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Wirtschaftsrecht
02.03.2023
Wirtschaftsrecht
OLG München: Virtuelle Hauptversammlungs-Beschlussfassung in der Corona-Pandemie

OLG München, Beschluss vom 29.6.2022 – 7 AktG 2/22

ECLI:DE:OLGMUEN:2022:0629.7AKTG2.22.00

Volltext: BB-Online BBL2023-526-1

Leitsätze

1. Eine offensichtliche Unbegründetheit nach § 246 II Nr. 1 AktG liegt vor, wenn nach umfassender rechtlicher Würdigung aller unstreitiger oder glaubhaft gemachter Tatsachen die Rechtslage so eindeutig ist, dass das Gericht eine andere Beurteilung für nicht oder kaum vertretbar hält. (redaktioneller Leitsatz)

2. § 125 II, I 4 AktG verlangt nur, dass in der Einladung auf die Möglichkeit der Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten, auch durch eine Vereinigung von Aktionären, hingewiesen wird. (redaktioneller Leitsatz)

3. Die Vorschrift des § 1 II 2 Halbs. 2 COVMG ist dahingehend auszulegen, dass, da es sich bei der Frist des § 1 II 2 Halbs. 2 COVMG um eine von der Hauptversammlung zurückzuberechnende Frist handelt, - wie in § 121 VII 1 AktG - der Tag der Hauptversammlung bei der Fristberechnung nicht mitzurechnen ist. (redaktioneller Leitsatz)

4. Eine fehle[n]de Zweiwegekommunikation bei der Durchführung einer virtuellen Hauptversammlung vom 3.2.2022 stellt keinen Rechtsverstoß dar, da das COVMG eine solche Zweiwegekommunikation in seinem § 1 II 1 nicht zwingend vorsieht. (redaktioneller Leitsatz)

5. Der Gesetzgeber wollte mit der Neufassung des § 20 AktG durch Art. 15 Nr. 1 b des Gesetzes vom 24.3.1998, BGBl. I 1998, 529 (3. Finanzmarktförderungsgesetz), eine doppelte Publizitätspflichten der Gesellschaften vermeiden und erreichen, dass börsennotierte Gesellschaften ausschließlich den Mitteilungspflichten des WpHG unterworfen sind, während sich die Mitteilungspflichten bei nicht börsennotierten Gesellschaften alleine nach dem AktG richten sollten. (redaktioneller Leitsatz)

 

 

Sachverhalt

    A.

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung nach § 246a AktG, dass die Erhebung der Klagen der Antragsgegner gegen die Wirksamkeit des Beschlusses der Hauptversammlung vom 03.02.2022 über die Zustimmung zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags der Eintragung im Handelsregister nicht entgegenstehe.

Die Antragstellerin ist eine Aktiengesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in München. Ihr Grundkapital von 13.288.166,80 € ist in 10.884.940 auf den Namen lautende nennwertlose Stückaktien mit einem rechnerischen Anteil am Grundkapital von 1,22 € pro Aktie eingeteilt (vgl. die Angaben in der Niederschrift zur außerordentlichen Hauptversammlung vom 03.02.2022 laut Anl.Ast 1). Die Aktien der Antragstellerin wurden am 13.06.1994 an der Frankfurter Wertpapierbörse sowie an der Börse München zum (damals) geregelten Markt zugelassen (vgl. Anl. Ast 4).

Am 07.08.2021 veröffentlichte die V. B.C. GmbH ihre Entscheidung zur Abgabe eines Angebots für den Erwerb von Aktien der Antragstellerin.

Am 25.08.2021 veröffentlichte die V. B.C. GmbH die Angebotsunterlage für ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot an die Aktionäre der Antragstellerin zum Erwerb der Aktien der Antragstellerin gegen eine Geldleistung in Höhe von 53,50 € je Aktie. In der Angebotsunterlage wies die V. B.C. GmbH darauf hin, dass sie am 06.08.2021 mehrere unwiderrufliche Verpflichtungen mit Aktionären der Antragstellerin geschlossen habe, u.a. mit der A. O. SICAV-FIS SCS, die zu diesem Zeitpunkt 10,4 % der Aktien der Antragstellerin hielt. Diese Aktionäre der Antragstellerin hätten sich darin verpflichteten, das Kaufangebot der V. B.C. GmbH spätestens am fünften Tag nach Beginn der Annahmefrist anzunehmen (S. 26 - 28 der Angebotsunterlage). Gleichzeitig wies die V. B.C. GmbH in der Angebotsunterlage darauf hin, dass sie denjenigen Aktionären, die eine unwiderrufliche Annahmeverpflichtung eingegangen seien, den Abschluss einer Syndizierungsvereinbarung angeboten habe, aufgrund derer diese Aktionäre mit einem Teil des von ihnen erzielten Erlöses aus dem Aktienverkauf Anteile an einer der die V. B.C. GmbH mittelbar beherrschenden Gesellschaften erwerben könnten. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Angebotsunterlage habe die A. O. SICAV-FIS SCS ein solches Angebot auf Abschluss einer Syndizierungsvereinbarung angenommen (S. 28 und 29 der Angebotsunterlage). Die Annahmefrist ende am 22.09.2021 24:00 Uhr. Die weitere Annahmefrist beginne am 28.09.2021 und ende am 11.10.2021 24:00 Uhr.

Am 14.10.2021 machte die V. B.C. GmbH gemäß § 23 Abs 1 S. 1 Nr. 3 WpÜG bekannt, dass bis zum 11.10.2021 (Meldestichtag) das Übernahmeangebot für insgesamt 8.318.522 Aktien der Antragstellerin angenommen worden sei, was einem Anteil von 76,65 % aller ausgegebenen Aktien der Antragstellerin entspreche.

Mit Schreiben vom 30.11.2021 (Anl. Ast 4) widerrief die Börse München auf Antrag der Antragstellerin deren Zulassung zum regulierten Markt der Börse München mit Wirkung zum Ablauf des 30.12.2021.

Mit Beschluss vom 15.12.2021 (Anl. Ast 6) widerrief die Frankfurter Wertpapierbörse ebenfalls auf Antrag der Antragstellerin deren Zulassung zum regulierten Markt mit Wirkung zum Ablauf des 20.12.2021.

Am 17.12.2021 schlossen die V. B.C. GmbH als herrschendes Unternehmen und die Antragstellerin als abhängiges Unternehmen einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, mit dessen Wirksamkeit die Antragstellerin die Leitung ihrer Gesellschaft der V. B.C. GmbH unterstellt und sich verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an die V. B.C. GmbH abzuführen.

Am gleichen Tag erstatteten die Geschäftsführung der V. B.C. GmbH und der Vorstand der Antragstellerin einen gemeinsamen Bericht nach § 293a AktG (vgl. Anlagenkonvolut Ast 2).

Die Antragstellerin veröffentlichte am 23.12.2021 im Bundesanzeiger die Einladung zu einer außerordentlichen Hauptversammlung am 03.02.2022 laut Anlagenkonvolut Ast 2. In der Einladung war in Abschnitt B „Teilnahmebedingungen sowie weitere Anordnungen und Hinweise“ unter Punkt 2 a folgendes ausgeführt:

 „Aktionäre, die am Tag der virtuellen Hauptversammlung eingetragen und die ordnungsgemäß zur Teilnahme an der virtuellen Hauptversammlung angemeldet sind (...), können ihre Rechte in der virtuellen Hauptversammlung auch durch einen Bevollmächtigten wahrnehmen lassen; bevollmächtigen kann der Aktionär eine Person seiner Wahl, auch die depotführende Bank oder eine Aktionärsvereinigung oder einen sonstigen Dritten. Bevollmächtigt der Aktionär mehr als eine Person, so kann die Gesellschaft eine oder mehrere von diesen zurückweisen.“

In der Einladung laut Anlagenkonvolut 2 wurde darüber hinaus in Abschnitt B u.a. darauf hingewiesen, dass die Hauptversammlung am 03.02.2022 als virtuelle Hauptversammlung ohne physische Präsenz der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten (mit Ausnahme der von der Gesellschaft benannten Stimmrechtsvertreter) durchgeführt werde. Eine physische Teilnahme der Aktionäre oder ihrer Bevollmächtigten, mit Ausnahme der von der Gesellschaft benannten weisungsgebundenen Stimmrechtsvertreter, vor Ort sei ausgeschlossen.

Aktionäre, die im Aktienregister der Antragstellerin als Aktionäre eingetragen seien und die sich bis spätestens 27.01.2022 24:00 Uhr bei der Antragstellerin zur Teilnahme an der Hauptversammlung angemeldet hätten, oder ihre Bevollmächtigten könnten die Bild- und Tonübertragung der gesamten Hauptversammlung über das InvestorPortal der Gesellschaft verfolgen. Teilnahmeberechtigte Aktionäre und ihre Bevollmächtigten könnten ihr Stimmrecht im Wege elektronischer Kommunikation über das InvestorPortal der Gesellschaft ausüben (Briefwahl). Aktionäre und ihre Bevollmächtigten hätten das Recht, im Wege elektronischer Kommunikation Fragen zu stellen, wobei diese Fragen bis spätestens Dienstag, den 01.02.2022, 24:00 Uhr über das InvestorPortal der Gesellschaft zugegangen sein müssten. Teilnahmeberechtigte Aktionäre und ihre Bevollmächtigten könnten während der Hauptversammlung auf elektronischem Wege über das InvestorPortal Widerspruch zu Protokoll gegen Beschlüsse der Hauptversammlung erklären. Eine darüber hinausgehende Ausübung von Aktionärsrechten sei in der virtuellen Hauptversammlung nicht möglich.

In Abschnitt E „Erläuterungen zu den Rechten der Aktionäre nach §§ 122 Abs. 2, 126 Abs. 1, 127 und 131 Abs. 1 AktG I.V.M. § 1 Abs. 2 COVID-19-MASSNAHMEGESETZ“ hieß es in der Einladung:

„Auskunftsrecht der Aktionäre

Jedem Aktionär ist grundsätzlich auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, soweit sie zur sachlichen Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich ist. Die Auskunftspflicht erstreckt sich auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen. Von einer Beantwortung einzelner Fragen kann der Vorstand aus den in § 131 Abs. 3 AktG genannten Gründen absehen (z.B. keine Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen).

Ferner gelten gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, S. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz für das Auskunftsrecht der Aktionäre folgende Besonderheiten und Einschränkungen: Ein Rederecht der Aktionäre in Bezug auf die virtuelle Hauptversammlung besteht nicht; sie haben ausschließlich das Recht, Fragen zu stellen. Das Fragerecht ist gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 COVID-19-Maßnahmengesetz im Wege der elektronischen Kommunikation einzuräumen. Der Vorstand entscheidet nach pflichtgemäßem, freiem Ermessen, wie er Fragen beantwortet. Der Vorstand kann vorgeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind. Von dieser Möglichkeit hat der Vorstand der Gesellschaft mit Zustimmung des Aufsichtsrats Gebrauch gemacht. Fragen der Aktionäre bzw. ihrer Bevollmächtigten sind bis spätestens Dienstag, den 1. Februar 2022, 24:00 Uhr (MEZ) (Zeitpunkt des Zugangs), im Wege elektronischer Kommunikation über das unter Internetadresse (...) zugängliche InvestorPortal der Gesellschaft einzureichen. Nach Ablauf der Frist können Fragen nicht mehr eingereicht werden. Insbesondere können damit auch während der virtuellen Hauptversammlung keine Fragen gestellt werden.“

TOP 1 der Hauptversammlung vom 03.02.2022 war die „Beschlussfassung über die Zustimmung zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags zwischen der V. B.C. GmbH als herrschendem Unternehmen und der S. H. AG als abhängigem Unternehmen“.

Der in der Einladung zur Hauptversammlung wiedergegebene Beschlussvorschlag des Vorstands und des Aufsichtsrats zu TOP 1 lautete:

 „Dem Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags vom 17.12.2021 zwischen der V. B.C. GmbH als herrschendem Unternehmen und der S. H. AG als abhängigem Unternehmen wird zugestimmt.“

Am 25.01.2022 machte die Antragstellerin im Bundesanzeiger eine Mitteilung nach § 20 Abs. 6 AktG bekannt. Danach hätte ihr die V. B. GmbH gemäß § 20 Abs. 1, 3 und 4 AktG mitgeteilt, dass dieser unmittelbar mehr als der vierte Teil der Aktien und zugleich eine Mehrheitsbeteiligung an der Antragstellerin gehörten. Gleichzeitig hätten der Antragstellerin diverse andere Aktionäre mitgeteilt, dass ihnen jeweils mittelbar mehr als der vierte Teil der Aktien und zugleich eine Mehrheitsbeteiligung an der Antragstellerin gehörten, da ihnen die unmittelbare Beteiligung der V. B.C. GmbH an der Antragstellerin nach § 16 Abs. 4 AktG zuzurechnen sei, da sie die V. B.C. GmbH über eine Beherrschungskette beherrschten. Hinsichtlich des Inhalts der Bekanntmachung vom 25.01.2022 wird auf Anl. Ast 6 Bezug genommen.

In der Hauptversammlung vom 03.02.2022 stimmten die Antragsgegner gegen den Beschlussvorschlag des Vorstands und des Aufsichtsrats zu TOP 1. Sie erklärten (u.a.) Widerspruch zur Niederschrift gegen TOP 1. Der Versammlungsleiter der Hauptversammlung stellte fest, dass die Abstimmung bei 9.040.160 Aktien, für die gültige Stimmen abgegeben worden seien (entsprechend 83,00 % des Grundkapitals), 8.841.715 Ja-Stimmen (= 97,80 %) und 198.445 Nein-Stimmen (= 2,2 %) ergeben habe. Die Hauptversammlung habe damit zu TOP 1 den Beschlussvorschlag von Vorstand und Aufsichtsrat angenommen (vgl. Niederschrift laut Anl. Ast 1). Von den 8.841.715 Ja-Stimmen waren 8.521.407 von der V. B.C. GmbH abgegebene.

Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 03.03.2022, eingegangen beim Landgericht München I am selben Tag, den Antragstellervertretern am 31.03.2021 zugestellt, erhoben die Antragsgegner Anfechtungsklage zum Landgericht München I mit u.a. dem Antrag, den in der Hauptversammlung vom 03.02.2022 zu TOP 1 gefassten Beschluss für nicht zu erklären, hilfsweise dessen Nichtigkeit und äußerst hilfsweise dessen Unwirksamkeit festzustellen. Die Anfechtungsklage der Antragsgegner wird beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 5 HK O 2654/22 geführt (vgl. die beigezogene Akten des Landgerichts München I).

Den Prozessbevollmächtigten der Antragsgegner zu 1) und 2) wurde die Antragsschrift vom 05.04.2022 jeweils am 07.04.2022, dem Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners zu 3) am 23.04.2022 zugestellt.

In einem am 08.04.2022 bei Gericht eingegangenen Schreiben der D. & R. Bank bestätigt diese, dass die Antragsgegnerin zu 1) seit mindestens 01.12.2021 in einem bei der D. & R. Bank geführten Wertpapierdepot einen Bestand von 850 Aktien der Antragstellerin unterhalte (Bl. 24 d.A.). Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 11.04.2022 (Bl. 25/27 d.A.), eingegangen bei Gericht am selben Tag, übersandte die Antragsgegnerin zu 1) darüber hinaus einen Auszug aus dem Aktienregister der Antragstellerin, aus dem sich ergibt, dass die Antragsgegnerin zu 1) zumindest seit 19.10.2021 Inhaberin von 850 Aktien der Antragstellerin ist.

Mit Schriftsatz vom 13.04.2022 (Bl. 30/32 d.A.), eingegangen bei Gericht am selben Tag, übermittelte der Antragsgegner zu 2) eine Bestätigung der C.bank vom 07.04.2022, wonach sie für den Antragsgegner zu 2) seit vor dem 01.12.2021 durchgehend bis zum heutigen Tag mehr als 1.000 Aktien der Antragstellerin verwahre (Anl. AG 2). Darüber hinaus übersandte der Antragsgegner zu 2) gleichzeitig einen Auszug aus dem Aktienregister der Antragstellerin, demzufolge der Antragsgegner zu 2) zumindest seit 08.11.2021 Inhaber von mehr als 1.000 Aktien der Antragstellerin sei (Anl. AG 1).

Hinsichtlich des Antragsgegners zu 3) ist eine Bestätigung über seinen Aktienbesitz nicht eingereicht worden.

Die Antragstellerin trägt vor, dass bei der Abstimmung in der Hauptversammlung vom 03.02.2022 ein Stimmrechtsausschluss der V. B.C. nach § 44 WpHG wegen der von den Antragsgegnern behaupteten Melderechtsverletzungen schon deshalb nicht bestanden habe, da die Antragstellerin infolge ihres Delistings mit Ablauf des 30.12.2021 nicht mehr den Regelungen des WpHG unterfalle. Meldepflichten bestünden seit dem 31.12.2021 nur noch nach § 20 AktG. Diesen sei mit der Mitteilung vom 25.01.2022 laut Anl. Ast 6 Genüge getan.

Selbst wenn aber § 44 WpHG trotz des Delistings der Antragstellerin anwendbar sein sollte, so bestünde danach kein Stimmrechtsausschluss der V. B.C. GmbH (und anderer Aktionäre). Denn diese hätten mit der Bekanntmachung nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 WpÜG vom 14.10.2021 die Meldepflichten erfüllt. Das Überschreiten der höchsten von § 33 WpHG erfassten Meldeschwelle von 75 % sei damit öffentlich bekannt gewesen.

Die Rüge der Antragsgegner, es läge ein Berichtsmangel iSd. § 293a AktG vor, gehe schon deshalb ins Leere, weil zum einen nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 293a AktG über Stimmrechte und etwaige Stimmrechtsverluste gar nicht zu berichten sei und zum anderen - wie oben dargelegt - ein Stimmrechtsverlust der V. B.C. nicht vorgelegen habe, sodass darüber auch nicht habe berichtet werden können.

Es sei nicht ersichtlich wie die Erlangung der Mehrheit der in der Hauptversammlung abgegebenen Stimmen durch die V. B.C. GmbH eine Umgehung des Mehrheitserfordernisses von 75 % darstellen solle. Die V. B.C. GmbH habe die Aktien der A. O. SICAV-FIS SCS sowie der Vorstandsmitglieder der Antragstellerin ordnungsgemäß erworben. Sie habe dies auch offengelegt. Selbst wenn aber mit den Antragsgegnern ein Stimmrechtsausschluss hinsichtlich der durch die V. B.C. GmbH von der A. O. SICAV-FIS SCS sowie von Vorstandsmitgliedern der Antragstellerin erworbenen Aktien bejaht werden sollte, so würde dies nichts daran ändern, dass der streitgegenständliche Hauptversammlungsbeschluss mit der notwendigen Mehrheit gefasst worden sei.

Die in der Einladung zur Hauptversammlung vom 03.02.2022 wiedergegebenen Teilnahmebedingungen seien nicht fehlerhaft. Die Anordnung, dass bei Bevollmächtigung von mehr als einer Person durch einen Aktionär eine oder mehrere dieser Personen zurückgewiesen werden könnten, entspreche dem Wortlaut des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG und könne schon deshalb nicht unzulässig sein.

Die Fragerechte der Aktionäre seien nicht in rechtswidriger Weise verkürzt. Die in der Einladung aufgeführten Anordnungen entsprächen dem Covid-Gesetz. Eine Zweiwegekommunikation und damit verbunden eine Nachfragemöglichkeit der Aktionäre sei nicht zwingend vorzusehen.

Im Übrigen sei der Freigabeantrag auch wegen des überwiegenden Vollzugsinteresses der Antragstellerin nach § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG begründet.

Im Falle der Nichteintragung des streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlusses müsste nämlich jährlich ein Abhängigkeitsbericht erstellt und durch den Aufsichtsrat und einen Wirtschaftsprüfer geprüft werden. Allein für letzteren entstünden Kosten in Höhe von ca. 12.500 € jährlich, wozu noch die internen Kosten für die Erstellung des Berichts hinzukämen.

Darüber hinaus würde die Nichteintragung 2022 zu einem steuerlichen Nachteil aus einem geminderten Verlustverrechnungspotential, das ungemindert in Zukunft eine nominelle Steuerminderung von 679.000,00 € ermöglichen würde, führen.

Derzeit sei des Weiteren jedes Geschäft mit der V. B.C. GmbH und Carlyle und jede Einflussnahme durch diese beiden auf die Nachteilhaftigkeit für die Antragstellerin zu überprüfen, was erheblichen Arbeitsaufwand bei der Antragstellerin und externen Beratungsbedarf verursache.

Bei einer Nichteintragung sei darüber hinaus beabsichtigt, eine weitere (außerordentliche) Hauptversammlung einzuberufen, um dort wiederum Beschluss über die Zustimmung zu dem Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zu fassen. Dies würde Kosten in Höhe von 75.700 € für Notar, IT-Dienstleister, Raummiete, Messebau und Catering verursachen. Darüber hinaus würden Rechtsberatungskosten in Höhe von 70.000,00 € anfallen.

Diesen erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen für die Antragstellerin im Falle der Nichteintragung stünden allenfalls finanzielle Nachteile gegenüber, da die Antragsgegner aufgrund ihres geringen Aktienbesitzes ohnehin keinen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft nehmen könnten. Die wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegner seien aber durch das Spruchverfahren geschützt.

Rechtsverstöße und erst recht solche von besonderer Schwere lägen nicht vor.

Die Antragstellerin beantragt daher:

Es wird festgestellt, dass die beim Landgericht München I unter dem Aktenzeichen 5 HK O 2654/22 erhobenen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen der Antragsgegner zu 1 bis 3 gegen den Beschluss der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 03.02.2022 zu TOP 1 der Hauptversammlung, der wie folgt lautet:

 „Dem Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags vom 17. Dezember 2021 zwischen der V. B. GmbH als herrschendem Unternehmen und der S. H. AG als abhängigem Unternehmen wird zugestimmt.“

der Eintragung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags in das Handelsregister am Sitz der Antragstellerin nicht entgegenstehen und Mängel des Hauptversammlungsbeschlusses die Wirkung der Eintragung unberührt lassen.

Die Antragsgegner beantragen,

den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin zu 1) erwidert, dass § 134 Abs. 3 S. 2 AktG im Hinblick auf Art. 10 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.07.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften, derzufolge Aktionäre, die Aktien einer Gesellschaft in mehr als einem Wertpapierdepot halten, berechtigt seien, für die in jedem einzelnen Wertpapierdepot gehaltenen Aktien jeweils einen eigenen Vertreter für jede Hauptversammlung zu bestellen, richtlinienkonform auszulegen sei. Da die Satzung der Antragstellerin keine dem § 134 Abs. 3 S. 2 AktG entsprechende Regelung enthalte, sei der in Einladung aufgenommene Hinweis auf § 134 Abs. 3 S. 2 AktG fakultativ. Da dieser Hinweis aber zu dem nach der Richtlinie 2007/36/EG einem Aktionär, der Aktien der Gesellschaft in mehreren Wertpapierdepots halte, zustehenden Recht auf Benennung mehrerer Bevollmächtigter schweige, sei er irreführend und „zur Täuschung des Aktionariats angelegt“. Im Übrigen verstoße § 134 Abs. 3 S. 2 AktG als solches gegen Europarecht, da er die Personenzahlbegrenzung in das Ermessen der Gesellschaft stelle, wohingegen in Art. 10 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie eine Begrenzung der Zahl der Bevollmächtigten durch den Gesetzgeber des Mitgliedsstaates vorsehe. Da diese Fragen die Auslegung europäischen Rechts beträfen, beantragt die Antragsgegnerin zu 1), insoweit ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV durchzuführen.

Darüber hinaus sei das Fragerecht der Aktionäre durch eine unzulässige Verkürzung der Frist zur Einreichung schriftlicher Fragen in rechtswidriger Weise beeinträchtigt worden. Denn die Regelung in § 1 Abs. 2 S. 2 COVID-19-Maßnahmegesetz, wonach der Vorstand vorgeben könne, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen seien, sei nicht dahingehend auszulegen, dass - wie gemäß § 121 Abs. 7 S. 1 AktG - der Tag der Versammlung nicht mitzurechnen sei. Denn die Vorschrift des § 121 Abs. 7 S. 1 AktG gelte nur für den zweiten Unterabschnitt des vierten Abschnitts des ersten Buches des AktG (§§ 121 - 128 AktG), nicht aber auch für den dritten Unterabschnitt, in dem das Auskunftsrecht der Aktionäre geregelt sei. Da das COVID-19-Maßnahmengesetz kein eigenes Fristenregime enthalte, seien - dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz entsprechend - Fragen bis zum Ablauf des 02.02.2022 und nicht - wie in der Einladung ausgeführt - nur bis zum Ablauf des 01.02.2022 zulässig gewesen.

Schließlich stelle auch die fehlende Zweiwegekommunikation bei der Durchführung der virtuellen Hauptversammlung vom 03.02.2022 einen schwerwiegenden Rechtsverstoß dar.

Hinsichtlich der Nichteintragungsnachteile trägt die Antragsgegnerin zu 1) vor, dass die Kosten eines Abhängigkeitsberichts von 12.500,00 € jährlich bei einem Börsenmarktwert der Antragstellerin von 644 Mio € nicht ins Gewicht fielen. Die Kosten der Hauptversammlung würden auch künftig weiter anfallen, da es streitgegenständlich nicht um einen Squeeze-Out, sondern um einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag gehe, sodass weiterhin Kleinaktionäre vorhanden seien und deshalb auch weiterhin Hauptversammlungen abzuhalten seien. Die Steuerlast der Antragstellerin würde sich auch nicht vermindern, sie würde nur in die Sphäre des herrschenden Unternehmens verlagert.

Die Antragsgegnerin zu 2) erwidert, dass die sechsmonatige nachwirkende Sperrfrist des § 44 Abs. 1 S. 3 WpHG aufgrund nach dem WpHG fehlerhafter Stimmrechtsmeldungen auch noch nach dem Delisting der Antragstellerin mit Ablauf des 30.12.2021 gelte. Die Voraussetzungen für eine nachwirkende Stimmrechtssperre lägen vor, da der V. B.C. GmbH bereits am 14.10.2021 78,22 % der Antragstellerin gehörten. Denn zu diesem Zeitpunkt seien sämtliche Vollzugsvoraussetzungen des Übernahmeangebots erfüllt gewesen, sodass eine Übereignung der zum Verkauf eingereichten Aktien von der V. B.C. GmbH hätte veranlasst werden können.

Die V. B.C. GmbH habe daher bereits zum 14.10.2021 einen auf die Übertragung der Aktien gerichteten unbedingten und ohne zeitliche Verzögerung zu erfüllenden Anspruch gehabt, was nach § 33 Abs. 3 WpHG einem Gehören iSd. § 33 Abs. 1 WpHG gleichstehe. Obwohl damit die 75-Prozentmeldeschwelle bereits am 14.10.2021 überschritten gewesen sei, habe die V. B.C.GmbH erst am 27.10.2021 und damit nicht unverzüglich und in der Sache unrichtig bekanntgegeben, dass ihr seit 25.10.2021 78,22 % der Aktien der Antragstellerin gehörten.

Darüber hinaus sei die 75-prozentige Mehrheit auch nicht mit von der Rechtsordnung gebilligten Methoden zustandegekommen. Durch die Rückbeteiligung u.a. der A. O. SICAV-FIS SCS werde nämlich das 75%-Mehrheitserfordernis des § 293 Abs. 1 S. 2 AktG umgangen.

Die Kosten des Abhängigkeitsberichts seien bei der Interessenabwägung im Rahmen des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG nicht zu berücksichtigen, da ein solcher Bericht bei jedem Abschluss eines Beherrschungsvertrages erforderlich sei und deshalb allein aufgrund der Kosten für den unumgänglichen Abhängigkeitsbericht immer ein überwiegendes Vollzugsinteresse anzunehmen sei. In diesem Fall wäre aber eine im Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung überflüssig.

Der Antragsgegner zu 3) trägt vor, dass die V. B.C. GmbH bei der Abstimmung über den streitgegenständlichen Beschluss am 03.02.2022 einem Stimmrechtsverbot nach dem WpHG unterlegen wäre. Dieses sei auch nicht im Moment des Delistings der Antragstellerin entfallen.

Ein überwiegendes Vollzugsinteresse sei nicht anzunehmen. Die von der Antragstellerin behaupteten steuerlichen Nachteile in Höhe von 679.000 € würden allenfalls bei der V. B.C. GmbH als Organträgerin anfallen. Die Kosten zukünftig notwendig werdender Hauptversammlungen könnten nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt im Rahmen der Interessenabwägung des § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG nicht berücksichtigt werden.

Der Senat hat am 29.06.2022 mündlich verhandelt. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2022, die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Akteninhalt und die beigezogenen Akten des Landgerichts München I, Az. 5 HK O 2654/22, wird Bezug genommen.

Aus den Gründen

    B.

Der Freigabeantrag der Antragstellerin ist nach der erfolgten Zustellung der Anfechtungsklage der Antragsgegner gegen den streitgegenständlichen Beschluss der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 03.02.2022 im Verfahren des Landgerichts München I Az. 5 HK O 2654/22 an die Antragstellerin am 31.03.2022 statthaft und zulässig.

 

Der Freigabeantrag der Antragstellerin ist gegenüber allen Antragsgegnern begründet.

    I.

Im Hinblick auf den Antragsgegner zu 3) ist dem Freigabeantrag schon nach §§ 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG zu entsprechen, da der Antragsgegner zu 3) das in § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG genannte Quorum nicht nachgewiesen hat.

 

    II.

Hinsichtlich der Antragsgegner zu 1) und 2) war dem Freigabeantrag der Antragstellerin zwar nicht schon nach § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG zu entsprechen, da die Antragsgegner zu 1) und 2) durch die Vorlage von Bankbestätigungen und Auszügen aus dem Aktienregister der Antragstellerin den urkundlichen Nachweis eines hinreichenden Aktienbesitzes binnen Wochenfrist erbracht haben. Die Antragsgegnerin zu 1) hält demnach nämlich seit mindestens 23.12.2021 durchgehend 850 Aktien der Antragstellerin, der Antragsgegner zu 2) 1.000 Aktien. Dies ergibt bei einem rechnerischen Anteil am Grundkapital der Antragstellerin von 1,22 € pro Aktie für die Antragsgegnerin zu 1) einen Betrag iSd. § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG in Höhe von 1.220 € und für den Antragsgegner zu 2) einen Betrag in Höhe von 1.037 € und damit in beiden Fällen von mehr als 1.000 €.

Jedoch war dem Freigabeantrag nach § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG stattzugeben, da die Klage der Antragsgegner zu 1) und 2) gegen den Beschuss der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 03.02.2022 zu TOP 1 offensichtlich unbegründet ist.

Der Senat geht dabei davon aus, dass eine Anfechtungsklage dann offensichtlich unbegründet ist, wenn nach umfassender rechtlicher Würdigung aller unstreitiger oder glaubhaft gemachter Tatsachen die Rechtslage so eindeutig ist, dass das Gericht eine andere Beurteilung für nicht oder kaum vertretbar hält. Der Senat folgt nicht der Ansicht, wonach eine offensichtliche Unbegründetheit nur dann anzunehmen sei, wenn sie schon bei einer nur kursorischen Prüfung ohne weiteres erkennbar sei, und derzufolge schon dann, wenn die Entscheidung schwierige rechtliche Überlegungen erfordere oder von einer höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Rechtsfrage abhänge, kein Fall der offensichtlichen Unbegründetheit mehr vorliege (so bspw. OLG Frankfurt, Beschluss vom 22.08.2000 -14 W 23/00, Rdnr. 34 und OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.03.1999 - 17 W 18/99, Rdnrn. 14 und 15). Denn für eine nur kursorische Rechtsprüfung ist auch in einem summarischen Verfahren grundsätzlich kein Raum (vgl. Senat, Beschluss vom 04.11.2009 - 7 AktG 2/09, Rdnrn. 19 und 20 und die Nachweise aus der Rechtsprechung bei Vatter in BeckOKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 26 zu § 246a AktG).

Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes erweist sich die erhobene Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage als offensichtlich unbegründet.

 

1. Die Beschränkung des Einladungstextes auf die Wiedergabe des Wortlauts des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG stellt keinen Einberufungsmangel dar.

 

a. § 125 Abs. 2, Abs. 1 S. 4 AktG verlangt nämlich nur, dass in der Einladung auf die Möglichkeit der Ausübung des Stimmrechts durch einen Bevollmächtigten, auch durch eine Vereinigung von Aktionären, hingewiesen wird. Diesem Erfordernis hat die Antragstellerin durch den Hinweis in Abschnitt B 2 a S. 1 der Einladung genügt.

Aus § 125 Abs. 5 S. 1 AktG, der die Vorgaben aus der Durchführungsverordnung EU 2018/1212, die unmittelbar nur für börsennotierte Gesellschaften gilt, auch für nicht börsennotierte Gesellschaften für anwendbar erklärt, ergeben sich, was Hinweise für die Bevollmächtigung betrifft, keine über § 125 Abs. 2, Abs. 1 S. 4 AktG hinausgehenden Anforderungen an die Einladung.

Soweit in der Literatur im Rahmen der Mitteilungspflicht nach § 125 Abs. 2, Abs. 1 S. 4 AktG verlangt wird, dass, soweit die Satzung der Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich des Kreises der Stimmrechtsbevollmächtigten enthält, diese Beschränkungen ebenfalls in den Hinweis nach § 125 Abs. 2, Abs. 1 S. 4 AktG aufzunehmen sind (vgl. bspw. Rieckers in BeckOGKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 31 zu § 125 AktG und Kubis in Münchener Kommentar zum AktG, 5. Auflage, München 2022, Rdnr. 12 zu § 125 AktG), so kommt dies im streitgegenständlichen Fall unabhängig von der Frage, inwieweit solche Beschränkungen zulässig sind, schon deshalb nicht zum Tragen, da die Satzung der Antragstellerin unstreitig solche Beschränkungsmöglichkeiten nicht enthält (vgl. Schriftsatz des Antragsgegnervertreters zu 1) vom 10.05.2022, S. 5, Bl. 61 d.A.).

Der demnach von § 125 Abs. 2, Abs. 1 S. 4 AktG nicht zwingend geforderte Hinweis in Abschnitt B 2 a S. 2 der Einladung auf die der Gesellschaft nach § 134 Abs. 3 S. 4 AktG eröffnete Möglichkeit, bei der Bevollmächtigung von mehr als einer Person durch den Aktionär einen oder mehrere dieser Bevollmächtigten zurückzuweisen, ist entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin zu 1) auch weder falsch noch irreführend.

Zu Recht führt die Antragsgegnerin zu 1) zwar insoweit aus, dass nach Art. 10 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2007/36/EG vom 11.07.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften ein Aktionär, der Aktien einer Gesellschaft in mehr als einem Wertpapierdepot hält, nicht gehindert sein darf, für die in jedem einzelnen Wertpapierdepot gehaltenen Aktien jeweils einen eigenen Vertreter für jede Hauptversammlung zu bestellen, und dass dieses Recht in § 134 Abs. 3 S. 2 AktG nicht explizit zum Ausdruck kommt. Diesen Vorgaben der Richtlinie 2007/36/EG kann jedoch ohne weiteres durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG dadurch Rechnung getragen werden, dass in dem in Art. 10 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2007/36/EG geregelten Fall das der Gesellschaft nach § 134 Abs. 3 S. 2 AktG eingeräumte Ermessen dahingehend reduziert ist, dass mehrere Bevollmächtigte zuzulassen sind (vgl. Rieckers in BeckOGKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 66 zu § 134 AktG). Ob auf die Notwendigkeit einer solchen richtlinienkonformen Auslegung des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG in der Einladung hingewiesen werden muss, wenn dort auf die Regelung des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG Bezug genommen wird, kann offenbleiben.

Im streitgegenständlichen Fall kommt es darauf nämlich entscheidungserheblich gar nicht an, da die Antragstellerin zum Zeitpunkt der Hauptversammlung am 03.02.2022 nicht mehr börsennotiert war, die Richtlinie 2007/36EG gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 in der Fassung der Richtlinie (EU) 2017/828 vom 17. Mai 2017 jedoch nur für börsennotierte Gesellschaften gilt, sodass die Vorgabe des Art. 10 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2007/36/EG auf die Antragstellerin seit deren Delisting zum Ablauf des 30.12.2021 nicht mehr anwendbar war und sich folglich die Problematik einer richtlinienkonformen Auslegung des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG für die Hauptversammlung am 03.02.2022 nicht mehr stellte. Für die Antragstellerin waren damit hinsichtlich der Hauptversammlung vom 03.02.2022 allein die Vorgaben des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG zu beachten, weshalb dessen Wiedergabe im Wortlaut in der Einladung auch weder unzutreffend noch irreführend war. Dass die Einladung zur Hauptversammlung vom 03.02.2022 am 23.12.2021 und damit noch vor dem Delisting am 30.12.2021 veröffentlicht wurde, ändert an der Nichtanwendbarkeit von Art. 10 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2007/36/EG auf die streitgegenständliche Hauptversammlung nichts, zumal im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ladung (23.12.2021) auch die Widerrufe sowohl der Börse München (30.11.2021) als auch der Frankfurter Wertpapierbörse (15.12.2021) bereits vorlagen.

 

b. Eine Vorlage an den EuGH zur Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV zur Frage, ob die Richtlinie 2007/36/EG auf eine zwar zum Einladungszeitpunkt noch börsennotierte, bei Durchführung der Hauptversammlung aber nicht mehr börsennotierte Gesellschaft anwendbar ist, war aus zweierlei Gründen nicht erforderlich, obwohl der Senat im streitgegenständlichen Freigabeverfahren in letzter Instanz entscheidet.

 

aa. Nach der Rechtsprechung des EuGH (allerdings noch zur inhaltsgleichen Vorgängernorm des Art. 267 AEUV, dem Art. 177 Abs. 3 EWGV) besteht in „summarischen und eilbedürftigen Verfahren“ eine Vorlagepflicht auch eines letztinstanzlich entscheidenden Gerichts dann nicht, „wenn in einem ordentlichen Verfahren zur Hauptsache eine erneute Prüfung jeder im summarischen Verfahren nur vorläufig entschiedenen Rechtsfrage möglich ist, gleichgültig, ob dieses Verfahren unter allen Umständen oder nur auf Betreiben der unterlegenen Partei eingeleitet werden muss“ (EuGH, Urteil vom 24.05.1977 - C-107/76, Tz. 5 und Urteil vom 27.10.1982 - 35/82, Tz. 8).

 

(1) Bei dem hier vorliegenden Freigabeverfahren nach § 246a AktG handelt es sich um ein solches „summarisches und eilbedürftiges Verfahren“ i.S.d. Rechtsprechung des EuGH. Dies folgt daraus, dass der Gesetzgeber das Freigabeverfahren „ähnlich ausgestaltet (hat) wie das Verfahren einer einstweiligen Verfügung oder eines Arrestes nach §§ 916 ff. ZPO“ (vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2006 - II ZB 5/06, Rdnr. 8 zum Verfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG, das seiner Struktur nach dem Verfahren nach § 246a AktG vergleichbar ist), wobei sich der summarische Charakter des Freigabeverfahrens schon daraus ergibt, dass nach § 246a Abs. 3 S. 3 AktG die bloße Glaubhaftmachung der entscheidungsrelevanten Tatsachen genügt, ein Vollbeweis nicht erforderlich ist und in dringenden Fällen nach § 246a Abs. 3 S. 2 AktG sogar auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden kann. Die Eilbedürftigkeit der Herbeiführung einer rechtskräftigen Freigabeentscheidung hat der Gesetzgeber in § 246a Abs. 3 S. 6 AktG dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Beschluss spätestens drei Monate nach Antragstellung ergehen soll und etwaige Verzögerungen durch Beschluss zu begründen sind. Unterstrichen wird die Eilbedürftigkeit der Freigabeentscheidung schließlich noch durch die vom Gesetzgeber angeordnete Unanfechtbarkeit des Beschlusses (§ 246a Abs. 3 S. 4 AktG).

 

(2) Die im hiesigen Freigabeverfahren relevante, vom Senat vorläufig entschiedene unionsrechtliche Rechtsfrage der Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2007/36/EG auf die Antragstellerin kann auch - wie vom EuGH für den Entfall der Vorlagepflicht vorausgesetzt - in dem von den Antragsgegnern eingeleiteten Beschlussanfechtungsverfahren des Landgerichts München I, Az. 5 HK O 2654/22, als dem Hauptsacheverfahren i.S.d. oben in Bezug genommenen Rechtsprechung des EuGH überprüft werden (vgl. zur Hauptsacheeigenschaft des Beschlussanfechtungsverfahrens im Verhältnis zum Freigabeverfahren nach nationalem Recht BGH, Beschluss vom 29.05.2006 - II ZB 5/06, Rdnr. 12 zum Verfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG).

 

(3) Die Gültigkeit der Richtlinie 2007/36/EG steht nicht in Frage, sodass auch insoweit keine Vorlagepflicht besteht.

 

(bb) Schließlich war eine Vorlage an den EuGH aber auch schon deshalb nicht erforderlich, da es für jeden klar sein muss (acte clair), dass die Richtlinie 2007/36/EG mangels Börsennotierung der Antragstellerin zum Zeitpunkt der Hauptversammlung im streitgegenständlichen Fall nicht anwendbar ist.

 

(cc) Da aufgrund der Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2007/36/EG auf die Antragstellerin, die von den Antragsgegnern ventilierte Frage, ob es sich bei der Regelung des § 134 Abs. 3 S. 2 AktG um eine ordnungsgemäße Umsetzung von Art. 10 Abs. 2 S. 2 der Richtlinie 2007/36/EG handelt, - wie oben unter a dargelegt - nicht entscheidungserheblich ist, war das insoweit von der Antragsgegnerin zu 1) beantragte (vgl. Schriftsatz des Antragsgegnervertreters zu 1) vom 10.05.2022, S. 6, Bl. 62 d.A.) Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV nicht durchzuführen.

 

2. Eine rechtswidrige Verkürzung des Fragerechts der Aktionäre durch die in der Einladung zur Hauptversammlung unter Abschnitt B 4 erfolgte Angabe, dass Fragen von Aktionären oder ihrer Bevollmächtigten bis spätestens Dienstag, den 01.02.2022, 24:00 Uhr über das InvestorPortal der Gesellschaft zugegangen sein müssten, liegt nicht vor. Denn diese Vorgabe entspricht der Regelung des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie vom 27.03.2020 (im Folgenden als COVMG abgekürzt), in der nach § 7 Abs. 1 COVMG auf bis zum 31.08.2022 stattfindende Hauptversammlungen und damit auch auf die Hauptversammlung der Antragstellerin vom 03.02.2022 anwendbaren Fassung. Danach kann der Vorstand nämlich „vorgeben, dass Fragen bis spätestens einen Tag vor der Versammlung“ einzureichen sind.

Diese Vorschrift des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG ist dahingehend auszulegen, dass, da es sich bei der Frist des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG um eine von der Hauptversammlung zurückzuberechnende Frist handelt, - wie in § 121 Abs. 7 S. 1 AktG - der Tag der Hauptversammlung bei der Fristberechnung nicht mitzurechnen ist, sodass der „Tag vor der Versammlung“ nicht Mittwoch der 02.02.2022, sondern Dienstag der 01.02.2022 ist.

Den Antragsgegnern zuzugeben ist, dass nach dem allgemeinen Sprachgebrauch der „Tag vor der Versammlung“, die am Donnerstag den 03.02.2022 stattfand, zweifellos nicht der Dienstag, sondern der Mittwoch ist. Dem Gesetzgeber steht es jedoch grundsätzlich frei, bei der Gesetzesformulierung vom allgemeinen Sprachgebrauch abzuweichen. Dies setzt aber voraus, dass es für ein derartiges vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichendes Sprachverständnis des Gesetzgebers hinreichende Anhaltspunkte im Gesetz gibt.

Das COVMG selbst enthält zwar keine Regelung zur Fristberechnung (auch nicht in Form eines Verweises auf Fristberechnungsvorschriften in anderen Gesetzen). Auch der Entstehungsgeschichte des Gesetzes lässt sich zur Fristberechnung nichts entnehmen. In der Begründung zum Entwurf des COVMG der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vom 24.03.2020, der im Gegensatz zu der auf die streitgegenständliche Hauptversammlung nunmehr anwendbaren Fassung des COVMG noch eine zweitägige Frist vorsah, wird nämlich insoweit nur ausgeführt, dass der Vorstand auch entscheiden könne, „dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung elektronisch (...) einzureichen“ seien (BT-Drs. 19/18110, S. 26). Die Verkürzung der Frist zur Einreichung von Fragen auf einen Tag kam erst aufgrund einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses (BT-Drs. 19/25251, S. 21) mit Art. 11 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, S. 3328) in das COVMG. Eine Gesetzesbegründung liegt insoweit nicht vor.

Da es sich bei § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG aber um ein § 131 AktG, der das Fragerecht des Aktionärs regelt und diesem die Fragestellung in der Hauptversammlung gestattet, abänderndes Gesetz handelt (vgl. BT-Drs. 19/8110, S. 26 „abweichend von § 131 AktG“), liegt es nahe, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Berechnung der Frist des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG den Regelungen folgen sollte, die auch ansonsten für die Fristberechnung im AktG gelten. Nachdem es sich bei der Frist des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG um eine von der Hauptversammlung zurückzuberechnende Frist handelt, wäre dies § 121 Abs. 7 AktG.

Zwar bezieht sich § 121 Abs. 7 AktG seiner systematischen Stellung im zweiten Unterabschnitt des vierten Abschnitts des vierten Teils des ersten Buches des AktG nach nur auf die Einberufung der Hauptversammlung (§§ 121 bis 128 AktG) und nicht auch auf den dritten Unterabschnitt (§§ 129 bis 132 AktG), in dem das von § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG modifizierte Frage- und Auskunftsrecht des Aktionärs geregelt ist, und spricht auch die Gesetzesbegründung von Fristen „des Unterabschnittes des § 121 ff. AktG [sic]“ (vgl. BT-Drs. 16/11642, S. 28 rechte Spalte, vorletzter Absatz). Jedoch steht dies einer Anwendung des § 121 Abs. 7 AktG auf Rückwärtsfristen außerhalb des zweiten Unterabschnitts (§§ 121 bis 128 AktG), die an die Hauptversammlung anknüpfen, nicht entgegen. Denn schon seinem Wortlaut nach soll sich § 121 Abs. 7 AktG auf alle Fristen und Termine, „die von der Versammlung zurückberechnet werden“ beziehen; eine Einschränkung seines Anwendungsbereichs ist dem Wortlaut der Norm daher nicht zu entnehmen. Der systematischen Stellung des § 121 Abs. 7 AktG und der Gesetzesbegründung können bei der Auslegung des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG auch deshalb keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen werden, da zum Zeitpunkt der Einführung eines einheitlichen Regimes für auf die Hauptversammlung bezogene Rückwärtsfristen durch das ARUG im Jahr 2009 das Auskunfts- und Fragerecht von den Aktionären gemäß § 131 AktG in der Hauptversammlung auszuüben war und deshalb insoweit ein Bedürfnis, die Berechnung einer derartigen Rückwärtsfrist auch im dritten Unterabschnitt zu regeln, gar nicht gegeben war. Schließlich ist auch davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bei Rückwärtsfristen, die auf die Hauptversammlung bezogen sind, nicht zwei unterschiedliche Fristberechnungsmethoden etablieren wollte: zum einen § 121 Abs. 7 AktG und zum anderen §§ 187 ff. BGB. Denn dafür gäbe es keinen sachlichen Grund. Darüber hinaus liegt ein einheitliches Rückwärtsfristenregime auch schon deshalb nahe, da nach § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG die Ausübung des Fragerechts nunmehr bereits im Vorfeld der Hauptversammlung und damit noch im Einberufungsstadium zu erfolgen hat, sodass die Rückwärtsfrist des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG auch inhaltlich einen engen Bezug zum zweiten Unterabschnitt (§§ 121 bis 128 AktG) aufweist, der die Einberufung der Hauptversammlung zum Gegenstand hat.

Nach alledem ist die Fristenregelung des § 1 Abs. 2 S. 2 2. Hs. COVMG abweichend vom allgemeinen Sprachgebrauch entsprechend § 121 Abs. 7 AktG auszulegen, sodass es zulässig war anzuordnen, dass Fragen bis zum Ablauf des 01.02.2022 einzureichen seien (ebenso LG Frankfurt/Main, Urteil vom 23.02.2021 - 3-05 O 64/20, Rdnr. 59 und Koch in ders., AktG, 16. Auflage, München 2022, Rdnr. 81 zu § 131 AktG und Poelzig in BeckOGKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 299 zu § 131 AktG).

 

3. Die fehlende Zweiwegekommunikation bei der Durchführung der virtuellen Hauptversammlung vom 03.02.2022 stellt keinen Rechtsverstoß dar, da das COVMG eine solche Zweiwegekommunikation in seinem § 1 Abs. 2 S. 1 nicht zwingend vorsieht. Vorgeschrieben ist dort nämlich nur eine „Bild- und Tonübertragung der gesamten Versammlung“, die Möglichkeit zur Stimmrechtsausübung sowie die Ausübung des Fragerechts (letzteres allerdings nur unter den zusätzlichen Einschränkungsmöglichkeiten des § 1 Abs.2 S. 2 COVMG) im Wege elektronischer Kommunikation. Von einer darüber hinausgehenden Möglichkeit der Aktionäre, durch eine Zweiwegekommunikation „life“ an der virtuellen Hauptversammlung teilzunehmen und sich dort durch Wortmeldungen einzubringen, ist in § 1 COVMG daher entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin zu 1) gerade nicht die Rede. Auch aus der von der Antragsgegnerin zu 1) in Bezug genommenen Begründung des aktuellen Gesetzentwurfs zur virtuellen Hauptversammlung, nach dem nunmehr eine Zweiwegekommunikation zumindest für das Rederecht der Aktionäre notwendigerweise vorzusehen sei, folgt nicht, dass dies bereits für das COVMG gilt. Vielmehr legen die Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drs. 20/1738, S. 2) und die Formulierung des § 118a Abs. 1 S. 3 Nr. 7 Entwurf-AktG (“Rederecht in der Versammlung im Wege der Videokommunikation“) und § 130a Abs. 5 Entwurf-AktG den - sich schon aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 1 COVMG ergebenden - gegenteiligen Schluss nahe, dass eine solche Zweiwegekommunikation nach dem COVMG eben gerade nicht zwingend vorgeschrieben war.

Dass die Möglichkeit, eine Hauptversammlung auch ohne Zweiwegekommunikation durchzuführen, während der Pandemiesituation auch am Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG gemessen nicht zu beanstanden war, hat der Senat bereits entschieden (Beschluss vom 28.07.2021 - 7 AktG 4/21, Rdnr. 90). Daran ist festzuhalten.

 

4. Der streitgegenständliche Beschluss ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil der gemeinsame Bericht der Geschäftsführung der V. B.C. GmbH und des Vorstands der Antragstellerin zu dem von den beiden geschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht den Anforderungen des § 293a Abs. 2 AktG entsprechen würde.

Gemäß § 293a Abs. 2 AktG hat der Vorstand der Gesellschaft „einen ausführlichen schriftlichen Bericht zu erstatten, in dem der Abschluss des Unternehmensvertrags, der Vertrag im einzelnen und insbesondere Art und Höhe des Ausgleichs nach § 304 (AktG) und der Abfindung nach § 305 (AktG) rechtlich und wirtschaftlich erläutert und begründet werden“ muss. Zweck eines solchen Berichts ist es, den Aktionären eine geeignete Entscheidungsgrundlage für ihr Abstimmungsverhalten zu bieten (Veil/Walla in BeckOGKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 13 zu § 293a AktG).

Der - von den Antragsgegnern behauptete - Stimmrechtsausschluss der V. B.C. GmbH und ihrer Muttergesellschafter in der Hauptversammlung vom 03.02.2022, in der über den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag beschlossen werden soll, berührt keinen der in § 293a Abs. 2 AktG aufgeführten notwendigen Berichtsinhalte und war deshalb auch nicht in den Bericht aufzunehmen. Ein etwaiger Stimmrechtsausschluss ist nämlich nicht Inhalt des Vertrages und betrifft weder Art und Höhe des Ausgleichs noch die Abfindung. Er hat auch ebenso wenig Bezug zur Bonität des herrschenden Unternehmens, die für den Aktionär hinsichtlich seines Stimmverhaltens von Bedeutung ist (vgl. insoweit Senat, Urteil vom 19.11.2008 - 7 U 2405/08, Rdnr. 53) wie zur aktuellen wirtschaftlichen Lage der beteiligten Unternehmen, gegebenenfalls auch bedeutsamen Rahmenbedingungen für den Vertragsabschluss wie aktuellen Wechselkursen, Aktienkursen der Beteiligten Unternehmen und sonstigen relevanten Wirtschaftsentwicklungen (Senat, Urteil vom 06.08.2008 - 7 U 3905/06, Rdnr. 155).

 

5. a. Die V. B.C. GmbH war bei der Beschlussfassung über den streitgegenständlichen Beschluss am 03.02.2022 auch nicht ihrer Stimmrechte gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 und 3 WpHG verlustig. Dabei kann offenbleiben, ob die V. B.C. GmbH - wie der Antragsgegner zu 2) vorträgt - ihre Mitteilungspflichten nach § 33 Abs. 1 WpHG vor dem 30.12.2021 nicht erfüllt hat. Denn ab dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Delistings der Antragstellerin mit Ablauf des 30.12.2021 galten bezüglich der Antragstellerin nur noch die Mitteilungspflichten des § 20 Abs. 1 bis 6 AktG und bestimmten sich die Folgen eines Verstoßes gegen die Mitteilungspflichten des § 20 AktG nur noch nach § 20 Abs. 7 AktG. Denn wie sich der Regelung des § 20 Abs. 8 AktG entnehmen lässt, wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 20 AktG durch Art. 15 Nr. 1 b des Gesetzes vom 24.03.1998, BGBl. I 1998, S. 529 (drittes Finanzmarktförderungsgesetz), doppelte Publizitätspflichten der Gesellschaften vermeiden und erreichen, dass börsennotierte Gesellschaften ausschließlich den Mitteilungspflichten des WpHG unterworfen sind, während sich die Mitteilungspflichten bei nicht börsennotierten Gesellschaften alleine nach dem AktG richten sollten (vgl. BT-Drs. 13/8933, S. 147 rechte Spalte und S. 148 linke Spalte, vgl. auch Koch in ders. AktG, 16. Auflage, München 2022, Rdnr. 19 zu § 20 AktG). Diese strikte Trennung kommt auch in § 1 Abs. 1 Nr. 7 WpHG zum Ausdruck, wonach das WpHG Regelungen „in Bezug auf (...) die Veränderungen der Stimmrechtsanteile an börsennotierten Gesellschaften“ enthält. Die Mitteilungspflichten nach dem WpHG einerseits und diejenigen nach dem AktG stehen daher in einem Exklusivitäts- bzw. Alternativitätsverhältnis (vgl. Petersen in BeckOGKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 15 zu § 20 AktG).

Mit einer solchen Unterscheidung der Publizitätsregime wäre es nicht nur unvereinbar, wenn trotz mittlerweile erfolgten Wegfalls der Börsennotierung der Gesellschaft Sanktionen für die zuvor (unterstellt) erfolgte Verletzung von Mitteilungspflichten in der Zeit der Börsennotierung auch nach deren Wegfall weiterbestünden. Vielmehr würde es für eine solche vom Antragsgegner zu 2) angenommene nachwirkende Sanktionierung über den 30.12.2021 hinaus nach § 44 Abs. 1 S. 1 und 3 WpHG auch an einer gesetzlichen Grundlage fehlen, da § 44 Abs. 1 S. 1 und 3 WpHG auf die Verletzung von Mitteilungspflichten nach § 33 Abs. 1 S. 1 WpHG Bezug nimmt, die aber gemäß § 33 Abs. 4 WpHG mangels Börsennotierung der Antragstellerin seit dem 31.12.2021 gar nicht mehr bestanden (vgl. Petersen in BeckOGKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 210 zu § 22 AktG).

Zwar ist richtig, dass - wie der Antragsgegner zu 2) vorträgt (Schriftsatz des Antragsgegnervertreters zu 2) vom 06.05.2022, S. 3, Bl. 43 d.A.) - es demnach möglich wäre, dass ein Aktionär einer zunächst noch börsennotierten Gesellschaft Stimmrechtsmeldungen unterlässt, sich „klammheimlich“ eine 75%-Mehrheit verschafft und sodann nach mittlerweile erfolgtem Delisting der Gesellschaft im Vorfeld einer Hauptversammlung eine Mitteilung nach § 20 Abs. 1 - 6 AktG macht, ohne wegen der zunächst unterbliebenen Mitteilungen einen Stimmrechtsverlust in der Hauptversammlung befürchten zu müssen. Der Gesetzgeber hat jedoch bei Aufnahme des sechsmonatigen nachwirkenden Rechteverlusts in den Sanktionskatalog des § 28 Abs. 1 S. 3 WpHG a.F., der dem nunmehr geltenden § 44 Abs. 1 S. 3 WpHG entspricht, durch das Gesetz vom 12.08.2008, BGBl. I 2008, S.1666 (Risikobegrenzungsgesetz), diese Gefahr des unbemerkten „Anschleichens“ eines Investors vor einer Hauptversammlung erkannt und damit auch ausdrücklich die Regelung des § 28 Abs. 1 S. 3 WpHG a.F. begründet (vgl. die Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/7438, S. 16). Diese Einführung des nachwirkenden Rechteverlusts erfolgte jedoch zeitlich weit nach der oben dargelegten scharfen Trennung der Mitteilungsregime bei börsennotierten Gesellschaften einerseits und bei nicht börsennotierten Gesellschaften andererseits im Jahr 1998. Wenn der Gesetzgeber daher zehn Jahre nach der expliziten Trennung der beiden Mitteilungsregime bezüglich eines der beiden Bereiche aufgrund einer von ihm gesehenen Missbrauchsgefahr eine schärfere Sanktion (nachwirkender Rechteverlust) neu einführt, dies jedoch hinsichtlich des anderen Bereichs unterlässt, so ist davon auszugehen, dass es sich dabei um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung handelt, die nicht durch eine erweiternde Auslegung des § 44 Abs. 1 S. 3 WpHG oder gar durch eine Analogie korrigiert werden kann.

Nach alledem war die V. B.C. GmbH durch einen (unterstellten) Verstoß gegen eine Mitteilungspflicht nach § 33 Abs. 1 WpHG nicht gemäß § 44 Abs. 1 S. 1 und 3 WpHG gehindert, ihre Stimmrechte in der Hauptversammlung vom 03.02.2022 auszuüben (gegen einen nachwirkenden Rechteverlust nach Wegfall der Börsennotierung auch Petersen in BeckOGKAktG, Stand 01.02.2022, Rdnr. 210 zu § 22 AktG, Bayer in Münchener Kommentar zum AktG, 5. Auflage, München 2019, Rdnr, 74 zu § 44 WpHG, Schürnbrand/Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Auflage, München 2019, Rdnr. 20 zu § 44 WpHG und Zimmermann in Fuchs, Wertpapierhandelsgesetz, 2. Auflage, München 2016, Rdnr. 23 zu § 28 WpHG a.F.).

 

b. Dass bei der Hauptversammlung vom 03.02.2022 ein Stimmrechtsausschluss der V. B.C. GmbH nach § 20 Abs. 7 AktG bestanden hätte, haben die Antragsgegner in Anbetracht der Bekanntmachung vom 25.01.2022 laut Anl. Ast 6 schon nicht einmal behauptet.

 

6. a. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die V. B.C. GmbH mit den von der A. O. SICAV-FIS SCS (1.136.301) sowie von verschiedenen Vorstandsmitgliedern der Antragstellerin (13.018) erworbenen Aktien bei der Abstimmung zu TOP 1 aufgrund der von der V. B.C. GmbH und deren Muttergesellschaftern diesen Veräußerern angebotenen Rückbeteiligungen an einer der Muttergesellschafter ausgeschlossen gewesen sein sollte. Eine Unwirksamkeit des Verkaufs der Aktien durch die A. O. SICAV-FIS SCS und die Vorstandsmitglieder der Antragstellerin an die V. B.C. GmbH haben die Antragsgegner nicht einmal behauptet. Der Senat vermag deshalb auch nicht zu erkennen, warum durch die Rückbeteiligungen der Veräußerer das 75-Prozentmehrheitserfordernis des § 293 Abs. 1 S. 2 AktG umgangen worden sein soll.

 

b. Im Übrigen hat die auf dieses Vorbringen der Antragsgegner gestützte Anfechtungsklage insoweit schon deshalb keine Aussicht auf Erfolg, da selbst, wenn man die von der gewährten Rückbeteiligung „betroffenen“ 1.149.319 Aktien (1.136.301 + 13.018) bei der Ermittlung des Abstimmungsergebnisses unberücksichtigt ließe, immer noch eine nach § 293 Abs. 1 S. 2 AktG hinreichende Mehrheit von 85,2 % erreicht wäre (7.705.414 Ja-Stimmen bei 9.040.160 abgegebenen Stimmen), sodass eine Relevanz des behaupteten Beschlussmangels nicht gegeben wäre.

Nach alledem ist die Anfechtungsklage der Antragsgegner zu 1) und 2) offensichtlich unbegründet, sodass der Beschluss der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 03.02.2022 zu TOP 1 ihnen gegenüber nach § 246a Abs. 2 Nr. 1 AktG freizugeben war.

Auf die von den Parteien ventilierte Frage, ob ein überwiegendes Vollziehungsinteresse iSd. § 246a Abs. 2 Nr. 3 AktG vorliegt, kommt es daher entscheidungserheblich nicht mehr an.

 

    C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Antragsgegner sind zur Gänze unterlegen.

 

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