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Wirtschaftsrecht
09.12.2021
Wirtschaftsrecht
EuGH: Vodafone Kabel Deutschland - sog. Selbstzahlerpauschale bei Zahlung ohne Bankeinzug

EuGH, Urteil vom 2.12.2021 – C-484/20, Vodafone Kabel Deutschland GmbH gegen Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V.

ECLI:EU:C:2021:975

Volltext: BB-Online BBL2021-2945-1

Tenor

Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, nach der das Verbot der Erhebung von Entgelten für die Nutzung der in dieser Bestimmung genannten Zahlungsinstrumente und Zahlungsdienstleistungen im Rahmen von mit Verbrauchern geschlossenen Dauerschuldverhältnissen nur für Zahlungsvorgänge gilt, die in Erfüllung von nach dem 13. Januar 2018 geschlossenen Verträgen bewirkt werden, so dass diese Entgelte auf Zahlungsvorgänge anwendbar bleiben, die nach diesem Datum in Erfüllung von davor abgeschlossenen Dauerschuldverhältnissen bewirkt werden.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35, und Berichtigung ABl. 2018, L 102, S. 97).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Vodafone Kabel Deutschland GmbH (im Folgenden: Vodafone) und dem Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände – Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. (Deutschland) (im Folgenden: Bundesverband) über die Erhebung einer Pauschale für die Nutzung bestimmter Zahlungsinstrumente zur Ausführung von Zahlungsvorgängen, die sich aus zwischen Vodafone und Verbrauchern geschlossenen Verträgen ergeben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          In den Erwägungsgründen 6, 53 und 66 der Richtlinie 2015/2366 heißt es:

„(6) Zur Schließung der Regulierungslücken sollten neue Vorschriften vorgesehen werden, und gleichzeitig sollte mehr Rechtsklarheit geschaffen und die unionsweit einheitliche Anwendung des rechtlichen Rahmens sichergestellt werden. Den bestehenden sowie den neuen Marktteilnehmern sollten gleichwertige Bedingungen für ihre Tätigkeit garantiert werden, indem neuen Zahlungsmitteln der Zugang zu einem größeren Markt eröffnet und ein hohes Maß an Verbraucherschutz bei der Nutzung dieser Zahlungsdienstleistungen in der Union als Ganzes gewährleistet wird. …

(53) Da die Situation von Verbrauchern und Unternehmen nicht dieselbe ist, brauchen sie nicht im selben Umfang geschützt zu werden. Zwar müssen die Verbraucherrechte durch Vorschriften geschützt werden, die nicht vertraglich abbedungen werden können, doch sollte es Unternehmen und Organisationen freistehen, abweichende Vereinbarungen zu schließen, wenn es nicht um vertragliche Beziehungen zu Verbrauchern geht. … In jedem Fall sollten bestimmte zentrale Bestimmungen dieser Richtlinie unabhängig vom Status des Nutzers immer gelten.

(66) Unterschiedliche Vorgehensweisen in den einzelnen Ländern bei der Entgeltberechnung für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments (nachstehend ‚zusätzliche Entgelte‘…) haben zu einer enormen Heterogenität des Zahlungsverkehrsmarkts in der Union geführt und bei den Verbrauchern Verwirrung ausgelöst, insbesondere beim elektronischen Geschäftsverkehr und im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. … Deutlich für eine Überprüfung der Praxis der zusätzlichen Entgelte spricht des Weiteren die Tatsache, dass in der Verordnung (EU) 2015/751 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2015 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge (ABl. 2015, L 123, S. 1)] Vorschriften über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge festgelegt werden. … Daher sollten die Mitgliedstaaten in Erwägung ziehen, Zahlungsempfänger davon abzuhalten, Entgelte für die Verwendung von Zahlungsinstrumenten zu fordern, für die Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Vorschriften für die Interbankenentgelte enthält.“

4          In Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie heißt es:

„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

5. ‚Zahlungsvorgang‘ die bzw. den vom Zahler, im Namen des Zahlers oder vom Zahlungsempfänger ausgelöste(n) Bereitstellung, Transfer oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger;

8. ‚Zahler‘ eine natürliche oder juristische Person, die Inhaber eines Zahlungskontos ist und die einen Zahlungsauftrag von diesem Zahlungskonto gestattet oder – falls kein Zahlungskonto vorhanden ist – eine natürliche oder juristische Person, die den Auftrag für einen Zahlungsvorgang erteilt;

9. ‚Zahlungsempfänger‘ eine natürliche oder juristische Person, die den Geldbetrag, der Gegenstand eines Zahlungsvorgangs ist, als Empfänger erhalten soll;

10. ‚Zahlungsdienstnutzer‘ eine natürliche oder juristische Person, die einen Zahlungsdienst als Zahler oder Zahlungsempfänger oder in beiden Eigenschaften in Anspruch nimmt;

13. ‚Zahlungsauftrag‘ einen Auftrag, den ein Zahler oder Zahlungsempfänger seinem Zahlungsdienstleister zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs erteilt;

14. ‚Zahlungsinstrument‘ jedes personalisierte Instrument und/oder jeden personalisierten Verfahrensablauf, das bzw. der zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister vereinbart wurde und zur Erteilung eines Zahlungsauftrags verwendet wird;

20. ‚Verbraucher‘ eine natürliche Person, die bei den von dieser Richtlinie erfassten Zahlungsdienstverträgen zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können;

…“

5          Art. 62 („Entgelte“) der Richtlinie sieht in den Abs. 3 bis 5 vor:

„(3) Der Zahlungsdienstleister darf dem Zahlungsempfänger nicht verwehren, vom Zahler für die Nutzung eines bestimmten Zahlungsinstruments ein Entgelt zu verlangen, ihm eine Ermäßigung anzubieten oder ihm anderweitig einen Anreiz zur Nutzung dieses Instruments zu geben. Entgelte dürfen nicht höher sein als die direkten Kosten, die dem Zahlungsempfänger für die Nutzung des betreffenden Zahlungsinstruments entstehen.

(4) Die Mitgliedstaaten stellen in jedem Fall sicher, dass der Zahlungsempfänger keine Entgelte für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten verlangt, für die mit Kapitel II der Verordnung (EU) 2015/751 Interbankenentgelte … geregelt werden, und für die Zahlungsdienstleistungen, auf die die Verordnung (EU) Nr. 260/2012 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Festlegung der technischen Vorschriften und der Geschäftsanforderungen für Überweisungen und Lastschriften in Euro und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 924/2009 (ABl. 2012, L 94, S. 22)] anwendbar ist.

(5) Die Mitgliedstaaten können dem Zahlungsempfänger die Erhebung von Entgelten untersagen oder dieses Recht begrenzen; dabei tragen sie der Notwendigkeit Rechnung, den Wettbewerb und die Nutzung effizienter Zahlungsinstrumente zu fördern.“

6          Art. 107 („Vollständige Harmonisierung“) der Richtlinie bestimmt in Abs. 1:

„Unbeschadet … des Artikels 62 Absatz 5 … dürfen die Mitgliedstaaten in den Bereichen, in denen diese Richtlinie harmonisierte Bestimmungen enthält, keine anderen als die in dieser Richtlinie festgelegten Bestimmungen beibehalten oder einführen.“

7          In Art. 115 („Umsetzung“) der Richtlinie 2015/2366 heißt es in den Abs. 1 und 2:

„(1) Die Mitgliedstaaten erlassen und veröffentlichen bis zum 13. Januar 2018 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie nachzukommen. …

(2) Sie wenden diese Vorschriften ab dem 13. Januar 2018 an.

…“

Deutsches Recht

8          § 270a des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der ab dem 13. Januar 2018 anwendbaren Fassung (im Folgenden: BGB) sieht vor:

„Eine Vereinbarung, durch die der Schuldner verpflichtet wird, ein Entgelt für die Nutzung einer SEPA [(Einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum)]-Basislastschrift, einer SEPA-Firmenlastschrift, einer SEPA-Überweisung oder einer Zahlungskarte zu entrichten, ist unwirksam. Satz 1 gilt für die Nutzung von Zahlungskarten nur bei Zahlungsvorgängen mit Verbrauchern, wenn auf diese Kapitel II der Verordnung [2015/751] anwendbar ist.“

9          Art. 229 § 45 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche (im Folgenden: EGBGB) bestimmt:

„(1) Auf Schuldverhältnisse, die die Ausführung von Zahlungsvorgängen zum Gegenstand haben und ab dem 13. Januar 2018 entstanden sind, sind nur das Bürgerliche Gesetzbuch und Artikel 248 in der ab dem 13. Januar 2018 geltenden Fassung anzuwenden.

(2) Auf Schuldverhältnisse, die die Ausführung von Zahlungsvorgängen zum Gegenstand haben und vor dem 13. Januar 2018 entstanden sind, sind das Bürgerliche Gesetzbuch und Artikel 248 in der bis zum 13. Januar 2018 geltenden Fassung anzuwenden, soweit in den Absätzen 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.

(3) Wenn bei einem Schuldverhältnis im Sinne von Absatz 2 erst ab dem 13. Januar 2018 mit der Abwicklung eines Zahlungsvorgangs begonnen worden ist, sind auf diesen Zahlungsvorgang nur das Bürgerliche Gesetzbuch und Artikel 248 in der ab dem 13. Januar 2018 geltenden Fassung anzuwenden.

(5) § 270a des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist auf alle Schuldverhältnisse anzuwenden, die ab dem 13. Januar 2018 entstanden sind.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10        Vodafone ist eine Kabelnetzbetreiberin und Internetzugangsproviderin, die in Deutschland tätig ist. Seit der Umsetzung der Richtlinie 2015/2366 in deutsches Recht ab dem 13. Januar 2018 unterscheidet Vodafone zwischen Verträgen über Telekommunikations- und Kabeldienstleistungen, die vor diesem Datum abgeschlossen wurden, und solchen, die danach abgeschlossen wurden. Auf die erste Kategorie der Verträge wendet die Betreiberin aufgrund einer AGB-Klausel eine sogenannte „Selbstzahlerpauschale“ von 2,50 Euro je Zahlungsvorgang für Kunden an, die keine Ermächtigung zum Bankeinzug erteilen, sondern die Rechnungen selbst mittels SEPA-Überweisung begleichen. In der für die zweite Kategorie der Verträge geltenden Preisliste findet sich diese Klausel hingegen nicht mehr.

11        Vodafone hält sich für berechtigt, die Klausel auf Zahlungsvorgänge anzuwenden, die in Erfüllung von vor dem 13. Januar 2018 abgeschlossenen Verträgen ausgeführt werden, und mithin die Pauschale auch für Vorgänge nach diesem Datum zu erheben. Das Verbot der Erhebung von Zusatzentgelten in § 270a BGB gelte nur für Dauerschuldverhältnisse, die ab dem 13. Januar 2018 entstanden seien. Da Art. 229 § 45 Abs. 5 EGBGB auf das Entstehen des Schuldverhältnisses ab dem 13. Januar 2018 abhebe, komme eine rückwirkende Anwendung von § 270a BGB auf vor diesem Datum abgeschlossene Verträge auch dann nicht in Betracht, wenn auf solchen Verträgen beruhende Zahlungsvorgänge erst nach diesem Datum bewirkt würden.

12        Der Bundesverband macht geltend, das in § 270a BGB vorgesehene Verbot der Erhebung von Zusatzentgelten ab dem 13. Januar 2018 gelte auch für Zahlungsvorgänge, die nach diesem Datum in Erfüllung von davor geschlossenen Verträgen bewirkt würden, da Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 mit dem 13. Januar 2018 gleiche Bedingungen im Binnenmarkt herstellen wolle. Die Übergangsvorschrift in Art. 229 § 45 EGBGB müsse zudem nach ihrem Abs. 3 dahin ausgelegt werden, dass die neue Regelung ab dem 13. Januar 2018 für alle ab diesem Datum bewirkten Zahlungsvorgänge einschließlich derjenigen gelte, die auf vor diesem Datum geschlossenen Verträgen beruhten.

13        Unter diesen Umständen hat der Bundesverband Klage mit dem Ziel erhoben, Vodafone die Anwendung der Selbstzahlerpauschale auf alle ab dem 13. Januar 2018 bewirkten Zahlungsvorgänge zu untersagen. Der Klage wurde stattgegeben.

14        Das von Vodafone mit der Berufung befasste Oberlandesgericht München (Deutschland) neigt dazu, § 270a BGB, mit dem Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 in deutsches Recht umgesetzt wird, auch dann für anwendbar zu halten, wenn das den Zahlungsvorgängen zugrunde liegende Schuldverhältnis vor dem 13. Januar 2018 entstanden ist, die periodisch – in der Regel monatlich – fällig werdenden Vorgänge aber erst nach diesem Datum bewirkt werden.

15        Ab dem 13. Januar 2018 und unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsabschlusses von Dauerschuldverhältnissen sei nämlich eine einheitliche Gebührenregelung für den Zahlungsverkehrsmarkt in der Union eingeführt worden, so dass das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot von Zusatzentgelten auch für vor dem 13. Januar 2018 abgeschlossene Dauerschuldverhältnisse gelte.

16        Das vorlegende Gericht weist ebenfalls darauf hin, dass Art. 229 § 45 Abs. 5 EGBGB, der allein auf die Entstehung des Schuldverhältnisses abhebe, während diese in der Richtlinie 2015/2366 nicht genannt werde, eine vollständige Anwendung des Verbots von Zusatzentgelten für ab dem 13. Januar 2018 bewirkte Zahlungsvorgänge in Frage stelle, wenn das diesen Vorgängen zugrunde liegende Schuldverhältnis vor diesem Zeitpunkt geschlossen worden sei.

17        Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht München beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 so auszulegen, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, die als Übergangsregelung bei Dauerschuldverhältnissen mit Verbrauchern das Verbot von Entgelten für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten und Zahlungsdienstleistungen nach der entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschrift nur eingreifen lässt, wenn das zugrunde liegende Schuldverhältnis ab dem 13.01.2018 entstanden ist, nicht jedoch wenn das zugrunde liegende Schuldverhältnis vor dem 13.01.2018 entstanden ist, mit der Abwicklung (weiterer) Zahlungsvorgänge aber erst ab dem 13.01.2018 begonnen wird?

Zur Vorlagefrage

18        Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, nach der das Verbot der Erhebung von Entgelten für die Nutzung der in dieser Bestimmung genannten Zahlungsinstrumente und Zahlungsdienstleistungen im Rahmen von mit Verbrauchern geschlossenen Dauerschuldverhältnissen nur für Zahlungsvorgänge gilt, die in Erfüllung von nach dem 13. Januar 2018 geschlossenen Verträgen bewirkt werden, so dass solche Entgelte auf Zahlungsvorgänge anwendbar bleiben, die nach diesem Datum in Erfüllung von davor abgeschlossenen Dauerschuldverhältnissen bewirkt werden.

19        Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 13. Oktober 2016, Mikołajczyk, C‑294/15, EU:C:2016:772, Rn. 26, und vom 26. Januar 2021, Szpital Kliniczny im. dra J. Babińskiego Samodzielny Publiczny Zakład Opieki Zdrowotnej w Krakowie, C‑16/19, EU:C:2021:64, Rn. 26).

20        Gemäß Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass der Zahlungsempfänger im Sinne von Art. 4 Nr. 9 der Richtlinie keine Entgelte für die Nutzung von Zahlungsinstrumenten verlangt, für die mit Kapitel II der Verordnung 2015/751 Interbankenentgelte geregelt werden, und für die Zahlungsdienstleistungen, auf die die Verordnung Nr. 260/2012 anwendbar ist. Dem Wortlaut der Bestimmung lassen sich keine näheren Angaben zur zeitlichen Anwendbarkeit des Verbots entnehmen.

21        Unter diesen Umständen ist auf den Zusammenhang abzustellen, in den sich das Verbot einfügt, für die Nutzung der in Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie genannten Zahlungsinstrumente und Zahlungsdienstleistungen Entgelte zu verlangen, wie auch auf die von der Richtlinie verfolgten Ziele.

22        Zum Zusammenhang von Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 ist erstens darauf hinzuweisen, dass nach Art. 115 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten zwar bis zum 13. Januar 2018 die Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen haben, die erforderlich sind, um der Richtlinie nachzukommen, diese Vorschriften aber erst ab diesem Datum anwendbar werden.

23        Zweitens dürfen die Mitgliedstaaten, da Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 harmonisierte Bestimmungen enthält, gemäß Art. 107 Abs. 1 der Richtlinie ab dem in Art. 115 Abs. 2 Unterabs. 1 vorgesehenen Datum keine anderen als die in der Richtlinie festgelegten Bestimmungen beibehalten oder einführen.

24        Drittens ist, da das Verbot, Entgelte für die Nutzung der in Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 genannten Zahlungsinstrumente und Zahlungsdienstleistungen zu verlangen, für Zahlungsvorgänge im Sinne von Art. 4 Nr. 5 der Richtlinie „unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger“ gilt, der maßgebliche Zeitpunkt für die Anwendung dieses Verbots derjenige, zu dem der Zahlungsvorgang bewirkt wird, und nicht die Entstehung des diesem Vorgang zugrunde liegenden Schuldverhältnisses.

25        Damit ergibt sich aus einer systematischen Auslegung von Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366, dass das Verbot der Erhebung von Entgelten für die Nutzung der in dieser Bestimmung genannten Zahlungsinstrumente und Zahlungsdienstleistungen für alle ab dem 13. Januar 2018 bewirkten Zahlungsvorgänge gilt.

26        Was die Ziele der Richtlinie 2015/2366 betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass mit ihr bezweckt wird, eine stärkere Integration des Binnenmarkts für Zahlungsdienste zu fördern und die Nutzer dieser Dienste zu schützen sowie insbesondere denjenigen, die Verbraucher sind, ein hohes Schutzniveau zu bieten, wie sich u. a. aus den Erwägungsgründen 6 und 53 der Richtlinie ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2020, DenizBank, C‑287/19, EU:C:2020:897, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung); der Schutz der Verbraucher in den Politikbereichen der Europäischen Union ist zudem in Art. 169 AEUV und in Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert (vgl. entsprechend Urteil vom 2. März 2017, Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main, C‑568/15, EU:C:2017:154, Rn. 28).

27        Wie sich außerdem aus dem 66. Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2366 ergibt, wollte der Unionsgesetzgeber mit dem in Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie vorgesehenen Verbot im Hinblick auf die Berechnung von Kosten für die Nutzung bestimmter Zahlungsinstrumente die Fragmentation der nationalen Praktiken überwinden, die zu einer enormen Heterogenität des Zahlungsverkehrsmarkts in der Union geführt und bei den Verbrauchern Verwirrung ausgelöst hat, insbesondere beim elektronischen Geschäftsverkehr und im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr.

28        Jede Anwendung, die danach unterschiede, ob die den ab dem 13. Januar 2018 bewirkten Zahlungsvorgängen zugrunde liegenden Verpflichtungen vor oder nach diesem Datum entstanden sind, würde die mit Art. 62 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 107 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 geforderte Harmonisierung auf Unionsebene gefährden, was den von der Richtlinie als Ziel verfolgten Verbraucherschutz im Binnenmarkt für Zahlungsdienste schwächen würde.

29        In diesem Zusammenhang ist außerdem das Vorbringen in den schriftlichen Erklärungen von Vodafone zurückzuweisen, wonach aufgrund der Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 damit zuerkannten zeitlichen Reichweite gegen die Grundsätze zur Rückwirkung von Rechtsnormen und zum Vertrauensschutz verstoßen würde.

30        Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass eine neue Rechtsnorm grundsätzlich ab dem Inkrafttreten des Rechtsakts anwendbar ist, mit dem sie eingeführt wird. Auch wenn sie nicht auf vor diesem Zeitpunkt entstandene und endgültig erworbene Rechtspositionen anwendbar ist, findet sie unmittelbar auf die künftigen Wirkungen unter dem alten Recht entstandener Rechtspositionen sowie auf neue Rechtspositionen Anwendung, soweit aus dem Wortlaut, dem Aufbau oder der Zielsetzung der Regelung nicht eindeutig hervorgeht, dass ihr eine Rückwirkung beizumessen ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn zusammen mit der Regelung besondere Vorschriften getroffen werden, die speziell die Voraussetzungen für ihre zeitliche Geltung regeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Mai 2020, Azienda Municipale Ambiente, C‑15/19, EU:C:2020:371, Rn. 56 und 57 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

31        Da sich Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366, wie sich aus Rn. 25 des vorliegenden Urteils ergibt, nicht auf vor dem 13. Januar 2018 bewirkte Zahlungsvorgänge bezieht, betrifft diese Bestimmung im vorliegenden Fall aber keine vor diesem Datum endgültig erworbenen Rechtspositionen und entfaltet daher keine Rückwirkung. Im Übrigen stellt sich Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 in Bezug auf ab dem 13. Januar 2018 in Erfüllung von vor diesem Datum abgeschlossenen Dauerschuldverhältnissen bewirkte Zahlungsvorgänge lediglich als Fall der Anwendung einer neuen rechtlichen Regelung auf künftige Wirkungen einer unter der alten Regelung entstandenen Rechtsposition dar.

32        Soweit das vorlegende Gericht schließlich davon ausgeht, dass Art. 229 § 45 Abs. 5 EGBGB eine vollständige Anwendung des Verbots von Zusatzentgelten für ab dem 13. Januar 2018 bewirkte Zahlungsvorgänge in Frage stellt, wenn diese Vorgänge auf einem vor diesem Datum entstandenen Schuldverhältnis beruhen, obliegt ihm nach ständiger Rechtsprechung die Prüfung, ob diese Bestimmung in Übereinstimmung mit Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 in seiner Auslegung gemäß Rn. 25 des vorliegenden Urteils ausgelegt werden kann, um bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits die vollständige Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2020, Association française des usagers de banques, C‑778/18, EU:C:2020:831, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33        Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 62 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung oder Gepflogenheit entgegensteht, nach der das Verbot der Erhebung von Entgelten für die Nutzung der in dieser Bestimmung genannten Zahlungsinstrumente und Zahlungsdienstleistungen im Rahmen von mit Verbrauchern geschlossenen Dauerschuldverhältnissen nur für Zahlungsvorgänge gilt, die in Erfüllung von nach dem 13. Januar 2018 geschlossenen Verträgen bewirkt werden, so dass diese Entgelte auf Zahlungsvorgänge anwendbar bleiben, die nach diesem Datum in Erfüllung von davor abgeschlossenen Dauerschuldverhältnissen bewirkt werden.

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