BVerfG: Vorratsdatenspeicherung
Vereinbarkeit der Regelungen des Telekommunikationsgesetzes und der Strafprozessordnung über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 GG; Pflicht zur Gewährleistung einer hinreichenden Datensicherheit und Begrenzung der Verwendungszwecke der Daten; Möglichkeit der Erstellung eines aussagekräftigen Persönlichkeitsprofils und Bewegungsprofils durch die Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten; Anforderungen an die zu treffenden Schutzvorkehrungen bezüglich der durch eine solche Speicherung geschaffenen Datenbestände; Verwendbarkeit der Daten für überragend wichtige Aufgaben des Rechtsgüterschutzes; Grundsatz der Offenheit der Erhebung und Nutzung von personenbezogenen Daten; Richtervorbehalt als Voraussetzung für die Übermittlung und Nutzung von gespeicherten Daten; Anforderungen an die mittelbare Nutzung der Daten zur Identifizierung von IP-Adressen; Verantwortlichkeit für die Ausgestaltung der Regelungen zur Sicherheit der gespeicherten und Übermittlung der Daten; Voraussetzungen der unmittelbaren Verwendung der gespeicherten Daten für die Strafverfolgung |
BVerfG , Urteil vom 02.03.2010 - Aktenzeichen 1 BvR 256/08 - Aktenzeichen 1 BvR 263/08 - Aktenzeichen 1 BvR 586/08 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Leitsätze: 1. Eine sechsmonatige, vorsorglich anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch private Diensteanbieter, wie sie die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 (ABl L 105 vom 13. April 2006, S. 54; im Folgenden: Richtlinie 2006/24/EG) vorsieht, ist mit Art. 10 GG nicht schlechthin unvereinbar; auf einen etwaigen Vorrang dieser Richtlinie kommt es daher nicht an. 2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die gesetzliche Ausgestaltung einer solchen Datenspeicherung dem besonderen Gewicht des mit der Speicherung verbundenen Grundrechtseingriffs angemessen Rechnung trägt. Erforderlich sind hinreichend anspruchsvolle und normenklare Regelungen hinsichtlich der Datensicherheit, der Datenverwendung, der Transparenz und des Rechtsschutzes. 3. Die Gewährleistung der Datensicherheit sowie die normenklare Begrenzung der Zwecke der möglichen Datenverwendung obliegen als untrennbare Bestandteile der Anordnung der Speicherungsverpflichtung dem Bundesgesetzgeber gemäß Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG. Demgegenüber richtet sich die Zuständigkeit für die Schaffung der Abrufregelungen selbst sowie für die Ausgestaltung der Transparenz- und Rechtsschutzbestimmungen nach den jeweiligen Sachkompetenzen. 4. Hinsichtlich der Datensicherheit bedarf es Regelungen, die einen besonders hohen Sicherheitsstandard normenklar und verbindlich vorgeben. Es ist jedenfalls dem Grunde nach gesetzlich sicherzustellen, dass sich dieser an dem Entwicklungsstand der Fachdiskussion orientiert, neue Erkenntnisse und Einsichten fortlaufend aufnimmt und nicht unter dem Vorbehalt einer freien Abwägung mit allgemeinen wirtschaftlichen Gesichtspunkten steht. 5. Der Abruf und die unmittelbare Nutzung der Daten sind nur verhältnismäßig, wenn sie überragend wichtigen Aufgaben des Rechtsgüterschutzes dienen. Im Bereich der Strafverfolgung setzt dies einen durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht einer schweren Straftat voraus. Für die Gefahrenabwehr und die Erfüllung der Aufgaben der Nachrichtendienste dürfen sie nur bei Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person, für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für eine gemeine Gefahr zugelassen werden. 6. Eine nur mittelbare Nutzung der Daten zur Erteilung von Auskünften durch die Telekommunikationsdiensteanbieter über die Inhaber von Internetprotokolladressen ist auch unabhängig von begrenzenden Straftaten- oder Rechtsgüterkatalogen für die Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und die Wahrnehmung nachrichtendienstlicher Aufgaben zulässig. Für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten können solche Auskünfte nur in gesetzlich ausdrücklich benannten Fällen von besonderem Gewicht erlaubt werden. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Redaktionelle Normenkette: GG Art. 1 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1; GG Art. 10 Abs. 1; GG Art. 12 Abs. 1; GG Art. 14 Abs. 1; GG Art. 73 Abs. 1 Nr. 7; StPO § 100g Abs. 1 S. 1; StPO § 101 Abs. 4 S. 4; TKG § 95; TKG § 96 Abs. 2 S. 1; TKG § 97 Abs. 1 S. 1; TKG § 99 Abs. 1 S. 1; TKG § 100 Abs. 1; TKG § 101 Abs. 1 S. 1; TKG § 111; TKG § 113a; TKG § 113b; EMRK Art. 8; EMRK Art. 10; RL 2006/24/EG Art. 3 Abs. 1; RL 2006/24/EG Art. 4; RL 2006/24/EG Art. 6; RL 2006/24/EG Art. 7; RL 2006/24/EG Art. 8; RL 2006/24/EG Art. 13;
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