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Wirtschaftsrecht
27.01.2011
Wirtschaftsrecht
VGH Kassel: Versagung des Informationszugangs durch das BMF

VGH Kassel, Urteil vom 11.10.2010 - 27 F 1081/10

Leitsatz

Eine Sperrerklärung der obersten Aufsichtsbehörde muss im Einzelnen substantiiert darlegen, welcher Geheimhaltungsgrund hinsichtlich der einzelnen Aktenbestandteile geltend gemacht wird. Dies gilt insbesondere bei der Verweigerung der Vorlage umfangreicher Unterlagen.

IFG § 3, KWG § 9, VwGO § 189, VwGO § 99

aus den gründen

Der statthafte Antrag des Klägers, die Sperrerklärung des Bundesministeriums der Finanzen vom 15.4.2010 für rechtswidrig zu erklären, über den gemäß § 99 Abs. 2 S. 1 und S. 4 in Verbindung mit § 189 VwGO der zuständige Fachsenat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs entscheidet, ist auch im Übrigen zulässig.

Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit oder Vertraulichkeit von Akten oder Auskünften, ist Voraussetzung für einen zulässigen Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO an den Fachsenat, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der begehrten Unterlagen festgestellt hat. Grundsätzlich bedarf es dafür gemäß § 98 VwGO in Verbindung mit § 358 ZPO eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache oder einer vergleichbaren förmlichen Äußerung des Hauptsachegerichts (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24.11.2003 - 20 F 13.03 -, BVerwGE 119, 229, 232, und vom 12.1.2006 - 20 F 12.04 -, BVerwGE 125, 40, 42).

Der 6. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs hat im Berufungsverfahren mit Beschluss vom 2.3.2010 - 6 A 1684/08 - die Beklagte aufgefordert, die im Tenor des vorliegenden Beschlusses genannten Unterlagen ihm vorzulegen. Aus dem Beschluss ergibt sich, dass der 6. Senat als Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit dieser Unterlagen in Bezug auf die Beurteilung des Vorliegens rechtlicher Hindernisse gegenüber dem vom Kläger geltend gemachten Anspruch nach dem Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes - Informationsfreiheitsgesetz - IFG - bejaht.

Der Antrag des Klägers ist auch begründet.

Nach § 99 Abs. 1 S. 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zur Erteilung von Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente oder dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten, die Übermittlung der elektronischen Dokumente und die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 S. 2 VwGO). Damit setzt diese Vorschrift zum einen das Vorliegen (zumindest) eines der Tatbestandsmerkmale, die eine Verweigerung der Vorlage zulassen, und zum anderen bei Vorliegen des Tatbestands eine Ermessensentscheidung voraus.

Hier fehlt es bereits in der zu überprüfenden Sperrerklärung an der substantiierten Darlegung eines der Tatbestandsmerkmale, die die Verweigerung der Vorlage der vom Gericht der Hauptsache begehrten Unterlagen zulassen.

Zum einen beruft sich das Ministerium - wie auch die Beklagte - auf die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Kreditwesengesetz - KWG - in Verbindung mit § 3 Nr. 4 IFG.

Die in § 9 Abs. 1 KWG normierte Verschwiegenheitspflicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, ihrer Bediensteten und der weiteren dort genannten Personen stellt eine durch Rechtsvorschrift geregelte Geheimhaltungspflicht im Sinne des § 3 Nr. 4 IFG dar. Dadurch ist diese bereichsspezifische Verschwiegenheitsvorschrift als dem Anspruch auf Informationszugang entgegenstehender Ausnahmegrund in das Informationsfreiheitsgesetz integriert (vgl. Beschlüsse des 6. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2.3.2010 - 6 A 1684/08 -, und vom 24.3.2010 - 6 A 1832/09 -, beide Juris). Nach § 9 Abs. 1 KWG dürfen die bei der Bundesanstalt Beschäftigten und die übrigen dort genannten Personen die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des Instituts oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, nicht unbefugt offenbaren oder verwerten. Damit umfasst die Bestimmung über die dort beispielhaft genannten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse hinaus sämtliche (weiteren) Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des Instituts oder eines Dritten liegt (Hess VGH, Beschluss vom 24. März 2010, a. a. O.). Dieses Interesse muss objektiv schutzwürdig sein (Lindemann in: Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 2. Aufl., § 9 Rdnr. 7; Brocker in: Schwennicke/Auerbach, KWG, § 9 Rdnr. 11).

Die Sperrerklärung beruft sich mit dieser Norm auf einen gesetzlichen Geheimhaltungsgrund, legt jedoch nicht dar, inwiefern dieser Geheimhaltungsgrund - und damit das Tatbestandsmerkmal für eine mögliche Verweigerung der Vorlage nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO - für die vom Gericht der Hauptsache angeforderten Unterlagen im einzelnen vorliegt. Vielmehr verweist die Sperrerklärung lediglich pauschal auf die Ausführungen der Beklagten im Verfahren. Dies genügt jedoch nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Sperrerklärung. Die Sperrerklärung muss den von der obersten Aufsichtsbehörde angenommenen Verweigerungsgrund, das heißt den Tatbestand des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, im einzelnen erkennen lassen, damit der überprüfende Fachsenat auf dieser Grundlage das Vorliegen des Verweigerungsgrundes sowie die ordnungsgemäße Ausübung des Ermessens überprüfen kann. Gerade bei umfangreicheren Unterlagen, für die Geheimhaltungsgründe geltend gemacht werden, erfordert die Verweigerung der Vorlage in einem gerichtlichen Verfahren die konkrete Zuordnung der Geheimhaltungsgründe zu den einzelnen Aktenbestandteilen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.4.2010 - 20 F 13.09 -, Juris, und vom 8.3.2010 - 20 F 11.09 -, NJW 2010, 2295). Der Fachsenat vermag auf der Grundlage der Sperrerklärung - selbst wenn man die Ausführungen der Beklagten hinzunimmt - nicht zu erkennen, dass die geltend gemachte Verschwiegenheitspflicht eine generelle Verweigerung der Vorlage der Unterlagen rechtfertigt. Die Sperrerklärung stellt ohne Differenzierung darauf ab, dass der gesamte Akteninhalt - dem Fachsenat übermittelt wurden 24.153 Seiten - zurückgehalten werden müsse. Andererseits räumt selbst der Schriftsatz der Beklagten, mit dem sie dem Fachsenat die Unterlagen übersandt hat, ein, dass die Akten nicht etwa vorher vollständig darauf gesichtet worden seien, welche zum jeweiligen Aktenschlüssel gehörenden Unterlagen keinen Bezug zum Klagebegehren aufwiesen.

Die Rechtmäßigkeit der Sperrwirkung kann durch das Oberverwaltungsgericht nur sach-gerecht überprüft werden, wenn die oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 2 S. 5 VwGO ihrer Pflicht nachkommt, „die nach Abs. 1 S. 2 verweigerten Urkunden oder Akten ... vorzulegen". Dabei muss präzise dargelegt werden, dass bzw. inwieweit es sich bei den vorgelegten Unterlagen um die in dem Beweisbeschluss des dafür zuständigen (Hauptsache-)Spruchkörpers aufgeführten, für den Hauptsacherechtsstreit entscheidungserheblichen Unterlagen handelt. Der pauschale Hinweis, bei den vorgelegten Unterlagen befänden sich auch solche ohne Bezug zum Klagebegehren, genügt nicht der Pflicht nach § 99 Abs. 2 S. 5 VwGO, die „verweigerten", also die entscheidungserheblichen und in diesem Rechtsstreit durch Sperrerklärung als geheimhaltungsbedürftig qualifizierten Akten vorzulegen. Es liegt nicht in der Kompetenz des Gerichts festzustellen, welche der vorgelegten Akten zu den nach Auffassung der obersten Aufsichtsbehörde geheimhaltungs-bedürftigen und für diesen Rechtsstreit erheblichen Unterlagen gehören sollen und welche nicht. Die oberste Aufsichtsbehörde hat selbst eindeutig und im Einzelnen klarzustellen, auf welche der vorgelegten Akten sich ihre Sperrwirkung bezieht.  

Damit fehlt es an einer substantiierten Darlegung des Vorliegens eines Verweigerungsgrundes aufgrund von § 9 Abs. 1 KWG in Verbindung mit § 3 Nr. 4 IFG. Dies führt auch dazu, dass sich aus der Sperrerklärung nicht entnehmen lässt, dass eine Ermessensausübung durch das Bundesministerium der Finanzen auf der Grundlage einer umfassenden und ordnungsgemäßen Sachverhaltsermittlung erfolgt ist.

Zusätzlich beruft sich die Sperrerklärung für die Geheimhaltungsbedürftigkeit der vom Gericht der Hauptsache angeforderten Unterlagen auf die bei Übersendung drohenden nachteiligen Auswirkungen auf die Kontroll- und Aufsichtsaufgaben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Sinne des § 3 Nr. 1 d) IFG. Auch dies ist in der Sperrerklärung nicht nachvollziehbar dargelegt. Grundsätzlich gilt der Ausschlusstatbestand des § 3 Nr. 1 d) IFG auch für den Aufgabenbereich der Beklagten. Allgemeine Erschwerungen der behördlichen Aufgabenwahrnehmung, die mit der Verpflichtung zur Offenbarung unternehmens- und drittbezogener Informationen nach dem Informationsfreiheitsgesetz als solcher verbunden sind, genügen zur Ausfüllung dieses gesetzlichen Tatbestandes allein nicht. Auch Befürchtungen, die Kooperationsbereitschaft beaufsichtigter Unternehmen und Personen könne nachlassen, reichen nicht aus. Vielmehr muss die konkrete Möglichkeit einer erheblichen und spürbaren Beeinträchtigung der Aufgabenerfüllung durch die Behörde als Folge der Ermöglichung des Zugangs zu bestimmten unternehmens- oder drittbezogenen Informationen vorliegen. Dies ist von der Behörde - hier in der Sperrerklärung - in Form einer nachvollziehbar begründeten, durch konkrete Fakten untermauerten Prognose darzulegen (vgl. Hess VGH, Beschlüsse vom 2. und 24.3.2010, a. a. O.). Derartige Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Kontrolltätigkeit der Beklagten sind weder konkret dargelegt noch gar im einzelnen besonderen Teilen der angeforderten Unterlagen zugeordnet.

Da somit die Sperrerklärung bereits die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für eine Verweigerung der Vorlage der durch das Gericht der Hauptsache angeforderten Unterlagen nicht substantiiert und damit überprüfbar darlegt, ist die Sperrerklärung bereits aus diesem Grund rechtswidrig.

Die Feststellung des beschließenden Senats hindert den Beigeladenen nicht, erneut eine Sperrerklärung abzugeben und in dieser bei der Einstufung als geheimhaltungsbedürftig und bei der Ermessensausübung differenziert auf die einzelnen Unterlagen abzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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