BGH: Voraussetzungen für die Aufspaltung einer sitttenwidrigen Vertragsklausel
Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.2008
Aktenzeichen: V ZR 14/08
Rechtsgebiete: BGB
Vorschriften:
BGB § 139 |
Die Aufspaltung einer sittenwidrigen Vertragsklausel in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil (sog. quantitative Teilbarkeit) kommt nur in Betracht, wenn konkrete, über allgemeine Billigkeitserwägungen hinausgehende Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Aufspaltung dem entspricht, was die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit ihrer Vereinbarung geregelt hätten.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
V ZR 14/08
Verkündet am: 17. Oktober 2008
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 25. September 2007 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 16. Februar 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, die diesem auferlegt werden.
Von Rechts wegen Tatbestand:
Die Beklagten betrieben etwa 30 Jahre lang auf ihnen gehörenden Grundstücken ein Hotel mit angeschlossenem Restaurant. Mit notariellem Vertrag vom 10. Januar 1992 verkauften sie das Anwesen an den Kläger zu 2. Seine Ehefrau, die Klägerin zu 1, erwarb das Inventar des Hotels. Als Kaufpreis wurden 450.000 DM für die Grundstücke und 171.000 DM für das Inventar vereinbart. Außerdem verpflichteten sich die Kläger, den Beklagten eine wertgesicherte Rente von 5.000 DM monatlich zu zahlen. Zur Absicherung dieser Verpflichtung bestellten die Kläger den Beklagten eine Reallast an den zu übertragenden Grundstücken.
Ferner enthält der Vertrag ein Belastungsverbot und eine Verfallklausel, die wie folgt lauten:
"Der Käufer...verpflichtet sich, die Vertragsgrundstücke zu Lebzeiten der Eheleute K. [= Bekl.] weder ganz noch teilweise zu veräußern und nicht mit Grundpfandrechten zu belasten, ausgenommen eine Grundschuld bis zu 80.000 DM ohne Zinsen und ohne Nebenleistungen. Wenn der Käufer gegen diese Verpflichtung verstößt.... oder der Käufer mit der... Rentenzahlung mit mehr als zwei Monatsbeträgen im Rückstand ist, sind alle Grundstücke samt Zubehör an die Eheleute K., nach dem Tod eines Ehegatten auf den überlebenden Teil allein, ohne Gegenleistung zurückzuübertragen. Die bezahlten Kaufpreise von 450.000 DM und 171.000 DM und die bezahlten Rentenbeträge sind nicht zurückzuerstatten.
Zur Sicherung dieses Anspruchs der Eheleute K. wird die Eintragung einer Auflassungsvormerkung....bewilligt und beantragt..."
Der Vertrag wurde durchgeführt. Bis zum Jahr 2001 erbrachten die Kläger die monatlichen, sich zuletzt auf 3.128,55 € belaufenden Rentenzahlungen ordnungsgemäß. Die nachfolgenden Erhöhungen leisteten sie nicht mehr; ab Mitte 2005 stellten sie ihre Zahlungen ganz ein. Die Beklagten betreiben deshalb die Zwangsvollstreckung aus der Kaufvertragsurkunde.
Hiergegen wenden sich die Kläger mit einer Zwangsvollstreckungsgegenklage. Sie möchten ferner festgestellt wissen, dass sie nicht verpflichtet sind, die monatlichen Rentenzahlungen zu erbringen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Revision. Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, das Belastungsverbot und die Verfallklausel führten zu einer sittenwidrigen Übersicherung der Beklagten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. Die Rentenzahlungspflicht der Kläger bestehe jedoch fort, denn die aus der Sittenwidrigkeit folgende Nichtigkeit erfasse nicht den gesamten Vertrag. Zwar sei nicht anzunehmen, dass die Beklagten den Vertrag ohne das Belastungsverbot und die Verfallklausel abgeschlossen hätten. Beide Regelungen ließen sich aber in eindeutig abgrenzbarer Weise in einen nichtigen und einen wirksamen Teil aufteilen und daher nach § 139 BGB aufrechterhalten. Das Belastungsverbot sei nichtig, soweit es Belastungen betreffe, die Investitionen in die verkauften Grundstücke und den Hotelbetrieb absicherten; im Übrigen sei es wirksam. Die Verfallklausel sei wirksam, soweit die von den Beklagten erhaltenen und zurück zu gewährenden Leistungen den Wert der zurück zu übertragenden Grundstücke überstiegen. Im Übrigen sei die Berufung der Kläger auf die Gesamtnichtigkeit des Vertrages treuwidrig (§ 242 BGB), weil die sittenwidrigen Regelungen ausschließlich den Interessen der Beklagten dienten. II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nicht zu beanstanden und auch von der Revisionserwiderung nicht in Zweifel gezogen ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach das Belastungsverbot und die Verfallklausel sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sind.
a) Das Belastungsverbot beschränkt die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Kläger in einem Maße, dass diese ihre Selbständigkeit und wirtschaftliche Handlungsfreiheit in einem wesentlichen Teil eingebüßt haben, und stellt sich damit als sittenwidrige Knebelung dar (vgl. BGH, Urt. v. 7. Januar 1993, IX ZR 199/91, NJW 1993, 1587, 1588 m.w.N.). Da das Grundstück als Sicherheit für Kredite nicht zur Verfügung steht und ein erheblicher Teil der laufenden Einnahmen an die Beklagten zu zahlen ist, können die Kläger - obwohl sie als Grundstückseigentümer und Betriebsinhaber das volle unternehmerische Risiko tragen - zu Lebzeiten der Beklagten keine größeren Mittel aufbringen, um das Hotel durch laufende Investitionen auf einem neuzeitlichen Stand zu halten und für Gäste attraktiv zu gestalten. Ihr wirtschaftlicher Misserfolg war durch die Vertragsgestaltung vorgezeichnet. Dies war auch für die Beklagten erkennbar, da sie nach den Feststellungen des Landgerichts wussten, dass die Kläger über keine finanziellen Reserven verfügten, sondern sie - im Gegenteil - eindringlich darum gebeten hatten, die Grundstücke in größerem Umfang belasten zu dürfen. Die weitreichende Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Kläger war auch nicht durch ein Sicherungsbedürfnis der Beklagten gerechtfertigt. Ihrem Interesse, die Grundstücke zur Sicherung ihres Rentenanspruchs zu nutzen, war bereits durch die zur ihren Gunsten eingetragene, etwaigen späteren Belastungen des Grundstücks im Rang vorgehende Reallast Rechnung getragen.
b) Die Verfallklausel stellt eine gänzlich unangemessene, die Beklagten einseitig begünstigende Regelung dar und ist deshalb ebenfalls nicht mit den guten Sitten zu vereinbaren. Ihre - scheinbare - Zielrichtung, die Kläger zu einer ordnungsgemäßen Zahlung der monatlichen Rente anzuhalten und den Beklagten im Verletzungsfall eine erleichterte Schadloshaltung zu ermöglichen, ist zwar nicht zu missbilligen. Tatsächlich ist die Klausel aber nicht an diesem Zweck ausgerichtet worden. Denn die bei einem Verzug mit der Rentenzahlung verfallende Summe entspricht den bis dahin erbrachten Leistungen, wächst also mit der Höhe der auf den Kaufpreis erbrachten Zahlungen. Die Kläger stehen mithin umso schlechter, je vertragstreuer sie sich verhalten, und desto besser, je früher sie die Rentenzahlungen einstellen. Damit wird die Druckfunktion der Verfallklausel in ihr Gegenteil verkehrt. Entsprechendes gilt für die Schadenspauschalierung. Indem die Beklagten im Fall ihres Rücktritts vom Vertrag die bis dahin erlangten Leistungen behalten dürfen, wird ihr Vorteil umso größer, je vertragstreuer sich die Kläger verhalten haben. Jegliche Verknüpfung mit dem tatsächlichen oder nach den Umständen zu erwartenden Schaden der Beklagten fehlt. Damit dient die Verfallklausel nur dazu, den Beklagten im Fall einer Rückabwicklung zu Lasten der Kläger den größtmöglichen Vorteil zu sichern: Sie sollen die von ihnen erbrachte Leistung zurückverlangen können, ohne die empfangenen Leistungen herausgeben zu müssen. Eine solche einseitige und völlig unverhältnismäßige Regelung verstößt gegen die guten Sitten und ist damit nichtig (vgl. BGH Urt. v. 8. Oktober 1992, IX ZR 98/91, NJW-RR 1993, 243, 247).
2. Nicht frei von Rechtsfehlern ist dagegen die Anwendung des § 139 BGB durch das Berufungsgericht. Die Vorschrift besagt, dass ein Rechtsgeschäft bei Nichtigkeit eines Teils des Geschäfts insgesamt nichtig ist, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Von Letzterem ist bei einem einheitlichen Rechtsgeschäft auszugehen, wenn die nach Abtrennung des von dem Nichtigkeitsgrund betroffenen Vertragsteils verbleibenden Vereinbarungen ein selbständiges Rechtsgeschäft bilden und anzunehmen ist, dass die Parteien bei Kenntnis der teilweisen Nichtigkeit ihrer Vereinbarungen dieses Rechtsgeschäft abgeschlossen hätten.
a) Bezogen auf das Belastungsverbot und auf die Verfallklausel im Ganzen ist hiernach von einer Nichtigkeit des gesamten Kaufvertrages auszugehen. Denn das Berufungsgericht hat sich erklärtermaßen nicht davon überzeugen können, dass die Beklagten den Vertrag auch ohne diese Klauseln abgeschlossen hätten.
b) Im Ansatz zutreffend nimmt das Berufungsgericht weiter an, dass die für eine Aufrechterhaltung eines Vertrages notwendige Abtrennung des von dem Nichtigkeitsgrund betroffenen Teils nicht ausschließlich durch das "Hinausstreichen" der nichtigen Regelung erfolgen kann. Nach Sinn und Zweck von § 139 BGB, ein teilweise nichtiges Rechtsgeschäft nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten, wenn dies dem tatsächlichen oder hypothetischen Parteiwillen entspricht, ist grundsätzlich auch eine sog. quantitative Teilbarkeit möglich, also eine Aufspaltung der nichtigen Regelung in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil. Sie kommt vor allem in Betracht, wenn eine Vertragsklausel wegen des Übermaßes der in ihr enthaltenen Rechte oder Pflichten nichtig ist und angenommen werden kann, dass die Parteien bei Kenntnis dieses Umstands an ihrer Stelle eine auf das zulässige Maß beschränkte Regelung getroffen hätten (BGHZ 105, 213, 220 ff.; 107, 351, 355 ff.; 146, 37, 47 f.).
Eine solche quantitative Teilbarkeit von Vertragsklauseln ist jedoch nur möglich, wenn sich feststellen lässt, was die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit einer Regelung an deren Stelle gesetzt hätten. Das folgt aus Sinn und Zweck der Vorschrift des § 139 BGB, den hypothetischen Willen der Vertragsparteien zu verwirklichen (BGH, Urt. v. 13. März 1986, III ZR 114/84, NJW 1986, 2576, 2577). Wo dieser Wille nicht zu ermitteln ist, weil mehrere Möglichkeiten zur Ersetzung der nichtigen Bestimmung gegeben sind und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, welche von ihnen die Parteien gewählt hätten, ist der Regelungsbereich der Vorschrift überschritten (BGHZ 107, 351, 356). In einem solchen Fall kommt nur ein "Hinausstreichen" der nichtigen Bestimmung oder aber die Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts in Betracht.
Der Grenze zwischen der Verwirklichung des hypothetischen Parteiwillens und einer unzulässigen richterlichen Vertragsgestaltung (vgl. dazu BGHZ 107, 351, 357) kommt bei sittenwidrigen Regelungen besondere Bedeutung zu. Könnte ein Gericht bereits daraus, dass eine von ihm erwogene Aufspaltung in einen wirksamen und einen nichtigen Teil zu einem vernünftigen Interessenausgleich führt, folgern, diese entspräche dem hypothetischen Willen der Parteiwillen, verlören sittenwidrige Rechtsgeschäfte das Risiko, mit dem sie infolge der gesetzlich angeordneten Nichtigkeitssanktion behaftet sind (vgl. BGHZ 146, 37, 47 f.). Der Begünstigte könnte nämlich damit rechnen, schlimmstenfalls durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was die Parteien nach Auffassung des Gerichts bei redlicher Denkweise als gerechten Interessenausgleich hätten akzeptieren sollen. Fast jede sittenwidrige Vertragsklausel ließe sich auf diese Weise im Wege der quantitativen Teilbarkeit aufrechterhalten. Hierzu darf eine entsprechende Anwendung von § 139 BGB nicht führen. Im Grundsatz ist deshalb von der Nichtigkeit einer sittenwidrigen Klausel auszugehen. Nur ausnahmsweise kommt eine Aufspaltung in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil entsprechend § 139 BGB in Betracht, wenn konkrete, über allgemeine Billigkeitserwägungen hinausgehende Anhaltspunkte den Schluss rechtfertigen, dass die Aufspaltung dem entspricht, was die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit ihrer Vereinbarung geregelt hätten (vgl. BGHZ aaO, 48).
c) Entsprechende Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Soweit es davon ausgeht, die unwirksamen Teile des Belastungsverbots und der Verfallklausel ließen sich im Wege der quantitativen Teilbarkeit genau bestimmen und abtrennen, beruht dies ersichtlich auf eigenen Billigkeitserwägungen. Dies wird darin offenbar, dass das Berufungsgericht die auf der Hand liegenden vielfältigen anderen angemessenen Regelungen, die die Parteien an Stelle der unwirksamen hätten vereinbaren können, nicht ansatzweise erwägt. Beispielsweise hätte eine gleichwertige Möglichkeit, die Wirkungen des Belastungsverbots zu reduzieren, in einer deutlichen, unter Umständen nach Zeitabschnitten gestaffelten, Erhöhung des auf 80.000 DM beschränkten Betrages bestanden. Eine solche Lösung hätte Streit darüber vermieden, ob bestimmte Belastungen tatsächlich Investitionen in den Hotelbetrieb absicherten, und wäre von den Parteien möglicherweise gegenüber einer an dem Zweck der gesicherten Verbindlichkeit ausgerichteten Regelung bevorzugt worden. Entsprechendes gilt für die Verfallklausel. Das Berufungsgericht nennt wiederum nur eine der möglichen Regelungen, die die Parteien anstelle der getroffenen Regelung hätten vereinbaren können. Gemeint ist offenbar eine Begrenzung der im Fall eines Rücktritts der Beklagten nach den Vorschriften der §§ 346 ff. BGB a.F. geschuldeten Leistungen auf den aktuellen Wert der von den Klägern zurückzuübertragenden Grundstücke. Es kann schon bezweifelt werden, ob mit einer solchen Regelung dem Interesse der Beklagten hinreichend Rechung getragen gewesen wäre, die Kläger durch Vereinbarung einer Sanktion dazu anzuhalten, ihrer Rentenzahlungspflicht nachzukommen. Jedenfalls wäre dieses Ziel durch andere wirksame Regelungen zu erreichen gewesen. Hierzu zählt insbesondere die Vereinbarung einer - wiederum in verschiedensten Ausgestaltungen denkbaren - Vertragsstrafe.
Konnte an die Stelle der nichtigen Bestimmungen aber jeweils eine von mehreren denkbaren Möglichkeiten gesetzt werden, wäre die von dem Berufungsgericht vorgenommene Aufspaltung in einen wirksamen und einen unwirksamen Teil, wie ausgeführt, nur zulässig, wenn sich ein entsprechender (hypothetischer) Wille der Parteien nicht nur an allgemeinen Billigkeitserwägungen, sondern an bestimmten objektiven Verhältnissen und Umständen festmachen ließe. Daran fehlt es vorliegend.
d) Hierin besteht zugleich der maßgebliche Unterschied zu den von dem Berufungsgericht herangezogenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Dort waren anderen Rechtsbeziehungen der Parteien oder einer gesetzlichen Regelung konkrete Anhaltspunkte für das zu entnehmen, worauf sich die Parteien bei Kenntnis der Unwirksamkeit ihrer Vereinbarung verständigt hätten (sog. Vorregelung, vgl. BGHZ 107, 351, 358). So wurde die in einem Gesellschaftsvertrag enthaltene sittenwidrige Regelung, die einem Gesellschafter das Recht einräumte, Mitgesellschafter nach freiem Ermessen aus der Gesellschaft auszuschließen, vor dem Hintergrund von § 140 HGB mit dem Inhalt aufrechterhalten, dass dieses Recht nur bei Vorliegen eines wichtigen Grunds gegeben war (BGHZ aaO). Beispiele für die Reduzierung einer Klausel auf das nach der gesetzlichen Regelung zulässige Maß sind ferner die teilweise Aufrechterhaltung einer über drei Monatsmieten hinausgehenden Kautionsabrede (BGH, Urt. v. 30. Juni 2004, VIII ZR 243/03, NJW 2004, 3045) und des Kündigungsverzichts eines Mieters im Rahmen eines Staffelmietvertrages (BGH, Urt. v. 16. Juni 2006, VIII ZR 257/04, NJW 2006, 2696) sowie die Befristung der Laufzeit einer Rückverkaufsverpflichtung (Senat, Urt. v. 22. Juni 2007, V ZR 260/06, NJW-RR 2007, 1608, 1610). Im Fall der sittenwidrigen Überforderung einer Ehefrau durch einen Schuldbeitritt konnte aus den bisherigen Rechtsverhältnissen der Beteiligten geschlossen werden, dass die Ehefrau dem Schuldbeitritt zugestimmt hätte, soweit dieser über den Geschäftskredit ihres Ehemanns hinaus die Haftung für gemeinsame, wirksam begründete Verbindlichkeiten der Eheleute betraf (BGHZ 146, 37).
3. Rechtsfehlerhaft ist ferner die Annahme, die Berufung der Kläger auf die Gesamtnichtigkeit des Vertrages sei treuwidrig. Sie lässt sich insbesondere nicht auf die von dem Berufungsgericht herangezogene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stützen, wonach es einer Vertragspartei verwehrt ist, sich unter Berufung auf § 139 BGB ihrer Vertragspflichten insgesamt zu entledigen, wenn lediglich eine allein den anderen Teil begünstigende, abtrennbare Regelung unwirksam ist und dieser andere Teil am Vertrag festhalten will (vgl. BGH, Urt. v. 30. Januar 1997, IX ZR 133/96, NJW-RR 1997, 684, 686; Urt. v. 7. Januar 1993, IX ZR 199/91, NJW 1993, 1587 1588; Urt. v. 25. April 1985, III ZR 27/84, WM 1985, 993, 994).
Dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass die Regelung des § 139 BGB offenkundig als Vorwand benutzt wird, um sich von einem missliebig gewordenen Vertrag zu lösen, wenn der sich auf die Gesamtnichtigkeit berufende Vertragspartner durch die unwirksame Regelung nicht nachteilig betroffen ist. Das kommt vor allem in Betracht, wenn die Regelung allein die andere Vertragspartei begünstigt (vgl. BGH, Urt. v. 27. Januar 1983, IX ZR 95/81, WM 1983, 267, 268) oder wenn sie bei der Durchführung des Vertrages bedeutungslos geblieben ist (vgl. BGHZ 112, 288, 296).
So liegt es hier indessen nicht. Das Belastungsverbot und die Verfallklausel begünstigen zwar allein die Beklagten. Darauf kommt es aber nicht an. Entscheidend ist, ob sie sich auch nur zugunsten der Beklagten auswirken, die Kläger also nicht beeinträchtigen können oder sie in der Vergangenheit jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht nicht beeinträchtigt haben. Hiervon kann zumindest hinsichtlich des Belastungsverbots, das die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Kläger seit Abschluss des Rechtsgeschäfts nachhaltig beschränkt und damit jahrelang zu ihren Lasten gewirkt hat, keine Rede sein. Die während des Rechtsstreits geäußerte Bereitschaft der Beklagten, künftig auf die Einhaltung des Belastungsverbots zu verzichten, steht dem Recht der Kläger, sich (weiterhin) auf die Gesamtnichtigkeit des Vertrages zu berufen, daher nicht entgegen.
III.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind (§ 563 Abs. 3 ZPO). Insbesondere zeigt die Revisionserwiderung keinen von dem Berufungsgericht unberücksichtigt gelassenen Vortrag zu objektiven Umständen und Verhältnissen auf, aus denen sich ergibt, dass die Parteien, wäre ihnen die teilweise Nichtigkeit ihrer Vereinbarungen bekannt gewesen, diese auf ein bestimmtes Maß reduziert hätten. Das führt zur Wiederherstellung des auf der Annahme einer Gesamtnichtigkeit des Vertrages beruhenden erstinstanzlichen Urteils.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO.
BGHR: | ja |
Nachschlagewerk: | ja |
Verfahrensgang: | LG Tübingen, 2 O 86/06 vom 16.02.2007 OLG Stuttgart, 10 U 59/07 vom 25.09.2007 |