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Wirtschaftsrecht
02.12.2010
Wirtschaftsrecht
BGH: Verspätete Anzeige der Masseunzulänglichkeit

BGH, Urteil vom 21.10.2010 - IX ZR 220/09

Leitsatz

Den Insolvenzverwalter trifft keine insolvenzspezifische Pflicht, Masseunzulänglich-keit zu dem Zweck rechtzeitig anzuzeigen, dass nachfolgende Wohngeldansprüche einer Wohnungseigentümergemeinschaft als Neumasseschuld bevorzugt zu befrie-digen sind.

InsO § 60 Abs. 1, §§ 61, 208, § 209 Abs. 1

Sachverhalt

Der vormalige Beklagte zu 2 (nachfolgend: Beklagter) ist Verwalter in dem am 19. Juni 2007 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der R. GmbH & Co. KG (nachfolgend: Schuld-nerin). Die Klägerin ist zur Prozessführung ermächtigte Verwalterin einer Woh-nungseigentumsanlage, in der sich eine zur Insolvenzmasse gehörende Woh-nung befindet. Sie nimmt den Beklagten persönlich auf Schadensersatz wegen ausstehender Wohngeldzahlungen für die Zeit von September 2007 bis zur An-zeige der Masseunzulänglichkeit am 12. Dezember 2007 in Anspruch. Die mo-natlich zu entrichtenden Wohngeldzahlungen für die vermietete Wohnung be-trugen 359 €.

Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Seine da-gegen eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsge-richt zugelassenen Revision verfolgt er seinen Klagabweisungsantrag weiter.

Aus den Gründen

3          Die Revision ist begründet.

4          I. Das Berufungsgericht meint, der Beklagte persönlich sei verpflichtet, der Wohnungseigentümergemeinschaft den durch die verspätete Anzeige der Mas-seunzulänglichkeit entstandenen Schaden, der darin bestehe, dass sie für die Zeit ab September 2007 noch keine Neumasseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO habe geltend machen können, zu ersetzen. Zwar könne die Klägerin entgegen der Auffassung des Amtsgerichts (AG Wedding ZMR 2008, 751) ihren Anspruch nicht auf § 61 Satz 1 InsO stützen, weil das Unter-lassen der Freigabe der Eigentumswohnung keine Rechtshandlung des Insol-venzverwalters im Sinne des § 61 Satz 1 InsO darstelle, durch die eine Masse-verbindlichkeit begründet werde. Der Beklagte sei jedoch zum Schadensersatz nach § 60 Abs. 1 InsO verpflichtet, weil er schuldhaft nicht rechtzeitig Masseunzulänglichkeit angezeigt habe. Am Vermögensbestand der Schuldnerin habe sich im Wesentlichen in der Zeit zwischen Juli/August 2007 und dem 12. Dezember 2007 nichts geändert. Warum er mit der Anzeige der Masseun-zulänglichkeit gleichwohl abgewartet habe, sei nicht ersichtlich. Hätte er pflicht-gemäß schon Ende August 2007 Masseunzulänglichkeit angezeigt, wäre der Wohngeldanspruch ebenso vorrangig zu befriedigen gewesen, wie die fälligen Beträge ab 13. Dezember 2007.

5          II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Eine Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten (§ 60 Abs. 1 Satz 1 InsO) auf-grund der verspäteten Anzeige der Masseunzulänglichkeit, durch die der Mas-segläubiger nicht in den Genuss der Rangklasse des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO gekommen ist, kommt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht in Betracht. Die persönliche Haftung des Insolvenzverwalters für bei Fälligkeit nicht erfüllbare Masseverbindlichkeiten wird durch § 61 InsO, nicht aber durch § 60 Abs. 1 InsO geregelt.

6          1. Das Berufungsgericht hat eine Haftung des Insolvenzverwalters für Verbindlichkeiten aus fortlaufenden Dauerschuldverhältnissen - hier die Wohn-geldansprüche der Klägerin - nach § 61 InsO zu Recht verneint. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats greift § 61 Satz 1 InsO nur ein, wenn der Insol-venzverwalter - regelmäßig im Rahmen einer Betriebsfortführung - willentlich Masseverbindlichkeiten begründet, obwohl voraussehbar ist, dass diese bei Fälligkeit nicht erfüllt werden können (BGHZ 161, 236, 239 f; 159, 104, 108 f; BGH, Urt. v. 10. Dezember 2009 - IX ZR 220/08, ZInsO 2010, 287, 288 Rn. 7).

Insolvenzspezifische Pflichten für die Zeit nach Begründung einer Verbindlich-keit legt die Vorschrift hingegen nicht fest (BGHZ 159 aaO). Diese Regelungs-grenzen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass eine Pflicht des Insol-venzverwalters zur Freigabe von Gegenständen aus der Insolvenzmasse kon-struiert wird, bei deren Nichterfüllung er einzelnen Gläubigern persönlich haften muss (LG Stuttgart, NZI 2008, 442, 443; Pape ZfIR 2007, 817, 820 f; a. A. OLG Düsseldorf ZIP 2007, 687, 689 f).

7          2. Das Berufungsgericht überspannt den Schutzzweck des Gesetzes, wenn es vorliegend die Haftung des Verwalters aus § 60 Abs. 1 InsO allein we-gen einer nicht rechtzeitigen Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 Abs. 1 InsO annimmt. Eine insolvenzspezifische, zum Schutz der Gläubiger bestehende Pflicht des Insolvenzverwalters, so rechtzeitig Masseunzulänglich-keit anzuzeigen, dass der Masse aufgezwungene Verbindlichkeiten ab deren Eintritt bevorzugt mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO befriedigt werden, besteht nicht. Die Annahme einer solchen Pflicht würde eine unzulässige Aus-dehnung der persönlichen Haftung des Insolvenzverwalters bedeuten. Dieser müsste - zumindest mittelbar - doch für die Erfüllbarkeit von auf die Masse übergegangenen Dauerschuldverhältnissen persönlich eintreten, ohne diese willentlich begründet zu haben. Er könnte zwar nicht nach § 61 Satz 1 InsO per-sönlich in Anspruch genommen werden, weil ihn diese Haftung gerade nicht treffen soll. Ließe er aber den Zeitpunkt verstreichen, zu dem die Masseunzu-länglichkeit droht oder bereits eingetreten ist, träfe ihn die persönliche Haftung für aufgezwungene Verbindlichkeiten aus § 60 Abs. 1 InsO, weil er stets dafür zu sorgen hätte, dass diese mit dem bestmöglichen Rang befriedigt werden.

8          a) § 208 InsO enthält keine eindeutige Aussage zu der Frage, zu wel-chem Zeitpunkt der Insolvenzverwalter dem Gericht Masseunzulänglichkeit anzeigen muss. Die Anzeige ist nach § 208 Abs. 1 Satz 2 InsO auch schon zuläs-sig, wenn die Masseunzulänglichkeit nur droht. Auch im Schrifttum wird ein sol-cher Zeitpunkt nicht eindeutig fixiert. Nach ganz herrschender Meinung hat der Verwalter einen Entscheidungsspielraum bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt er Masseunzulänglichkeit anzeigt (vgl. BK-InsO/Breutigam, § 208 Rn. 16; Braun/Kießner, InsO 4. Aufl. § 208 Rn. 23; HmbKomm-InsO/Weitzmann, 3. Aufl. § 208 Rn. 9; MünchKomm-InsO/Hefermehl, 2. Aufl. § 208 Rn. 30; Pape in: Kübler/Prütting/Bork, InsO § 208 Rn. 15a ff; Uhlenbruck/Ries, InsO, 13. Aufl., § 208 Rn. 10).

9          b) Der Gesetzgeber wollte ursprünglich bewusst davon absehen, dem Verwalter die Pflicht aufzuerlegen, bei eingetretener oder drohender Masseun-zulänglichkeit deren Feststellung zu beantragen (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 219). Man ist davon ausgegangen, dass der Insolvenzverwalter schon aus Haftungsgründen an einer rechtzeitigen Anzeige interessiert sein wird. Dabei ist aber nur an eine Haftung entsprechend dem jetzigen § 61 InsO gedacht wor-den. Hierbei ist es auch nach Änderung der Vorschrift durch den Rechtsaus-schuss geblieben. Nach dessen - später Gesetz gewordener - Fassung reicht statt der Feststellung der Masseunzulänglichkeit durch das Insolvenzgericht die nunmehr verpflichtende Anzeige durch den Insolvenzverwalter aus.

10        c) Eine insolvenzspezifische Pflicht des Verwalters, den Eintritt der Mas-seunzulänglichkeit im Interesse einzelner Gläubiger zu einem bestimmten Zeit-punkt anzuzeigen, ist allerdings nicht festzustellen. Der Gesetzgeber hat ihm einen weiten Handlungsspielraum bei der Frage eingeräumt, wann er die An-zeige abgibt. Dies belegt schon der Umstand, dass die Anzeige nicht zu be-gründen ist und durch das Insolvenzgericht nicht überprüft wird (BGH, Beschl. v. 19. November 2009 - IX ZB 261/08, ZInsO 2010, 63 Rn. 12; Graf-Schlicker/Riedel, InsO 2. Aufl. § 208 Rn. 6; HK-InsO/Landfermann, 5. Aufl. § 208 Rn. 8, Pape in: Kübler/Prütting/Bork, aaO Rn. 7b; Uhlenbruck/Ries, aaO Rn. 12). Eine Pflicht, im Interesse der Gläubiger von Dauerschuldverhältnissen die Anzeige zu einem bestimmten Zeitpunkt abzugeben, um diesen eine nach § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO bevorrechtigte Masseforderung zu verschaffen, ist hiermit nicht zu vereinbaren. Soweit das Berufungsgericht meint, der Verwalter hätte die Anzei-ge nach einem gewissen Entschließungszeitraum abgeben müssen, um so da-für zu sorgen, dass die Ansprüche der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht nur mit dem Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO anteilig berücksichtigt werden, wird dies nicht näher begründet. Unklar ist insofern schon, wie lang der Zeit-raum zu bemessen ist, bis er sich zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit ent-schließen muss, und ob er schon mit Erkennbarwerden der drohenden Mas-seunzulänglichkeit oder erst mit deren Eintritt beginnt.

11        d) Zutreffend zieht die Revision eine Parallele zum Insolvenzeröffnungs-verfahren bei bestehender Insolvenzantragspflicht aus § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. oder § 15a Abs. 1 InsO. Diese Vorschriften wollen durch die Antragspflicht für organschaftliche Vertreter Neugläubiger schützen, die einen Schaden erleiden, wenn sie mit der insolvenzreifen Gesellschaft Verträge abschließen, die bei Fäl-ligkeit nicht erfüllt werden können (BGH, Urt. v. 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 13 m.w.N.). Ersatzfähig ist das negative Interesse (grundle-gend BGH, Urt. v. 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 192 ff, 201). Individualschäden von Altgläubigern, deren Ansprüche zum Zeitpunkt des Ein-tritts der Insolvenzreife schon begründet sind, werden mit ihrem (positiven) Inte-resse an der Durchsetzbarkeit nicht geschützt. Einen entsprechenden Schutz gewährleistet im Insolvenzverfahren bei Eintritt der Masseunzulänglichkeit § 61 Satz 1 InsO, der insoweit abschließend ist. Verteilungsfehler, die dadurch ent-stehen, dass der Geschäftsführer im Stadium der Insolvenzverschleppung entgegen § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (= § 64 GmbHG n.F.) noch Auszahlungen an einzelne Gläubiger leistet, werden dadurch ausgeglichen, dass der pflichtwidrig handelnde Geschäftsführer die entsprechenden Zahlungen in das Gesell-schaftsvermögen zu erstatten hat. Diesen Fall erfasst im Insolvenzverfahren die Haftung aus § 60 Abs. 1 InsO.

12        e) Auch wenn der Verlust, den der Gläubiger eines Dauerschuldverhält-nisses möglicherweise dadurch erleidet, dass infolge einer späten Anzeige der Masseunzulänglichkeit seine Forderung nicht früher in den Rang einer Neu-masseverbindlichkeit gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO erhoben wird, vom Schutzbereich der § 60 Abs. 1, § 208 Abs. 1 InsO nicht erfasst wird, bleibt der Gläubiger doch nicht schutzlos, wenn das Verfahren masseunzulänglich wird. Der Verwalter muss - ungeachtet der Frage, zu welchem Zeitpunkt er Mas-seunzulänglichkeit anzeigt - allen Massegläubigern persönlich dafür einstehen, dass er die Anzeige nicht zu früh oder zu spät abgibt. Für die Frage der mate-riellen Anwendung der Rangordnung des § 209 Abs. 1 InsO kommt es auf den Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht an. Diese gilt auch schon vor der Anzeige und ist vom Verwalter in jedem Fall zu beachten (BGH, Beschl. v. 19. November 2009, aaO Rn. 14). Hieraus folgt, dass der Verwalter sich schadensersatzpflichtig macht, wenn er die Anzeige schuldhaft zu früh ab-gibt und dadurch Massegläubiger, die er aus der vorhandenen Masse eigentlich noch vollständig hätte befriedigen müssen, in den Rang des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO zurückgesetzt werden. Ebenso kann eine Haftung aus § 60 Abs. 1 InsO gegeben sein, wenn der Verwalter trotz eingetretener Masseunzulänglichkeit einzelne Masseverbindlichkeiten befriedigt und andere - gleichermaßen fällige - unberücksichtigt lässt. Insoweit muss der Verwalter vor jeder Auszahlung prü-fen, ob die Masse überhaupt ausreicht, um alle Masseforderungen zu beglei-chen (vgl. BGHZ 159, 104, 114 f; BAG ZInsO 2007, 781, 784; Gerbers in Pape/Graeber, Handbuch der Insolvenzverwalterhaftung, Teil 3 Rn. 148). Ist dies nicht der Fall, muss er dafür sorgen, dass eine Befriedigung nur nach der Rangordnung des § 209 Abs. 1 InsO erfolgt. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob ein entsprechender Verteilungsfehler vorliegt, ist der tatsächliche Eintritt der Masseunzulänglichkeit; auf die Anzeige durch den Ver-walter kommt es nicht an (vgl. BGH, Beschl. v. 19. November 2009, aaO).

13        3. Einen Verteilungsfehler, der darauf beruht, dass der Beklagte als In-solvenzverwalter trotz bestehender Masseunzulänglichkeit davon abgesehen hat, die Ansprüche der Massegläubiger abweichend von der Rangordnung des § 209 Abs. 1 InsO zu befriedigen, hat die Klägerin nicht geltend gemacht. Sie trägt im Gegenteil vor, die Masse sei von Beginn an unzureichend gewesen, ohne darzulegen, dass der Beklagte die Ansprüche anderer Gläubiger entge-gen der Rangordnung des § 209 Abs. 1 InsO befriedigt habe. Allein der Um-stand, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft bei einer früheren Anzeige der Masseunzulänglichkeit eher in den Genuss der Rangklasse des § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO gekommen wäre, reicht - wie dargelegt - für eine Haftung aus § 60 Abs. 1 InsO nicht aus. Nach der gesetzlichen Interessenwertung ist es nicht gerechtfertigt, dem Verwalter wegen verzögerter Herbeiführung der Insol-venz in der Insolvenz hiernach eine Haftung aufzuerlegen, die es so bei einem organschaftlichen Vertreter nach § 823 Abs. 2 BGB, § 15a InsO trotz Insolvenz-verschleppung nicht gibt.

14        III. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache entscheidungsreif ist, kann der Senat in der Sache selbst entschei-den (§ 563 Abs. 3 ZPO) und die Klage - soweit sie gegen den Beklagten zu 2 gerichtet ist - abweisen.

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