II ZR 41/56, NJW 1957, 586 - Bankenhaftung; BGH, Urteil vom 14.11.1996, IX ZR 215/95, NJW 1997, 518, 519 - Steuerberaterhaftung; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8, WM 2010, 993 f. - Steuerberaterhaftung) entschieden, dass zwischen strafrechtlicher Sanktion und zivilrechtlicher Inanspruchnahme zu trennen sei. Die Belastung mit einer entsprechenden Strafe bzw. Geldbuße sei ein zivilrechtlich zu ersetzender Schaden, sofern es gerade Inhalt der vertraglichen Verpflichtung gewesen sei, den Täter vor der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten durch entsprechende Hinweise zu schützen. So verhalte es sich auch bei den Legalitätspflichten eines Vorstandes oder Geschäftsführers. Ob die Gesellschaft im Innenverhältnis bei ihren Organmitgliedern Rückgriff nehmen könne, werde nicht durch das Ordnungsrecht präjudiziert; dessen spezial- und generalpräventiver Sanktionszweck sei vielmehr mit der Verhängung der Verbandsgeldbuße erreicht (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 260).

 

Hierfür spreche, dass die Erstattung einer Geldbuße nach der Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 8.7.2014, II ZR 174/13, NZG 2014, 1058, Rn. 12; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8 - Steuerberater, WM 2010, 993 f.) nicht als Strafvereitelung gemäß § 258 StGB strafbar sei (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 258, 260). Durch die Inanspruchnahme des Managers werde die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion gegen die Gesellschaft nicht unterlaufen. Die Kartellbußgelder seien regelmäßig so hoch, dass sie kaum vollständig von einem Organmitglied ersetzt erlangt werden könnten. Auch überschritten sie oftmals die Deckungssumme von D&O-Versicherungen, deren Eingreifen wegen verschiedener Ausschlussgründe - etwa regelmäßig für vorsätzliches Handeln - ohnehin fraglich sei (vgl. Kersting, ZIP 2016, 1266; Mühlhoff, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 10 Rn. 9).

 

Für Kartellbußgelder gälten im Verhältnis zu anderen Bußgeldern keine Besonderheiten, die sich etwa daraus ergeben könnten, dass neben der Verbandsgeldbuße auch eine Geldbuße gegen das Leitungsorgan verhängt worden sei. Zum einen enthielten die vorgenannten höchstrichterlichen Entscheidungen zumindest eine Tendenzaussage gegen ein sanktionsrechtliches Regressverbot (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 258, 260). Zum anderen sei es für den Schaden der Gesellschaft bzw. dessen Ersatzfähigkeit ohne Belang, dass gegen den Vorstand bzw. Geschäftsführer gegebenenfalls auch ein Bußgeld verhängt worden sei (vgl. Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4).

 

Der Einwand, dass die Möglichkeit eines Bußgeldregresses normativ widersprüchlich sei und die staatliche Legitimation der Unternehmensbuße zum Fortfall brächte, verfange nicht. Der Zweck der Kartellgeldbuße bestehe darin, für eine wirksame Kartellverfolgung zu sorgen und zukünftige Wettbewerbsverstöße zu vermeiden. Dafür sei ein gesellschaftsrechtlicher Regress aufgrund seiner erheblichen Abschreckungswirkung auf Leitungsorgane besonders geeignet (vgl. Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 261 m.w.N.). Zudem würde ein Verbot des Kartellbußgeldregresses zu wertungsmäßigen Ungereimtheiten führen. Es liefe auf eine sektorale Ausnahme hinaus, die eine Privilegierung von Kartellrechtsverstößen zu Folge hätte (vgl. Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, AktG § 93 Rn. 194; Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 263; Hopt/Roth in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2014, § 93 AktG, Rn. 419). Schließlich spräche die fehlende gesetzliche Regelung eines Haftungsausschlusses - anders als sie etwa mit § 11 VbVG (Österreich) gegeben sei - gegen eine teleologische Reduktion.

 

Innerhalb dieser Auffassung besteht weitgehend Einigkeit darin, dass nur der Ahndungsteil, nicht aber der Abschöpfungsteil der Geldbuße ersatzfähig sei. Dies wird u.a. damit begründet, dass der Gesellschaft hinsichtlich des Abschöpfungsteils kein Schaden entstanden sei, weil damit der durch die Pflichtverletzung erlangte Vorteil beseitigt werde (vgl. Koch, in: Koch/AktG, 17. Aufl. 2023, § 93 AktG, Rn. 88; Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4; Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 264).

 

b) Einschränkungen

 

Einige Vertreter der oben aufgeführten Auffassung vertreten, dass eine angemessene Haftungsbegrenzung nur durch den Gesetzgeber erfolgen könne (vgl. Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449-456 m.w.N), weshalb eine solche derzeit ausscheide.

 

Demgegenüber wurden auch innerhalb der oben aufgeführten Auffassung vor dem Hintergrund der in jüngerer Zeit deutlich gestiegenen Beträge für Verbandsgeldbußen in Kartellbußgeldverfahren, die aufgrund des hohen Bußgeldrahmens des § 81c Abs. 4 S. 1 GWB ohne Weiteres im dreistelligen Millionenbereich liegen und deshalb zu einer Existenzvernichtung des Leitungsorgans im Fall seiner Inanspruchnahme führen können, Ansätze zur Begründung einer weiteren Haftungsbegrenzung entwickelt.

 

Eine Ansicht erzielt eine erhebliche Einschränkung der Haftung über eine stark ausgedehnte Anwendung der Grundsätze der Vorteilsausgleichung. Ansatzpunkt ist auch hier die Annahme, dass der Gesellschaft der illegal erzielte Gewinn nicht verbleiben dürfe. Um dies zugunsten des Leitungsorgans wirksam werden zu lassen, wird eine gegenüber den allgemeinen Grundsätzen abweichende Verteilung der Beweislast angenommen. Die Gesellschaft soll nachweisen müssen, dass in Höhe des gegenüber dem Organ geltend gemachten Schadens die Nachteile aus dem Kartell die Vorteile insgesamt überwiegen (vgl. Kersting, ZIP 2016, 1266 ff.).

 

Weiter wird vertreten, dass die Unternehmen die Vorstandsmitglieder nicht stets auf den vollen Schaden in Regress nehmen könnten; es müsse aufgrund der Treuebindung und Fürsorgepflichten gegenüber den Organmitgliedern eine angemessene Beschränkung des Regresses vorgenommen werden (vgl. Hopt/Roth in: Hirte/Mülbert/Roth, Aktiengesetz Großkommentar, 5. Aufl. 2014, § 93 AktG, Rn. 419; Pöschke, in: BeckOK GmbHG, 54. Ed. 1.11.2022, § 43 GmbHG, Rn. 309.4).

 

Vertreten wird in diesem Zusammenhang auch, dass sich die Regresshöhe an den Umständen des Einzelfalls zu bemessen habe; sie müsse sich am Maß der Pflichtwidrigkeit und der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Vorstandsmitgliedes orientieren (vgl. Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, AktG § 93 Rn. 194).

 

Erwogen wird ferner, die Abmilderung der Organhaftung in Anlehnung an die arbeitsrechtlichen Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs vorzunehmen (vgl. Lotze, NZKart 2014, 162, 168; Hopt, ZIP 2013, 1793, 1804 m.w.N.).

 

Schließlich wird in Betracht gezogen, dass bei den unterschiedlichen Bußgeldrahmen nach § 81c GWB für juristische und natürliche Personen der für die natürlichen Personen geltende Bußgeldrahmen von einer Million Euro die Obergrenze des Regresses bilden müsse (vgl. ArbG Essen, Urteil vom 19.12.2013, 1 Ca 657/13, NZKart 2014, 193, 195).

 

2. Auffassungen gegen die Erstattungsfähigkeit von Kartellbußgeldern

 

Demgegenüber hält eine in Teilen der Rechtsprechung und des gesellschaftsrechtlichen Schrifttums sowie in der kartellrechtlichen und sanktionsrechtlichen Literatur vertretene Ansicht auch den über die Gewinnabschöpfung hinausgehenden Ahndungsteil der Verbandskartellbuße schon dem Grunde nach nicht für erstattungsfähig und nimmt eine teleologische Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG vor, weil ansonsten der Sanktionszweck der Verbandsbuße unterlaufen würde (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782 ff., das wegen anderweitiger Verfahrensfehler vom Bundesarbeitsgericht - BAG, Urteil vom 29.6.2017, 8 AZR 189/15, ZIP 2017, 2424 - aufgehoben und vom Landesarbeitsgericht anschließend an die für Kartellsachen zuständige Kammer beim Landgericht Dortmund verwiesen wurde; LG Saarbrücken, Urteil vom 15.9.2020, 7HK O 6/16, BeckRS 2020, 32440, Rn. 122; Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 Rn. 310 ff.; Mertens/Cahn in: KölnerKomm AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rn. 56, die zudem bei Settlements einen Zurechnungszusammenhang verneinen; Bachmann, BB 2015, 911 ff.; Baur/Holle, ZIP 2018, 459 ff.; Dreher, VersR 2015, 781 ff.; Grunewald, NZG 2016, 1121 ff.; Labusga, VersR 2017, 394 ff.; Lotze/Smolinski, NZKart 2015, 254; Thomas, NZG 2015, 1409 ff.; Thomas, VersR 2017, 596 ff.). Teilweise wird darauf abgestellt, dass die kartellrechtlichen Unternehmensbußgelder gegenüber den Leitungspersonen nicht als zivilrechtlich ersatzfähige Vermögensschäden im Sinne von §§ 249 ff. BGB zu qualifizieren seien (vgl. Bunte, NJW 2018, 123 ff.).

 

Diese Auffassungen argumentieren im Wesentlichen damit, dass ein zivilrechtlicher Binnenregress den Zweck der Unternehmensbuße vereitele. Der Zweck der Bußgeldregelungen gebiete es, dass die Geldbuße den Unternehmensträger - also die Gesellschaft - treffe und auch dort verbleibe, um diesen zu einer angemessenen Kontrolle seiner Organe anzuhalten (LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 790; Bunte, NJW 2018, 123, 125, 126; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 465). Das Gesetz sähe für Gesellschaften und natürliche Personen unterschiedliche Sanktionsobergrenzen vor.

 

Die unterschiedliche Ausgestaltung der Bußgeldrahmen liefe ins Leere, wenn die Gesellschaft es in der Hand hätte, die gegen sie verhängte Geldbuße an die insoweit eigentlich privilegierte natürliche Person weiterzureichen. Eine Abwälzung der Geldbuße auf das Leitungsorgan würde das differenzierte Sanktionssystem des Kartellrechts entwerten und sowohl seinem spezial- als auch generalpräventiven Zweck zuwiderlaufen (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 791; Bunte, NJW 2018, 123, 125). Der vom Gesetzgeber vorgesehene abschließende Charakter der ordnungsrechtlichen Regeln ergebe sich daraus, dass die Verbandsgeldbuße zwingend eine rechtswidrige und schuldhafte Anknüpfungstat einer Leitungsperson voraussetze (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 310; Bunte, NJW 2018, 123, 124; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 463). Eine Belastung des Organwalters mit zwei Geldbußen, eine unmittelbar und eine auf dem Umweg der Organhaftung, wäre aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich, da sie zwar nicht formal, aber im praktischen Ergebnis auf eine unzulässige Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) und einen Verstoß gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens hinausliefe (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 311; ähnlich: Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 465).

 

Es bestehe auch kein Widerspruch zu den oben aufgeführten höchstrichterlichen Entscheidungen zur Beraterhaftung. Die dort entschiedenen Sachverhalte unterschieden sich maßgeblich von dem hier zu entscheidenden Sachverhalt, weil das anspruchsstellende Unternehmen - anders als der Steuerberater oder die beratende Bank - selbst Täter nach dem Ordnungsrecht sei (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 791; Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 312; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 464).

 

Aus der Rechtsprechung, dass die Zahlung einer Geldstrafe durch einen Dritten keine Strafvereitelung i.S.d. § 258 StGB sei, lasse sich nichts herleiten. Die genannten Entscheidungen beinhalteten nur die Aussage, dass der Strafanspruch des Staates nichts mit der zivilrechtlichen Dispositionsbefugnis von Privatpersonen über ihr Vermögen zu tun habe (vgl. LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782, 789; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 464; Thomas, NZG 2015, 1409, 1411).

 

3. Abwägung

 

Der zuletzt genannten Auffassung ist der Vorzug zu geben. Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe dafür, Verbandsgeldbußen nach deutschem Kartellrecht von der Organhaftung auszunehmen und die Organhaftung nach § 93 Abs. 2 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG insoweit teleologisch zu reduzieren.

 

a) Nicht nur Haftungsreduzierung

 

Die im Rahmen der erst genannten Auffassung entwickelten Ansätze zur Begründung einer Haftungsbegrenzung vermögen de lege lata nicht zu überzeugen.

 

Soweit eine Ansicht eine gegenüber den allgemeinen Grundsätzen abweichende Verteilung der Beweislast bei der Frage der Vorteilsausgleichung annimmt und von der Gesellschaft fordert, nachzuweisen, dass in Höhe des gegenüber dem Organ geltend gemachten Schadens die Nachteile aus dem Kartell sämtliche über die Jahre gezogenen Vorteile insgesamt überwiegen, steht dies in Widerspruch zur herrschenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur, auch soweit sie sich auf Kartellschäden beziehen (vgl. zum Kartellrecht: BGH, Urteil vom 23.9.2020, KZR 4/19, NZKart 2021, 44, Rn. 36 ff. - Schienenkartell V; BGH, Urteil vom 28.6.2011, KZR 75/10, NJW 2012, 928 - ORWI; LAG Düsseldorf, Teilurteil vom 20.1.2015, 16 Sa 459/14, NJOZ 2015, 782 ff.; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 452, 456; Thomas, NZG 2015, 1409, 1415; im Übrigen: BGH, Urteil vom 4.4.2014, V ZR 275/12, NJW 2015, 468, Rn. 22; BGH, Urteil vom 15.1.2013, II ZR 90/11, NJW 2013, 1958; Grüneberg, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, vor § 249 Rn. 75; Grigoleit, in: Grigoleit/Tomasic, AktG, 2. Aufl. 2020, § 93 AktG, Rn. 98 jeweils m.w.N.). Eine Abweichung hiervon wäre nur zweckgerichtet und widerspräche der Gesetzesssystematik. So entscheidet häufig die Frage der Darlegungs- und Beweislast für eine etwaige Vorteilsausgleichung den Ausgang des Rechtsstreits.

 

Soweit ein teilweiser Haftungsausschluss aus organschaftlichen Fürsorge- und Treuepflichten der Gesellschaft resultieren können soll, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Die Überlegung, dass es mit Blick auf Fürsorge- und Rücksichtnahmepflichten der Gesellschaft treuwidrig wäre, das gesamte Bußgeld, das erst durch den multiplizierenden Faktor des Unternehmensbezugs seinen für natürliche Personen oftmals existenzbedrohenden Charakter erhalte, an das Organ weiterzureichen, überzeugt jedenfalls in den Fällen nicht, in denen das Organ - wie hier - über Jahre und vorsätzlich gehandelt hat. Wer sich so verhält, wird sich kaum auf die Grundsätze von Treu und Glauben, an die sich die Gegenseite zu halten habe, berufen können. Zudem beinhaltet diese Auffassung erhebliche Unwägbarkeiten, wie die Haftung bzw. ihr Ausschluss im konkreten Fall ausgestalten sein sollen. Entsprechendes gilt für Vorschläge, die Höhe der Haftung an den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen. Gesetzliche Anhaltspunkte für beides bestehen nicht.

 

Soweit eine entsprechende Anwendung der arbeitsrechtlichen Grundsätze zur Arbeitnehmerhaftung erwogen wird, besteht dafür ebenfalls kein gesetzlicher Anhaltspunkt. Nach diesen Grundsätzen kann ein Regress seitens des Arbeitgebers ganz oder zum Teil ausgeschlossen werden, wenn die Pflichtverletzung des Angestellten lediglich auf Fahrlässigkeit beruht. Die kartellrechtlichen Bußgeldverfahren betreffen aber regelmäßig nicht Fälle leichter und mittlerer Fahrlässigkeit, sondern - wie hier - vorsätzliche Taten, so dass die Haftungsreduzierung selbst bei Übertragung der arbeitsrechtlichen Grundsätze kaum durchschlagen würde (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 125).

 

Schließlich überzeugt der Vorschlag nicht, die Bußgeldobergrenze des § 81c Abs. 1 GWB - eine Million Euro - auf den Regress gegen Organe/Mitarbeiter, die die Handlung des Unternehmens bestimmen, analog anzuwenden. Auch für eine solche Begrenzung der Weiterreichung entsprechend der Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage.

 

b) Telelogische Reduktion

 

Auch im Übrigen ist die Möglichkeit eines Binnenregresses mit der zuletzt ausgeführten Auffassung abzulehnen.

 

Den Befürwortern eines Binnenregresses ist zwar zuzugeben, dass die wortlautgetreue Anwendung zivil- und gesellschaftsrechtlicher Haftungsnormen eine unbeschränkte Einstandspflicht pflichtwidrig handelnder Organmitglieder hinsichtlich des ahndenden Teils der Geldbuße nahelegt. Bei Anwendung allgemeiner haftungsrechtlicher Grundsätze stellt jedenfalls der ahndende Teil einer Unternehmensgeldbuße regelmäßig einen regressfähigen Schaden der Gesellschaft dar. Zuzugeben ist auch, dass ein gesellschaftsrechtlicher Regress aufgrund seiner gravierenden spezial- und generalpräventiven Abschreckungswirkung geeignet erscheint, die Leitungspersonen zu mehr Sorgfalt und der Vermeidung von Kartellen anzuhalten. Dennoch sprechen die Besonderheiten des deutschen Kartellrechts sowie der Sinn und Zweck der Bußgeldvorschriften dafür, die Möglichkeit eines Binnenregresses im vorliegenden Fall abzulehnen.

 

aa) Besonderheiten der Verbandsgeldbuße

 

Für einen abschließenden Charakter der sanktionsrechtlichen Regelungen der Verbandsgeldbuße, der zu einer teleologischen Reduktion der zivilrechtlichen Haftung führt, sprechen die Besonderheiten der Verbandsgeldbuße jedenfalls im Zusammenspiel mit den deutschen Kartellrechtsnormen.

 

Die Verbandsgeldbuße bedarf notwendig einer Anknüpfungstat einer natürlichen Person, die für das Unternehmen rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Der Gesetzgeber hatte somit gerade solche Fälle im Blick, in denen die Leitungsperson im Innenverhältnis eine Legalitätspflichtverletzung begeht. Wenn das Gesetz in dieser Situation neben der persönlichen Bebußung der Leitungsperson eine Verbandsbuße vorsieht, spricht bereits dies dagegen, die Zuschreibung der Sanktionierung des Unternehmens durch die allgemein gehaltene zivilrechtliche Haftungsdogmatik wegen der Legalitätspflichtverletzung unmittelbar wieder auf die Leitungsperson umzulenken (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 310; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 464; Thomas, NZG 2015, 1409, 1412). Insoweit stellte sich die Frage, warum der Staat überhaupt eine Buße gegen das Unternehmen verhängt, wenn diese Folge vom Haftungsrecht sogleich als unerwünschter Schaden auf das Organmitglied verlagert wird (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1412).

 

Dies gilt in besonderem Maße unter Berücksichtigung des speziellen kartellrechtlichen Sanktionssystems. In diesem Zusammenhang fällt ins Gewicht, dass der Gesetzgeber mit der Sanktionierung gerade das Unternehmen, nicht aber die natürliche Person nachhaltig belasten will. Das zeigt sich an den vom Gesetz vorgesehenen unterschiedlichen Bußgeldrahmen und Bußgeldzumessungsgesichtspunkten. So liegt der Bußgeldrahmen für Unternehmen gravierend über demjenigen, der für die natürliche Person anzuwenden ist. Während für Letztere eine Bußgeldobergrenze von einer Million Euro gilt, kann diejenige für das Unternehmen bei bis zu 10 % des Jahresumsatzes des gesamten Unternehmensverbundes liegen (vgl. § 81c Abs. 1 und Abs. 4 GWB), was ohne weiteres zu Bußgeldern im dreistelligen Millionenbereich führen kann und in der Praxis auch regelmäßig führt.

 

Eine besondere Bedeutung für die Zumessung der Geldbuße für das Unternehmen kommt dabei der Größenordnung der mit der Zuwiderhandlung in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang stehenden Umsatzes (sog. tatbezogener Umsatz) zu. Der tatbezogene Umsatz spielt nicht nur in den Bußgeldleitlinien des Bundeskartellamtes eine zentrale Rolle für die Bußgeldzumessung, auch der Bundesgerichtshof hat deutlich gemacht, dass die vorrangige Orientierung am tatbezogenen Umsatz "der Maßgeblichkeit des Unrechtsgehalts der Bezugstat für die Bestimmung des Ahndungsteils ausdrücklich gerecht" werde (vgl. BGH, Beschluss vom 17.10.2013, 3 StR 167/13, BeckRS 2014, 5757 Rn. 39; Vollmer, in: MüKoEuWettbR, 4. Aufl. 2022, § 81d GWB, Rn. 21). Der tatbezogene Umsatz bildet einen Bezug zur Bedeutung des betroffenen Marktes, der Stellung des Unternehmens am Markt sowie dem daraus folgenden Gewinn- und Schadenspotenzial ab (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 124).

 

Auf dieses maßgebliche Bußgeldzumessungskriterium hat das Leitungsorgan nahezu keinen Einfluss, da der tatbezogene Umsatz im Wesentlichen von der Größe des Unternehmens und seiner Stellung am Markt abhängt. Die Höhe der Buße, die sich gegen das Organ richtet, hängt zwar auch von der Schwere der Tat ab, die sich zum Teil auch nach dem tatbezogenen Umsatz richten kann. Entscheidend sind jedoch auch weitere individuelle Kriterien wie die Dauer der Tat und die eigene Leistungsfähigkeit.

 

bb) Sinn und Zweck

 

Diese besondere Ausgestaltung der Sanktionen im Kartellrecht, insbesondere die am Gesamtumsatz des zu bebußenden Unternehmens orientierte u.U. enorme Höhe der möglichen Geldbußen gegen Unternehmen im Verhältnis zur natürlichen Person und deren Ausrichtung am tatbezogenen Umsatz, zeigt, dass Sinn und Zweck der Unternehmensgeldbuße insbesondere darin besteht, das rechtlich verselbständigte Vermögen der juristischen Person nachhaltig zu treffen (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 125). In der Begründung zum OWiG von 1967 (vgl. BT-Drs. V/1269 vom 8.1.1967 - 59/60) heißt es, dass mit der Geldbuße gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen der Zweck verfolgt wird, diesen die Vorteile abzunehmen, die ihnen durch Zuwiderhandlung ihrer Organe unrechtmäßig zugeflossen sind, weiterhin der Zweck, die Erzielung solcher unrechtmäßigen Vorteile zu bekämpfen. Liegt aber die Begründung für die extreme Höhe der Buße darin, dem Unternehmen - unabhängig von der weiteren Möglichkeit, den Mehrerlös abzuschöpfen - die Vorteile der Kartellzuwiderhandlung zu entziehen, kann es nicht gewollt sein, diese auf das Leitungsorgan bzw. - erst recht nicht wie hier beim Bestehen einer D&O-Versicherung - auf diese Versicherung zu verlagern (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1412). Die Bemessung der Geldbuße des Unternehmens zeigt, dass der Gesetzgeber von einem dauerhaften Verbleiben der Geldbuße bei dem Unternehmen ausgegangen ist, gegen das die Sanktion verhängt worden ist (vgl. Bunte, NJW 2018, 123, 125).

 

Um die Ziele des Wettbewerbsrechts zu erreichen, ist es auch nicht notwendig, das Leitungsorgan - zusätzlich zu der eigenen gegen ihn verhängten Geldbuße - noch mit der Geldbuße des Unternehmens zu belasten. Der Sanktionsgesetzgeber ging für Unternehmensangehörige jedenfalls davon aus, dass - vorbehaltlich des § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG - in keinem Fall, auch nicht in den schwersten Fällen, eine höhere Geldbuße als eine Million Euro festgesetzt werden soll (§ 81c Abs. 1 GWB). Dem Leitungsorgan droht zudem neben der individuellen Bebußung, dass es für alle weiteren Schäden der Gesellschaft jenseits der Verbandsbuße haftet und je nach Gewicht der Pflichtverletzung mit der fristlosen Kündigung seines Anstellungsvertrags rechnen muss (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 312).

 

Soweit argumentiert wird, dass durch die Inanspruchnahme des Managers die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion gegen die Gesellschaft nicht unterlaufen werde, weil die Kartellbußgelder regelmäßig so hoch seien, dass sie kaum vollständig von einem Organmitglied ersetzt werden könnten, überzeugt dies nicht. Dies hängt nämlich zufällig von den tatsächlichen Gegebenheiten, der jeweiligen Vermögenssituation des Geschäftsleitungsorgans und der Höhe der Unternehmensgeldbuße ab. Vielmehr zeigt der vorliegende Fall, dass die Sanktionswirkung einer Geldbuße gegen das Unternehmen faktisch leerliefe, wenn - wie hier - eine D&O-Versicherung und damit letztlich die Versichertengemeinschaft den Schaden vollständig trüge. Dies gilt insbesondere dann, wenn die D&O-Versicherung eine Deckungssumme - wie hier - in der Größenordnung oder noch über der 10%-Umsatzschwelle für Unternehmensgeldbußen (§ 81c Abs. 2 S. 2 GWB) vorsieht. Hierbei ist auch zu sehen, dass die verhängten Bußgelder den 10%-Umsatzrahmen oft nur zu einem geringeren Teil ausschöpfen.

 

Zu berücksichtigen ist ferner, dass eine unmittelbare Versicherung von Bußgeldrisiken durch das Unternehmen als so genannte Eigenschadensdeckung nicht in Betracht kommt. So verstieße ein Vertrag, mit dem die Versicherung das Unternehmen unmittelbar von seiner Bußgeldpflicht - insbesondere im Fall des Vorliegens von Vorsatz - freistellte, gegen § 138 Abs. 1 S. 1 BGB. Bestehender Versicherungsschutz kann nämlich dazu führen, dass die versicherte Person nachlässiger agiert. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die Verhängung einer Geldstrafe oder Geldbuße für die Verletzung bestimmter Verhaltensweisen gerade für erforderlich gehalten hat (vgl. Armbrüster, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 7, 6. Aufl. 2020, § 108 D&O-Versicherung, Rn. 82; Thomas, NZG 2015, 1409, 1416 jeweils m.w.N. auch zum Streitstand).

 

Demgegenüber wird der Abschluss einer D&O-Versicherung zugunsten des Leitungsorgans einer Gesellschaft zivilrechtlich für wirksam gehalten. Daher besteht in den Unternehmen regelmäßig D&O-Versicherungsschutz für den Vorstand bzw. die Geschäftsführung. Abhängig von den Versicherungsbedingungen und der Verschuldensform des Leitungsorgans wäre es daher möglich, dass letztlich die D&O-Versicherung für das gegen das Unternehmen verhängte Bußgeld einzutreten hätte, wenn man einen Binnenregress zuließe. Damit würde die ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion aber unterlaufen. Hierbei ist auch zu sehen, dass das Leitungsorgan als versicherte Person seinen Deckungsanspruch erfüllungshalber wiederum an das Unternehmen abtreten kann (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1416).

 

Wie bereits erläutert, wird die Sanktionswirkung insbesondere dann unterlaufen, wenn die Deckungssumme - wie hier bei einer Höhe von bis zu .. Mio. € - den möglichen Bußgeldrahmen weitgehend und die zu erwartende Geldbuße faktisch sicher abdeckte. In diesem Fall würde die vom Gesetzgeber bezweckte Präventionswirkung einer Geldbuße ins Leere laufen.

 

cc) Bundesgerichtshof

 

Die von den Befürwortern des Binnenregresses zur Stützung ihrer Auffassung herangezogene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den sog. Beraterfällen (vgl. BGH, Urteil vom 31.1.1957, II ZR 41/56, NJW 1957, 586 - Bankenhaftung; BGH, Urteil vom 14.11.1996, IX ZR 215/95, NJW 1997, 518, 519 - Steuerberaterhaftung; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8, WM 2010, 993 f. - Steuerberaterhaftung) steht nicht entgegen.

 

Der wesentliche Unterschied zwischen den zitierten Beraterfällen und der vorliegenden Konstellation besteht darin, dass die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG zwingend die Anknüpfungstat einer für den Verband handelnden Leitungsperson voraussetzt. Der Gesetzgeber hatte klar vor Augen, dass denknotwendig mindestens zwei Rechtsträger (eine Leitungsperson und die Gesellschaft) als Sanktionsadressaten in Betracht kommen. Wenn er in dieser Situation anordnet, dass beide Parteien bebußt werden können und sollen, und zwar jede nach auf sie individuell abgestimmten Bemessungsfaktoren, handelt es sich dabei um eine Sanktionsregelung, die speziell auf diesen besonderen Fall der Verantwortlichkeit Mehrerer zugeschnitten ist. Diese Wertung darf nicht durch den Rekurs auf die allgemeine Organhaftung unterlaufen werden. Im Unterschied dazu fehlt es in den Beraterfällen, in denen nur der Geschädigte der alleinige Sanktionsadressat ist, an einer (weiteren) sanktionsrechtlichen Regelung im Verhältnis Berater und Beratenem (vgl. Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG, Rn. 312; Thomas, NZG 2015, 1409, 1413).

 

Daher widerspricht auch die von den Klägerinnen besonders hervorgehobene Entscheidung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 22.9.2016, VII ZR 14/16, NJW 2016, 3715) zum Regress einer Verbandsgeldbuße eines Fußballvereins gegen einen Zuschauer, der während eines Fußballspiels einen gezündeten Sprengkörper geworfen hatte, nicht der hier vertretenen Auffassung. Auch in dem dortigen Fall war allein der Fußballverein nach § 9 a Nr. 1 und 2 der Rechts- und Verfahrensordnung des Deutschen Fußball-Bundes e.V. Sanktionsadressat der Geldstrafe.

 

Auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 18.11.2014, KZR 15/12, BeckRS 2015, 33 ff.) können die Klägerinnen für den vorliegenden Fall nichts für sie Günstiges ableiten. Dort hat der Bundesgerichtshof die Möglichkeit eines Innenregresses gemäß § 426 Abs. 1 BGB bejaht, nachdem die Europäische Kommission eine Geldbuße gegen drei Unternehmen als Gesamtschuldner verhängt hatte. Der Bundesgerichtshof hat dort ausgeführt, dass sich in diesem Fall die Höhe der Ausgleichsansprüche der Gesamtschuldner untereinander nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere anhand der individuellen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge bemessen (BGH, Urteil vom 18.11.2014, KZR 15/12, BeckRS 2015, 33 ff., Rn. 32 ff.). Diese Fallkonstellation ist mit dem Streitfall nicht zu vergleichen. Hier geht es nicht um einen im Innenverhältnis vorzunehmenden Gesamtschuldnerausgleich. Dort waren drei Gesellschaften einheitlich mit einem Bußgeld belegt worden. Hier wurden hingegen jeweils gesonderte Sanktionen gegen zwei Adressaten nach den jeweils für sie individuell geltenden Regeln festgesetzt.

 

Soweit der Bundesgerichtshof (vgl. BGH, Urteil vom 8.7.2014, II ZR 174/13, NZG 2014, 1058, Rn. 12; BGH, Urteil vom 15.4.2010, IX ZR 189/09, Rn. 8 - Steuerberater, WM 2010, 993 f.) entschieden hat, dass die freiwillige Zahlung einer Geldstrafe durch einen Dritten keine Strafvereitelung nach § 258 StGB darstellt, folgt daraus lediglich, dass das Verhalten des Dritten nicht strafwürdig ist. Daraus ergibt sich aber nicht, dass die Zahlung einer Geldstrafe oder Buße durch einen Dritten den Sanktionszweck nicht verhindern würde (vgl. Thomas, NZG 2015, 1409, 1411).

 

III. Berufung der Klägerin zu 2)

 

Die Berufung der Klägerin zu 2) ist nicht begründet. Auch insoweit beruht die Entscheidung des Landgerichts weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).

 

Die Klägerin zu 2) hat gegen den Beklagten keinen Anspruch gemäß § 93 Abs. 2. S. 1 AktG auf Erstattung ihrer IT- und Rechtsanwaltskosten, weil diese unmittelbar durch das Bußgeldverfahren und die Abwehr des Erlasses bzw. der Reduzierung von Bußgeldbescheiden gegen die Klägerinnen entstanden sind und deshalb als damit zusammenhängende Nebenforderungen an der teleologischen Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG teilnehmen.

 

Zwar sind derartige Ermittlungs- und Rechtsverfolgungskosten grundsätzlich entsprechend der allgemeinen Dogmatik zu §§ 249 ff. BGB von dem nach diesen Normen zu ersetzenden Schaden umfasst (vgl. LG München, Urteil vom 10.12.2013, 5 HK O 1387/10, BeckRS 2014, 1998; Koch, in: Koch/AktG, 16. Aul. 2022, § 93 AktG Rn. 89; Verse, in: Scholz, GmbHG, 13. Aufl. 2022, § 43 GmbHG Rn. 300; Spindler, in: MüKoAktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG, Rn. 193; Fleischer, in: BeckOGK, 1.1.2023, § 93 AktG, Rn. 258; Lüneborg/Resch, NZG 2018, 209, 214 jeweils m.w.N.; Beck, in: Rübenstahl/Hahn/Voet van Vormizeele, Kartell Compliance, 2019, § 16 Rn. 33; vgl. auch BAG, Urteil vom 28.5.2009, 8 AZR 226/08, NZA 2009, 1300 und BGH, Beschluss vom 15.5.2013, XII ZB 107/08, NW 2013, 2668 zu sog. Detektivkosten).

 

Hier scheidet ein Anspruch aufgrund der oben aufgeführten Erwägungen zur teleologischen Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG jedoch aus. Der Leiter der Rechtsabteilung der Klägerin zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, sämtliche geltend gemachten Kosten seien ausschließlich als Ermittlungs- und Rechtsverteidigungskosten zur Abwehr des Erlasses von Bußgeldbescheiden bzw. zur Reduktion etwaiger Bußgelder entstanden. Nach dem Vortrag der Klägerinnen hängen die von der Klägerin zu 2) geltend gemachten Kosten damit nur mit dem Erlass bzw. Nichterlass von Bußgeldbescheiden zusammen. Ist aber die festgesetzte Geldbuße nicht zu ersetzen, teilen die hierfür aufgewandten (Neben-) Kosten ihr Schicksal und nehmen an der teleologischen Reduktion von § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bzw. § 43 Abs. 2 GmbHG teil.

 

IV. Revision

 

Die Revision wird gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen. Es liegt bislang keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu der umstrittenen Frage vor, ob im Fall der Verhängung eines Verbandskartellbußgeldes gegen ein Unternehmen ein Schadensersatzanspruch der Gesellschaft gegen sein (ehemaliges) Leitungsorgan besteht oder ob die Sanktionszwecke des deutschen Kartellrechts es gebieten, die Haftung des Organs nach § 43 Abs. 2 GmbHG bzw. § 93 Abs. 2 AktG teleologisch zu beschränken.

 

V. Nebenentscheidungen

 

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

VI. Streitwert

 

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 3 ZPO auf .. festgesetzt. Auf die Berufung des Beklagten entfällt ein Betrag in Höhe von .. von denen auf jede Feststellungsklage .. entfallen. Das entspricht den Angaben der Klägerinnen in der Klageschrift. Weiter entfällt auf die Berufung der Klägerin zu 1) ein Betrag in Höhe von .. und auf diejenige der Klägerin zu 2) ein solcher in Höhe von .. .

 

VII. Nicht nachgelassene Schriftsätze

 

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerinnen vom 5.7.2023 gibt keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Soweit die Klägerinnen dort erneut Argumente für die von ihnen vertretene Ansicht, die die Möglichkeit eines Regresses bejaht, vortragen, sind diese bereits Gegenstand ihrer vorangegangenen Schriftsätze und auch der mündlichen Verhandlung gewesen. Der Senat verkennt diese Argumente nicht, hat sich aber aus den oben aufgeführten Gründen gegen die Möglichkeit eines Regresses entschieden. Dies gilt auch im Hinblick auf die geltend gemachten Verteidiger- und sonstigen Aufklärungskosten.

 

Lediglich ergänzend ist auszuführen, dass mit der Vorlage einer Stundensatzvereinbarung und von Rechnungen die Berechtigung der geltend gemachten Anwaltskosten nicht bewiesen ist.

 

Damit eine Gebührenvereinbarung wirksam ist, bedarf sie nach § 3a Abs. 1 RVG der Textform. Jedoch finden sich in der mit Schriftsatz vom 19.4.2022 vorgelegten Auflistung der durchgeführten Tätigkeiten diverse Tätigkeiten, die mit Stundensätzen über .. € und über .. € abgerechnet worden sein sollen. Dass diese Stundensätze vereinbart worden sind, ergibt sich jedenfalls nicht aus der vorgelegten Vergütungsvereinbarung, die andere Stundensätze vorsieht.

 

Damit der Klägerin zu 2) ein entsprechender Ersatzanspruch gegen den Beklagten zustünde, wäre darüber hinaus Voraussetzung, dass die Kanzlei K. ihre Leistungen ordnungsgemäß nach § 10 RVG abgerechnet und die Klägerin zu 2) diese beglichen hat. Honorarrechnungen sind nach § 10 Abs. 1 RVG von dem Rechtsanwalt zu unterschreiben. Zudem ist eine Berechnung der Gebühren zu erstellen. Entspricht die Kostenberechnung nicht den Anforderungen des § 10 RVG, ist die Vergütung nicht einforderbar. Der Mandant gerät weder in Zahlungsverzug noch tritt eine Verzinsung ein (vgl. Hans-Jochem Meyer, in: HK-RVG, 8. Aufl. 2021, RVG § 10 Rn. 37). Dass diese Anforderungen eingehalten wurden, lässt sich anhand der vorgelegten Unterlagen, die keine Unterschrift aufweisen, nicht feststellen. Auch ist nicht dargelegt, wie sich die im Prozess geltend gemachte Teilforderung über .. € von den vorgelegten Rechnungen über .. € konkret unterscheidet und ob die Teilforderung korrekt berechnet wurde.

 

Ebenso wenig bietet der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagten vom 17.7.2023 Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

 

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