OLG Frankfurt a. M.: Voraussetzungen für den Vorwurf einer rechtsmissbräuchlichen Verfolgung gleichlautender wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche durch mehrere Gläubiger
OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 1.12.2015 – 6 W 96/15
Volltext: BB-ONLINE BBL2016-194-1
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Leitsatz
Werden gleichlautende wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche durch mehrere Unterlassungsgläubiger parallel durch denselben Rechtsanwalt geltend gemacht, kann dies den Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Mehrfachverfolgung grundsätzlich nur dann begründen, wenn diese Unternehmen konzernmäßig oder in anderer Weise derart miteinander verbunden sind, dass sie die Verfolgung der Ansprüche durch nur eines dieser Unternehmen zuverlässig untereinander abstimmen können. Etwas anderes kann dann gelten, wenn der Anwalt "sämtliche Fäden in der Hand hat", d.h. die Mehrfachabmahnung aus eigener Initiative und in alleiniger Verantwortung losgelöst vom Willen der einzelnen Gläubiger koordiniert.
UWG § 8 IV
Sachverhalt
I.
Die Parteien sind Mitbewerber beim Online-Vertrieb von Verpackungsmaterialien. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin vertritt auch die ebenfalls in diesem Geschäftsbereich tätigen Unternehmen A GmbH und B UG. Seit 2013 führten die Antragsgegnerin einerseits, die Antragstellerin und die o. g. Firmen andererseits wechselseitige wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzungen, was zu mehr als 40 gerichtlichen und außergerichtlichen Verfahren geführt hat.
Am 11. Dezember 2014 erhielt die Antragsgegnerin eine im Namen der Firma B (UG) ausgesprochene Abmahnung des Antragstellervertreters, mit der beanstandet wurde, dass die Antragsgegnerin in einer Google - Shoplink - Anzeige die Auslobung "Versand gratis" verwendete, ohne darauf hinzuweisen, dass für eine Lieferung auf bestimmte deutsche Inseln ein so genannter "Inselzuschlag" verlangt wird (Anlage AG 5). Nachdem die Antragsgegnerin hierauf nicht reagierte, erwirkte die Firma B beim Landgericht Hamburg am 29. Dezember 2014 eine entsprechende einstweilige Verfügung (Az.: ! /14 - Anlage AG 7).
In der Zwischenzeit hatte die Antragsgegnerin die Antragstellerin wegen eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Grundpreisangabe gem. § 2 Abs. 1 der PAngV in einer auf der Handelsplattform "Ebay" eingestellten Werbeanzeige abgemahnt (Anlage K 10).
Am 31. Dezember 2014 sprach der Antragstellervertreter in deren Namen eine weitere Abmahnung gegenüber der Antragsgegnerin aus, weil diese in einem anderen, bei Google veröffentlichten Angebot, wiederum mit der Aussage "Versand gratis" warb, ohne den "Inselzuschlag" zu erwähnen (Anlage AG 6). Beiden Abmahnungen war ein Gegenstandswert von jeweils 40.000 € zu Grunde gelegt worden.
Die Antragstellerin hat zur eigenen Kenntnisnahme von den Wettbewerbsverstößen eidesstattliche Versicherungen ihres Geschäftsführers und ihres Verfahrensbevollmächtigten vorgelegt, auf deren Inhalt verwiesen wird (Anlagen K 13/14).
Die Auseinandersetzungen der Parteien setzten sich auch im Januar 2015 fort. Nachdem die Antragsgegnerin am 26. Januar 2015 die Firma B und die Firma A wegen Verstößen gegen die Preisangabenverordnung (Grundpreisangabe) abgemahnt hatte, sprach der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin in deren Namen, im Namen der Firma A und der Firma B am folgenden Tag ebenfalls Abmahnungen wegen Verstößen gegen die Pflicht zur Grundpreisangabe aus. Diese Abmahnungen sind der Antragstellerin per Telefax in einem Abstand von jeweils 15 min übermittelt worden.
Da die Antragsgegnerin die vom Landgericht Hamburg zu Gunsten der Firma B erlassene einstweilige Verfügung durch Abschlusserklärung vom 18. Februar 2015 als endgültige Regelung anerkannt hat, haben die Parteien das hiesige Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Durch den angefochtenen Beschluss vom 18. Juni 2015 hat das Landgericht der Antragstellerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, weil es deren Rechtsverfolgung für rechtsmissbräuchlich gehalten hat.
Die Antragstellerin hat am 8. September 2015 eine auf den 7. September 2015 datiertes Empfangsbekenntnis zurückgesandt und am 11. September 2015 sofortige Beschwerde gegen den o. g. Beschluss eingelegt. Sie streitet ab, rechtsmissbräuchlich gegenüber der Antragsgegnerin vorgegangen zu sein. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Aus den Gründen
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Kosten des Rechtsstreits sind der Antragsgegnerin aufzuerlegen, weil sie ohne das erledigende Ereignis, nämlich ihr Abschlussschreiben vom 18. Februar 2015 in der Hauptsache unterlegen gewesen wäre.
1.
Die Antragsgegnerin hat nicht glaubhaft machen können, dass der Antragstellerin die Prozessführungsbefugnis fehlte, weil ihre Rechtsverfolgung gem. § 8 Abs. 4 UWG rechtsmissbräuchlich war.
Ein Missbrauch der Antragsbefugnis liegt nur dann vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit seinem Vorgehen überwiegend sachfremde Motive verfolgt, die als die eigentliche Triebfeder oder das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Dazu ist eine umfassenden Abwägung der gegenseitigen Interessen erforderlich, bei der auch berücksichtigt werden muss, ob Interessen der Allgemeinheit die Rechtsverfolgung rechtfertigen (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Auflage Rn. 4.11 zu § 8 UWG).
Das Landgericht hat zwar mit Recht berücksichtigt, dass die Angabe eines überhöhten Gegenstandswertes ein Anhaltspunkt für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen sein kann. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass das Unterlassungsinteresse hier nicht mit einem Betrag von 40.000 € zu veranschlagen ist. Der Streitwert für Unterlassungsansprüche von Mitbewerbern wegen Verstößen gegen Vorschriften des UWG richtet sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung, die die Durchsetzung des Begehrens für den Anspruchsteller hat (§ 51 Abs. 2 UWG). Maßgeblich ist der sog. "Angriffsfaktor", der vom wettbewerbswidrigen Verhalten des Verletzers ausgeht und zu entsprechenden Gewinneinbußen des Anspruchsstellers führen kann, wenn das wettbewerbswidrige Verhalten fortgesetzt wird. Im vorliegenden Fall kommt es deshalb ganz erheblich darauf an, in welchem wirtschaftlichen Umfang Bewohner deutscher Nord- oder Ostseeinseln, die bei der Bestellung von Umzugskartons von der Antragstellerin getäuscht worden sind, für die Antragstellerin als potentielle Kunden wegfallen können. Dass der Angriffsfaktor in einem solchen Fall eine überschaubare Größenordnung hat, liegt auf der Hand, so dass der Geschäftswert bestenfalls mit 1.500 € angesetzt werden konnte.
Für sich gesehen kann allerdings die Angabe eines überhöhten Gegenstandswertes noch nicht ausreichen, um daraus ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Abmahnenden abzuleiten, denn er verfolgt zugleich die Interessen der Verbraucher, wie vor irreführender Werbung geschützt werden sollen. Das Landgericht hat dementsprechend den Rechtsmissbrauch ergänzend daraus abgeleitet, dass eine missbräuchliche Mehrfachverfolgung durch die oben genannten Firmen vorlag. Diese Voraussetzungen sind jedoch hier nicht glaubhaft gemacht:
Eine Mehrfachverfolgung ist missbräuchlich, wenn sie auf einem abgestimmten oder zentral koordinierten Verhalten der Unterlassungsgläubiger beruht, was in der Regel dann anzunehmen ist, wenn es sich bei den Mehrfachklägern um Konzernunternehmen handelt oder wenn sie in sonstiger Weise geschäftlich oder organisatorisch verbunden sind und sich dementsprechend abstimmen können (vgl. Köhler/Bornkamm a.a.O. Rn. 4.16 zu § 8 UWG). Dies beruht auf der Erwägung, dass in einem solchen Konzernverbund die Entscheidung, ob und wie Unterlassungsansprüche, die mehreren Konzernunternehmen zustehen, verfolgt und durchgesetzt werden sollen, zentral und einheitlich für alle Unternehmen getroffen werden kann; unter diesen Umständen ist es als missbräuchlich anzusehen, wenn gleichwohl mehrere dieser untereinander verbundenen und zentral geführten Unternehmen ohne erkennbaren Grund gleichlautende Unterlassungsansprüche durch denselben Anwalt geltend machen. Fehlt es dagegen - wie hier - an einer solchen Verbundenheit und damit an einer zuverlässigen Abstimmungsmöglichkeit zwischen den einzelnen Unternehmen, begründet der Umstand allein, dass diese Unternehmen parallel gleichlautende Unterlassungsansprüche gegen einen gemeinsamen Mitbewerber geltend machen, selbst dann grundsätzlich nicht den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs, wenn sie sich hierfür desselben Rechtsanwalts bedienen (vgl. Senat GRUR-RR 2015, 302 - Spezialisiert für Arbeitsrecht, juris-Tz. 39). Denn unter diesen Umständen kann von dem einzelnen Unternehmen nicht ohne weiteres verlangt werden, von der Geltendmachung des eigenen Anspruchs abzusehen und darauf zu vertrauen, dass eines der anderen Unternehmen den Unterlassungsanspruch durchsetzen wird.
Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn ein Anwalt im Auftrag mehrerer zuvor abgemahnter Mitbewerber den Abmahner wegen ein und desselben Wettbewerbsverstoßes abmahnt und wenn der Anwalt diese Mehrfachabmahnung aus eigener Initiative und in alleiniger Verantwortung koordiniert (OLG Hamm GRUR-RR 2011, 329 - Salve einer Abmahngemeinschaft - Tz. 31 bei juris). In einem solchen Fall liegt der Rechtsmissbrauch darin, dass der Anwalt "sämtliche Fäden in der Hand hat", so dass sich dessen Vorgehen und Strategie letztendlich vom Willen der einzelnen Gläubiger ganz oder teilweise löst und mit dem Ziel verselbstständigt, den Anspruchsgegner mit erheblichen Kosten zu belasten.
Der vom OLG Hamm entschiedene Fall lässt sich zwar möglicherweise mit den Abmahnungen des Antragstellervertreters vom 27. Januar 2015 vergleichen, so dass man sich die Frage stellen kann, ob die Gläubiger zu diesem Zeitpunkt rechtsmissbräuchlich gegen die Antragsgegnerin vorgegangen sind. Daraus allein kann man aber nicht ableiten, dass bereits im Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Abmahnung bzw. der Einleitung des Eilverfahrens am 16. Januar 2015 eine solche Ausgangslage und Zielrichtung bestand. Die Antragstellerin hat mit Recht darauf hingewiesen, dass sie im Zeitpunkt ihrer Abmahnung nicht annehmen konnte, dass die Antragsgegnerin den Vorwürfen der Firma B aus der Abmahnung vom 11. Dezember 2014 nachkommen würde. Die Antragsgegnerin hat trotz hinreichender Fristsetzung bis zum 19. Dezember 2014 keine Unterwerfungserklärung abgegeben, so dass Ende Dezember 2014 von der Fa. B ein gerichtliches Verfahren eingeleitet worden ist, dessen Ausgang im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Abmahnung unklar war.
Die von der Antragsgegnerin vorgetragenen Begleitumstände der hiesigen Abmahnung und des hiesigen Eilverfahrens sind ebenfalls nicht ausreichend, um den Inhalt der eidesstattlichen Versicherungen des Geschäftsführers der Antragstellerin und des Antragstellervertreters zu entkräften, wonach die Antragstellerin eine eigenständige und nicht durch den Antragstellervertreter fremdbestimmte Entscheidung getroffen hat, das Wettbewerbsverhalten der Antragsgegnerin anzugreifen.
2.
Der Antragstellerin stand bis zu der Abschlusserklärung in dem von der Fa. B eingeleiteten Parallelverfahren ein Unterlassungsanspruch in dem vom Landgericht tenorierten Umfang zu (§§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3, 5 Abs. 1 Nr. 2 UWG).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91a ZPO.
Der Senat hat die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung in eigener Zuständigkeit abgeändert (§ 63 Abs. 3 Nr. 2 GKG). Aus den oben genannten Gründen war für das Eilverfahren, dass nach ständiger Rechtsprechung des Senates mit einem Abschlag von einem Drittel zu Hauptsache bewertet wird, ein Streitwert nicht über 1.000 € angemessen. Entsprechend reduziert sich der Streitwert des Beschwerdeverfahrens auf das hieraus abgeleitete Kosteninteresse.